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Ein Werkzeug des Bösen?

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Warum ein Buch über Propaganda? Ist das noch zeitgemäß? Zwar taucht der Begriff in der Tagespolitik regelmäßig auf, meist als Vorwurf an den politischen Gegner oder angesichts von Desinformationskampagnen, mit denen (aus dem Ausland) Wahlen beeinflusst werden. Doch wenn wir über politische Kommunikation und deren Fehlentwicklungen diskutieren, stehen andere Begriffe im Vordergrund: Fake News und »alternative Fakten«, Message Control sowie »Mainstream-« und »Lügenpresse«. Fragt man, was diese Dinge gemeinsam haben, zeigt sich ein roter Faden: Es geht um die (tatsächliche oder vermeintliche) Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch Akteure, die damit ihre Ziele erreichen wollen.

Was nach Verschwörungstheorie klingt, ist nichts anderes als die wertneutrale Definition von Propaganda, die der Kommunikationswissenschaftler Gerhard Maletzke 1972 formuliert hat: »›Propaganda‹ sollen geplante Versuche heißen, durch Kommunikation die Meinung, Attitüden, Verhaltensweisen von Zielgruppen unter politischer Zielsetzung zu beeinflussen.« Wie PR und Werbung fällt sie in die Kategorie der persuasiven Kommunikation; sie will überreden (lat. persuadere) und überzeugen. Ein entscheidender Faktor ist die Intention des Urhebers: Propaganda entsteht nicht einfach so, sondern mit einer bestimmten Absicht.

Weder ist Propaganda Geschichte, noch gibt es sie lediglich in fernen Ländern wie dem diktatorisch regierten Nordkorea, wo die staatliche Jubelpropaganda zum Systemerhalt beiträgt: »Auch in einer liberalen Demokratie wird Propaganda gemacht«, bekräftigte der amerikanische Philosoph Jason Stanley 2015 im Interview mit der Zeit – und damals war Donald Trump (*1946) noch gar nicht US-Präsident. Auf die Frage hin, wann ihm zum letzten Mal Propaganda begegnet sei, antwortete er: »Heute früh, beim Zeitunglesen. Ich stoße jeden Tag auf Propaganda, sie gehört zum Alltag.«

Und Propaganda wirkt. Als Historikerin faszinierte mich schon im Studium die Frage: Wie konnten Einzelne oder kleine Gruppen andere von ihren Ideen überzeugen, Anhänger gewinnen und diese mobilisieren? Zum Sturm auf die Bastille zum Beispiel. Für eine neue religiöse Bewegung wie die mittelalterlichen Bettelorden oder eine politische Partei. Zu Demonstrationen für Freiheit, Frauen- und Bürgerrechte. Vor allem aber auch zu Völkermord und Krieg: Wie kann es sein, dass es Menschen trotz all der leidvollen Erfahrungen mit Gewalt, Hass und Krieg immer wieder gelingt, andere dazu zu bringen, ihre Menschlichkeit zu vergessen und auf andere loszugehen?

Propaganda ist wirkmächtig.

Jetzt könnte man das Buch frustriert zur Seite legen, wenn kein »aber« folgen würde. Propaganda wirkt nämlich nur, solange sie nicht als solche durchschaut wird.

Wer weiß, wie Propaganda funktioniert, welche Tricks eingesetzt werden und welche Rollen die Medien dabei spielen, dem fällt es leichter, Manipulationen und Fakes (rechtzeitig) zu erkennen. Das Buch soll eine Orientierungshilfe bieten: Es geht mir nicht darum, akribisch aufzuzählen, welcher Politiker wann was gesagt hat und ob es gelogen oder wahr war. Nein, ich möchte – anhand von anschaulichen, kurzen Fallbeispielen – aus der Vogelperspektive die großen Muster politischer Propaganda und die ihr zugrundeliegenden Strategien sichtbar machen, damit im Alltag jeder gut gerüstet für sich auf Entdeckungsreise gehen kann. Denn wir sind zwar von Natur aus anfällig für Beeinflussung, aber wir sind ebenso lernfähig. Mit Wissen und einer vernünftigen Portion Skepsis können wir uns gegen Desinformation und Manipulation schützen. Ich will nicht behaupten, dass das einfach ist. Denn jene, die uns beeinflussen und in die Irre führen wollen, sind Profis. Und einige von ihnen sind willens, über Leichen zu gehen.

