Читать книгу 140 Tage — Balkan-Tiger & Brusketa - Aleksandra Valeria - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеDonnerstag, 31. Mai
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Freitag, 01. Juni
Stress! Ich bin mitten auf einer großen Veranstaltung. In regelmäßigen Abständen höre ich den Ton meines Smartphones, das mir den Eingang von Emails signalisiert. Vielleicht sollte ich das blöde Ding einfach mal ausschalten. In einer freien Minute checke ich meine Emails. Ich scrolle runter und spüre auf einmal, wie sich mein Herzschlag beschleunigt. Einer der Absender ist Darko. Aufgeregt gehe ich auf die Toilette, um seine Mail in Ruhe zu lesen.
Mail 14:35, Darko schreibt
Ciao Ana,
was machst du heute Schönes? Das Wetter ist hier wunderschön, genau so, wie es dir gefällt. Meinst du, dass du es schaffst, trotz deines wahnsinnigen Arbeitsprogramms, mal ein paar Gedanken in diese Richtung zu werfen? Zumindest ein wenig? Ich denke gerade an dich.
Ciao, Darko
Er denkt an mich. Ich spüre eine kindliche Freude in mir aufsteigen. Ich habe auch oft an ihn gedacht. Ich kann es kaum erwarten nach Hause zu kommen und ihm zu antworten. Beschwingt gehe ich wieder an die Arbeit.
Mail 02:00, Ana schreibt
Ciao Darko,
was für eine schöne Überraschung deine Mail war. Ich bin soeben von einer großen Veranstaltung, die ich organisiert habe, nach Hause gekommen. Eine Firma feiert 25-jähriges Jubiläum, mit mehreren Feierlichkeiten, an verschiedenen Standorten in München und mit über 400 internationalen Gästen. Seit ein paar Tagen komme ich fast nur zum Schlafen und Umziehen nach Hause. Aber bis jetzt ist alles super gelaufen. Morgen ist der letzte Tag, dann habe ich es erstmal geschafft.
Mach dir mal keine Sorgen; trotz des Wahnsinns, der hier herrscht, denke ich oft an Dubrovnik. Und wenn du mir noch schreibst, wie fantastisch das Wetter ist, würde ich mich am liebsten sofort auf den Weg machen.
Ich gehe jetzt schlafen, denn um 7:00 Uhr muss ich schon wieder aufstehen.
Gute Nacht, Darko
Obwohl ich todmüde bin, gehe ich aufgewühlt ins Bett. Ich kämpfe gegen die Gedanken an Darko an ... Darko gewinnt!
Samstag, 02. Juni
Ich ertappe mich dabei, wie ich in jeder freien Minute meine Email-Eingänge checke. Insgeheim hoffe ich, dass er mir schreibt. Aber er kann mir doch nicht jeden Tag schreiben ...
Sonntag, 03. Juni
Die Veranstaltung ist super gelaufen, ich bin zufrieden. Mein Mann spielt heute Golf und ich hänge einfach mal im Garten ab und ruhe mich aus. Ob ich Darko eine kleine SMS schicken soll? Nein, ich habe als Letzte geschrieben ... jetzt ist er dran. Vielleicht nur so eine kurze SMS? So ein kleiner Anstupser, damit er mir wieder schreibt ... ?
SMS 16:24, Ana schreibt
Darko,
ich befolge deinen Rat! Heute ist Relaxen angesagt — Laptop bleibt aus. Ich wünsch dir einen sonnigen Sonntag.
Liebe Grüße, Ana
Das war doch jetzt ganz unverfänglich ... 22:30 Uhr: keine Antwort. Hätte ich ihm doch bloß nicht geschrieben. Wie peinlich!
Montag, 04. Juni
Mail 10:41, Darko schreibt
Liebe Ana,
danke für deine SMS. Ich habe gestern den ganzen Tag gearbeitet und sie erst abends entdeckt. Hat mir richtig gut getan, von dir zu hören. Vor allem freue ich mich, dass ich scheinbar einen guten Einfluss auf dich habe :-) Schön, dass du dich ausgeruht hast. Das Wetter war die letzten Tage sehr gut und sonnig, aber heute regnet es den ganzen Tag. Ich gehe jetzt arbeiten und melde mich später.
