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Kurzer Blick auf die Entwicklung nach Humboldts Tod 1859
ОглавлениеAls Humboldt am 6. Mai 1859 starb, stand auch sein großer geographischer Partner Carl Ritter an seinem Grab im Tegeler Park; er verstarb noch im selben Jahr, am 28. September. Im gleichen Jahr erschien Darwins epochemachendes Werk über den Ursprung der Arten.
In der anschließenden Epoche der Geographie, die von 1859 bis 1869 währte, erlebte die seit dem 16. Jahrhundert führende Geographie in Deutschland ihre größte und nachhaltigste Revolution, indem eine zeitgenössisch günstige Startbahn die Voraussetzung zur Entfaltung der Geomorphologie schuf. Der Mensch trat zurück, die Natur rückte in den Mittelpunkt der Betrachtung. Während die reine Naturgeographie sich konsolidierte, blieb die Geographie des Menschen trotz der großen Leistungen Friedrich Ratzels, Otto Schlüters und Alfred Rühls hinter diesem Fortschritt zurück. Den Geographen entglitten seit 1859 die von Humboldt meisterhaft eingesetzten Meßinstrumente. Merkwürdigerweise sahen die Geomorphologen nicht mehr die bedeutenden Erfolge der quantifizierenden, mathematisierten Wasserbautechnik, die Humboldt selbst hoch eingeschätzt hatte. Sie entwickelten statt dessen eine bewußt in der und für die Geographie betriebene Morphologie. Daß diese durchaus Beträchtliches, ja Vorzügliches geleistet hat, bleibt unbestritten, daß sie aber den Fortgang der in jeder Beziehung vorbildlichen klassischen deutschen Geographie verhindert hat, wird ebenso deutlich. Obwohl die Geographie in Deutschland führend blieb, fehlte ihr doch in einem unerwarteten Ausmaß die Kenntnis der großen Leistung Humboldts und Ritters auf dem Gebiet der Physikalischen Geographie und damit die Möglichkeit zu bewußt fortschrittlicher Tradition. Erst die Geographiegeschichte der Gegenwart hat diese Physikalische Geographie rekonstruiert und den Prozeß eines einmaligen, fast unverständlichen Traditionsverlustes revidiert. Dies ist gewiß eine der interessantesten Unternehmungen der bisherigen Wissenschaftsgeschichte überhaupt. Damit wurde auch das Ausmaß des Verlustes deutlich. Die dabei klar gewordenen Defizite sind Geomorphologen in Deutschland in ersten Ansätzen offenbar geworden; insgesamt ein Vorgang, der sich nicht mehr aufhalten läßt und Änderungen erzwingen wird.
Die menschliche und politische Weltgeltung Humboldts ist von der Unkenntnis des Kernes seiner wissenschaftlichen Leistung erstaunlich unberührt geblieben. Begriffe wie „Monarch der Wissenschaften“ oder „letzter Universalist der Erdforschung“ verdeckten klares Nichtwissen15. Wohl hat z.B. Richthofen noch 1883 einmal die Physikalische Geographie Humboldts betont, ohne etwa aus seinem vielfältigen Reisewerk das Weiterführbare zu gewinnen. Es blieben bloße Vokabeln, und immer wieder wurde der Universalismus betont, dem Humboldt selbst widersprochen hatte.
Aus vielem Unverständlichen und aus wenigem wirklich Verstandenen (Routen und einige Leistungen der Forschungsreisen, die von Hauff atmosphärisch gut aus dem Französischen übersetzten Reiseschilderungen, das Mäzenatentum, die Liberalität, das Porträt, das immer wieder abgebildet wurde) entwickelten sich erstaunliche Liebe und Zuneigung. Selbst als der Historiker Alfred Dove, der immerhin der bedeutendste Mitarbeiter der von Karl Bruhns 1872 herausgegebenen Humboldt-Biographie war, Alexander schwer herabsetzte, weil er seine wissenschaftliche Leistung nicht verstand, haben diese teilweise anmaßenden Ausfälle keine Folgen gehabt, und als 1899 die ›Berliner Illustrirte Zeitung‹ die Einwohner der Reichshauptstadt nach dem berühmtesten Einwohner des 19. Jahrhunderts fragte, erhielt Alexander 1500 Stimmen und der doch gewiß sehr beliebte und volkstümliche Kaiser Wilhelm I. 1200!