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DIE AMERICAN
PROFESSIONAL FOOTBALL
ASSOCIATION
Um zu verstehen, was die Gründer der heutigen NFL vor etwa 100 Jahren angestoßen und auf den Weg gebracht haben, beginnt dieses Buch in der Gegenwart. Denn die Männer, die sich damals auf Initiative eines Mannes namens Ralph Hay (*1891, †1944) erstmals im Sommer 1919 in Ohio zusammensetzten, um so etwas wie eine professionelle Football-Liga ins Leben zu rufen, hätten wohl nicht mal in ihren kühnsten Träumen daran geglaubt, wie sich ihr Vorhaben entwickelt. Alle an diesem Tisch wollten Geld verdienen, das ist klar. Dass »ihre« NFL ein Jahrhundert später aber nicht mehr nur eine Sportliga ist, sondern eine Marke, ein global agierendes Wirtschaftsunternehmen, das jedes Jahr Milliarden umsetzt, nein, das war so nicht vorhersehbar. Aber genau das belegen die aktuellen Zahlen, die die Datenagentur Bloomberg Anfang 2019 veröffentlicht hat.
Der National Football League geht es heute so gut wie noch nie. Schon länger ist sie die mit Abstand reichste Sportliga der Welt. Aber die Einnahmen steigen seit Jahren kontinuierlich weiter. Und weiter. Und weiter. In der Saison 2018 lagen sie bei unglaublichen 15 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Im Jahr 2001 betrug der Umsatz 4,28 Milliarden. Die Geldquellen sprudeln. Auf unterschiedlichen Ebenen. Am meisten verdient die NFL mit ihrem Fernseh-Deal. Die TV-Sender CBS, NBC, Fox und ESPN überweisen aktuell fünf Milliarden Dollar pro Saison. Dieser Vertrag läuft 2021/22 aus. Danach wird neu verhandelt. Die NFL wird hier noch mehr Geld rausschlagen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche
Acht von zehn US-Amerikanern interessieren sich für Football, sechs von zehn bezeichnen sich selbst als Fans. Seit Jahrzehnten hat die NFL in ihren Stadien den höchsten Zuschauerschnitt aller Sportligen dieser Welt (2018 betrug er 67.042 pro Partie). Zwar waren die TV-Zuschauerzahlen bei landesweiten Übertragungen in den Spielzeiten 2016 und 2017 in den USA jeweils rückläufig. In der Saison 2018 stiegen die Einschaltquoten aber wieder an, im Schnitt auf 15,8 Millionen pro Spiel in der regulären Saison (also ohne Playoffs). 46 NFL-Spiele lagen unter den 50 meistgeschauten TV-Sendungen. Das liegt sicher auch daran, dass die Liga ihre Spiele wieder spektakulärer gemacht hat. Zumindest in der Offensive. 2018 neu eingeführte Regeln besagen, dass Quarterbacks nun nicht mehr so hart angegangen werden dürfen wie früher, sie genießen mehr Freiraum und sind dadurch produktiver. In der regulären Saison gab es 2018 insgesamt 1.371 Touchdowns zu bestaunen. So viele wie noch nie. Die insgesamt 11.952 erzielten Punkte sind der zweitbeste Wert aller Zeiten (Stand Sommer 2019), 2013 gab es 11.985. Zudem wurden 73 Spiele mit nur drei oder weniger Punkten Unterschied entschieden. Das ist ebenfalls Rekord.
Zulegen konnte die NFL erneut auch im Sponsoring. In der Saison 2018 wurden Einnahmen in Höhe von 1,32 Milliarden Dollar verzeichnet. Und selbst im Internet fließt das Geld. Das ist nicht selbstverständlich und liegt auch daran, dass digitale Trends bereits frühzeitig erkannt wurden. Im Vergleich zu anderen professionellen Sportligen war die NFL ein Vorreiter darin, ihre Spiele live auf ihren eigenen Kanälen im World Wide Web zu streamen. Schon 2008 wurde das Saisoneröffnungsspiel der New York Giants gegen die Washington Redskins (16:7) am 4. September live auf der Homepage (www.nfl.com) übertragen. Derzeit zahlt Amazon 50 Millionen Dollar im Jahr, um die Thursday-Night-Spiele im Netz zeigen zu dürfen. Die Abrufzahlen beziehungsweise Zugriffe entwickelten sich prächtig. In Zukunft wird die NFL auch hier deutlich mehr Geld pro Spielzeit verlangen können. Die Fans sind es gewohnt, für ihre Leidenschaft tief in die Tasche greifen zu müssen. Sei es beim Merchandising, bei den Eintrittskarten oder im Pay-TV.
Die NFL ist ein knallharter Verhandlungspartner, der auf den maximalen Profit aus ist. In der Zentrale an der Park Avenue in New York arbeiten aktuell mehrere Hundert Menschen. Darunter sind Top-manager, die laufend neue Ideen entwickeln, wie man mit der eigenen Marke immer noch mehr Geld verdienen kann. Darunter sind Verhandlungsspezialisten, die die besten Deals schnüren. Im Sinn der Liga natürlich. Darunter sind auch Topanwälte, die wasserdichte Verträge aufsetzen. Denn auch und vor allem beim Thema Markenrechtsverletzung kennt die NFL überhaupt keinen Spaß. Die Abmahnabteilung im Haus hat das ganze Jahr einen Haufen Arbeit. Aber die NFL ist auch ein sehr treuer und loyaler Partner. Mit vielen Firmen wird schon lange zusammengearbeitet. Teilweise seit Jahrzehnten.
