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Unbeirrt fegte der Scheibenwischer den Schneeregen zur Seite. Fußgänger eilten über den Zebrastreifen, einige mit Regenschirmen, andere schlugen den Mantelkragen höher und zogen den Kopf ein. Die Ampel sprang auf grün. Pfarrer Sören Warnke fuhr an und spürte, dass das rechte Vorderrad eine Pfütze zum Sprühen brachte.

Warnke schaltete die Lüftung ein, weil die Scheibe beschlug und nieste. Noch war es nicht ganz dunkel. Ein blasser Tagesrest hing über der Stadt wie ein graues Tuch.

Und doch, trotz dieses trüben Wetters besserte sich Warnkes Stimmung an diesem frühen Abend bei jedem Kilometer, den er durch die regennasse City zurücklegte. Es war Montag, sein freier Tag, und er war auf dem Weg zur Sauna.

Nach Jahren hatte er sich endlich durchgerungen, die Blaue Lagune aufzusuchen und sich ein paar Stunden Sauna zu gönnen. Er freute sich auf den Augenblick, wenn er nur mit einem Handtuch über der Schulter den dämmrigen Raum betrat, wo ein gemütliches Feuer hinter Glas brannte. Wenn er dann endlich nackt auf der Bank säße und dumpf in die Flammen starrte, würde sich dieses wunderbare Gefühl einschleichen, unerreichbar zu sein. Er musste nichts tun. Einfach nur dasitzen und sich der Hitze hingeben, den Schweiß kommen lassen. Das war alles. Er freute sich sehr und verstand nicht, warum er sich nicht schon viel früher einen Saunaabend gegönnt hatte.

Ursprünglich hatte er mit Vera und den Kindern hingehen wollen, aber entweder hatte sie keine Zeit, oder wenn sie Zeit hatte, war es kein Tag für eine gemischte Sauna. Und so war er heute alleine losgefahren.

Blinkend bog er ab und suchte eine freie Parklücke, was an einem Montag nicht besonders schwierig war. Im Umkleideraum war er sogar allein.

Er nahm seinen Bademantel, Handtücher, Duschgel und ein Buch, legte alles in ein Fach und duschte sich. Herrlich! Hier kannte ihn zum Glück niemand. Er war extra in die Nachbarstadt gefahren, um nicht plötzlich irgendwelche Gemeindemitglieder zu treffen. Er hatte ja gar nichts gegen sie, aber einmal musste man schließlich abschalten können.

Schnell trocknete er sich ab, griff sich das lange Handtuch und ging in die sparsam beleuchtete Sauna mit dem echten Kaminfeuer. Ein paar Leute saßen auf der Bank, einer hatte sich ausgestreckt.

Als sich Warnke gerade entspannen wollte, erschrak er. Schräg gegenüber saß ein Mann, der seinem katholischen Kollegen zu Hause unglaublich ähnlich sah, nämlich dem jungen Priester Kent Ginstering.

Warnke wandte den Kopf ab, stützte sein Kinn in die Hände und drapierte seine Finger vor sein Profil.

Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ein Kollege in der Sauna! Hoffentlich hatte der ihn nicht erkannt. Vielleicht war er es ja auch nicht. Warnke blinzelte durch seine Finger und versuchte, das Gesicht seines Kollegen zu erkennen.

Er ist es! Eindeutig. Bloß keine Panik, Sören! Einfach so sitzenbleiben, warten, bis Ginstering gegangen ist und ihm dann unauffällig aus dem Weg gehen!

Auf jeden Fall wollte er sich die gemütliche Stimmung nicht verderben lassen. Pastor Warnke atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen, öffnete sie dann wieder, starrte in die Flammen und dachte an nichts – oder an fast nichts. Ganz schaffte man das ja nie. Irgendwelche bizarren Gedankenbilder schossen einem ja immer durch den Schädel. Da musste man schon ein Zen-Meister sein, um eine weiße Leinwand im Inneren installieren zu können.

Herrlich, diese Hitze!

Er spürte, wie bei ihm allmählich der Schweiß ausbrach und am Rücken herunterlief.

Erleichtert atmete Warnke aus, als das Holz knarrte und Ginstering nach draußen wankte. Den war er los. Gerade noch mal gut gegangen. Lange konnte er das hier drinnen auch nicht mehr aushalten, doch er wartete noch weitere fünf Minuten. Dann stand er auf und öffnete vorsichtig die Tür: Kein Katholik zu sehen!

Gerade steuerte er die kalte Dusche an, um sich den Schweiß abzuspülen, da zuckte er zusammen, denn neben ihm hörte er die bekannte Stimme von Ginstering.

„Oh, hallo! Der lutherische Kollege! Ist ja eine Überraschung, Sie hier in der Sauna zu treffen, Herr Warnke!“

Verzweifelt schloss Warnke die Augen.

