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1. Kapitel - Dienstag, 5. Dezember
ОглавлениеSoledad klopfte leicht an das Glas.
Natascha schrak auf und kurbelte die Scheibe ihres Uralt-Wohnmobiles herunter. »Ach, du bist ein Engel«, seufzte sie und nahm den dargeboteten Pappbecher mit dem heißen Kaffee dankbar an. »Willst du nicht reinkommen?«
Soledad schüttelte den Kopf. »Lieber nicht.« Sie deutete auf die Aral-Tankstelle, die gegenüber von Nataschas Liebesmobil auf der anderen Straßenseite lag. »Zigarettenpausen sind das eine, aber wenn mein Chef sieht, dass ich die auch noch im Warmen und Trockenen verbringe, streicht er mir die glatt. Raucher sollen gefälligst leiden, wenn sie ihrer Lust frönen.«
Natascha runzelte die Stirn: »Aber du rauchst doch gar nicht.«
»So? Wer sagt das?«. Soledad griff in ihre Kitteltasche und zog ein Päckchen Kaugummizigaretten hervor, von denen sie sich eine zwischen ihre vollen Lippen steckte. »Auch eine?«
»Nein, danke«. Natascha grinste. »Ich hab keinen Chef, dem ich was vortäuschen müßte, um eine Pause zu kriegen. Ich täusch auch so schon genug vor.«
Soledad sah zur Windschutzscheibe, vor der eine rote Herzchengirlande hing. Heute abend würde sie blinken, aber momentan wirkte sie genauso lustlos wie alles andere auch, wie der graue Dezembertag, die kahlen Bäume, das an einigen Stellen schon angegrünte Wohnmobil und der leere, pfützenübersäte Platz daneben - der keine frischen Reifenspuren aufwies.
»Nicht viel los, was?«
Natascha hob die Arme über ihre blondgefärbten Haare und machte eine theatralische Geste, bei der Soledad erst einen Augenblick später erkannte, dass sie wohl Regen darstellen sollte.
»Bei dem Wetter? Da fährt doch jeder lieber gleich nach Hause. Ich hoffe ja auf heute abend, vielleicht braucht da dann noch einer eine schnelle Feierabendnummer. Ansonsten ... sieht es eher düster aus. Wann machst du denn heute Schluss?«
Soledad seufzte. »Um fünf.« Das waren noch geschlagene vier Stunden, in denen sie hinter der Kasse stehen und Benzinverkäufe abrechnen würde. Und zwar durchgehend, denn eine weitere Zigarettenpause gab es nicht. Sie zog an ihrer Kaugummizigarette und hielt sie dann demonstrativ in ihrer rechten Hand, während sie weitersprach. Falls ihr Chef von der Tanke rüberschauen würde, sollte er sehen, was er zu sehen erwartete. »Dann noch schnell einkaufen und Lisa vom Kindergarten abholen und ... tja, das war es dann auch. Und du?«
Natascha deutete auf ihr Tablet, das auf dem Beifahrersitz lag. »Ich surf eben so im Internetz herum. Und freue mich, dass ich hier bin und nicht in Abakan. Dreißig Grad haben wir da.«
Anfangs, als sie sich gerade erst kennengelernt hatten, hatte Soledad sich immer gewundert, warum Natascha nie über die Kälte hier in Deutschland jammerte. Sie selbst war aufgrund ihrer südspanischen Herkunft nämlich ebenfalls eher an dreißig Grad gewöhnt, und Kälte und Schnee war etwas, das man in Almería mehr vom Hörensagen kannte. Es hatte sie böse überrascht, als Leon ihr nach dem ersten Winter in Deutschland erklärte, dass das eigentlich jedes Jahr so sei, Schnee vielleicht nicht immer so viel wie in jenem Jahr, aber auf jeden Fall Regen, Wind, Kälte, Wolken und keine Sonne. Sonne gar nicht.
Natascha hatte sich darüber immer amüsiert, schließlich hatte sie Soledad irgendwann mal verraten, dass sie mit ihren dreißig Grad eigentlich Minusgrade meinte - und aus Sibirien stammte. Der Liebe wegen nach Deutschland zu ziehen hatte für Natascha nur insofern etwas Gutes gehabt, als dass es hier nicht ganz so kalt war. Der Rest war Schweigen, das hieß, sie schwieg sich über ihre gescheiterte Beziehung sorgfältig aus.
Soledad rieb sich die Schultern.
