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3. Leben und Tod.

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Inhaltsverzeichnis

Eine Leiche wird zu Grabe getragen. Die reglose Leiche ist uns das Abbild des Todes. Und wenn wir die große Frage aufwerfen, ob alle lebendige Substanz einmal aus Altersschwäche sterben muß, so stellen wir damit die Frage, ob alle lebendigen Zellen, in welcher Form wir sie auch vor uns hätten – als einzelliges Lebewesen oder als pflanzlichen oder tierischen Zellenstaat –, im normalen Kreislauf ihres Lebens zu einer Leiche werden.

Doch vorerst: was ist eine Leiche? Lebendige Substanz, Zellsubstanz, die aufgehört hat zu leben.

Aber was ist „Leben“? Wir können vom Sterben, von der Entstehung der Leiche nicht sprechen, bevor wir uns nicht darüber klar geworden sind, was Leben ist.

Wir sind heutzutage über die Zeit hinaus, wo man auf die Frage, was Leben ist, damit zu antworten pflegte, daß man die Meinungen von so und so viel Gelehrten darüber aufzählte, Meinungen, die in der Regel einander widersprachen. Wir wissen heute, daß Leben nichts anderes ist, als eine Summe sehr verwickelter chemischer Vorgänge, die sich im Rahmen einer Zelle abspielen. Im Mittelpunkt dieser Vorgänge stehen die Eiweißstoffe, so benannt, weil der Chemiker sie dem Weiß des Hühnereies sehr ähnlich gefunden hat. Alles Leben besteht nun darin, daß die Eiweißstoffe der Zellen bestimmte chemische Veränderungen erfahren, verbrennen. Aber die Zelle geht dabei nicht zugrunde: denn in das kleine chemische Laboratorium der Zelle werden immer wieder Stoffe von außen aufgenommen, die zu lebendiger Zellsubstanz verarbeitet werden. So findet ein ständiger Stoffwechsel in der Zelle statt: Stoffe, die zur lebendigen Substanz der Zelle gehören, werden verbrannt, und die Verbrennungsprodukte, die Stoffwechselprodukte der Zelle werden aus dieser ausgeschieden; und neue Stoffe werden von außen aufgenommen, um als Ersatz für den verbrannten Anteil der lebendigen Zellsubstanz zu dienen. Alles Leben beruht auf diesem Stoffwechsel der lebendigen Substanz, und alle Lehre vom Leben ist nichts anderes als die Lehre vom Stoffwechsel der Zellen. Das Leben erforschen, heißt, den Stoffwechsel erkennen, der sich in der Zelle abspielt. Auf den chemischen Vorgängen, die man als Stoffwechsel der lebendigen Substanz zusammenfaßt, beruhen alle Erscheinungen, die man Leben nennt: Bewegung, Ernährung, Fortpflanzung, Empfindung und Denken. Mit Bezug darauf, wie aus dem Stoffwechsel der lebendigen Substanz die Lebensäußerungen folgen, stehen die Dinge viel einfacher, als mancher glaubt. Folgendes Beispiel soll uns da aushelfen. In der Dampfmaschine verbrennen Stoffe, die wir auch sonst, wo's uns gerade paßt, verbrennen können. Aber in der Dampfmaschine geht die Verbrennung dieser Stoffe so vor sich, daß die brennenden Stoffe bestimmte Arbeit leisten. Mit dem Brennen der Stoffe in der Dampfmaschine ist die Arbeit dieser gegeben, sie ist da, es steckt hinter der Arbeit der Dampfmaschine nichts anderes dahinter als das Brennen von Stoffen in ihr. Ebenso steckt hinter den Lebensäußerungen der lebendigen Substanz, und mögen diese Lebensäußerungen noch so kompliziert und auf den ersten Blick ganz unerklärlich sein, nichts anderes dahinter als ein Stoffverbrauch und Stoffersatz, nichts anderes als der Stoffwechsel der Zellen. Mit diesem Stoffwechsel sind alle Lebensäußerungen schon gegeben, man kann sie mit demselben Recht als Stoffwechselvorgänge und als Lebensäußerungen ansprechen: die stofflichen Vorgänge, die sich z. B. im Muskel abspielen, sind Bewegung des Muskels, die Stoffwechselvorgänge, die sich in den Zellen unseres Gehirnes abspielen, sind Denken.

Wenn alles Leben nichts anderes ist, als der Stoffwechsel der lebendigen Substanz, so bedeutet der Tod der Zelle, das Erlöschen des Lebens in ihr, daß der Stoffwechsel der Zelle aufgehört hat. Und eine Leiche ist eine Zelle, die nicht mehr den Stoffwechsel hat, den wir Leben nennen.

Aber damit ist doch noch nicht alles über die Leiche gesagt. Und da wollen wir von einem Versuch erzählen, der uns einen Einblick gewährt in noch andere Dinge, die man über Tod und Leiche wissen muß.