Commissioner der NFL, also oberster Boss der Liga, ist derzeit Roger Goodell (*1959). Er ist seit 2006 im Amt und begann seine berufliche Laufbahn einst als Praktikant in dieser Liga. Im Jahr 2010 sprach Goodell das Ziel aus, bis 2027 rund 25 Milliarden Dollar einzunehmen. Bedeutet: In den kommenden Jahren müsste die NFL ein jährliches Wachstum von im Schnitt einer Milliarde Dollar hinbekommen. Das könnte klappen. Denn es winkt bereits eine neue Geldquelle. Der Supreme Court, das höchste US-Gericht, kippte im Mai 2018 das Verbot von Sportwetten. Seitdem ist in dieser Branche ein neuer Boom ausgebrochen. Waren Wetten bis dahin nur im Zockerparadies Nevada in vollem Maße zulässig, dürfen die US-Bundesstaaten nun eigene Gesetze zur Regelung von Sportwetten erlassen. Neben Nevada kann nun auch bereits in Delaware, Mississippi, New Jersey, New Mexico, Pennsylvania, Rhode Island und West Virginia Geld auf den Ausgang von Sportspielen gesetzt werden (Stand Frühjahr 2019). »Das Interesse an legalen, regulierten Sportwetten in den USA war noch nie so groß. Mehr Amerikaner als je zuvor werden in der Lage sein, Wetten mit legalen Anbietern zu tätigen«, freut sich Bill Miller, Präsident und Geschäftsführer der American Gaming Association. Die NFL jubelt mit ihm.
Die Liga versteht es schon lange, sich für geldkräftige Partner von Jahr zu Jahr wirtschaftlich attraktiver zu machen. Sie erkennt Trends schnell und setzt regelmäßig auch selber welche. Das eigentlich Unglaubliche dabei: Die NFL war von 1942 bis 2015 eine gemeinnützige, also eine Non-Profit-Organisation und musste demnach keine Steuern zahlen! Dafür betreibt sie viele Charityprojekte, also Wohltätigkeitsarbeit. Bereits 1973 wurde eine eigene Stiftung gegründet, die NFL Foundation. Sie unterstützt sozial benachteiligte Kinder. Auch die Topstars der Liga spenden regelmäßig Geld. Das kommt gut an bei den Amis. Denn eines ist der NFL besonders wichtig: ihr guter Ruf. Alles ist darauf ausgerichtet, die Liga stets im besten Licht dastehen zu lassen. Das gelingt nicht immer. Zum Glück! Trotzdem hört sich die NFL den Ärger ihrer Fans immer an. Das Feedback der eigenen Anhänger genießt höchste Priorität. Der Kunde ist halt König. Goodell formuliert regelmäßig offene Briefe, in denen er sich durchaus auch selbstkritisch äußert. Vor kurzem gab er öffentlich zu, dass auch er die vielen Werbeunterbrechungen während eines Spiels nicht mag – und gelobte Besserung. Im Mai 2019 verkündete die Liga dann, dass es während des Super Bowls 2020 weniger Werbepausen als in den vergangenen Jahren geben wird.
Was der NFL in die Karten spielt: Sie ist in ihrer Sportart ein Monopolist. Sie kann schalten und walten, wie sie will. Ernsthafte Konkurrenz gibt es aktuell nicht. Aber sie nutzt diese Freiheiten nicht, um noch mehr Kapital für sich rauszuschlagen. Natürlich könnte sie ihre Liga von derzeit 32 Teams auf zum Beispiel 36 erhöhen. Oder den Spielplan von 16 auf, sagen wir, 18 Partien in der regulären Saison aufblähen. Mehr Teams, mehr Spiele gleich mehr Gewinn. Aber so tickt die NFL nicht. Durch die kurze Saison ist die sportliche Bedeutung einzelner Spiele extrem hoch. Spannung immer vorhanden. Zum Vergleich: In den US-Konkurrenzligen NBA (Basketball) und NHL (Eishockey) gibt es erst mal 82 Spiele, bevor überhaupt die Meisterrunde startet. Und da gibt es nicht nur ein Finale, sondern bis zu sieben Endspiele.
Die NFL hat Tradition. Für viele ist sie sogar eine Religion. Ein Lebensgefühl, das über viele Generationen weitergegeben wurde. 100 Jahre hat die Liga nun schon auf dem Buckel. Das ist viel Zeit, um zu wachsen und zu einer Dynastie zu werden. Aber was war ihr Ursprung? Welche Steine musste sie aus dem Weg räumen? Was hat sie letztlich so erfolgreich gemacht? Begeben wir uns auf Spurensuche.
IN CANTON
GING ALLES LOS
Der Ort, an dem alles begann, ist die US-Kleinstadt Canton. Ein Fleckchen Erde rund 100 Kilometer südlich von Cleveland im Nordosten des Bundesstaates Ohio, das 1805 als Dorf gegründet wurde und heute knapp 70.000 Einwohner hat. Canton ist der Regierungssitz von Stark County. Einem Verwaltungsbezirk, in dem viele »Amish People« leben, eine stark religiöse Glaubensgemeinschaft mit christlichen Werten, von denen Anfang des 18. Jahrhunderts viele aus Deutschland und der Schweiz nach Amerika auswanderten. Seine beste Zeit hat die Stadt gefühlt hinter sich. Sie war im 20. Jahrhundert ein bedeutender Standort der Fertigungsindustrie von Eisenbahnschienen. Doch diesen Status hat sie längst verloren. Zu ihren berühmtesten Kindern zählt Gruselsänger Marilyn Manson, der hier im Jahr 1969 das Licht der Welt erblickte. Canton ist ein Ort, an den sich normalerweise nur wenige Touristen verirren würden … wäre da nicht die Möglichkeit, NFL-Luft einzuatmen. In Canton hat am 7. September 1963 die Pro Football Hall of Fame eröffnet, die Ruhmeshalle der Liga, in der verdiente Sportler, Trainer und Funktionäre nach ihrer Karriere geehrt und aufgenommen werden. Und in Canton stellte Ralph Hay im Sommer 1919 die Weichen für die NFL. Hay war bereits im jungen Alter ein umtriebiger Geschäftsmann. Nachdem er zunächst als Autoverkäufer arbeitete, beschloss er, selbst groß in den Autohandel einzusteigen, und eröffnete die Ralph E. Hay Motor Company. Im Jahr 1918, da war Hay gerade mal 27 Jahre alt, erwarb er die Canton Bulldogs, das damals beste American-Football-Team aus der Region. Die Bulldogs waren Seriensieger der inoffiziellen Ohio League.