»Willst du nicht doch rein?«
Sie schüttelte den Kopf. »Weißt du, dass ich dich manchmal beneide?«
Natascha riss ihre braunen Augen auf: »Echt? Wieso denn das?«
»Na, ich stelle mir manchmal vor, ich hätte so ein Wohnmobil ...«
»Ist ja cool. Du, ich könnte durchaus eine, äh, Aushilfe gebrauchen, und bei deiner Figur würdest du mit Sicherheit auch anständig was verdienen. Glaub mir ...«
Soledad verschränkte die Arme vor ihren Brüsten. »Nein, das doch nicht. Ich stelle mir vor, wie ich dann mit Lisa hier im Wohnmobil sitzen würde. Dann würde ich der Tanke da drüben einen letzten Gruß zuwerfen, den Motor starten und einfach wegfahren.«
»Und wohin?«
»Na, nach Almería natürlich. Zurück nach Hause.«
»Dann mach das doch. Ein Auto hast du doch.«
»Ja, aber nicht das alleinige Sorgerecht. In dem Moment, wo ich hier verschwinde, was meinst du, was Leon dann macht. Ich hab dann den einzigen Sprößling der stolzen Familie von Dingsda gekidnappt.«
Natascha grinste. »Wie heißt die Familie noch gleich?«
»Du Luder«, antwortete Soledad. Sie wusste genau, dass Natascha bloß Soledads ulkige Aussprache hören wollte. Aber dann lächelte sie auch.
»Ernsthaft«, fuhr Natascha fort. »Du hast so einen geilen Akzent. Mein russischer ist einfach nur dunkel und schwerfällig. Aber dein Deutsch klingt gleichermaßen niedlich und geil. Allein die Sache mit dem E am Anfang! Oder dein R, man hört förmlich, wie deine Zungenspitze dabei flattert. Was meinst du, was das für Phantasien anregt. Endgeil. Ich kenne einen, der würde schon dafür zwanzig Euro blechen, nur um dir zuhören zu dürfen ...«
Soledad winkte ab. Ja, das E. Wenn sie Worte wie »Stern« oder auch »Spanien« sagte, sprach sie die immer als »Es-tern« oder »Es-panien« aus. Darüber hatte sich schon Leon aufgeregt. Anfangs hatte er das noch so herrlich exotisch gefunden, am Ende war er nur noch genervt davon gewesen. Und mit ihren langen schwarzen Haaren war es dasselbe gewesen. Zuerst hatte er es klasse gefunden, ihr beim Haarewaschen zuzusehen - Männer! Aber ab und an verlor sie auch mal eines, das war nur normal, und das zeichnete sich in der weißen Wanne immer so ab wie ein feiner Riss in dem noch feineren Porzellan. Das hatte Leon für ein gemeinsames Zusammenleben nicht nützlich gefunden.
Nützlich. Das war auch so ein unaussprechliches Wort. Bei ihr klang das immer wie »nutes-lik« - was Natascha stets für eine Nougatcreme hielt.
»Natascha, ich weiß, du meinst das gut, aber - das ist nichts für mich. Echt nicht.«
»Hab ich anfangs auch gedacht, aber weißt du, wie Kindern in meiner Heimat das Schwimmen beigebracht wird?«
»Ihr habt doch gar kein Meer?«
»Nein, aber Seen. Und da wartet man einfach bis zum Sommer und dann wirft man sie rein. Gibt anfangs großes Geschrei, aber dann kriegen die das sehr schnell mit, was man machen muss, um nicht unterzugehen. Weißt du, was ich sagen will?«
»Dass ich Glück hatte, nicht in Sibirien zur Welt gekommen zu sein?«
»Dass man einfach ins kalte Wasser springen muss. Und, eh, keine Sorge. Die Väter haben natürlich aufgepasst, dass kein Kind wirklich im Dorfteich ersoff, ist ja klar.«
»Wie beruhigend.«
»Soledad, wirklich. Mit deinem Aussehen, deiner Herkunft, deiner Oberweite, die, nebenbei, sogar größer als meine ist, wenn ich das richtig sehe - doch, das wäre was. Und in dem Wohnmobil fällt auch gar nicht auf, dass du etwas zu groß bist.«
Soledad zog die Stirn kraus: »Ich bin was?«
»Zu groß. Du bist bestimmt, na, so eins fünfundsiebzig?«
»Eins Siebenundsiebzig.«
»Männer mögen lieber Frauen, die kleiner sind als sie. Aber bei der Enge hier drin«, Natascha deutete nach hinten in den Fond, »würdet ihr ja eh nicht viel nebeneinander stehen, und im Liegen würdest du die langen Beine ja einfach anziehen.«
»Vergiss es. Ich bin dafür nicht gemacht. Ich weiß das. Und außerdem ...«
Das Geräusch eines herannahenden Wagens unterbrach sie. Sie drehte sich um - ein roter VW Golf fuhr an dem Wohnmobil vorbei, wendete und näherte sich dann erneut. Der Fahrer bremste ab und ließ das Beifahrerfenster herunter.
»He ihr beiden. Kann man euch vielleicht zugucken?«
»Ich sag doch, du bist ein Kundenmagnet«, feixte Natascha.
»Ich zahl auch extra«, rief der Typ rüber und hielt sein Smartphone hoch. »Wenn ich ein paar Fotos machen darf, versteht ihr?«
»Denk nicht mal dran«, raunte Soledad ihrer Freundin zu.
Natascha beugte sich aus dem Fenster: »Sie ist nicht vom Fach, tut mir leid.«
»Ach mensch. Ich war so scharf auf zwei Lesben. Naja, kann man nix machen. Schönen Tag noch«. Die Fensterscheibe hob sich wieder, der Golf bretterte davon.
