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Kapitel 3: Ein Stein mit Tränen

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Nach der Schule saß Antonia auf einer Mauer vor der Seeburg und ließ die Beine baumeln. Da verkündete ihr Handy, dass eine Nachricht angekommen war. Sie hatte ihr Smartphone noch in der Hand, weil sie gerade erst über die Chat-Gruppe »Die vier vom See« bei Franky nachgefragt hatte:

Wie geht’s dir?

Können wir dich besuchen?

Als sie nun seine Antwort las, musste sie grinsen:

Klar! Mama und Papa bringen gleich Pizza

Franky ging es eindeutig viel besser, sagte sich Antonia erleichtert. Dann tippte sie:

In welchem Zimmer bist du?

Antwort:

Moment! Muss eine Schwester fragen!

Und kurz darauf:

Station 5, Zimmer 484.

Sie schrieb zurück:

Sobald die anderen da sind, kommen wir.

Franky schickte noch ein »Daumen-hoch«, dann steckte Antonia das Handy in die Tasche zurück und blickte auf den See. Es war außergewöhnlich warm für einen Wintertag. Antonia genoss es, draußen sein zu können, ohne nass zu werden oder zu frieren. Leider war laut ihrer Wetter-App schon in zwei Tagen wieder mit heftigen Schneefällen zu rechnen.

Aber zum Glück heute noch nicht. Heute konnten sie mit den Fahrrädern nach Kempfenhausen fahren, um Franky zu besuchen.

Antonia und Jaron wohnten beide in der Jugendherberge Seeburg. Antonias Eltern Gitti und Andreas waren die Herbergseltern dieser imposanten Burg, weshalb Antonia und ihre beiden jüngeren Geschwister dort ihr Zuhause hatten.

Jarons Mutter Angelika war die Sekretärin, sie hatte vor ein paar Monaten mit ihrem Sohn die leere Hausmeisterwohnung bezogen. Auf dem Gelände der Burg befand sich außerdem der Treffpunkt der vier Freunde: ein ehemaliger Zirkuswagen – genannt der alte Heinrich –, in dem sie ungestört Musik hören und Pläne schmieden konnten.

Antonia wurde ungeduldig: Warum brauchten Jaron und Emma heute so lange? Sie warf die Haare zurück, schaute auf die Uhr und blickte dann wieder zum See.

In diesem Moment tauchte vor ihr eine Gestalt auf, die sie sofort erkannte: Opa Hans stieg die Stufen zur Burg hinauf und winkte ihr zu, als er sie entdeckte.

Sobald er sie erreicht hatte, setzte er sich – etwas schnaufend – neben sie und legte ihr einen Arm um die Schulter. Sein weißer Haarkranz und die Schweißperlen auf seiner Stirn glänzten in der Sonne. »Na, Antonia?«, erkundigte er sich. »Alles klar bei dir?«

»Nicht ganz«, antwortete sie. »Gleich kommen Emma und Jaron, dann fahren wir zum Krankenhaus in Kempfenhausen, um Franky zu besuchen.«

»Franky liegt im Krankenhaus?«, fragte Opa Hans überrascht. »Was ist denn passiert?«

»Er hat sich gestern bei einem Fußballspiel verletzt. Sein Arm ist gebrochen und er musste operiert werden.«

»O nein, das tut mir aber leid. Wie geht es ihm?«

»Anscheinend hat er das Narkosemittel nicht so richtig vertragen, deshalb war er nach der Operation noch eine ganze Weile bewusstlos. Aber heute ist er wohl schon wieder ganz der Alte: große Klappe und einen guten Appetit.«

Um Opa Hans’ Augen bildeten sich lauter kleine Lachfältchen. »Ja, so ist er. Hättet ihr was dagegen, wenn ich mitkomme? Ich würde ihn auch gerne kurz besuchen, bevor ich arbeiten muss.«

