Читать книгу Reise durch Nordwestamerika - Alexander Mackenzie - Страница 9
TAGEBUCH EINER REISE ANS EISMEER IM JAHRE 1789 ERSTES KAPITEL
ОглавлениеAm 3. Juni 1789 brachen wir früh um 9 Uhr von Fort Chipewyan an der Südseite des Athabaska-Sees mit einem aus Birkenrinde gefertigten Kanu auf. Meine Mannschaft bestand aus vier Kanadiern, von denen zwei ihre Frauen dabei hatten, und einem Deutschen. Dazu begleiteten uns noch in zwei kleineren Kanus ein Indianer, der »English Chief« genannt wurde, mit seinen beiden Frauen und zwei junge Indianer, die wir als Dolmetscher und Jäger in unsere Dienste genommen hatten. Der English Chief war schon bei der Expedition dabei gewesen, die Samuel Hearne zum Coppermine River geführt hatte10, und galt seitdem als einer der wichtigsten Männer unter den Eingeborenen, die ihre Pelze nach Fort Churchill, einer Niederlassung an der Hudson Bay, brachten.
In einem weiteren Kanu saß Laurent Le Roux, ein Clerk der Company. Er führte einen Teil der Lebensmittel für uns und die Jäger mit sich, ebenfalls unsere Kleidung, ein großes Sortiment an Geschenkartikeln für die Eingeborenen, auf die wir treffen würden, sowie Waffen und Munition zu unserer Verteidigung.
Zunächst fuhren wir etwa 30 Meilen11 in nordwestlicher Richtung über den See, bis wir in einen Flussarm gelangten, den wir sieben Meilen nordwärts hinaufsteuerten. Gegen sieben Uhr am Abend gingen wir an Land und schlugen unsere Zelte auf. Die Kanus wurden aus dem Wasser genommen und sorgfältig abgedichtet12; in der Zwischenzeit erlegte einer unserer Jäger eine Gans und ein paar Enten.
Am nächsten Tag paddelten wir schon um vier Uhr früh den Flussarm weiter hinauf, bis dieser sich im Peace River verlor. – Die Ufer dieses Flussarms sind ziemlich flach, und das dahinterliegende Land ist mit Birken, Fichten der verschiedensten Arten, Pappeln und Weiden bewachsen.
Der Peace River ist ungefähr eine Meile breit und seine Strömung viel stärker als die des mit dem See in Verbindung stehenden Kanals, den wir vordem befahren hatten. Einige Meilen flussabwärts heißt er dann Slave River13. Nun ging unsere Fahrt zwischen vielen kleinen Inseln hindurch und über ungefährliche Stromschnellen hinweg, bis wir die Mündung des Dog River passierten. Abends landeten wir am östlichen Ufer des Slave River in der Nähe einiger großer Stromschnellen und entluden unsere Kanus. – An dieser Stelle ist der Fluss fast zwei Leagues14 breit.
Am 5. legten wir morgens um drei Uhr ab, nachdem wir wegen der Stromschnellen unsere Kanus um einige Gepäckstücke erleichtert hatten. Wir konnten dieses Hindernis ohne weitere Schwierigkeiten hinter uns bringen, steuerten nun in einen kleinen Kanal hinein und kamen nach etwa einer halben Stunde zu einer Portage15. Bis auf das letzte Stück war dieser Weg sehr bequem, allerdings hatten wir wegen des noch nicht aufgetauten Eises am Ufer erhebliche Probleme, die Boote wieder auf den Fluss zu setzen und sie zu beladen. Schon nach sechs Meilen mussten wir bei der »Portage d’Embarras« (Portage der Schwierigkeiten) wieder an Land, da Treibholz den kleinen Kanal hier völlig anfüllte.
Noch drei weitere Portagen, und wir gelangten wieder in den großen Fluss. Nach kurzer Fahrt mussten wir wegen einer Meile voller gefährlicher Stromschnellen über die Portage, die »Pelican« genannt wird16; der Landungsplatz ist hier sehr steil und liegt nah an einem Wasserfall. Die ganze Gesellschaft musste jetzt das Gepäck samt den Kanus über einen Berg tragen. Doch bevor wir die mühsame Besteigung begannen, wäre fast noch ein Unglück geschehen, denn eins der indianischen Kanus ging den Wasserfall hinunter und wurde vollständig in Stücke zerschlagen. Die Indianerin, die darin saß, konnte es zwar gerade noch rechtzeitig verlassen und dadurch ihr Leben retten, doch verlor sie so ihre gesamte geringe Habe.
Nach diesem Zwischenfall ging es weiter Richtung Nordwesten. Schon bald erreichten wir die »Portage des Noyés« (Portage der Ertrunkenen) und waren gezwungen, wegen riesiger Stromschnellen den Fluss zu verlassen und diese schlecht begehbare, etwa 535 Schritt lange Wegstrecke zu benutzen. Sie hat diesen Namen erhalten, weil an dieser Stelle im Herbst 1786 fünf Männer im Fluss ertrunken sind; sie waren unter der Führung von Cuthbert Grant auf dem Weg zum Sklavensee. – Am Nachmittag lagerten wir auf einer felsigen Landspitze, und obwohl die Mannschaft sehr ermattet war, schafften die Jäger sieben Gänse, vier Enten und einen Biber herbei.
