Читать книгу Gabriele - Александр Дюма - Страница 2

Erster Theil
Zweites Kapitel
Eine reich gewordene Frau aus dem Volke

Оглавление

»Nun, was ist Dir denn, Gabriele? Du bist roth wie eine Kirsche und zitterst wie Espenlaub,« sagte Madame Rémond zu ihrer Tochter etwas rauh, aber voll Liebe und Herzlichkeit. Das junge Mädchen konnte, außer Athem und zugleich lachend und weinend, nur einzelne Sylben stammeln, statt zu antworten.

»Wenn Du wüßtest. . . Mütterchen . .. ich habe eine Wette gewonnen . . . aber ich bin recht erschrocken, als ich in den Salon kam, und die gute Elénore, die ich mit fortgerissen hatte, ihr wurde unwohl! . . . Du ließest mich rufen und sie ist noch ohne Bewußtsein! Sie leidet an solchen Anfällen, das ist wahr. . . aber dies Mal bin ich vielleicht daran Schuld! Ich bin trostlos.« Und nachdem sie diese Worte gesagt hatte, lachte das junge Mädchen unwillkürlich.

»Warum gingst Du in den Salon – und weshalb fürchtest Du Dich?^ fragt, Madame Rémond, während sie Haar und Halstuch des wilden Mädchens in Ordnung brachte, wobei sie jedoch mit Entzücken die Jugendfrische ihres schönen Kindes betrachtete.

»Ist schon jemand Fremdes da?« fragte sie.

»Ja, . . . eine Dame und zwei Herren, glaube ich; aber ich habe nicht Zeit gehabt, sie genau zu betrachten,« erwiderte Gabriele, noch ganz erhitzt.

,Sie werden es wahrscheinlich sein,« sagte Madame Rémond mit einem so bemerkbaren ungewöhnlichen, etwas listigen Ausdrucke, daß ihre Tochter sie neugierig ansah.

»Sei nur nicht gleich so furchtsam,« fuhr die Mutter fort; »Du brauchst Dich vor Niemand zu fürchten. . . Niemand hat Dir Etwas zu befehlen; und wer hat Dir denn auch jemals Etwas gesagt, oder Etwas abgeschlagen? Wer hat Dich jemals gezwungen, Etwas zu lernen?

Das junge Mädchen sah die Mutter, ohne sie zu unterbrechen, aufmerksam an. Diese fuhr also fort, wobei sie sich zwar immer mehr ereiferte, aber doch immer, so laut sie ihre Stimme auch erhob, ihren guten und zärtlichen Ton beibehielt:

»Hast Du je arbeiten müssen? Gott sei Dank, Du, mein liebes Kind, kannst, wenn Du willst, den ganzen Tag die Hände in den Schooß legen.«.

Gabriele, immer erstaunter, suchte zu errathen, wo das hinaus sollte.

»Und erröthe und zittre nur nicht, wie eine arme Näherin, die einer vornehmen Dame ihre Arbeit bringt; dazu hast Du keine Veranlassung! Wenn ich in vornehmer Gesellschaft etwas verlegen wäre, so wäre es kein Wunder . . . ich wurde ja erzogen, (unter uns gesagt, denn Niemand ahnet es), ich wurde erzogen in einem Laden, wo kaum vier Mal jährlich ein Sonnenstrahl eindrang und wo niemals feine Manieren gesehen wurden; wenn ich also verlegen wäre, das wäre natürlich, und dennoch bin ich es nicht; ich habe die Sicherheit einer Herzogin und betrage mich gegen diese Herrschaften so, daß sie mich für ihres Gleichen halten müssen.«

Gabriele hörte aufmerksam zu, ohne die Mutter zu begreifen; diese fuhr fort:

»Es ist nicht um meinetwillen, aber sieh, Kind, die Menschen sind wunderlich; in den Augen der Welt ist es ehrenvoller, wenn man immer nur Geld verthan zu haben scheint, als wenn man sich merken läßt, daß man es sich hat sauer werden lassen, um welches zu gewinnen; und je weniger Du thust und je weniger Du nützest, je mehr giltst Du in der Welt. . . Auch lasse ich sie Alles glauben, was sie wollen . . . und übrigens, was Dich betrifft, ist es ja wahr . . . niemals in Deinem Leben bist Du in einen Laden eingetreten, als um Einkäufe zu machen . . . und jetzt, wo Du bald sechzehn Jahre alt sein wirst, sollst Du eine schöne vornehme Dame werden . . . Das wars, was ich Dir eben sagen wollte; ich will Dich verheirathen!«

»Ah! sagte das junge Mädchen, ohne daß es schien, als erwecke Das, was ihre Mutter ihr so eben gesagt hatte, irgend eine frohe oder traurige Vorstellung bei ihr, und als habe das Wort »Heirath« gar keine Bedeutung für sie.«

»Ich habe die beste Wahl für Dich getroffen,« fuhr Madame Rémond fort.

»Wie gut Du bist!« sagte Gabriele, ihre frischen Wangen an die Mutter schmiegend, um ihr durch einen Kuß zu Danken, wie sie gewöhnlich that, wenn sie irgend ein neues Putzstück oder Geschmeide bekam.

»Ja, gut bin ich, wenn auch ein wenig heftig; das kommt aber daher, daß nicht wie eine Prinzessin erzogen worden bin . . . Mein Vater war ein Handwerker . . . ein Schlosser, der durch Fleiß, Einsicht und Rechtlichkeit sein Glück gemacht hat . . . aber bei uns mußte auch jeder arbeiten; so ist das Geld ins Haus gekommen. Zuletzt hatte mein Vater eine Menge Eisenhämmer und Schmiedewerkstätten, die ihm unermeßliches Geld einbrachten, und einen so vorzüglichen Ruf, daß der reiche Eisenhändler Rémond mich zur Frau begehrte. Auch er war durch Arbeit reich geworden und hatte die Gewohnheiten eines Handwerkers beibehalten, aber ein braver Mann war er, der Niemand auch nur um einen Sou hätte betrügen mögen; und das hat Gott gesegnet. Alles gelang ihm! »Frau,« sagte er zuweilen zu mir, »ich glaube, wir werden noch Millionairs!« und dann lachte er, daß es eine Lust war, es zu sehen, und arbeiten darum nicht weniger; ja so arbeitete er, daß ihn eines Tages eine Brustentzündung befiel, an der er starb, der arme Mann.«

Die Frau Witwe Rémond nahm hierbei eine ernste Miene an, deren trauriger Widerschein das lachende Gesicht Gabrielens verdüsterte.

