Читать книгу Das Sauna-Konzil - Albrecht Gralle - Страница 4
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ОглавлениеWolkenstein hatte vor einer Woche einen Telefonanruf von Pfarrer Kent Ginstering bekommen und war über sein Anliegen erstaunt gewesen.
„Zu dritt in der Sauna?“, hatte er schließlich ungläubig gefragt.
„Ja, warum nicht? In einer entspannten Atmosphäre die Gemeinsamkeiten und Unterschiede diskutieren.“
„Hm.“ Das war das Einzige, was Wolkenstein dazu ein-fiel.
„Sie scheinen noch nicht so begeistert zu sein, was?“
„Na ja“, hatte Wolkenstein gesagt, „ich wundere mich, dass Sören Warnke damit einverstanden war. Er lässt manchmal spitze Bemerkungen in meine Richtung los, wenn ich ganz ehrlich sein soll. Ich vermute mal, dass Sie es waren, der meinen Namen ins Spiel gebracht hat.“
„Richtig.“
„Tja, ich weiß nicht so recht“, hatte Wolkenstein herumgedruckst.
„Warum zögern Sie? Was macht Ihnen Kopfzerbrechen, Herr Wolkenstein?“
Wolkenstein war schweigsam geworden, hatte schließlich geseufzt und gesagt: „Wissen Sie, ich habe keine Ahnung von der Sauna. Ich war noch nie dort. Ich fühle mich da sehr unsicher in diesen Dingen.“
„Ach, das ist es!“ Die Stimme des Priesters klang nach einem Lächeln. „Ich werde Sie nicht verraten und Ihnen dezente Hinweise geben. Wissen Sie was? Ich schicke Ihnen eine E-Mail und erkläre Ihnen, wie das normalerweise abläuft, dann sind Sie nicht ganz so ahnungslos.“
„Na gut“, hatte Wolkenstein schließlich eingewilligt, „wenn sich jemand so viel Mühe gibt, muss das belohnt werden.“
„Genau.“
Vier Wochen später stand Leonard Wolkenstein tatsächlich zum ersten Mal in seinem Leben im Umkleideraum einer Sauna.
Ginstering schlang sich gerade das Handtuch gekonnt um die Hüften. Ein Teil stand über, den er dann feststeckte. „Hab ich in einem Hamam in Istanbul gelernt“, erklärte er. Wolkenstein nestelte an seinem Schlüsselband.
„Fehlt nur noch Sören Warn …“
Die Tür ging auf und der Lutheraner betrat mit großen Schritten den Umkleideraum.
„Zu spät losgekommen“, murmelte er, „Vorweihnachtsstress.“
„Kein Problem“, meinte Kent Ginstering, „ist ja schließlich keine Arbeitssitzung.“ Sie reichten sich die Hand.
„Eine großartige Idee, sich in der Sauna zu treffen“, meinte Wolkenstein und lächelte leicht verlegen. Er fühlte sich noch unsicher und wusste nicht, wie ernsthaft sich dieses „Projekt“ gestalten würde. Aber es war einen Versuch wert. Ginstering konnte er ja leiden, aber bei Warnke hatte er Vorbehalte. Na gut, er würde mitmachen und sehen, was sich daraus entwickelte.
Sie duschten sich schweigend. Diesmal waren noch zwei weitere Männer anwesend. Vielleicht konnte man sich ja einen Saunaraum aussuchen, der leer war.
Verstohlen betrachtete Wolkenstein die hochkirchliche Geistlichkeit im Adamskostüm. Der Priester war noch jung und drahtig und schien ein wenig Sport zu treiben, allerdings lichteten sich bereits die Haare vorne etwas. Warnke hatte deutliche Ansätze eines Bauches, war mindestens fünfzehn Jahre älter als Ginstering und trug die Haare extrem kurz. Wolkenstein seifte sich ein und dachte, dass er genauso wenig sportlich aussah wie Warnke, dafür aber noch volle Haare hatte, die grauweiß leuchteten.
Sie saßen in der Fünfundneunzig-Grad-Sauna, weil sie gerade leer war. Das Feuer brannte lautlos hinter Glas und die dunklen Steinwände strahlten die Hitze zurück.
Wolkenstein zog überrascht die Luft ein. So heiß hatte er es sich nicht vorgestellt. Aber er ließ sich nichts anmerken. Sie nahmen auf ihren Handtüchern Platz. Wolkenstein wusste Bescheid. Ginstering hatte ihm alle Schritte genau aufgeschrieben. Irgendwie rührend.
