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Kapitel 1
ОглавлениеIch öffnete die Augen, als die Feldwebelstimme von Schwester Benice mich aus meinem Traum riss. Schwer atmend, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir, sprang ich aus dem Bett. Schweißperlen standen mir auf der Stirn, obwohl es kühl im Zimmer war. Wie immer, wenn ich diesen Traum hatte, fühlte ich mich danach seltsam fremd und zerrissen ... dieser verdammte Traum! Er verfolgte mich und ließ mir einfach keine Ruhe ...
Ich konnte hören, dass Schwester Benice die Mädchen aus ihren Zimmern scheuchte. „Los, ... aufstehen ... nicht Trödeln, wer zu spät kommt, fährt ohne Frühstück nach London.“
Ich beeilte mich, in meine Sachen zu schlüpfen, weil ich keine Lust auf die vorwurfsvollen Blicke von Benice hatte. Ich war unter ihrer Obhut aufgewachsen und nach meinem Studium als Lehrerin in das Klosterinternat zurückgekehrt. Das hatte zwar den Vorteil, dass ich schnell eine Anstellung gefunden hatte – doch es hatte auch den Nachteil, dass die älteren Schwestern mich noch immer als ihr Mündel sahen und mich auch so behandelten.
Als ich kurze Zeit später die Tür meines Zimmers hinter mir schloss, konnte ich sehen, dass Sarah noch immer nicht wach war. Alle Mädchen liefen eilig über den Flur, doch ihre Tür war noch immer geschlossen. Sie hatte jetzt schon das dritte Mal diese Woche verschlafen. Wenn Benice das erfuhr, wäre der Ausflug nach London für Sarah gestrichen. Ich ging zu ihrer Tür und klopfte.
„Eine Minute noch … verflucht ...“, antwortete Sarah genervt.
„Sarah … du sollst nicht fluchen. Wenn Schwester Benice dich hört, bekommst du Ärger.“
„Ach, du bist es, Lauren. Komm rein … ich dachte, es wäre einer der Pinguine.“
Ich schlüpfte ins Zimmer. Sarah drückte sich das Kopfkissen auf ihr Gesicht. Das frühe Aufstehen fiel ihr schwer.
Schwester Benices runder Kopf mit dem dunklen Schleier erschien plötzlich in der Tür. Sie war streng und unfreundlich, doch im Gegensatz zu Schwester Eugenie, die bei den Mädchen als hinterhältig und boshaft galt, harmlos. „Sarah, mach schon … sonst bleibst du hier“, polterte sie ungehalten. „Und ich erzähle der Äbtissin, dass du schon dreimal in dieser Woche verschlafen hast.“
Sarah sprang aus dem Bett, und Benice nickte zufrieden. „Wenn ich dich in fünfzehn Minuten nicht im Refektorium sehe, gibt es für dich keinen Ausflug nach London.“ Sie warf mir einen tadelnden Blick zu. „Sie sollten ein wenig mehr Distanz zu den Mädchen halten, Lauren. Sie sind keine Schülerin mehr.“ Dann war sie verschwunden.
„Diese Kuh!“ Ein paar derbe Flüche murmelnd, suchte Sarah ihre Sachen zusammen. „Warum lassen uns die Schleierschwitzer nicht wenigstens ab und zu ausschlafen? Nicht einen einzigen Tag ... noch nicht einmal sonntags!“ Sie redete sich in Rage, und ich ließ sie. Immerhin wurde Sarah so endlich wach. Sie war fast achtzehn und konnte den Tag nicht erwarten, an dem sie das Internat endlich verlassen konnte. Ihre Eltern hatten Sarah vor gut einem Jahr hier abgeliefert – sie kamen mit ihr nicht mehr klar, weil Sarah ihnen zu rebellisch war. Seltsamerweise hatten Sarah und ich ab dem ersten Tag einen Draht zueinander gehabt. Sie war respektlos, dreist, rauchte heimlich und trank Alkohol, wenn sich ihr eine Gelegenheit dazu bot. Kurz gesagt … Sarah war so, wie ich in ihrem Alter gerne gewesen wäre. Aber die Erziehung, die ich von frühester Kindheit im Kloster erhalten hatte, war schwer abzulegen. Meine Studienzeit hatte mich zwar das ein oder andere ausprobieren lassen … doch so unbekümmert wie Sarah würde ich nie werden.
