Читать книгу ... und eine Prise Wahnsinn - Alexander Herrmann - Страница 9

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Ab und zu versuchten meine Eltern, sich ein ganzes Wochenende für gemeinsame Ausflüge frei zu halten, aber das klappte freilich nicht immer. Immerhin nahm mich Papa regelmäßig mit auf seinem Traktor, wenn er etwa schwere Gegenstände transportieren, unseren Müll wegbringen oder in den Wald fahren musste. In diesen Momenten war er ein Held für mich. Doch wenn wir ausgebucht waren, dann gab es nur das Geschäft und sonst nichts.

Dafür kümmerte sich unsere Hausdame Monika Lottes rührend um mich. Sie war einst von meinem Uropa eingestellt worden und eine gesunde Mischung aus Oma, Tante und Kindermädchen. Früher brachte sie mich jeden Tag in den Kindergarten und holte mich an den meisten Tagen auch wieder dort ab. Wenn sie das nicht tat, weil sie früher Dienstschluss hatte, war meine Mutter dafür zuständig. Aber manchmal stimmten die Absprachen zwischen den beiden nicht und ich wurde irgendwie vergessen und blieb so lange, bis irgendjemand im Hotel merkte, dass der Junior nicht da war und mich mit nach Hause nahm.

Monika war nicht zuletzt aufgrund ihres Alters der ruhende Pol des Hauses. Sie hatte schon viel erlebt und ließ sich selbst von Unwägbarkeiten wie einem Feuer nicht aus der Ruhe bringen. Dieser Abend, an dem unser Posthotel brannte, wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Dass unser Dachstuhl kokelte, war überhaupt nur deshalb aufgefallen, weil auf einmal der Klodeckel-Flokati meines Onkels in Flammen stand. Onkel Werner war vor Kurzem aus dem Ausland zurückgekehrt und wohnte ebenfalls mit im Hotel. Werner guckte nach oben, sah, dass bereits das Plastikrohr an der Badezimmerdecke zusammengeschmolzen war, und schlug Alarm.

Kurze Zeit später war die örtliche Feuerwehr da, wenig später traf dann auch die Verstärkung aus den umliegenden Dörfern ein. Monika hatte mich geweckt, mir meinen Kuschelpanther in die Hand gedrückt und war mit mir hinaus auf die Straße geeilt. Dort standen wir dann beide im Schlafanzug und schauten zu, wie die Einsatzkräfte den Brand bekämpften. Genauer gesagt: wie die eine Hälfte zunächst ihren eigenen Brand bekämpfte und sich gemütlich ein Pils an unserer Hausbar zapfte, während die andere Hälfte weitere Rettungsmaßnahmen einleitete. Meine Eltern versuchten derweil, die ebenso trinkfreudigen Gäste aus der Kommunalpolitik in unserer voll besetzten Jägerstube davon zu überzeugen, dass es doch sicherer sei, den Raum zu verlassen. Das musste man sich mal vorstellen: In unserem Lokal saß die komplette Riege der oberfränkischen CSU-Führung, während das Haus brannte. Niemand schien sich dafür zu interessieren, wie gefährlich die Situation war, was möglicherweise an der bereits recht fortgeschrittenen Abendstunde lag. Wo heutzutage wahrscheinlich ein Spezialkommando einen zusätzlichen Eingang in das Gebäude sprengen würde, herrschte vor mehr als 40 Jahren eine aus jetziger Sicht geradezu unglaubliche Gelassenheit auf allen Seiten. Erst als das Löschwasser in der Stube durch die Decke tropfte und der erste Kellner einen Regenschirm aufspannte, bequemten sich die Politiker einen Raum weiter – und die Feuerwehr nahm ihre Arbeit auf. Angesichts der Brandschutzauflagen, die es mittlerweile für gastronomische Betriebe einzuhalten gilt, kann ich heute noch nicht fassen, was alles hätte passieren können. Doch es ging zum Glück alles gut – und nach ein paar Wochen waren die Schäden wieder behoben.

Schon zu Vorschulzeiten machten Monika und ich jeden Morgen unsere Runde, wenn die Frühaufsteher unter den Gästen bereits im Speisesaal saßen. Genauer gesagt folgte ich ihr von Zimmer zu Zimmer, um mir ausführlichst die Handlungen der Gruselfilme erzählen zu lassen, die am Vorabend in der ARD oder im ZDF liefen und die ich natürlich nicht sehen durfte – schon allein, weil ich stets um acht Uhr schlafen gehen musste. Unsere furchtlose Hausdame hingegen hatte eine besondere Vorliebe für diesen Kram, was mich faszinierte. Als Gegenleistung für diese streng geheimen Informationen über „Dracula“, „Tanz der Vampire“ oder „Tarantula, die Riesenspinne“ half ich Monika beim Bettenmachen, weshalb ich auch heute noch Horrorstreifen mag – und in der Lage bin, Bezug, Kissen und Decke so akkurat zu falten, wie es nur im Hotel gemacht wird oder allenfalls noch bei der Bundeswehr.

Dann war da noch die gute Gertrud, unsere bereits knapp 80-jährige Kaltmamsell, die in dieser Eigenschaft in der Küche – wie die Bezeichnung schon sagt – seit Ewigkeiten für die Zubereitung der kalten Speisen zuständig war. Gertrud, die um die Jahrhundertwende geboren worden und von daher eine ungemein vielseitige Zeitzeugin war, wusch zentnerweise Salate und bastelte kunstvoll die damals schwer angesagten Aspiks zusammen. Vor allem aber ließ sie mich jedes Mal wieder von ihrem großartigen Plätzchenteig naschen und den Teig für ihre weit über den Ort hinaus berühmten Kuchen und Torten kneten. Nur ihren Kaba mochte ich nicht so gerne, weil sie ihn, wahrscheinlich wegen ihrer Erfahrungen mit all den Entbehrungen der beiden miterlebten Kriege, mit Wasser – Marion vom Empfang hingegen mit Milch – zubereitete.

Und es gab zu meinem Glück auch noch den Gramp Hans, unseren treuen Hausmeister. Dieser Mann kümmerte sich nicht nur um alles, was im und rund ums Hotel repariert werden musste – was ihm auch immer gelang. Er war zudem ein Weltenbummler und ein Abenteurer, kurz: ein Begleiter, wie man ihn sich als kleiner Junge nur wünschen konnte. Hans war grauhaarig, gut aussehend und wusste auf fast jede Frage eine passende Antwort. An seinen freien Nachmittagen nahm er mich oft in seinem alten VW-Pritschenwagen zu den nahe gelegenen Fischweihern mit. Dort saßen wir stundenlang und angelten, mit allen Tricks, die ein erfahrener Angler nur anwenden konnte. Er baute sich all seine Werkzeuge selbst zusammen, konnte binnen weniger Minuten ein riesiges Lagerfeuer entfachen und schaffte es, aus den Weihern die allergrößten Fische an Land zu ziehen, die dann auf den Tellern der erstaunten Gäste landeten. Wenn man so will, war Hans der fränkische Indiana Jones, für mich zumindest.