Wer sind sie, die Propagandisten? Wer oder was fällt uns spontan ein, wenn wir an Propaganda denken? Vermutlich Adolf Hitler (1889–1945) und Joseph Goebbels (1897–1945), wie sie sich wild gestikulierend vor erregten Menschenmassen heiser brüllen. Im kollektiven Gedächtnis ist Propaganda mit der NS-Zeit verknüpft. Für Hitler hatte sie von Anfang an höchsten Stellenwert: »Nach meinem Eintritt in die Deutsche Arbeiterpartei übernahm ich sofort die Leitung der Propaganda«, schrieb er in Mein Kampf. Er hielt »dieses Fach für das augenblicklich weitaus wichtigste«, denn noch war die NSDAP von einer Massenpartei weit entfernt und es galt »erst das zu bearbeitende Menschenmaterial« zu gewinnen. Schon in den 1920er Jahren leistete sich die politisch noch »bedeutungslose Splitterpartei« (Peter Longerich) einen Reichspropagandaleiter, einen Auslandspressechef sowie eine Rednerschule.

»Wir säßen heute nicht in den Ministersesseln, wenn wir nicht die großen Künstler der Propaganda wären«, davon war Goebbels zwölf Tage nach seiner Ernennung zum Minister des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda überzeugt. Nach Hitlers Amtsantritt als Reichskanzler am 30. Januar 1933 ging es ihm und seinen Mitstreitern, wie Goebbels sagte, darum, »Menschen für eine Idee zu gewinnen, so innerlich, so lebendig, daß sie am Ende ihr verfallen sind und nicht mehr davon loskommen.« Im selben Jahr wurde die Meinungs- und Pressefreiheit außer Kraft gesetzt und die Zensur eingeführt (»Gleichschaltung« der Medien). Die Nationalsozialisten machten kritische sowie oppositionelle Stimmen mundtot, und sie trieben die gnadenlose Ausgrenzung und Verfolgung der Juden voran, die im Holocaust mit rund 6 Millionen Todesopfern gipfelte.

Gegenüber den Großmächten Europas gab sich das NS-Regime bis 1936 betont friedliebend, wie Ralf Georg Reuth in seiner Goebbels-Biographie beschreibt, um insgeheim ungestört aufrüsten zu können. Die außenpolitische Propaganda mit ihren Friedensbeteuerungen diente dazu, wie Goebbels es ausdrückte, die »Risikozone«, also die Phase der »Wiederwehrhaftmachung«, sicher hinter sich zu bringen. Im September 1933 reiste Goebbels zur Tagung des Völkerbundes in Genf und hielt vor der internationalen Presse einen Vortrag über Das nationalsozialistische Deutschland und seine Aufgabe für den Frieden. Darin wies der Propagandaminister die Behauptung, Deutschland bereite eine spätere Expansionspolitik vor, als »grotesk« zurück und nannte es »unfair«, dem Reich einen Willen zum Krieg zu unterstellen. Der Wolf im Schafspelz. Hitler erklärte im November 1938: »Die Umstände haben mich gezwungen, jahrzehntelang fast nur vom Frieden zu reden«; dann aber galt es, »das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen« und auf Krieg einzustimmen.

Die menschenverachtende und -vernichtende Ideologie und Politik der Nationalsozialisten führte in den Zweiten Weltkrieg und zu ungeheuren Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Flankiert wurde sie Schritt für Schritt von raffinierter Propaganda, die an Unwahrhaftigkeit und Zynismus nicht zu übertreffen ist.

Ist Propaganda also ein Werkzeug des Bösen? Nicht unbedingt. Propaganda selbst ist weder gut noch böse, sondern eben nur das: ein Werkzeug.


Martin Luther King 1964

Der US-amerikanische Baptistenpfarrer Martin Luther King (1929–1968) kämpfte gegen Rassendiskriminierung sowie soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeit. 1955 übernahm er eine führende Rolle in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, reiste durch das Land, hielt Vorträge und war für Zeitungen, Radio- und Fernsehsender ein gefragter Interviewpartner. Am 28. August 1963 nahmen rund 250 000 Menschen am Protestmarsch auf Washington teil, und er hielt vor dem Lincoln Memorial seine berühmte I-Have-a-Dream-Rede. Die Rassentrennung wurde 1964 durch ein Bürgerrechtsgesetz (Civil Rights Act) für ungültig erklärt; im selben Jahr erhielt King den Friedensnobelpreis. Gewalt hatte er stets eine scharfe Absage erteilt, doch seine Gegner schreckten davor nicht zurück: King fiel am 4. April 1968 einem Attentat zum Opfer.