„Wenn ich achtzehn werde, bin ich weg. Ehrlich … Lauren … ich kann nicht verstehen, warum du nach deinem Studium zurückgekommen bist. Hier bist du doch lebendig begraben! Du hättest nach London gehen können und dir einen oder mehrere hübsche Lover suchen ...“
Ich ging zum einzigen Fenster des Zimmers, während Sarah sich anzog. Die Fenster im Mädchenwohnheim stammten mindestens aus den 1970er Jahren und waren undicht, sodass sich Kondenswasser auf der Scheibe bildete, wenn es regnete. So war es auch heute. Mit dem Finger malte ich die Silhouette eines Vogels an die beschlagene Scheibe. Wäre es doch so einfach gewesen. Wie gerne wäre ich meinen Träumen oder dem Internat entkommen. Aber mir fehlte einfach der Mut. Ich sah hinauf in den trüben Himmel. Es war Anfang August, doch der Sommer war verregnet.
„Wenn du weiter vor dich hinträumst, wirst du nie hier raus kommen. Dann haben dich die frommen Schwestern bald genauso weit wie Anne. Du trittst ihrem Orden bei und verrottest als Eiserne Jungfrau.“
Ich musste lachen. „Wie kommst du darauf, dass ich noch Jungfrau bin?“
Gespielt entsetzt riss Sarah die Augen auf. „Etwa nicht? Oh Gott … lass das ja nicht die frommen Schwestern wissen. Wer war es? Der pickelige Paul? Sonst gibt es doch hier keine Männer.“
Sarah zog mich gern auf. Meine alte Zimmergenossin, Anne, hatte sich tatsächlich im letzten Jahr dazu entschlossen, Nonne zu werden, obwohl sie nie gläubig gewesen war. Aber so etwas passierte gar nicht so selten. Wenn man zu lange in dieser abgeschlossenen Welt lebte, fürchtete man, in der richtigen Welt nicht mehr zurechtzukommen. Dann blieb man einfach und ergab sich in sein Schicksal.
Während Sarah in die gehasste Internatstracht schlüpfte – blickdichte Strumpfhosen, ein überknielanger Rock, Wollpulli und flache Schuhe ... alles in Dunkelblau gehalten, band ich mir mein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. „Paul … um Himmels Willen. Im Studium hatte ich einen Freund … Phil ...“
Sarah trat hinter mich, mit ihrer eigenen Lockenmähne kämpfend. „Du hast es gut mit deinem Haar und deiner Schneewittchenhaut.“ Sie nahm eine Strähne meines Haar und hielt sie gegen das Licht. Dann ließ sie die kastanienbraune Strähne durch ihre Finger gleiten. „Einen Stich Rot ... allein dafür hätten dich die guten Schwestern und der Bischof von London früher als Hexe gehenkt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“ Sie seufzte, während sie ihr krauses Blondhaar gegen meine leuchtende Strähne hielt. „Wenn wir wenigstens Make-up benutzen dürften. Ich sehe aus, wie ausgekotzt!“
„Stimmt doch gar nicht. Blondes Haar ist beliebt bei Männern, rotes Haar nicht.“
„Hm, meinst du?“ Sarah klang etwas versöhnlicher, und ich beeilte mich, zu nicken. Sarahs respektloses Gerede war ihre Art, gegen die Erziehungsmaßnahmen der Schwestern zu rebellieren. Eigentlich war sie viel zu jung, um mit ihr befreundet zu sein – aber das hatte weder sie noch mich je gestört. Vor den Schwestern und im Klassenzimmer mussten wir Lehrerin und Schülerin sein. Das war nicht immer einfach. Aber bisher hatte es ganz gut funktioniert.
Als Sarah fertig angezogen war, machten wir schnell ihr Bett, räumten ihr Zimmer auf, und liefen dann über den Flur des Wohnheims Richtung Kreuzgang, wo der mittelalterliche Klostertrakt begann. Niemand begegnete uns, die anderen Mädchen saßen längst beim Frühstück.