Sein Hobby war das Goldschürfen. Wenn er Urlaub hatte, kratzte er alle Ersparnisse zusammen, flog kreuz und quer in der Welt herum und tat sich oft mit dubiosen Glücksrittern zusammen, um den einen großen Schatz zu finden, der ihn reich machen würde. Leider fand er ihn nicht. Dafür schickte er uns immer Postkarten aus fernen Ländern, die wir im Hotel staunend herumreichten. Nachdem er in Rente gegangen war, widmete er sich seiner Leidenschaft noch intensiver, und bis weit in die 90er-Jahre hinein schrieb er mir Briefe, etwa aus Paraguay oder Uruguay. Darin berichtete er mir von seinen gefährlichen Aktivitäten und erzählte etwa davon, dass er aus Sicherheitsgründen nur mit einer Schrotflinte auf dem Bauch schlief.

Es war ein großes Glück, so viele Menschen um mich herum zu haben, die wie eine Familie für mich da waren, ohne dass sie zur eigentlichen Familie gehörten. Trotzdem waren natürlich meine Eltern sowie Opa und Oma meine engsten Bezugspersonen. Und für die war klar, dass ich als Stammhalter eines Tages in Vaters Fußstapfen treten und sein Nachfolger als Küchenchef und erster Hotelier am Platz in Wirsberg werden würde.

Überhaupt Wirsberg: Meine Heimat ist ein Markt mit nicht ganz 2.000 Einwohnern, knapp zehn Kilometer östlich von Kulmbach und ungefähr 15 Kilometer nördlich von Bayreuth. Es gibt zehn Ortsteile, die Einöd heißen oder Schlackenmühle. Um den Marktplatz herum, gegenüber dem Posthotel, stehen einige schöne Fachwerkhäuser und eine Kirche, in der das Bild eines Schülers von Lucas Cranach hängen soll, genau weiß man das nicht. Wirsberg verfügt über eine Apotheke, eine Jugendherberge, eine kleine Tankstelle und einen Naturlehrpfad. Die Nachbargemeinden sind Gefrees, Marktschorgast oder Trebgast, und für größere Einkäufe muss man schon nach Neuenmarkt oder Himmelkron fahren. Es geht also bei uns, um es freundlich zu formulieren, sehr beschaulich zu.

Nun ist Oberfranken inzwischen trotz aller noch immer vorhandenen strukturellen Herausforderungen eine herrliche Region mit vielen Freizeitmöglichkeiten, in der sich in den letzten Jahren unheimlich viel getan hat. Damals jedoch lag Wirsberg zwar nicht ganz am Arsch der Welt, aber zumindest konnte man ihn von hier aus ziemlich gut sehen. Und was man leider auch gut erkennen konnte – zumindest, wenn man ein paar Kilometer weiter in Richtung Norden fuhr und der Nebel nicht allzu dicht im Fichtelgebirge festhing –, waren die hässlichen Begleiterscheinungen der Zonengrenze zur DDR und zur Tschechoslowakei: die Türme, Grenzanlagen und Zäune, die den tristen, grauen Horizont noch ein bisschen trister und grauer machten. Ab und zu fuhren wir dorthin, um uns zu gruseln: auf die andere Seite der Autobahn A9, die bei Rudolphstein oder hinter Rehau zur berüchtigten Transitstrecke nach Berlin wurde, und sahen hinüber in den Ostblock, wo in den langen Wintern die Schlote immer sehr dunklen Rauch ausstießen.

Heute hingegen, 30 Jahre nach dem Gott sei Dank erfolgten Fall der unsäglichen Mauer, ist unsere Gegend sogar beinahe der offizielle Mittelpunkt Europas – zumindest befindet sich seit dem EU-Austritt Großbritanniens dieser geografisch so symbolträchtige Ort tatsächlich nur rund 150 Kilometer entfernt im unterfränkischen Veitshöchheim. Seinerzeit aber war unsere Lage am Rande des Nichts und kurz vor dem real existierenden Sozialismus gleichbedeutend mit einem Leben im Niemandsland, das von der großen Politik irgendwie vergessen worden war. Nürnberg oder gar München waren für uns nicht nur rein entfernungsmäßig sehr weit weg, sondern fast wie aus einer anderen Welt, und man konnte sich kaum vorstellen, dass sich unser kleines, entlegenes Wirsberg im selben Bundesland befinden sollte. Andererseits führte diese Abgeschiedenheit zu einer gewissen Gelassenheit der Menschen, die ich auch heute noch sehr schätze. Hier regte man sich schon immer viel weniger über Kleinigkeiten auf, nahm die Dinge, wie sie eben waren, und machte das Beste aus den Gegebenheiten. Wie anders die Uhren bei uns ticken, konnte man allein schon daran erkennen, dass unser Bürgermeister bis vor Kurzem noch derselbe Herr war, der seinerzeit als offizieller Vertreter der Gemeinde am Grab meiner Eltern stand. Erst bei der Kommunalwahl 2020 wurde der gute Hermann Anselstetter nach sage und schreibe 42 Jahren von Jochen Trier abgelöst, mit dem ich zusammen in die Schule ging. Man kennt und kannte sich in solch kleinen Ortschaften, und das ist gut so. Wirsberg ist meine Heimat, nirgends ist es schöner.

„Alexander“, sagte also mein Großvater am frühen Montagmorgen und atmete tief ein. „Deine Mutter und dein Vater kommen nicht mehr nach Hause. Sie hatten gestern einen Unfall.“

Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass sie nicht nach Hause gekommen waren. Ich lag schon früh im Bett, und es kam sehr häufig vor, dass sie abends im Hotel unterwegs waren, letzte Arbeiten erledigten oder einfach mit den Gästen sprachen. Daher dachte ich mir nichts dabei, als ich nebenan nichts hörte, bevor ich einschlief. Ausnahmsweise hatte ich keine Lust gehabt, am Sonntagmorgen mit ihnen mitzufahren. Meine Eltern wollten gute Freunde in Würzburg besuchen, die gerade eine schwierige Phase in ihrer Ehe durchmachten, und ihnen ein bisschen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Das versprach nicht gerade einen spannenden Tag.

„Ach, komm schon. Anne-Kathrin freut sich sicher, dich zu sehen. Du kannst doch mit ihr spielen, während wir reden“, meinte meine Mutter.

