Читать книгу Die schwarze Tulpe - Александр Дюма - Страница 5
Erster Band
V.
Der Tulpenliebhaber und dessen Nachbar
ОглавлениеIn der Zeit, wo die Bürger von Haag ihre blutige Aufgabe glänzender, als man es erwarten konnte, gelöst, und sich, nachdem nichts mehr zu sehen, zu hören oder zu kaufen war, auch wieder ganz gemüthlich, als kehre man von einem Feste heim, in ihre Wohnungen zurückgezogen hatten, in eben dieser Zeit, wo der Prinz von dem Obersten, van Deken, begleitet, auf der Straße nach Leyden galoppirten, mißmuthig, einem Manne sein ganzes Vertrauen geschenkt zu haben, der sich beim Anblicke einiger Blutstropfen so gemüthlich, ja beinahe weichherzig zeigte, gerade zu dieser Stunde sah man aus der Straße, die zu dem Hafen der Schelde führt, einen mit Staub bedeckten Reiter, dessen Blick forschend und beinahe ängstlich einen heiß ersehnten Punkt zu erspähen suchte.
Es war Craecke, der treue Diener, der gleich nach Erhalt des ihm von Cornelius übergebenen Auftrages fortgeeilt war, die Thore noch glücklich offen gefunden hatte, und nunmehr aus dem schweißtriefenden Pferde, längst der mit Bäumen besetzten Straße dahin flog, ohne im geringsten das entsetzliche Schicksal, das seinen Gebieter ereilte, zu ahnen. An dem Hafen der Schelde angelangt, ließ er sein Pferd um jeden Verdacht zu vermeiden, in einem Wirthshause zurück, und bestieg eines jener Schiffe, die stets den kürzesten Weg einschlagend, die langen und ausgedehnten Krümmungen des Flusses durchschneiden, und den Reisenden in wenigen Stunden, nach der reizenden und anmuthigen Insel führen, deren Ufer von den Wellen gleichsam geliebkost, mit blühenden Gewächsen und Kräutern übersät, und von fetten Herden angefüllt, einen malerischen Anblick gewähren.
Und hier am Fuße eines Hügels, um den sich in gleichen Zwischenräumen, Tag und Nacht in voller Thätigkeit klappernde und schnarrende Mühlen lagern, hier liegt Dortrecht. Es ist eine wunderschöne, eine von jenen erhabenen Aussichten, die uns in den vorliegenden Gegenständen die Ruhe und majestätische Stille der Natur, ihren Frieden, beurkundet. Weit hin erglänzen in den Strahlen der aufgehenden Morgensonne die netten, glänzend roten Dächer, deren weiße Einfassungen, einer künstlich gezogenen Linie gleich, nach der Größe und Bauart der Häuser, bald regelmäßig fortlaufend, bald in allen möglichen Zikzak, auf- oder absteigend, unterbrochen oder zusammengesetzt, sich so weit das Auge reicht, ausdehnen. Die Grundmauern der dem Wasser zunächst stehenden Gebäude baden sich gleichsam in dem Fluße, die Balkone springen weit über denselben vor, und ihre Geländer sind mit prachtvollen, gold- und silbergestickten Teppichen, den Erzeugnissen China’s und. Indiens, behangen, während von ihren Endpunkten sich lange Schnüre in das Wasser herabsenken, die, als Angeln benützt, die Bestimmung haben, die Unzahl der durch den täglich zugeworfenen Fraß herbeigelockten, Aale zu vermindern. Craecke sah es, er rief ihm einen freundlichen Morgengruß schon von der Ferne zu.
An der Schiffbrücke angelangt, fiel sein erster Blick auf ein am Abhange des Hügels befindliches, weiß und rothes Haus, das zwischen den vorliegenden Mühlen freundlich hindurch lächelnd, das heiß ersehnte Ziel, dem er entgegenstrebte, zu sein schien. Der Gibel des Daches. verschwand Anfangs unter dem bereits welken Laube, der ihn umgebenden Pappeln, tauchte aber wieder kurz, darauf an einem dunkeln Hintergrunde, den eine Anlage riesenhafter, uralter Ulmen bildete, auf, und erglänzte gleich einem funkelnden Sterne.