Wir holen uns aus einem Aquarium einige Pantoffeltierchen, die mikroskopisch kleine einzellige Lebewesen sind (Abb. 2, S. 13), heraus, indem wir einen Tropfen Wasser aus dem Aquarium schöpfen. Den Tropfen mit den Pantoffeltierchen bringen wir auf ein Glasplättchen in einer geeigneten Vorrichtung unter das Mikroskop. Dann richten wir es so ein, daß Alkohol an unserem Tropfen vorbeistreicht (Abb. 3). Die Pantoffeltierchen, die bisher in lebhafter Bewegung begriffen und pfeilschnell im Tropfen hin und her geschwirrt waren, sehen wir schon nach wenigen Minuten ihre Bewegungen einstellen. Und bald liegen sie regungslos an Ort und Stelle. Sie sind gelähmt. Aber nicht tot: denn lassen wir wieder frische Luft an den Pantoffeltierchen vorbeistreichen, so haben sie sich bald erholt und sind so munter wie je zuvor.


Abb. 3. Versuchsanordnung zum Studium der Einzelligen. Unter dem Mikroskop die Glaskammer, die oben durch ein dünnes Deckglas abgeschlossen ist. Am Deckglas ein hängender Tropfen, in welchem sich die zu untersuchenden Zellen befinden. Nach links ist die Glaskammer mit einer Einrichtung verbunden, die es gestattet, verschiedene Gase durch die Glaskammer zu pressen: das gewünschte Gas, z. B. Luft, Sauerstoff oder Stickstoff, tritt aus einem Glasbehälter in der Richtung des links angebrachten Pfeiles in die Glaskammer ein und tritt in der Richtung des auf der rechten Seite der Abbildung angebrachten Pfeiles durch eine Wasserflasche wieder aus. Zwischen dem Gasbehälter und der Glaskammer mit den zu untersuchenden Tieren ist eine Vorrichtung aus Glas eingeschaltet, die es ermöglicht, nach Belieben Alkoholdämpfe dem Gas beizumischen. Öffnet man den Hahn a, so kann das Gas aus dem Gasbehälter in die Glaskammer unter dem Mikroskop strömen: und zwar durch c oder durch b, K und b1. Schließen wir die Hähne b und b1 ab, so gelangt das Gas (z. B. Luft oder Sauerstoff) durch c in die Glaskammer unter dem Mikroskop. Schließen wir aber c, so muß das Gas durch b, K und b1 strömen. In K, das ein kleines Glaskölbchen ist, können wir nach Öffnung des oben im Kölbchen steckenden Gummistopfens, einen kleinen Wattebausch hineinbringen, den wir vorher mit Alkohol getränkt haben: es werden sich also jetzt dem durch die Glaskammer unter dem Mikroskop strömenden Gase Alkoholdämpfe beimischen. Wollen wir nach einiger Zeit unseren Versuchstieren wieder frisches Gas zuführen, so brauchen wir nur b und b1 zu schließen und c zu öffnen. Nach Ishikawa und Verworn. Schematisiert.

Wir hatten die Tiere mit Alkohol vergiftet. Und es ist uns selbstverständlich, daß die Vergiftung unserer Pantoffeltierchen nur darin bestehen konnte, daß ihr Stoffwechsel gestört, geschädigt war. Der äußere Ausdruck dieser Schädigung des Stoffwechsels ist die Lähmung der Zelle. Da aber diese Lähmung, wie wir gesehen haben, rückgängig gemacht werden konnte, so müssen wir voraussetzen, daß der Stoffwechsel der Zellen bei der Alkoholvergiftung wohl beeinträchtigt, wohl geschädigt war, daß er aber nicht ganz aufgehört hatte. Und tatsächlich wissen wir aus Versuchen, die Heaton, ein junger Engländer, in Verworns Laboratorium vor einigen Jahren ausgeführt hat, daß bei der Alkoholvergiftung der Stoffwechsel der lebendigen Substanz, auch wenn sie gelähmt ist, keinesfalls ganz stillsteht: der Stoffwechsel ist nur verändert, aus seinen normalen Bahnen gelenkt. Das ist es, was die Narkose, von der wir hier erzählt haben, vom Tode unterscheidet: daß in dem ersten Falle der Schaden wieder gut gemacht werden kann, im zweiten Falle aber nicht.

Mit dieser Betrachtung gewinnen wir die Möglichkeit, uns schärfer das herauszuarbeiten, was eine Leiche ist: eine Zelle ist zu einer Leiche geworden, wenn ihr Stoffwechsel unwiderruflich stillgestanden, „irreparabel erloschen“ ist, wie Verworn sich ausgedrückt hat … Dann ist die Uhr des Lebens abgelaufen …

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