„Heute möchte ich echt nicht, Mama“, bat ich. „Lass mich doch lieber hierbleiben. Es ist so schönes Wetter.“

Das stimmte auch, vor allem, weil es Anfang Juni überall noch kalt und regnerisch gewesen war, auch in Italien, und erst seit ein paar Tagen richtig sommerlich und warm wurde. Aber das war nur die halbe Wahrheit. Auch die Aussicht, dass mir die gleichaltrige Tochter unserer Bekannten sicherlich in aller Ausführlichkeit ihr Puppenhaus vorführen würde, war nicht der Grund, warum ich mich gegen die knapp 160 Kilometer lange Fahrt sträubte: Mein Vater wollte sie in seinem Sportwagen antreten und nicht in unserem Familien-Passat, der an sich für die praktischen Ausfahrten vorgesehen war. Papa machte sich nichts aus Geld oder gar Luxus, aber beim Thema Autos setzte bei ihm manchmal die Ratio aus. Und so hatte er sich vor einigen Jahren einen Ferrari 308 GT4, genannt Dino, gekauft, der – im Gegensatz zu den anderen Modellen dieses Herstellers – vier Sitze besaß, damit wir zu dritt damit unterwegs sein konnten. Das mit den vier Sitzen war allerdings ein schlechter Witz, denn auf der Rückbank hatte man selbst als Kind weniger Platz als in einem durchschnittlichen Reisekoffer. Trotzdem fuhren wir mit dem Ding – wie eben auch über Pfingsten – regelmäßig nach Südtirol; nicht nur, aber auch, weil sich in Bozen eine Ferrari-Vertragswerkstatt befand, wenn mal wieder etwas an dem Wagen nicht richtig funktionierte. An diesem Tag jedoch wollte ich mich beim besten Willen nicht schon wieder in den Dino quetschen.

„Dann lass den Buben halt da“, sagte mein Vater milde, während er sich vor dem Spiegel gerade sein Halstuch richtete. Er sah richtig schick aus und trug sogar ein Jackett – weniger wegen unserer Bekannten, sondern weil er noch in einer Zeit groß geworden war, in der man sich an Sonntagen besonders herausputzte.

„Sag mal, Papa, was wäre eigentlich, wenn ihr nicht wiederkommt?“, fragte ich plötzlich.

Ich hatte keine Ahnung, wie ich auf diesen abwegigen Gedanken gekommen war und warum er mir ausgerechnet jetzt durch den Kopf ging. Meine Eltern waren immer mal wieder allein unterwegs gewesen und nie hatte ich mir deshalb Sorgen gemacht. Aber als ich meinen Vater so dastehen sah, elegant und voller Vorfreude auf den kleinen Ausflug bei herrlichstem Sonnenschein, beschlich mich eine seltsame Angst, fast schon eine Vorahnung, es könnte das letzte Mal sein – was ich aber erst viel später richtig begriff. Es mag befremdlich klingen, aber seit jenem Tag hatte ich dieses mulmige Gefühl noch mehrere Male. Ich weiß noch, dass ich einmal Jahre später von unterwegs aus zu Hause anrief und meinen Großvater besorgt fragte, ob alles in Ordnung sei.

„Wieso fragst du?“, wollte er wissen und ich erzählte ihm, dass ich mich gerade irgendwie an besagten Moment mit Papa erinnerte.

„Onkel Werner hatte tatsächlich einen Unfall“, berichtete er. „Ihm ist auf der großen Kreuzung vorne am Ortseingang ein Lastwagen ins Auto gefahren. Das Auto ist hin, aber Werner geht’s zum Glück gut.“

Ich musste schlucken, weil mich mein – nennen wir es ruhig mal so – sechster Sinn erneut nicht getrogen hatte. Und auch das Verkehrsunglück, das nochmals etliche Jahre danach unserem Mitarbeiter Andreas passierte, sah ich in einer für Außenstehende nicht beschreibbaren Weise voraus. Diese Geschichte ging ebenfalls halbwegs glimpflich aus, aber seitdem ist es bei uns in der Familie oder im Unternehmen ernsthaft so, dass sich niemand mehr ans Steuer setzt, wenn ich im Vorfeld ein ungutes Empfinden habe. Ich teilte meine mysteriöse Eingebung schon mehrfach mit – und die anderen hörten glücklicherweise jedes Mal auf mich. Seitdem ist, so blöd das klingen mag, nichts Schlimmes mehr passiert.

„Also, Alexander“, beschwichtigte mein Vater. „So ein Unsinn! Wieso sollen wir denn nicht wiederkommen?“

Er lachte meine Sorge hinweg. Dann nahm er meine Mutter an der Hand und ging mit ihr fröhlich hinunter zur Garage.

Es passierte auf der Bundesstraße 22, ganz in der Nähe von Bamberg. Der Fahrer des entgegenkommenden Wagens hatte offenbar die Kontrolle über sein Auto verloren. Hinterher hieß es, dass der Verursacher am Steuer einen Herzinfarkt erlitten hatte, aber ob das stimmte oder er einfach nur zu schnell fuhr oder zu leichtsinnig überholte, ließ sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, denn er starb bei dem Frontalaufprall sofort. So wie auch mein Vater, weil das andere Fahrzeug direkt auf seine Seite geprallt war. Meine Mutter wurde schwer verletzt in die Uniklinik nach Erlangen gebracht, wo sie eine Zeit lang von den Ärzten am Leben erhalten wurde. Sie lag dort mehrere Monate und ich besuchte sie ein einziges Mal. Sie hing da an den vielen Schläuchen, angeschlossen an eine Beatmungsmaschine und nicht mehr in der Lage, zu sprechen oder sonst etwas zu tun, was mit einem normalen Dasein zu tun hatte, und ich konnte es nicht ertragen, sie noch ein weiteres Mal zu sehen. Für mich stand fest, dass ich meine beiden Eltern an diesem 9. Juni verloren hatte. Danach legte sich in dieser Hinsicht ein Schleier um mich, der sich bis heute nicht wirklich gelüftet hat.

Von Mamas tatsächlichem Todestag ein knappes halbes Jahr später weiß ich nur noch, dass ich mittags in meinem Zimmer die Kirchenglocken außergewöhnlich lange läuten hörte. Ich dachte mir nichts weiter dabei, und niemand traute sich, mir die Wahrheit zu sagen. Auch mein Großvater brachte es nicht übers Herz, mir die Nachricht zu überbringen. Erst am nächsten Tag nahmen mich dann mein Onkel und meine Tante beiseite und erklärten mir, warum die Glocken länger als sonst üblich geläutet hatten.

„Gestern haben sie deine Mama gebracht“, sagten sie nur zu mir und drückten mich fest an sich.

Erst in diesem Augenblick begriff ich, dass mein Leben nicht mehr dasselbe sein würde. Ich dachte nicht darüber nach, was nun alles auf mich zukommen könnte und welche persönlichen oder organisatorischen Konsequenzen es mit sich brächte, ein Waisenkind zu sein. Aber es leuchtete natürlich auch mir als Neunjährigem ein, dass meine kleine, heile Welt, die sich weitgehend in einem gemütlichen Landhotel abgespielt hatte, in dieser Form nicht mehr existierte. Es war eine brutale Zäsur, ohne Frage. Und es haute mich auch erst mal aus der Spur. Aber das Komische ist: Die berühmte Frage nach dem Warum hat mich dabei nie interessiert. Es war so, wie es war, und damit musste ich umgehen. Jammern war keine Option für mich. Ich finde, mit seinem Schicksal zu hadern ist wie Schaukeln: Man bewegt sich nur hin und her, aber man kommt keinen Schritt weiter. Nach und nach lernte ich, die guten Momente im Leben viel stärker wertzuschätzen und nicht als selbstverständlich zu erachten. Trotz allem empfand ich es auch niemals so, als habe mir der Unfall meine Kindheit geraubt. Vielleicht lag das daran, dass ich im Gegenteil erst recht versuchte, mir ein Stück dieser Kindheit in meinem Herzen zu bewahren. Und mit dieser Sichtweise ging ich stets auf andere Menschen zu.