Aber plötzlich und ohne Uebergang, wahrscheinlich weil sie dem Schmerze dieser schon alten Erinnerung nun ihr Recht angethan hatte, sagte die betrübte Witwe lachend: »Und ich war Witwe mit mehreren Millionen und einer einzigen Tochter, meiner lieben Gabriele, um derentwillen ich mich nicht wieder habe verheirathen wollen, wofür ihr Glück mich hoffentlich entschädigen wird.«

Und die Mutter nahm den niedlichen Kopf ihres schönen Kindes zwischen ihre beiden Hände, und küsste ihre reine, weiße Stirn mit lebhafter, kräftiger Zärtlichkeit.

Madame Rémond war groß und in Folge ihrer in großer Thätigkeit verlebten Jugend beinahe männlich kräftig, doch gab eine bedeutsame Corpulenz ihr ungeachtet ihrer fünfzig Jahre ein fast jugendlich frisches Ansehen. Sie hatte sich zu dieser ersten Zusammenkunft mit einem goldfarbenen und mit Blumen von allen Farben durchwirkten Kleide von prachtvollem Lyoner Stoffe geschmückt, und also um den Wohlstands der ihr das Kostbarste zu tragen erlaubte, zu zeigen, ein Staatskleid für Winterabende zu einem Sommer-Negligee gemacht. Ein unermeßlicher Cashemir-Shawl breitete über ihre Schultern die Schönheit und Pracht der köstlichsten Gewebes, Die, welche ihn an einem der heißesten Sommertage trug, fast erstickend. Ein von unzähligen weißen Federn beschatteter Rosahhut umschloß ein Gesicht, dessen lebhafte Farben ins Carmolsin überzugehen anfingen, und eine Menge schlecht geordneter schwarzer Locken wetteiferten mit Goldkette, Armbändern, Schmucknadeln, Broche, Ohrgehängen und Ringen, welches Alles vom höchsten Werth und enormer Größe war, um den Putz dieser sonderbaren Erscheinung zu vervollständigen. Madame Rémond hatte an ihrer einzigen Person so viel Schmuck zusammengehäuft, daß alle Bräute des zwölften Stadtviertels daran genug gehabt haben würden.

Der schnelle Wechsel des Glückes hatte eine unbegreifliche Verwirrung in ihrem von Natur klugen und vernünftigen Geiste hervorgebracht. Arbeit und eine kleinliche Sparsamkeit hatten vierzig Jahre ihres Lebens ausgefüllt; plötzlich im Alleinbesitze eines unermeßlichen Vermögens, hielt sie es für das höchste Glück, recht viel Geld auszugeben und beständig müßig sein zu können; aber seit den zehn Jahren, daß sie Wittwe und reich war, langweilte der Müßiggang sie, und sie gab nie Geld aus, ohne sich Vorwürfe darüber zu machen.

Ihr ganzes Leben war ein Gemisch von kleinlicher Knickerei und übel angebrachter Verschwendung, von Eitelkeit, welche ihren Wohlstand zu zeigen bemüht war, und von Furcht, um die geringste Summe betrogen zu werden.

Ohne richtig beurtheilen zu können, was ihrer Bildung eigentlich fehle, fühlte Madame Rémond, daß ihr vergangenes Leben sie unfähig mache, und wünschte deshalb ihrer Tochter in Verhältnisse zu versetzen, denen die angestrengte Arbeit, der sie sich hatte unterziehen müssen, so fremd und fern als möglich war.

Vor seinem Tode hatte ihr Mann ein dreißig Meilen von Paris gelegenes altes Schloß mit bedeutenden Forsten und Ländereien gekauft. Dorthin brachte Madame Rémond ihre damals noch ganz kleine Tochter mit einer alten Erzieherin, welche gebeten wurde, sie nur lesen und schreiben zu lehren, und diese hütete sich wohl, ein Meheres zu thun.

Madame Rémond brachte einen Theil des Sommers auf diesem Gute zu, wo sie sich hauptsächlich mit der Bestellung eines großen Küchengartens und der Aufsicht über einen beträchtlichen Hühnerhof beschäftigte und ihrer Tochter die Anwendung, ihrer Zeit allein überließ, ohne sich auch nur Ein Mal zu erkundigen, wie sie dieselbe ausfüllte, überzeugt, daß sie ihr Kind ganz wie das einer großen Dame erzöge, wenn sie es von aller Arbeit und allem Widerspruch befreite. Was die Gegenstände betraf, die im Bereiche von Madame Rémonds Beurtheilungskraft lagen, so war ihre Beurtheilung derselben einfach, aber wahr, und voll Vernunft und Billigkeit; aber die Ansichten, die sie sich über die Verhältnisse der großen Welt gebildet hatte, entbehrten gänzlich des gesunden Menschenverstandes.

Die Leute aus den unteren Klassen glauben von den Verhältnissen der großen Welt lieber das Tollste und Ungereimteste, als daß sie die Einfachheit und Wahrheit derselben begreifen; über einige Punkte halte ihr natürlicher Verstand Madame Rémond durchaus nicht aufzuklären vermocht, und in der Ungewißheit, wie sie dieselbe erziehen müsse, hatte sie ihre Tochter einer gänzlichen Unwissenheit überlassen. Das Kind hatte, keinen Begriff von der Welt; die Gesellschaft und die Sitten, sowie die Gebräuche unserer Zeit, waren ihr durchaus unbekannt.

