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Erholsame Tage

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Während in den Grenzen des Nationenbundes die Zeichen auf Frieden standen, hatten sich Indien und Südchina zu regelrechten Schlachtfeldern entwickelt. Die ODV-Seuche war in den letzten Monaten Schritt für Schritt in den indischen Norden vorgerückt und schließlich durch Nepal über die Grenze nach China gekrochen. Mittlerweile häuften sich auch die ODV-Erkrankungen in Afrika und Indonesien.

Doch Indien war nach wie vor am schlimmsten von der Epidemie betroffen. Über 400 Millionen Menschen waren bereits an ihren Folgen gestorben oder im Zuge der chaotischen Zustände auf dem Subkontinent verhungert. Ganze Landstriche waren entvölkert und komplette Städte aufgegeben worden. Hungerrevolten tobten beinahe täglich in den urbanen Zentren des Landes, die sich teilweise mit riesigen Schutzwällen vom Rest der Welt abschotteten. Die Präsenz von GCF-Truppen war in den letzten Wochen noch einmal erhöht worden und nun begann auch Südchina langsam in Panik und Anarchie zu versinken. Inzwischen meinten Millionen Inder und Chinesen, dass die Weltregierung sie im Stich gelassen hätte und die zunehmenden Proteste in den Straßen der großen Metropolen entluden sich immer öfter in blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und den GCF-Besatzungstruppen.

Anfang August wurde die von der ODV-Epidemie schwer betroffene südchinesische Stadt Kunming zum Ort schwerster Unruhen, die von den internationalen Streitkräften mit brutaler Militärgewalt niedergeschlagen werden mussten. In ganz Asien begann es nun zunehmend zu brodeln und der Weltverbund hatte alle Hände voll zu tun, seine Macht mit einer Mischung aus Gewalt, Einschüchterung und vorgespielter Betroffenheit zu erhalten. Sehnsüchtig blickten die Menschen in diesen Regionen auf die freien, aufblühenden Länder von Artur Tschistokjow und Haruto Matsumoto, die ihnen fast wie paradiesische Orte erschienen. Diese Tatsache erhöhte zugleich die Gefahr von Revolutionen und Aufständen um ein Vielfaches, was den Weltverbund dazu veranlasste, noch mehr Soldaten nach Asien zu schicken.

Außerdem waren auch die islamischen Rebellen im iranischen Hochland und im Irak wieder aktiver geworden. Sie setzten ihren Partisanenkrieg fort und hatten sich neu formiert. Die unterschwelligen Vorwürfe, dass der Nationenbund der Rus sie mit Waffen und Geld unterstütze, konnten zwar nicht bewiesen werden, doch sie standen weiterhin im Raum.

Aber da sich die Weltregierung in Bezug auf Russland und Japan den Frieden auf die Fahnen geschrieben hatte, hielt sie sich vorerst mit allzu offenen Anschuldigungen zurück.

Artur Tschistokjow kam die Gesamtsituation jedenfalls zu Gute und obwohl ihm von Seiten seiner Berater und Kabinettsmitglieder weiterhin Kritik entgegenschallte, setzte der russische Souverän seine Politik der Versöhnung unbeirrt fort.

„Oh, nein!“, jammerte Frank, während HOK eine durchsichtige Plastikscheibe über einige seiner Battle Hammer Miniaturen legte.

„Das nenne ich einen Volltreffer!“, jubelte der korpulente Informatiker; seine schwabbeligen Backen zuckten vor Freude.

„Wie stark ist der Zauberspruch denn?“, wollte Kohlhaas wissen. Besorgt starrte er auf den Spieltisch.

„Hmmm …“, machte HOK und blätterte in einem zerfledderten Regelbuch herum. „Das ist … Moment … Das ist der ‚Blitz der Mondgöttin‘. Der hat Stärke 16!“

HOK grinste verschlagen, während sein Gegenspieler kreidebleich wurde.

„Stärke 16?“

„Ja, in der Tat! Stärke 16!“, betonte HOK.

Der verschrobene Informatiker ließ ein paar Würfel über den Spieltisch rollen und stieß einen Jubelschrei aus.

„Die Orks sind alle platt, Frank!“

„Mist!“, knurrte Kohlhaas. „Aber die haben immer noch magische Schilde …“

„Dann sind sie bei einer 6 nicht platt!“, bemerkte HOK hämisch.

Frank vergeigte seinen Würfelwurf gründlich. Seine Orks wurden, zumindest symbolisch, in die ewigen Jagdgründe geschickt und verschwanden wieder in einem kleinen Pappkarton.

