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Zweites Kapitel
ОглавлениеEs vergingen einige Tage, und die Feindschaft zwischen den beiden Nachbarn nahm nicht ab. Andrej Gawrilowitsch dachte gar nicht daran, nach Pokrowskoje zurückzukehren; Kirila Petrowitsch langweilte sich aber ohne ihn und machte seinem Ärger in den beleidigendsten Ausdrücken Luft, die dank dem Eifer der damaligen Edelleute Dubrowskij in verbesserter und vervollständigter Fassung erreichten. Ein neuer Zwischenfall vernichtete auch die letzte Hoffnung auf eine Versöhnung. Dubrowskij machte eines Tages eine Runde durch seinen kleinen Besitz; als er sich dem Birkenwäldchen näherte, hörte er Abschläge und gleich darauf das Krachen eines gefällten Baumes; er eilte hin und erwischte mehrere Bauern aus Pokrowskoje, die ruhig sein Holz stahlen. Als sie ihn sahen, wollten sie davonlaufen, aber Dubrowskij fing mit Hilfe seines Kutschers zwei von ihnen ein und brachte sie gefesselt auf seinen Hof; auch drei feindliche Pferde fielen dem Sieger zu. Dubrowskij war außerordentlich erbost; bisher hatten sich die Trojekurowschen Leute, die sonst als Diebe bekannt waren, in den Grenzen seines Besitztums nie etwas erlaubt, da sie die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Besitzern kannten. Dubrowskij sah, daß sie sich den zwischen ihnen ausgebrochenen Zwist zunutze machten, und entschloß sich, entgegen allen Vorschriften des Kriegsrechts, seine Gefangenen mit den Ruten, die sie selbst in seinem Wäldchen gestohlen hatten, zu züchtigen, die Pferde aber dem herrschaftlichen Arbeitsvieh zuzuteilen.
Die Nachricht von diesem Ereignis erreichte am gleichen Tage Kirila Petrowitsch. Er geriet ganz außer sich und wollte schon im ersten Ausbruch des Zornes mit allen seinen Leibeigenen einen Angriff auf Kistenjowka (so hieß das Gut seines Nachbarn) unternehmen, es vollkommen verwüsten und den Besitzer selbst im Herrenhause belagern; solche Heldentaten waren für ihn nichts Neues; aber seine Gedanken nahmen eine andere Richtung. Während er mit schweren Schritten im Saal auf und ab ging, blickte er zufällig durchs Fenster und sah vor dem Tore eine Troika halten; ein kleines Männchen in Ledermütze und Friesmantel entstieg dem Wagen und begab sich in den Seitenflügel zum Verwalter. Trojekurow erkannte den Assessor Schabaschkin und ließ ihn zu sich rufen. Nach einer Minute stand Schabaschkin schon vor Kirila Petrowitsch, machte eine Verbeugung nach der anderen und wartete mit Andacht auf seine Befehle.
»Guten Tag, ... wie heißt du noch?« sagte Trojekurow. »Wozu bist du hergekommen?«
»Ich fuhr zur Stadt, Euer Exzellenz,« antwortete Schabaschkin, »und wollte bei Iwan Demjanow nachfragen, ob Euer Exzellenz keinen Befehl für mich hätten.«
»Du kommst mir gerade gelegen ... wie heißt du noch? ... Ich will von dir was. Trink ein Glas Schnaps und Höre mich an.«
Dieser freundliche Empfang überraschte den Assessor auf die angenehmste Weise; er verzichtete auf den Schnaps und begann den Worten Kirila Petrowitschs mit der größten Aufmerksamkeit zu lauschen.