Ciao, Darko
Oh, wie süß! Da ist er ja! Wie kann man denn den ganzen Tag nicht auf sein Handy schauen? Schreibt ihm denn niemand außer mir? Ruft ihn niemand an? Was meint er mit 'er meldet sich später'? Wie? Zweimal am Tag? Vielleicht hat er sich geirrt ...
SMS 00:05, Darko schreibt
Wie hab ich denn geschaut, dass du so erschrocken bist? Das geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Also doch zwei Mal am Tag — hurra! Soll ich es ihm schreiben?
SMS 00:11, Ana schreibt
Du hast auf mein Dekolleté geschaut.
Keine Antwort. Ich hätte es wohl doch lieber bleiben lassen sollen. Warum bin ich nur so naiv und schreibe so ehrlich? Das ist ihm jetzt bestimmt unangenehm. Ich bin einfach aus der Übung ... Ana — was meinst du mit 'aus der Übung'? Was hast du denn vor? Halt die Klappe, du dämliche innere Stimme! Das geht dich gar nichts an!
Dienstag, 05. Juni
SMS 15:43, Darko schreibt
Was ist daran erschreckend, wenn ein Mann einer schönen Frau aufs Dekolleté schaut?
SMS 16:56, Ana schreibt
Das Gefühl, dass er sich nicht für sie interessiert, sondern nur für ihr Dekolleté.
War das jetzt gut? Klingt doch irgendwie schlagfertig, oder nicht? Aber er antwortet nicht ... Muss er immer so lange nachdenken, bevor ihm etwas dazu einfällt? Und wenn er sich doch nur für mein Dekolleté interessiert?
Mittwoch, 06. Juni
SMS 22:06, Darko schreibt
Hätte wirklich nicht gedacht, dass mein Blick auf deine Brüste dich so irritiert :-)
Kann er nicht von etwas anderem schreiben? Das ist soooo peinlich! ICH bin so peinlich! Hab ja schließlich damit angefangen.
SMS 23.:46, Ana schreibt
Ein unauffälliger Blick hätte gereicht. Bin noch auf einem Event, schreibe dir später.
So es reicht für heute, endlich Feierabend. Zu Hause schenke ich mir ein Glas Rotwein ein und schreibe Darko eine schöne Mail.
Mail 01:25, Ana schreibt
Hallo lieber Darko,
ich bin eben erst nach Hause gekommen. Heute Abend habe ich einen Vortrag über internationales Event-Management in einem Frauen-Business-Club gehalten. Irgendwann wurde ich mal dazu eingeladen und wie fast immer habe ich begeistert zugesagt, musste mich aber heute noch auf den letzten Drücker vorbereiten. Hab's geschafft, war ganz gut, und eine gute Werbung für meine Agentur ist es letztendlich auch.
Morgen habe ich einen wichtigen Präsentationstermin und bin schrecklich nervös. Vielleicht hätte ich den heutigen Vortrag absagen sollen, aber vielleicht war es auch besser, mich etwas abzulenken. Zu Hause hätte ich nur gegrübelt.
Jetzt widme ich mich mal den angenehmen Seiten des Lebens, zu denen du gehörst. Es gefällt mir, dass wir trotz 1.000 Kilometer Entfernung aneinander denken, obwohl wir doch nur wenige Stunden miteinander verbracht haben. Was das Dekolleté angeht, hast du nicht nur geschaut, sondern förmlich auf meine Brüste gestarrt. Aber hier bin ich ja in Sicherheit vor deinen Blicken und gestehe, dass du mir mit deinen SMS und Mails ein Lächeln ins Gesicht zauberst und mir ein gutes Gefühl schenkst.
