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Von der Propaganda zur PR- und Öffentlichkeitsarbeit

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Was ist die Basis der Demokratie? Vertrauen. Wir müssen den von uns gewählten Volksvertretern, der Rechtsstaatlichkeit und den demokratischen Institutionen mit ihren Prozessen vertrauen können. Dabei geht es nicht um blindes und naives Vertrauen, sondern um Vertrauen, das verdient werden muss.

Doch unser Vertrauen wird durch Berichte über Amtsmissbrauch und Korruption, Postenschacher, Wahlmanipulationen und so weiter immer wieder erschüttert. Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen (*1944) beklagte in seiner Rede vom 21. Mai 2019 das durch den sogenannten Ibiza-Skandal entstandene »Bild der Respektlosigkeit, des Vertrauensbruchs, der politischen Verwahrlosung. Der Schaden, den diese Bilder anrichten, ist noch nicht abzuschätzen. Besonders, weil viele jetzt in einer ersten Reaktion sagen ›Typisch Politiker!‹ oder ›Die sind doch eh alle gleich!‹« Nein, man kann nicht alle in einen Topf werfen. Das wäre ungerecht gegenüber jenen, die sich korrekt verhalten und um Wahrhaftigkeit bemüht sind, und es würde die Taten der schwarzen Schafe bagatellisieren.

Zu den tatsächlichen Lügen und Regelverstößen – und deren gibt es genug – kommen vermeintliche hinzu: In der öffentlich geführten Diskussion wird immer öfter der Fake-News-Vorwurf eingesetzt, um Informationen, Kritik und Argumente politischer Gegner oder der Medien abzuschmettern, selbst wenn diese den Tatsachen entsprechen. Das erzeugt ein Klima der Unsicherheit und des Misstrauens der Politik und den Medien gegenüber. Werden wir systematisch belogen und betrogen? Der ständige Zweifel – was ist wahr, was falsch? – setzt uns zu. Wem können wir noch vertrauen?

Es ist eindeutig: Fake News tun uns nicht gut; sie schaden der Demokratie. Sollten wir Propaganda daher komplett verbieten? Jein. Überspitzt formuliert ist ohne Propaganda kein Staat zu machen. Es liegt in der menschlichen Natur, andere zu überreden und zu überzeugen, um zu einer gemeinsamen Entscheidung zu finden. Das trifft ebenso auf die Politik zu, die ständig kommuniziert, erklärt und legitimiert werden muss. Beispielsweise waren und sind Regierende darauf angewiesen, dass die Bevölkerung ihrer Politik mehrheitlich zustimmt, sonst drohen Proteste und im äußersten Fall eine blutige Revolution.

In Demokratien entscheiden die Wähler. Nirgends tritt der Werbecharakter der Propaganda (im Geschäftsleben wurde das Wort noch um 1900 synonym zur Reklame verwendet) so klar hervor wie im Wahlkampf. Daran ist grundsätzlich nichts Verwerfliches – die Bürger müssen ja erfahren, welche Partei welche Positionen vertritt, um in der Wahlkabine eine Entscheidung treffen zu können.

»Ein Ende von Propaganda ist also nicht abzusehen. Denn das Grunddilemma ist nach wie vor dasselbe: In demokratischen Staaten müssen politische Entscheidungen normativ und gemeinwohlorientiert begründet werden. Dadurch stehen Regierungen und konkurrierende politische Parteien stets vor der Notwendigkeit, argumentativ zu erklären, warum sie welche Entscheidung anstreben. Diese Argumente werden im Diskurs in der Regel mit Tatsachen unterfüttert. Die Verführung im politischen Meinungskampf liegt nun darin, Argumente und Fakten selektiv auszuwählen und andere wegzulassen, also ein Bild von der Realität zu zeichnen, das den eigenen Aktionsprogrammen am nächsten kommt. Solange diese Verführung besteht – und ihre Abschaffung würde auch ein Ende des freien Räsonnements bedeuten – wird es auch persuasive politische Kommunikation geben. Einige Indizien sprechen dafür, dass die Hemmschwellen zum Einsatz solcher Mittel auf Seiten der politischen Klasse sogar sinken. Die Bereitschaft, die Bevölkerung mit professionellen Kampagnen auf die ›richtige‹ Argumentation einzuschwören, nimmt tendenziell zu – und die Akzeptanz solchen Verhaltens auch.«

