Читать книгу Knight Angel - Alexa Kim - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеAls ich kurze Zeit später in den Bus stieg, winkte Sarah mich heran. „Ich habe einen Platz für Sie freigehalten, Miss Lauren“, rief sie mir zu, obwohl die Schülerinnen ahnten, dass wir uns duzten, wenn sie nicht dabei waren.
Als Sarah meine bedrückte Stimmung bemerkte, runzelte sie die Stirn und flüsterte: „Was ist? Hat dir die Heilige Helga mit ihren Frömmeleien den Tag verhagelt?“ Sie ließ mich zum Fensterplatz durchrutschen.
Ich fühlte mich mindestens so alt und kraftlos wie der Bus, in dem ich saß. Der hatte auch schon bessere Zeiten gesehen – und zwar 1953, dem Jahr seiner Erstzulassung. Sarah rüttelte mich am Arm. „Hallo? Erde an Lauren … was wollte die Äbtissin von dir?“
„Sie will mich zwingen, Nonne zu werden ... heute Abend muss ich mich entscheiden, sonst kann ich mir eine andere Arbeitsstelle suchen.“
Sarah klatschte in die Hände. „Na, ist doch klasse! Dann kommst du endlich hier raus.“ Im nächsten Augenblick fiel ihr ein, dass sie in diesem Falle allein zurückbleiben würde. Sie wurde ruhig, wich aber nicht von ihrer Meinung ab. „Ist wirklich das Beste so. Du kommst ganz bestimmt klar … und ich muss nur noch ein Jahr durchhalten, dann komme ich auch hier raus.“
Der Motor des Busses sprang hustend an. Der Auspuff stieß eine Abgaswolke aus, die Schwester Benice, die hinter dem Bus stand, einhüllte. Schwester Eugenie und meine ehemalige Zimmergenossin Anne, die mittlerweile Schwester Katherine hieß, stiegen als letzte in den Bus. Die jährliche Beichte zum Gedenktag der Heiligen Luzia war ein beliebtes Ereignis unter den Schülerinnen, auch wenn sich keine von ihnen für die Beichte oder die Heilige Luzia interessierte. Doch der Tag bot Abwechslung und die Möglichkeit, nach dem Pflichtprogramm ein Eis zu essen oder ein paar Dinge in London einzukaufen.
Natürlich vertraute die Äbtissin diesen Ausflug in den Sündenpfuhl der Versuchungen nur Schwestern an, die darauf achteten, dass die Mädchen möglichst wenig mit weltlichen Dingen in Berührung kamen; und es wurden auch nur die ältesten Mädchen zur Jahresbeichte in die Westminister Abbey gebracht. Die Schwestern waren der Ansicht, dass die jüngeren Mädchen noch nicht die Masse von Sünden anhäufen konnten, wie es die Älteren taten. Warum ich in diesem Jahr mitfahren durfte, war mir ein Rätsel. Vielleicht war das wieder so ein Sündending … scheinbar glaubte die Äbtissin ja, dass ich besonders anfällig für Sünden jeder Art wäre und deshalb die Beichte besonders nötig hätte.
Der Bus knatterte über den Schotterweg zur Hauptstraße und rumpelte dann auf die Straße. Am Steuer saß Paul, der Sohn des Lieferanten. Er war ein paar Jahre älter als ich, hatte Pickel und rostrote Kraushaare. Außerdem war er verschlossen und interessierte sich für Insekten. Die Schülerinnen und besonders Sarah machten sich oft über ihn lustig. Sie nannten ihn Frankenstein oder Norman Bates.
Sarah stieß mich an. „Wir könnten doch einfach die Gelegenheit nutzen und abhauen.“
Ich sah sie mit hochgezogener Braue an. „Sie würden dich suchen und zurück bringen lassen.“
Sarah verdrehte die Augen. „Du bist anstrengend vernünftig, weißt du das?“
Ich zuckte die Schultern und starrte aus dem Fenster. Ja, leider ...