Antonia freute sich. »Nein, natürlich nicht. Franky wird das sicher toll finden. Wir wollten mit den Fahrrädern hinfahren, wär das für dich in Ordnung?«

»Na, diese Strecke werde ich hoffentlich gerade noch bewältigen. Weißt du was? Ich gehe zurück zum Fischerschuppen, hole mein Rad und warte dort auf euch.«

Opa Hans wohnte an der Seestraße Richtung Berg, direkt am Ufer, in einem alten Bootshaus. Im Erdgeschoss, das zum Wasser hin offen war, lag sein Fischerboot; im ersten Stock befand sich eine kleine, sehr gemütliche Wohnung mit einem gigantischen Ausblick auf den See und die Berge. Obwohl der ältere Herr mit Antonia nicht verwandt war, betrachtete sie ihn längst als eine Art Ersatzopa. Und ihren Freunden ging es genauso.

Antonia nickte. »Alles klar. Bis gleich.«

Er lächelte ihr zu, stand auf und ging die Treppe wieder hinunter, die die Seeburg mit der Seestraße verband. Antonia sah ihm hinterher, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war.

Dann schaute sie auf die Uhr. Es war drei Uhr, Jarons Kung-Fu-Training und Emmas Mathematik-AG waren schon vor einer halben Stunde zu Ende gegangen. Wo blieben die beiden nur? Antonia wurde ungeduldig.

Gerade wollte sie ihr Handy wieder aus der Tasche ziehen, um ihnen eine Nachricht zu senden, da hörte sie wildes Klingeln. Jaron und Emma kamen auf ihren Fahrrädern hinter den Bäumen hervor und bremsten direkt unter ihr.

»Hey Antonia!«, rief Jaron zu ihr herauf. »Was sitzt du da so faul rum – wir wollten doch zu Franky!«

Antonia schnaubte. Was für eine Frechheit! »Ihr seid doch diejenigen, die spät dran sind!«, gab sie zurück. »Musstet ihr unterwegs noch ein Mittagschläfchen halten, oder was?«

Jaron lachte nur und sagte etwas zu Emma, das Antonia nicht verstehen konnte.

Sie sprang auf, lief zu ihrem Fahrrad, das schon auf dem Parkplatz vor dem Portal bereitstand, und sauste die Straße hinunter.

Als sie ihre Freunde erreicht hatte, sagte sie: »Opa Hans möchte auch mitkommen. Er wartet am Fischerschuppen auf uns.«

»Das ist super!«, meinte Emma. »Jetzt aber nichts wie los!«


Franky wusste nicht, wie seine Eltern das geschafft hatten, aber die Pizza, die ihm sein Vater aufs Bett legte, war noch warm. Der Duft füllte das ganze Krankenzimmer, in dem er im Moment alleine lag.

»Danke!«, sagte er strahlend und öffnete die Schachtel. »Mmmh, Sardellen, Knoblauch und Peperoni, meine Lieblingspizza!«

»Sì«, lächelte seine Mutter, »wir wissen doch, was du dir wünschst.« Sie setzte sich zu ihm auf den Bettrand und half ihm, die Pizza in Stücke zu teilen. Der große Gips, der Frankys verletzten Arm vom Handgelenk bis knapp unter die Schulter einschloss, behinderte ihn doch sehr.

Mit der anderen Hand klappte er geschickt ein Stück zusammen, biss ab und kaute. Herrlich! Bis jetzt hatte er im Krankenhaus ja nur ein Frühstück und ein Mittagessen erhalten, beides ließ aber für die nächsten Tage nichts Gutes ahnen. An die Pizza seiner Mama kam eben nichts heran.