Dieses Haus hatte, wie man es schon aus der Ferne bemerken konnte, eine solche Lage, daß die Sonne gleichsam wie in einen Trichter demselben ihre Strahlen zusendete, und auf diese Art alle vom Wasser aufsteigenden, und selbst durch die dichte Laubwand dringenden Nebel austrocknete, dadurch den so geschützten Boden erwärmend und fruchtbar machend.
Craecke war ausgestiegen, und ohne sich um das ihn umgebende Getümmel der Marktleute zu kümmern, schlug er seinen Weg nach dem bezeichneten Hause ein.
Mit der dem Holländer eigenen, und sonst wohl nur selten zu treffenden Nettigkeit, stand dies Gebäude so weiß, so zierlich und schön da, daß man die frisch gebahnten Gänge, die glänzenden Fenster, Rinnen und sonstigen Metalleinfassungen betrachtend, in Versuchung gerieth, es für eine geschmückte Braut zu halten, die sehnsuchtsvoll den Erwählten erwartete. Und dieses kleine, irdische Paradies barg nur einen glücklichen Sterblichen.
Cornelius, Doktor van Baerle, das Taufkind des Cornelius von Witt. Seit seiner Kindheit bewohnte dieser Beneidenswerthe das erwähnte Haus. Es war der Geburtsort seines Vaters und seines Großvaters, zwei der angesehensten Kaufleute von Dortrecht.
Baerles Vater hatte theils durch glückliche Speculationen, theils im Handel mit Indien, die namhafte Summe von beinahe drei- bis viermal hunderttausend Gulden erworben, und diesen ganzen Betrag in blank, geputzten Goldstücken, wahrscheinlich aus Laune und, Vergnügen, aufgehäuft. Nach seinem im Jahre 1688 erfolgten Tode übernahm Cornelius van Baerle das ganze hinterlassene Besitzthum seiner Eltern, fand glücklich den so großen Schatz, und wunderte sich nicht wenig, diese Masse in den Jahren 1610 und 1640 geprägter Münzen noch so neu, als wenn sie eben erst die Bank verlassen hätten, zu finden. Und diese große, namhafte Summe war, so zu sagen, für den jungen Baerle; nur seine Art Sparpfennig, den er zu seinem Vergnügen verwenden konnte, da ihm seine übrigen Besitzungen, und angelegten Capitalien jährlich über zehntausend Gulden an Interessen trugen.
Kurz vor seinem Tode, der beiläufig drei Monate nach dem Ableben seiner Gattin, (die ihm das Leben durch Liebe und Sanftmuth erleichtert hatte, und nunmehr dasselbe auf der Bahn zum ewigen Frieden machen zu wollen schien, ) erfolgte, ließ der alte van Baerle den Sohn an sein Lager kommen, und hielt ihm nachstehende, denkwürdige Abschiedsrede:
»Mein guter Sohn, beherzige die Worte wohl, die ich Dir als väterlichen Rath in der letzten Stunde meines Lebens gebe, Du hast Geld, viel Geld! – Lebe! – aber begreife ganz, was das heißt: Leben! Esse, trinke, genieße jedes Vergnügen nach Herzenslust, sperre Dich ja nicht in ein dumpfes, düsteres Comptoir, um das bereits Besitzende noch zu vermehren, denn das heißt nicht leben, das ist lebender Tod, oder todtes Leben, wie Du es am besten verstehst. Dann überlege auch wohl, daß Du der einzige van Baerle bist. Was nützte Dich einst Dein ganzer, aufgehäufter Reichthum, wenn Du Dich nicht verehelichen würdest, oder selbst für den letzteren Fall, Deine Ehe keine gesegnete wäre? Dann müßten all diese Goldstücke, die aus der Präge an das Tageslicht gekommen, nur Dein Großvater und ich in Händen hatte, an fremde Leute übergehen, all’ unsere Anstrengungen wären daher ganz fruchtlos.«
»Aber vor Einem warne ich Dich besonders noch. Hüthe Dich, den Wünschen Deines Pathen Cornelius, der Dich so gerne im Staate glänzen sehen würde, jemals nachzugehen. Der Pfad der Politik ist der schlüpfrigste, den es gibt, er bietet Dir entweder einen eitlen Glanz, leeren Weltflitter, oder ein schmachvolles Ende, er hält Dich immer in Zweifel zwischen – Recht und Unrecht, er zwingt Dich oft zu Handlungen, die Dir Dein Herz verbietet.«
»Beherzige diese Lehren, mein Sohn!«
Das waren seine letzten Worte, dann senkte er ruhig sein Haupt und starb, einen Sohn in der Welt zurücklassend, der seinen Vater über Alles, und das Geld nur sehr wenig liebte.