„Du bist dran“, sagte HOK.

„Dieser verdammte Magier mit seinen Mondzaubern“, wetterte Kohlhaas. Dann ließ er seine Orks vorrücken.

„Meine Gnoggreiter greifen die Elfen an“, sagte er.

„Kommst du überhaupt so weit?“

„Ja, sicher! Die haben einen Angriffsradius von 30 Zentimetern. Die haben nämlich ein spezielles Banner“, erklärte Frank und warf einen Blick auf seine Armeeliste.

„Was denn für ein Banner?“, wollte HOK wissen.

„Das Banner des Gorkiorki!“

„Das Banner des Gorkiorki?“, rief der Computerfreak entsetzt.

„Ja, genau!“, bemerkte Frank mit einem frechen Grinsen und rückte seine Orkreiter an die Elfen heran.

„Verflucht!“

„Tja, jetzt sind die Spitzohren dran!“

„Ich glaube auch“, stöhnte HOK, den Untergang seines großen Elfenregiments erwartend.

Nach einigen Würfelwürfen machten sich die Elfen aus dem Staub und lösten bei den benachbarten Truppen Panik aus.

„Dann mach mal deine Muttests, Dicker!“, höhnte Kohlhaas.

Es dauerte nicht lange, dann hatte HOK sämtliche Würfe gemacht und wirkte nun gar nicht mehr so siegessicher.

„Jetzt laufen auch noch die Speerträger weg! Mist! Mist! Mist!“, schimpfte der Computerexperte und raufte sich die verbliebenen Haare auf dem Kopf.

„So sind die Spitzohren halt …“, neckte ihn Frank. Er stieß einen lauten Lacher aus.

„Das sieht nicht gut aus …“, murmelte HOK.

„Sehe ich auch so, denn der da steht mit seinen Gnoggreitern an deiner Flanke“, meinte Kohlhaas. Er deutete auf seinen Orkgeneral.

Der dickliche Informatiker rieb sich nachdenklich das Kinn, um dann die Arme in die Höhe zu werfen. Er begann damit, seine Elfen vom Spieltisch abzuräumen.

„Es hat keinen Zweck mehr. Die können sich eh nicht mehr sammeln. Das war’s für meine Armee. Glückwunsch, Frank!“

HOK gab auf und reichte Kohlhaas die speckige Hand über das liebevoll gestaltete Schlachtfeld. Jetzt fühlte sich der Sieger des Spiels wieder wie ein echter General und musterte seine Orks mit Stolz.

„Super, Jungs!“, lobte er seine Miniaturen, während HOK seine kleinen Elfen rügte und in eine Holzkiste packte.

„Ich hätte noch einen zweiten Mondmagier nehmen sollen!“, warf er sich vor und ging hart mit sich ins Gericht.

„Was soll’s! Man kann ja auch nicht immer gewinnen. So ist Battle Hammer eben …“, baute ihn Frank auf.

„Warum habe ich keinen zweiten Mondmagier mitgenommen?“

„Ein großer Sieg für Grimzhag den Ork!“, stieß Frank aus. Er betrachtete den General der grünen Horde in seiner Hand mit freudig leuchtenden Augen. „Wir ham die Spitzohren weggehau’n!“

„Spielen wir morgen eine Revanche?“, fragte HOK.

Kohlhaas überlegte. „Morgen? Naja, eigentlich wollte ich mit Julia ins Kino gehen, aber vielleicht kann ich ihr ja erzählen, dass wir im Auftrag der Freiheitsbewegung eine neue Internetseite einrichten sollen …“

„Das glaubt dir Julia niemals. Vor allem nicht, wenn du deine Miniaturenbox unter dem Arm hast.“

„Stimmt! Diese Ausrede ist wohl wirklich nicht so erfolgsversprechend“, gab Frank zu.

„Überlege dir gefälligst etwas Besseres. Meine Elfen verlangen eine Revanche.“

„Irgendwas wird mir schon einfallen!“, antwortete Kohlhaas und zerbrach sich den Rest des Tages den Kopf, um Julia eine etwas glaubhaftere Notlüge auftischen zu können.

Eine kleine Wagenkolonne bewegte sich in Richtung des lettischen Dorfes Sevonsk im Norden des Landes und stoppte nach einer Weile etwas außerhalb der verschlafenen Ortschaft. Gelbe Weizenfelder waren am Rande der staubigen Landstraße zu sehen und einige Bauern blickten verdutzt zu den Autos herüber, die vor einer kleinen Betonhalle zum Halten gekommen waren.