American Football wird in den USA seit Mitte des 19. Jahrhunderts gespielt. Damals hatte die Sportart aber nur wenig Ähnlichkeit mit dem Spiel, wie wir es heute kennen. Sie war eher ein Mix aus Rugby und Fußball. Jede Mannschaft bestand aus 25 Spielern. Die erste dokumentierte Begegnung fand am 6. November 1869 in New Jersey zwischen den Universitäten von Rutgers und Princeton statt. Vor allem an Hochschulen wurde der Sport dann auch schnell populär. Teils bis zu 100.000 Zuschauer strömten schon damals in die Stadien, um die Duelle der besten College-Talente aus ihrer Region zu bestaunen. Die spielten gratis, im College Football ist es verboten, Geld für die Ausübung des Sports zu verdienen, auch heute noch. Bulldogs-Boss Hay hingegen bezahlte seine Akteure dafür, dass sie ihre Knochen hinhielten. Für ihn war Football aber ein Minusgeschäft. Er konnte seine Kosten nur mit dem Verkauf von Eintrittskarten für die Spiele wieder reinbekommen. Die kosteten damals üblicherweise einen Dollar. Aber es kamen zu wenig Zuschauer, um die Gehälter der Spieler zu decken. Die bekamen im Schnitt zwischen 50 und 100 Dollar pro Einsatz, »Stars« auch schon mal 250 Dollar. Viel Geld für einen netten Nebenverdienst. Denn Football-Profis gab es damals kaum. Die Teams bestanden größtenteils aus einfachen Fabrikarbeitern. Zudem gab es auch keine bindenden Verträge. Die Spieler wechselten permanent die Mannschaften. Immer dorthin, wo gerade das meiste Geld winkte.
Hay wusste, er musste was machen, um diese Zustände zu ändern. Also trommelte er im Sommer 1919 Vertreter der damals bekanntesten Football-Teams zusammen. Die kamen aber ausschließlich aus Ohio. Hier, im bevölkerungsreichen, präindustriellen Nordosten der USA, war die Sportart besonders beliebt. Genau wie in den benachbarten Bundesstaaten New York, Pennsylvania, Indiana und Illinois. Der restliche Teil Amerikas hatte mit Football noch wenig bis gar nichts am Hut. Das Treffen von Hay und seinen Mitstreitern aus Ohio verlief jedoch nahezu ergebnislos. Man einigte sich lediglich auf die einheitliche Bezahlung der Schiedsrichter. Trotzdem nimmt die NFL dieses »Zusammenstecken von Köpfen« als Anlass, um im Jahr 2019 ihren 100. Geburtstag feiern zu können.
Man hätte auch noch ein Jahr warten können. Denn Hay gab nicht auf und lud im Sommer 1920 erneut Entscheidungsträger von Football-Teams, die sich künftig professioneller aufstellen wollten, zu einem Treffen ein. Und diese Zusammenkunft brachte den erhofften Durchbruch: Am 20. August 1920 begrüßte Hay in seinem Büro in Canton Manager der Akron Pros, Cleveland Tigers und Dayton Triangles. Sie legten das Fundament für die American Professional Football Association (APFA). Hay wurde zu ihrem Generalsekretär gewählt. Das nächste Meeting berief er bereits einen Monat später ein. Für den 17. September 1920 wurden diesmal auch Vertreter entfernter liegender Teams eingeladen. Darunter George Halas (*1895, †1983), den Spielertrainer der Decatur Staleys (das sind die heutigen Chicago Bears). Am Ende saßen zehn Männer in der Runde. Weil Hays Büro plötzlich zu klein war, zog man in seinen Auto-Showroom um. Hier wurde die APFA endgültig in Stein gemeißelt. Erst zwei Jahre später, also 1922, wurde sie in National Football League umgetauft. Erst ab diesem Zeitpunkt, die Anzahl der Teams war mittlerweile von 14 auf 18 angestiegen, benutzte sie auch offiziell erstmals den Begriff»Liga«.
Zu den zehn Gründungsteams der APFA gehörten die Akron Pros (Meister in der Premieren-Saison 1920), die Canton Bulldogs, die Cleveland Tigers und die Dayton Triangles aus Ohio. Die Hammond Pros und die Muncie Flyers aus Indiana. Die Rochester Jeffersons aus New York. Sowie die Rock Island Independents, die Decatur Staleys und die Racine Cardinals (das sind die heutigen Arizona Cardinals) aus Illinois. Vier weitere, die Buffalo All-Americans, die Chicago Tigers, die Columbus Panhandles und die Detroit Heralds kamen im Verlauf des Jahres ebenfalls noch dazu. Hay wurde gebeten, Präsident der neuen Liga zu werden. Das lehnte er aber ab. Aus PR-Gründen machte er sich für Jim Thorpe (*1887, †1953) stark, dem zu dieser Zeit besten American-Football-Spieler des Landes. Mit ihm als Zugpferd sollte die Bekanntheit der APFA schnell gesteigert werden. Gutes Marketing spielte also auch schon damals eine große Rolle. Thorpe, ein Halbindianer, war ein Sportass. Bei den Olympischen Sommerspielen 1912 in Stockholm holte er Gold für die USA im Fünf- und Zehnkampf und machte auch im Baseball und Basketball eine gute Figur. Football spielte er ab 1915 bei den Canton Bulldogs. Er nahm das Angebot, Chef der American Professional Football Association zu werden, an. Blieb den Bulldogs aber als Spieler erhalten und übernahm gleichzeitig auch noch den Trainerjob des Teams.