Soledad sah ihm nach. »Und auf genau solche Typen habe ich echt keinen Bock.«
»Die musst du ja nicht nehmen. He, ich bin Freiberuflerin. Ich such mir die Kerle schon selber aus.«
»Naja.« Soledad wollte das Thema nicht weiter vertiefen. Da hatten sie einfach unterschiedliche Ansichten - und zugegeben, wer weiß, wie sie in ein paar Jahren darüber denken würde, wenn sie endgültig den Traum aufgegeben hätte, doch noch den Mann für´s Leben zu finden. Ob sie dann die Welt doch mit Nataschas Augen sah?
»Nein. Bevor es soweit ist, muss ich hier weg.«
Natascha sah sie an: »Was sagtest du?«
»Eehhm«, machte Soledad, als ihr klar wurde, dass sie den Satz eben tatsächlich laut ausgesprochen hatte. »Ich meinte, ich muss dann hier mal wieder weg. Pause vorbei. Ich hab auch meine Zigarette schon ganz durchgekaut.«
Eine dunkelgraublaue Wolke kündigte den nächsten Schauer an. Soledad verabschiedete sich und ging über die Straße zurück zum Tankstellengelände. Nicht nur Nataschas Dienste waren an diesem Dezembertag nicht gefragt, auch an der Tanke herrschte gähnende Leere. Nicht ein einziger Wagen wurde betankt, selbst der LKW-Rastplatz hinter der Anlage war weitgehend leer. Umso besser eigentlich. Dann würde der Nachmittag ziemlich entspannt und ruhig. Ab und an hat so ein Mistwetter auch seine Vorteile, dachte Soledad, als die Glasflügel auseinanderglitten und sie das Tankstellengebäude betrat.
Und wirklich verlief der Tag in ruhigen Bahnen, sogar in so ruhigen, dass ihr Chef fand, er könne sich selbst einen frühen Feierabend gönnen und irgendwann am Nachmittag nach Hause fuhr. Das kam Soledad natürlich sehr gelegen, mit ein bisschen Glück würde Susica, ihre ungarische Kollegin, etwas früher aufschlagen und sie eher ablösen, sodass sie noch kurz beim Supermarkt vorbeischauen könnte, ehe sie Lisa abholte. Gerade als sie die Kasse dann an Susica übergeben hatte, schaute Natascha noch mal herein und erklärte, sie habe die Nase voll für heute, es kämen ja doch keine annehmbaren Kunden, und sie würde nach Hause fahren. Ob sie vorher noch mal kurz die Toilette aufsuchen dürfe?
»Klar«, sagten Soledad und Susica unisoni, sahen sich anschließend an und kicherten los. Ohne Aufsicht konnte man einfach viel ungezwungener arbeiten.
Als Soledad zu ihrem Wagen ging, sah die Welt zwar noch immer grau aus, sie wirkte aber aufgrund des Feierabends etwas rosiger. Soledad pfiff sogar leise vor sich hin. »Canta y sé feliz«, sing und sei glücklich, hieß die Melodie, die ihr in den Sinn gekommen war, und eigentlich hatte Peret, der die Nummer ursprünglich gebracht hatte, ja Recht. Was brachte es schon, sich immer und überall Sorgen zu machen.
*
»Von hier sieht das aus wie eine Raumstation«, schoss es ihm durch den Kopf.
Nebeneinander lagen sie auf dem feuchten Erdboden und sahen zur Tankstelle hinüber, die mit ihren ausladenden Dächern und den blau leuchtenden Umrandungen wie ein Raumschiff wirkte, das hier draußen vor der Stadt, nahe der Autobahnauffahrt, auf einem Acker gelandet war.
Er grinste. Der Vergleich traf genau ins Schwarze: Die da waren die bösen Außerirdischen, und sie beide die furchtlosen Helden, die die bereits begonnene Invasion zurückschlagen würden. Und das da drüben war das Alien-Schiff, mit dem sie anfingen.
»Das ist kalt. Und nass«, quengelte jemand neben ihm.
Er verdrehte die Augen und wandte sich Burkhard zu, der eigentlich Unit A hieß, was ein viel zu eleganter Deckname für ihn war. Was hatte der denn erwartet? Es war Anfang Dezember, es war kurz vor Mitternacht, und sie lagen nebeneinander in einem kleinen Graben auf der anderen Seite der Stichstraße, die als Tankstellenzufahrt diente - natürlich war es da kalt und nass. Was denn sonst?
»Reiß dich zusammen«, zischte er. »Bernd wird es an der Nikolaikirche auch nicht viel wärmer gehabt haben«.
»Du meinst Paranoimia«, warf Burkhard ein.
»Ist doch egal. Wärmer war es trotzdem nicht.«
»Das war aber am Tag. Jetzt ist Nacht.«
»Nass war´s trotzdem.«
»Ich halte das nicht mehr lange durch«, jammerte Burkhard.