Da war er nun allein in dem großen, großen Hause. Da überraschten ihn die vielfachen Anträge seines Pathen, der sich alle nur erdenkliche Mühe gab, ihm Geschmack am Ruhme beizubringen, da schwebte er, noch jung und unerfahren, zwischen all den mächtigen Zweifeln und Fragen für die Zukunft, zwischen denen auch wir einst schwebten. Aber die Sehnsucht nach dem Genuße der Freiheit, das nicht zu unterdrückende Verlangen die Welt und Menschen zu sehen, zu erfahren, wie es denn einige Meilen über Dortrecht hinaus aussehe das waren die leicht erklärbaren Grundlagen, die ihn bewogen, endlich dem Wunsche seines Pathen, wenigstens in Etwas nachzugehen. Er schiffte sich daher auf dem großartigsten Schnellsegler, genannt die sieben Provinzen, mit dem berühmten Admiral van Ruyter, (der damals ein Geschwader von hundert neun und dreißig Fahrzeugen befehligte, um gegen die verbündeten Franzosen und Engländer in das Feld zu ziehen, ) ein, segelte glücklich ab, sah kurz darauf den Feind in seiner furchtbaren Position vor sich, und gelangte, von Leger geführt, auf Musketenschußweite an das Linienschiff »le Prince,« dem die außerordentliche Ehre zu Theil geworden war, in seinem Bauche den Herzog von York, Bruder des Königs von England, aufzunehmen. Aber van Ruyter hatte seinen Angriff so schnell und so geschickt eingeleitet, daß der »le Prince« ohne Berücksichtigung seiner werthvollen Last, in kurzer Zeit in so bedeutende Verlegenheit gerieth, daß der erlauchte Herr es für gerathen hielt, sich auf den Saint Michael zu retten; allein auch dieser wurde von Seite der holländischen Kugeln eben so wenig respektirt, und nachdem er so ziemlich zerfetzt und zerrissen war, befahlen Seine Hoheit, aber immer mit Energie, ihn aus dem Gefechte zu ziehen. Es war höchste Zeit, denn kurz daraus unternahm der ihm zunächst stehende le Conte de Sanwik eine äußerst imposante Luftreise, zu der er sämmtliches Geschütze, und das ganze Personale, beiläufig Köpfe stark, mitnahm. Die armen Teufeln kehrten bald wieder zurück, ein Theil verbrannt, der andere zwar ganz und lebend, aber auch nur, um mit jenen brüderlich vereint, im Wasser ein gemeinsames Grab zu finden. Und das großartige Ende vom Kriege umfaßte zwanzig bis dreißig zertrümmerte und verbrannte Schiffe, dreitausend Tode, fünftausend Verwundete, und zur größten Ergötzlichkeit, die Ungewißheit, wer eigentlich die Schlacht gewonnen habe, da sich jeder Theil den Sieg zuschrieb. Man fing endlich wieder von Vorne an, eine Schlacht reihte sich an die andere, bis zuletzt dem Verzeichnisse der Bataillen, der Name Schlacht von Soutword Bay hinzugefügt wurde, der den Schlußpunkt des tragischen Spectakels machte.