Ein Ausnahmeathlet: Jim Thorpe
Zwar wurden seit 1920 erstmals Tabellen aufgelistet. Einen einheitlichen Spielplan gab es aber noch längst nicht. Es war nicht mal vorgeschrieben, wie viele Spiele die Teams mindestens beziehungsweise höchstens machen sollten. Die Meisterschaft wurde verwässert, weil viele APFA-Mannschaften auch weiter gegen Klubs antraten, die nicht in ihrer Liga organisiert waren. 1921 zog sich der bisherige Besitzer der Decatur Staleys aus wirtschaftlichen Gründen zurück. Spielertrainer George Halas und Dutch Sternaman (*1895, †1973), seines Zeichens Quarterback und Running Back des Teams, erwarben jeweils die Hälfte der Anteile an den Staleys und zogen mit der Mannschaft nach Chicago um. Dort wurden sie auf Anhieb Meister der APFA. Auch Thorpe wollte einen Tapetenwechsel. Er schmiss seine Jobs bei den Bulldogs und der Liga hin und schloss sich stattdessen als Spieler, Trainer und General Manager den neugegründeten Oorang Indians an. Eine ausschließlich aus Indianern bestehende Mannschaft aus dem Dörfchen La Rue in Ohio, die 1922 und 1923 in der NFL spielte. Sie wurde von Walter Lingo (*1890, †1966) ins Leben gerufen, einem Terrierzüchter, der seine Hundezwinger-Firma Oorang Dog Kennels bekannter machen wollte. Die Oorang Indians traten bis auf eine Ausnahme ausschließlich auswärts an. La Rue, das knapp 750 Einwohner hat, ist bis heute der kleinste Ort, der jemals ein NFL-Team beherbergte.
Neuer Ligapräsident wurde im April 1921 Joseph F. Carr (*1879, †1939), der Besitzer der Columbus Panhandles. Er verlegte die Zentrale aus Canton nach Columbus und leitete die Geschicke der Liga bis zu seinem Tod 18 Jahre lang. Carr gilt heute als Vater des professionellen Footballs. Er verpasste der Liga eine Satzung und festere Strukturen. Er ordnete an, dass die Teams ab sofort verbindliche Spielerlisten erstellen mussten, um den bis dato üblichen, pausenlosen Klubwechseln der Spieler Herr zu werden. Ab 1925 durfte keine Mannschaft aus mehr als 16 Spielern bestehen. Für die Meisterschaft swertung galten nur noch die Duelle mit den Ligakonkurrenten in der Zeit von Oktober bis Dezember. Er hob auch Einschränkungen für das Passspiel auf (siehe Kapitel #3). Zudem war Carr der Meinung, dass die Liga noch zu provinziell aufgestellt war. Er trieb vehement die Expansion in die Großstädte ganz Amerikas voran. Auch deshalb wurde die APFA am 24. Juni 1922 zur National Football League.
Im Jahr 1921 traten auch die Green Bay Packers der Liga bei. Sie wurden bereits 1919 von Curly Lambeau (*1898, †1965), der als Spielertrainer fungierte, gegründet. Lambeau arbeitete damals für die Indian Packing Corporation, die ihm 500 Dollar gab, um ein Football-Team auszustatten. Die Firma bestand im Gegenzug darauf, dass die Mannschaft nach ihr benannt wird. Nach anfänglichen Finanzproblemen schaffte es Lambeau mit Hilfe anderer Geschäft sleute, die Packers 1923 in eine gemeinnützige Organisation umzuwandeln. Die Mannschaft ist damit nicht Eigentum eines einzelnen Besitzers, sondern gehört mehr als 360.000 Aktionären (mehr dazu in Kapitel #11). Historisch sind die Packers nach den Arizona Cardinals und den Chicago Bears das drittälteste noch immer bestehende Mitglied der NFL. Da die Packers und Bears seit ihrem ersten Duell jedes Jahr aufeinandertreffen, besteht zwischen diesen beiden Teams die längste Rivalität in der Geschichte der Liga. Deshalb dürfen diese beiden Teams am 5. September 2019 zum Jubiläum auch die 100. NFL-Saison eröffnen. Green Bay ist mit 13 Meisterschaften (neun Titel vor und vier Titel in der Super-Bowl-Ära) der Seriensieger der Liga. Den letzten Triumph gab es in der Saison 2010. Doch dazu – und auch zu Lambeau – später mehr.
Ralph Hay, dessen Tatkraft die NFL überhaupt erst ins Rollen brachte, verabschiedete sich unterdessen aus dem Football-Geschäft. Er verkaufte die Canton Bulldogs vor der Saison 1923, obwohl sie in der Spielzeit zuvor ungeschlagen Meister wurden. Es hatte aber nichts daran geändert, dass Hay für sein Team weiterhin mehr Geld ausgab als einnahm. Davon hatte er nun die Nase voll. 1927 stellten die Canton Bulldogs ihren Spielbetrieb endgültig ein.
GRANGE UND NAGURSKI:
DIE ERSTEN STARS
Neues Aushängeschild der NFL wurde ab 1925 Harold Grange (*1903, †1991). Eine Naturgewalt. Und zwar in der Offensive und der Defensive. Es war nämlich lange üblich, dass Football-Spieler nicht nur eine, sondern gleich mehrere Positionen ausfüllten. Für viele Experten gilt er bis heute als der beste College-Spieler aller Zeiten. Genannt wurde er »Red« und »The Galloping Ghost« (»Der galoppierende Geist«). Halas holte Grange nach Chicago. Die Staleys hießen seit 1922 Bears. Das erste Spiel für sein neues Team, ein tristes 0:0 im »Derby« gegen die Chicago Cardinals, sahen 36.000 Zuschauer im Wrigley Field. Das war zur damaligen Zeit ein neuer Besucherrekord für die NFL. Grange war an den Zuschauereinnahmen beteiligt. Beim Auswärtsspiel der Bears im Dezember 1925 bei den New York Giants, die damals ihre Debütsaison feierten, kamen sogar doppelt so viele Menschen ins Stadion. Das rettete die Giants vor dem finanziellen Ruin. Sie waren eines von fünf Teams, die damals neu in die NFL kamen. Während die Detroit Panthers, die Providence Steam Roller, die Pottsville Maroons und die wiederbelebten Canton Bulldogs (sie waren 1924 die Cleveland Bulldogs) aber nicht lange überlebten, gibt es die Giants bis heute. Gegründet wurden sie von Tim Mara (*1887, †1959), der als selbstständiger Buchmacher für Wetten bereits in jungen Jahren vermögend wurde. Um ein NFL-Team in New York aufbauen zu dürfen, zahlte er 500 Dollar. Auch heute ist dieses Franchise noch in der Hand der Mara-Familie.