Während Gabriele so, sich selbst überlassen, heranwuchs, hielt ihre Mutter sich oft längere Zeit in Paris auf, wo sie am äußersten Ende der Straße Vivienne, da, wo sie an die Boulevards stößt, die erste Etage eines großen Hauses bewohnte, welches sie selbst hatte bauen lassen. Die Emporkömmlinge lieben besonders neue Straßen und neue Häuser; der Lärm der Boulevards, die Menschenmenge und deren außerordentliches Geräusch gefallen ihnen, und Madame Rémond fühlte sich sehr glücklich mitten in dem Gewühle von Handel treibenden Menschen, wo sie sich dem behaglichen Gefühle überließ, daß sie errungen hatte und besaß, was diese noch so eifrig erstrebten. Sie hatte sich mehrmals Wagen und Pferde angeschafft, aber aus einer ihr zur andern Natur gewordenen Gewohnheit machte sie alle Geschäftswege zu Fuß ab und glaubte sich der Equipage nur zu Spazierfahrten bedienen zu dürfen; Spazierenfahren langweilte aber Madame Rémond im höchsten Grade. Mit einigen alten Bekanntinnen zu plaudern, war ihr größtes Vergnügen; diese Bekanntinnen würden aber durch diese Equipage ihrer Freundin, die sie sich nicht anschaffen konnten, gedemüthigt sein, oder darüber gespottet haben. Madame Rémond ging also zu ihnen zu Fuße, und da sie immer noch die Sparsamkeit ihrer Kindheit und Jugend nicht abgelegt hatte, so verkaufte sie lieber die Pferde, die sie erhalten mußte, ohne Nutzen von denselben zu haben, bis ihre Eitelkeit sie einmal wieder bewog, Pferde anzuschaffen, indem sie sich überzeugte, daß es sich für eine Frau von ihrem Vermögen nicht schicke, ohne Equipage zu sein. Eben so war es mit ihrer Dienerschaft; bald vermochte ihre Eitelkeit sie, deren eine zahlreiche Menge anzuschaffen; dann wieder ärgerte sie sich über diese überflüssige Ausgabe, schickte alle ihre Leute fort und begnügte sich mit einer einzigen Frau, der sie selbst half, bei den häuslichen Verrichtungen und bei der Erhaltung und Reinigung eines weitläufigen Quartiers, in welchem sie eine Menge der kostbarsten Meublen angehäuft hatte.

So lebte die Marquise von Fontenoy-Mareuil, alles und jedes Vermögens entblößt, nach ihren alten. Gewohnheiten und Verhältnissen noch immer wie eine reiche Frau, und Madame Rémond, die vier Millionen besaß, quälte sich mit den gemeinsten Arbeiten und befleißigte sich der ängstlichen Sparsamkeit, zu der die Armuth zwingt.

Aber in diesem Augenblicke glänzte das Gesicht der Madame Rémond von mütterlicher Zärtlichkeit und Stolz auf ihren Reichthum, indem sie zu ihrer Tochter sagte:

»Jetzt also, Gabriele, werde ich Dir einen sehr großen Theil meines Vermögens geben.«

»Mir!« sagte da« junge Mädchen, »und wozu das? Habe ich denn irgend Etwas nöthig?«

»Es ist wegen Deines Mannes und für ihn,« antwortete Madame Rémond.

»Ach ja! ein Mann.« sagte Gabriele, lachend wie ein Kind. »Ich werde also einen Mann haben! Aber worum ihm Dein Geld geben, Mütterchen? Behalte es für Dich! . . . Er wird mich schon ohne das heirathen.«

»Glaubst Du?« sagte die Mutter mit zweifelndem Lächeln.

»Er wird arbeiten,« erwiderte das junge Mädchen, ohne jedoch an Dem, was sie sagte, großen Antheil zu zeigen.

»Er!« rief Madame Nemond überrascht.

»Er ist ein herzensguter Mensch, klug und verständig,« fügte Gabriele hinzu.

»Und woher kennst Du ihn denn?« fragte die Mutter mit zunehmendem Erstaunen.

»Woher ich meinen Vetter Georg kenne?« erwiderte Gabriele lachend, »ich kenne ja nur ihn!«

»Georg? Deinen Vetter Georg Nemond!« rief die Mutter mit Schrecken und Bestürzung. »Du glaubst, daß ich, Deine Mutter, ich, die ich Geld habe, so viel Geld, daß dieses Zimmer es nicht faßt, Dich eine solche Heirath schließen lassen würde! Eine solche Mißheirat! Deinen Vetter heirathen! Du! einen Bürgerlichen, der weder Geld noch Titel hat! Ich hätte vierzig Jahre lang gesammelt und mir Alles versagt; mein Vater, mein Mann und Ich, wir hatten unser ganzes Leben lang gearbeitet, damit unser einziges Kind, unser Aller Erbin, kurzweg Madame Rémond hieße? . . . Das wäre hübsch! Ein schöner Einfall! Vier Millionen, um Madame Rémond zu sein! Bist Du denn toll?«

»Aber es ist ja der Name meines Vaters und der Deinige,« sagte die überraschte Gabriele sanft.

»Dein Vater war ein braver Mann, der sich gut auf Geschäfte verstand; ich schmähe ihn nicht,« erwiderte die Mutter, durch den Vorwurf der Tochter etwas beschämt; »Georg ist auch ein braver Junge, aber er wird kein Glück machen. Er ist Schriftsteller, er soll Genie haben; aber was ist er? Was hat er für eine Stellung in der Welt? Wenn seine Mutter ihm nicht ein kleines Haus hinterlassen hätte, welches ihm etwa tausend Livres jährliche Renten einbringt, so könnte er Hungers sterben, wie die Dichter gewöhnlich.«

Dann nahm sie eine ernste Miene an und setzte hinzu:

»Aber davon ist nicht die Rede, Gabriele; es fragt sich, was Du sagen wolltest, und ob Du Neigung hast. . . für. . .«

»Für Niemand,« sagte das junge Mädchen aufstehend und mit gleichen Füßen in die Mitte des Zimmers springend, mit einer Leichtigkeit und einer Unbefangenheit, die die Wahrheit ihrer Worte bestätigte; »ich nannte meinen Netter, weil nie jemand Anderes hierher gekommen ist seit den drei Monaten, die ich hier bin, und weil er mehrmals, wenn er mich ansah, wiederholte: »Ihr Mann wird sehr glücklich sein, meine Cousine!«

»Ach! das hat er gesagt?«

»Aber mir,« fuhr Gabriele hüpfend fort, »mir ist das sehr gleichgültig! Er oder ein Anderer, ein Anderer oder er!. . .« Und sich ihrer Mutter nähernd und dieselbe umarmend, sagte sie: »Was Du willst, Mütterchen, ich thue es immer! Du bist eine gute Mutter; Du sollst auch von mir sagen können: Du bist eine gute Tochter.«

Dann fing sie wieder an zu tanzen, als ob die Heirath, von der die Rede war, nicht nur keinen ernsten Gedanken in ihr erweckte, sondern ihr auch nicht einmal die leiseste Bewegung von Antheil oder Neugierde einflößte, und Madame Rémond überließ das sorglose Kind ihren Launen, die sie immer ungehindert hatte befriedigen können.

