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In der Tiefe verborgen: Kriminalroman (Alfred Bekker Thriller Edition)

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In der Tiefe verborgen: Kriminalroman

Alfred Bekker Thriller Edition

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2019.

Table of Contents

UPDATE ME


In der Tiefe verborgen


Kriminalroman von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 113 Taschenbuchseiten.

Archäologen glauben einen Schädel aus prähistorischer Zeit zu finden – und stellen fest, dass es sich um ein Mordopfer unserer Tage handelt. Die Ermittler müssen sich beeilen, denn eine alte Geschichte von Schuld, Rache und Skrupelosigkeit ruft Mörder auf den Plan...

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.


Copyright


Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de


1


Dr. Rick MacGregor unterdrückte ein Gähnen, während er den Tauchanzug zum Trocknen aufhängte. Dann ließ er den Blick kurz über das New Jersey-Ufer des gut dreißig Meilen von New York entfernt gelegenen Lake Tappan schweifen. Vor sechshundert Jahren war der See um ein Drittel kleiner gewesen als heute. Und dort, wo der Archäologe McGregor und sein Team seit Wochen täglich auf Tauchgang war, hatte sich einst das Lager einer Gruppe von Algonkin-Indianern befunden. „Ich frage mich, ob eines fernen Tages sich auch mal jemand unseren Müll so penibel vornimmt, wie wir das mit den Hinterlassenschaften der Algonkin tun“, grinste Eric Giles, ein Student.

„Tja, für Archäologen der Zukunft wären die Müllkippen von Coney Island sicher ein Paradies!“

„Dr. MacGregor! Kommen Sie mal her! Das müssen Sie sich ansehen!“, rief jemand aus einem der Zelte, die in Ufernähe einen Halbkreis bildeten. Es waren große Army-Zelte mit festem Boden und Standhöhe. MacGregor ließ Giles stehen und ging die wenigen Meter zum ersten Zelt und trat ein.

Ein Mann mit dicker Brille stand vor einem Tapeziertisch, auf dem mehrere Dutzend, vom Schlamm nur notdürftig gereinigter Fundstücke zu sehen waren – darunter auch ein Totenschädel. „Also entweder wir stehen hier vor einer archäologischen Sensation und die Algonkin haben bereits in vorkolumbianischer Zeit Zähne überkront oder dieser Tote stammt aus unserer Zeit!“


2


Reilly hatte den Schädel notdürftig gesäubert und hielt ihn Dr. MacGregor entgegen. „Ziehen Sie sich aber erst Latexhandschuhe an, bevor Sie etwas anfassen. Sonst sind die DNA-Tests, die wir machen wollen, nachher nichts mehr wert!“

MacGregor grinste.

„Wenn sich dann herausstellt, dass die Algonkin-Indianer von den Iren abstammen, hat unsere Zunft wenigstens mal wieder eine Sensation – und die können wir dringend brauchen. Es wird nämlich immer schwieriger, für Projekte wie dieses die nötigen Mittel zusammen zu bekommen!“

„Sie haben Ihre Sensation, Dr. MacGregor!“, stellte Reilly klar. „Nur wird das wahrscheinlich bedeuten, dass uns die Polizei die Grabungsstätte in einen Tatort umdefiniert. Ich habe übrigens noch etwas gefunden.“

MacGregor folgte ihm zu einem weiteren Tisch auf der sich eine Plastikwanne befand. Darin lagen ein paar halbwegs gereinigte Knochen.

Reilly nahm einen Oberschenkelknochen, an dessen Ende sich ein verfärbtes Stück Metall befand.

Er grinste.

„Direkt aus der Steinzeit!“, lachte er. „Damit meine ich allerdings nicht die präkolumbianischen Algonkin-Indianer, sondern die Steinzeit des künstlichen Hüftgelenks – und die liegt maximal 25 Jahre zurück!“

MacGregor nickte leicht. Sein Gesicht war sehr ernst geworden.

„Unter den Teppich kehren können wir das wohl nicht.“

„Nein, jedenfalls nicht, wenn wir ohne größeren Ärger aus der Sache herauskommen wollen.“

„Der Ärger wird so oder so noch groß genug. Ich darf gar nicht daran denken, dass da ein paar Banausen vom Erkennungsdienst eine einmalige archäologische Fundstätte zerstören!“


3


Der Geländewagen vom Typ Ford Maverick hielt vor der Hausnummer 132 in der Branson Road in Riverdale. Dieser eher bürgerlich geprägte Teil der Bronx wurde durch schmucke Bungalows und Einfamilienhäuser geprägt.

Für New Yorker Verhältnisse waren die Grundstücke recht großzügig gehalten.

Der Fahrer des Maverick blickte durch das Fenster auf der Beifahrerseite. Eine Sonnenbrille mit Spiegelgläsern bedeckte die Augenpartie.