„Womit fangen wir an?“, fragte der Priester. „Irgendein Thema, dass uns auf den Nägeln brennt?“
„Ich hab eigentlich nie ganz verstanden“, begann Warnke, „warum man bei euch Katholiken zu den Heiligen betet, besonders zu Maria, das scheint mir gegen das erste Gebot zu sein. Du sollst keine anderen Götter …“
„Halt, halt!“ Der Priester hob die Hände. „Streichen wir zuerst das Wort anbeten. Natürlich gehört die Anbetung Gott allein. Das ist klar, aber wir nehmen eben die unsichtbare Kirche ernster als ihr Protestanten, es ist ‚die Wolke der Zeugen, die uns umgibt‘, wie es im Hebräerbrief heißt.“
„Aber, meine Güte, deswegen muss man doch nicht gleich zu ihnen beten“, warf Leonard Wolkenstein ein.
Der Priester lachte: „Aber das machen Sie doch auch!“
„Was?“ Wolkenstein schüttelte den Kopf. „Ich bete zu keinem Heiligen! Ich wähle immer den direkten Draht zu Gott. Keine Umwege.“
„Passen Sie mal auf“, fuhr Ginstering fort, „nehmen wir einmal an, Sie haben ein dickes Problem in Ihrer Familie, bei dem Sie nichts machen können und wo nur noch Beten hilft. Und nun gehen Sie zu einem guten Freund, von dem Sie wissen, dass er gläubig ist und fragen ihn: ‚Du, sag mal, wir haben dieses Problem, kannst du nicht mal für uns beten?‘“
„Ja, klar, das kann schon mal vorkommen, aber ich weiß nicht, was das …“
„Der Unterschied bei uns Katholiken ist nur, dass wir eben die Heiligen zusätzlich einspannen. Wir bitten sie, dass sie Fürbitte bei Gott einlegen.“
„Na ja“, meldete sich Warnke und fuhr sich über seine feuchte Fastglatze, „aber die Heiligen sind schließlich tot.“
„Genau“, ereiferte sich Wolkenstein, „und ist es uns nicht verboten, zu Toten Kontakt aufzunehmen?“ Er ließ sich befriedigt auf die Bank zurücksinken und stützte sich mit den Händen hinten ab.
„Es ist verboten, die Toten zu beschwören“, sagte Ginstering leicht verschnupft über die Unterstellung. „Wir wissen, dass die Heiligen bei Gott sind und für uns gerne eintreten. Es ist eine ganz normale Angelegenheit, nur, dass der Kreis der Fürbitter bei uns weiter gezogen ist.“
„Nein, nein!“ Warnke schüttelte den Kopf. „Das lass ich so nicht durchgehen. Ich sehe da bei Ihnen ein … ja ein Misstrauen gegenüber Gott, als ob man sich nicht recht traut, ihn direkt anzurufen und zur Sicherheit ein paar Heilige dazwischenschaltet.“
„Ich sehe das genauso, Herr Kollege.“ Wolkenstein haute in die gleiche Kerbe und spürte zum ersten Mal ein wenig Solidarität zwischen Warnke und sich.
„Hat nicht Jesus immer wieder betont, dass Gott vertrauenswürdig ist, dass man mit allem zu ihm kommen kann? Denken Sie an das Gleichnis mit dieser nervenden Witwe, die einen Richter so lange nicht in Ruhe lässt, bis er ihre Bitte erfüllt. Man darf Gott direkt anrufen und …“
„Na, nun beruhigen Sie sich mal!“ Ginsterings Stimme wurde etwas schärfer. „Ihr Evangelischen tut gerade so, als ob wir das Beten zu Gott ganz verlernt hätten. Das Fürbittengebet zu den Heiligen ist ja nur eine Form unter vielen. Wir beten in jeder Messe zu Gott. Und bei euch Lutheranern erschöpft sich das Beten in liturgischen Formeln. Ihr lest die Gebete ab. Von einem intensiven Gebetsleben kriege ich bei euch nichts mit.“
„Ach nee!“, rief der Lutheraner aus. „Das ist doch bei euch genauso. Ihr habt ja noch eine viel strengere Liturgie.“
„Das schon, aber wir pflegen bei uns auch freie Elemente. Wir bieten eine Segnung an, zum Beispiel …“
„Bei uns ist das freie Gebet sowieso an der Tagesordnung“, ließ sich Wolkenstein vernehmen und schaute auf die Sanduhr. Allmählich nahm die Hitze überhand. Aber wenn ich jetzt rausgehe, wie sieht das denn aus?