George Halas, Gründer, Trainer und Besitzer der Chicago Bears im Jahr 1922
Zurück zu Grange. Der Hype um ihn war riesig. Deshalb ging Halas mit seinen Bears nach Ende der Saison 1925 noch auf Tour, tingelte mit dem »Galloping Ghost« am Nasenring durch die Football-Manegen der USA. Diese Reisen mit acht Spielen in zwölf Tagen in St. Louis, Philadelphia, New York, Washington, Boston, Pittsburgh, Detroit und Chicago – kurz darauf folgte dann auch noch ein weiterer Neunspiele-Trip in den Westen und Süden der USA – war anstrengend und bot sportlich daher nicht das beste Niveau. Aber die Stadien waren voll und so war der Trip zumindest finanziell ein großer Erfolg. Für Halas, die Bears – und Grange. Dessen Manager, Charles Pyle (*1882, †1932), wurde in den Folgemonaten aber immer geldgieriger und bekam den Hals nicht voll. Was zur Folge hatte, dass Grange die Bears nach nur einer Saison wieder verließ. Er kehrte zwar 1929 zu ihnen zurück, konnte aber wegen einer mittlerweile erlittenen, schweren Knieverletzung nie wieder an seine besten Zeiten anknüpfen.
Die NFL und die Bears hatten da schon längst eine neue Attraktion: Bronko Nagurski (*1908, †1990), Spitzname: »Monster of the Midway« (»Monster der Mitte«). Der Sohn ukrainischer Einwanderer war auf beiden Seiten des Football-Feldes gefürchtet, er ging sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung kompromisslos zur Sache und war kaum zu stoppen. Für die Bears rollte er ab 1930 wie eine Dampfwalze über den Rasen. Mit seinen über 100 Kilo purer Kraft bei 1,88 Meter Körpergröße war er der erste Prototyp der heutigen Running-Back-Generation. Nagurski war auch Zeitzeuge des ersten inoffiziellen »Playoff-Spiels« in der Geschichte der NFL. Am Ende der Saison 1932 lagen die Bears und die Portsmouth Spartans (die heutigen Detroit Lions) nämlich gleichauf an der Tabellenspitze. Um den Meister zu küren, wurde ein zusätzliches Spiel im Chicago Stadium, eine 1929 eröffnete Halle, in der sonst das Eishockey-Team Chicago Blackhawks aus der NHL spielte, vereinbart. Draußen war ein Kickoffunmöglich, weil ein Schneesturm über der Stadt herrschte. Chicago gewann mit 9:0. Nach einem Zwei-Yard-Pass von Bronko Nagurski in die Endzone sorgte Harold Grange für den entscheidenden Touchdown. Für die Bears war es der zweite Titel nach 1921.
Weil den Ligafunktionären und den Zuschauern dieses erste »Alles oder nichts«-Spiel so gut gefiel, beschloss man, ab der Spielzeit 1933 die NFL in zwei Divisionen aufzuteilen, deren jeweilige Sieger am Saisonende in einem Endspiel gegeneinander antraten. Die Vorläuferidee des Super Bowl war geboren. Die NFL East bestand damals aus den New York Giants, Brooklyn Dodgers, Boston Redskins, Philadelphia Eagles und Pittsburgh Pirates. Die NFL West aus den Chicago Bears, Portsmouth Spartans, Green Bay Packers, Cincinnati Reds und Chicago Cardinals. Im ersten »richtigen« Finale triumphierten erneut die Bears, sie bezwangen die Giants vor eigener Kulisse mit 23:21.
Finanziell lukrativ war Profifootball in den USA aber weiterhin nicht. Viele Teams nagten am Hungertuch und standen am Rande ihrer Existenz. Durch die Weltwirtschaft skrise im Laufe der 1920er Jahre, gepaart mit dem Börsencrash 1929 an der New Yorker Wall Street, magerte die NFL immer mehr ab. In nur sechs Jahren reduzierte sich die Anzahl ihrer Teams rasant, von 22 im Jahr 1926 bis runter auf acht im Jahr 1932. Ligaboss Carr hatte in der Zwischenzeit klar Schiff gemacht und die finanziell in Not geratenen Mannschaften rausbefördert. Ihm war Qualität wichtiger als Quantität. Und er wollte Spannung. Das Positive daran: Die verbliebenen Mannschaften standen wirtschaftlich auf festem Fundament. Und Carr hatte ein Auge darauf, dass nur noch Teams neu hinzukamen, die seriös haushalteten. Er konnte nun auch seinen Plan, die NFL vorwiegend in US-Großstädten zu etablieren, konkretisieren. Auf einem Ligameeting vor der Saison 1933 wurde beschlossen, drei neue Franchises aufzunehmen: die Pittsburgh Pirates, die Philadelphia Eagles und die Cincinnati Reds. Letztere wurden 1934 wieder rausgeworfen, weil sie ihre Mitgliedsbeiträge nicht bezahlen konnten. Aber die Pirates, die 1940 in Pittsburgh Steelers umbenannt wurden, und die Eagles gibt es bis heute.
Bronko Nagurski war auch als Wrestler aktiv.
In Pittsburgh war Art Rooney (*1901, †1988), auch »The Chief« (»Der Chef«) genannt, der starke Mann. Ein talentierter Boxer und Baseball-Spieler, der einen niedrigen vierstelligen Betrag auf den Tisch legte, um ein NFL-Team gründen zu dürfen. Während die Steelers lange erfolglos in der Liga vor sich hindümpelten, entwickelten sie sich ab den 1970er Jahren prächtig und fuhren sechs Super-Bowl-Siege ein. Das Besondere: Seit 1969 bis heute hatten in Pittsburgh nur drei Head Coaches das Sagen (mehr dazu in Kapitel #3). Eine gute Freundschaft pflegte Art Rooney zu Bert Bell (*1895, †1959). Auch der blätterte – gemeinsam mit Lud Wray (*1894, †1967), dem ersten Head Coach der Boston Braves (das sind die heutigen Washington Redskins) – ein paar Tausend Dollar hin, damit seine Philadelphia Eagles die Starterlaubnis für die NFL bekamen. Wray wurde zum ersten Cheftrainer des Franchises, flog aber schon 1935 wegen Erfolglosigkeit wieder raus. Den Posten übernahm nun Bell, der sich aber auch weiter ums operative Geschäft kümmerte und aufgrund der schlechten sportlichen Situation bis Ende dieses Jahrzehnts mit massiven finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Genau wie Rooney. Daher heckten die beiden Kumpels etwas aus, was als »Pennsylvania Polka« in die NFL-Geschichtsbücher einging. In den Jahren 1940 und 1941 entwickelten sich zwischen den Eagles und den Steelers wilde Tauschgeschäfte, von denen sowohl die Spieler beider Teams als auch die Städte Philadelphia und Pittsburgh betroffen waren. Mittendrin war mit Alexis Thompson (*1914, †1954), ein weiterer Geschäftsmann. Höhepunkt des ganzen Durcheinanders: In der Saison 1943 schlossen sich die Steelers und die Eagles zu den »Steagles« zusammen. Hintergrund war der Spielermangel in der Liga aufgrund des Zweiten Weltkriegs.