Auch Martin Luther King versuchte, »durch Kommunikation die Meinung, Attitüden, Verhaltensweisen von Zielgruppen unter politischer Zielsetzung zu beeinflussen«. Das ist der Definition nach Propaganda. War der Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger folglich ein Propagandist? Darf man das sagen? Zum Glück bezog er selbst dazu Stellung und forderte zur Differenzierung auf: »Für den Normalbürger hat das Wort ›Propaganda‹ einen bösen und hinterhältigen Unterton«, erklärte er 1954 in seiner Predigt Propagandizing Christianity (›Das Christentum verbreiten‹). Jenen, die furchtbare Erfahrungen mit Propaganda in totalitären Staaten gemacht hätten, erscheine sie als etwas notwendigerweise Böses, das verdammt und vermieden werden müsse. »Aber Propaganda muss nicht böse sein. Es gibt edle Zwecke, denen die Propaganda dienen kann.«

Ob sie gut oder böse ist, ergibt sich aus der Zielsetzung: Mit Propaganda kann man Menschen zu Gewalt und Krieg aufrufen oder vom Wert des Friedens überzeugen. Letzteres strebte die österreichische Pazifistin und Schriftstellerin Bertha von Suttner (1843–1914) an. Einer politischen Partei beizutreten, lehnte sie ab:

Solange die Politiker einander befehden, statt vereinigt einem klar erkannten Ziele entgegenzusteuern; solange die zu persönlichen Zwecken angewandte Schlauheit für Staatsweisheit gilt, solange wird von den Volksvertretungen nichts fürs Volk Ersprießliches errungen werden.

Suttner schloss sich stattdessen der Friedensbewegung an und nahm an Friedenskongressen teil; als Rednerin und Autorin warb sie für ihre Ideale und versuchte, über Medien wie Zeitschriften die öffentliche Meinung zu beeinflussen. 1889 erschien ihr zweibändiger Roman Die Waffen nieder! Darin lässt sie die Protagonistin Martha in Ich-Form berührend ihre durch Kriege verursachte Leidensgeschichte erzählen, um anhand ihres Schicksals deren Sinnlosigkeit und Schrecken aufzuzeigen. »Einer Kollegin gestand sie freimütig, ›daß man gerade durch Romane mehr Chancen hat, seine Ideen einzuschmuggeln‹«, schreibt Suttners Biographin Brigitte Hamann. In der Tat wurde Suttners Buch einer der größten Erfolge des 19. Jahrhunderts.


Bertha von Suttner 1906

Zahlreiche verarmte russische Juden flohen in den 1880er Jahren vor Pogromen im Zarenreich nach Westeuropa, was den Antisemitismus u. a. in Wien und Berlin befeuerte. Gemeinsam mit ihrem Mann Arthur engagierte sich Suttner damals im »Verein zur Abwehr des Antisemitismus« und forderte: »Nicht nur die Betroffenen, sondern alle jene, denen das schreiende Unrecht weh tut […], müßten schließlich zu einem lauten Proteste sich aufraffen.« 1905 erhielt sie den Friedensnobelpreis. Bis zu ihrem Tod am 21. Juni 1914 setzte sie sich für den Frieden ein. Den kurz darauf erfolgenden Ausbruch des Ersten Weltkrieges musste sie nicht mehr miterleben.

Mit Propaganda kann man Menschen für die Friedensbewegung gewinnen oder aber zum Kampf mobilisieren. Die Techniken sind dieselben. Wie aber funktioniert Propaganda? Leitet der Propagandist seine Botschaft an die Medien weiter, diese veröffentlichen sie und das Publikum reagiert quasi auf Knopfdruck? Das wäre zu einfach. An Propaganda sind drei Akteursgruppen beteiligt: Sender (Kommunikator), Medien (Vermittler) und Empfänger (Rezipient, Adressat). Die Begriffe Sender und Empfänger beziehen sich auf die Funktion im Kommunikationsprozess; unabhängig vom Geschlecht ist damit eine Person bzw. eine Personengruppe gemeint, die Botschaften entweder sendet oder empfängt.