Gute Nacht, Darko
Hoppla, der Wein hat scheinbar Wirkung gezeigt. Ganz schön mutig meine Mail ... zu spät, hab schon auf Senden gedrückt. Oh je, mal schauen, was er darauf antwortet ... Ich muss ins Bett, es ist schon sehr spät. Hoffentlich kann ich einschlafen. Die morgige Präsentation, bei der es um alles geht ... Darko ... Mein Leben steht irgendwie Kopf, ich muss schlafen. Morgen ist ein neuer Tag, alles wird gut.
Donnerstag, 07. Juni
Die Präsentation ist zumindest aus meiner Sicht super gelaufen, aber über die Einschätzung der Kunden kann ich natürlich nichts sagen. Es waren drei Männer und eine Frau — alle vier haben ein Pokerface aufgesetzt. Wie ich das hasse! Sie haben mir viele Fragen gestellt, die ich aus dem Stegreif beantworten konnte. Innerhalb von zehn Tagen werden sie eine Entscheidung treffen. Zehn lange Tage der Ungewissheit habe ich vor mir, aber Darko wird mich bestimmt gut ablenken. Heute gönne ich mir endlich mal einen freien Abend. Ich habe keine Lust, nach diesem aufregenden Tag alleine zu Hause zu sitzen und verabrede mich spontan mit meiner besten Freundin Klara. Wir treffen uns in einer Bar, bestellen uns ein Glas Champagner und ich erzähle ihr von meiner Präsentation, von meinem Wochenende in Dubrovnik und von meiner Begegnung mit Darko. SMS-Piep: Darko! Wenn man vom Teufel spricht ...
SMS 21:58, Darko schreibt
Heute schicke ich dir einen dicken Gutenacht-Kuss
Ich falle fast vom Barhocker. Jetzt geht er aber ganz schön ran! Ein dicker Gutenacht-Kuss von Darko ... ich darf gar nicht darüber nachdenken. Ich nippe an meinem Champagner und versuche mein hämmerndes Herz zu beruhigen. Wer weiß, wie er küsst? Einerseits wirkt er wie ein Seebär, groß mit kräftigen Armen, dichten, dunklen, zum Teil ergrauten Haaren. Er sieht gut aus, sehr mediterran, ein typischer Dalmatiner. Ja, die Region Dalmatien zieht sich über die kroatische Küste und ist bekannt für schöne Männer und Frauen. Nach seinem Äußeren zu urteilen müsste er ein leidenschaftlicher Küsser sein. Seine Stimme ist sehr männlich — dunkel und etwas rauchig. Würde also auch eher für den leidenschaftlichen Kuss stehen. Andererseits wirkt er manchmal sehr einfühlsam, fast schon melancholisch ... ein zärtlicher Kuss könnte auch zu ihm passen. Aber er schreibt ja, dass er mir einen 'dicken Kuss' schickt, also doch eher leidenschaftlich, oder? Ich möchte nach Hause, möchte alleine sein, möchte in mein Bett, möchte die Augen schließen und mir vorstellen wie es wäre, von Darko geküsst zu werden.
Ana! Stop! Bist du jetzt völlig durchgeknallt? Hast du vergessen, dass du verheiratet bist? Du bist doch kein Teenager mehr, du hast erwachsene Kinder! Ja, ja, ja ... ich weiß, aber ... was ist nur mit mir los? Liegt es an der beruflichen Krise? Ich führe doch eine gute Ehe, oder nicht? Ich liebe Victor, er ist mein Mann, der Vater meiner Kinder ... Natürlich ist nicht alles so verlaufen, wie ich es mir erträumt hatte ...