Und dem Allen hatte van Baerle zugesehen, er hatte zugleich darüber nachgedacht, wie viel Zeit der Mensch verliert, wenn er in den Augenblicken, wo sich seine Mitbürger gegenseitig kanonieren, nachdenken will; die Sehnsucht nach Glanz und Ruhm war genügend befriedigt, er dankte seinem Pathen herzlich für jeden weitern derartigen Antrag, küßte dem Ex-Großpensionär, gegen den er eine besondere Verehrung äußerte, die Füße, und zog sich in sein Haus nach Dortrecht zurück.
Aber er war reich, unendlich reich geworden, reich durch die wieder erlangte Ruhe, durch seine kräftige, blühende Jugend, verbunden mit einer eisernen Gesundheit, durch sein zu einem hohen Grad von Menschenkenntniß ausgebildetes, scharfes Auge. Und was ihn noch reicher als Alles dies machte, was ihn weit emporhob über sein Geld und die großen Einkünste, das war die durch die Erfahrung erlangte Ueberzeugung, daß der Mensch, um glücklich zu sein, so wenig, um es nicht zu sein, so unendlich viel besitze.
Diese Erfahrungen, verbunden mit dem Wunsche, sich ein Glück nach seiner eigenen Idee zu schaffen, führten ihn auf das so unendlich ergiebige Gebiet der Wissenschaft, und in diesem wieder auf ein Feld, das trotz seiner unendlichen Ausbeute, noch immer Menschenalter erfordert, um nur auf einen leidlichen Grad der Vollkommenheit gebracht zu werden. Er studierte Botanik, sammelte eine Unzahl von Pflanzen und Insekten, spießte die ganze blühende, fliegende und kriechende Bevölkerung der Insel; verfaßte über diese ein eigenes, ungeheueres Werk sammt Zeichnungen, und da er trotz dem immer wieder merkte, daß sein Vermögen eine unendliche Höhe zu erreichen strebte, da er außerdem mit seinem todt liegenden Gelde in die äußerste Verlegenheit geriet, übersprang sein thätiger und immer reger Geist auf ein neues in Holland so einheimisches, aber auch ungeheuer kostspieliges Extrem.
Er wurde ein leidenschaftlicher Tulpenfreund. Zu der damaligen Zeit standen gerade die Flammänder und Portugiesen, wie dies bekannt sein dürfte, mit einander in dem heftigsten Wettstreite, diesen Zweig der Gartenbaukunst, auf die höchste Stufe der Vollendung zu erheben. Sie strebten darnach, aus dieser Pflanze, die aus dem Oriente gekommen war, durch Veredlung und Pflege, neue, reizende Gebilde in ihrer Form und den Farbenunterschieden zu erzeugen, ein Werk, vor dem der strenge Naturalist scheu zurückweicht, von dem Wahne beseelt: Gott und der Schöpfung in ihre erhabenen Werke zu pfuschen.?
Bald gab es zwischen Dortrecht und Mons kein anderes Tagesgespräch, als das von den Tulpen des Herrn van Baerle; von der Lage seiner Zwiebel in den verschiedenen Abtheilungen seiner Gartenbeete, von den vielen so vortrefflich angelegten Trockenkammern; und alles das wurde mit demselben Eifer, mit derselben rastlosen Anstrengung erforscht und verfolgt, mit der einst die Gallerien der berühmten Bibliothek von Alexandrien, von den Römern durchstöbert, worden waren.«
Cornelius van Baerle begann nun damit, seine Jahreseinkünfte zum Ankaufe einer großartigen Sammlung von Zwiebeln zu verwenden, er zerlegte diese, verband sie unter einander, und sah in kurzer Zeit, durch das Erstehen von fünf ganz neuen und verschiedenen Gattungen, seine Versuche auf das Glänzendste gekrönt. Diese Gattungen taufte er, und zwar die erste nach dem Namen seiner Mutter, Johanna, die zweite nach seinem Vater, van Baerle, die dritte, Cornelius. Die Namen der letzten zwei Gattungen sind uns leider nicht mehr bekannt, jedenfalls dürften sie aber in den Katalogen jener Zeit zu finden sein.