Sein Gesicht war kantig. Die harten Linien wirkten wie geschnitzt. Er schien nervös. Daumen und Zeigefinger der rechten Hand spielten mit einem goldenen Kruzifix herum, das ihm an einem Kettchen um den Hals hing. Das glänzende Edelmetall bildete einen starken Kontrast zu der stark gebräunten Haut.

In der Einfahrt von Haus Nummer 132 stand ein gelber Lamborghini.

Der Wagen von Sonny D’Andrea!, wusste der Grauhaarige und musste grinsen. Auch wenn dieser D’Andrea wahrscheinlich Millionen auf der hohen Kante hatte – sein Geschmack in Sachen Autos war immer noch der eines neureichen Emporkömmlings, der allen zeigen wollte, wie dick seine Brieftasche war.

Jedenfalls weiß ich jetzt, dass du zu Hause bist!, dachte der Grauhaarige.

Er stellte den Motor ab und stieg aus.

Der helle Blouson beulte sich unter der linken Schulter etwas aus.

Der Grauhaarige ging geradewegs zur Haustür und klingelte.

Eine junge Frau öffnete ihm: Maximal dreißig Jahre alt, schlank, zierlich und mit langem, dunkelblondem Haar. Sie trug ein eng anliegendes blaues Kleid und war höchstens halb so alt wie der Besitzer des Hauses.

„Ich nehme an, Sie kommen vom Maklerbüro Rutherford & Partners, wir hatten vorhin telefoniert.“

„Ich möchte mit Mister D’Andrea sprechen.“

Sie runzelte die Stirn. „Der ist nicht zu Hause. Tut mir leid. Sie sind nicht Mister Rutherford?“

„Wollen Sie das Haus verkaufen? Ist doch ganz nett hier?“

Die junge Frau versuchte, die Tür wieder zu schließen, aber der Grauhaarige war schneller. Sein Fuß war dazwischen. Blitzschnell trat er vor, griff nach ihrem Hals und schleuderte sie gegen die Wand. Auf ihren hohen Schuhen verlor sie den Halt.

Der Grauhaarige kickte mit dem Absatz die Haustür ins Schloss.

Die junge Frau war kurz benommen. Als der Grauhaarige erkannte, dass sie schreien wollte, versetzte er ihr einen gezielten Schlag, der sie bewusstlos zusammensinken ließ. Sie rutschte an der Wand herab und blieb regungslos legen.

D’Andrea, du Ratte!, ging es dem Grauhaarigen durch den Kopf. Da komme ich wohl noch gerade rechtzeitig, bevor du dich auf Nimmerwiedersehen davonmachen willst!

Er nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in die Seitentasche seines Blousons. Dann holte er eine Automatik mit Schalldämpfer hervor. Er nahm sich nun systematisch Zimmer für Zimmer vor. Auf ungefähr hundert Quadratmeter schätzte der Grauhaarige die Wohnküche des Bungalows. Von Sonny D’Andrea gab es nirgends eine Spur. Schlafzimmer und Bad sahen aus, als hätte hier nie jemand gewohnt.

Er muss die Lunte gerochen haben!, dachte der Grauhaarige. Einem Mann wie D’Andrea machte man eben nichts vor.

Der Grauhaarige durchsuchte noch Keller und Dachboden. Das Haus enthielt – so gut wie keinerlei persönliche Habe mehr. Das Telefon war abgemeldet.

Schließlich kehrte der Grauhaarige in den Flur zurück. Er fasste die am Boden liegende Frau unter den Achseln und schleifte sie ins Bad. Dort hob er sie in die Wanne und ließ kaltes Wasser laufen.

Die junge Frau schreckte mit einem Schrei hoch. Ihre Augen waren angstvoll geweitet. Blut lief aus einer Platzwunde an der Schläfe.

Der Grauhaarige stellte das Wasser ab.

„Wir müssen uns unterhalten“, sagte er. „Es liegt ganz bei dir, wie schmerzhaft das wird!“


4


Ich bog von der Franklin Avenue in Brooklyn in die Union Street ein.

„Hier muss es gleich sein!“, meinte mein Kollege Milo Tucker. „Fahr langsamer. Zurück können wir nicht!“

Die Union Street war eine Einbahnstraße und gewisse Regeln dürfen auch G-men nur im Notfall brechen.

Allerdings nicht, wenn sie kein Aufsehen erregen wollen – und das war im Augenblick der Fall.

Der Anruf eines gewissen Sonny D’Andrea hatte unser Field Office in der Federal Plaza erreicht. D’Andrea glaubte, dass ein Killer hinter ihm her sei und hatte sich in einem billigen Hotel verkrochen. Dort saß er jetzt und wartete darauf, dass wir ihm halfen.

Der City Police traute D’Andrea nicht. Er war der Überzeugung, dass sie von seinen Mafia-Feinden durchsetzt wäre.