Nach dem Ende des Kriegs fand Bell eine neue Herausforderung. Er wurde zum NFL-Boss gewählt (siehe Kapitel #2). Die Eagles wurden 1949 von Thompson an die Happy Hundred verkauft. Eine Investorengruppe, von denen ein LKW-Magnat namens James Clark die meisten Teamanteile besaß. Heute sind solche Eigentümergruppen laut NFL-Satzung verboten (siehe Kapitel #11). Philadelphia konnte 1948, 1949 und 1960 den NFL-Titel gewinnen. In der Saison 2017 auch erstmals den Super Bowl. Seit 1994 ist dieses Franchise im Besitz von Jeffrey Lurie (*1951), einem Kinoketten-Erben, der zuvor unter anderem auch schon großes Interesse am Kauf der New England Patriots hatte. Aus der Historie heraus gehört das Kräftemessen zwischen den Eagles und den New York Giants zu den ältesten Teamrivalitäten der NFL. Die lautstarken und oft über die Stränge schlagenden Fans der Eagles sind ligaweit am gefürchtetsten. Das ergab eine Umfrage von »Sports Illustrated« im Jahr 2011 unter 321 NFL-Spielern. Im Lincoln-Financial-Field-Stadion wird auch schon mal der Weihnachtsmann mit Schneebällen beworfen. Eli Manning (*1981), Quarterback von Eagles-Erzrivale New York Giants, sagte im März 2019 bei »Newsday«: »Ein Neunjähriger auf der Tribüne hat mir seine beiden Mittelfinger gezeigt und was über meine Mutter gesagt. Ich musste seine Worte erst mal googlen. Ja, da herrscht eine andere Kultur.«
ERSTMALS LIVE-
BERICHTERSTATTUNG IM RADIO
Zurück in die 1930er Jahre. 1934 erhielt ein Team den Namen, den es auch heute noch trägt. Die Rede ist von den Detroit Lions. Sie entstanden 1929 als Portsmouth Spartans, die ab 1930 in der Liga mitmischten. Portsmouth war damals die kleinste Stadt mit einem NFLTeam. Die Spartans mussten raus aus der Einöde, um wirtschaftlich zu überleben. Diese Aufgabe übernahm George Richards (*1889, †1951), Besitzer einer Radiostation in Detroit. Er machte die Spartans zu den Lions und hauchte ihnen in »Motor City« neues Leben ein. Gleich in ihrer Premierensaison durften die Lions an Thanksgiving mitwirken. Diese NFL-Spiele am amerikanischen Erntedankfest-Feiertag (immer am vierten Donnerstag im November) hatten schon damals Tradition. Sie wurden 1934 eingeführt und sorgten stets für mediale Aufmerksamkeit. Dass George Richards ein lokaler Radiosender gehörte, erleichterte den Start seines neuen Teams in Detroit natürlich zusätzlich. Er nutzte seine Kontakte und tütete einen Deal mit der National Broadcasting Company (NBC) ein, einem US-Hörfunk- und Fernseh-Netzwerk. Schon Tage vorm Kickoff wurde die Werbetrommel gerührt. Ergebnis: Das Stadion war ausverkauft und das Thanksgiving-Duell der Lions gegen die Chicago Bears am 29. November 1934 war das erste NFL-Spiel überhaupt, das landesweit im Radio übertragen wurde. Für die NBC am Mikro saß Graham McNamee (*1888, †1942), damals Amerikas bekannteste Stimme. Die Bears gewannen diese Partie 19:16. Die Lions genießen seit 1945 bis heute das Recht, jedes Jahr an Thanksgiving ein Heimspiel zu haben.
Den NFL-Auftakt in Detroit kann man getrost als Erfolg bezeichnen. 1935 gewannen die Lions die Meisterschaft. 1952, 1953 und 1957 folgten weitere Titel. Absoluter Führungsspieler war damals Joe Schmidt (*1932), ein knallharter Linebacker, der insgesamt 13 Jahre für die Lions aktiv war und von 1967 bis 1972 auch den Posten des Head Coaches übernahm. Trainer in den »Goldenen Fünfzigern« war Buddy Parker (*1913, †1982). Der ehemalige Running Back, der mit den Lions 1935 schon als Spieler Meister wurde, coachte das Team zu den Titeln 1952 und 1953. Übungsleiter beim Triumph 1957 war George Wilson (*1914, †1978). Das ist bis heute der letzte Titel, den die Lions einfahren konnten. Ihre Fans warten nun schon seit über 60 Jahren auf einen neuerlichen Erfolg. Und das, obwohl sie von 2007 bis 2015 mit Calvin Johnson (*1985) einen der besten Wide Receiver aller Zeiten in ihren Reihen hatten. »Megatron«, so Johnsons Spitzname, fing in der regulären Saison 2012 Pässe für insgesamt 1.964 Yards. Das ist bis heute ein NFL-Rekord.
Gab es zu Beginn der NFL noch einige schwarze Spieler und Funktionäre, wurden diese Anfang der 1930er Jahre zunehmend ausgeschlossen. Die Teambesitzer trafen die geheime Abmachung, keine Afroamerikaner mehr anzustellen. Zwischen 1933 und 1946 waren Weiße unter sich. Das änderte sich langsam erst wieder nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Washington Redskins waren das letzte NFL-Team, das auch wieder schwarze Spieler verpflichtete. Da war schon das Jahr 1962 angebrochen … Teambesitzer der Redskins war George Preston Marshall (*1896, †1969), ein Rassist. Er nahm Afroamerikaner erst dann, und auch nur widerwillig, wieder auf, als ihm der US-Kongress mit drakonischen Strafen drohte, falls er es nicht machen würde.
