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Viertes Kapitel. Der edle Dauphin
ОглавлениеUngeachtet des großen Selbstvertrauens, welches Johanna erscheinen ließ, waren Herr Bertrand von Poulangy und Herr Johann von Novelompont nur sehr mittelmäßig beruhigt; sie mussten ungefähr hundertfünfzig Meilen zurücklegen, um von Vaucouleurs nach Chinon zu reisen, das heißt: die Hälfte von Frankreich durchziehen, und beinahe zwei Drittel dieses Weges waren in der Gewalt der Engländer und Burgunder. Aber als sie nach drei- oder viertägigem Marsch gesehen hatten, dass sie auf keine feindliche Partei stießen, als sie, wenn sie Wälder auf ihrem Wege trafen, das junge Mädchen dreist sich hineinwagen und darin ihren Weg ohne Führer erkennen gesehen hatten, wenn sie, am Ufer breiter und tiefer Ströme angekommen, das Pferd ihrer Führen» ganz allein unbekannte Furt finden gesehen hatten, und sie ohne Unfall an da« andere Gestade gelangt waren, begannen sie ein vollständiges Vertrauen auf Johanna zu setzen, und folgten ihr unbedingt, indem sie dieselbe anhalten ließen, wann sie wollte, um ihre Andacht in den Kirchen zu verrichten, was sie ihr früher nicht erlauben wollten, aus Furcht, von den Armoniaken erkannt, von dem Volke verraten, und von den Besatzungen angegriffen zu werden.
Uebrigens taten sie wohl daran, der Begeisterten vertraut zu haben; sie führte sie, wie der Stern der Weisen aus Morgenland; und endlich nach vierzehntägigem Marsch, Chaumont und Auxerre durchziehend, kamen sie nach Chien an der Loire, und erfuhren die berüchtigte Niederlage von Rouvray, welchen man den Tag der Häringe nennt, weil die Engländer von den Franzosen waren angegriffen worden, während .sie dem Grafen von Suffolk, der die Belagerung befehligte, eine größtenteils aus gesalzenen Fischen bestehende Zufuhr besorgten. In dieser Schlacht, in welcher Johann Falstaff, Anführer der Bedeckung, seinen Ruf als großer Feldherr betätigte, waren Johann Stuart, Connetabel von Schottland, die Herren von Dorval, von Lesqot und von Chateaubrun mit drei- oder vierhundert der tapfersten Krieger, die noch zur Partei von Frankreich hielten, getötet und der Graf von Dunois verwundet worden, so, dass der Schrecken größer als jemals war; andererseits aber erhöhte auch diese Nachricht Johanna's Credit im Geiste ihrer beiden Gefährten, denn Johann von Novelompont erinnerte sich, dass diese Niederlage gerade an jenem Tage stattfand, an welchem Johanna ihm zu Vaucouleurs verkündete, dass der Dauphin so eben einen neuen Nachtheil erlitten habe.
Zu Chien angekommen, hatten unsere Reisenden ihr härtestes Geschäft verrichtet, denn sie befanden sich endlich auf französischem Boden, und dieses Geschäft war vollzogen worden, wie Johanna es voraus gesagt, ohne dass der mindeste Unfall den Rittern, ihren Dienern, ja selbst nicht den Pferden begegnet war; da verbreitete sich das Gerücht, dass Merlins Weissagung in Erfüllung gehen werde, und das junge Mädchen, welches das Königreich Frankreich auf eine wunderbare Weise retten sollte, gefunden sei; Jedermann lief eilig herbei, und wollte die Auserwählte sehen.
Johanna erschien nun am Fenster des Gasthauses, und sagte laut, dass man sich freuen könnte, und die Trostlosigkeit enden würde, indem sie von Gott abgesandt sei, um Frankreich zu befreien, und den Dauphin salben zu lassen. Johanna äußerte eine solche Zuversicht, und betätigte sich dergestalt als ein Werkzeug der Vorsehung, ihre Reden waren so voll eigener Demuth und so voll Vertrauen auf Gott, dass hier wie zu Vaucouleurs, das Volk sich zu freuen begann, ohne irgend einen Zweifel an der Wahrheit dessen zu hegen, was sie sagte.