Cornelius von Witt ebenfalls zu Dortrecht geboren, und daselbst Besitzer eines ausgedehnten und großartigen Familienhauses, kam im Anfange des Jahres 1672 in der Absicht, drei Monate dort mit seiner Familie zu verweilen, auf der reizenden Insel an.
Schon in jener Zeit, war der gegen ihn später so furchtbar entwickelte Haß des Volkes langsam genährt; worden, und er erfreute sich, wie Wilhelm von Oranien öfter bemerkte, bereits damals der Verachtung seiner Mitbürger. Aber diese betrachteten, seinen Republikanismus ausgenommen, an dem großen Manne nur die hervorragenden, glänzenden Eigenschaften, die Macht und Stärke seines Geistes, das edle, von Vaterlandsliebe durch und durch erfüllte Herz, ehrten in ihm einen ruhigen, charakterfesten Weltmann, und scheuten sich daher auch nicht, ihm, einen alten Herkommen gemäß, bei seiner Ankunft den Stadtwein zu präsentiren.
Cornelius dankte seinen Mitbürgern, und begab sich dann unverzüglich in sein väterliches Haus, um die nöthigen Anordnungen zum Empfange seiner Frau und Familie, und zugleich jene Einrichtungen zutreffen, die ein längerer Aufenthalt nothwendig machte.
Sobald er diese Angelegenheit geordnet hatte, eilte er nach dem Hause seines Taufpathen, dem einzigen Wesen, das an demselben Tage nichts von der Ankunft des Ruart in Dortrecht wußte.
Ebenso vielen Haß, als sich Cornelius von Witt durch seine Bemühungen, den schlecht wuchernden Samen der Politik zu läutern, und ihn von aller Leidenschaft zu entfremden, von der Partei der Aristokraten, zugezogen, eben so vieler Sympathien erfreute sich das Bestreben van Baerles, die Kultur der Blumen zu veredeln, und jene der Politik außer Acht zu lassen.
Von seiner nächsten Umgebung, den Dienern und Arbeitern, geachtet, geliebt, ja beinahe vergöttert, mit der Außenwelt sonst wenig, beinahe gar nicht in Verbindung, entstand auch nie in seinem schuldlosen Innern die leiseste Ahnung, daß auf der ganzen Erde irgend ein Wesen etwas Böses gegen ihn im Sinne haben könne.
Und doch war es der Fall. Ja, zur Schmach der Menschheit sei es gesagt, dieser ruhige, zurückgezogene, nur seiner Idee und Wissenschaft lebende junge Mann, hatte einen Feind, einen erbitterten, furchtbaren Gegner, der schrecklicher als die ganze Partei der Orangisten, gegen Cornelius und Johann, im Stillen wider ihm handelte und wirkte. Wenn man auch jene als die Häupter einer mächtigen, weit verzweigten, freien Bruderschaft, mit dem Dolche ermordete, und keineswegs den Ruhm ihrer unendlichen Aufopferung rauben konnte, bewegte sich gegen Baerle zwischen blühenden Blumen, eine angesehene, nicht geahnte, giftige Schlange. Der junge Mann verwendete, wie wir bereits erwähnten, seine ganzen Einkünfte, so wie auch das von dem Vater hinterlassene Geld zur Verwirklichung der in ihm erstandenen und bald vollkommen ausgebildeten Lieblingsidee. Hart an sein Gebäude, Mauer an Mauer, stand das Haus eines Bürgers, Namens Isaak Boxtel, eines Mannes, der eben so, seit dem Augenblicke, wo er das Bewußtsein erhalten, ganz derselben Leidenschaft fröhnte. Diese hatte aber einen so hohen Grad, daß er bei dem bloßen Aussprechen des Wortes, Tulpen, (welches einigen gelehrten Geschichtschreibern zu Folge, in der Sprache von Chingulai, die erste Bezeichnung dieses Meisterstückes gewesen sein soll, ) erbebte, und am ganzen Leibe zitterte.