»Höre doch wenigstens,« sagte sie endlich, »Du wirst eine Herzogin.«

»Eine Herzogin?« erwiderte das jung« Mädchen, mit einem Fuße in der Luft, und in diesem Worte, welches ihr nur unsichere Vorstellungen bot, eine bestimmte Bedeutung suchend.

»Ja,« entgegnete die Mutter, »Du wirst den Herrn Herzog Yves von Mauléon heirathen.«

»Yves von Mauléon!« wiederholte Gabriele; »das ist ein allerliebster Name.«

»Ein köstlicher Name! ein alter Name! Man sagt, daß das die besten sind, und dieser ist vielleicht zweitausend Jahre alt,« fügte Madame Rémond, welche über die Zeitläufte keine sehr richtige Vorstellung halte, mit Pathos hinzu.

Gabriele war immer noch in der Stellung ihrer Pirouette und ihr Geist verlor sich in Vermuthungen.

»Mein Mann wird Herzog sein? Ich habe niemals einen gesehen,« sagte sie; »es müßte denn. . . aber doch . . . eines Tages, als ich noch auf dem Lande, noch nie in Paris gewesen war, vor etwa zwei Jahren, zerbrach in unserer Nahe ein sehr schöner Wagen; man sagte, er gehöre dem Herrn Herzog von . . . Ach! ich weiß den Namen nicht mehr! . . . er war verwundet; er wußte aus dem umgeworfenen Wagen gehoben werden; ich sah mit den Andern zu; er war alt, sehr alt! Eine Mütze von schwarzer Seide . . . die Gicht. . . er konnte nicht gehen; man trug ihn an den Rand des Weges, er wurde »Herr Herzog« genannt . . . ich erinnere mich dessen. Ach! wie häßlich war er!«

Indem sie diese Worte gesagt hatte, beendigte Gabriele auch ihre Pirouette, vielleicht um die häßliche Gestalt zu verjagen, die sich ihrer Phantasie in der Erinnerung dargestellt hatte; und als sie still stand, berührte sie mit ihrem Gesicht beinahe das der Priorin, welche kam, um sie in den Salon zu führen, und die eine Bewegung der Ueberraschung nicht unterdrücken konnte, indem sie sah, wie das junge Mädchen die Augenblicke, welche der wichtigsten Entscheidung ihres Lebens vorangingen, benutzte.

»Die Frau Marquise von Fontenoy-Mareuil ist im Salon,« sagte sie mit bedeutendem und zufriedenem Tone zu Madame Rémond, die dies nicht bemerkte, aber aufstand und zu ihrer Tochter, während sie deren Anzug in Ordnung brachte, sagte: »Komm, Gabriele, sei vernünftig! Du wirst Deinen Bräutigam kennen lernen, wie ich Dir schon gesagt habe.«

»Schon?« rief das junge Mädchen mit zum Lächeln verzogenem Munde, ohne sich jedoch um das, was ihr angekündigt wurde, sonderlich zu bekümmern.

Seit Gabriele denken konnte, hatte sie ihre Mutter von ihrer Heirath reden hören; denn Madame Rémond dachte schon an dieses Ereigniß und sprach ihre Gedanken darüber aus, ehe das Kind, der Gegenstand so schöner Hoffnungen, die Kräfte hatte, damit umgehen zu können. Und seit der glänzenden Taufe, deren die alten Bewohner des Viertels Saint-Martin sich genug erinnerten, um deren prachtvolle Feier beschreiben zu können, träumte sich Madame Rémond eine noch viel prachtvollere Feier für die Hochzeit der präsumtiven Erbin der Familie.

Auch hatten die Worte: Mann und Heirath, Gabrielens Ohr seit ihrer frühesten Kindheit so oft berührt, daß sie sich daran gewöhnt hatte zu ein« Zeit, wo sie noch keine Vorstellungen in ihr erwecken konnten; sie hatte sie bis jetzt ohne besonderes Interesse aussprechen hören und folgte hüpfend und ohne etwas Besonderes zu denken, ihrer Mutter zum Salon, wo die Marquise mit ihrem Enkel und dem Grafen von Rhinville, alle drei schwelgend, feierlich und unruhig sie erwarteten.

,Ich habe die Ehre, Frau Marquise, Ihnen meine Tochter Gabriele vorzustellen,« sagte Madame Rémond, indem sie ceremoniös und laut und mit Pathos redend, eintrat.

Die Marquise war aufgestanden und nichts konnte auffallender sein, als der Unterschied zwischen diesen beiden Frauen, die durch Gehurt, durch Erziehung und Gewohnheiten so vollständig geschieden waren; deren Eine in einer schmutzigen Schlosserwerkstatt der Vorstadt Saint-Martin und die Andere in einem fürstlichen Hotel der Straße Varennes geboren war, während Eine den Dauphin, Ludwig den Funfzehnten, und die Andere einen armen Gastwirth zum Pathen gehabt hatte; deren Eine unter den Großen, Ausgezeichneten, Reichen, die Andere unter den Kleinen, Gemeinen und Armen gelebt hatte; hier waren diese beiden Frauen zusammen gekommen,um ihre beiden einzigen Kinder auf immer zu verbinden durch das innigste und unauflöslichste aller Verhältnisse! . . . Die Zukunft sollte sie vereinen und ihre Vergangenheit war so verschieden gewesen!

Madame Rémond warf einen Blick auf den einfachen Anzug der Marquis«; sie bemerkte nicht dessen geschmackvolle Einfachheit, sondern dessen wenigen Glanz, und der Vorzug des ihrigen erschien ihr unbestreitbar. Die Freude, die sie empfand, zeigte sich durch die zahlreichen, wahrhaft kindischen Bewegungen, die sie machte, um ein Stück nach dem andern ihres reichen Putzes in das schönste Licht treten zu lassen.