Marshall gründete 1932 das NFL-Team Boston Braves, das er nur ein Jahr später in Boston Redskins umbenannte. 1937 zog dieses Franchise dann nach Washington um. Gleich im ersten Jahr feierte das Team in seiner neuen Heimat – angeführt vom legendären Quarterback Sammy Baugh (*1914, †2008), der als einer der Ersten den Pass im Angriffsspiel etablierte – die Ligameisterschaft. Genau wie 1942. Danach versanken die Redskins fast 30 Jahre lang ins sportliche Niemandsland. Für Schlagzeilen sorgte nur noch ihr Besitzer. Marshall, der von seinem Vater eine große Wäschereikette geerbt und bei den Redskins bis zu seinem Tod insgesamt 37 Jahre das Sagen hatte, galt als sehr eigenwilliger Charakter. Auf der einen Seite haben seine Ideen dazu beigetragen, dass die NFL ihren Zuschauern auch abseits des Spielgeschehens immer mehr Unterhaltung bot (unter anderem mit der Einführung von »Marching Bands« und einer eigenen Teamhymne). Auch das Spiel an sich wurde dank seiner Vorschläge spektakulärer und punktereicher (zum Beispiel mit der Einführung einer neuen Vorwärtspass-Regelung). Auf der anderen Seite schloss Marshall Schwarze aus und intrigierte ligaweit gegen Personen, die nicht seiner Meinung waren. Erfolgreich wurden die Redskins erst wieder unter Head Coach Joe Gibbs (*1940). Der wirkte von 1981 bis 1992 in Washington und führte das Team zu drei Endspieltriumphen (siehe Kapitel #3).
Im 1936 feierte eine Idee von Bert Bell ihre Premiere: der Draft. Hier suchen sich die Teams nacheinander die besten College-Talente aus und besitzen dann das exklusive Recht, mit ihren Favoriten zu verhandeln. Um für Ausgeglichenheit zu sorgen, darf in umgekehrter Reihenfolge zuerst die schlechteste Mannschaft der Vorsaison auswählen. Danach die zweitschlechteste. Und so weiter und so weiter. Erst ganz am Ende ist der aktuelle Meister dran (mehr dazu in Kapitel #7). Die Einführung des Drafts war ein für das finanzielle Gefüge der NFL überlebenswichtiger Schritt, um extrem steigende Spielergehälter zu vermeiden.
Im Folgejahr 1937 kam eine weitere Mannschaft in die NFL, die wir auch heute noch kennen: die Rams. Was zu diesem damaligen Zeitpunkt noch niemand wusste: Sie wird das einzige Franchise in der Geschichte der NFL sein, das den Meisterpokal in drei unterschiedliche Städte holt. 1945 nach Cleveland, 1951 nach Los Angeles und 1999 nach St. Louis. Ursprünglich gegründet wurden die Rams 1936 in Cleveland gemeinsam von Homer Marshman (*1898, †1989), einem Anwalt, und von Damon Wetzel (*1910, †1985), einem Spielertrainer. Die beiden gaben 1941 aber bereits wieder resigniert auf und verkauften die Rams an Dan Reeves (*1912, †1971) weiter, dem Erben einer Lebensmittelhandelskette. Nach einer Spielpause 1943 wurden die Rams zwei Jahre später der erste NFLMeister nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Angeführt von Quarterback-Neuzugang Bob Waterfield (*1920, †1983), der für seine millimetergenauen Pässe berühmt wurde und gleichzeitig auch ein exzellenter Kicker war. Waterfield machte die NFL zugleich in der Unterhaltungsindustrie bekannt. Von 1943 bis 1968 war er mit der Hollywood-Schauspielerin Jane Russell (*1921, †2011) verheiratet, die unter anderem im Filmklassiker »Blondinen bevorzugt« neben Marilyn Monroe spielte. Die Trikotnummer 7, die Waterfield damals trug, wird bei den Rams nicht mehr vergeben.
1946 beschritt Klubbesitzer Reeves völlig neue Wege. Als Abwehrreaktion auf die Konkurrenzliga AAFC (mehr dazu in Kapitel #2) verpflanzte er seine Rams nach Los Angeles und machte sie damit zum ersten NFL-Team an der Westküste der USA. Ein riskanter Plan, der rückblickend aber aufging und der Liga eine neue Tragweite verlieh. Die Rams waren zu dieser Zeit auch das erste Franchise, das begann, wieder afroamerikanische Spieler zu verpflichten. Als Heimstätte wählten sie das riesige LA Memorial Coliseum mit einer Kapazität von 103.000 Plätzen. Es musste schneller Erfolg her, um Profifootball in dieser US-Metropole endgültig zu etablieren. Und den gab es. Dank der besten Offensive der Liga mit einem Quarterback-Duo, bestehend aus Waterfield und dem 1949 neu verpflichteten Norm Van Brocklin (*1926, †1983). Zwischen 1949 und 1955 erreichten die Rams viermal das Finale, gewannen aber lediglich 1951. Van Brocklin, Spitzname »The Dutchman« (»Der Holländer«), hält bis heute den Rekord für die meisten geworfenen Yards in einem Spiel (554). Die Rams waren auch die erste NFL-Mannschaft, die ihre Helme mit ihrem Logo, dem Gehörn eines Widders, verzierten. Running Back Fred Gehrke (*1918, †2002) hatte im Jahr 1948 die Idee dazu. Das kam bei den Fans so gut an, dass bald alle Teams nachzogen.