Im Laufe der Jahre wurde ich immer wieder von neuen Mitarbeitern, aber auch von Fremden und Gästen darauf angesprochen, was wir im Posthotel anders machten – weil bei uns eine unbeschwertere, fröhlichere und entspanntere Stimmung herrschte als bei vielen anderen Spitzengastronomen, die sie zuvor kennengelernt hatten. Mir war das gar nicht so sehr aufgefallen, aber irgendwann begann ich trotzdem, darüber nachzudenken. Es ist gut möglich, dass mir die Einstellung, die ich mir nach dem Tod meiner Eltern notgedrungen aneignen musste, nicht nur bei der Bewältigung meiner Trauer half, sondern auch dabei, wie ich heute auf meine Mitmenschen, insbesondere meine Mitarbeiter, zugehe. Auch wenn es zugegebenermaßen ein wenig gedauert hat, zur genauen Erkenntnis hierüber zu gelangen. 34 Jahre lang, um genau zu sein.

Am 26. Oktober 2014 saßen mein Wirsberger Team, Oma Herta und ich in einem Bus auf dem Weg ins „Palazzo“, einer Art Dinner-Varieté-Show, die ich seit einigen Jahren immer im Winter in einem Zelt gegenüber dem Nürnberger Volksfestplatz veranstaltete. Es war ein milder Herbstsonntag, und wir hatten den Betrieb extra für diesen Ausflug früher geschlossen. Ich war gerade Anfang 40 und – wenn man das so sagen konnte – auf dem Gipfel meines Erfolgs. Das Hotel lief gut, mein Küchenchef Tobias Bätz und ich hatten bereits 2008 unseren ersten „Michelin“-Stern erkocht und seitdem immer wieder bestätigt bekommen. Seit einem knappen Jahr gehörte ich zur Besetzung der neuen TV-Sendung „The Taste“ auf Sat.1, und ebenjenes „Palazzo“ hatte sich nach anfänglichen Startschwierigkeiten ebenfalls fest im Veranstaltungskalender der Region etabliert und war meistens ausgebucht.

Ohne Zweifel befand ich mich also aufgrund all dieser Aktivitäten mitten im berühmten Hamsterrad, das meist nur von innen aussah wie eine Karriereleiter, in dem man aber auf den zweiten Blick nicht wirklich vorankam – zumindest, wenn man Vorankommen mit einem Mehr an Freizeit oder Urlaub gleichsetzte. Das allerdings war bei uns Köchen auch nicht anders als in den allermeisten Berufen, und es machte mir überhaupt nichts aus. So war das eben in einem halbwegs normalen Leben, dass man viel Zeit in seinen Job investierte, sein Bestes gab – und es jeden Morgen von Neuem losging. Der Unterschied zu anderen Werktätigen mit einem anstrengenden 8-, 10- oder 12-Stunden-Tag war aber, dass es sich bei meinem Hamsterrad um ein verdammt breites Exemplar handelte, weil sehr viele Menschen mit mir mitstrampelten. Genau das war der Grund, warum wir nun zusammen diese Fahrt unternahmen: Ich wollte mich mal bedanken bei meinen Leuten, die das ganze Jahr dafür gesorgt hatten, dass alles so gut funktionierte – und ich im Fernsehen herumspringen konnte oder in einem kulinarischen Zirkuszelt, ohne dass in Wirsberg das Chaos ausbrach. Als wir auf der Autobahn in Richtung Nürnberg waren, nahm ich mir das Mikrofon und wollte eine kurze Ansprache halten. Im Kopf ging ich durch, was ich überhaupt sagen wollte.

Ich holte tief Luft und war kurz davor, zu einem feierlichen „Liebe Mitarbeiter“ anzusetzen, da fiel mir auf, dass meine Angestellten eigentlich viel mehr als bloße „Mitarbeiter“ waren. Das fing schon damit an, dass ich wie beschrieben mit dem Hotelpersonal aufgewachsen bin – und die gute Monika eben nicht eine „Hausdame“ für mich war, der treue Hans kein „Hausmeister“ und die resolute Gertrud auch keine „Kaltmamsell“ – sondern viel, viel mehr. Sie gehörten nicht unbedingt zur Familie, denn das war für mich nach dem einschneidenden Ereignis meiner Kindheit ein zu großes Wort: Meine Familie bestand seit dem Tod meiner Eltern nur noch aus meinen Großeltern sowie meinem Onkel und meiner Tante und später selbstverständlich aus meinen Kindern. Aber die Menschen damals und jene, die sich gerade mit mir in diesem Bus befanden, bildeten eine Einheit.

Ich überlegte, was wohl der richtige Oberbegriff dafür war. Das Wort „Team“, das ich natürlich auch verwendete, traf es nicht, denn in einem Team musste man sich nicht unbedingt mögen. Harmonie aber war mir schon immer ganz wichtig, und ich hätte es keinen Tag lang ertragen, wenn es bei uns einen Stinkstiefel in der Truppe gegeben hätte, der den anderen ihre Erfolge neidete. So wie es oft beim Fußball zu beobachten war, wo elf Individualisten zu einem solchen „Team“ zwangsvereinigt wurden, was dann in der Praxis so aussah, dass jenen elf, die auf dem Rasen standen, elf weitere Spieler im Nacken saßen, die nur darauf warteten, dass einer von denen auf dem Feld einen Fehler machte, um dessen Platz einzunehmen. Ein „Team“ zu sein bedeutete also nicht zwangsläufig, dass ein guter Geist darin herrschte.

Und da fiel mir ein, dass wir einfach eine „Gemeinschaft“ darstellten – eine überschaubare, bunt zusammengestellte soziale Gruppe, die jedoch durch ein starkes Wir-Gefühl eng miteinander verbunden war und in der es im Vergleich zu anderen Spitzenlokalen eine sehr geringe Fluktuation und eine äußerst lockere Herangehensweise gab. Vielleicht war das – ohne dass es mir jemals zuvor aufgefallen war – das große Geheimnis unseres Erfolgs: Wir alle miteinander waren eine starke Gemeinschaft, die ich anführen durfte und in der nicht Leistungsdruck und Strenge das Triebmittel waren, sondern der Zusammenhalt. Ich begann meine kleine Rede folglich mit „Liebe Gemeinschaft“ und musste lachen, weil mich danach alle so merkwürdig ansahen. Aber genau dieses Wort traf es, und die Grundlage für diese Haltung wurde kurioserweise durch den wohl größten Schicksalsschlag gelegt, den ein Kind erleben konnte.