Sein Vater hatte sich inzwischen einen Stuhl geholt und sah ihm belustigt beim Essen zu. »Wenn deine Arm so schnell wieder gut wird wie deine Appetit, dann biste du bald wieder gesund«, meinte er und lachte. »O Mio figlio, ich bin so froh, dass es dir schon geht viel besser!«

Elvira nickte. »Du hast uns einen ordentlichen Schrecken eingejagt, als du gestern nicht aufgewacht bist. Wir haben uns große Sorgen gemacht. Deine Freunde übrigens auch, sie waren gestern Abend ebenfalls hier.«

»Dasch ist nedd!«, nuschelte Franky mit vollem Mund und freute sich. Auf die drei war Verlass.

An den vorherigen Abend hatte er nur vage Erinnerungen: Den Aufenthalt in der Intensivstation hatte er fast komplett verschlafen. Nur, dass seine Eltern irgendwann an seinem Bett gewesen waren, hatte er mitbekommen. Aber Franky wusste noch ganz genau, wie er heute Morgen aufgewacht war. Danach hatte man ihn relativ bald im Bett quer durchs Krankenhaus bis in dieses Zimmer geschoben.

Seine Mutter legte eine Hand auf die Bettdecke. »Es ist gut zu sehen, dass du schon wieder so fit bist. Hast du noch schlimme Schmerzen?«

Kopfschüttelnd schluckte Franky den letzten Bissen hinunter und griff nach einem neuen Stück Pizza. »Nein. Geht schon. Manchmal sticht es im Ellbogen, aber die meiste Zeit ist es echt gut«, erklärte er, bevor er wieder von der Pizza abbiss. »Jaron und die Mädschen wolln übrigensch au gleisch kommen.«

Germano nickte. »Das haben wir uns schon gedacht. Ihr seid wirklich ein gutes Team. Ich freu mich, dass du haste so gute Freunde.«

Auch Elvira nickte.

»Wir können leider nicht bleiben sehr lange«, verkündete sein Vater. »Wir müssen in die Pizzeria.«

»Luigi ist ausgefallen. Wir müssen heute Abend beide am Pizzaofen einspringen«, fügte seine Mutter hinzu.

Franky zog nur die Augenbrauen hoch. Ihm war der Restaurantbetrieb vertraut; er wusste, wie viel Arbeit seine Eltern investierten. Wenn jemand krank war, blieb dessen Aufgabe eben auch noch an ihnen hängen. Aber Franky fühlte sich dadurch nicht vernachlässigt, denn er kannte es nicht anders.

»Wir haben gerade mit Dr. Dragumir gesprochen. Dein Arm sieht gut aus, sie ist sehr zufrieden mit dem Ergebnis der Operation«, sagte Elvira. »Wenn alles so weiterläuft, bist du in wenigen Tagen wieder zu Hause.«

Sie griff nach einer Tasche, die sie neben sich auf den Boden gestellt hatte. »Wir haben dir ein paar Sachen mitgebracht.« Sie zog den Reißverschluss auf und holte einen frischen Schlafanzug, etwas Unterwäsche, einen Waschbeutel und Frankys Tablet heraus.

»O, super! Danke!«, rief Franky, ließ das Pizzastück in die Schachtel zurückfallen und schnappte sich das Tablet.

Seine Mutter schüttelte nur lächelnd den Kopf, während sie sich zum Schrank drehte, um alles Übrige zu verstauen.

In diesem Moment klopfte es an die Tür, und Jaron, Antonia und Emma kamen herein – dicht gefolgt von Opa Hans.

Kaum hatte der alte Mann das Zimmer betreten, deutete er schmunzelnd auf die Pizza. »Ist das hier die reguläre Krankenhausverpflegung?«, fragte er. »Wenn ja, werde ich mich das nächste Mal, wenn ich einen Arzt brauche, hier einweisen lassen!«

Germano stand auf und begrüßte die Freunde. »Molto gentile, dass ihr seid da. Auch Sie, Signore Bernwieser. Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie Franco besuchen.«

Opa Hans nickte. »Das ist doch selbstverständlich. Ich muss doch wissen, wie es meinem schlauen Freund hier geht.«

Franky merkte, dass Jaron ihn eindringlich musterte. »Und, geht’s dir wieder besser?«, fragte er.

