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2. Worauf es ankommt: den »Vorkrieg« erkennen

»Was hat dich deine Jugendzeit, dein Erleben im Straflager für dein Leben gelehrt; was hast du da gelernt?« So wurde ich gefragt und habe mich selber gefragt. Es ist vieles und Verschiedenes: dass es schön ist, für andere da zu sein; dass der Mensch zu Grausamkeiten fähig ist, die unvorstellbar erscheinen; dass Menschen füreinander ihr Leben hingeben können; dass Gewalttätigkeit an der Kraft des Geistes scheitern kann; dass Gott in Jesus dem Menschen ganz nahegekommen ist. Besonders aber ist in meinem Bewusstsein die Bedeutung ganz stark geworden, kommendes Unheil möglichst zeitig zu bemerken. Darum möchte ich dies allem anderen voranstellen.

Früherkennung der Anfänge

Meine Erfahrungen haben mir zur Erkenntnis geholfen, dass es entscheidend wichtig ist, schon in den Ansätzen zu erkennen, wann sich wieder der Ungeist einer Diktatur wie unter Hitler anbahnt. Es geht darum, dann so früh wie möglich reagieren zu können und alles zu tun, damit solch eine »Bewegung« nicht wieder Wurzeln fasst. Es geht also um das Erkennen der Anfänge. Für die Schriftstellerin Christa Wolf ist dies die Frage, woran man erkennen kann, wann »der Vorkrieg« beginnt. Die Regeln zur »Unterscheidung der Geister« bei Ignatius haben genau das zum Ziel: rechtzeitig zu erspüren, ob etwas vom guten Geist kommt oder von einem bösen Geist, auch wenn dieser sich als »Lichtgestalt« tarnt.

Ich halte es durchaus für möglich, dass Hitler und sein Regime hätten verhindert werden können, wenn er gleich zu Beginn massiven Widerstand aus dem Volk erfahren hätte. Dass er sich am Anfang noch nicht sicher fühlte, zeigte sich beispielsweise darin, dass er nicht nur jeden Konflikt mit der Kirche vermied, sondern den Bischöfen völlige Autonomie zusicherte und seine »Hitlerjugend« bei hohen kirchlichen Festen sogar mitmarschieren und mitsingen ließ. Es gab Menschen, die die Gefährlichkeit des Nationalsozialismus früh erkannten und dies auch zum Ausdruck brachten. Unserem Turnlehrer an der Oberrealschule in Amberg waren die Nationalsozialisten zutiefst zuwider. Das äußerte er auch beim Sportunterricht, indem er die Hitlerjugendführer bei jeder Gelegenheit lächerlich machte. Sie hätten ihn so gerne ins KZ gebracht, aber weil er im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz 1. Klasse erhalten hatte, konnte ihm keiner absprechen, ein Mann zu sein, der sich »für Volk und Vaterland« einsetzt. Aber weil der große Widerstand gegen Hitler sowohl von der Mehrheit des Volkes wie auch von der Mehrzahl der Bischöfe ausfiel, versuchte er Schritt für Schritt alles zu unterdrücken, was der Ausbreitung seiner Ideologie im Weg stand. So gab es z.B. nur noch eine Jugendorganisation: die Hitlerjugend. Und Freunde warnten damals: »Halt deinen Mund, sonst kommst du nach Dachau!« In der DDR hieß es später: »Sei still, sonst kommst du nach Bautzen.« Ab einem bestimmten Zeitpunkt konnte man dann nicht mehr sagen, was man dachte.

Warum war es denn so schwer, dass viele den Ungeist nicht früher erkannten? Nicht einmal alle der mutigen Ehefrauen der später ermordeten Widerstandskämpfer und diese selber haben die Dämonie und Menschenverachtung Hitlers von Anfang an durchschaut. Wann immer eine Schreckensmeldung über eine grobe Missachtung der Menschenwürde, Korruption oder die skrupellose Ermordung eines persönlichen Gegners durch eine Nazigröße durchsickerte, hieß es oft einfach: »Wenn das unser Führer gewusst hätte!« Dieser war mit der Zeit zu einer fast mythischen und nicht mehr kritisierbaren Symbolfigur geworden. Durch manche »Errungenschaften« und Verbesserungen von Lebensverhältnissen sowie fehlgeleiteten Hoffnungen war offensichtlich das kritische Urteilsvermögen narkotisiert.

Damals und jetzt – Tritt auf, »gelegen oder ungelegen!«

»Nieder mit den Tyrannen!« So oft wiederholt und eingängig dieser Kampfruf ist, unmenschliche Regime können jederzeit neu entstehen. Man denke an Menschen wie Stalin, der sich vom Reformer zum Kriminellen wandelte, oder an Mao, den großen Führer Chinas. Durch seine »Reformen« wurde er zu einem der größten Massenmörder aller Zeiten, obwohl er von einer jungen Generation, die sich kämpferisch für längst überfällige Reformen überalterter Strukturen einsetzte, wie ein Übervater der Revolution und Vorbild verehrt wurde. Solche Hinweise sind nicht nur »Vergangenheitsbewältigung«, wie man sagt, sondern Aufforderung, unsere Welt von heute mit Erfahrungen von gestern sehen zu lernen. Sind wir nicht schon längst über die Zeit des »Vorkriegs« hinaus?

Ich denke an die unzähligen Kriege und Bürgerkriege, an die rücksichtslose Plünderung der Ressourcen unserer Erde, an die ungerechte Verteilung der allen Menschen gehörenden Güter und der darin begründeten schrecklichen Armut von Milliarden von Menschen. Ich denke an die Hassprediger, die nur Macht, aber keinen Frieden wollen; an den moralischen Zerfall und den gnadenlosen Kommerz, dem der Mensch geopfert wird. Auf was warten wir heute Lebenden noch, um endlich etwas dagegen zu tun – vor allem wir Christen, die wir von Jesus diesen Auftrag bekommen haben?!

Mir kommt dazu das Wort in den Sinn: »Das Schlimme ist nicht, dass es so viele böse Menschen gibt, sondern dass es zu wenige gibt, die sich dagegen wehren!« Menschen zum Widerstand gegen den Ungeist zu ermutigen ist das, was ich weitergeben möchte oder, wie es Paulus in seinem Brief an Timotheus ausdrückt: »Du aber verkünde das Wort. Tritt dafür ein, gelegen oder ungelegen!« (2 Tim 4,2). Jesus war einer, ja er war der, der gelegen und ungelegen aufgetreten ist. Er hat die Geister unterschieden, leistete dem Ungeist Widerstand. Er sagte den Menschen ohne falsche Rücksicht die Wahrheit, weil er sie aus Liebe zu ihnen herausholen wollte aus ihren Sackgassen auf der Suche nach einem glücklichen menschlichen Leben. Jesus störte, wie vor ihm die zur Umkehr mahnenden Propheten gestört haben und nach ihm alle, die dafür eintreten, dass alle Menschen wirklich menschenwürdig miteinander leben können. Jesus störte nicht, weil er ein Störenfried war, sondern weil in ihm die »Menschenliebe Gottes« (Tit 3,4) sich offenbarte.

Dem Ungeist widerstehen

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