Damals, in den Tagen und Wochen nach dem Unfall, ging es zunächst weiter wie gewohnt. Ich stand auf, wusch mich und zog mich halbwegs ordentlich an, was ich allerdings auch vor dem Tod meiner Eltern schon allein bewerkstelligen konnte. Dann ging ich hinunter, trank meinen Kakao, den mir idealerweise Marion zubereitet hatte, schmierte mir mein Pausenbrot und marschierte zur Schule. Die anderen Kinder sowie die Lehrer behandelten mich mit Samthandschuhen, und auch zu Hause versuchten alle, sich wenigstens mir gegenüber nichts anmerken zu lassen. Natürlich stand jeder im Hotel unter Schock, aber der Betrieb musste ja irgendwie weitergehen. So sehr allen voran meine Großeltern, aber auch Monika, Gertrud und Hans um meine Eltern trauerten, so sehr bemühten sie sich, alles am Laufen zu halten. Es ging um nicht weniger als unsere Existenz.

Klar war, dass meine Großeltern es nicht allein schaffen würden, Hotel und Restaurant zu leiten. Einerseits, weil meine Oma ein nicht immer ganz einfacher Charakter war: So sehr sie im langen Herbst ihres Lebens die gute Seele unseres Hauses war, so streitbar und eigensinnig war sie in früheren Zeiten gewesen, obwohl sie ganz harmlos aussah mit ihrer zarten Erscheinung, der stets gebräunten Haut und den eleganten Kleidern, die sie meist trug. Sie geriet auch immer wieder mit meinem Vater aneinander. Erst vor einem unserer letzten Kurzurlaube waren die beiden sich ziemlich in der Wolle gelegen, weil Großmutter unbedingt einen Kachelofen in unserer Jägerstube einbauen lassen wollte. Für Papa kam das nicht infrage, weil solch ein Trumm in seinen Augen unpraktisch war und Plätze kostete.

„Vergiss es, Herta. Da passt kein Ofen rein“, sagte mein Vater und hielt den Fall für erledigt. Immerhin war er es, der für die Gastronomie und damit auch für die Einrichtung der Stuben zuständig zeichnete.

Doch kaum waren die Rücklichter des Ferrari um die Kurve in der Sessenreuther Straße verschwunden, marschierten die Handwerker zum Hintereingang des Hotels hinein. Oma hatte längst alles akribisch vorbereitet und stellte meine Eltern nach deren Rückkehr einfach vor vollendete Tatsachen – sprich einen felsbrockengroßen, tonnenschweren und massiv gemauerten Kachelofen.

„Jetzt steht er doch schon. Den kann man ja gar nicht mehr ausbauen“, sagte sie lapidar und freute sich, wieder einmal alle ausgetrickst zu haben.

Mit ihr als Chefin konnte es also auf Dauer eher nicht gut gehen. Vor allem meinen Opa aber hatte der Verlust seines ältesten Sohns schwerer getroffen, als er sich eingestehen wollte. Er bekam Probleme mit dem Herzen und war nun auch schon in einem Alter, in dem sich andere längst zurückzogen. Es zeigte sich, dass einige langjährige Gäste plötzlich ausblieben: entweder, weil sie selbst nicht wussten, wie sie mit der Situation umgehen sollten, oder – und das war wahrscheinlich der häufigere Grund –, weil sie befürchteten, dass der Service und die Küche ohne Mama und Papa nicht mehr so gut funktionieren würden, auch wenn das keiner offen aussprach. Die hohe Bindung zu unseren Stammgästen, die beinahe freundschaftlichen Beziehungen und die Vertrautheit, die jahrelang die Grundlage des Erfolgs gewesen waren, drohten dem Posthotel jetzt auf die Füße zu fallen.

Deshalb fassten meine Großeltern einen Plan. Mein Onkel und meine Tante, die sich damals gerade erst kennengelernt hatten, sollten in Wirsberg einsteigen – und zwar so schnell wie möglich. Melitta brachte immerhin Gastronomiekenntnisse mit, sie hatte früher in einem Hotel im nahen Weißenstadt gearbeitet, wo sie aufgewachsen war. Für Onkel Werner jedoch, den jüngeren Bruder meines Vaters, war die Leitung des Hauses eigentlich undenkbar. Zwar hatte er seit einiger Zeit wieder bei uns Quartier bezogen, nachdem er eine Zeit lang mit seinem besten Freund zusammen in Afrika gelebt und dort Geschäfte gemacht hatte. Werner war aber kein Wirt und kein Koch, sondern gelernter Bankkaufmann und verkaufte außerdem Versicherungen. Unser Dorf war ihm viel zu klein. „Werner, es hilft nichts. Du musst hier ran“, sagte mein Opa. „Sonst geht das hier alles den Bach runter.“

Mein Onkel überlegte kurz und sagte schließlich zu. Eigentlich hatte er gar keine andere Wahl, denn ihm war die Familie wichtiger als das persönliche Wohlergehen. Innerhalb weniger Wochen machte er sich mit der Materie vertraut und übernahm immer mehr Aufgaben meines Vaters – mit Ausnahme der Küche, die nun Jürgen Beyer in seinem Sinne fortführte. Auch Jürgen wurde für mich viel mehr als einer unserer Mitarbeiter: Er brachte mir geduldig das Kartenspielen bei und später die ersten Handgriffe am Herd, und er versorgte mich mit Lebensweisheiten wie jener, dass derjenige, der saufen kann, am nächsten Tag auch zum Arbeiten taugt, was vor allem zu Zeiten der Kerwa, also der Kirmes, wichtig war. Abgesehen davon, dass Jürgen Beyer ein toller Mensch war und prima kochen konnte, hatte er einfach recht. Und Melitta kümmerte sich nun um die Dinge, die zuvor meine Mutter betreut hatte, wofür ich heute noch unglaublich dankbar bin.

Nach einem knappen halben Jahr schien es, als seien die anderen aus dem Gröbsten raus. Die Tränen wurden immer weniger, die ersten Gäste kamen zurück, und es begann im guten alten Posthotel wieder ein Stück Normalität. Erst in diesem Moment fing der Verlust auch bei mir an, langsam Wirkung zu zeigen. Meine Leistungen in der Schule ließen stark nach, und ich konnte derartige Probleme nicht mehr wie bisher mit meiner Mutter besprechen. Meine Oma war in Sachen Einfühlsamkeit und Verständnis ein ganz anderer Mensch als meine Mama, die noch dazu gelernte Lehrerin gewesen war und nur für das Hotel – beziehungsweise meinen Vater – ihren eigentlichen Beruf aufgegeben hatte. Mit meiner Großmutter dagegen mochte ich keine Hausaufgaben machen oder über schlechte Prüfungsnoten sprechen. Ihre Welt war das Haus, in dem sie praktisch ihr gesamtes Leben verbracht hatte. Sie wohnte mit Opa zwar nebenan, aber sie war sogar hier drinnen geboren worden: am 27. Januar 1915 im heutigen Zimmer 108 – am selben Tag, als Kaiser Wilhelm II. seinen 56. Geburtstag feierte. Auch deshalb interessierte sie sich nicht allzu sehr für die Geschehnisse draußen, und natürlich hatte sie ihre eigenen Probleme. Und wenn nicht, dann suchte sie sich manchmal welche. Es konnte vorkommen, dass an einem Sonntagmittag 30 Gäste die Sauerbratensoße über den grünen Klee gelobt hatten. Wenn sich aber ein einzelner überkritischer Dauernörgler, dem eh rein gar nichts passte, darüber beschwerte, sie sei nicht so sämig wie gewohnt ausgefallen, ging Oma in die Küche und tat kund:

