Читать книгу Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4 - Александр Дюма - Страница 44

Siebentes bis zehntes Bündchen
XLIV
Der Arzt des Leibes und der Arzt der Seèle

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Man begreift, daß nach einem solchen Ereigniß die Abendgesellschaft natürlich unterbrochen war.

Obgleich sich Niemand die Ursachen erklären konnte, welche die Ohnmacht der Königin herbeigeführt hatten, bestand doch die Thatsache.

Als sie die durch den König verbesserte Zeichnung von Gilbert erblickt, hatte die Königin einen Schrei ausgestoßen und war in Ohnmacht gefallen.

So lautete das Gerücht, das in den Gruppen kreiste, und wer nicht zu der Familie oder wenigstens zu den Vertrauten gehörte, zog sich zurück.

Gilbert trug zuerst Sorge für die Königin.

Frau von Lamballe wollte sie nicht in ihre Wohnung bringen lassen. Das wäre auch schwierig gewesen; Frau von Lamballe wohnte im Pavillon de Flore, die Königin im Pavillon Marsan: man hätte also die ganze Länge des Schlosses zu durchschreiten gehabt.

Man legte daher die erhabene Kranke auf ein Canapé im Schlafzimmer der Prinzessin; mit der den Frauen eigenthümlichen inneren Anschauung hatte diese errathen, es sei ein düsteres Geheimniß hierunter verborgen, und sie entfernte Alle, selbst den König, stellte sich oben an das Canapé und wartete mit zart besorgtem Auge, bis die Königin durch die Bemühungen des Doctor Gilbert wieder zum Bewußtsein käme.

Nur von Zeit zu Zeit befragte sie mit einem Wort den Doctor. Doch selbst unvermögend, die Rückkehr des Lebens zu beschleunigen, konnte Gilbert die Prinzessin nur durch allgemeine Versicherungen beruhigen.

Der Schlag, der dem ganzen Nervensysteme der armen Frau beigebracht worden, war in der That so heftig, daß die Anwendung von Riechsalz unter der Nase und das Einreiben von Essig an den Schläfen nicht genügten; endlich zeigten jedoch leichte Zuckungen an den Extremitäten die Rückkehr des Empfindungsvermögens an. Die Königin bewegte matt den Kopf von rechts nach links, wie man es in einem peinlichen Traume thut, gab einen Seufzer von sich und öffnete die Augen.

Doch es war bei ihr offenbar das Leben vor der Vernunft erwacht; sie schaute auch einige Secunden lang im Zimmer umher mit dem unbestimmten Blicke, der eine Person bezeichnet, welche nicht weiß, wo sie sich befindet, noch was ihr widerfahren ist; bald aber durchlief ein leichtes Zittern ihren ganzen Körper, sie stieß einen schwachen Schrei aus und drückte ihre Hand auf ihre Augen, als wollte sie ihnen den Anblick eines erschrecklichen Gegenstandes entziehen.

Sie erinnerte sich.

Die Krise war indessen vorüber. Gilbert, der sich nicht verbarg, der Unfall habe eine ganze moralische Ursache, der auch wußte, wie gering die Wirksamkeit der Arzneiwissenschaft bei solchen Phänomenen ist, schickte sich an, wegzugehen; doch beim ersten Schritte, den er rückwärts machte, streckte die Königin, als hätte sie seine Absicht durch einen inneren Blick errathen, die Hand gegen ihn aus, ergriff ihn beim Arme und sagte mit einer Stimme, welche so nervös als die Geberde, die sie begleitete:

»Bleiben Sie!«

Gilbert blieb ganz erstaunt stehen. Es war ihm nicht unbekannt, wie wenig Sympathie die Königin für ihn hegte; andererseits jedoch hatte er den seltsamen und beinahe magnetischen Einfluß bemerkt, den er auf sie übte.

»Ich bin zu den Befehlen der Königin,« erwiederte er; »aber ich glaube, daß es gut wäre, die Besorgnisse des Königs und der im Salon zurückgebliebenen Personen zu beschwichtigen, und wenn Eure Majestät es erlaubt . . .«

»Therese,« sagte die Königin zur Prinzessin von Lamballe, »melde dem König, daß ich wieder zu mir gekommen bin, und wache darüber, daß man mich nicht stört: ich habe mit dem Doctor zu sprechen.«

Die Prinzessin gehorchte mit jener passiven Sanftheit, welche der vorherrschende Zug ihres Charakters und sogar ihrer Physiognomie war.