Ich war im vierten Semester meines Jura Studiums und Victor im achten, als wir uns auf einer Juristen-Party an der Uni kennenlernten. Er lehnte an der Bar und unterhielt sich mit einem Mädchen, als sich unsere Blicke zum ersten Mal trafen. Ich bewegte mich wie ferngesteuert auf Victor zu und holte mir ein Getränk an der Bar. Er sah umwerfend gut aus und hatte ein wunderschönes, freches Lächeln. Es funkte sofort zwischen uns. Wenige Minuten später hat er mich angesprochen und eine Stunde später lagen wir uns knutschend in den Armen. Unsere körperliche Anziehung war unbeschreiblich. Seit jenem Abend waren wir unzertrennlich und unsterblich ineinander verliebt. Wir hingen in jeder freien Minute aneinander, küssten uns und hatten Sex, Sex und Sex! Victor war nicht mein erster Liebhaber — ich hatte schon zwei Freunde vor ihm — aber mit ihm habe ich meinen ersten Orgasmus erlebt. Mit Victor lernte ich mich beim Sex fallen zu lassen, mit ihm empfand ich zum ersten Mal diese unbändige Lust und ungezügelte Leidenschaft. Wir waren so heiß aufeinander, dass ich ihm die Tatsache, dass ich ab und zu vergessen hatte die Pille zu nehmen, verschwieg, nur um nicht auf den Sex verzichten zu müssen. Ich dachte, es würde schon irgendwie gut gehen. — Das tat es nicht. Im November, wir waren gerade mal sieben Monate zusammen, blieb meine Periode aus. Den Gedanken an eine Schwangerschaft verdrängte ich genau so, wie die versiebte Einnahme der Pille. Anfang Dezember ergriff mich dann doch langsam die Panik. Ich begann flehende Gespräche mit meiner Gebärmutter zu führen, sie inbrünstig zu bitten, sich doch endlich zusammenzuziehen, doch leider wurde ich nicht erhört. Kurz vor Weihnachten nahm ich all meinen Mut zusammen und kaufte in der Apotheke einen Schwangerschaftstest. Das hellblaue Kreuz veränderte von einem Moment auf den anderen mein ganzes Leben: Ergebnis 'positiv'.
Victor war geschockt. Ich habe diese Szene noch genau vor Augen: Zuerst sah er mich ungläubig an, sagte kein Wort. Dann wandte er sich ab und fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare. Wie gerne hätte ich mich damals einfach in seine Arme geworfen und geweint, aber ich traute mich nicht. Ich fühlte mich schuldig. Als er sich mir, nach einer gefühlten Ewigkeit, mit ernster Miene endlich wieder zuwandte, war seine Reaktion ganz pragmatisch: Ana, ich liebe dich sehr, aber wir sind mitten im Studium und können uns jetzt kein Kind leisten. Geh zum Frauenarzt und lass noch einen Test machen — vielleicht ist das Ergebnis ja falsch. Und wenn nicht, dann finden wir eine andere Lösung. 'Eine andere Lösung' ... und die wäre? Ich weiß bis heute nicht, ob er sich bewusst war, wie sehr mich seine Worte verletzt hatten. Wie Pfeilspitzen mitten in die Brust. Es tat sehr weh.
Meine Eltern waren außer sich. Ich hatte nichts anderes erwartet. Für sie kam meine Schwangerschaft einer Katastrophe gleich. In ihren Augen hatte ich mein Leben verpfuscht. Meine ältere Schwester Katarina studierte Medizin und fragte mich in ihrer arroganten Art, wie man so blöd sein könne, aus einer Arztfamilie zu kommen und nichts über Verhütungsmittel zu wissen. Das Weihnachtsfest war im Eimer. An Heiligabend und am ersten Weihnachtsfeiertag war es besonders schlimm. Alle mieden das Thema und heuchelten, als sei alles in bester Ordnung, und doch lag die Anspannung in der Luft. Ab dem zweiten Weihnachtsfeiertag bröckelte die Fassade und meine Mutter lief immer öfter weinend durchs Haus und fragte sich im Selbstgespräch, was sie nur falsch gemacht hätte, womit sie das verdient hätte. Mein Vater sprach kaum ein Wort mit mir. Bis Neujahr wollte ich eine Entscheidung getroffen haben. Die meiste Zeit verbrachte ich alleine