»Ich habe einen Nachbarn,« sagte Trojekurow, »einen landarmen Gutsbesitzer, einen Grobian, und ich will ihm sein Gut nehmen ... was denkst du darüber?«
»Euer Exzellenz, wenn Sie vielleicht irgendwelche Dokumente haben ...«
»Unsinn, Bruder, was brauchst du Dokumente? Dafür gibt es Ukase. Das ist eben der Witz, daß ich ihm das Gut ohne jedes Recht nehme. Wart' aber! Dieses Gut hat einmal uns gehört, es war irgendeinem Spizyn abgekauft und dann dem Vater Dubrowskijs verkauft worden. Kann man sich das irgendwie zunutze machen?«
»Es ist schwierig, Exzellenz; der Verkauf war wohl unter Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften abgeschlossen worden.«
»Denk' mal nach, Bruder, überlege dir die Sache.«
»Wenn Euer Exzellenz zum Beispiel von Ihrem Nachbarn die Urkunde bekommen könnten, auf der sein Besitzrecht beruht, dann natürlich ...«
»Ich verstehe, aber denke dir nur das Pech: alle seine Papiere sind bei einer Feuersbrunst verbrannt.«
»Wie, Euer Exzellenz, seine Papiere sind verbrannt? Was wollen Sie dann noch? In diesem Falle belieben Sie auf dem gesetzlichen Wege vorzugehen, und Sie können überzeugt sein, daß die Sache zu Ihrer vollsten Zufriedenheit erledigt werden wird.«
»Du glaubst so? Also pass' auf, ich verlasse mich aus deinen Eifer, und meiner Dankbarkeit darfst du versichert sein.«
Schabaschkin verbeugte sich fast bis zur Erde und ging hinaus; am gleichen Tage machte er sich an die beschlossene Sache, und Dubrowskij bekam dank Schabaschkins Geschicklichkeit schon nach zwei Wochen aus der Stadt die Aufforderung, sich unverzüglich zu der beim Gericht vom General en Chef Trojekurow eingelaufenen Klage, daß er das Gut Kistenjowka zu Unrecht besitze, zu äußern.
Andrej Gawrilowitsch, über die unerwartete Anfrage erstaunt, antwortete am gleichen Tage mit einem recht groben Briefe, in dem er erklärte, daß er das Gut Kistenjowka von seinem seligen Vater geerbt hätte, daß er es auf Grund des Erbrechtes besitze, daß Trojekurow die Sache nichts anginge und daß jeder Versuch, ihm sein Eigentumsrecht streitig zu machen, nichts als Betrug und Gaunerei sei. Dubrowskij hatte keine Erfahrung in Prozeßsachen und ließ sich meistenteils vom gesunden Menschenverstand leiten, dessen Führung selten die richtige und fast immer eine ungenügende ist.
Dieser Brief erfreute dem Assessor Schabaschkin das Herz; er sah erstens, daß Dubrowskij von Geschäften wenig verstand und zweitens, daß es gar nicht so schwer sein würde, einen so hitzigen und unbesonnenen Menschen in eine höchst unvorteilhafte Lage zu versetzen. Andrej Gawrilowitsch sah sich die vom Gericht eingelaufene Anfrage noch einmal ruhig an und erkannte die Notwendigkeit, etwas ausführlicher zu antworten; er schrieb einen recht vernünftigen Brief, der sich jedoch später als ungenügend erwies.
Die Sache zog sich in die Länge. Von seinem Rechte überzeugt, kümmerte sich Andrej Gawrilowitsch wenig um die Sache; er hatte weder Lust noch die Möglichkeit, mit Geld um sich zu werfen, spottete über das käufliche Gewissen der Rechtsverdreher, und der Gedanke, daß er das Opfer einer Rechtsbeugung werden könne, kam ihm nie in den Sinn. Trojekurow kümmerte sich auch seinerseits sehr wenig um den Erfolg des von ihm angestrengten Prozesses; Schabaschkin führte die Sache in seinem Namen, machte sich die Richter durch Einschüchterungen und Bestechungen gefügig und legte alle existierenden Ukase auf seine Weise aus. Kurz und gut, am 9. Februar 18.. erhielt Dubrowskij durch die Stadtpolizei eine Aufforderung, vor dem Landgericht zu *** erscheinen, um das in der Streitsache zwischen ihm, dem Leutnant Dubrowskij, und dem General en Chef Trojekurow wegen eines strittigen Gutes gefällte Urteil anzuhören und durch seine Unterschrift entweder dem Urteil die Zustimmung zu geben oder aber dagegen Berufung einzulegen. Dubrowskij begab sich noch am gleichen Tage in die Stadt. Unterwegs überholte ihn Trojekurow: sie sahen einander hochmütig an, und Dubrowskij bemerkte im Gesichte seines Gegners ein boshaftes Lächeln.