Auf dem Kosterhof gingen wir langsamer. Hier verbrachten wir gerne Zeit - vor allem jetzt, wo der Hibiskus und die alten englischen Duftrosen blühten. Vor allem ich liebte den Klosterhof und hatte nicht wenig Anteil daran, dass er sich im Laufe der letzten Jahre vom schmucklosen Hof in einen blühenden Garten verwandelt hatte. Immer wenn die Äbtissin sich darüber beschwerte, dass der Garten zu unzweckmäßig für ein Kloster sei, konterte ich mit dem Argument, dass der Garten Eden ja schließlich auch nur schön und nutzlos gewesen sei. Meist schwieg die Äbtissin dann verärgert, betrachtete den Garten aber andächtig. Jeder neue Rosenstrauch, den ich pflanzte, gab der Diskussion über den angeblich nutzlosen Garten neuen Zunder. Doch hier setzte ich mich seltsamerweise immer durch. Ich war stolz auf meinen kleinen Paradiesgarten.
Sarah hatte an diesem Morgen weder einen Blick für die Rosen noch für die Hibiskussträucher übrig. „Bin ich froh, wenn ich endlich volljährig bin.“ Sie zog die Lippen kraus und sah mich mit einem ihrer typischen Ich versteh dich einfach nicht-Blicke an. „Was hält dich eigentlich hier? Doch nicht der Garten?“
„Ich weiß nicht ...“ gab ich ihr ausweichend zur Antwort. Ich ärgerte mich selbst über meine Unentschlossenheit. Eigentlich wäre ich lieber heute als morgen gegangen und hätte mir in London einen Job gesucht. Ich besaß überdurchschnittlich gute Qualifikationen. Da ich ein Überflieger in der Schule gewesen war, hatte der Bischof einem Lehramtsstudium zugestimmt – natürlich mit dem Hintergedanken, dass ich nach meinem Studium im Internat unterrichten würde. So weit so gut – doch in der letzten Zeit versuchte mich die Äbtissin zu überreden, die Gelübde abzulegen. Das wäre ein Grund mehr gewesen, mich endlich nach etwas anderem umzusehen. Ich ertappte mich immer wieder bei der Ausrede, dass ich einfach warten würde, bis Sarah das Internat verließ.
Die Wahrheit war, dass ich eben kaum etwas anderes kannte, als das hier. Meine Eltern waren gestorben, als ich noch ein Baby gewesen war. Es war ein Unglück gewesen. Ein Feuerwehrmann hatte mich als Einzige aus dem brennenden Haus gerettet; ich hatte als Einzige das Flammeninferno überlebt … sogar ohne große Verbrennungen. Das Wunder meiner Rettung war sogar durch alle Londoner Zeitungen gegangen – Familie stirbt bei Hausbrand – sechs Monate altes Baby überlebt! Ein münzgroßes Feuermal über dem Bauchnabel war das Einzige, was mich an das Unglück meiner frühen Kindheit erinnerte.
Als Kind hatte ich mir manchmal gewünscht, ich wäre mit meiner Familie gestorben. Es war schwer gewesen, in dem Wissen aufzuwachsen, dass es außerhalb dieser Klostermauern niemanden gab, zu dem ich gehörte oder der auf mich wartete. Ich war so allein auf der Welt, wie man nur sein konnte. Als ich dann Phil während des Studiums traf, hatte ich gedacht, dass mein Leben sich ändern könnte … dass ich nicht mehr alleine sein müsste … leider hatte die Sache zwischen Phil und mir nicht funktioniert.
Das war der eigentliche Grund, weshalb ich noch hier war ... hier gab es die Nonnen, auch wenn ich sie nicht als Familie bezeichnet hätte. Doch sie gaben mir Sicherheit ... vor allem, seit diese Träume mich verfolgten, über die ich mit niemandem reden konnte … noch nicht einmal mit Sarah! Es war immer der gleiche Traum. Ich stand nackt an einem Fluss, orientierungslos, überall um mich herum war Wasser. Dann tauchte ein Mann auf; und ich wollte ihn so sehr, wie ich noch keinen gewollt hatte!