»Klaro, alles bestens«, antwortete Franky. »Ich hab schon gehört, dass ihr euch Sorgen gemacht habt. Wäre echt nicht nötig geworden. Mich bringt so schnell nichts um.«

»Reiß nur mal deine Klappe nicht so weit auf«, erwiderte Emma, die neben Jaron getreten war. »Dass es dir heute wieder so gut geht, konnte gestern noch niemand ahnen.«

»Jaja, jetzt mach dir mal wegen mir nicht ins Hemd, Emma-Schätzchen«, wiegelte Franky ab. »Auch ein Stück?« Er streckte ihr ein Pizza-Dreieck entgegen.

Doch seine Freunde schüttelten die Köpfe.

»Ach, lass mal«, sagte Emma und zog die Nase kraus. »Wir kennen deinen Geschmack: Du bist wirklich der einzige Mensch, der denkt, dass Sardellen und Peperoni auf dieselbe Pizza gehören.«

Franky grinste und aß weiter. »Wie du meinscht«, schmatzte er. »Bleibt mehr für mich.«

»Franco, wir machen uns dann mal auf den Weg«, sagte seine Mutter.

Und sein Vater fügte hinzu: »Ciao, figlio mio, und erhol dich gut. Der Scout war molto beeindruckt von dir. Er will dich noch mal sehen. Du musse bald wieder sein gesund!«

Papa kann es einfach nicht lassen, dachte Franky, während er sich von seinen Eltern verabschiedete. Nachdem die beiden das Zimmer verlassen hatten, zogen die Freunde einen Stuhl für Opa Hans heran und setzten sich dann auf Frankys Bettkante.

»Auf der Herfahrt hat Jaron erzählt, dass gestern ein Scout vom FC Bayern da war«, sagte Opa Hans.

»Ja«, bestätigte Franky. »Papa war voll aufgeregt. Ich sollte unbedingt gut spielen. Heute hat er mir gleich berichtet, dass der wohl recht begeistert von mir gewesen sei. Er will mich trotz des Unfalls unbedingt noch einmal sehen.«

»Das ist doch eine super Sache! Ich wusste gar nicht, dass du so gut Fußball spielst«, meinte Opa Hans.

»Ja, schon … Aber es gibt eben andere Sachen, die mich noch mehr interessieren«, murmelte Franky. »Und außerdem nerven mich diese Idioten, die mich auf dem Platz ständig anmachen.«

Der alte Mann nickte. »Ja, das habe ich auch schon erlebt, dass der Ton bei solchen Spielen ganz schön rau werden kann. Das spricht für dich, Franky, dass du da nicht mitmachen möchtest.«

»Du solltest deinem Vater endlich sagen, dass du nicht mehr Fußball spielen willst«, erklärte Antonia energisch.

Franky verzog das Gesicht. »Ich weiß«, druckste er, »aber du kennst ihn nicht. Wenn er was will, dann will er es. Ganz besonders, wenn es was mit Fußball zu tun hat. Irgendwie schaltet da sein Verstand aus.«

»Nun, ich kann gut verstehen, dass dir das schwerfällt«, meinte Opa Hans. »Sich zur Wahrheit zu stellen, ist nicht immer einfach. Aber ich stimme Antonia zu: Du solltest es deinem Vater sagen. Und zwar bald. Je länger du wartest, desto schwerer wird es. Und je später dein Vater die Wahrheit erfährt, desto größer wird seine Enttäuschung sein.«

Franky presste die Lippen zusammen. Diese unverblümte Aufforderung passte ihm gar nicht. »Ach, was weiß ich.« Er zuckte mit den Achseln. »Jetzt muss mein Arm erst mal heilen. In der nächsten Zeit kann ich ja sowieso nicht Fußball spielen.«

»Du wirst immer Ausreden finden, es nicht zu tun, glaub mir.«

Franky verschränkte die Arme vor der Brust, so gut es mit dem Gips ging, und starrte auf die Bettdecke.