Die Leute aus den niederen Klassen gleichen sehr den Kindern; wie diese, haben sie wenig gesehen, haben nichts verglichen, und ihr Vertrauen zu sich selbst und Anderen hat sie nicht das Lächerliche errathen lassen. Sie sind ungekünstelt, genießen lebhaft und ohne es zu verhehlen, ihre Freuden. Madame Rémond triumphirte und zeigte es; die Marquise war gedemüthigt und verhehlte es.

Gabriele, dem Grafen gegenüber, betrachtete forschend und mit sonderbarem Ausdruck seine alte mit jugendlicher Kleidung geschmückte Gestalt.

Yves von Mauléon halte die kalte Verachtung, in die er, seinem Schicksal sich ergebend, sich eingehüllt hatte, festgehalten. Die Marquise näherte sich ihm und sagte, ihn bei der Hand nehmend mit liebenswürdiger Anmuth, obgleich ein wenig stolz:

»Madame, ich habe die Ehre, Ihnen meinen Enkel, den Herrn Herzog Aves von Mauléon, vorzustellen.«

Und der junge Mann, den Wink seiner Großmutter befolgend, näherte sich Gabrielen, die, sich lebhaft zu ihm wendend, mit einem nicht zu beschreibenden Ausdruck von freudiger Ueberraschung ausrief:

»Und ich glaubte, es sei dieser Herr!« hierbei deutete sie mit einer so höchst komischen Geberde auf den Grafen und warf dem jungen Manne einen so heiteren Blick kindlichen Erstaunens zu, daß ein allgemeines unwillkürliches Gelächter erscholl und die feierliche Stimmung der in diesem Salon vereinigten Personen in Heiterkeit verwandelte.

Madame Rémond machte hierüber eine Menge Scherze, die nach Niemandes Geschmack waren und denen Einhalt zu thun, die Marquise sich vergebens bemühte. Madame Rémond gab sich nicht so leichten Kaufs gefangen und hörte nicht eher auf zu reden, als bis sie den Vorrath ihrer Scherze erschöpft hatte; dann betrachtete sie den jungen Herzog mit der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit, neigte, erhob und drehte ihren Kopf, um ihn von allen Seiten zu sehen, wie sie Waare betrachtet haben würde, um sich zu überzeugen, ob dieselbe wohlconditionirt, unverdorben und ohne Fehler sei,ob man sie nicht betrogen und übervortheilt habe und ob sie auch diesen jungen Mann ihrer zwei Millionen würdig erachten könne.

Man setzte sich, immer noch lachend; aber die Unterhaltung war sehr schwierig zwischen Personen, die einander so fremd waren und die den einzigen Gegenstand, der einen Berührungspunkt zwischen ihnen bildete, nicht erwähnen konnten. Gabriele war bis an die Augen erröthet, indem sie dem spöttischen Lächeln Yves von Mauléons begegnete, und sah schweigend zur Erde, ohne die geringste Bewegung zu machen. Ihr Geist war zu beschäftigt, um zu bemerken, daß ihr Körper unbeweglich war.

Der Graf, der zuerst über die ihm zu Theil gewordene Geringschätzung des jungen Mädchens gelächelt hatte, wurde durch ihre Freude beim Anblicke des jungen Mannes unangenehm berührt und war nicht mehr in der Stimmung, das Schweigen zu brechen.

Die Marquise versuchte mit dem bekannten Talente vornehmer Damen, über unbedeutende Dinge angenehm zu reden, das man in der großen Welt sich zu eigen macht, einige Worte zu sagen, aber Niemand antwortete ihr.

Herr von Mauléon hatte eine Art instinktmäßige Freude empfunden über die naive Freude Gabrielens, als sie ihn jung und schön fand; aber der Anschein von Rohheit des jungen Mädchens und von Lächerlichkeit der Mutter machte ihn unruhig, unzufrieden, unsicher, doch verbarg er seine heftige innere Aufregung unter angenommener schweigender Ruhe.

Jeder fühlte sich unbehaglich. Niemandem fiel ein gleichgültiger Gegenstand der Unterhaltung ein. Die Marquise fühlte Abneigung gegen Madame Rémond; und diese empfand eine Verlegenheit, über deren Veranlassung sie sich keine Rechenschaft zu geben wußte. Sie mochte wohl, dachte sie, »die Gesellschaft amüsiren;« aber ihre Scherze hatten nicht gefallen und so schwiegen Alle.

In diesem Augenblicke ging der Unbekannte, von dem wir schon geredet haben, wieder über den Hof und Madame Rémond sah ihn in einiger Entfernung vom Fenster unbeweglich stehen, und das, was im Salon vorging, mit unruhigen Blicken beobachten. Sie winkte ihm, herein zu kommen und rief: »Sieh da, Herr Simon!« Dieser aber entfernte sich schnell, ohne diesen Ruf zu beachten.

V,Der gute Herr Simon, er geht fort,« sagte Madame Rémond, »welcher brave Mann! nur »in wenig sonderbar, nicht wahr? Sie kennen ihn Alle?« Da sie hierbei zufällig den Grafen ansah, glaubte dieser sich verpflichtet, ein verächtliches »Nein« zu antworten, welches wenigstens den Willen, ihn nicht zu kennen, anzeigte.