Thymian Bussemer, Propaganda. Konzepte und Theorien, Wiesbaden 2008

Jedoch ist Propaganda nicht gleich Propaganda. Wohl niemand wird die Propaganda der NS-Zeit oder moderner Diktaturen mit jener in Demokratien auf eine Stufe stellen. Die jeweilige Verfassung und die Gesetze geben den Rahmen vor, innerhalb dessen sich politische Propaganda entfalten darf. In funktionierenden Demokratien wird sie vor allem durch zwei Faktoren beschränkt: die Meinungs- bzw. Pressefreiheit sowie das parlamentarisch-demokratische System, in dem in der Regel mehrere Parteien konkurrieren und zusammen mit weiteren staatlichen sowie nichtstaatlichen politischen Akteuren in der öffentlichen Diskussion zeitgleich verschiedene Meinungen vertreten. Die Soziologen Paul Felix Lazarsfeld und Robert King Merton haben sich in den 1960er und 1970er Jahren mit der Problematik befasst. Für sie ist »das Reinergebnis der Propaganda […] außerordentlich gering, wenn sich die Propaganda gegensätzlicher politischer Richtungen die Waage hält.«

Zudem kommt es darauf an, welche Mittel und Methoden eingesetzt werden. Wir unterscheiden zwischen schwarzer, weißer und grauer Propaganda. Bei schwarzer Propaganda werden Unwahrheiten und Gerüchte verbreitet, der Kommunikator hält sich verborgen oder täuscht vor, jemand anderes zu sein. In den grauen Bereich fallen Halbwahrheiten und Suggestionen, es können zudem illegal erworbene Daten (beispielsweise durch Hackerangriffe) anonym ›geleakt‹ werden.

Bei weißer Propaganda ist der Sender identifizierbar und die Information wahr. Sie entspricht weitestgehend den Ethikregeln der modernen Branche für PR- und Öffentlichkeitsarbeit. Wichtig ist dennoch, festzuhalten, dass politische Kommunikation niemals neutral und objektiv ist. Sie ist stets zielgerichtet und will über die sachliche Information hinaus immer auch überzeugen.

Wer Propaganda betreibt, muss kein notorischer Lügner sein. Die meisten Akteure – und das gilt selbstredend auch für Politiker – bewegen sich auf dem Boden der Tatsachen. Dass sich aber alle ins beste Licht rücken, Stärken betonen und Schwächen herunterspielen, ist verständlich – und wer es je mit Online-Dating probiert hat, weiß genau, wie das geht. (Strenggenommen ist es keine Lüge, wenn man ein etwas älteres Foto von sich erwischt hat.)

Politiker gestehen freimütig ein, Wahlwerbung, PR- bzw. Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben; aber Propaganda? Niemals! Als Faustregel gilt: Propaganda ist, was die anderen tun.

Der schlechte Ruf der Propaganda erklärt sich aus der Geschichte, in der ein ursprünglich neutraler Begriff seine Unschuld verlor. Propaganda ist die Gerundivform von propagare (lat. für ausdehnen, fortpflanzen oder pfropfen) und war ursprünglich ein Terminus der Biologie. 1622 wurde in Rom die Sacra Congregatio de propaganda fide gegründet (›Heilige Kongregation für die Verbreitung des Glaubens‹, kurz Propaganda genannt). Wie Papst Gregor XV. (1554–1623) in der Bulle LVIII Inscrutabili Divinae Providentiae schrieb, war deren Aufgabe »die Verbreitung des Glaubens in der ganzen Welt«. Damit war sowohl die Heidenmission als auch die Stärkung des Katholizismus und Bekämpfung des Protestantismus im Zeitalter der Gegenreformation gemeint. Seit der Französischen Revolution 1789 ist der Begriff zunehmend politisch aufgeladen; synonym dazu etablierte sich im 19. Jahrhundert die Bezeichnung Agitation.

Seit man die Kriegspropaganda des Ersten Weltkrieges und ihre Lügen in der Zwischenkriegszeit analysiert hatte, war das Potenzial der Propaganda bekannt. Man wollte sie auch weiterhin zur Beeinflussung der Bevölkerung einsetzen, der Begriff selbst geriet jedoch in Verruf. Selbst Joseph Goebbels wollte kein Propagandaminister sein, da das Wort einen »bitteren Beigeschmack« habe und sich der Laie darunter »etwas Minderwertiges oder gar Verächtliches« vorstelle. Für sein Ressort schlug er die Bezeichnung »Reichsministerium für Kultur und Volksaufklärung« vor, aber Hitler lehnte ab. Daher bestimmte Goebbels, dass Propaganda in den Medien nur noch im positiven Sinn für die von Deutschland ausgehenden Aktivitäten zu verwenden sei; jene der Gegenseite seien hingegen als Zersetzung, Agitation und Hetze zu diffamieren. Dass der Begriff Propaganda seit 1945 derart negativ besetzt ist, verdankt er maßgeblich der skrupellosen, vor Lügen nur so strotzenden Propaganda des NS-Regimes.