Herr, erbarme dich, dachte er und drehte sich mit einem gezwungenen Lächeln um: „Ah, Herr Ginstering! Wir haben wohl die gleiche Art zu entspannen, was?“

„Ja, sieht so aus!“

„Ich muss erst mal meinen Schweiß abspülen!“

„Klar. Ich bin drüben im Ruheraum 2 und halte Ihnen eine Liege frei. Bis nachher!“

„Ja, bis … ähm … nachher.“

Okay, mein Buch kann ich jetzt vergessen, dachte Warnke und duschte sich mit stiller Verzweiflung.

Warum brauchte dieser Mensch seine Gesellschaft? Hatte er denn nicht auch mal das Bedürfnis, allein zu sein und mit keinem Menschen zu sprechen? Oder war das bei Priestern anders?

Das nächste Mal fahre ich nach Hannover, schwor sich Warnke, oder nach Finnland.

Eingehüllt in seinen Bademantel, mit einem bemühten Lächeln auf den Lippen, machte er es sich auf der Liege neben Ginstering bequem. Von wegen freihalten! Außer ihnen lag niemand sonst im Ruheraum.

Eigentlich kannte er Ginstering nicht wirklich. Nur von den gelegentlichen Treffen im ökumenischen Arbeitskreis. Was der Priester sonst so machte, oder welche Vorlieben und Abneigungen er hatte, wusste Warnke nicht. Doch, eines wusste er schon: Ginsterring entspannte sich selbst in der Sauna und half anderen Gästen, sich nicht zu entspannen.

Gemein. Warum bin ich so gemein?

Vielleicht konnte man ja nebeneinander liegen und ein Buch lesen? Immerhin war das ja ein Ruheraum und man sollte eigentlich nicht sprechen. Allerdings waren sie, wie gesagt, die Einzigen hier.

„Na? Der wievielte Gang?“, fragte Ginstering.

Also kein Buch!

„Ich bin beim ersten Gang“, sagte Warnke in der Hoffnung, Ginstering würde sagen: „Ich bin beim dritten.“

„Ich bin auch beim ersten. Dann haben wir ja etwas Zeit zusammen!“

Wie wunderbar, dachte Warnke und kämpfte gegen den Impuls an, die Augen zu verdrehen.

„Ja, es ist einfach toll, mal aus allem rauszukommen …“

und niemanden zu treffen, außer natürlich einen Kollegen, vervollständigte Warnke den Satz für sich. Laut sagte er: „Ja, man sitzt da und ist unerreichbar. Kein Telefon – keine Emails – nichts!“

„Und? Wie war bei Ihnen gestern die Messe? Oh, pardon, ich meine der Gottesdienst?“

„Na ja, der Gottesdienstbesuch war nicht gerade berauschend.“

„Wir müssen bei uns zurzeit eng zusammenrücken“, sagte der Priester. „Es gibt eine große Gruppe polnischer Mitbürger, die unsere kleine Gemeinde fast verdoppelt hat.“

„Aha. Na, das ist doch schön, wenn der Raum richtig voll ist, oder? Das kann man sich doch nur wünschen in einer Zeit, in der sich Kirchenaustritte häufen.“

„Schon“, seufzte Ginsterring, „aber wir kommen mit Beerdigungen, Taufen und Kommunionsfeiern kaum hinterher. Mein Kollege hat noch zwei andere Gemeinden zu versorgen!“

„Ja, das ist hart“, gähnte Warnke, der spürte, wie die Entspannung allmählich einsetzte und hoffte, dass der katholische Redefluss versickerte und er ein wenig dösen konnte. Tatsächlich war es ein paar Minuten still und Warnke hörte ein wunderbares Geräusch: Das Umblättern einer Buchseite. Offenbar hatte Ginstering auch ein Buch mitgenommen. Sehr klug! Der Mann wurde ihm ein wenig sympathischer.

Jetzt nur nicht diese zarte Ruhe stören. Er könnte ein wenig laut atmen, wie Leute, die ein kurzes Nickerchen machten und seinem Kollegen damit signalisieren: Hier entspannt ein erschöpfter Diener Gottes. Bitte in Ruhe lassen!

Plötzlich schreckte Warnke auf. Die Tür quietschte und fiel dann mit einem Schnappen zu. Er blickte sich um. Ginstering war verschwunden.

Ich muss wohl kurz eingenickt sein.

Er griff nach seinem Buch.

Herrlich! Ich lese zehn Minuten, dann gehe ich gemütlich zum zweiten Gang. In dieser Zeit ist Ginsterring mit seiner Saunasitzung fertig und wir sind wieder jeder für sich!