Am folgenden Tage machte man sich wieder auf den Weg, denn wie ermüdend auch ein solcher Marsch für ein junges Mädchen war, das nie ein Pferd bestieg, schien doch Johanna durchaus nicht zu leiden, und bestand darauf, dass man möglichst schnell zum Dauphin reite, der zu Chinon in einer bedauernswürdigen Lage war, als jemals ein König von Frankreich sich befunden hatte. Wirklich erzählte man, dass das Elend des Volkes endlich auch den Thron erreicht habe, und so groß sei, dass kein Geld mehr in der Börse des Königs und in der königlichen Schatzkammer liege, und dass sein Zahlmeister, Renaut von Bouligny, Jedem, der es hören wollte, sagte, sowohl vom Gelde des Königs als von dem seinen, seien in Allem vier Taler in seiner Kasse, so zwar, dass, als Vaintrailles und la Hiré eines Tages den König besuchten, von ihm zur Mittagstafel eingeladen, das ganze Mahl, welches er ihnen auftischen konnte, nur aus zwei Hühnern und einem Hammelschweif bestand.
Es war also Zeit, wie man sieht, dass Johanna kam. Sie wollte jedoch in der Kirche der heiligen Katharina von Fierbois verweilen, die ein heiliger Wallfahrtsort war, um dort ihre Andacht zu verrichten. Von da ließ sie durch die Ritter, welche sie begleiteten, dem König schreiben, und ihm verkünden, dass sie sehr weit herkomme, um ihm beizustehen, um ihm Dinge von der höchsten Wichtigkeit mitzuteilen. Die Antwort säumte nicht: Johanna wurde nach Chinon beschieden. Die Reisenden brachen sogleich wieder auf, und Johanna stieg, in der königlichen Residenz angekommen, in einem Gasthaus ab, während ihre beiden Reisegefährten sich zu Karl VII. begaben.
Aber Karl VII. war misstrauisch, wie ein unglücklicher König: oft von jenen getäuscht, die er für seine besten Freunde hielt, oft von jenen verlassen, die er für seine Getreuesten erachtete, konnte er an die uneigennützige Ergebenheit einer Fremden nicht glauben. Daher machte er große Schwierigkeit, Johanna zu empfangen, und begnügte sich, drei von seinen Räten zu ihr zu senden. Anfangs wollte ihnen Johanna nicht antworten, mit der Bemerkung, dass sie mit Monseigneur dem Dauphin zu tun habe, und nicht mit ihnen. Endlich aber willigte sie ein, ihnen zu wiederholen, was sie so oft schon gesagt hatte, ohne dass man ihr glaubte, nämlich dass sie komme, um die Belagerung von Orleans aufzuheben, und den Dauphin nach Rheims zu führen, und die Räche, durch sie wohl unterrichtet, gingen fort, dem Könige diese Nachricht zu melden.
Johanna sah zwei Tage lang Niemand wieder erscheinen. Sie hegte jedoch immer noch gutes Selbstvertrauen, die beiden Ritter tröstend, die sie hergeführt hatten, indem sie mit einer wunderbaren Zuversicht zu ihnen sagte, dass der König sie zuletzt anhören würde, dass sie es gewiss wisse, und sie deshalb eben so ruhig sein dürften, wie sie. Wirklich kam am dritten Tage der Graf von Vendôme in das Gasthaus, und verkündete der Johanna, dass er sie zu holen komme, um sie zum Könige zu führen. Johanna schien weder bestürzt noch erstaunt: sie erwartete seit langer Zeit diese Unterredung, und hatte sich darauf vorbereitet. Sie antwortete sohin dem Grafen von Vendôme, dass sie über seinen Besuch sich nicht verwundere, indem ihre Stimmen ihr gesagt hätten, dass er kommen würde, dann fügte sie bei, dass sie bereit sei, ihm zu folgen, und bat ihn, keine Zeit mehr zu verlieren, da deren ohnehin schon genug verloren sei.
Inzwischen hatte der König, noch immer misstrauend, nach der Entfernung des Grafen von Vendôme, seinen Räten vorgeschlagen, Johanna zu prüfen, und die von ihm bezeichnete Prüfung bestand darin, sich unter die Ritter seines Gefolges zu mischen, und einen Andern an seinen Platz zu setzen, um zu sehen, ob Johanna sich täuschen würde. Diese Prüfung wurde beschlossen, und der König ließ seinen Thron von einem jungen Seigneur seines Alters einnehmen, der sogar prächtiger gekleidet war, als er, während er hinter den Andern stehen blieb. Kaum war die Unterschiebung geschehen, als die Tür aufging, und Johanna eintrat.