Nachdem Waterfield und Van Brocklin das Team verließen, war es mit der großen Herrlichkeit in den kommenden Jahren aber erst mal vorbei. Zwar erreichten die Rams zwischen 1967 und 1989 wieder regelmäßig die Meisterrunde und gewannen von 1973 bis 1979 immer ihre Division, aber ins Endspiel zogen sie in dieser Zeit nur einmal ein. Und das verloren sie in der Saison 1979 gegen die Pittsburgh Steelers (19:31). Zudem wurde die Konkurrenz in der eigenen Stadt immer größer. Mit den Meisterschaftstriumphen des Basketballklubs Los Angeles Lakers und des Baseballteams Los Angeles Dodgers sowie dem starken Medieninteresse an Eishockeystar Wayne Gretzky (*1961), der für die Los Angeles Kings spielte, nahm die Popularität der Rams in den 1980ern stark ab.
Es folgte ein weiterer Umzug. Diesmal ging es 1995 nach St. Louis im US-Bundesstaat Missouri. Diese Stadt hatte ihr NFL-Team 1988 an Arizona verloren (mehr dazu in Kapitel #4). Reeves war 1971 verstorben, die Rams waren zu dieser Zeit in den Händen von Georgia Frontiere (*1927, †2008), der Witwe von Carroll Rosenbloom (*1907; †1979), der die Rams 1972 übernahm, nachdem ihm zuvor bereits die Baltimore Colts gehörten (siehe Kapitel #2). Und auch sie hatte Glück, dass das Team in der neuen Heimat schnell in die Erfolgsspur kam. In der Saison 1999 gewannen die St. Louis Rams den Super Bowl. Bekannt waren sie damals als »Greatest Show on Turf« (Die größte Show auf Rasen). Das schnelle, aggressive Angriffsspiel überragte ligaweit alles. Nach einem weiteren Einzug in den Super Bowl der Saison 2001, der aber gegen die New England Patriots verloren ging (17:20), schlug wieder der »Rams-Fluch« zu. Man versank zurück im sportlichen Mittelmaß. Als sich 2008 Milliardär Stan Kroenke (*1947) die Rams krallte (siehe auch Kapitel #11), war ihr Schicksal erneut besiegelt. Der machte von Anfang keinen Hehl daraus, das Franchise zurück nach Los Angeles beordern zu wollen. Seit 2016 ist das Team tatsächlich zurück an der Pazifikküste. Und wieder ist der Start gelungen. In der Saison 2018 führte der Weg der Rams erneut bis in den Super Bowl, in dem man jedoch den Kürzeren zog. Wieder gegen die Patriots (3:13).
Weit vorn waren die Rams auch bei der TV-Präsenz. Weil ihr spektakulärer Offensiv-Football Mitte des letzten Jahrhunderts für beste Unterhaltung sorgte, wurden sie 1950 das erste Profifootball-Team, dessen Saisonspiele allesamt live im Fernsehen gezeigt wurden. Die erste TV-Live-Übertragung eines NFL-Spiels gab es hingegen bereits 1939. Das war damals ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Entwicklung der Liga. Und der Beginn einer großen Liebschaft zwischen ihr und dem Fernsehen. Am 22. Oktober 1939 übertrug NBC das Duell der Brooklyn Dodgers und der Philadelphia Eagles in ganzer Länge in der New Yorker Metropol-Region. Das fanden zunächst nicht alle NFL-Funktionäre gut. Sie hatten Vorbehalte. Warum sollten die Menschen denn jetzt noch ins Stadion gehen und auch noch Eintritt dafür bezahlen, wenn sie die Partie doch genauso gut umsonst gemütlich auf dem eigenen Sofa schauen können? Das Absurde an dieser Diskussion: Zu dieser Zeit besaßen in New York gerade mal etwa tausend Menschen überhaupt einen Fernseher …
Ligaboss Joseph Carr bekam dieses historische Ereignis nicht mehr mit. Er verstarb im Mai 1939, nachdem er erst drei Monate zuvor einstimmig für weitere zehn Jahre in seinem Amt wiedergewählt wurde. Er erlitt einen Herzinfarkt. Als sein Nachfolger wurde Carl Storck (*1892, †1950) bestimmt. Der gehörte neben Ralph Hay, George Halas & Co. als Besitzer der Dayton Triangles zu den Mitgründern der NFL. Aus den Triangles wurden 1930 die Brooklyn Dodgers. Storck erlebte, wie mit dem Spiel der Green Bay Packers gegen die New York Giants am 10. Dezember 1939 erstmals die 1-Million-Zuschauermarke während einer NFL-Saison geknackt wurde und wie die Chicago Bears am 8. Dezember 1940 die Washington Redskins im Saisonendspiel mit 73:0 vom Platz fegten. Das ist bis heute der höchste Sieg in der NFL. Im Amt bleiben durfte Storck aber nur bis Anfang 1941. In diesem Jahr entschieden die Teambesitzer, den Posten des Liga-Geschäftsführers künftig als NFL Commissioner zu bezeichnen. Diesen neugeschaffenen Posten sollte Elmer Francis Layden (*1903, †1973) bekleiden. Storck war erbost, fühlte sich ungerecht behandelt und wollte seinen Platz nicht freiwillig räumen. Wenige Wochen später tat er das dann aber doch. Layden übernahm den Laden bis 1946. Er verlegte die NFL-Zentrale aus Oklahoma nach Chicago.
Im Jahr 1941 gab’s eine weitere Neuerung. Weil die Packers und Bears in dieser Saison die NFL West mit jeweils zehn Siegen und einer Niederlage anführten, musste ermittelt werden, welches dieser Teams ins Finale einziehen darf. Das war die Geburtsstunde des ersten Divisional-Playoff-Spiels. Die Bears behielten am 14. Dezember mit 33:14 die Oberhand und gewannen eine Woche später auch das Finale gegen die New York Giants (37:9). In der Folge litt die NFL unter den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs. Nach dem Angriff der Japaner 1941 auf Pearl Harbor steckte auch die USA tief mit drin. Im Jahr 1943 war fast die Hälfte aller damaligen NFL-Akteure in die Armee berufen worden. Die Anzahl der Teams und der Saisonspiele sank rapide. Trotzdem beschloss die NFL-Zentrale noch neue, wichtige Regeln. Darunter die einheitliche Einführung eines Spielplans mit jeweils zehn Partien für jede Mannschaft – und die Helmpflicht. Das Tragen eines Kopfschutzes war bis dahin im NFL-Football nämlich noch nicht vorgeschrieben.