»Wieso hast du auch nicht die Thermowäsche angezogen?«
»Die war so unbequem. Du, wie kalt ist das eigentlich? Ich hab gehört, dass schon Leute am Boden festgefroren sind.«
Er ballte die Fäuste. Festfrieren? Im Nieselregen? In ihm stieg unbändige Lust auf, diesem Japperlappen eine reinzuhauen. Schon auf dem Weg hierher hatte der Kerl nur geplärrt. Wieso man denn über das dunkle Feld stolpern müsse? Wieso sie denn nicht mit dem Wagen direkt an die Tankstelle gefahren seien? Und, als sie dann an der Tankstelle angekommen waren, wieso sie denn nicht einfach reingingen?
Geduldig hatte er ihm noch erklärt, dass es vielleicht etwas auffällig sein könnte, wenn zwei Typen in einem Auto gegenüber einer Nachttanke warten würden, dass sie sich also von jenseits des Feldes anschleichen und nun noch warten müßten, bis Toni sein Ablenkungsmanöver startete. Als Zeit dafür war genau Mitternacht vorgesehen, und die paar Minuten würde er ja wohl aushalten können.
Bloß, dass Burkhard genau das eben anscheinend nicht konnte. Seitdem sie hier lagen - und das waren vielleicht gerade mal fünf Minuten gewesen - hatte er nicht aufgehört, darauf hinzuweisen, dass ihm kalt und nass sei. Und dunkel sei es außerdem.
Er ballte die Fäuste so stark, dass seine Fingernägel sich in die Handinnenflächen gruben. Das hier war eine echte Geduldsprobe. Wenn er die Aktion mit Burkhard durchstand, dann würde der gesamte Rest ein Spaziergang werden. Die größte Herausforderung war einfach, nicht dem Verlangen nachzugeben, Burkhard eine reinzuhauen. Oder zwei. Oder drei. Vier. Fünf ... sechs ... nein, wenn er einmal damit angefangen hatte, würde er nicht mehr aufhören können. Er würde so oft zuschlagen, bis Burkhard wirklich einen Grund zum Jammern und Klagen hätte. Wenn der Typ doch bloß nicht so firm im Umgang mit dem Computer wäre. Aber gut, irgendwann würde der Tag kommen, wo sie Burkhard, den Superprogrammierer, nicht mehr benötigten.
»Ich friere jetzt echt, ehrlich! Mir ist schon ganz kalt. O Gott, sag mal, spürst du deine Zehen noch? Ich spüre meine Zehen nicht mehr, spürst du deine noch?
Diesen Tag begann er herbeizusehnen!
Ein bronzefarbener Opel Kadett, der seine besten Jahre offenkundig bereits hinter sich hatte, rollte an die Tankstelle heran, ein junger Mann mit einem schwarzen Wuschelschopf stieg aus und begann, seinen Wagen zu tanken. Toni. Er grübelte kurz über Tonis Zweitnamen nach, aber der wollte ihm nicht einfallen. War auch schnuppe. Gab Wichtigeres.
»Jetzt«, er stieß Burkhard an und sprang auf. Sein Kollege brauchte einen Moment, um hochzukommen, schließlich waren seine Beine aber sowas von, aua, total eingeschlafen.
Er packte Burkhard am Arm und zog den Fettsack hoch. »Komm jetzt«, stieß er hervor, »wir haben nicht ewig Zeit.«
Sie liefen ein Stückchen die Straße entlang, bis der Asphalt endete, dann sprinteten sie über den leeren LKW-Parkplatz und drückten sich an die rückwertige Wand des Tankstellengebäudes.
»Mann«, keuchte Burkhard. »Solche sportlichen Einlagen bin ich gar nicht gewohnt.«
»Ist dir denn jetzt wieder warm?«
»Warm? Alter, ich schwitze.« Demonstrativ hob er den Arm und wischte sich imaginären Schweiß von der Stirn.
»Okay, komm jetzt«.
Er stieß seinen Kumpel an, dann schlich er um die Ecke, bis sie das Fenster zum Büroraum der Tankstelle erreicht hatten. Um diese Zeit würde hier niemand sein; die völlige Dunkelheit hinter dem Fenster bewies es. Und Toni würde mit seinem Tankvorgang schon dafür sorgen, dass die Nachtkassiererin den Raum auch nicht rein zufällig betrat. Das fehlte noch, dass sie vorzeitig entdeckt würden, nur weil eine dumme Nachtwächterin aus unerfindlichen Gründen meinte, mal eben kurz im Zimmer des Chefs nach dem Rechten sehen zu müssen. Allerdings, wenn er das Personal richtig einschätzte, wäre die Wahrscheinlichkeit dafür eh gering gewesen. Ohne Toni würde die Tussi vermutlich auch bloß gelangweilt hinter der Kasse am Nachtschalter sitzen und darauf warten, dass die Zeit vergeht. Andererseits, lieber einmal zu vorsichtig als zu unvorsichtig sein. Es stand zuviel auf dem Spiel.