Kurz darauf stiegen Artur Tschistokjow, Wilden, Frank und weitere hochrangige Rus aus den Wagen und verschwanden in Windeseile in der unscheinbaren Bunkeranlage, wo sie von einer Gruppe Waräger empfangen wurden. Die Soldaten führten sie durch eine Reihe langer Gänge und schließlich kamen sie in ein großes, unterirdisches Labor, in dem lauter Männer in weißen Kitteln arbeiteten. Prof. Karl Hammer, der ergraute Wissenschaftler aus Deutschland, eilte ihnen entgegen. Er schüttelte Tschistokjow die Hand.

„Herr Präsident, ich freue mich, Sie endlich hier begrüßen zu können!“, sagte er.

„Ich freue mich auch, Herr Professor!“, erwiderte der russische Stadtchef auf Deutsch und lächelte.

„Was haben Sie uns denn heute zu zeigen, Prof. Hammer?“, fragte General Borsov und bat Tschistokjow darum, jetzt wieder Russisch zu reden.

„Eine sehr interessante Sache!“, antwortete der Wissenschaftler. Dann führte er seine Besucher durch das riesige Labor.

Frank betrachtete einige seltsame Maschinen, die leise vor sich hin summten und gelegentlich ein leises Knacken von sich gaben. Mit fragendem Blick folgte er dem deutschen Erfinder, bis sie dieser ans andere Ende des unterirdischen Gewölbes geleitet hatte.

„Das ist eine der versprochenen Rüstungen für die Warägergarde. Wir haben sie Ferroplastinrüstung genannt“, erklärte Prof. Hammer und zeigte auf einen schwarzgrauen Brustpanzer, der auf einem Tisch lag. Jetzt kamen weitere Wissenschaftler dazu. Einer der Forscher begann mit ausführlichen Erklärungen.

„Dieser Körperschutz setzt sich aus mehreren Metallschichten und speziellen Hartplastiklegierungen zusammen. Das Gleiche gilt für die Schulterpanzer, den Helm und die anderen Teile der Rüstung. Dabei ist diese hocheffektive Rüstung trotzdem sehr leicht geblieben und kann nahezu perfekt an die Körperform der Träger angepasst werden“, erläuterte der Wissenschaftler seinen staunenden Zuhörern.

„Das sieht nicht schlecht aus!“, warf Frank in die Runde.

„Der Aufbau der Rüstung federt in gewisser Hinsicht die auftreffenden Kugeln ab und nimmt ihnen die Durchschlagskraft. Jedenfalls in den meisten Fällen. Es muss allerdings noch einiges überarbeitet werden. Diese Rüstungen dürften sogar, was ihre Wirksamkeit betrifft, denen der Grunts von der GCF leicht überlegen sein. Zumindest machen sie den Träger weniger schwerfällig und lassen ihn weiterhin agil und wendig bleiben“, fuhr Prof. Hammer fort. Artur Tschistokjow grinste Frank zu und bat ihn, die Rüstung anzuprobieren. Dieser war selbst äußerst gespannt darauf, zu erfahren, wie sich der Körperpanzer anfühlte, und legte den Brustschutz an.

„Er ist wirklich sehr leicht“, bemerkte Kohlhaas und ließ ein paar Verbindungsscharniere mit einem leisen Klicken einrasten. Nach wenigen Minuten war Frank ganz in die schwarz-graue Rüstung gehüllt und hatte auch den Helm aufgesetzt.

„Nicht schlecht!“, schnaufte der General. Er wunderte sich über die schnellen Bewegungen, die der Körperpanzer noch zuließ.

„In den Kragen der Ferroplastinrüstung werden kleine Funkgeräte, sogenannte „Komm-Sprecher“, integriert, so dass die Soldaten untereinander in stetigem Kontakt bleiben können“, erklärte Prof. Hammer.

„Jetzt siehst du aus wie ein Science-Fiction-Soldat!“, scherzte Wilden, Frank begeistert betrachtend.

„Hoffentlich sieht diese Rüstung nicht nur schneidig aus, sondern rettet auch Leben“, gab Kohlhaas zurück und zog den Körperpanzer wieder aus.

Einige Wissenschaftler nahmen ihm den Brustschutz und den Helm ab und spannten sie in ein von Schutzwänden umgebenes Gestell ein.

„Darf ich bitten, Herr General?“, sagte Prof. Hammer anschließend und drückte Frank ein Reaper-Sturmgewehr in die Hand. „Bitte gehen Sie hinter diese rote Linie und feuern sie auf Brustschutz und Helm! Die anderen setzen bitte diese Brillen auf!“

Für einige Minuten herrschte eine gespannte Atmosphäre in dem unterirdischen Labor, dann ließ Frank einen Feuerstoß auf den Brustpanzer los. Funken sprühten umher und einige Querschläger prasselten gegen die Schutzwände. Es folgte ein zweite, kurze Salve auf den schwarz-grauen Helm.