Nach zwei Stunden Fahrt hielt Paul mit knallendem Auspuff vor der Westminister Abbey und ließ uns aussteigen, bevor er einen Parkplatz für seine Antiquität suchte. Es war immer peinlich, wenn wir mit dem Bus irgendwo auftauchten … die Menschen sahen uns dann an, als kämen wir von einem anderen Stern. Na ja … irgendwie stimmte das ja auch.
„Nicht trödeln, wir gehen alle zusammen zum Westportal!“ Schwester Eugenie wedelte mit den Armen, während Schwester Katherine sich darin versuchte, ihre Strenge nachzuahmen. Ich bildete den Schluss und achtete darauf, dass keines der Mädchen zurückblieb.
„Nicht trödeln, Margret, da drüben gibt es für dich nichts zu sehen.“
Margret lächelte dem blonden Typen auf den Inlinern, der sie angrinste, heimlich weiter zu. Es war ein Phänomen, dass die Mädchen überall, wo sie auftauchten, trotz ihrer dunkelblauen Tracht von Jungs oder auch von Männern angestarrt wurden. Sarah hatte dafür ihre eigene Erklärung. „Wahrscheinlich halten sie uns für heilige Jungfrauen. Welcher Mann würde nicht gern eine heilige Jungfrau aufs Kreuz legen?“
Auf der Straße fuhr ein roter Doppeldeckerbus mit Touristen vorbei, eine Frau führte ihre Hunde aus - einen Corgi und einen Pekinesen. Eine Gruppe junger Frauen schlenderte vorbei. Die Mädchen trugen kurze Röcke und trendige Handtaschen ... eine von ihnen hielt ein Smartphone an ihr Ohr. So wie diese Mädchen wäre ich vielleicht auch geworden, wenn ...
Plötzlich setzte mein Herz aus, und mein Puls begann zu rasen. Von einem Augenblick auf den anderen hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
An einem Baum, vor der Westminster Abbey, lehnte ein Mann und beobachtete mich.
Er wäre mir vielleicht gar nicht aufgefallen, doch seine ganze Erscheinung war nicht zu übersehen. Er selbst wurde von allen Seiten angestarrt – vor allem von den Frauen. Doch er schenkte ihnen keinen einzigen Blick ... stattdessen starrte er mich an. War das ein Witz? Ich sah mich um, ob irgendwo hinter mir ein Supermodel stand.
Ohne darüber nachzudenken, blieb ich stehen und starrte zurück. Er trug schwarze Sachen – Jeans, ein Hemd … nichts Ungewöhnliches … aber er fiel auf … seine Größe, seine Attraktivität, sein Körperbau … ein Typ wie aus einem Hollywoodstreifen. Warum beobachtete er mich? In mir schrillten alle Alarmglocken, obwohl ich nicht wusste, warum. Durch meinen Körper gingen Hitzewellen, mir wurde schwindelig. Bleib ruhig … er ist doch nur ein Mann … Ich hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Irgendetwas löste der Anblick dieses Fremden bei mir aus … etwas, das ich nicht kannte und das mir Angst machte.
Plötzlich setzte er sich in Bewegung und kam auf mich zu. Er war sich seiner Wirkung auf mich durchaus bewusst.
Eine alte Frau blieb stehen und sprach mich an. „Geht es ihnen nicht gut, Miss?“ Ihre Stimme klang, als wäre sie in Watte gepackt.
„Danke, es ist alles in Ordnung“, antwortete ich. Ich musste fort von hier ... warum, wusste ich selbst nicht wirklich. Der Fremde brachte mich vollkommen aus dem Gleichgewicht. Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass ich allein war. Sarah, Eugenie und die anderen waren längst in der Westminster Abbey.