Boxtel, vom Glücke nicht so begünstigt, wie Baerle, besaß auch nicht den Reichthum des Letzteren. Trotzdem hatte er mit aller Sorgfalt und Anwendung der äußersten Mühe, in seinem Hause einen recht angenehmen Garten hergerichtet, in diesen eine große Anzahl von Mistbeeten angebracht, den Erdboden fruchtbar gemacht, und die den Tulpen nöthige Temperatur in den verschiedenen Jahreszeiten ganz nach den Regeln der Gartenkunst erzeugt.
Jahrelang seinen Plan verfolgend, war dieser seltene Mensch bis in die kleinsten Einzelheiten der Unternehmung und ihrer verschiedenen Erscheinungen gedrungen. Er berechnete den für die Blume nothwendigen Hitze- und Kältegrad bis auf den 20. Theil, er wog Wind ab, und gab ihm jene Richtung, die ihm zur Erhaltung der Tulpe zuträglich schien. Zugleich lächelte ihm in einem Augenblicke das Glück, gleichsam als, wolle es seine Bemühungen auf einen noch höhern Grad steigern, so wie es Anfangs den Spieler gewinnen läßt, um ihn dann um so sicherer in den Abgrund des Verderbens zu ziehen. Seine Erzeugnisse hatten Beifall gefunden, Liebhaber erschienen, um seine Sammlung zu bewundern. Endlich glückte es ihm sogar, eine eigene Gattung zu erzeugen, die unter seinen Namen den Weg durch Frankreich machte, in Spanien Eingang fand, und sogar von dem aus Portugal vertriebenen König, Don Alfonso VI., der sich nach der Insel Terceira zurückgezogen hatte, mit den Worten, passirt, fürstlich belobt wurde. Baerle, wie schon einmal erwähnt, von seiner Leidenschaft ergriffen, fand vorläufig nichts wichtigeres, als seinem Gebäude eine dem Zwecke entsprechende Umgestaltung zu geben. Er ließ daher den, rückwärtigen Theil desselben, der an Boxtels Garten grenzte, um einen Stock erhöhen, und raubte dadurch dem Nachbar gerade einen halben Grad Sonnenwärme während er ihm durch den Schatten einen ganzen Grad Kälte zuführte, ungerechnet, daß dadurch der Wind abgesperrt, und die mühsam, jahrelang zusammengesetzte Berechnung des Oekonomen dadurch mit einem Male ganz vernichtet wurde.
Aber Boxtel, den dies schreckliche Unglück Anfangs zu Boden streckte, war zugleich ein tiefer Denker. Er überlegte endlich mit kalter Ruhe, daß sein Nachbar, ein Maler, nämlich eines jener Individuen, die sich bemühen, die Natur auf der Leinwand, statt sie wiederzugeben, zu verunstalten, alles Recht hatte, um für seine Gemälde mehr Sonnenlicht zu gewinnen, ihm einen halben Grad Wärme wegzunehmen. Das Gesetz sprach für ihn mit vollem Rechte und er schwieg daher.
Aber wo findet der von einer fixen Idee ergriffene Mensch nicht bald und oft in ganz trügerischen Vernunftschlüssen seinen Trost wieder Auch Boxtel fand ihn. Er suchte sich zu überreden, daß zu viel Wärme den Blumen schade, daß diese in einer geringeren Temperatur schneller wachsen, und sich schöner färben, und daß ihm durch den Bau gerade die Mittagssonne geraubt wurde, überzeugte er sich selbst, daß die Morgens und Abendsonne viel besser und vortheilhafter sei.