in meinem Zimmer und dachte nach. Victor war über Weihnachten mit seiner Familie nach Argentinien zu seinen Großeltern gereist und wir hatten bis auf einen kurzen Anruf keinen Kontakt. Meine beste Freundin Klara war ebenfalls mit ihrer Familie in den Skiurlaub gereist. Nur mein kleiner Bruder Marko kam ab und zu in mein Zimmer und tröstete mich, indem er mir Witze erzählte und versuchte, mich zum Lachen zu bringen. Alles in mir sträubte sich gegen eine Abtreibung. Warum sollte ich das Kind des Mannes, den ich über alles liebte, nicht behalten? Weil ich erst 21 Jahre alt war? Weil ich mein Studium noch nicht abgeschlossen hatte? Es gab doch Studentinnen, die schon Kinder hatten — wenn sie es schaffen, warum sollte ich es nicht schaffen? Wir lebten doch nicht im Mittelalter! Ich musste diese Entscheidung alleine fällen, was mir sehr schwer fiel. Würde ich ihn verlieren, wenn ich mich für das Kind entschied? Davor hatte ich die größte Angst. Ich liebte Victor so sehr, dass ich mir ein Leben ohne ihn kaum vorstellen konnte. Am zweiten Januar 1993 teilte ich meinen Eltern mit, dass ich das Baby behalten wollte. Schweren Herzens akzeptierten sie meine Entscheidung, bestanden jedoch auf geordnete Verhältnisse. Ein uneheliches Enkelkind kam für sie nicht infrage. Und das Studium durfte ich auch nicht abbrechen, denn schließlich kam ich aus einer Akademikerfamilie und hatte diese Tradition fortzusetzen, vor allem unter den fantastischen Bedingungen, die sie uns boten, die nicht vergleichbar waren mit den ihren — bla, bla, bla ... Sie bestanden auf ein Gespräch mit Victor. In scharfem Ton teilte mein Vater ihm unmissverständlich mit, dass meine Eltern von ihm erwarten, seine Verpflichtung mir und dem Baby gegenüber ernst zu nehmen. Sie setzten ihm die Pistole auf die Brust mich zu heiraten, und zwar möglichst schnell, damit die Tatsache, dass er mich vor der Ehe geschwängert habe, nicht sofort publik würde. Im Gegenzug erklärten sie sich bereit, uns in jeglicher Hinsicht zu unterstützen. Ich fühlte mich, als würde es sich um eine Verhandlung zur Zwangsehe handeln und versank vor Scham im Erdboden. Ich versuchte zu widersprechen, aber es war erfolglos ... Victor war schon 27 Jahre alt und ich war verwundert, dass er ruhig blieb. Er willigte ein, mich zu heiraten. Es war zwar kein romantischer Heiratsantrag, aber dennoch jubelte ich innerlich. Das hätte ich nicht einmal zu träumen gewagt. Mein Victor liebte mich, er wollte mich heiraten! Nach diesem Gespräch nahm Victor mich zum ersten Mal, seit ich ihm von meiner Schwangerschaft erzählt hatte, in die Arme und sagte, es würde hart werden, aber wir würden es schon schaffen. Ich war so glücklich, denn ich ahnte damals noch nicht, wie hart es tatsächlich werden würde ... Es stand noch das Gespräch mit Victors Eltern an. Victors Vater ist Argentinier, lebte jedoch wie meine Eltern, schon seit vielen Jahren in München, wo er eine deutsche Frau geheiratet hatte. Victors Eltern waren immer sehr freundlich zu mir gewesen, aber von meiner ungeplanten Schwangerschaft waren sie gar nicht begeistert. Ich spürte, dass sie mir die Schuld an der Situation gaben. Ihr Sohn sollte mal ein angesehener Anwalt werden und weder Frau noch Kind sollten ihn daran hindern. Im April haben wir dann in kleinem Rahmen standesamtlich geheiratet. Die große kirchliche Hochzeit wollten wir ein Jahr später, nach Victors erstem Staatsexamen, nachholen. Doch dazu ist es nicht gekommen ...
Was soll's, das ist alles Vergangenheit, ich lebe im Hier und Jetzt! Und 'jetzt' heißt, dass ich, auch wenn es falsch sein mag, immer an Darkos Kuss denken muss ...
SMS 01:06 , Ana schreibt
Ich kann nach deinem dicken Gutenacht-Kuss nicht einschlafen.