„Also, die Soße heute war den Leuten viel zu dünn.“

So etwas zeigte bei den Mitarbeitern selbstverständlich Wirkung und führte nicht gerade zu einem besonders lockeren Betriebsklima. Mein Vater, der das immer abgepuffert hatte, war nicht mehr da, und Onkel Werner musste sich erst in den Ablauf hineinfuchsen. Vielleicht war Großmutters bisweilen schroffe Art generationenbedingt, denn sie hatte nicht nur zwei Weltkriege er- und überlebt. Sie durchlitt in den Jahren davor, dazwischen und vor allem nach 1945 Entbehrungen, von denen sich jemand wie ich glücklicherweise nicht im Entferntesten vorstellen konnte, wie schlimm sie gewesen sein mussten. Meine Urgroßeltern schickten sie schon als Kind in eine Schwesternschule nach Neuendettelsau, wo sie nach allen Regeln der Kirche gedrillt wurde. Sie musste sogar Französisch lernen – was dazu führte, dass sie auch mit über 100 noch munter mit französischsprachigen Gästen parlierte. Ihr ursprünglicher Berufswunsch war, Ärztin zu werden, doch das wurde ihr von ihrer Mutter energisch verwehrt. Ihr Bräutigam, Omas große Liebe, fiel während des Russlandfeldzugs. Später im Krieg diente unser Hotel, das damals eine kleine Bierwirtschaft war, kurzzeitig als Lazarett für verwundete Offiziere. Nach Kriegsende heiratete sie dann meinen Opa, der in Würzburg eigentlich Chemiker gelernt hatte und in Wirsberg zunächst eine Gewürzmühle besaß. Karl war ein enger Freund ihres Verlobten gewesen und schrieb ihr rührende Kondolenzbriefe, durch die sie sich näherkamen.

Vermutlich war zunächst weniger die pure Romantik als der Pragmatismus Auslöser für ihre Beziehung. Nach der Geburt ihrer beiden Söhne verloren die beiden ihre Tochter Petra im Alter von nur drei Jahren aufgrund einer Leukämieerkrankung. Herta hatte es also sicher nicht immer leicht gehabt. Trotzdem war mein Großvater zeit seines Lebens ein ganz anderer Typ als sie: gütig, ausgeglichen und sanft, immer mit einem netten Spruch auf den Lippen und kaum aus der Ruhe zu bringen. Aber er konnte sich gegen seine Frau nicht durchsetzen, und so ergriff er eines späteren Tages zumindest in beruflicher Hinsicht die Flucht und übernahm ein Hotel in Bad Alexandersbad.

Mir ging es rund um meinen zehnten Geburtstag immer mieser. Abgesehen davon, dass dieser Tag eh kein Anlass mehr zum Feiern sein konnte, gerade einmal 48 Stunden vor dem Jahrestag des Unglücks, verlor ich auch ansonsten etwas den Halt. Ich igelte mich ein, redete mit kaum jemandem, und in der Schule sackte ich regelrecht ab. Ich war gerade in die vierte Klasse gekommen und geriet schon nach kurzer Zeit erheblich ins Schwimmen. Am Jahresende in eine weiterführende Schule zu gelangen erschien zu diesem Zeitpunkt illusorisch. Das aber war logischerweise die Grundvoraussetzung, um in ein paar Jahren eine Lehre beginnen zu können. Nur mit Volksschule kam ich sicher nirgendwo unter, Hotelierskind mit Udo-Jürgens-Autogramm hin oder her.

„Alexander, so geht’s nicht weiter“, sagte mein Opa. „Du musst wieder in die Spur kommen. Aber ich weiß schon, wie wir das anstellen. Ich hab da jemanden für dich, der dir weiterhelfen kann.“

Er marschierte zu seinem guten Freund Gerhard Opel, dem liebevoll-strengen Schulleiter aus dem Nachbarort, der mich fortan als wahrscheinlich überqualifiziertester Nachhilfelehrer aller Zeiten unter seine Fittiche nahm. Herr Opel war nicht nur ein Universalgenie, das alle Fächer blind beherrschte. Er verstand es außerdem, die Zusammenhänge so zu erklären, dass sie selbst ein gerade ziemlich lernunwilliges Kind verstand. Ich fand jedenfalls rasch einen Draht zu ihm und setzte mich, wenn auch anfangs missmutig, auf den Hintern und fing an, zu pauken. Es konnte ja nicht angehen, in der vierten Klasse sitzenzubleiben. Auch Werner und Melitta übernahmen bei mir mehr und mehr die Elternrolle und bemühten sich nach Kräften, meine Trauer und ihre Begleiterscheinungen abzupuffern.

Zwischenzeitlich hatten wieder die Festspiele stattgefunden und wohl auch aufgrund des Mitleids unserer Gäste staubte ich in diesem Jahr besonders ab. Drei Wochen lang trug ich jeden Koffer, den ich in die Finger bekommen konnte, was mir eine Einnahme von satten 800 DM einbrachte – ein unfassbares Vermögen für ein Kind. Von einem Teil der Kohle, die durch das obligatorische Geburtstagsgeld sogar noch aufgestockt wurde, kaufte ich mir unter anderem ein sündhaft teures, aber unglaublich cooles und vor allem für Zehnjährige absolut verbotenes „Überlebensmesser“, praktischerweise direkt vor Ort in der „Süddeutschen Messerfabrik“ in Gefrees, wo man auch Dolche, Hirschfänger, Bajonette, Schwerter und andere Schmankerln im Angebot hatte und es damals in Sachen Altersbeschränkung etwas lockerer sah. Passend dazu bestellte ich mir aus den Versandkatalogen, die bei uns immer irgendwo in einer Büroschublade zu finden waren, ein halbes Dutzend hochwertige Wurfsterne, die ich, von den anderen unbemerkt, direkt beim Briefträger per Nachnahme an der Rezeption bezahlte. Ich kaufte mir in meiner Gefühlsmischung aus Niedergeschlagenheit und Trotz lauter solches Zeug, das mir meine Eltern niemals erlaubt hätten und mich in meiner momentanen und selbst gewählten Rolle als einsamer Kämpfer bestärkte. Da ich mit den Sternen natürlich nicht auf dem Hotelgelände das Werfen üben konnte und das Messer gut in meinem Zimmer versteckte, bekamen weder die Großeltern noch Onkel und Tante etwas von alledem mit, und das war auch besser so.

Zu der Zeit konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, quasi mein gesamtes Leben wie schon mein Vater oder meine Oma in diesem Hotel zu verbringen. Stattdessen wollte ich jetzt Tierarzt werden. Diesen Plan hatte ich schon zu Papas Lebzeiten gehabt. Ich meinte das durchaus ernst, denn ich mochte Tiere sehr, aber er tat dies immer als kindliche Spinnerei ab. Dabei versuchte ich mit großer Ernsthaftigkeit, in dieser Hinsicht Anamnesen aufzunehmen, und als ich bei unserem Eyk einmal einen heftigen Hundeschnupfen diagnostizierte, behandelte ich diesen sogleich mit Eukalyptussalbe. Nach wenigen Sekunden taten die ätherischen Öle das, was sie auf einer sensiblen Hundeschnauze besser nicht tun sollten, und der arme Eyk zerlegte in seiner Hilflosigkeit fast das gesamte Zimmer, bevor ich ihn in die Badewanne bugsieren konnte, um das Zeug wieder von ihm abzuwaschen. Danach fiel ich in seiner Gunst vorübergehend etwas ab.