Die Marquise erwiederte mit freundlichen Tone:

»Es ist einen Monat her,daß ich Herrn Simon zum ersten Male sah.«

»Erst einen Monat,« rief Madame Rémond erstaunt, »aber schon vor drei Wochen hat er mit mir von Ihnen und Ihrem Herrn Sohne geredet! Dieser wird Ihn ohne Zweifel kenne?« und ihre Augen und Stimme fragten den jungen Mann,welcher fast wider Willen antwortete: »Wir kennen uns schon über acht Jahre.« Der Graf und die Marquise sahen einander verwundert an. »Er ist ein sonderbarer Mann,« sagte Madame Rémond, froh, einen Gegenstand der Unterhaltung aufgefunden zu haben; und wenn ich Ihnen erzählen sollte, wie er er unsere Bekanntschaft gemacht hat . . . Aber; das kann Ihnen Gabriele erzählen; sie hat ja ohnehin noch gar nichts gesagt und die Gesellschaft muß sie doch auch reden hören. Nun Gabriele antworte, doch.«

»Da erst wurde Gabriele gewahr, daß ihre Mutter mit ihr redete, denn sie war so zerstreut, daß sie weder sah noch hörte, was um sie her vorging. »Was willst Du, Mama?« sagte sie überrascht. »Was ich will?« erwiderte die Mutter; »aber woran denkst Du denn? Hörtest Du nicht, daß ich Dich bat, zu erzählen, wie Du Simon kennen gelernt hast?« Die Marquise glaubte ohne Zweifel, das junge Mädchen werde mit linkischen Manieren irgend eine lächerliche Erzählung zum Besten geben und dadurch ihrem Enkel mißfallen, denn sie wollte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand lenken; aber die Mutter bestand auf ihrer Forderung und der junge Herzog nahm eine verächtlich resignirende Miene an, wie Jemand, der beschließt, sich über eine Qual, die man ihm auferlegt, lustig zu machen.

Gabriele verstand nicht die Kunst zu unterhalten, – die Gabe, über gleichgültige oder unnütze Sachen auf eine angenehme Weise zu schwatzen, um eine Lücke in der Unterhaltung auszufüllen, war ihr fremd. Sie hatte keinen Begriff von dem, was man Conversation nennt; aber jetzt sollte sie eine Begebenheit erzählen, etwas berichten, was sie gesehen hatte, fand also keine Schwierigkeit zu reden, und that es ohne Scheu, wie sie gesungen, getanzt haben würde, ohne Vorbereitung und Künstelei.

»Im letzten Frühjahr, ich war auf Schloß Arnouville . . .«

Bei diesem Namen zuckte die Marquise und sah den Grafen an; Gabriele fuhr fort, ohne dieses gewahr zu werden:

»Es ist ein schönes Schloß; der Park ist über dreihundert Morgen groß und von unermeßlichen Forsten umgeben. Alles dieses ist dreißig Meilen von Paris gelegen; ich habe meine Kindheit dort zugebracht und wurde durch nichts verhindert, die köstliche ländliche Freiheit nach Herzenslust zu genießen. Am äußersten Ende des Parks bilden bewunderungswürdig hohe Bäume, ein so dichtes Bosket, daß man in demselben, wie bei gutem Wetter vor den Strahlen der Sonne, so bei schlechtem Wetter vor Wind und Regen geschützt ist. Flieder, Geisblatt und Jasmin haben um dasselbe eine undurchdringliche Mauer gezogen. Dieses Bosket ist auf einer an die Heerstraße grenzenden Anhöhe, und oft vergnügte ich mich, in demselben versteckt, die Reisewagen und Wanderer zu beobachten; öfter noch blieb ich dort ganze Stunden, ohne irgend etwas zu sehen oder zu beobachten, auf dem Rasen liegend, eingewiegt durch den vom Winde mir zugewehten Duft des Jasmins und den Gesang der Nachtigall, den ich nachzuahmen suchte. Eines Morgens war ich, als der Tag anbrach, schon gekommen, um sie zu belauschen, ehe das Geräusch des Tages sie verscheuchte, und sie so lange anzuhören, bis es mir gelänge, ihre Melodien nachzumachen; ich hatte es dahin gebracht, alle Biegungen und Wendungen ihrer geläufigen kleinen Kehle in den verschiedensten Modulationen nachahmen zu können, als ich ganz nahe bei mir einen armen Greis bemerkte, der, mir zuhörte. Er kam öfter und sah immer so traurig aus, daß ich mich durchaus nicht vor ihm fürchtete. Indessen wunderte ich mich, ihn immer da zu sehen, und eine unwillkürliche Neugierde bewog mich eines Tages, eine kleine Treppe hinabzusteigen, die von der Terrasse auf die Straße führte; nur das eiserne Gitter, welches den Part umgibt, trennte uns; er hatte mich nicht kommen hören und sah mich nicht. Mit sich selbst redend, als sei er allein, sagte, er: »Dieses Kind ist so reich, so reich! ach, wenn es möglich wäre! . . .« »Da fiel es mir plötzlich ein, daß dieser Mann vielleicht mich meine, und daß die Reichthümer, in deren Besitz er mich glaubte, wohl seine Traurigkeit oder seinen Neid erregten; daß er vielleicht arm sei, und daß er hier an meiner Seite, die ich so viele, unnöthige Sachen hatte, einem armen Greise an dem Nöthigsten fehlen könne. Ich lief nach meinem Zimmer und holte von dem Golde, das meine Mutter mir ungezählt gab, und das da lag, ohne daß ich Gelegenheit oder Neigung hatte, es auszugeben. Ich nahm davon, so viel ich fassen konnte, eilte zurück, öffnete leise die Thür des Parks und stand neben dem unbekannten, ohne daß er mein Nahen bemerkt hatte; sanft ließ ich die Goldstücke in seinen neben ihm liegenden Hut gleiten. Aber plötzlich drehte er sich rasch um und verwundert und unzufrieden zwang er mich, mein Gold zurückzunehmen.

»Ich bedarf dessen nicht,« sagte er, »ich bedarf Ihres Goldes nicht.«

»Ich war verwirrt und fürchtete, ihn beleidigt zu haben, denn es soll ja Menschen geben, die sich der Armuth schämen. Er errieth meine Gedanken und sagte mit gutem, sanftem Tone:

»Herzlichen Dank für Ihre gute Absicht, Sie haben sich nicht geirrt, indem Sie mich für unglücklich hielten; aber mein Unglück ist nicht von der Art, daß ihm durch Gold abgeholfen werden kann;dennoch sind Sie es, Sie allein, die meinen Kummer lindern kann.«

»Und als ich ihn ausfragte und wissen wollte, welcher Art die Uebel seien, denen ich abhelfen könne, antwortete er mir nicht und sah mich lange schweigend an.