Er war groß, fast ein Riese, mit ungewöhnlich dunklen Augen und einem männlichen Gesicht … und er trug hüftlanges Haar! Welcher Mann trug sein Haar hüftlang? Ich hatte noch nie eine Vorliebe für Männer mit langen Haaren – warum also träumte ich ständig von einem?
Eigentlich geschah dann immer das Gleiche. Er packte mich – wir fielen zusammen auf den harten Boden. Er beugte sich über mich, ich schlang meine Schenkel um seine Hüften … und dann hörte ich seine Stimme nah an meinem Ohr … sanft und verlockend. „Willst du mich, Lauren?“ Immer stand seine verlockende Stimme im Gegensatz zu dem Unbehagen, das mir dieser Mann bereitete.
Doch obwohl dieser Fremde mir Angst machte, antwortete ich immer mit „Ja!“ Und dann wachte ich auf ...
Ich hatte gehofft, die Träume würden irgendwann verschwinden, aber in der letzten Zeit träumte ich immer öfter von diesem fremden Mann ...
Wir waren am Refektorium angekommen. Es gab eine winzige, wenn auch unrealistische Chance, dass Sarah Schwester Eugenie entkam, wenn sie möglichst unauffällig zu ihrem Platz ging. „Ich versuche, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken“, schlug ich vor.
Wir betraten den Speisesaal. Dreihundert Mädchen in dunkelblauer Tracht saßen leise flüsternd beim Frühstück. Schwester Eugenie war nirgendwo zu sehen. Das ließ mich hoffen.
„Oh nein ...“, stöhnte Sarah, als Schwester Eugenie plötzlich direkt auf uns zukam. Sie war so hager, wie Schwester Benice rund war. Sie musterte zuerst Sarah, dann mich. „Etwas spät, oder Miss Brown?“
Sarah senkte den Blick. Ich wollte mich für sie einsetzen, doch Sarah kniff mir in den Arm. Also sagte ich nichts. Doch anstatt sich auf Sarah zu stürzen, wandte Schwester Eugenie sich an mich. „Lauren … die Äbtissin wünscht Sie noch zu sprechen, bevor wir nach London aufbrechen.“
Mir stieg ein Klos in den Hals. Ich konnte mir gut vorstellen, was die Äbtissin wollte … Haben Sie über meinen Vorschlag nachgedacht? Wäre es nicht das Beste für Sie, wenn sie die Gelübde ablegen?
„Ich gehe gleich zu ihr … vielen Dank, Schwester“, antwortete ich. Eugenie nickte und ging zurück zu den anderen Schwestern.
„Du hast mich gerettet … auch wenn die Rettung auf deine Kosten geht“, gab Sarah seufzend zu. Wir verabschiedeten uns – sie ging zu ihrem Platz und ich machte mich auf den Weg zur Äbtissin. Es wäre besser, den unangenehmen Besuch so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.
Lustlos lief ich den Kreuzgang der Klosteranlage zurück bis zum Ende, wo sich die neuen Anbauten der Abtei anschlossen – das Mädchenhaus, die Dusch- und Toilettenräume, die Wirtschaftsräume und das Büro der Äbtissin. Auf halben Weg blieb ich vor einer Fensterscheibe stehen und prüfte mein Spiegelbild. Ordnung war das Credo der alten Heuschrecke … ich steckte eine herausgefallene Haarsträhne zurück in meinen Pferdeschwanz und strich den Stoff meines Rockes und meiner Bluse glatt.
Dabei vermied ich den Blick in mein Gesicht. Es kam mir in letzter Zeit immer fremder vor. Wer war ich eigentlich? Ich war mir selbst ein Rätsel.
Vor dem Büro der Äbtissin musste ich warten. Ich zuckte zusammen, als die schwere Eichenholztür sich mit einem lauten Knarren öffnete. Ein Mädchen warf mir einen gequälten Blick zu und ging dann mit gesenktem Kopf davon. Ein Besuch beim Hausdrachen war immer unangenehm.