Erwartungsvoll rannten die Anwesenden zu dem Gestell und begutachteten den Brustpanzer. Lediglich zwei Projektile hatten ihn mit Mühe durchschlagen, obwohl Frank einen ganzen Kugelhagel abgegeben hatte.

„Das ist noch nicht optimal“, hörte man Prof. Hammer etwas enttäuscht vor sich hin murmeln.

Artur Tschistokjow und die anderen Gäste waren hingegen zutiefst beeindruckt. Diese neue Ferroplastinrüstung konnte viele Leben retten, auch wenn sie noch verbessert werden musste.

Bis Anfang des folgenden Jahres war Tschistokjow unermüdlich damit beschäftigt, eine Massenkundgebung nach der anderen durchzuführen. Er flog von St. Petersburg nach Moskau und bereiste dann das Land von Ost nach West. Mehrere Dutzend Reden hielt er vor seinem jubelnden Volk; in Ufa, nahe des Uralgebirges, in Orenburg an der Grenze zu Kasachstan, in Wolgograd am Schwarzen Meer und in vielen weiteren Städten. Sein von den Medien groß angekündigtes Erscheinen wurde jedes Mal zu einem gewaltigen Volksfest. Hunderttausende von Russen und Ukrainern wollten ihn sehen, um seine Botschaften von Aufstieg und Freiheit zu hören. In vielen Städten seines riesigen Landes war Tschistokjow selbst noch nie zuvor gewesen und demnach freute sich das Volk dort besonders, wenn es ihn endlich zu Gesicht bekam. Die monatelange Tournee durch den gesamten Nationenbund der Rus festigte Tschistokjows Popularität beim russischen und ukrainischen Volk erheblich.

Wenn der Staatschef in dieser Zeit einmal keine Reden hielt, so weihte er neu gegründete Dörfer für junge Familien ein oder legte symbolisch den Grundstein für neue Fabriken oder monumentale Bauten.

Frank war bei einem Teil seiner Reise dabei und von dem frischen Auftreten seines Freundes begeistert. Immer wieder berauschte auch er sich an den Meeren aus Russland- und Drachenkopffahnen, die Tschistokjows Massenkundgebungen stets begleiteten.

Den Höhepunkt aller Veranstaltungen der Freiheitsbewegung stellte jedoch der „Tag der russischen Einheit“ in der Nähe von Tula dar. Das gewaltige Massenspektakel fand Mitte April 2044 zum ersten Mal statt und wurde ein voller Erfolg. Ganze Regimenter der Volksarmee und der Warägergarde traten an und nicht weniger als zwei Millionen Besucher kamen. Es waren so viele, dass das eigens für diese Veranstaltung angelegte Versammlungsgelände sie gar nicht alle fassen konnte.

Artur Tschistokjow eröffnete das Spektakel mit einer fast dreistündigen Rede und legte dem gewaltigen Ozean von Menschen vor sich noch einmal die Gründe dar, die ihn vor vielen Jahren dazu veranlasst hatten, den Kampf gegen die Weltregierung und die dahinter stehenden Kräfte aufzunehmen. Anschließend sprach er vom Sieg über den Kollektivismus und würdigte den Opfermut seiner tapferen Soldaten im Kampf gegen Uljanin. Er predigte von der Einheit des russischen Volkes und beschwor ein neues Zeitalter des Aufstiegs, das auf Europa wartete.

Frank, Julia, Alf und Wilden standen tief beeindruckt auf der riesigen Bühne aus weißem Kalkstein neben ihrem alten Gefährten, der das Herz der Masse erneut für sich gewinnen konnte, wie es kein zweiter vermochte. Die Menschenmenge bebte vor Begeisterung. An ihren Rändern ragten große, weiße Säulen, die mit riesigen Drachenkopffahnen behängt waren, in den Himmel hinauf. Sie boten ein Bild der Pracht und Stärke.

Drei Tage dauerte die pompöse Feierlichkeit der russischen Einheit, und als Frank und die anderen wieder nach Hause zurückkehrten, waren sie sich sicher, dass Artur Tschistokjow, trotz allen Verhandlungen mit der Weltregierung, nach wie vor der Alte war und nichts von seinem revolutionären Geist verloren hatte.