Auf ihren Ellenbogen gestützt, folgte die Königin der Prinzessin mit den Augen; sie wartete, als wollte sie ihr Zeit lassen, sich ihres Auftrags zu entledigen, und als sie sah, daß dieser Auftrag wirklich vollzogen war, und daß sie durch die Wachsamkeit von Frau von Lamballe die Freiheit haben sollte, nach Belieben mit dem Doctor zu reden, wandte sie sich aus seine Seite um, heftete ihren Blick auf den seinigen und sagte zu ihm:

»Doctor, sind Sie nicht erstaunt über den Zufall, der Sie mir immer in den physischen und moralischen Krisen meines Lebens gegenüberstellt?«

»Ach! Madame,« erwiederte Gilbert, »ich weiß nicht, ob ich diesem Zufall danken, oder mich über ihn beklagen soll.«

»Warum, mein Herr?«

»Weil ich tief genug im Herzen lese, um wahrzunehmen, daß ich weder Ihrem Wunsche, noch Ihrem Willen diese ehrenvolle Berührung zu verdanken habe.«

»Ich sagte auch: Zufall  . . .Sie wissen, daß ich offenherzig bin. Und Sie haben mir gleichwohl bei den letzten Umständen, die uns im Einklange zu handeln veranlaßten, eine wahre Ergebenheit gezeigt; ich werde das nicht vergessen und danke Ihnen dafür.«

Gilbert verbeugte sich.

Die Königin folgte der Bewegung seines Leibes und seines Gesichtes.

»Ich bin auch Physiognomin,« sagte sie; »wissen Sie, was Sie mir so eben, ohne eine Silbe zu sprechen, geantwortet haben?«

»Madame« erwiederte Gilbert, »ich wäre in Verzweiflung, sollte mein Stillschweigen weniger ehrerbietig sein, als meine Worte!«

»Sie antworteten mir: »»Es ist gut, Sie haben mir gedankt, das ist eine abgemachte Sache; gehen wir zu etwas Anderem über!««

»Ich hegte wenigstens den Wunsch, Ihre Majestät möchte meine Ergebenheit auf eine Probe stellen, welche dieser erlaubte, sich aus eine wirksamere Art, als sie es bis jetzt gethan, zu offenbaren; davon mochte eine gewisse verlangende Ungeduld herrühren, welche die Königin in der That vielleicht in meinem Gesichte wahrgenommen hat.«

»Herr Gilbert,« sprich die Königin, den Doctor fest anschauend, »Sie sind in der That ein Mann von hohem Werthe, und ich thue Ihnen Abbitte; ich hatte Vorurtheile gegen Sie, diese Vorurtheile bestehen nicht mehr.«

»Erlaubt mir Eure Majestät, ihr aus tiefstem Herzen zu danken, nicht für das Compliment, das sie mir gemacht, sondern für die Versicherung, die sie mir zu geben die Gnade gehabt?«

»Doctor,« sprach die Königin, als verkette sich das, was sie sagen wollte, auf eine ganz natürliche Weise mit dem, was sie gesagt hatte, »was denken Sie von dem, was so eben vorgefallen ist?«

»Madame, ich bin ein positiver Mann, ein Mann der Wissenschaft; haben Sie die Güte, mich bestimmter zu fragen.«

»Ich frage Sie, mein Herr, ob Sie glauben, die Ohnmacht, aus der ich erwache, sei durch eine von jenen Nervenkrisen verursacht worden, denen die armen Weiber durch die Schwäche ihrer Organisation unterworfen sind, oder ob Sie vermuthen, dieser Unfall habe eine ernstere Ursache?«

»Ich antworte Eurer Majestät, daß die Tochter von Maria Theresia, die Frau, die ich so muthig in der Nacht vom fünften auf den sechsten October gesehen, keine gewöhnliche Frau ist, und folglich nicht von einem der Zufälle, welche Macht über die gewöhnlichen Frauen haben, erschüttert werden konnte.«

»Sie haben Recht, Doctor; glauben Sie an Ahnungen?«

»Die Wissenschaft verwirft alle diese Phänomene, welche den materiellen Lauf der Dinge über den Haufen werfen würden, und dennoch strafen die Thatsachen zuweilen die Wissenschaft Lügen.«

»Ich hätte sagen sollen: Glauben Sie an Prophezeiungen?«

»Ich glaube, daß die höchste Güte, für unser eigenes Glück, unsere Zukunft mit einem undurchdringlichen Schleier bedeckt. Einige Personen, welche von der Natur einen großen mathematischen Scharfsinn erhalten haben, können durch das tiefe Studium der Vergangenheit dazu gelangen, daß sie eine Ecke von diesem Schleier lüften und, wie durch einen Nebel, die zukünftigen Dinge erschauen; doch diese Ausnahmen sind selten, und seitdem die Religion das Verhängniß ausgehoben, seitdem die Philosophie dem Glauben Grenzen gesetzt hat, haben die Propheten drei Viertel von ihrem Zauber verloren. Und gleichwohl  . . .« fügte Gilbert bei.

»Und gleichwohl?« versetzte die Königin, als sie sah, daß Gilbert nachdenkend inne hielt.

»Und gleichwohl, Madame,« fuhr er fort, als machte er eine Anstrengung gegen sich selbst, um Fragen zu berühren, welche seine Vernunft aus das Gebiet des Zweifels verbannte, »und gleichwohl gibt es einen Mann  . . .«

»Einen Mann?« sagte die Königin, welche mit einem im höchsten Maße gesteigerten Interesse den Worten von Gilbert folgte.