,Mama kam nun, mich abzuholen, schwatzte lange mit dem Unbekannten und forderte ihn auf, in den Park einzutreten. Er kam von da an öfter, sagte uns seinen Stand und Namen, und als wir bald darauf nach Paris zogen und ich einige Monate in einem Kloster zubringen sollte, wählte er für mich dieses, mit dessen Priorin er schon lange bekannt ist, und ich glaube sogar, daß Alles, was jetzt um Mich her vorgeht, durch Herrn Simons Einfluß geschieht. Auch erscheint er jetzt weniger traurig, einige Male habe ich ihn sogar lächeln sehen; aber was mich wundert, ist, daß er oft in so bittere Betrachtungen versunken zu sein scheint, daß er Alles um sich her vergißt; er glaubt dann allein zu sein, stößt Worte aus, die an Niemand gerichtet sind; eines Tages sogar, ach! ich werde es nie vergessen, flossen Thränen über seine bleichen Wangen, und er sagte: »Mein Gott! sie können also nicht vergessen! . . .« Und ich, seine Thränen sehend, wurde davon so schmerzlich bewegt, daß ich unwillkürlich ausrief: »Weinen denn Greise auch? ich glaubte, nur Kinder hätten Thränen! Ach! Sie müssen wohl viel Kummer haben.« Da sah er mich mit einer so traurigen und liebevollen Miene an, daß ich seitdem eine herzliche Freundschaft für ihn empfinde und viel darum gäbe, ihn trösten zu können,

»Dies ist Alles, was ich von Herrn Simon weiß.«

Gabriele schwieg und mit ihr Alle; der naive und anmuthige Ton, mit dem sie diese einfache Erzählung vorgetragen hatte, ihre Silberstimme, ihre bewegliche Physiognomie, die von der lachendsten Freude zu der sanftesten Traurigkeit übergegangen war, alle die köstlichen, kindlichen, frohen und ernsten Uebergänge ihrer Worte, ihrer Züge und ihrer Stimme, die vollständige und doch so einfache Uebereinstimmung in allem Diesem, hatte sich der Aufmerksamkeit derer, die verwundert, entzückt und hingerissen zuhörten, gänzlich bemächtigt. —

Und Gabriele, deren Blicke sich zum zweiten Male auf den jungen Herzog richteten, fand die seinigen mit einem unerklärlichen Ausdrucke auf ihr ruhen: ihre Augen begegneten sich, ein Funke entfloh Beider Seelen, um dieselben zu vereinigen. gibt es nicht eine Bewegung, welche sich plötzlich und unbegreiflich, zuweilen ohne ihr Wissen und ihren Willen, zweien Wesen mittheilt. Keine Betrachtung hat stattgefunden, kein Plan ist entworfen, keine Vorstellung hat sich gebildet: es ist eine Empfindung, die nur von selbst entsteht, die auch nur durch sich selbst wieder zu verhindern und zu zerstören ist; es ist eine unbekannte Gewalt: es ist noch nicht die Liebe, aber das Vorgefühl derselben. Das unbefangene Kind und der gelangweilte junge Mann hatten einen Augenblick diesen unwillkürlichen Eindruck Beide empfunden; er versöhnte den jungen Mann mit dieser Heirath, an die er früher nur mit Widerstreben dachte, und bei dem jungen Mädchen weckte er eine lebhafte freudige Theilnahme an den Plänen ihrer Mutter, und in diesem Augenblicke erfüllten sich die stolzen Pläne zweier liebenden Mütter durch einen sympathetischen Zug zweier liebender Herzen.

Die Marquise stand auf: ihr mütterliches Herz empfand mit weiblicher Feinheit, daß sie ihrem Enkel den Einfluß der sanften Worte Gabrielens bewahren müsse, und sie endete die Zusammenkunft durch einen Gruß an Madame Rémond, in welchen sie die möglichste Freundlichkeit zu legen suchte, um ihr dadurch zu erkennen zu geben, daß die Heirath beschlossen sei. Es blieben nur noch die einzelnen Umstände und die Zeit zu bestimmen. Also vereinigten sich die Bestrebungen Simons, der große Hochmuth der Madame Rémond und die Pläne der Marquise zu Einem Resultate, und das wilde Mädchen sollte Herzogin von Mauléon werden. Von dem Grafen von Rhinville geführt und von ihrem Enkel gefolgt, verließ die Marquise von Fontenoy-Mareuil den Salon, und Madame Rémond tröstete sich durch den Eindruck, den ihr reicher Putz unfehlbar gemacht haben mußte, über die wenige Gelegenheit, die sie gehabt hatte, die Fülle ihrer Beredsamkeit zu ergießen. Die Priorin des Klosters, die den Austritt der Marquise aus dem Salon abgewartet hatte, kam ihr im Hofe entgegen, um sie bis zum Wagen zu begleiten; während sie einige höfliche Redensarten wechselten, hafteten die Augen des jungen Mannes an einem Fenster des zweiten Stockwerkes, und als die Marquise fortgehen wollte, mußte sie ihren Enkel zweimal rufen, um ihn der Beobachtung, die ihn mitten auf dem Hofe festhielt, zu entziehen.

Hinter einem Fenster zeigte sich nämlich ein von blonden Locken umwalltes, blasses, schwermütiges Gesicht, das ihn verstohlen betrachtend und eine Thräne trocknend sich herabneigte; und dieses Gesicht war das der sanften, bleichen Elénore, des furchtsamen, zitternden jungen Mädchens, das die ausgelassene Gabriele, bei der Ankunft der Marquise, aus einen Augenblick in den Salon gezogen hatte.