„Mein Sohn, du hast sicher mehr Talent, Schnitzel zu panieren, als Tiere zu behandeln“, hatte mein Vater nach dem Vorfall gesagt, obwohl ich noch nie ein Schnitzel paniert hatte. Aber gerade war das sehr, sehr weit weg.

Zu meinem eigenen Erstaunen jedoch gelang Herrn Opel innerhalb weniger Monate ein kleines Wunder: Er brachte mich zurück in die Spur. Durch viel Verständnis für meine private Situation wurden meine Noten langsam wieder besser. Und nachdem mein Onkel und mein Großvater mich mit dem Betrieb in diesen Wochen weitgehend in Ruhe gelassen und auch schulisch keinerlei Druck auf mich ausgeübt hatten, begann ich mich langsam wieder mit dem Gedanken anzufreunden, irgendwann selbst am Herd zu stehen und doch keine Karriere als Veterinär zu beginnen. Schließlich konnte das Haus nichts für den Unfall, und das, was mein Vater und seine Kollegen dort unten Tag für Tag unter Hochdruck zustande brachten, hatte mich immer schon fasziniert. Rund um Weihnachten und Silvester arbeitete ich zum ersten Mal richtig in der Küche mit. Gut, es war anfangs bloß die Spülküche, und nach drei Wochen, in denen ich im Akkord die Speisereste von den Tellern kratzte und über mehrere Stunden am Stück mit aufgequollener Haut im heißen Wasserdampf stand, war ich über jede Kritik erhaben. Ich wollte nun ein Teil des Ganzen sein, und der Anfang dafür war gemacht.

Nach einigen Monaten intensiver Nachhilfe hatte es Herr Opel hinbekommen, dass ich nach der vierten Klasse auf die Realschule wechseln konnte. Die Jahre dort verliefen eigentlich total unspektakulär. Ich war kein besonders guter Schüler, aber ich geriet dank der weiterhin sehr geduldigen Begleitung durch den guten Gerhard Opel nie mehr in akute Abstiegsgefahr. Parallel auf dem Weg zur Mittleren Reife half ich derweil immer öfter bei Jürgen Beyer und seiner Mannschaft mit. Ich war eine willkommene Verstärkung, da ich zum einen nichts kostete und zum anderen alles, wirklich alles machte, was mir aufgetragen wurde. Ich schälte Kartoffeln, bis ich beinahe unter einem Berg von Schalen begraben war. Ich hackte Zwiebeln, bis ich nicht mal mehr auf einen halben Meter Entfernung sehen konnte. Und ich rührte, stampfte, klopfte oder knetete, bis mir die Arme wehtaten.

Danach lernte ich die ersten filigraneren Handgriffe: Tomaten häuten, Julienne schneiden, Fleisch parieren und solche Dinge. Später ließen mich die Köche an den verschiedenen Posten schon mal mit abschmecken, und ich durfte mich mit dem Segen von Jürgen an kleineren eigenen Kochexperimenten versuchen. Die gingen zwar nicht gleich heraus an die Tische, aber anscheinend bemerkten die Erwachsenen um mich herum, dass ich mich zumindest nicht ganz dämlich anstellte. Nach ein, zwei Jahren, in denen ich alle Stationen unserer Küche ausprobiert und gewissermaßen eine Grundausbildung im Schnelldurchlauf absolviert hatte, durfte ich das erste Mal mit anrichten – und zwar die „echten“ Speisen, die dann auch tatsächlich draußen serviert wurden.

Genau dafür besaß ich offenbar ein Naturtalent. Es machte mir einen riesigen Spaß, die Gerichte so zu drapieren, dass sie nach etwas Besonderem aussahen. Das konnte ein einfaches, blanchiertes Wirsingblatt sein, das am Rand eines kräftigen Fleischstücks als frischer, farblicher Akzent mit auf dem Teller lag. Ein duftender Rosmarinstängel, der passend zum saftigen Lammbraten senkrecht in einem kunstvollen Klecks Kartoffelpüree steckte. Oder ein geschmeidiger Soßenspiegel, der sich schwungvoll um das Hauptgericht herumzog, anstatt es komplett zu ertränken. Die Einzige, die meine – wie ich fand, künstlerisch recht anspruchsvollen – Arbeiten etwas kritischer betrachtete, war meine Oma. Sie war zwar selbst immer eine elegante Erscheinung. Aber sie befürchtete, unsere Gäste könnten sich durch das ungewohnte Aussehen der Speisen abgeschreckt fühlen – immerhin sahen die Forelle, der Schweinerücken oder das Rinderfilet in den vergangenen 30 Jahren ihren Worten zufolge immer recht ähnlich aus. Dass allerdings genau das Gegenteil der Fall war, enthielt sie mir sicherheitshalber vor. Sie lobte mich nur, wenn es gar nicht mehr anders ging, hatte erstaunlicherweise aber auf der anderen Seite eine große Angst davor, dass ich das Posthotel verlassen, meine autodidaktische Kampfausbildung zum Beruf machen und mich bei der Bundeswehr als Zeitsoldat verpflichten würde.

„Bub, du gehst doch nicht wirklich zum Barras und wirst Einzelkämpfer wie dieser Rambo?“, fragte sie mich immer wieder, und ich ließ sie zwei Jahre in dem Glauben.

Als ich gerade 16 geworden war, hatte ich eine halbwegs passable Mittlere Reife hingelegt und war mit der Schule fertig. Nur die Pubertät und die fehlende erzieherische Aufsicht eines Vaters und einer Mutter holten mich immer mal wieder ein. Onkel Werner und Tante Melitta kümmerten sich zwar weiterhin rührend um mich, allerdings erzogen sie mich, abgesehen von der enormen beruflichen Belastung, die sie hatten, angesichts der Umstände mit einer ganz anderen Strenge, als sie meine Eltern an den Tag hätten legen können. Ich genoss also viele Freiheiten. Und so fanden sich meine Kumpels und ich gelegentlich während der Nachmittagsruhe in unserer Hotelbar ein und würfelten so lange um Asbach-Cola, bis wir uns allesamt in einem nicht mehr besonders vorzeigbaren Zustand befanden und uns besser verkrümelten, bevor uns jemand vom Haus antraf oder die Gäste wiederkamen.

Auch mein Trinkgeld investierte ich zu dieser Zeit gerne in Feieraktivitäten, beispielsweise in die in Oberfranken sehr populäre „Gaaßmoss“, auf Hochdeutsch: „Ziegenmaßkrug“, in der in einem Literkrug dunkles Bier, Cola und wahlweise Kirschlikör oder Cognac auf schmackhafte und nachhaltige Weise zusammenfinden. Manchmal wusste ich nicht, wie ich es von der Kerwa oder der Sonnwendfeier nach Hause geschafft hatte, aber am nächsten Morgen stand ich, wie von Jürgen gefordert, trotz der einen oder anderen „Gaaßmoss“ zu viel immer meinen Mann und half aus, wo ich eben eingeplant war – und darauf kam es an.