Joseph Goebbels 1934 bei einer Rede vor der SA im Berliner Lustgarten

Wenn politische Akteure es zwar tun, aber nicht Propaganda nennen wollen, wie nennen sie es dann? Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations oder strategische Kommunikation; im Englischen bürgerten sich Bezeichnungen wie spin and news management (oder spin doctors für die Macher von Propaganda) ein.

Politische Akteure wollen sich ebenso wie die PR-Branche vom historisch belasteten Propagandabegriff abgrenzen und betonen einen deutlichen Unterschied zwischen PR und Propaganda, vor allem was deren Wahrhaftigkeit betrifft. Propaganda wird als unlautere Manipulation aufgefasst, PR hingegen soll als objektives und vielseitiges Informieren verstanden werden. Die Meinungen reichen allerdings von dem Standpunkt, dass PR und Propaganda völlig verschiedene Dinge seien, über die Ansicht, dass es in manchen Bereichen Überschneidungen gibt (wobei die Schnittmenge variiert), bis hin zu der Annahme, dass die Begriffe synonym zu verwenden seien. In diesem Buch verwende ich Propaganda im Sinne der oben genannten Definition, nämlich als wertneutrale Bezeichnung für systematische Versuche, durch Kommunikation und vielfach durch den Einsatz von (Massen-)Medien Meinungen und Verhaltensweisen von Zielgruppen politisch zu beeinflussen.

»PR heißt in der Praxis nichts anderes, als die Interessen des Auftraggebers oder der eigenen Organisation durchsetzen zu wollen – und dies ist keineswegs moralisch verwerflich. Wollte man aber die Differenzierung von Propaganda und PR für die Forschungspraxis beibehalten, müsste in jedem Einzelfall die Motivationslage und vor allem die Ehrlichkeit bzw. ethische Integrität der PR-Betreiber geprüft werden. Damit wird nicht abgestritten, dass es ethisch einwandfreie PR gibt und diese zur Regel werden sollte. Aber es ist ein Tatbestand, dass Tarnen und Täuschen Wesensmerkmale der PR sind. Um hohe Glaubwürdigkeit zu erreichen, ist es oftmals besser, sich nicht als Urheber einer bestimmten Aussage zu erkennen zu geben.«

Michael Kunczik, Public Relations. Konzepte und Theorien, Köln u. a. 2002

In den letzten Jahrhunderten professionalisierte und institutionalisierte sich gerade auch die staatliche Propaganda. Die moderne Öffentlichkeitsarbeit begann mit Napoleon Bonaparte (1769–1821), der u. a. mittels eigener Zeitungen sein Image pflegte. Der in der Französischen Revolution eingeführten Pressefreiheit versetzte er, kaum war er 1799 Erster Konsul geworden, den Todesstoß. Sein Bureau de presse überwachte die Druckerzeugnisse, viele Zeitungen wurden verboten und Journalisten sowie Herausgeber oppositioneller Schriften verfolgt. Napoleon betrieb quasi Message Control auf höchstem Niveau: Der von ihm kontrollierte Moniteur wurde in der politischen Berichterstattung zum Leitmedium erhoben, nach dem sich alle Zeitungen in seinem Grand Empire richten mussten. Zudem gab er Themen vor und verfasste selbst (anonym) Beiträge.

In den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts wurden zum Teil eigene Ministerien für Propaganda eingerichtet, wobei man wie beim britischen Ministry of Information unverfänglichere Bezeichnungen bevorzugte. Der US-Journalist George Creel (1876–1953), der das 1917 bei Kriegseintritt der USA gegründete Committee on Public Information leitete, schrieb in seinen Memoiren, dass US-Präsident Woodrow Wilson (1856–1924) und er die Organisation nicht mit Propaganda in Verbindung bringen wollten, »weil jeder dieses Wort mit Korruption und Hinterlist verbunden hätte. Unser Ansatz war ein bildungspolitischer, wir wollten informieren«.

Wie lautet die Faustregel? Böse Propaganda machen die anderen. Wir hingegen informieren, betreiben PR- und Öffentlichkeitsarbeit oder strategische Kommunikation oder wie auch immer man das Kind nennen will, solange es nicht Propaganda heißt. Noch im 21. Jahrhundert werden Abteilungen und Behörden, deren Aufgabenfeld verdächtig danach klingt, misstrauisch beobachtet. Aus EU- und NATO-Ländern wird gegenüber Russland der Propagandavorwurf erhoben; umgekehrt bezichtigt Moskau den Westen, über die East Stratcom Task Force (Strategisches Kommunikationsteam Ost) der EU antirussische Propaganda zu betreiben.