Frank, Alf und Wilden spazierten durch den größten Park von Minsk und genossen den sonnigen Tag. Wie üblich brachte der Außenminister das Gesprächsthema schnell in Richtung Politik.

„Vielleicht haben wir Artur auch falsch eingeschätzt. Er weiß schon, was er tut“, bemerkte Alf und schloss mit forschem Schritt zu Frank und dem älteren Herrn auf.

„Ich bin schon vierzig, Leute! Vierzig!“, jammerte Kohlhaas und ging nicht auf Bäumers Aussage ein.

„Nun, ich bin ja auch dafür, dass wir uns vorerst nicht in einen neuen Krieg stürzen, aber ich bin mir sicher, dass diese so genannte Friedenspolitik des Weltverbundes nur so lange halten wird, bis dieser genug Soldaten versammelt hat, um uns anzugreifen“, bemerkte Wilden.

„Scheiße, ich bin alt! Vierzig!“, quäkte Frank dazwischen. Wilden schüttelte den Kopf.

„Ich auch und lebe noch immer“, flachste Alf, wobei er seinen Freund liebevoll in den Schwitzkasten nahm.

„Na, bist du bald auch ein Opi?“, lachte der Hüne.

Frank knuffte Bäumer in die Seite und klagte weiter über die Schrecken des Altwerdens.

„Dann benehmt euch auch gefälligst wie alte, weise Männer!“, mahnte Wilden und erklärte dezent, dass er das 40. Lebensjahr für noch recht jung hielt.

„Klar, du warst ja bereits da, als die Pyramiden noch gebaut wurden“, blödelte Kohlhaas. Der Außenminister schmunzelte.

„Wie auch immer, Artur ist in den letzten Monaten irgendwie sehr schweigsam geworden – uns gegenüber. Ist euch das auch aufgefallen?“, fragte Wilden seine jüngeren Freunde.

„Nein, keine Ahnung. In meinem Alter fällt einem so etwas nicht mehr auf. Mir rieselt nur noch der Kalk aus der Nase“, scherzte Frank. Alf schubste ihn nach vorne.

„Spinner!“

„Ich meine damit vor allem, was seine militärischen Vorhaben betrifft. Er sagt darüber kaum noch etwas. Weder mir, noch den anderen Kabinettsmitgliedern. Von Verteidigungsminister Lossov abgesehen“, sagte der ältere Herr.

„Ich bin vierzig! Ihr könnt mich in die Tonne kloppen!“, brüllte Frank einigen Enten am gegenüberliegenden Teich zu, während die mit dieser Tatsache überforderten Tiere laut quakend davon flatterten.

„Jetzt reicht’s aber, Frank!“, schimpfte der Außenminister, dabei erinnerte er Kohlhaas an einen Schullehrer.

Bäumer blieb hingegen ernst und stimmte Wilden zu. „Ich habe in den letzten Monaten eigentlich nur an ein paar Übungen der Warägergarde teilgenommen, aber sie ist stark angewachsen. Das kann ich definitiv sagen. Außerdem haben wir ja jetzt so eine Art Frieden und Artur macht ganz den Eindruck, als ob er sich auch an seine Zugeständnisse halten will“, sagte Alf.

Wilden sah zu Frank herüber. „Und? Siehst du das auch so?“

„Keine Ahnung, Onkel Außenminister! Mich brauchen die Waräger sowieso nicht mehr, denn ich bin vierzig!“

„Der Achilles von Weißrussland hat heute eine Schraube locker!“, bemerkte Bäumer genervt.

„In meinem Alter nennt man das Demenz!“, rief Frank.

Der ergraute Außenminister räusperte sich, er kratzte sich am Kopf. Alf folgte ihm und ließ den sich unmöglich benehmenden Kohlhaas zurück.

„Vierzich … and still alive!“, hörten die beiden hinter sich.

„Glaubst du, dass wir jemals Deutschland befreien werden?“, fragte Wilden schließlich.

„Es wäre schön, aber das gäbe den nächsten Krieg“, antwortete Bäumer.

„Vierzich … and not fucking dead!“, hallte es aus der Ferne über das Parkgelände.

„Aber dafür sind wir einst angetreten, Alf. Wir haben die Chance, die Macht der Logenbrüder eines Tages zu brechen, und es ist unsere verdammte Pflicht das zu tun. Sie dürfen nicht siegen!“, murmelte Herr Wilden nachdenklich.

„Wenn das alles so einfach wäre …“, erwiderte Alf und drehte sich noch einmal zu Frank um.

„Deutschland und Europa warten auf die Freiheit. Entweder wir siegen oder alles geht unter. Es gibt da keine Alternative. Der Frieden mit dem Teufel ist nie von langer Dauer“, erklärte der Außenminister.