Ich ließ die alte Frau stehen und lief los. Verdattert sah sie mir nach. Ich sah mich nicht um und blieb erst im Säulengang der Kathedrale stehen, der mit Touristen und Besuchern vollgestopft war. Der Tag der Heiligen Luzia lockte jedes Jahr Pilger und Gläubige in die Kathedralen und Kirchen in und um London herum. Nervös sah ich mich nach Sarah und den anderen um. Doch es war einfach zu voll.
Was, wenn der Fremde mir folgte? Und warum fragst du ihn nicht einfach, was er von dir will? Mein Gott, ich war doch erwachsen und hatte keine Angst vor Männern! Ich benahm mich, wie ein Beutetier auf der Flucht.
Unentschlossen sah ich mich um, konnte jedoch meinen Verfolger nirgendwo ausmachen. Zweifelnd betrachtete ich die Beichtstühle. Ich brauchte jetzt sofort jemanden, der mir zuhörte, ohne mich für verrückt zu erklären. Ein Beichtvater war bestimmt eine gute Wahl, denn im Zweifelsfall wäre er an das Beichtgeheimnis gebunden und müsste alles, was ich ihm anvertraute, für sich behalten.
Langsam ging ich hinüber zu den Beichtstühlen. Die Schlangen davor waren einfach zu lang, deshalb stellte ich mich etwas abseits und wartete darauf, dass der Beichtvater abgelöst wurde. An Feiertagen geschah dies halbstündig, und wenn ich Glück hatte, konnte ich den Priester, der zur Pause ging, bitten, mir zuzuhören. Mein Problem war ja auch sehr speziell.
Ich hatte Glück, die Ablösung erfolgte bereits nach fünf Minuten. Mutig trat ich dem Pater in den Weg. „Bitte ... ich brauche Ihre Hilfe.“
Er war alles andere als begeistert von meinem Überfall. „Miss … auch die anderen Menschen brauchen Gottes Hilfe und warten geduldig, bis sie an der Reihe sind.“
Der Pater hatte freundliche Augen, und das bestärkte mich in meinem Entschluss, mich ihm anzuvertrauen. „Aber ich brauche dringend Ihren Rat, Pater. Ich werde verfolgt.“
Skeptisch sah er mich an, dann bemerkte er den Aufnäher, der mich als Lehrkraft des Klosterinternats auswies. „Gehören Sie zu den Luzienschwestern?“
„Ich bin dort aufgewachsen und arbeite jetzt als Lehrkraft im Internat.“
Das stimmte ihn versöhnlicher. „Also gut … kommen Sie mit.“
Ich folgte ihm durch das Gedränge zu einer Tür im Seitenschiff, die in einen Anbau führte.
In seinem kleinen Büro bot er mir Tee und Gebäck an, doch ich schüttelte den Kopf.
Als er sich selbst Tee eingeschenkt hatte, seufzte er. „Also, Miss. Von wem werden Sie verfolgt?“
Ich begann, von meinen Träumen zu erzählen. Auf detaillierte Beschreibungen verzichtete ich dabei allerdings. Dann erzählte ich von dem Fremden, der vor der Kathedrale auf mich gewartet hatte. „Ich habe das Gefühl, meine Träume und der Fremde sind kein Zufall.“
Der Pater unterbrach mich nicht. Obwohl ich befürchtet hatte, dass er mir nicht glauben würde oder mich für verrückt halten, wurde er immer unruhiger. Als ich fertig war, lächelte er. Mir kam es jedoch vor, als wäre das Lächeln aufgesetzt. „Miss, das sind Versuchungen des Fleisches. Sie sollten beten und dem Ganzen nicht zu viel Bedeutung beimessen.“ Er sah auf die Uhr. Dann bekreuzigte er sich und murmelte: „Beten Sie zehn Rosenkränze und fünf Vater Unser.“
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Er wollte mich loswerden und hatte mir kein einziges Wort geglaubt. Schließlich schob er seine Teetasse zur Seite und stand auf. „Ich muss Pater Thomas ablösen.“
Ich bereute in diesem Augenblick, mich ihm anvertraut zu haben und kam mir naiv und dumm vor. Doch immerhin musste er das Gehörte für sich behalten.