»Na, überleg es dir. Ich bin mir sicher, du wirst die richtige Entscheidung treffen«, sagte Opa Hans und stand auf. »Tut mir leid, aber ich muss schon wieder nach Hause; ich möchte heute noch auf den See hinausfahren. Aber ich komme bald wieder, wenn ich darf.«

»Klar, gerne«, antwortete Franky und sah den alten Mann an, der ihm gutmütig zulächelte. Opa Hans kann man einfach nicht lange böse sein, dachte er.

Als Antonia ebenfalls aufstand, um sich von Opa Hans zu verabschieden, rutschte etwas aus ihrer Hosentasche auf die Bettdecke. Es war der Mondstein, den die Freunde bei ihrem letzten Abenteuer gefunden hatten.

Hastig griff sie danach und steckte ihn in die Tasche zurück, aber es war zu spät. Opa Hans hatte den kleinen Gegenstand bereits bemerkt.

»Was war das?«, fragte er und runzelte die Stirn.

»Ach, nichts Wichtiges«, wich Antonia aus.

Der alte Mann blickte sie erschrocken an. »Aber dieses ›nichts Wichtige‹ sieht mir verdächtig nach einem antiken Halbedelstein aus. Hat der womöglich etwas mit der legendären goldenen Schale zu tun, nach der ihr schon eine ganze Weile sucht?«, fragte er.

Sein Gesicht hatte das übliche freundliche Lächeln verloren, er sah nun fast ein wenig zum Fürchten aus. »Habe ich euch nicht ausdrücklich davor gewarnt, euch noch weiter in Gefahr zu bringen?«

»Ja, Opa Hans, das hast du«, erwiderte Antonia in beschwichtigendem Tonfall. »Und wir wissen ja auch, dass wir vorsichtig sein sollen.«

»Also, ›vorsichtig sein‹ trifft es nicht ganz. Ich habe euch gesagt, ihr sollt die Suche sein lassen.«

Darauf wussten die vier Freunde nichts zu antworten. Opa Hans ins Gesicht zu sagen, dass sie genau das Gegenteil gemacht hatten, brachte keiner von ihnen fertig.

Seine Miene wurde wieder weich und er lächelte die Freunde etwas traurig an. »Nun gut«, meinte er. »Wenn ihr meinen Rat schon nicht haben wollt – beten werde ich auf jeden Fall für euch. Und jetzt muss ich wirklich gehen.«

Der alte Mann drückte Antonia und Emma und legte Jaron kurz den Arm um die Schulter. Dann ließ er die Freunde – mit einem letzten mahnenden Blick in die Runde – allein.

»Na, das war aber auch nicht gerade ein Beispiel von Ehrlichkeit«, sagte Jaron ein wenig spöttisch zu Antonia. »Warum wolltest du ihm den Stein denn nicht zeigen?«

»Keine Ahnung. Ich hab nur irgendwie das Gefühl, immer, wenn wir ihn einweihen, will er uns zurückhalten«, erwiderte sie zögernd. »Ich bin mir sicher, dass er mehr weiß, als er sagt.«

»Komisch, dass er uns nicht weiterhelfen will«, stellte Emma verwundert fest und schob sich ihre Brille zurecht.

Antonia setzte sich wieder und legte den Stein auf die Decke zurück. »Hm, dann müssen wir wohl selbst die Wahrheit rausfinden«, sagte sie. »Wie gehen wir weiter vor?«

Jaron kniff nachdenklich die Augen zusammen. »In letzter Zeit musste ich immer wieder an dieses Bild denken, das ich im Foyer des Schlosshotels gesehen habe.«

»Du meinst, als du im Herbst auf der Geburtstagsparty der schönen Isabelle gewesen bist?«, schnaubte Antonia. »Das war ja klar, dass du dieses Mega-Event nicht vergessen kannst. Hat dir wohl gefallen dort, was?« Sie sah Jaron böse an.