Er las ein Kapitel seines Buches, stand dann auf und trottete mit einem wohligen Gefühl durch die Tür. Als er in der Halle stand, kam Ginstering gerade aus einem Seitengang.

„Oh, hallo!“, rief er gut gelaunt. „Ich komme gerade von einem Fußbad. Na, dann können wir ja gemeinsam einen zweiten Saunagang wagen!“

Warnke versuchte zu lächeln, was ihm nur teilweise gelang, aber als sie dann gemeinsam weitergingen, sagte er sich: Was soll das, Sören! Lass dich endlich darauf ein und fühl‘ dich nicht dauernd gestört. Das ist ja noch nervender, als sich mit Ginstering zu unterhalten.

Er gab sich einen Ruck und fragte: „Gehen Sie öfter in die Sauna?“

„Na ja, vielleicht einmal im halben Jahr. Und Sie?“

„Noch weniger. Ich glaube, es ist ein paar Jahre her. Eigentlich sollte man es wirklich öfter machen. Unser Beruf ist ja irgendwie uferlos, da muss man ab und zu abschalten.“

Gistering lachte. „Ja, ja, und Sie wollten vorhin abschalten und dann kam ich und störte Ihre Ruhe, was?“

Warnke wurde leicht rot, was zum Glück nicht auffiel.

„So schlimm war’s auch nicht“, beteuerte er vielleicht ein wenig zu hastig und hob abwehrend die Hände.

„War erst überrascht, Sie zu treffen, hat aber auch … ähm … seine Reize … ähm … ökumenisch zu saunen!“, sagte er tapfer und bewunderte sich ein wenig, wie gut sich das anhörte.

Überwinde das Böse mit Gutem! Die Szene könnte ich direkt bei der nächsten Predigt einflechten und …

„Na, dann bin ich ja beruhigt“, meinte der halbnackte Priester, „dass ich Ihnen nicht allzu sehr auf die Nerven gehe.“

Sie hatten die Außensauna erreicht und wählten diesmal einen anderen Saunaraum: Nicht ganz so heiß, mit dezenten Lichteffekten und säuselnder Entspannungsmusik.

Sie hatten die Sauna für sich allein. Gemeinsam setzten sie sich auf die mittlere Bank und der Priester drehte die Sanduhr an der Wand um. Sie schwiegen.

Im Grunde gibt es Schlimmeres, überlegte Warnke, als sich mit Ginstering zu unterhalten.

Im ökumenischen Arbeitskreis hatten sie für das Persönliche kaum Zeit, es ging hauptsächlich um die Koordination von gemeinsamen Veranstaltungen, um Absprachen oder mal um ein ernsteres Thema.

Was machte eigentlich so ein Priester abends, wenn alles gelaufen ist? Schließlich gab es keine Ehefrau, mit der man noch ein Glas Wein trinken oder anderes anstellen konnte. Blieb nur Fernsehen, ein Buch oder früh ins Bett. Vielleicht eine Runde Karten spielen mit Freunden? Klönen mit der Haushälterin? Wohnte die eigentlich im Pfarrhaus? Aber das konnte man schlecht fragen, wenigstens jetzt nicht, vielleicht später.

„Und?“, fragte Ginstering plötzlich, als habe er Warnkes Gedanken gelesen. „Was machen Sie eigentlich so abends, wenn alles gelaufen ist?“

„Ich?“ Warnke war überrascht, eigentlich hatte er ja diese Frage stellen wollen.

„Ja, also … kommt drauf an. Manchmal schlafe ich bei den Tagesthemen ein, ich trinke mit Vera gelegentlich ein Glas Wein, oder wir unterhalten uns noch.“

„Im Bett?“

Warnke lächelte und schüttelte den Kopf.

„Wir haben getrennte Schlafzimmer.“

Ginstering räusperte sich und schwieg. So genau wollte er über die Familienverhältnisse seines Kollegen gar nicht informiert sein.

„Das stelle ich mir schön vor“, meinte Ginstering.

„Was denn?“

„Na ja, gemütlich im Bett zu liegen und sich mit seiner Frau zu unterhalten.“

Warnke lachte. „Na ja, es kann sich aber auch manchmal ein kleiner Streit entwickeln, weil man tagsüber keine Zeit hatte, oder man sich Sorgen wegen der Kinder macht. Da haben Sie doch wesentlich mehr Freiheit. Sie könnten zum Beispiel abends noch losgehen, in einer Kneipe ein Bier trinken, dem Volk aufs Maul schauen …“

„Ist das nicht ein Lutherzitat?“

Warnke grinste. „Da haben Sie Recht. Man sagt das jedenfalls so von Luther, als er die Bibel übersetzte.“

Der Priester wurde nachdenklich.