Aber nun wiederstrahlte die ganze Wahrheit ihrer Mission, denn Johanna ging, ohne bei dem Anscheine zu verweilen, gerade auf Karl VII. zu, kniete vor ihm nieder, und sagte zu ihm:
»Gott verleihe Euch ein gutes und langes Leben, edler und großer Dauphin!«
»Ihr irrt Euch, Johanna,« antwortete ihr Karl VII.; »nicht ich bin der König, wohl aber jener dort, der auf dem Throne sitzt.«
»Bei meinem Gotte, edler Prinz,« versetzte Johanna, »sucht mich nicht zu täuschen, denn Ihr seid der Dauphin, und kein Anderer!«
Da nun ein Murmeln des Erstaunens durch die Versammlung lief, fuhr sie fort:
»Edler Dauphin, warum glaubt Ihr mir nicht? Ich sage Euch, Monstigneur, und vertraut auf meine Worte, dass Gott sich Euer erbarmt, und Eures Königreiches und Eures Volkes; denn der heilige Ludwig und Karl der Große liegen auf den Knien vor ihm, und bitten für Euch. Übrigens werde ich Euch, so es Euch beliebt, etwas sagen, was Euch wohl zu erkennen geben wird, dass Ihr mir glauben dürft.«
Hierauf führte sie Karl in ein Betzimmer, das neben dem Beratungssaale war, und sagte zu ihr, dort angekommen:
»Wohl an, Johanna, wir sind allein; sprecht!«
»Ich verlange es nicht besser,« entgegnete Johanna. »Aber werdet Ihr, wenn ich Euch so geheime Dinge sage, dass Niemand sie wissen kann, als Gott und Ihr, endlich Vertrauen auf mich setzen, und glauben, dass wohl Gott es ist, der mich sendet?«
»Ja Johanna,« antwortet» der König.
»Nun denn, Sire«, fuhr das junge Mädchen fort, »erinnert Ihr Euch noch, dass Ihr am verflossenen Allerheiligentage, während Ihr ganz allein in Eurem Betzimmer im Schloss Loches waret, drei Bitten an Gott stelltet?«
»Das ist vollkommen wahr,« antwortete der König, »und ich erinnere mich vortrefflich daran.«
»Sire,« erwiderte Johanna, »habt Ihr diese Bitten niemals Eurem Beichtvater oder sonst Jemanden offenbart?«
»Niemals,« sagte der König.
»Wohl an, ich will Euch sagen, was für drei Bitten es waren,« fuhr das junge Mädchen fort. »Die erste, die Ihr an Gott stelltet, lautete, dass er, wenn Ihr nicht der rechtmäßige Erbe des Königreiches Frankreich wäret, Euch den Mut entziehen möge, diesen Krieg fortzusetzen, der Eurem armen Königreiche so viel Geld und Blut kostet. Die zweite war, dass, wenn die schreckliche, auf Frankreich lastende Geißel, eine Folge Eurer Sünden wäre, Ihr ihn bätet, dieses arme Volk von einem Vergehen loszusprechen, das es nicht begangen habe, und die ganze Strafe desselben auf Euer Haupt zurückfallen zu lassen, sollte auch diese Strafe eine ewige Buße, oder selbst der Tod sein. Die dritte endlich bestand darin, dass, wenn im Gegenteil die Sünde vom Volke ausgehe, Ihr ihn bätet, Erbarmen mit diesen, Volke zu haben, und es seines Mitleidens zu würdigen, damit das Königreich endlich von der Trübsal befreit würde, von denen es seit mehr als zwölf Jahren heimgesucht werde.«
Nach Anhörung dieser Worte blieb der König lange Zeit nachdenkend, senkte das Haupt, um nachzusinnen, und hob es wieder empor, um das junge Mädchen aufmerksam anzuschauen. Endlich brach er das Schweigen, und sagte zu ihr:
»Alles, was Ihr mir da vortrugt, ist wahr, Johanna; aber dies genügt noch nicht, um mich zu überzeugen, dass Ihr im Namen Gottes kommt; auch meine Räte müssen meine Ansicht teilen, außerdem Ihr Uneinigkeit unter uns stiften werdet, und wir sind, so wie wir sind, bereits genug unglücklich und geteilt.«
»Wohl an,« entgegnete Johanna, »versammelt morgen drei oder vier Eurer Getreuesten, und, wo möglich, Geistliche, und ich werde Euch ein Zeichen geben, nach welchem Niemand mehr zweifeln wird; denn meine Stimmen haben mir versprochen, mir dieses Zeichen zu gewähren, und ich bin überzeugt, dass sie meine Bitte bewilligen werden.«
Hierauf kehrte der König und Johanna wieder in den Ruth zurück, wo man ihre Rückkehr mit Ungeduld erwartete. Kaum war die Türe geöffnet, als alle Augen sich »ach dem Könige wendeten, und man an seiner ernsten und nachdenkenden Physiognomie sah, dass was zu ihm das junge Mädchen sagte, einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht habe.