Als Sender politischer Propaganda können einzelne staatliche oder nichtstaatliche Akteure und Gruppen auftreten. Beispielsweise sind das Politiker und Parteien, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Protestbewegungen und Interessensvertretungen, aber auch extremistische Gruppierungen und Terroristen. Sie alle wollen ihre Botschaften verbreiten und in der Öffentlichkeit für sich bzw. ihre Ziele werben. Parteien wollen im Wahlkampf Stimmen gewinnen, Natur- und Klimaschützer wollen möglichst viele Menschen zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit der Umwelt motivieren.

Propagandisten benötigen Medien als Vermittler, um möglichst viele Empfänger zu erreichen. Neben Zeitungen, Radio, Film, Fernsehen und Internet ist alles geeignet, was eine Botschaft transportieren kann: Siegessäulen und Münzen, Lieder, Kunstwerke, selbst Kinderspielzeug und Videospiele. Über Jahrhunderte dienten Geistliche wie der Landpfarrer den Regierungen als sogenannte »Menschmedien« – sie verkündeten von der Kanzel herab nicht nur das Wort Gottes, sondern auch Mitteilungen der Obrigkeit; in der Gegenwart ist die Rolle von »Hasspredigern« bei der Verbreitung von Propaganda zu erwähnen. Medien sind keine passiven Vermittler, sondern ebenfalls mit Macht ausgestattet; ihren Handlungsspielraum werde ich in einem eigenen Kapitel noch ausleuchten.

Die Gruppe der Empfänger ist die größte, denn sie schließt zugleich die natürlichen Personen aus der Akteursgruppe der Medien wie aus der der Sender mit ein, die immer auch der Propaganda anderer Kommunikatoren ausgesetzt sind. Nur: Wie empfänglich sind Menschen für Propaganda? Im frühen 20. Jahrhundert folgte man in dieser Frage gern der Massentheorie, die den Medien eine starke Wirkung zuschrieb.

Als einer ihrer Begründer gilt Gustave Le Bon (1841–1931), der 1895 die Psychologie der Massen publizierte. Le Bon war der Meinung, dass der Einzelne in einer Gruppe zum Herdentier werde und als solches leichter zu beeinflussen sei. Die Massen würden instinktiv »der Knechtschaft zusteuern«, da sie sich als Herde ohne Hirten nicht zu helfen wüssten, sondern eines Wegweisers bedürften. »Meistens sind die Führer keine Denker, sondern Männer der Tat« mit »wenig Scharfblick […]. Man findet sie namentlich unter den Nervösen, Reizbaren, Halbverrückten, die sich an der Grenze des Irrsinns befinden.«

Der österreichische Psychoanalytiker Sigmund Freud (1856–1939) griff in seiner Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) die Gedanken Le Bons auf. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich Propaganda zur Wissenschaft: Man sah in ihr eine Art ›Geheimwaffe‹ zur Steuerung der Massen durch die Eliten, was PR-Experten wie Edward Bernays, ein Neffe Freuds, durchaus begrüßten.

In den frühen 1930er Jahren kam es in den USA zu einer Abkehr von der Massentheorie; die Empfänger wurden nun als mess- bzw. berechenbar und dadurch lenkbar erachtet. Markt- und Meinungsforschung erlebten einen Aufschwung: Man ging daran, Zielgruppen exakt zu erforschen, indem man deren Lebensstile und Bedürfnisse erfasste, um die Propaganda darauf abstimmen zu können. Allerdings zeigte sich, dass Menschen keineswegs wie gewünscht auf Knopfdruck reagierten. Heute ist klar, dass Empfänger keine homogene Masse bilden, sondern aktive Rezipienten sind. Das Publikum besteht aus Individuen mit subjektiven Meinungen, Vorurteilen, Erfahrungen und Lebensumständen sowie hoher kognitiver Autonomie, sprich: Sie haben die Fähigkeit, selbst(ständig) zu denken. Propagandabotschaften rieseln nicht auf unbeschriebene Blätter herab, sondern prallen auf bestehende Ansichten – und manchmal von diesen ab.

Das Bild vom bösen Wolf, der die hilflosen Schafe verführt, ist zu simpel. Vor allem könnte es uns dazu verleiten, dem Sender zu große Macht zuzuschreiben und gleichzeitig den Empfänger aus seiner Mitverantwortung zu entlassen. Denn wenn Propaganda – manchmal mit vernichtenden Folgen – wirkt, sind beide Seiten nicht unschuldig daran.

Propaganda. 100 Seiten

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