SMS 01:10, Darko schreibt
Ich habe schlaflose Nächte, seit ich dich in Dubrovnik wieder gesehen habe.
Er schläft auch noch nicht. Hat er etwa auf meine Nachricht gewartet? Er hat schlaflose Nächte, meinetwegen ... es ist alles so unglaublich! Was passiert da gerade mit uns? Oder interpretiere ich zu viel hinein?
Freitag, 08. Juni
SMS 13:58, Ana schreibt
Darko! Was machst du eigentlich mit mir? In Gedanken an dich bin ich eingeschlafen und in Gedanken an dich bin ich aufgewacht ...
Ana, du bist doch wohl nicht mehr zu retten! Wie konntest du so die Beherrschung verlieren und so eine SMS schreiben und auch noch absenden? Was ist nur los mit mir? Ich bin völlig durchgeknallt! Ich kann mich kaum noch auf meine Arbeit konzentrieren. Wie kann ich mich in meinem Alter noch so kindisch aufführen. Was muss Darko jetzt von mir denken?
Mail 17:53, Darko schreibt
Liebe Ana,
wie schön, dass du Zeit gefunden hast mir zu schreiben. Ich bin gerade von der Arbeit im Weinberg nach Hause gekommen. Morgen beginnt hier eine kleine Weinmesse, auf der ich meine Weine vorstellen werde. Das ist eine willkommene Abwechslung, denn bei mir ist eigentlich fast jeder Tag gleich — die gleiche Arbeit, die gleichen Menschen. Das Wetter ist nach wie vor sehr schön. Für Sonntag ist etwas Regen angesagt, aber ich hoffe, dass es sonnig bleibt, dann kommen vielleicht mehr Besucher auf die Messe.
Ich lese in deiner Mail, dass du auf der Arbeit sehr viel Stress hast. Kann es sein, dass du dir zu viel vorgenommen hast? Das ist doch kein Leben! Aber du bist ein schlaues Mädchen und wirst diesem Wahnsinn früher oder später ein Ende setzen. Sieh mal zu, dass du in den 24 Stunden, die ein Tag dir bietet, auch etwas Zeit für dich findest. Weißt du, wie man bei uns am Meer sagt? 'Das Glück liegt nicht im Geld allein.' Kommst du denn jemals zur Ruhe?
Ana, ich denke oft an dich. Ich weiß nicht, was mit mir geschieht, seit wir uns in Dubrovnik begegnet sind. Ich habe das Gefühl, dass wir seelenverwandt sind. Was sagst du dazu? Um ehrlich zu sein, ich denke ständig an dich und an die kurzen Momente, die wir gemeinsam verbracht haben. Unsere Begegnung war ein Volltreffer. Wie sagt man so schön? Da war ich wohl zur rechten Zeit am rechten Ort.
Ciao, dein Darko.
SMS 22:35, Darko schreibt
Ich hab dir eine Mail geschickt.
SMS 23:09, Ana schreibt
Ich weiß. Ich bin heute Abend auf einer Geburtstagsparty. Wenn ich nach Hause komme, werde ich sie in Ruhe lesen und dir etwas Schönes zurückschreiben.
Ich bin atemlos beim Lesen dieser Mail. Niemals hätte ich Darko zugetraut, dass er so schöne Briefe schreibt. Ich lese sie immer und immer wieder: Wir sind seelenverwandt ... ich denke ständig an die Momente, die wir gemeinsam verbracht haben ... unsere Begegnung war ein Volltreffer — ja, das war sie wohl wirklich! Am liebsten würde ich diese Mail ausdrucken und an die Wand hängen, um sie immer wieder und wieder zu lesen. Es ist halb vier Uhr morgens, aber ich muss ihm einfach sofort antworten. Bin ich so beflügelt oder liebestrunken? Benutzt man diesen Ausdruck überhaupt noch? 'Seine Email macht mich liebestrunken' — klingt ja irgendwie paradox, oder? Technik und Romantik, geht das überhaupt? Ist ja auch egal ...