»Meine Herren,« sagte der König, es ist genug für heute; in dem, was uns begegnet, liegt reichlicher Stoff zum Nachdenken, und wir müssen über dieses Ereignis die Meinung unserer vertrautesten Räche vernehmen. Johanna, begebt Euch nach Hause, denn Ihr müsst von dem weiten Marsch ermüdet sein, den Ihr so eben machtet, und vergesst nicht, was Ihr uns für morgen versprochen habt.«
»Mit Gottes Hilfe,« antwortete Johanna, »wird nicht nur, was ich für morgen versprach, sondern auch, was ich für die Zukunft verhieß, geschehen! . . .«
Und sie ließ sich vor dem Könige auf ein Knie nieder, küsste ihm die Hand, und ging mit der nämlichen Bescheidenheit und mit der nämlichen Ruhe von dannen, womit sie gekommen war.
In dem Momente, da Johanna an dem Haustor ankam, ging ein Reiter vorüber, der sein Pferd zur Tränke an die Loire führte. Da das Gerücht von Johanna's Ankunft in der Stadt sich bereits verbreitet hatte, blieb der Reiter, welcher in solchen Sachen sehr ungläubig war, vor Johanna stehen, beschimpfte sie mit rohen Worten, und vermischte diese Schimpfworten mit Gotteslästerungen. Als Johanna sah, dass diese Worte an sie gerichtet waren, hob sie den Kopf empor, schaute ihn mit mehr Traurigkeit als Zorn an, und sprach:
»Ach! wie unglücklich bist Du, dass Du Gott so verleugnen kannst, da Du vielleicht dem Tode so nahe bist!«
Der Reiter hielt nichts auf diese Art von Prophezeiung, sondern entfernte sich, indem er vielmehr fortfuhr, Gott mit den nämlichen Flüchen zu lästern, und gelangte so an den Fluß; aber in dem Momente, da sein Pferd soff, wurde es durch irgend ein Geräusch erschreckt, und sprang in's Wasser; der Reiter wollte es an's Ufer zurückführen, aber wie sehr er sich auch anstrengte, das Pferd fuhr fort, der tiefsten Tiefe des Flusses sich zu nähern, und verlor bald den Grund. Der Reiter schwang sich dann von seinem Pferde, und wollte an das Gestade schwimmen; allein entweder befiel ihn irgend ein Krampf, oder das, was Johanna ihm so eben gesagt hatte, fiel ihm wieder ein; er konnte nur noch sagen: »Vergieb mir, mein Gott!« und verschwand. Zwei Stunden nachher fand man seine Leiche an der Schleuse einer Mühle wieder.
Da mehrere Personen gehört hatten, was der Reiter zu Johanna sagte, und was Johanna ihm antwortete, so wurde dieses Ereignis für ein Wunder gehalten, und der Ruf der jungen Begeisterten stieg dadurch dergestalt, dass am Abende alle Einwohner unter die Fenster ihres Gasthauses eilten, und sie zu sehen verlangten. Johanna erschien sogleich auf einem Balkone, und wiederholte dem Volke mit ihrer sanften und glaubenvollen Stimme, dass sie vom Herrn gesendet sei, um den König und Frankreich zu retten, so dass das arme Volk, beruhigter durch die Worte dieses jungen Mädchens, als es durch eine Armee von zwanzigtausend Mann geworden wäre, ganz fröhlich abzog, mit dem Rufe: Heil! Am Abende wurde ein Teil der Stadt zum Zeichen der Freude erleuchtet.
Am folgenden Tage um zehn Uhr Morgens, ließ der König Johanna holen; Johanna, dieser Botschaft gewärtig, ließ den königlichen Abgesandten keinen Augenblick verziehen, sondern folgte ihm vielmehr sogleich; Beide kamen zu Chateau-Chinon an, wo der König ihrer harrte. Sie waren von einer großen Volksmenge begleitet, die, sobald sie Johanna erblickt hatte, sich ihr nachdrängte, und vor der Türe stehen blieb, um Nachrichten von dieser Unterredung zu bekommen. Johanna schritt beherzt die Treppe hinauf, und trat in das Gemach de« Königs; sie traf darin Karl VII. mit dem Erzbischof von Rheims, und die Herren Karl von Bourbon und de la Trémoille.