2002, ein Jahr vor dem Beginn des Irakkrieges, wurde auf Initiative des damaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld (*1932) das Office of Strategic Influence (OSI) gegründet, um die öffentliche Meinung und die Medienberichterstattung außerhalb der USA zu beeinflussen. »Gemäß den Worten des Verteidigungsministers sollte es eine Behörde für Zersetzungspropaganda und Desinformation werden, Mittel der ›schwarzen Propaganda‹ waren also explizit vorgesehen«, schreibt Andreas Elter (Die Kriegsverkäufer). Allerdings führten Rumsfelds Vorschläge rasch zu Protesten seitens der Opposition, ausländischer Medien wie auch der US-Medien selbst, die Fehlinformationen von der auswärtigen Presse hätten übernehmen können. Die Konsequenz? Das Office of Strategic Influence wurde geschlossen. 2003 wurde das Office of Global Communications (OGC) gegründet, das direkt dem Weißen Haus untersteht. Es soll im Ausland das Image der USA fördern und die US-Außenpolitik rechtfertigen.

Unstrittig ist, dass politische Akteure auf Propaganda bzw. PR- und Öffentlichkeitsarbeit nicht verzichten können. Politiker müssen mit dem modernen Mediensystem umgehen, sich inszenieren und vermarkten können. Unterstützung erhalten sie von PR-Profis; der Pressestab einzelner Politiker und Parteien wächst stetig an. Zudem werden Leistungen externer PR-Agenturen teuer hinzugekauft.

Nils Klawitter befasste sich 2006 in seinem Spiegel-Artikel Meister der Verdrehung mit der US-amerikanischen PR-Agentur Rendon Group, die »quasi zum Kriegsinventar der Amerikaner« gehörte und deren Chef John Rendon sich treffend als »Informationskrieger und Wahrnehmungsmanager« bezeichnete. Als US-amerikanische Panzer am 27. Februar 1991 auf Kuwait City zurollten, winkten ihnen Bewohner mit kleinen US-amerikanischen oder britischen Fähnchen zu. »Haben Sie sich jemals darüber gewundert, wie Menschen aus Kuwait City, nachdem sie sieben Monate in Geiselhaft gehalten wurden, in der Lage waren, an kleine amerikanische Flaggen zu kommen?«, fragte Rendon. »Tja, Sie kennen die Antwort. Das war einer meiner Jobs.« Er war bereits vor den Truppen vor Ort gewesen und hatte die Fähnchen verteilt. Politische PR ist ein Milliardengeschäft; da sind solche Leistungen im Preis inbegriffen.

Das führt zu der brisanten Frage: Wo ziehen PR-Agenturen die Grenzen dessen, was moralisch noch vertretbar ist? Seitens der PR-Branche gibt es Ethikregeln in Form einer Selbstverpflichtung – beispielsweise sollen nur wahre Informationen verbreitet und keine unlauteren Mittel eingesetzt werden. Ich gehe davon aus, dass sich die meisten Vertreter der PR-Branche daran halten. Doch gibt es immer auch solche, die das nicht tun, und selbst »menschenrechtsverachtende Staaten hatten niemals Schwierigkeiten, renommierte PR-Agenturen für sich zu gewinnen« (Michael Kunczik).

Lassen wir einen weiteren PR-Experten zu Wort kommen, der seine subjektive Meinung äußert und selbstredend nicht für die gesamte Branche spricht: James Harff, Direktor der Abteilung Global Public Affairs der PR-Agentur Ruder Finn, die in den Balkankriegen für alle drei nichtserbischen Konfliktparteien (Kroaten, Bosnier, Kosovo-Albaner) tätig war. Laut Harff ist es der Agentur gelungen, den Krieg in den Medien und der Öffentlichkeit des Westens vereinfachend »als Geschichte von den guten und den bösen Jungs« darzustellen. Berichte über Gräueltaten wurden von der Agentur gar nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft (das wäre nicht ihre Aufgabe), sondern ausschließlich dahin gehend beurteilt, ob sie »unserer Sache dienlich sind«. Harff: »Wir sind Profis. Wir hatten eine Arbeit zu erledigen, und wir haben sie erledigt. Wir werden nicht dafür bezahlt, Morallehren zu erteilen.«

Propaganda. 100 Seiten

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