„Ah, auf Ihren Einwand habe ich gewartet, Wolkenstein“, sagte Warnke, „eure sogenannten freien Gebetsgemeinschaften, wie ihr das nennt. Ich habe das ein paarmal mitgemacht. Da beten doch immer die gleichen mit immer ähnlichen Formulierungen. So frei ist das Ganze doch auch gar nicht.“
„Wenn zwei sich streiten …“, lachte der Priester.
Plötzlich öffnete sich die Tür und eine junge Frau in einem weißen Sportdress und einem Eimer in der Hand betrat den Raum.
„Guten Abend, die Herren, ich bringe Ihnen einen Aufguss mit dem Duft der Zitrone!“
„Ah“, sagte Wolkenstein erleichtert, „sehr schön.“ Er stellte sich vor, dass es jetzt etwas kühler wurde.
Sie beobachteten die Frau, die eine Kelle in den Eimer tauchte, das Zitronenaroma verrührte und Wasser über die heißen Steine goss. Es war nicht gerade unangenehm, sie zu beobachten. Sie sah gut aus und unter ihrer weißen Kleidung zeichnete sich ihre Unterwäsche ab. Aber seltsamerweise wirkte die Szene überhaupt nicht erotisch, denn da saßen sie: drei nackte Geistliche, und eine Frau in knapper Kleidung goss Wasser über die Steine.
Es zischte und dampfte. Ein feines Zitronenaroma verbreitete sich im Raum, während die Saunafrau mit einem Handtuch in der Hand über den Ofen schwang und die heiße Luft in Richtung der schwitzenden Pfarrer wedelte.
Wolkenstein, der an eine kühle Brise gedacht hatte, erstarrte, als die heiße Luft seinen Oberkörper erreichte und schnappte nach Luft.
Meine Güte, das wird ja unerträglich. Lange halte ich das nicht mehr aus.
„Ah!“, brummte Warnke und atmete tief durch. „Jetzt wird es wirklich heiß!“
Reiß dich zusammen Leonard, wenn du jetzt rausgehst, stehst du da wie ein Weichei.
„Ich glaube“, sagte jedoch Ginstering, „ich geh raus, mir wird es zu heiß.“
Wolkenstein war dankbar für den Vorschlag. „Ich komm mit.“
Auch Warnke schloss sich an. Alle drei verließen schweißtriefend den Raum.
„Und jetzt eine eiskalte Dusche!“, rief Warnke begeistert aus, ging zu der freien Dusche hinüber und drückte auf den Knopf. Er schnaubte und keuchte.
„Ist das … ist das nicht gefährlich?“, raunte Wolkenstein dem Priester zu. „Aus der Hitze unter eine eiskalte Dusche?“
Ginstering schüttelte den Kopf.
„Da passiert seltsamerweise nichts. Es nimmt einem den Atem, aber es ist sehr erfrischend. Wenn draußen Schnee liegt, wälzen sich manche Leute nach der Sauna sogar im Schnee.“
„Wahnsinn“, sagte Wolkenstein und trat als nächster unter die Dusche. Sie war wirklich eiskalt und ließ ihn erschauern. Danach fühlte er sich aber erfrischt wie schon lange nicht mehr.
Nach dem Duschen schlappten sie auf ihren Gummilatschen und eingehüllt in ihre Bademäntel den beleuchteten Wegen entlang.
„Na ja“, sagte Warnke nach einer Weile und griff den Gesprächsfaden wieder auf, „lassen wir das mal mit den Heiligen so stehen, aber bei der Maria, das ist mehr als Fürbitte, die wird ja doch richtig verehrt. Ich war mal in Italien bei einer katholischen Messe. Alles hab ich nicht verstanden, aber Maria ist bestimmt nicht nur jemand, den man wegen einer Fürbitte anhaut. Da steckt mehr dahinter! Das können Sie nicht abstreiten!“
Der Priester nickte zustimmend.