Am nächsten Tag bauten wir schon früh am Abend unser Lager auf und warfen in einem kleinen Kanal unsere Netze aus. – Den größten Teil des Tages hatten wir starken Gegenwind gehabt, und es war so kalt geworden, dass selbst die Indianer ihre Pelzhandschuhe anzogen. –
In den folgenden zwei Tagen kamen wir nur circa 13 Meilen vorwärts, denn heftiger Regen zwang uns immer wieder, an Land zu gehen und auszuladen, damit unsere Waren nicht nass würden.
Erst am 9. wurde das Wetter wieder ruhiger, allerdings lag dicker Nebel über dem Wasser. Bei unserer Weiterfahrt in nordwestlicher Richtung bemerkten wir am rechten Ufer eine Öffnung; da wir sie für den Eingang in einen Flussarm hielten, steuerten wir hinein, doch lag dahinter ein kleiner See, sodass wir wenden mussten. Nach drei Meilen in Richtung Südwesten kamen wir am östlichen Ufer des Flusses an einen winzigen Arm, der sich in nördlicher Richtung dahinschlängelte. Wir folgten seinem Lauf und erreichten gegen neun Uhr am Morgen den Sklavensee17. Das Klima hatte sich sehr verändert; es war bitterkalt geworden. Der See war ganz mit Eis bedeckt, nur längs des Ufers schien eine Fahrrinne offen zu sein. Selbst die Mücken und Moskitos, die uns bisher arg geplagt hatten, wagten es nicht, uns in diese eisige Region zu folgen. –
An den Ufern des kleinen Flüsschens waren die landesüblichen Hölzer voller Blätter gewesen, obwohl dort das Erdreich noch nicht über 14 Zoll18 aufgetaut war – doch entlang der Seeufer war so gut wie kein Grün zu entdecken. –
Nach Aussage der Indianer sollen in geringer Entfernung vom Flussufer ausgedehnte Ebenen liegen, die von großen Büffelherden aufgesucht werden. In den vielen kleinen umliegenden Flüsschen und Seen bauen zahlreiche Biber ihre Burgen, da in den größeren Gewässern im Frühling alles vom auftauenden Eis fortgerissen würde. Die morastigen Ufer sind von großen Scharen Federwilds bevölkert – an diesem Morgen erbeuteten wir in nur einer Stunde zwei Schwäne, zehn Gänse und einen Biber; wir hätten leicht soviel erlegen können, um alle unsere Kanus damit anzufüllen. –
In östlicher Richtung steuerten wir nun aus unserem kleinen Fluss hinaus in den See und entlang einer mit Treibholz und Weiden bedeckten Sandbank. Da das Wasser nur drei Fuß19 tief war, liefen wir oft auf Grund. Schließlich landeten wir auf dieser Sandbank, schlugen unsere Zelte auf und entluden die Kanus, denn es sah so aus, als müssten wir hier eine Weile bleiben. – Die Sandbank erstreckt sich übrigens längs des Festlandes bis zu der Stelle, an der Le Roux und Grant im Jahre 1785 einige Blockhütten errichteten.20 – Ich befahl meinen Leuten, die Netze auszuwerfen, da es besser war, die für die weitere Reise bestimmten Vorräte unberührt zu lassen. Unsere reiche Beute bestand aus Karpfen, Weißfischen, Forellen und dem sogenannten »Poisson inconnu« (Unbekannter Fisch).
Am 12. wurde das Wetter schöner, und die Moskitos besuchten uns wieder in größeren Mengen. Ein starker Westwind brachte das Eis ein wenig in Bewegung, und ich bestieg einen Hügel, um vielleicht sehen zu können, ob es in der Mitte des Sees gebrochen wäre, konnte jedoch nichts erkennen.
Am 13. war es bedeckt, und am Abend blies der Wind aus Norden. Er trieb das Eis wieder zurück, das jetzt längs des Ufers stark gebrochen war und unsere Netze bedeckte. Einer unserer Jäger, der tags zuvor zurück an den Slave River gegangen war, kam mit reicher Jagdbeute zurück. In seiner Begleitung war eine indianische Familie, die am selben Tag wie wir Fort Chipewyan verlassen hatte. Diese Leute führten keinerlei Proviant mit sich, was sie damit entschuldigten, dass sie so eilig aufgebrochen seien, dass sie sich nicht mehr hätten versorgen können. Sie wollten mit uns kommen. –
Obwohl es in der Nacht auf den 15. stark geregnet hatte, war am Morgen das Ufer noch so voller Eis, dass wir nicht einmal unsere Netze losmachen konnten. Gegen Mittag aber drehte sich der Wind und befreite nicht nur die Netze, sondern trieb auch das Eis so vor sich her, dass es einen Weg zur gegenüberliegenden Insel freigab. Bei Sonnenuntergang konnten wir unsere Zelte abbrechen und hinüberfahren. Nach etwa acht Meilen landeten wir dort kurz vor Mitternacht. Der Mond ging gerade auf, und es war noch so hell, dass man ohne den Schein einer Kerze oder Petroleum lesen und schreiben konnte.