Mail 04:15, Ana schreibt
Lieber Darko,
was ich dazu sage? Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Unsere Begegnung ist ja irgendwie vom Himmel gefallen, vielleicht weil wir offen durchs Leben gehen, vielleicht weil wir trotz vieler Probleme so viel miteinander gelacht haben — ich weiß es nicht ... Eine Erklärung habe ich auch nicht. Aber am allerschönsten finde ich, dass wir uns platonisch näher kommen, über das geschriebene Wort. Du verwirrst mich. Die Gefühle, die du in mir weckst, machen mir etwas Angst, machen mich aber auch glücklich. Ich finde es so romantisch. In diesen Dingen werde ich scheinbar bis in alle Ewigkeit ein 'Mädchen' bleiben. Aber jede Frau hat ja bekanntlich mehrere Facetten, das brauche ich dir erfahrenem Mann wohl nicht zu sagen.
Was meine Arbeit angeht ... was soll ich dazu sagen? Soweit ich zurückdenken kann, bin ich immer in Aktion gewesen. Ich kenne es gar nicht anders. Okay, ich gebe zu, dass ich mir ein paar hohe Ziele gesteckt habe, die ich unbedingt erreichen möchte. Andererseits empfinde ich es nicht immer so schlimm, wie es dir als Außenstehendem vorkommen mag, denn ich liebe meinen Beruf sehr und habe Spaß — das hat nicht nur mit Geld zu tun, sondern eher mit dem Wunsch die Gelegenheiten, die das Leben mir bietet zu nutzen, mich zu verwirklichen und mich frei und unabhängig zu fühlen. Aber keine Sorge, ich lasse es mir zwischendurch auch richtig gut gehen — bin in allem extrem :-) Leidenschaftliche Kroatin eben!
Ich sehe gerade, dass es schon nach 4:00 Uhr ist. Ich muss jetzt ins Bett und werde wohl auch diese Nacht mit Gedanken an dich einschlafen, mein lieber Darko.
Ich habe wieder drauflos geschrieben, ohne nachzudenken ... ob das wohl so gut ist? Was ist denn nun besser — authentisch und ehrlich oder weiblich-strategisch und mysteriös? Worauf stehen Männer mehr? Wir kennen uns doch kaum und ich plaudere einfach so drauf los. Vielleicht sollte ich mich etwas geheimnisvoller geben ...
Samstag, 09. Juni
SMS 20:54, Darko schreibt
Einer leidenschaftlichen Kroatin kann ich ja sagen, dass sie ein sehr schönes Dekolleté hat. ;-)
SMS 21:34, Ana schreibt
Darkooooo! Du denkst ja immer noch daran. Am Meer bist du doch rund um die Uhr umzingelt von halb nackten Frauen!
SMS 21:38, Darko schreibt
Deins ist aber besonders schön.
SMS 21:40, Ana schreibt
Was ist denn an meinem so besonders schön?
SMS 21:41, Darko schreibt
Siehst du, jetzt wirst du doch neugierig.
SMS 21:42, Ana schreibt
Los, ich will es jetzt wissen
SMS 21:44, Darko schreibt
Es erinnert mich an eine knusprige Brusketa.
SMS 21:48
An eine Brusketa? Du meinst Bruschetta, das italienische geröstete Brot mit Tomaten? Wie kommst du denn auf diese Idee?
SMS 21:50
Knusprig, saftig, süß, lecker. :-) Deine Brüste sind genau wie deine Seele, sie passen zu dir.
SMS 21:55
Was haben meine Brüste mit meiner Seele zu tun?
SMS 22:05
Für mich gehören sie zusammen.
SMS 22:10
Hast du etwas getrunken? Oh Gott, ich glaube du bist völlig durchgeknallt! Welch Fantasie! Ciao Darko, träum schön, ich muss jetzt weiterarbeiten.