„Im Grunde sollte ich tatsächlich mal abends in eine Kneipe gehen, damit man aus dieser frommen Sprache herauskommt und hört, was die Leute wirklich beschäftigt.“

„Und Sie?“, wagte sich der Lutheraner vor. „Was macht eigentlich ein Priester abends nach Feierabend, wenn es den überhaupt gibt?“

Ginstering atmete aus.

„Keine Ahnung, was andere so machen, ich erledige manchmal Briefe. Wenn es geht, schau ich mir mal einen Film an, ich bete oder telefoniere mit guten Freunden, lese ein Buch im Bett oder blättere noch in der Zeitung, aber meistens quillt mein Schreibtisch über.“

„Oder Sie unterhalten sich mit Ihrer Haushälterin?“

Ginstering lachte.

„Nein, nein, Frau Labrecht geht meistens um vier. Mit ihren immerhin dreiundsechzig Jahren hat sie noch ihre Mutter zu versorgen und den Rest ihrer Familie, der sie braucht.“

„Ah ja“, nickte Warnke und schwieg.

Je länger er mit Ginstering zusammensaß, desto besser gefiel es ihm. Ginstering war eigentlich ein ganz netter Typ. Endlich konnte man einmal ganz ungezwungen über ein paar Dinge reden.

Und was wäre, wenn man mal die richtigen Themen anpackte, die einem auf den Nägeln brannten? Die Unterschiede? Die Gemeinsamkeiten? Hier wäre mal wirklich Zeit. Ohne Talar, ohne Beffchen, ohne den ganzen liturgischen Kram …

„Hören Sie mal, Herr Ginsterring“, begann Sören Warnke, „da kommt mir eine Idee.“

„Na, dann schießen Sie mal los.“

„Wie wäre es, wenn wir uns regelmäßiger in der Sauna treffen, zum Beispiel montags. Es gibt eine Menge Dinge, die mich bei euch Katholiken interessiert, die Heiligen zum Beispiel, das Weihwasser, das Abendmahl, um nur ein paar Dinge zu nennen. Klar, man kann das irgendwo nachlesen, aber spannender wäre es, es direkt von jemandem zu hören, der … naja, der mit den Sachen persönlich umgeht.“

„Hm“, sinnierte Ginstering, „ein ökumenischer Arbeitskreis in der Sauna, so etwas wie ein Sauna-Konzil …“

„Nein, nein, kein Konzil, eher ein persönliches Gespräch über die konfessionellen Grenzen hinweg im Bademantel oder …“

„Oder nackt! Nochmal im Paradies anfangen, was?“

Warnke lachte: „So ähnlich.“

„Also, wenn ich mir das so überlege“, sagte der Priester, „klingt es wirklich gut. Interessant fände ich es allerdings, wenn wir noch einen dritten Kollegen dazu einladen, falls der mitmacht. Das frischt die Runde auf. Wie wäre es mit Herrn Wolkenstein, dem Freikirchler. Ich finde ihn ganz sympathisch.“

Warnke runzelte die Stirn. Ein Freikirchler? Ein Baptist? Klar, Wolkenstein war relativ offen. Nur manchmal fühlte Warnke einen kleinen Stich, wenn er hörte, wie aktiv die Mitglieder sich im Gemeindeleben einbrachten. Und neulich hatten die doch wieder eine Erwachsenentaufe gehabt und ein ehemaliger Lutheraner war unter den Täuflingen gewesen. Wiedertäufer! Schrecklich! Aber warum nicht? Dem könnte man in der Sauna mal ordentlich einheizen!

„Stimmt“, nickte Warnke, „wenn schon, dann richtig. Wir diskutieren über unsere Konfessionen – knallhart und ohne Weichspüler.“

„Oh!“, Ginstering hob die Augenbrauen. „Höre ich da eine versteckte Aggression heraus, Herr Kollege?“

„Vielleicht“, brummte Warnke, „jedenfalls habe ich bei der Praxis der freikirchlichen Taufe eine ganze Menge Fragen.“

„Dann wäre eine Sauna ja der beste Ort dafür, oder? Ein Tauchbecken mit kaltem Wasser zum Üben ist ja schon vorhanden“, witzelte Ginstering.

Warnke musste unwillkürlich grinsen. Taufen in der Sauna!

„Gut“, sagte er schließlich. „Wie wäre es einmal im Monat, immer am zweiten Montag?“

Ginsterring nickte.

„Muss mal sehen, wie das mit meinen Terminen aussieht. Vielleicht kann ich ja zumindest einen Montagabend im Monat freischaufeln. Wer fragt Wolkenstein?“

„Machen Sie das doch“, schlug Warnke vor.

„Okay.“

Ginstering seufzte: „Allmählich wird es mir richtig heiß. Ich glaube, ich geh raus.“

„Ich komme mit“, sagte Warnke und stand auf.

Das Sauna-Konzil

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