Auf das Thema Isabelle reagiert Antonia nach wie vor empfindlich, dachte Franky, wobei er sich ein Grinsen verkniff. Isabelle von Beilstein ging in dieselbe Klasse wie die vier Freunde und war deren Meinung nach die eingebildetste Zicke weit und breit.

»Was soll das denn heißen?«, fragte Jaron, offensichtlich genervt.

»Nichts.«

»Ja, klar, nichts«, äffte Jaron sie nach.

»O Mann, könnt ihr das bitte mal lassen?«, seufzte Emma. »Das geht echt tierisch auf die Nerven.« Sie sah Jaron an. »Warum musstest du an das Bild denken?«

»Irgendetwas darauf kam mir bekannt vor.«

»Ja, klar, der Typ – wie hieß er doch noch gleich?«, fragte Franky.

»Ferdinand von Beilstein. Der ist auf diesem Porträt abgebildet«, bestätigte Jaron. »Und inzwischen wissen wir ja, dass er Ende des 16. Jahrhunderts in der Gruft unter der Sankt-Valentins-Kapelle gestorben ist.«

»Genau, da haben wir ja sein Skelett gefunden. Dem Skelett fehlt ein Finger, und dem Jungen auf dem Bild fehlt ebenfalls ein Finger«, stellte Antonia fest.

»Stimmt, aber das meine ich nicht«, fuhr Jaron fort.

»Was dann?«, erkundigte sich Franky.

»Ich weiß es eben nicht.«

»Zeig doch noch mal her«, schlug Emma vor.

Daraufhin holte Jaron sein Handy aus der Hosentasche und suchte nach dem Foto, das er von dem Ölporträt gemacht hatte. Als er es gefunden hatte, betrachteten die Freunde einen etwa vierzehnjährigen Jungen, der irgendwie traurig wirkte. Er trug eine blaue Jacke und hatte die rechte Hand auf eine Säule gelegt. Der kleine Finger daran fehlte.

»Ich glaube, ich weiß, was dir aufgefallen ist«, sagte Emma schließlich. »Zoom doch bitte mal diesen Ausschnitt näher heran.« Sie deutete auf die rechte obere Ecke des Porträts.

Sofort vergrößerte Jaron den Hintergrund. Er bestand aus Vorhängen, Bildern und einem Möbelstück, das aussah wie eine Mischung aus Kommode und Schreibtisch.

»Schaut mal hier, an dem Sekretär«, sagte Emma und zeigte auf eine ganz bestimmte Stelle.

Alle beugten sich noch tiefer über das Handy, während Jaron den Ausschnitt noch näher heranzoomte.

»Das gibt’s doch nicht!«, rief Franky. »Das ist der Schlüssel, den wir neben dem Skelett gefunden haben!«

Jetzt sahen es die anderen auch: In dem Möbelstück steckte ein kleiner silberner Schlüssel, der mit einem verschlungenen Muster und den Initialen FB verziert war.

»Dieser Schlüssel gehört also zu Ferdinands Schreibtisch«, schlussfolgerte Emma. »Womöglich hat er darin irgendetwas Wichtiges versteckt, das uns weiterhelfen könnte. Meint ihr, es gibt dieses Möbelstück noch?«

»Kann schon sein«, sagte Jaron. »Wir sollten uns im Schlosshotel mal genauer umschauen.«

»War ja klar, dass du das sagst«, stichelte Antonia. »Frag doch die schöne Isabelle, ob sie dich rumführt.«

»Jetzt reicht’s aber, Antonia«, schimpfte Jaron, bevor er sich an die anderen beiden wandte. »Glaubt ihr nicht auch, dass das eine lohnende Spur ist?«

»Selbstverständlich«, sagte Franky, »der sollten wir auf jeden Fall nachgehen.«

»Ich wäre ja dafür, dass wir uns erst einmal den Hinweisen widmen, die wir schon dahaben«, meinte Antonia und nahm den Stein in die Hand. »Habt ihr eine Idee, was wir mit den Symbolen hierdrauf anfangen sollen?«