In der Stadt stieg Andrej Gawrilowitsch bei einem ihm bekannten Kaufmann ab, übernachtete bei diesem und erschien am nächsten Morgen vor dem Landgericht. Gleich nach ihm kam auch Kirila Petrowitsch; die Schreiber steckten ihre Federn hinter die Ohren und erhoben sich; die Richter empfingen ihn mit dem Ausdrucke tiefster Unterwürfigkeit und schoben ihm aus Achtung vor seinem Rang, seinem Alter und seiner Körperfülle einen Sessel hin. Er setzte sich, während Andrej Gawrilowitsch an eine Wand gelehnt stand. Eine tiefe Stille trat ein, und der Sekretär verlas mit lauter Stimme die Entscheidung des Gerichts. Der Sekretär verstummte; der Assessor stand auf und wandte sich mit einer tiefen Verbeugung an Trojekurow mit der Aufforderung, das Papier zu unterschreiben. Der triumphierende Trojekurow nahm aus seiner Hand die Feder und schrieb unter das Gerichtsurteil sein vollkommenes Einverständnis mit demselben. Jetzt war die Reihe an Dubrowskij. Der Sekretär reichte ihm das Papier, aber Dubrowskij stand regungslos mit gesenktem Kopf da. Der Sekretär wiederholte die Aufforderung, »seine volle und bedingungslose Zustimmung oder seinen ausdrücklichen Protest gegen das Urteil niederzuschreiben, falls er wider Erwarten von der Gerechtigkeit seiner Sache überzeugt sei, und falls er die Absicht habe, in der von den Gesetzen vorgeschriebenen Frist gehörigen Ortes Berufung einzulegen«.
Dubrowskij schwieg... Plötzlich hob er seinen Kopf, seine Augen funkelten, er stampfte mit einem Fuß, stieß den Sekretär so heftig zurück, daß jener hinfiel, ergriff ein Tintenfaß und warf es dem Assessor an den Kopf. Dann schrie er mit wilder Stimme: »Diese Schändung der Kirche Gottes! Hinaus, Gesindel!« Dann wandte er sich an Kirila Petrowitsch und fuhr fort: »Hat man es schon gehört, daß Stallknechte Hunde in die Kirche Gottes bringen! Hunde laufen in der Kirche herum! Ich werde es euch zeigen!« Alle waren entsetzt. Die Gerichtsdiener kamen auf den Lärm herbei und überwältigten ihn mit Mühe. Man führte ihn hinaus und setzte ihn in seinen Schlitten. Trojekurow verließ gleich nach ihm das Gericht, und alle Richter gaben ihm das Geleite; der plötzliche Wahnsinnsanfall Dubrowskijs machte auf ihn mächtigen Eindruck und vergiftete seine Siegesfreude; die Richter, die auf seinen Dank rechneten, bekamen von ihm kein einziges freundliches Wort zu hören; er begab sich sofort nach Pokrowskoje zurück, von heimlichen Gewissensbissen geplagt und ohne die Befriedigung seinen Hasses voll ausgekostet zu haben. Dubrowskij lag indessen im Bett; der Kreisarzt (der glücklicherweise kein völliger Ignorant war) ließ ihn zur Ader und setzte ihm Blutegel und spanische Fliegen an; gegen Abend fühlte er sich besser, und am anderen Tage brachte man ihn nach Kistenjowka, das ihm fast nicht mehr gehörte.