»Es gibt einen Mann, der zuweilen alle Argumente meines Verstandes durch die unverwerflichsten Thatsachen zu Schanden gemacht hat.«

»Und dieser Mann ist?«

»Ich wage es nicht, ihn Eurer Majestät zu nennen.«

»Dieser Mann ist Ihr Lehrer, nicht wahr, Herr Gilbert? der allmächtige Mann, der unsterbliche Mann, der göttliche Cagliostro!«

»Madame, mein einziger, mein wahrer Lehrer ist die Natur. Cagliostro ist nur mein Retter. Von einer Kugel getroffen, welche meine Brust durchbohrte, verlor ich all mein Blut durch eine Wunde, welche ich, Arzt geworden und nach zwanzigjährigen Studien, für unheilbar hätte; er aber hat mich mittelst eines Balsams, dessen Zusammensetzung ich nicht kenne, geheilt; davon rührt meine Dankbarkeit, ich möchte beinahe sagen, meine Bewunderung her.«

»Und dieser Mann hat Ihnen Prophezeiungen gemacht, welche in Erfüllung gegangen sind?«

»Seltsame, unglaubliche, Madame! dieser Mann geht in der Gegenwart mit einer Sicherheit, welche an seine Kenntniß der Zukunft glauben machen sollte.«

»So daß Sie, wenn Ihnen dieser Mann etwas vorhergesagt hätte, an seine Prophezeiung glauben würden?«

»Ich würde wenigstens handeln, als müßte sie sich verwirklichen.«

»So daß Sie sich, wenn er Ihnen einen frühzeitigen, gräßlichen, entehrenden Tod geweissagt hätte, auf diesen Tod vorbereiten würden?«

»Ja, Madame,« erwiederte Gilbert, die Königin tief anschauend, »nachdem ich indessen alle mögliche Mittel, um ihm zu entkommen, aufgesucht hätte.«

»Ihm entkommen? nein, Doctor, nein! Ich sehe wohl, daß ich verurtheilt bin,« sprach die Königin;«diese Revolution ist ein Abgrund, der den Thron verschlingen muß; dieses Volk ist ein Löwe, der mich auffressen wird.«

»Ah! Madame,« erwiederte Gilbert, »der Löwe, der Sie erschreckt, – es hängt von Ihnen ab, ihn sich zu Ihren Füßen wie ein Lamm niederlegen zu sehen.«

»Haben Sie ihn nicht in Versailles gesehen?«

»Haben Sie ihn nicht in den Tuilerien gesehen? Das ist das Meer, Madame, das unablässig, bis es ihn entwurzelt, an den Felsen schlägt, der sich seinem Lause widersetzt, und wie eine Amme die Barke liebkost, die sich ihm anvertraut.«

»Doctor, Alles ist längst zwischen diesen, Wolke und mir zerrissen: es haßt mich, und ich verachte es.«

»Weil Sie das Volk nicht kennen und das Volk Sie nicht kennt! Hören Sie auf, für dasselbe eine Königin zu sein, werden Sie eine Mutter; vergessen Sie, daß Sie die Tochter von Maria Theresia, unserer alten Feindin, die Schwester von Joseph II., unserem falschen Freunde, sind; seien Sie Französin, und Sie werden die Stimmen dieses Volkes sich zu Ihnen erheben hören, um Sie zu segnen, und Sie werden die Arme dieses Volkes sich gegen Sie ausstrecken sehen, um Sie zu streicheln.«

Marie Antoinette zuckle die Achseln.

»Ja, ich weiß das  . . .es segnet gestern, es streichelt heute, und morgen erstickt es diejenigen, welche es gesegnet und gestreichelt hat.«

»Weil es fühlt, daß in diesen ein Widerstand gegen seinen Willen, ein Haß ist, der in Opposition gegen seine Liebe.«

»Und weiß es selbst, was es liebt oder haßt, dieses Volk, dieses zerstörendes Element? zerstörend, wie der Wind, das Wasser und das Feuer, mit den Launen eines Weibes?«

»Weil Sie es vom Ufer aus sehen, Madame, wie derjenige, welcher die Gestade besucht, den Ocean sieht; weil es, ohne scheinbaren Grund vorrückend und sich zurückziehend, zu Ihren Füßen brandet und Sie mit seinen Klagen umhüllt, die Sie für Gebrülle halten; doch nicht so muß man es sehen; man muß es sehen getragen vom Geiste des Herrn, der über den großen Wassern schwebt; man muß es sehen, wie es Gott sieht, in Einheit fortschreitend und Alles brechend, was ein Hinderniß ist, um zu diesem Ziele zu gelangen. Sie sind Königin der Franzosen, Madame, und Sie wissen nicht, was in diesem Augenblick in Frankreich vorgeht. Heben Sie Ihren Schleier auf, Madame, statt ihn niederzulassen, und Sie werden bewundern, statt zu fürchten.«

»Was werde ich denn so Schönes, so Herrliches, so Glänzendes sehen?«

»Sie werden die neue Welt mitten unter den Trümmern der alten sich verschließen sehen; Sie werden die Wiege des zukünftigen Frankreichs auf einem Flusse schwimmen sehen, der breiter ist, als der Nil, als das Mittelländische Meer, als der Ocean  . . .Gott beschütze dich, o Wiege! Gott behüte dich, o Frankreich!«

Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4

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