In dem Augenblicke, als die Thür sich öffnete. um der Marquise den Durchgang zu gewähren, erschien statt der Equipage des Grafen von Rhinville eine elegante Kalesche vom neuesten Geschmack, in die soeben mit Hilfe eines Bedienten eine noch junge Dame stieg, deren zierliche jugendliche Toilette den eigenthümlichen Pariser Anstrich hatte, dessen unnachahmlicher Reiz schwer zu zergliedern ist. Sie erblickend, sagte die Marquise voll Verwunderung:

»Frau von Savigny hier, zu dieser Stunde!«

Diese bemühte sich, einige Ueberraschung bei Erblickung der Marquise und ihres Enkels zu zeigen; aber bei genauer Beobachtung konnte man leicht errathen, daß ihr deren Aufenthalt in diesem Kloster wohl bekannt war, und daß es nicht bloßer Zufall war, daß sie beiderseits zu gleicher Zeit das Kloster verließen. Es lag sogar in dem gezwungenen, unzufriedenen Blicke, mit dem sie den jungen Mann maß, eine ganze Folge von Fragen oder vielmehr Vorwürfen über die Veranlassung dieses Besuches. Indessen wechselten sie einige unbedeutende verbindliche Redensarten, durch die Frau von Savigny der Marquise in Erinnerung brachte, daß sie in diesem Kloster erzogen war, und wobei sie ihr anbot, in ihrem Wagen mit nach Hause zu fahren; diese aber wollte den Grafen, durch dessen Gefälligkeit sie hergekommen war, nicht verlassen, und ungeachtet sich in den Augen der Frau von Savigny der lebhafte Wunsch, von Herrn von Mauléon begleitet zu werden, aussprach, so wagte sie doch nicht, dem jungen Manne diesen Vorschlag zu machen. Dieser schien überdem sehr bemüht, jede Gelegenheit, ihr einige Worte insgeheim sagen zu können, zu vermeiden. Frau von Savigny stieg allein in ihren Wagen, ließ den an ihrem weißen Hute befindlichen Spitzenschleier über ihr schon etwas verblühtes Gesicht fallen, lehnte oder vielmehr versenkte sich in die Kissen, faltete ihre zarten Hände mit Resignation, und vertiefte sich in jene Art von Träumereien, deren trübe Bitterkeit nicht ohne Reize ist, obgleich Leiden sie veranlassen und Entmuthigung ihnen folgen.

Sie war dreißig Jahre alt.

In dem Alter von dreißig Jahren hat alle Klugheit und Einsicht, die der Himmel einer Frau gegeben hat, den höchsten Grad ihrer Stärke und ihres Umfanges erreicht; dieses Alter ist das der höchsten physischen und moralischen Kraft; es ist der Punkt der vollendeten Entwickelung aller bis dahin im Wachsen und der Ausbildung begriffenen Fähigkeiten, und ist auch das Alter, wo die Schönheit die höchste Gewalt hat und den mächtigsten Reiz ausübt. Wie kommt es denn, daß man auf den umwölkten Stirnen so vieler Frauen dieses Alters einen Ausdruck von Schwäche, ja selbst von bitterem Schmerz sieht? Warum zeigen ihre abgemagerten Züge, ihre schon verblühten Wangen, die Spuren tausend heftiger innerer Bewegungen? Warum scheinen ihre, gebrechlichen Körper Leidende Seelen zu umschließen? Hat eine Frau in dem Alter schon die Freuden und Gefahren der Welt, die Wonnen und Schmerzen des Herzens, die Vorzüge und die Nachtheile der Schönheit kennen gelernt? Weiß sie schon, was die Gesellschaft Ehrenvolles und Nichtswürdiges bietet, was sie für Opfer verlangt und welches ihre Entschädigungen sind? Und diese verschiedenen Bilder verdrängen und verlöschen in der Seele die einfachen, reinen und trostreichen Eindrücke, die der Himmel der Jugend zur Stütze ihrer Schwäche gewährt! Die Fesseln der Moral und der Religion sind in den Stürmen der Leidenschaften zerbrochen! Die Leidenschaften sind zuletzt auch entflohen und alle süßen Täuschungen mit ihnen, und haben nichts zurückgelassen, als den Ueberdruß an der Vergangenheit, die Furcht vor der Zukunft, die Überzeugung von der Unbeständigkeit dieses und die Ungewißheit im Betreff des zukünftigen Lebens.

Frau von Savigny schien alle diese traurigen Einflüsse erlitten zu haben, denn ihr melancholisches Wesen zeigte noch den Eindruck derselben. Sie legte also den Weg von der Poststraße bis zu der Universitätsstraße, wo sie wohnte, traurig und sorgenvoll zurück, während die Marquise in dem Wagen des Grafen zurückkehrend, zufrieden genug mit der Tochter war, um die Mutter darüber zu vergessen, und während Yves, um durch Bewegung die seinen Geist beunruhigenden tausend widerstreitenden Gedanken zu bannen, zu Fuß nach Hause ging. bewegte sich nicht Alles vor dem Spiegel seiner Seele! Das bleiche Gesicht Elénorens, die heiteren, frischen Farben Gabrielens, das traurige Lächeln der Frau von Savigny! Die Erinnerung an Simon, diesen sonderbaren Mann, der diese Heirath für ihn eingeleitet hatte; die Hoffnungen seiner Großmutter, seine eigenen Pläne – oder vielmehr das Nichtvorhandensein aller eigenen Pläne, das ihn dem Willen Anderer unterwarf! Es waren eine Menge Erinnerungen – Bande, die ihn an die Vergangenheit fesselten, ohne ihm auch nur einen Wunsch, eine Hoffnung, ein Interesse für die Zukunft zu lassen, die die verächtliche Gleichgültigkeit, die seinen Zügen eingeprägt war, hätten verscheuchen können. Er hatte viel gelebt, das heißt, er hatte in wenig Jahren sich mit einer Menge Empfindungen und Verhältnissen umgeben, die sich nur gebildet hatten, um schnell zerstört zu werden; er hatte Wesen in sein Geschick verflochten, um sie bald wieder aus seinem Herzen und Gedächtniß zu verstoßen! Er hatte viel gelebt, weil er in wenigen Jahren eine Menge Freuden genossen hatte, die hingereicht hätten, manchem Anderen seine ganze Lebenszeit zu schmücken; weil er seine Freunde und seine Geliebten gewechselt hatte; weil er Alles versucht, Alles genossen hatte, ohne Vortheil für sich oder Andere daraus zu ziehen; weil er seine Zeit vergeudet hatte, um seine Genüsse zu verderben, seine Wünsche abzunutzen, seine Täuschungen zu zerstören: kurz, es blieb seiner Seele weder eine schone Hoffnung, noch eine wahrhafte Empfindung; er hatte keinen heiligen Glauben, keine kindliche Unbefangenheit mehr. Und das nannte er viel gelebt haben!

Gabriele

Подняться наверх