Emma griff nach dem Halbedelstein und betrachtete die Oberfläche genauer. »Auf dem ersten Stein, dem Bernstein, haben wir Äste entdeckt, die ein Kreuz bilden. Das hat uns ja schließlich zur der Kreuz-Eiche geführt, unter der wir dann diesen Stein gefunden haben. Und hier sind Tränen oder Tropfen eingearbeitet. Außerdem der Schriftzug omnem lacrimam – alle Tränen.«

»Das hat bestimmt irgendwas mit Wasser zu tun«, überlegte Jaron.

»Vielleicht liegt der dritte Stein ja im Starnberger See«, stöhnte Franky.

Alle schauten ihn entsetzt an.

»Na, dann gute Nacht«, brummte Jaron. »Wenn das stimmt, können wir gleich einpacken. Oder tauchen lernen.«

Unwillkürlich begannen alle zu grinsen.

Dann schüttelte Emma den Kopf. Sie drehte den Stein hin und her. »Irgendwie glaube ich das nicht. Auf dem See gibt es vielleicht Wellen. Aber Tropfen passen eher zu einem Bach oder einer Quelle.«

»Könnte auch einem Wasserfall sein«, meinte Antonia.

Emma ließ den Stein sinken. »Ja, könnte alles sein. Mist, hier gibt es bestimmt Tausende von Bächen und Quellen. Sollen wir die alle absuchen?«

»Das kannst du vergessen«, sagte Franky achselzuckend.

Jaron runzelte die Stirn. »Meint ihr, wir sollten noch mal jemanden einweihen, der uns bei der Suche helfen kann?«

»Wen denn?«, entgegnete Antonia. »Opa Hans kommt wohl nicht infrage.«

»Und Weixlhammer traue ich inzwischen nicht mehr über den Weg«, erklärte Emma.

Richard Weixlhammer war der örtliche Antiquitätenhändler, der den Freunden schon ein paar Mal nützliche Tipps gegeben hatte. Daraufhin hatten sie ihn ins Vertrauen gezogen und ihm ihre größte Entdeckung gezeigt, eine geheime Gruft unter der Kapelle in Allmannshausen. Er hatte dann die Behörden informiert und den vieren den Zugang zur Gruft verweigert.

Franky spürte auf einmal, wie müde er war. Der Besuch seiner Eltern und die unausgesprochenen Dinge, die zwischen ihm und seinem Vater schwangen, hatten ihn offenbar mehr angestrengt, als er gedacht hatte.

»Wisst ihr was? Wie wir das mit dem Schreibtisch im Schlosshotel anstellen wollen, können wir ja noch besprechen. Und in Bezug auf den Stein kann ich erst mal ein bisschen recherchieren. Hier im Krankenhaus hab ich freies WLAN, und es gibt ja sonst nicht viel zu tun«, sagte er und unterdrückte ein Gähnen. »Wenn das nichts bringt, können wir uns immer noch was anderes überlegen.«

Emma nickte. »Das klingt gut. Und ich glaube, jetzt lassen wir dich erst mal in Ruhe. Du bist müde, oder?«

Franky lächelte verlegen. Er wurde wirklich immer schlapper. »Ist vielleicht besser«, murmelte er.

Sorgfältig packte Antonia den Stein wieder ein.

Jaron klopfte ihm auf die Schulter. »Dann mach’s mal gut, Großer. Ärger die Schwestern nicht zu sehr.« Er lachte. »Wir kommen morgen nach der Schule wieder vorbei.«

Als seine Freunde die Tür hinter sich zuzogen, ließ Franky seinen Kopf auf das Kissen sinken und schloss die Augen. Sein Arm pochte leise, doch die Müdigkeit war stärker.

Der silberne Schlüssel und das Geheimnis der Wahrheit

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