„Ja, da haben Sie Recht. Bei Maria ist eine Menge Verehrung dabei, so ähnlich, wie wenn Sie einen Kinostar verehren und sich ein Plakat von ihm übers Bett hängen.“
„Also bei mir hängt kein Plakat einer Schauspielerin überm Bett! Wollen Sie Ihre Maria etwa mit Kate Winslet vergleichen?“
Ginstering lachte: „Es ist nicht meine Maria. Klar, jeder Vergleich hinkt. Ich meine, wir verehren doch alle irgendwelche Leute, vielleicht verehren Sie Dietrich Bonhoeffer … oder Bach oder Mozart – keine Ahnung.“
„Gut“, gab Warnke zu, „ich schwärme schon ein bisschen für Bach. Ein Genie!“
„Sehen Sie, so ähnlich ist es bei uns Katholiken mit Maria. Sie ist unser Vorbild. Gott beruft sie, den Sohn Gottes zur Welt zu bringen mit all den schwierigen Umständen und sie sagt Ja.“
„Aber Herr Ginstering“, mischte sich Wolkenstein ein, während er den Gürtel seines Bademantels enger knotete, „mir kommt es wirklich wie eine Anbetung vor. Wenn man mal Leute beobachtet, die zu Maria beten, also das ist …“ Er ließ den Satz unvollendet.
Der Priester schwieg und sie lauschten ihren Schritten auf dem Kies. Irgendwo plantschte jemand im Wasser.
„Wissen Sie“, sagte er, „ich schließe nicht aus, dass manche Katholiken es vielleicht übertreiben und sich die Grenzen dabei verwischen. Aber von unserer Theologie her ist es keine Anbetung, denn die gehört Gott allein! Und denken Sie mal drüber nach, ob nicht die Evangelischen die Bibel zu hoch hängen und sie absolut setzen, quasi anbeten. Ein Heiliger aus Papier! Da sind mir die echten Heiligen schon lieber.“
Warnke schüttelte entschieden den Kopf. „Also … das ist doch …!“
Sie waren wieder beim Hauptgebäude angekommen, öffneten die Tür und durchquerten die Halle. Ein paar Leute saßen auf einer Bank und leisteten sich ein Fußbad. Weiter hinten gab es ein Bistro.
„Ich hab übrigens einen riesigen Durst“, sagte Wolkenstein, „und man muss beim Schwitzen ja viel trinken, hab ich gehört.“
„Das stimmt“, nickte Ginstering, „ich sehe, Sie kennen sich im Saunabetrieb sehr gut aus.“ Er lächelte verschmitzt.
Sie setzten sich an die Theke. Warnke bestellte sich ein Alsterwasser, Ginsterring ein Pils und Wolkenstein einen halben Liter Apfelsaftschorle.
„Bis wir in unsere Autos steigen, ist der Alkohol verdunstet“, lachte Warnke. „Wo waren wir doch gleich?“
„Maria“, half Ginstering nach.
„Nein, nein, mein Lieber. Lenken Sie nicht ab. Wir waren bei Ihrem Vorwurf stehengeblieben, dass wir Evangelischen die Bibel wie einen Heiligen verehren und sie geradezu anbeten.“
„Kein Vorwurf!“, beschwichtigte der Priester. „Ich meine nur, bei Ihnen kann es sein, dass der Bibel göttliche Verehrung entgegengebracht wird, während wir die kirchliche Tradition und die Bibel für gleichwertig halten.“
„Ja, ja ich weiß“, nickte Warnke.
„Aber“, meldete sich Wolkenstein, „schließlich ist die Bibel doch Gottes Wort und hat schon deswegen einen gewissen Respekt verdient. Die Heilige Schrift ist unser Maßstab. Deswegen haben wir Freikirchler zum Beispiel kein Glaubensbekenntnis. Uns genügt die Bibel!“
Warnke nahm einen tiefen Schluck.
“Vorsicht, Vorsicht, mein lieber Wolkenstein. Die Bibel ist nicht Gottes Wort. Christus ist das Fleisch gewordene Wort Gottes und die Bibel ist lediglich das schriftliche Zeugnis darüber. Das ist ein Unterschied. Und wenn ich in Ruhe darüber nachdenke, könnte an dem Vorwurf oder Einwand von unserem jungen Priester etwas dran sein, dass wir die Bibel in den Himmel heben. Wenn ich daran denke, dass es gerade unter den Freikirchlern sogenannte Bibelgläubige gibt, dann kann ich nur den Kopf schütteln. Ich glaube nicht an die Bibel, sondern an Jesus Christus.“
„Also, ich stelle fest“, sagte der Priester, „dass wir alle in unseren Konfessionen unterschiedliche Personen und Dinge neben Gott verehren, oder?“
Warnke nahm einen tiefen Schluck. „Ja, so kann man das nennen und ich füge hinzu: Die katholische Kirche steht in der Gefahr, neben Gott andere Wesen anzubeten.“
„Kann in die Gefahr kommen“, beschwichtigte Ginstering.
Wolkenstein schwieg und trank in tiefen Zügen seine Apfelschorle. Noch nie hatte er so einen großen Durst gehabt.