Natürlich, die Überwachungskameras würden alles brav aufnehmen, was sie hier taten, aber das kümmerte ihn nicht - das Problem würde sich von selbst erledigen.
Er drückte leicht gegen den Fensterrahmen und spürte, wie sich das Fenster öffnete. Gut. Hatte Olga von der Wolga also ganze Arbeit geleistet. Er drückte das Fenster einen Spalt auf, sodass er nach innen um die Scheibe herumgreifen konnte, und schob den Sicherheitsbügel über den Zapfen. Das Fenster schwang auf.
»Hereinspaziert.«
Burkhard besah sich das offene Fenster und warf dann einen ängstlichen Blick zur Straße. »Und wenn uns genau jetzt jemand sieht?«
»Sollten wir uns also besser beeilen.« Er kletterte in das Innere des Gebäudes. »Jetzt mach hinne«, fauchte er, als Burkhard noch immer sich furchtsam nach allen Seiten umsehend draußen herumstand wie ein Leuchtturm.
»Ja doch«, stöhnte er, stemmte sich auf dem Fensterbrett auf und wuchtete seinen Körper hinein. Natürlich verlor er beim Hereinsteigen den Halt und fiel auf den Boden. Das Poltern - und Burkhards Schmerzenslaut - dröhnten in seinen Ohren wie ein Kanonenschlag. Er hielt den Atem an und lauschte, während Burkhard auf dem Fußboden in seiner Position verharrte und nicht wagte, sich zu rühren.
Erleichtert atmete er aus, als auch nach zwei endlosen Minuten keine Schritte vom Flur an sein Ohr gedrungen waren. Glücklicherweise hatte der dicke Teppich den Fall gedämpft, und Burkhards Quieklaut mochte als Katzengejammer durchgegangen sein, falls es überhaupt jemand gehört hatte.
Wütend starrte er auf den Fettkloß zu seinen Füßen herunter.
»Mann, echt, du Rindvieh.«
»Ich hätte mir beinahe was getan«, wisperte Burkhard und rieb sich den Arm.
»Ich tue dir gleich was«, antwortete er und schloss leise das Fenster. »Und nun fang an.«
Burkhard nickte.
Ihre Augen brauchten nicht lange, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, und viel zu sehen gab es in dem kleinen Raum ohnehin nicht. Ein Aktenschrank, eine Kommode, ein Schreibtisch und zwei Stühle - und den Server, der links neben dem Schreibtisch stand und mit zwei grün leuchtenden kleinen Lampen anzeigte, dass alles in Ordnung war.
Er schob Burkhard den Stuhl hin und schlug auf der Computertastatur die Leertaste an. Der Monitor aktivierte sich, und während sich auf dem Schirm das Windows-Logo aufbaute, steckte er den mitgebrachten USB-Stick in den dafür vorgesehenen Anschluss. Der Stick fing sofort an zu blinken, und noch ehe Windows die User dazu auffordern konnte, das Passwort einzugeben, um Zugriff auf den Rechner zu erhalten, hatte sich der Stick bereits selber Zugriff verschafft. Na gut, selbstverständlich war es das auf dem Stick gespeicherte Programm gewesen, das Windows da endlich mal klargemacht hatte, wer hier der Boss war. Das musste man Burkhard lassen, was Computer anging, war er ein Genie. Er selber würde es nicht glauben, dass es so perfekt funktionierte - wenn er es nicht gerade mit eigenen Augen sähe.
Der Windows-Schirm verschwand, stattdessen tauchte ein großes, schräg gestelltes, goldfarbenes »A« vor hellblauem Hintergrund auf dem Monitor auf, und der Computer gab ein kurzes Signal von sich, das wie »Düdeldü« klang.
Er verzog die Mundwinkel. »Ich hatte doch gesagt, keine Soundeffekte.«
»War doch bloß ganz leise«, murrte Burkhard und drückte eine Taste. Das A wurde abgedunkelt, ein Text wurde Buchstabe für Buchstabe in orangefarbener Schrift in den Vordergrund geschrieben:
»PRESS RETURN TO CONTINUE OR HELP TO ABORT«.
Er runzelte die Stirn. »Help? Seit wann haben PCs eine Help-Taste?«
Burkhard grinste. »Darum ja«, sagte er und ließ die Spitze seines Zeigefingers einen Moment lang über der Enter-Taste schweben, ehe er sie zustoßen ließ.
Der gesamte Schirm blitzte einmal rot auf, dann erschien wieder das goldene A mit einem neuen Text:
»PRESS RETURN TO CONTINUE OR SPACE FOR ANOTHER TRANSFER«.
»Wenn wir jetzt auch die anderen beiden Sticks hätten, könnten wir sie jetzt der Reihe nach anschließen und die Dublizierfunktion aktivieren«, sagte Burkhard. »Dann würde es richtig abgehen. Aber dies soll ja nur ein Test sein.« Er schlug wieder die Enter-Taste an, der Schirm blitze einmal komplett blau auf, und dann wurde der ganze Monitor schwarz. Nur noch eine einzige, weiße Textzeile war zu lesen:
»THE END. PRESS RETURN«
Burkhard drückte ein drittes Mal, der Schirm blitzte noch einmal komplett rot auf, und dann war wieder nur der ganz normale Windows-Screen zu sehen, der nach einem Passwort verlangte.