„Alexander, du musst mal hier raus“, sagte mein Opa kurz nach dem Abschluss zu mir. „Ich hab da auch schon eine Idee.“

Inzwischen war ich mir wieder halbwegs sicher, dass sich meine berufliche Zukunft zwischen Herd und Pass befinden würde. Zu sehr hatte mir das imponiert, was ich in den vergangenen Jahren bei Jürgen Beyer und den anderen Kollegen sehen und ausprobieren konnte. Außerdem gehörte das Posthotel seit immerhin vier Generationen meiner Familie: Meine Ururgroßmutter hatte das alte Bauernhaus einst zu einer Wirtsstube umbauen lassen, und mein visionärer Urgroßvater machte daraus eine Herberge, nachdem er in London und Monte Carlo gesehen hatte, wie moderne Hotels Ende des 19. Jahrhunderts funktionierten. Dann kamen Opa und Oma, bauten den Betrieb weiter aus und veredelten die Gastronomie. Da durch den Unfall meiner Eltern allerdings eine komplette Generation ausgefallen war und sowohl meine Großeltern als auch mein Onkel und meine Tante das Haus nicht ewig weiterführen konnten, war klar, dass diese Tradition in nicht allzu ferner Zukunft aussterben würde. Es sei denn, ich würde mich eben doch gegen den Bund oder die Karriere als Veterinär und für eine Ausbildung zum Koch entscheiden. Wenn man es jedoch genau betrachtete, wäre ich ganz schön doof gewesen, etwas anderes zu machen. Denn ich hatte es hier schon verdammt gut.

Allerdings hielt mich mein Großvater für zu jung, um mich gleich ganz ins kalte Wasser zu schmeißen, sprich, um eine richtige Lehre in einem anderen gastronomischen Betrieb anzufangen. Das aber war notwendig, denn wer ein guter Koch werden wollte, der musste raus in die Welt, um neue Sicht- und Arbeitsweisen kennenzulernen. Opa hatte recht mit seiner Einschätzung, denn jeder im Posthotel fasste mich bewusst oder unbewusst mit Samthandschuhen an. Das freilich wäre anderswo sicher nicht der Fall gewesen, im Gegenteil: Man wusste ja, dass der Ton in der Küche oft laut und ruppig war – und das war ich nicht gewohnt. Deshalb beschloss er, mich für ein Jahr in die Hotelfachschule nach Neuötting zu schicken, wo ich zumindest noch ein bisschen schützende Umgebung um mich herum haben würde. Erst im Nachhinein begriff ich, welche enorme finanzielle Tragweite diese Entscheidung für unsere gesamte Familie hatte: Die Fachschule war weit über die Grenzen Bayerns hinaus anerkannt, weshalb die Ausbildung dort stattliche 25.000 DM kostete, die nicht mal eben in einer Geldschublade an der Rezeption herumlagen – und von denen keiner wusste, ob sie gut angelegtes Geld waren. Allerdings bekam ich davon nichts mit. Stattdessen freute ich mich, mal aus Franken rauszukommen und nach Oberbayern zu dürfen, wo die Kirchturmdächer wie Zwiebeln aussahen.

Die privat geführte Einrichtung mit dem klangvollen Namen „Bavaria“, die sich im sehr ländlichen Neuöttinger Ortsteil Alzgern befand, war ein eher schmuckloser grauer 70er-Jahre-Bau, an dessen Eingang ein bayerischer Messinglöwe darüber wachte, dass die knapp 250 Schüler nicht zu viel Unsinn trieben. Die Schule war aufgebaut wie ein richtiges Hotel, sodass wir alle Stationen eines professionellen Betriebs durchlaufen konnten, von der Zimmerreinigung über den Service bis zum Küchendienst. Die Einteilung wechselte wöchentlich, nach sieben Tagen Theorie folgten sieben Tage Praxis. Fachlich, das stand schon nach kurzer Zeit fest, kam ich hier jedoch nicht wirklich weiter: Das meiste, das uns dort in den Praxiswochen beigebracht werden sollte, kannte ich längst. Und die Theorie machte mir keinen Spaß, weil ich gehofft hatte, nach der Mittleren Reife die ganze Lernerei erst mal hinter mir lassen zu können. Aber zumindest war ich das erste Mal in meinem Leben länger weg aus dem beschaulichen Wirsberg, insofern konnte mir der Aufenthalt eigentlich nur guttun.

Knapp die Hälfte meiner Mitschüler kam erkennbar aus einem reichen Elternhaus, teilweise aus dem Ausland, und war wahrscheinlich nur hier, weil zu Hause jeder froh war, die kleinen Besserwisser mal für eine längere Zeit los zu sein. Mit der anderen Hälfte aber verstand ich mich gut, obwohl ich mit Abstand der Jüngste von allen war. Wir wurstelten uns gemeinsam durch die Wochen und halfen uns gegenseitig. Um richtige Freundschaften zu schließen, blieb leider keine Zeit, aber wir „Normalos“ hielten auf jeden Fall zusammen.

Höhepunkte für mich waren jene Einsätze, die außerhalb des Schulkomplexes anfielen. Der Direktor hatte gute Kontakte zu renommierten Betrieben, und so konnte es schon mal vorkommen, dass eine ganze Kolonne Hotelfachschüler für „Feinkost Käfer“ nach München abkommandiert wurde, wenn der wieder eine größere Veranstaltung oder ein Bankett ausrichtete. Die anderen drückten sich gerne vor derartigen Zusatzaufgaben. Ich aber fand es total spannend zu beobachten, wie es funktionierte, 500 oder 600 Menschen auf einem Haufen gleichzeitig mit Essen und Getränken zu versorgen – außerdem gab’s zehn DM pro Stunde auf die Hand. Ich richtete im Akkord an, bediente im Stechschritt und trug genauso eilig wieder ab. Die Abende, die oft bis tief in die Nacht dauerten, waren härteste Knochenarbeit, zumal wir meistens im Anschluss auch noch die Tische und Stühle aufräumen mussten, und so sanken wir nach sechs oder sieben Stunden schweißüberströmt in die Sitze unseres Busses, der uns aus der Stadt zurück in die Prärie brachte. Die Faszination für solche im Idealfall bis ins Detail durchgeplanten Abläufe indes machte die körperliche Anstrengung beinahe wett. Während der Schulferien durfte ich jedes Mal nach Hause, und so ging auch das Jahr in Neuötting verhältnismäßig schnell vorbei.

Später, während meiner Lehre, kehrte ich noch mal hierher zurück – für einen Nachwuchswettbewerb, den die Schule ausgeschrieben hatte. Als ersten Preis gab es einen Meisterkurs zu gewinnen. Ich gewann, aber ich hatte keine Zeit dafür. Ich musste ja erst mal raus in die Welt.

... und eine Prise Wahnsinn

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