Für Frank sollte es noch schlimmer kommen. Der 18. Oktober, Franks 41. Geburtstag, stand eines Tages frech auf dem Kalenderblatt und erinnerte ihn wiederum an sein fortschreitendes Alter. Wie immer bereitete ihm ganz Ivas einen großartigen Empfang und die Zeitungen in den Grenzen des Nationenbundes der Rus beehrten ihn mit ihren üblichen Lobeshymnen.

Kohlhaas selbst feierte schließlich im Kreise seiner Familie und der engsten Freunde. Die Wildens hatten ihr ganzes Haus für die Geburtstagsfeier zur Verfügung gestellt und alle fünf Minuten klingelte jemand an der Tür, um ihm noch zu gratulieren. Alf hatte ihn schon den halben Tag geneckt und ihm als allererstes „viel Spaß im Alter“ gewünscht. Frank hatte schmunzeln müssen und fand sich mittlerweile mit der Tatsache, dass er sein 4. Lebensjahrzehnt erreicht hatte, ab.

„Ich fühle mich aber viel jünger!“, betonte er bei jeder Gelegenheit, was sogar Julia einige Lacher entlockte.

Im Grunde konnte er froh sein, dass er überhaupt so alt geworden war, denn Frank war dem Tod in seinem bisher so turbulenten Leben mehr als einmal von der Schippe gesprungen.

„Was machen wir denn heute noch?“, wollte Bäumer wissen, er torkelte schon stark angeheitert durch das Wohnzimmer.

„Saufen und vergessen!“, witzelte das Geburtstagskind, das Glas auf sich selbst erhebend.

„Ey, Fränk! Komm mal mit!“, flüsterte Alf und zog ihn an der Schulter fort.

„Was ist denn los?“

„Komm mal mit. Ich kann das hier nicht vor allen sagen“, wisperte ihm der Freund ins Ohr.

„Habt ihr beide Geheimnisse vor uns?“, kam von Julia.

„Das geht nur Männer was an“, betonte Bäumer. Dann ging er mit Frank in den Nebenraum.

„Wat denn?“ Kohlhaas war ebenfalls schon beschwipst, obwohl es noch nicht einmal Nachmittag war.

„Ich … ich glaube, dass Svetlana schwanger ist …“, erklärte Alf leise.

„Schwanger? Wie kommst du darauf?“

„Die hat halt keine Tage mehr. Du weißt, was ich meine.“

„Echt?“

„Ja!“

„Morgen will sie einen Schwangerschaftstest machen. Vielleicht werde ich auch bald Vater.“

Frank grinste. „Du bist ja auch fast zwei Jahre älter als ich, also sieh zu. Wird langsam Zeit, Mann.“

„Das wäre geil, was?“

„Auf jeden Fall, Alf!“

Kohlhaas ging wieder zurück ins Wohnzimmer und setzte sich an den Tisch, während ihm Bäumer glücklich lächelnd hinterher trottete.

„Und, was gab es so Wichtiges zu besprechen, meine Herren?“, erkundigte sich Agatha Wilden.

„Nichts! Schon gut!“, antwortete Alf verlegen.

„Gar nichts …“ Frank winkte ab, er schmiegte sich an Julia.

„Die Volkszeitung der Rus hat dich übrigens als „Weißrusslands besten Soldaten“ bezeichnet und dir gratuliert, Frank. Hast du den Artikel schon gelesen?“, fragte Wilden. „Mache ich morgen!“, gab dieser zurück. „Wo ist der Junge eigentlich?“

„Der ist in seinem Zimmer und spielt mit deinen Battle Hammer Figuren“, antwortete Julia.

„Was?“, rief Frank und sprang von seinem Stuhl auf.

„Ja, dafür sind sie doch da, oder?“

Kohlhaas sprintete ins Kinderzimmer und erblickte den kleinen Friedrich, der einige von Franks liebsten Zinnminiaturen auf einer kleinen Burg aus Plastik aufgestellt hatte und sie nun mit einem Bällchen bewarf.

„Tsssiuuu!“, machte Friedrich und die seltenen Sammlerstücke purzelten über den Teppich.

„Julia!“, brüllte Frank entsetzt. Sein Sohn grinste ihn an.

„Guck mal, Papa, das ist eine Kanone und die schießt auf die Monster in der Burg“, erklärte der Kleine.

„Na, toll!“, murmelte Vater Kohlhaas, die Augen verdrehend. Dann machte er sich daran, die Einzelteile seiner Figuren aufzusammeln.