»Und jetzt?«, flüsterte er.
Burkhard stand auf. »Das war´s.«
»Wie, das war´s?«
»Das war alles.« Er bückte sich ächzend und zog den Stick aus dem Port. »Wir sind fertig.«
Er starrte noch immer auf den Monitor. Es sah so aus, als habe es diesen Bildschirm mit dem goldenen A und der dunkelblauen Schrift nie gegeben. Hatte er sich das vielleicht bloß eingebildet? Dann fiel ihm am rechten unteren Bildschirmrand ein kleiner Zähler auf, der vorher nicht dagewesen war. Er war so klein, dass man ihn sehr leicht übersehen konnte, wenn man den Schirm nicht eingehend betrachtete, und zeigte einen Countdown, der wohl bei »9999« begonnen hatte und nun im Sekundentakt runterzählte. Inzwischen war er bei 9990 angekommen.
»166 Minuten«, sagte Burkhard.
»Irre«, flüsterte er.
Burkhard lächelte. »Gut, oder?«
Er holte tief Luft. »Zunächst mal - beeindruckend. Ob es gut ist, wird sich dann in 166 Minuten zeigen.«
»165 Minuten«, korrigierte Burkhard nach einem Blick auf den Monitor.
Sie verschwanden, wie sie gekommen waren, durch das Fenster. Er zog den Fensterrahmen ran, so fest es ging, mit etwas Glück würde niemand bemerken, dass diese Tankstelle heute nacht ungebetene Besucher gehabt hatte - zumindest nicht in den nächsten hundertsechzig Minuten, und danach, nun, danach würde die Zapfstation eh ganz andere Probleme haben als bloß ein nicht ordnungsgemäß verschlossenes Fenster.
Burkhard und er liefen zurück über die Straße, am Feldrand blieb er noch einmal stehen und blickte zurück. Toni stand noch immer am Nachtschalter, vermutlich flirtete er mit der Kassiererin. Wenn sie das Feld überquert hatten, würde er ihm eine SMS schicken, damit er wusste, dass er jetzt auch abhauen konnte, wenn er wollte.
Zu zweit kämpften sie sich über den durchgeweichten Boden, der Regen war inzwischen stärker geworden, und er freute sich auf eine heiße Dusche daheim. Und immer wieder dachte er daran, was sie vollbracht hatten. Er konnte es kaum erwarten, morgen an der Tankstelle vorbeizufahren, um zu gucken, was wohl passiert sei. Burkhard erging es anscheinend ähnlich. Den ganzen Rückweg über jammerte er kein einziges Mal, keine noch so vorsichtige Bemerkung über die Kälte, die Dunkelheit, den Schlamm, den Regen oder seine Zehen kam über seine Lippen. Vermutlich erging es ihm ebenso: Die Euphorie auf das Kommende und der Stolz auf das Geleistete trugen ihn über den Schlammacker, als hätte er Hermes´ Sandalen an den Füßen.
Auf der anderen Seite des Feldes stiegen sie in den Wagen und fuhren davon. Als sie in die Hauptstraße einbogen, kam nocheinmal die Tankstelle in Sicht. Eine blau und weiß leuchtende Insel in tiefer Nacht. Noch!
»Na denn«, sagte er und bog nach rechts ab, um Burkhard nach Hause zu bringen.
*
Mit einem Seufzen ließ sich Soledad in den schweren Sessel fallen, der eigentlich völlig überdimensioniert für das kleine Wohnzimmer war. Aber er hatte schon hier gestanden, als sie die Zwei-Zimmer-Wohnung gemietet hatte, und da er so groß war, dass sie beide darin Platz hatten, hatte sie ihn einfach übernommen. Abgesehen davon wäre für eine neue, passendere Couch auch gar kein Geld dagewesen.
Soledad griff nach der Fernbedienung, die auf dem kleinen Beistelltisch stand, und schaltete die Flimmerkiste ein. Kurz vor den Nachrichten. Naja, wieso nicht. Eigentlich ging es ihr sowieso nur um die Hintergrundgeräusche. Zu Hause war die caja tonta, die dumme Kiste, rund um die Uhr gelaufen und wurde behandelt wie ein seniler Onkel am Esstisch, der unentwegt wirres Zeug babbelte und dem man nur ab und an, dann aber lautstark widersprach.
Kurz darauf kam Lisa in ihrem Nachthemdchen aus dem Bad. »Augi braucht ihren Gute-Nacht-Kuß«, sagte sie und hielt mit ausgestreckten Armen Soledad ihre Puppe hin.