Die nächsten zwei Tage versuchten wir, in nordwestlicher Richtung zwischen den vielen Inselchen entlang des Seeufers hindurchzukommen, aber heftiger Nordwind und große Mengen Treibeis schlugen unsere Kanus so mit Wasser voll, dass wir immer wieder gezwungen waren zu landen.
Jagd auf Rentiere und Wildgänse
Auch am 18. wurden wir nach kurzer Fahrt vom Eis aufgehalten. Ein Südostwind hatte es zwischen die Inseln getrieben, sodass uns auch dieser Weg versperrt war. Wir gingen an Land und warfen die Netze aus. Die Jäger konnten eine Rentierkuh und ihr Kalb erlegen. Auf der Jagd waren sie zwei indianischen Familien begegnet, von denen uns am Abend ein Mann besuchte; er brachte mir die Nachricht, dass das Eis auch an der gegenüberliegenden Seite des Sees noch nicht gebrochen sei. – Diese Menschen leben gänzlich vom Fischen und warteten nun darauf, dass der See wieder befahrbar würde. – Während der folgenden Tage fanden wir in unseren Netzen entweder gar keine oder nur schlechte Fische, und unsere Versorgungslage wurde zum ersten Mal kritisch. Doch am Nachmittag des 20. hatte anhaltender Regen das Eis etwas aufgetaut, sodass wir sechs Meilen westlich zu einer größeren Insel steuern konnten, an deren Spitze wir reiche Fischbeute machten.
In der Nacht trieb ein Südwind das Eis fast völlig ab; wir beluden die Kanus und paddelten 15 Meilen zwischen Eisbrocken in Richtung Westen. Schließlich lagerten wir auf einer der kleinen Inseln drei Meilen vor dem Festland, das wir wegen des Eises nicht erreichen konnten. – Auf einer dieser Inseln entdeckten wir viele Rentiere, die unsere Jäger leicht erlegen konnten, da den Tieren durch das Wasser der Fluchtweg abgeschnitten war. Wahrscheinlich waren sie auf dem Eis hierher gekommen und wurden nun durch das Tauwetter festgehalten. Wir nannten die Insel daher »Isle de CarrebŒuf« (Rentier-Insel). – Ich blieb die ganze Nacht wach, um den Sonnenaufgang zu beobachten. Die Sonne war nur vier Stunden und 22 Minuten hinter dem Horizont verschwunden, doch fror es in dieser kurzen Zeit so stark, dass das Wasser ein viertel Zoll mit Eis bedeckt war. –
Am 22. brachen wir um halb vier Uhr auf und fuhren um die Außenseite der Inseln herum längs des Eises in Richtung Festland. Jedoch blies der Wind so heftig, dass wir schon bald wieder auf einer Insel landen mussten. – Eine Beobachtung, die ich gegen Mittag anstellte, ergab 61°53' nördl. Breite. – Da wir hier zwei Säcke mit Pemmikan21 zurückließen, um für unsere Rückreise ein Notproviantlager zu haben, nannten wir die Insel »Isle à la Cache« (Versteck-Insel). – Am Nachmittag konnten wir 18 Meilen zurücklegen.
10… und von dort bis zum Nordpolarmeer.
111 Meile = 1,609 km.
12Zum Abdichten der Kanus wurde Kiefernharz verwendet.
13Der Slave River fließt weiter in nördlicher Richtung, während der Peace River einige Meilen nördlich des Athabaska-Sees nach Westen führt.
(Sein Name rührt daher, dass die Slave-Indianer von ihren Feinden, den Knisteneaux, aus ihrem ursprünglichen Land an die Ufer dieses Flusses vertrieben worden sind. Übrigens schließt dieser Name »Slaves« nicht den Begriff der Knechtschaft ein, sondern wurde ihnen als Schimpfname gegeben. Anm. d. Verfassers)
141 League = ca. 4,8 km.
15Eine Wegstrecke entlang des Ufers, auf der man die Boote um Hindernisse wie Wasserfälle, Stromschnellen oder Felsklippen herumträgt.
16Inmitten der Stromschnellen liegt eine Felseninsel, auf der Pelikane nisten. Sie steht heute unter Naturschutz.
17Der Große Sklavensee umfasst ein Gebiet von 11 000 Quadratmeilen. Er wurde im Jahre 1771 von Samuel Hearne entdeckt.
181 Zoll = 2,54 cm.
191 Fuß = 30,48 cm.
20Cuthbert Grant und Laurent Le Roux bauten hier einen Außenposten für die Company: Fort Resolution.
21In Streifen geschnittenes, getrocknetes Fleisch, das sich sehr lange hält und daher als Proviant für längere Reisen geeignet ist. Es kann ohne weitere Zubereitung und ohne Zugabe von Gewürzen gegessen werden.