Der Rest des Jahres 2044 verging, und von kleineren Problemen, wie ramponierten Zinnminiaturen oder dem Älterwerden einmal abgesehen, lebten Frank und seine Freunde glücklich und zufrieden vor sich hin. In regelmäßigen Abständen begab sich Kohlhaas nach St. Petersburg oder Minsk, um seine Waräger auf Vordermann zu bringen oder an wichtigen politischen Sitzungen teilzunehmen. Meistens verband er diese Pflichten mit dem Angenehmen und nahm Julia und Friedrich mit auf seine Dienstreisen.

Für den März 2045 hatte sich der Weltpräsident erneut angekündigt, um mit Artur Tschistokjow die Abrüstungsfrage zu besprechen. Im Dezember 2044 hatte der Weltverbund noch einmal hochrangige Diplomaten nach Tokio geschickt, um den Kontakt zu Präsident Matsumoto weiter zu pflegen.

Artur Tschistokjow hatte den Aufbau einer eigenen Atommacht bereits in der Endphase des russischen Bürgerkrieges im Geheimen eingeleitet, denn ihr maß er oberste Priorität zu. Nach und nach ließ er an verschiedenen Orten seines weiträumigen Reiches neue Atomwaffenlager und Stützpunkte errichten, meist unterirdisch. Bis zum Jahre 2045 waren eine Reihe neuer Nuklearwaffenbasen von der Insel Novaja Semlja im Nordmeer bis zu den Einöden vor dem Uralgebirge erbaut worden.

Der abtrünnige Staatsmann hatte die Bedeutung eines eigenen Atomwaffenarsenals schon lange erkannt, denn es war vollkommen unrealistisch zu glauben, dass Russland im Falle eines Konfliktes mit der Weltregierung, deren Raketenreservoir noch um ein Vielfaches größer war, auf die furchtbaren Waffen verzichten konnte.

Allein die Vorstellung, dass derartige Mittel eines Tages wirklich einsetzt werden müssten, quälte Tschistokjow sehr. Doch er kannte die Hartnäckigkeit und Skrupellosigkeit seiner Feinde, die sich im Ernstfall um Millionen Menschenleben einen Dreck scherten.

Die Atombomben sollten demnach in erster Linie als Abschreckung dienen und der Politiker, der sich viel mehr als Erbauer und nicht Zerstörer der Welt verstand, hoffte, dass eine Zeit kommen würde, wo der nukleare Rüstungswahnsinn endlich ein Ende fand.

Über das genaue Ausmaß der mittlerweile erreichten Stärke von Tschistokjows Atommacht wusste die Weltregierung relativ gut Bescheid, denn Agenten und Spitzel der GSA infiltrierten Russland in zunehmendem Maße. Gelegentlich ließen sich auch Verräter in den Reihen der Rus finden, die gegen gute Bezahlung Informationen preisgaben. Peter Ulljewski und sein Geheimdienst waren derweil ununterbrochen dabei, die eigenen Reihen nach Kollaborateuren, Spionen oder GSA-Männern zu durchforsten. Wen sie erwischten, den erwartete der Galgenstrick.

Aber auch der russische Geheimdienst selbst, der seit Mitte 2044 ADR, Abwehrsektion der Rus, genannt wurde, hatte längst eine Vielzahl von eigenen Agenten in alle Länder der Welt geschickt, welche die feindlichen Streitkräfte zu unterwandern versuchten und alle möglichen Informationen sammelten. Westeuropa und Nordamerika bildeten die Schwerpunkte der Agententätigkeit der ADR-Männer. Und so beäugten sich die verfeindeten Mächte gegenseitig im Verborgenen, während sie nach außen hin vom Frieden redeten.

Bis auf bruchstückhafte Informationen wussten die Logenbrüder allerdings wenig über die fortlaufenden militärischen Forschungen rund um das Wissenschaftlerteam von Prof. Hammer, das stetig an der Entwicklung verbesserter Waffen arbeitete. Alle Mitarbeiter dieser wissenschaftlichen Abteilung, die ausschließlich in unterirdischen Geheimlabors tätig waren, unterstanden einer akribischen Überwachung durch die ADR.

Doch die Vorgänge hinter den Kulissen der Macht interessierten den größten Teil der Russen, Ukrainer und Balten wenig, denn ihr Leben hatte sich in höchstem Maße verbessert und das war für die meisten Einwohner des Nationenbundes das Wichtigste.