Lächelnd drückte Soledad der Puppe einen Kuß auf die flachsblonden Haare. Sie hatte nie verstanden, wieso Lisa das Spielzeug »Augi« getauft hatte - wer wusste schon, was in Kleinkindhirnen so vor sich ging. Oder überhaupt in Hirnen - es gab auch genügend Erwachsene, bei denen man sich fragen musste, was die sich bei ihren Handlungen eigentlich dachten.
Sie strich Augi über die blonden Haare und ihrer eigenen Tochter über deren pechschwarze - zweifelsfrei hatte Lisa die Haarfarbe ihrer Mutter geerbt, auch wenn ihre Schwiegereltern das natürlich anders sahen und seit der Geburt andeuteten, dass Lisa möglicherweise ja gar nicht von Leon abstammte: Wie sollte es sonst sein, dass ihr Enkelkind nicht das typische Schwitterstörffische Blond aufwies?
»Gut!«. Lisa war zufrieden. »Dann bringe ich Augi jetzt ins Bett.«
»Hat sie denn auch schon ihre Zähne geputzt?«, erkundigte Soledad sich.
»Mama! Augi ist doch eine Puppe. Die hat keine Zähne«, erklärte Lisa in einem Tonfall, den nur kleine Kinder zustandebringen und auch nur dann, wenn sie ihren zurückgebliebenen Eltern etwas völlig Sonnenklares erklären müssen.
Soledad sah ihr nach, wie sie über den kurzen Flur tappte und im Nebenzimmer verschwand. Dies war das allabendliche Ritual - bevor Soledad ihre Tochter ins Bett brachte, musste diese erst einmal Augi ins Bett bringen.
Danach kuschelte sie sich noch für die Dauer der Nachrichten zu Soledad in den Sessel, weil Erwachsene das ja so machten, noch fernsehen, wenn die Kinder schon im Bett lagen, und die Tagesschau war die erwachsenste Serie, die Lisa kannte. Wobei sie erwachsen mit langweilig gleichsetzte.
Lisa kam zurück, enterte den Sessel und schaute gebannt auf den Schirm, wo sich gerade das NDR-Logo aufbaute.
»Du hast mir noch gar nicht erzählt, wie es heute im Kindergarten war.«
»Ganz gut«. Lisa nahm den Blick nicht vorm Fernseher und tat so, als ob sie Dinge wie die Krise in Griechenland oder Serbien oder überhaupt irgendwelche Krisen interessierten. »Das ist deutsch«, stellte sie schließlich fest.
»Soll ich umschalten?«
Lisa nickte. »Ich will Mamasprache!«
Soledad musste grinsen. Das war auch so ein Knackpunkt gewesen. Als sie versucht hatte, Lisa zweisprachig zu erziehen, oh, was hatte es da einen Krawall gegeben. Dann würde sie ja zwei Sprachen halb und keine ganz sprechen. Also hatte sie es um des lieben Friedens willen aufgegeben. Witzigerweise begann sich Lisa, als es ihr verboten worden war, erst recht, für Spanisch zu interessieren, und als sie hierher zogen, war es das erste, eine Satellitenschüssel zu installieren. Eigentlich hatte Soledad sich damit nur ein wenig Heimat nach Deutschland holen wollen, dann aber stellte sich heraus, dass Lisa viel lieber das spanische Fernsehen anschaute als das deutsche.
Die Nachrichten waren eh nicht interessant. Weiterbau der A26 gefährdet, na und, da fuhr sie sowieso nie lang, und zehn Touristen hatten den gestrigen Nachmittag im Aufzug der Nikolai-Kirche verbringen müssen, weil aus unerklärlichen Gründen die Steuerung des Lifts ausgefallen war. Die Fachleute rätselten noch, wie das passieren konnte, die Touristen waren entsprechen angepisst - eine Frau im wahrsten Sinne des Wortes, denn es hatte im Fahrstuhl ja keine Toilette gegeben - und das Wetter würde so bleiben wie bisher. Kalt. Nass. Windig. Zeit für ein paar sonnige Gedanken. Also schaltete sie um auf Canal Sur, wo gerade ein alter spanischer Spielfilm lief, der Besetzung nach zu urteilen aus den 50er Jahren.
»Mamasprache kingt viel schöner«, fand Lisa.
Ja, das fand Soledad auch.
»Warum wohnen wir nicht da?«
»Liebes, weil ich dich da nicht mit hinnehmen könnte. Papa will das nicht.«
Lisa verschränkte die Arme vor der Brust: »Papa ist doof.«
»He«, Soledad streichelte Lisa am Kinn und drehte dann ihren Kopf zu sich. »Sowas darfst du nicht sagen. Er will nur das beste für dich.«
»Er will nicht, dass ich rede wie du. Bei ihm muss ich immer deutsch reden. El idiota.«
»Lisa, wirklich. Papa ist eben ... naja ...«, sie suchte nach dem richtigen Wort und fand aber keines. »Er ist eben anders ... aber er hat dich sehr lieb. Und er ist kein Idiot.«
»En Español, por favor.«
Das machte Lisa immer. Gerade wenn es um ihren Vater ging, wollte sie plötzlich nur noch spanisch sprechen. Vermutlich gerade weil er derjenige war, der es ihr verboten hatte.