Wenn er in diesen Schlüssen fortgefahren wäre, so mußte er noch zu der Einsicht gelangen, das er dem Herrn van Baerle, der ihm aus eigenem Antrieb einen so dauerhaften Sonnenschirm erbaut hatte, eigentlich dankbar verpflichtet sein müsse.
Aber wer beschreibt den Schrecken des Unglücklichen, als er an einem schönen Morgen die Fenster der neuen Wohnung mit Zwiebeln, mit jungen Pflanzen, mit Blumen in aufgewühlter Erde und in Geschirren, mithin mit allem ausgerüstet sah, was eigentlich zur Veredlung und Zucht der Tulpen nothwendig ist.
Aber noch mehr. Längst den Mauern, so weit man dies von unten sehen konnte, bemerkte er zugleich, Kästen offen oder geschlossen, mit den feinen Gittern von Eisendraht versehen, die mit Ventilatoren verbunden, die Bestimmung hatten, die Luft nach Bedarf entweder mehr zu sammeln oder zu entfernen, und zugleich Ratten und Mäuse, die bekannten Liebhaber dieser Blume, deren Zwiebel nicht selten über 2000 Frank kostete, entfernt zu halten.
Nachdem Boxtel sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte, und wieder zur kalten und ruhigen Ueberlegung zurückkam, sprach er sich selbst Trost und Ruhe zu. Er dachte nach, wie der Mensch, der einmal einen Plan verfolgte, bis in die untersten Schichten seiner Grundlagen zu dringen pflegt. Baerle war Maler, vielleicht gründlicher, denkender Maler, um so mehr, da er Gerard Dow zum Meister, und Mieris zum Freunde hatte. Vielleicht wollte er ein Tulpenhaus malen, und um dies ganz, vollständig, unnachahmlich darzustellen, fand er es für nothwendig, sich einen Saal mit allen zu dieser Kunst nöthigen Einzelheiten herstellen zu lassen.
Aber ungeachtet aller dieser Trostgründe, erstand doch eine unverwüstbare Kluft in seinem Innern, der Wunsch, sich näher hiervon zu überzeugen, mit einem Worte, die Neugierde.
Er erwartete sehnsuchtsvoll den Abend, er zählte die Stunden, die ihn noch von demselben trennten, und als sich die Ruhe und Stille der Nacht über die ganze Umgebung ausbreitete, und nur der bleiche Schein des eben emporsteigenden Mondes, die weite Landschaft erhellte, da eilte er hinab in den Garten, und vorsichtig eine Leiter an die Wand seines Nachbars lehnend, stieg er hinauf – Furchtbar, gräßlich mußte das Schauspiel sein, das sich seinen Blicken darbot, denn gelähmt, gleichsam eingewurzelt, auf dem Punkte, auf dem er gerade stand, nahm sein Antlitz die Farbe des Todes an, sein ganzer Körper zitterte von fieberhafter Aufregung bewegt.
Und was sah er?
Ein großes, ausgedehntes, im Dunkel der Nacht nicht ganz zu übersehendes Viereck. Der aufgewühlte, mit Flugsand vermischte Boden zeugte deutlich an, daß vor Kurzem Pflanzen, die ihre entsprechende Ausbildung erhalten, aus demselben genommen worden waren, und zugleich verrieth die eben erwähnte, den Tulpen sehr zuträgliche Mischung, auch die eigentliche Bestimmung dieses Raumes. Das Ganze war sorgfältig in Beete eingetheilt, diese um das Einsinken der Erde zu verhindern, mit Graspflanzungen eingefaßt, dann hatte. es die auf- und untergehende Sonne, einen künstlich erzeugten Schatten, der die Hitze der Strahlen milderte, Wasser im Ueberfluß und in der Nahe, es lag nach Süd-Süd-West; kurz Alles, der kleinste Punkt stimmte mit dem großen Werke in harmonischer Verbindung zusammen; was der Unglückliche während der Dauer einer halben Lebenszeit mühsam berechnet hatte, und aus Mangel an Mittel nicht ganz so herstellen konnte, wie es eigentlich hatte sein sollen, lag wie durch die Macht einer höheren Gewalt hervorgerufen, zauberhaft in seiner ganzen Vollendung vor ihm da.