„Die Arbeitslosigkeit ist nach unseren umfassenden Maßnahmen zur Wiederbelebung der einheimischen Industrie, der Landwirtschaft und des Handwerks im Februar auf unter vier Prozent gesunken. Weiterhin hat unser Kampf gegen die um sich greifende Verwahrlosung und Alkoholsucht im russischen Volk bereits Früchte getragen und Hunderttausende unserer Landsleute von der Straße geholt, um sie wieder einem menschenwürdigen Leben zuzuführen!

Ich kann demnach sagen, dass seit meinem Amtsantritt ein wahres Wunder des wirtschaftlichen und kulturellen Aufstiegs stattgefunden hat.

So gut ging es dem russischen Volk seit Jahrhunderten nicht mehr und viele, die mir anfangs noch mit Skepsis und Unwillen gegenüber gestanden haben, sind eines Besseren belehrt worden und dürfen nun sogar an diesem gewaltigen Werk der Wiederaufrichtung unseres Landes teilhaben!“, verkündete Artur Tschistokjow seiner jubelnden Anhängerschaft.

„Zudem kann ich bekannt geben, dass die Geburtenrate der russischen Familien in diesem Jahr wieder so weit gestiegen ist, dass wir den Bevölkerungsrückgang nicht nur gestoppt, sondern in ein gehöriges Wachstum umgewandelt haben. Das zeigt mir nur eines: Unser Volk trägt wieder Hoffnung im Herzen und diese Hoffnung soll ihm in Zukunft niemand mehr nehmen können!“

Frank, Alfred, Julia, Svetlana und sogar Friedrich schenkten Tschistokjow einen gehörigen Applaus und bestaunten noch einmal die riesigen, leuchtenden Drachenkopffahnen, die von der Decke herabhingen.

Heute fand die erste große Saalveranstaltung der Freiheitsbewegung in St. Petersburg statt und die gesamte Führungsspitze der inzwischen gewaltig angewachsenen Organisation war in die Hauptstadt gereist.

„Wenn heute jemand aus dem Ausland nach Russland kommt, so wird er sich wundern, wie sehr ihn die internationalen Medien in den letzten Jahren belogen haben. Er wird sehen, dass hier ein Aufstieg stattfindet, von dem die übrigen Völker der Welt, von Japan einmal abgesehen, nur träumen können.

Vollbeschäftigung, Kultur, Stolz, Werte, Sittlichkeit und Moral – das sind Begriffe, die es in den Ländern der Weltregierung gar nicht mehr gibt.

Wo sind die großen Errungenschaften der angeblichen „Menschenfreunde“? Wo sind ihre angeblich so glücklichen Völker? Wo sind die großen Zeugnisse ihrer angeblichen „Weltkultur“?

Ich kann sie nirgendwo sehen und der gewöhnliche Bürger des Weltstaates kann sie auch nirgendwo erblicken! Denn sie existieren überhaupt nicht! Wir füttern unser Volk nicht mit falschen Versprechungen und Lügen, sondern bauen es auf und machen es wieder stark. Wie schrecklich waren die Zustände in den letzten Jahrzehnten hier in Russland und wie sehr hat das inzwischen beseitigte Regime der Logenbrüder dieses Land zerstört!

Doch die Macht dieser Leute ist mittlerweile hier in Russland gebrochen worden und auch die Folgen ihrer Zerstörungsarbeit werden wir eines Tages endgültig entfernt haben!“, rief Artur Tschistokjow durch die riesige Halle.

„Wer ist der Mann?“, flüsterte Friedrich seinem Vater ins Ohr, während ein Sturm aus Rufen und Jubelschreien um sie herum ausbrach.

„Das ist der Chef von Russland!“, erklärte Frank dem kleinen Jungen.

„Wie heißt der denn?“, wollte Friedrich wissen.

„Das ist der Onkel Artur!“, sagte Kohlhaas.

„Und dem gehört ganz Russland?“, fragte der Junge.

„Sozusagen … ja …“, erwiderte Frank schmunzelnd.

„Auch du, Papa?“

„Nein, ich gehöre ihm nicht, aber ich kämpfe freiwillig für Onkel Artur.“

„Musst du auch andere Soldaten für ihn erschießen, Papa?“

Frank stockte für einige Sekunden. Plötzlich wusste er nicht mehr, was er darauf erwidern sollte.

„Ja, das muss ich manchmal auch tun, Friedrich. Leider!“

„Sind die anderen Soldaten alle böse, Papa?“, bohrte der kleine Sohn nach, während Frank erneut mit seiner Antwort zögerte.

Schließlich erwiderte er: „Dafür bist du noch zu klein. Ich erkläre dir das ein andermal, Friedrich …“

Beutewelt VI. Friedensdämmerung

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