»Tu padre no es un idiota. El es ... el es ...«, Soledad schüttelte den Kopf. Selbst in ihrer Muttersprache fiel ihr kein Wort ein, das dazu taugen würde, Leon zu beschreiben. Jedenfalls keines, das sie in Gegenwart seines Kindes aussprechen würde.
»Un imbécil«, schlug Lisa vor.
»No, no digas esto.«
»Un estúpido?«
»Lisa Mercedes!« Die Nennung ihres Zweitnamens sollte Lisa klarmachen, dass es ernst wurde - das kleine Mädchen befürchtete jedes Mal, es könne sich herumsprechen, dass sie wie eine Automarke hieß. Etwas, woran Soledad bei der Namensfindung überhaupt nicht gedacht hatte, weil ihr der Name aus ihrer Heimat völlig geläufig gewesen war. Und Leon hatte den Namen vermutlich genau deshalb »cool« gefunden.
Lisa schaute ihre Mutter aufmerksam an.
»Sag mal, woher kennst du eigentlich diese ganzen Worte?«, fragte Soledad.
»Von Joaquin.«
»Ach, der. Klar.«
Joaquin ging in Lisas Kindergarten, aber Soledad selber kannte ihn nicht. Sie hörte immer nur von Lisa, dass er sich oftmals einen Spaß daraus machte, auf spanisch zu fluchen, was die deutschen Erzieherinnen nicht verstanden. Und natürlich fand Lisa ihn deswegen ganz besonders cool - oder, wie sie sagen würde, muy chulo.
»Na schön«, beschloss Soledad, das Thema zu beenden. »Zeit für´s Bett.«
Lisa sprang aus dem Sessel und streckte ihre Arme aus: »Bringst du mich?«
»Naturlich«.
»Ü!«
»Natürlich«. Sie hob Lisa hoch, das kleine Mädchen klammerte sich an ihr fest, und trug sie in das Kinderzimmer, ein kleiner Verschlag mit Dachlukenfenster, aber mehr konnte sie sich vom Tankstellenlohn nicht leisten. Umso mehr rührte es sie, dass Lisa trotz des gigantischen Zimmers im Hause von Leon, das so groß war, dass man darin hätte Fußball spielen können, lieber bei ihr war.
Sie legte Lisa in ihr Bettchen und deckte sie zu. »Schlaf gut, meine Kleine«, flüsterte sie.
»Buenas Noches!«
Soledad streichelte ihr über den Kopf und gab ihr zwei Küsse auf die Wangen, links und rechts.
»Buenas Noches!«
Dann ging sie zur Tür, drehte sich dort noch einmal um, winkte zurück und ging zurück ins Wohnzimmer. Die Tür zum Kinderzimmer ließ sie offen.
Auf dem Bildschirm trällerte Rafael gerade eine Uralt-Schnulze, aber Soledad war es egal. Sie ließ sich einfach in den Sessel fallen, zog mit den Füßen den kleinen Hocker heran und legte ihre Beine darauf. Endlich Feierabend. Und zwar für zwei ganze Tage. Die sie aber auch dringend brauchte. Natürlich war es rechtlich nicht in Ordnung acht Tage durchzuarbeiten, aber wer war sie denn, das zu kritisieren? Und schließlich hatte sie ja nun morgen und übermorgen frei. Da könnte sie zusammen mit Lisa etwas unternehmen. Fragte sich nur, was.
Ihr Blick ging aus dem Fenster. Dort draußen herrschte bereits absolute Dunkelheit, lediglich die Regentropfen, die an der Scheibe hinunterliefen, waren zu sehen. Wäre es Sommer, hätten sie in den Wildpark gehen und die Hängebauchschweinchen besuchen können. Rosalinde, hatte Lisa eines von ihnen genannt, und obwohl sie alle gleich aussahen, hatte sich die Kleine nicht davon abbringen lassen zu behaupten, sie würde Rosalinde immer und überall wiedererkennen. Aber jetzt im Winter würden das keinen Spaß machen. Oder eine Fahrt auf der Elbe? Mit den HVV-Fähren? Das wäre bei Regen vielleicht ganz spaßig und auch nicht teuer, weil die Fähren den S- und U-Bahnen gleichgestellt waren.
Etwas besichtigen? Eventuell, solange es nicht die Nikolaikirche war. Soledad hatte herzlich wenig Lust, im Lift in fünfzig Metern Höhe steckenzubleiben. Oder sie blieben einfach zu Hause, kochten Kakao und backten Plätzchen. War ja eh schon Vorweihnachtszeit, und in der tut man so etwas normalerweise in Deutschland. Genauso, wie ruhig und besinnlich werden und feierliche Weihnachtslieder singen wie Stille Nacht, heilige Nacht ... ihr fielen die Augen zu ... oder dieses andere, Leise rieselt der Schnee ... oder dann gab das da noch dieses ... wie hieß das noch gleich?