Ihm schwindelte, krampfhaft hielt er sich an der Wand fest, – der Beweis war gefunden – Baerle, der reiche Baerle, ein Tulpenzüchter.
Mühsam, nicht mehr Herr seiner physischen Kraft mit schlotternden Armen und Beinen, der Verzweiflung nahe, stieg er wieder die Leiter herab. Ein einziger Gedanke erfüllte für den Augenblick seine Seele, er gestaltete sich langsam von unklaren Umrissen zum deutlichen Bilde, und dieses Bild war Baerle, Baerle mit seinen zehntausend Gulden Revenüen, und vier hunderttausend Gulden in Gold, dieser Crösus, dem nichts zu hoch, nichts zu theuer war, der Alles erreichen konnte und mußte. Seine Phantasie malte sich die ungeheuer glücklichen Erfolge dieses Mannes in den lebhaftesten Farben, er sah dessen Ruhm einem strahlenden Gestirne gleich erglänzen, und den eigenen in trüber, sturmumwölkter Nacht untergehen.
Das war die Hauptidee, dieser folgte einem Troße gleich, ein Meer von furchtbaren Enttäuschungen.
Also darum hatte Baerle sein Haus erhöht, nun einen großen, lustigen Raum zur Aufbewahrung der zarten Pflanzen und Zwiebel zu erhalten; ihm hatte er einen halben Grad Wärme genommen, und dadurch die ganze, so thätig wirkende Sonnenhitze erhalten. Da waren Luftlöcher und Ventilatoren angebracht, künstliche Wasserleitungen reihten sich an dieselbe, durchsichtige Fensterrahmen, erhöhten oder milderten die Kraft der eintretenden Sonnenstrahlen – o, welcher unendliche Reichthum, welche mathematische Gewißheit eines sichern großartigen Erfolges – und er, der arme Boxtel, hatte zu diesem Behufe sein eigenes Schlafzimmer eingerichtet, er, der Mann, der seinem Zwecke alles opferte, ruhte während der Nacht auf dem Dachboden, da die thierische Ausdünstung dem Fortkommen der Pflanze im höchsten Grade hinderlich gewesen wäre.
Armer Boxtel, du schliefst bisher so sanft auf deinem traurigen, armseligen Lager, deine Idee war ein weicher Ruhepolster, deine unzerstörbare Hoffnung linderte die Hitze der Sommer- und die Kälte der Winternächte – mußte mit einem Male – dein Dasein, deine Zukunft vernichtet werden?
Also Thor an Thor, Mauer an Mauer wohnt der furchtbare Mann, der alles dem gleichen Zwecke widmet, der kein unbekannter, verschollener Gärtner, mit seiner Idee einen berühmten Namen verbindet..
Boxtel besaß also, wie man sieht, keinen so ausgebildeten, hohen Geist wie Porus, der von Alexander dem Großen besiegt, in der Größe des Siegers seinen Trost fand.
Aber war das ihm entgegen getretene Geschick in seiner Wirkung nicht furchtbar? Konnte Baerle nicht eine neue Gattung entdecken, und diese Johann taufen, nachdem die erste bereits den Namen Cornelius; erhalten hattet dann war sein Ruhm unzerstörbar begründet, dann schwand jede Hoffnung ihn zu erreichen.
Und so errieth Boxtel, der Prophet seines eigenen Unterganges, die so nahe gelegene Zukunft.
Er stieg in seine Kammer, er warf sich auf sein Lager – die Nacht, die er zubrachte, vermag ich nicht zu schildern.