Er hatte sie gesehen – kein Zweifel. Sie war die Feuer Geborene! Azazel konnte es spüren … ihr Blut war fast rein – ganz anders als das der Idioten, die ihn befreit hatten. Ihre Familien mochten einmal das Erbe in sich getragen haben … aber es war im Laufe der Jahrtausende so verdünnt, dass es kaum noch vorhanden war. Die Familien hatten ihre Blutlinien immer wieder mit Menschen vermischt. Bei dieser Frau war das anders … und sie hatte das gespürt; auch wenn sie keine Ahnung hatte, wer oder was sie war.
Azazel wandte sich ab. Für heute hatte er genug gesehen. Er verließ die Westminster Abbey und stieg in den Land Rover, den er in einer Seitenstraße geparkt hatte. Auch wenn er die alte Welt vermisste … ihre Ruhe, ihren Duft und ihre Unverbrauchtheit – so bot diese neue Welt doch viele Dinge, die ihm gefielen … Autos, Smartphones, Internet, TV … Dinge, von denen er in seiner Gefangenschaft noch nicht einmal eine Vorstellung gehabt hatte, dass es sie geben könnte. Diese neue Welt war laut, aber interessant. Wie allen seiner Art fiel es ihm leicht, sich anzupassen. Er lernte schnell und hatte so kaum einen Monat gebraucht, die versäumten Jahrtausende aufzuholen.
Während er den Land Rover in den Verkehr einfädelte, wählte Azazel die gespeicherte Nummer auf dem Smartphone. „Ich habe sie gesehen ...“, sagte er, als sich am anderen Ende jemand meldete.
„Ist Sie bei Euch?“
„Nein … es wäre zu auffällig gewesen. Außerdem hat sie mich auch gesehen … und sie hat meine Anwesenheit gespürt.“
Am anderen Ende der Leitung wurde es ruhig. Dann folgte ein Räuspern. „Ihr wisst, sie ist nicht für Euch bestimmt, sondern für den Fürsten.“
Azazel nahm das Smartphone vom Ohr und starrte es an. War es jetzt schon so weit, dass er sich sagen lassen sollte, wer er war und was er durfte?
Der Andere bemerkte seinen Fehler. „Bitte entschuldigt … es stand mir nicht zu, dies zu sagen. Natürlich wisst Ihr ...“
„Kümmert ihr euch um die Rückkehr der Grigori. Alles Weitere lasst meine Sorge sein.“
„Na … natürlich … es ist alles vorbereitet. Heute Nacht wird der Fürst zurückehren.“
Azazel drückte das Gespräch weg, ohne zu antworten. Es wäre gut, endlich wieder unter seinesgleichen zu sein. Nicht, dass er seine Art sonderlich schätzte. Die Jahrtausende lange Gefangenschaft hatte er ihnen zu verdanken. Ihnen und Luzifer. Er hätte gern auf Luzifers Rückkehr verzichtet. Doch nur die Erfüllung der Prophezeiung konnte den Grigori einen Platz in dieser Welt sichern. Und dafür brauchten sie Luzifer. Also würde er sich fügen und seinem Fürsten dienen, wie er es immer getan hatte. Morgen würde er die Feuer Geborene aus dieser Klosterschule befreien und zu ihm bringen. Es war an der Zeit, dass sie erfuhr, wer sie war.
Azazel schaltete den MP3 Player des Land Rovers ein und grinste, als Black Sabbath mit ihrem Song Heaven and Hell die Boxen wummern ließen. Die Menschen hatten seltsame Vorstellungen von ihm und seiner Art. Die meisten von ihnen hatten längst vergessen, wie es wirklich gewesen war. Vielleicht war es an der Zeit, dass sie sich erinnerten. Azazel fühlte sich so lebendig, wie lange nicht mehr. Diese Welt hatte vieles zu bieten, das ihn interessierte. Und er hatte Jahrtausende nachzuholen …