Ich betrat das Büro und wappnete mich innerlich. An der Wand hinter der Äbtissin hing eine Figur des heiligen St. Michael, jenes Erzengels, welcher der Schutzheiligen des Klosters, Luzia angeblich als Kind erschienen war. Eine Figur von Luzia stand auf einem Tisch an der Wand, davor eine brennende Kerze. Heute war der Tag der Heiligen Luzia, deshalb auch der Ausflug in die Westminster Abbey.
„Setz dich, Lauren.“
Ich setzte mich auf den eierschalfarbenen Kunststoffstuhl, der vor dem Schreibtisch stand. Er war unbequem, und ich argwöhnte nicht zum ersten Mal, dass dies beabsichtigt war.
Die Äbtissin wirkte alterslos in ihrem Habit und hätte vierzig oder auch sechzig Jahre alt sein können. „Du bist eine gute Lehrerin, Lauren. Die Mädchen mögen dich, und es gibt keine Beschwerden … nun ja, außer, dass du zu einem der Mädchen … Sarah … eine zu persönliche Beziehung aufgebaut hast. Freundschaften zwischen dem Lehrpersonal und den Schülerinnen sind nicht gern gesehen. Allerdings wird Miss Brown uns im nächsten Jahr verlassen, wenn sie volljährig wird, deshalb sehe ich darüber hinweg.“ Als kenne sie meine Personalakte nicht in und auswendig, zog die Äbtissin eine graue Pappkladde aus der Schublade und schlug sie auf. „Du hast dein Studium mit sehr guter Abschlussnote abgelegt, und du warst auch bei uns immer eine herausragende Schülerin.“ Sie faltete die Hände.
Ich rutschte unruhig auf dem Plastikstuhl herum, schlug meine Beine über, und stellte sie dann schnell wieder geschlossen nebeneinander. „Vielen Dank.“
Ihr Lächeln machte mich nervös. „Aber du musst verstehen, dass meine Möglichkeiten als Äbtissin dieses Ordens begrenzt sind. Der Bischof möchte, dass wir Lehrkräfte beschäftigen, die den Schleier tragen. Ich kenne dich fast seit deiner Geburt, Lauren. Wenn es nach mir geht, steht dir die Stelle hier natürlich auch ohne Gelübde offen. Aber vielleicht ist dies der Weg, den Gott sich für dich wünscht … die Prüfung, die du bestehen sollst ...“ Sie warf einen Blick auf die Figur des Erzengels Michael, der sein Schwert in die Höhe reckte. „Die Engel wachen über diejenigen, die sich ihnen zuwenden, Lauren. Alle anderen sind verloren.“ Sie stand auf und kam um den Schreibtisch herum auf mich zu.
Jetzt wurde das Gespräch richtig unangenehm. Die Äbtissin glitt manchmal in einen Zustand, den die Schülerinnen als vollkommen bescheuert, und die Ordensschwestern als heiligen Wahnsinn bezeichneten. Sie musterte mich mit einem solch fremden Blick, dass mir ein Schauder über den Rücken lief. Ihre Stimme nahm einen beschwörenden Klang an. „Du musst beten, Lauren ... du musst den heiligen Michael um Beistand anflehen … weil du noch viel mehr gefährdet bis als jedes andere Mädchen hier, den Pfad der Engel zu verlassen.“
Wenn überhaupt jemand gefährdet ist, irgendeinen Pfad zu verlassen, dann Sarah ... protestierte ich innerlich, hütete mich jedoch davor, ihr zu widersprechen. „Ich brauche noch etwas Zeit.“
Die Äbtissin seufzte und kehrte hinter ihren Schreibtisch zurück. „Nutze die heutige Beichte in London, um dich von deinen Sünden reinzuwaschen ... und wenn du zurückkehrst, dann wirst du mir sagen, wie du dich entschieden hast.“
Ich spürte, dass ich rot wurde. Die alte Krähe versuchte tatsächlich, mich zu erpressen! Warum gehst du nicht einfach? Sieh es doch als Zeichen … Aber mir war klar, dass mir der Mut dazu fehlte … Und genau darauf setzte auch die Äbtissin. Sie wollte unbedingt, dass ich den Schleier nahm.
Als ich das Büro verließ, war mein Innerstes in Aufruhr. Was sollte ich jetzt tun? Ich hatte genau einen Tag Zeit, mich zu entscheiden.