Ich bin überfordert! Was will dieser Typ nun? Ich schreibe von Gefühlen und Romantik und er über meine Brüste ... So viel Aufhebens, weil er gerne Sex mit mir hätte? Meine Brüste sind wie meine Seele? Was weiß er schon über meine Seele! Meine Brüste scheint er sich dafür aber genau angesehen zu haben. Brusketa ... hahaha, typisch — die Kroaten schreiben alles nach Phonetik, so wie es gesprochen wird. Ich habe zuerst gar nicht verstanden, was er meinte, ich konnte die italienische Bruschetta in der kroatischen Brusketa nicht wiedererkennen ... und schon gar nicht in Verbindung mit meinen Brüsten. Eine Fantasie hat dieser Mann ...
SMS 01:11, Darko schreibt
Gute Nacht meine große Liebe
Er nennt MICH seine 'große Liebe'! Das ist wunderschön. Sei nicht so naiv Ana, die Südländer neigen zu Übertreibungen! Das ist mir egal, wozu jetzt jedes Wort analysieren? Es hört sich schön an, es macht mir gute Laune und ich fühle mich toll! Und Darko ist weit weg, somit kann mir gar nichts passieren ...
Sonntag, 10. Juni
SMS 11:07, Ana schreibt
Irgendwie erschleichst du dir in kleinen Schritten einen Platz in meinem Herzen ...
Bist du süß zu mir, bin ich noch viel süßer zu dir ... auch eine gute Strategie! Ich finde mich mutig — mal sehen, wie er darauf reagiert ...
Acht Stunden später und er hat auf so eine tolle SMS noch immer nicht geantwortet. Das kann ich einfach nicht glauben! Ich könnte das Handy direkt an die Wand klatschen! Da bin ich mal über meinen eigenen Schatten gesprungen, war einmal so richtig mutig, und dann ...
SMS 23:33, Darko schreibt
Ich habe gestern Abend nichts getrunken, Ana. Ich bekomme dich einfach nicht mehr aus meinem Kopf.
Zwölf Stunden später antwortet er mir! Ich werde nicht antworten. Ich schalte das Handy sicherheitshalber jetzt aus! Mich lässt man nicht so lange auf eine Antwort warten. Obwohl ... allein für diesen einen Satz hat sich das Warten schon gelohnt.
Montag, 11. Juni
Schreibe ich ihm nun, oder lass ich es? Ich hadere schon den ganzen Tag mit mir, kann an überhaupt nichts anderes mehr denken! Ich schreibe jetzt! Bestimmt kann ich mich danach besser auf die Arbeit konzentrieren. Wie war noch mal seine letzte SMS? Ach ja: 'Ich bekomme dich einfach nicht mehr aus meinem Kopf ... '
SMS 17:33, Ana schreibt
Mich oder die Brusketa?
Dümmer und plumper ging's wohl nicht! Warum denkst du nicht zuerst, bevor du schreibst? Warum hackst du einfach solch einen Müll in dein Smartphone? Diesen Namen dürfte dieses Gerät eigentlich nur tragen, wenn es smart genug wäre, eine Funktion zu bieten, die einen Alarm auslöst, wenn man Blödsinn schreibt. So wie es die Stimme gibt, die sagt: "Sagen Sie einen Befehl", müsste es eine Stimme geben, die sagt: "Diese Nachricht können Sie nicht versenden."
SMS 17:40, Darko schreibt
Was für eine Frage! Das gehört für mich natürlich zusammen. DU BIST meine Brusketina. Was soll's, so ist es nun einmal.
Ist ja gut. Ich weiß, dass die Frage blöd war ... habe ich mir sogar selber schon eingestanden! Ich betrachte mich als emanzipierte Frau, aber irgendetwas kann mit mir nicht stimmen, wenn ich 'du bist meine Brusketina' sooooo süß finde! Vielleicht sollte ich mal meinen Hormonspiegel prüfen lassen ...
SMS 17:45
Es ist doch ein Unterschied, ob dir eine Frau gefällt oder ihre Brüste.
SMS 17:52
Ich sagte, das gehört für mich zusammen. Mir gefällt alles an dir. Deine Brüste, dein Lachen einfach alles.
Es ist um mich geschehen. Wann habe ich das letzte Mal so schöne Komplimente gehört? Ich glaube, ich habe mich verliebt, was ziemlich schlimm wäre ...