Einzig und allein das FBI besaß bei ihm genug Vertrauen, um sich in dieser Situation mit der Bitte um Hilfe an es zu wenden.

Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, denn vor wenigen Jahren hatte er unser Field Office als seinen schlimmsten Gegner betrachtet. Sonny D’Andrea war der Überzeugung der Justiz nach Teil des Damiani-Syndikats gewesen. Allerdings hatte er gewusst, wann es genug war und rechtzeitig aufgehört. Es war nie möglich gewesen, D’Andrea vor Gericht etwas anzuhaben und inzwischen hatte er seine Millionen irgendwo auf der hohen Kante sicher angelegt und sich zur Ruhe gesetzt.

Aber unsere Aufgabe ist es, das Verbrechen zu bekämpfen – und dabei spielt es auch keine Rolle, ob das Opfer möglicherweise selbst einmal auf Seiten der Gangster gestanden hatte. Wir waren verpflichtet, das Leben eines Mannes wie Sonny D’Andrea genauso zu schützen wie das jedes anderen Bürgers.

Ich bremste den Sportwagen etwas ab und bog nach links auf einen Parkplatz, der die lange Reihe von ehemaligen Lagerhäusern unterbrach. Wir hatten Glück und fanden einen freien Parkplatz.

Da Hotel Lazarr lag auf der linken Hand. Es handelte sich um ein fünfstöckiges Brownstone-Gebäude, das ursprünglich wohl als Unterkunft für Hafenarbeiter gedient hatte. Inzwischen war es zu einem Hotel heruntergekommen, dessen Zimmer auf Wunsch auch stundenweise vermietet wurden.

Wir passierten den Eingang und betraten das Foyer.

Der Portier schreckte hoch. Ich hielt ihm die ID-Card entgegen.

„Jesse Trevellian, FBI.“

„Wir sind sauber!“, zeterte der Portier. „Und wenn sich hier möglicherweise Frauen für Geld anbieten, hat unser Hotel nichts damit zu tun!“

Der Mann sprach mit einem starken osteuropäischen Akzent.

„Wir sind nicht von der Vice-Abteilung“, sagte Milo. „Sie können ganz beruhigt sein.“

„Und einen Durchsuchungsbeschluss brauchen wir nicht. Einer Ihrer Gäste hat uns nämlich eingeladen.“

„Ach, ja?“

Wir fragten nach der Zimmernummer, die Sonny D’Andrea uns angegeben hatte. Der Portier beschrieb uns den Weg. „Die Treppe hoch, dann links den Gang runter ganz am Ende.“

„Danke.“

„Haben Sie was dagegen, wenn ich Sie Mister Smith ankündige?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ganz und gar nicht.“


5


Wir stiegen die Treppe hinauf. Einen Aufzug gab es im Hotel Lazarr nicht. Zumindest keinen, der funktionierte.

Wir erreichten wenig später die Zimmertür von ‚Mr Smith’.

„Ehrlich gesagt hätte ich jemandem wie Sonny D’Andrea etwas mehr Fantasie bei der Auswahl seines Künstlernamens zugetraut“, grinste Milo.

„Ich bin gespannt, was er uns zu sagen hat!“ Ich klopfte. Es erfolgte keinerlei Reaktion, daher versuchte ich es noch einmal. „Mister D’Andrea? Hier spricht Special Agent Jesse Trevellian vom FBI! Sie haben vor wenigen Minuten mit Mister Jonathan D. McKee, dem Leiter unseres Field Office gesprochen!“

Im nächsten Augenblick krachte ein Schuss los.

Ein großkalibriges Projektil stanzte kurz hintereinander zwei daumengroße Löcher durch das Holz. Die Kugeln gingen dicht an uns vorbei. Es war pures Glück, dass wir nicht verletzt wurden. Milo sprang nach rechts, ich nach links. Wir postierten uns neben der Tür und zogen unsere Dienstwaffen. Ein dritter und ein vierter Schuss krachten.

Diesmal hielt der Schütze seine Waffe etwas höher. Die Löcher der Durchschüsse waren ziemlich genau in unserer Augenhöhe.

Auf der anderen Seite der Tür waren jetzt Geräusche zu hören. Irgendetwas wurde umgestoßen. Ein Stuhl, schätzte ich. Ein schabendes Geräusch sprach dafür, dass gerade ein Fenster hochgeschoben wurde.

Ich schnellte vor, die Dienstwaffe vom Typ SIG Sauer P226 in beidhändigem Anschlag. Ein Tritt und die Tür flog zur Seite.

Das Zimmer war schätzungsweise fünfzehn Quadratmeter groß. Rechts stand ein Doppelbett. Links war ein Waschbecken. In der Mitte lag ein Stuhl auf dem Boden und am Fenster bemühte sich ein etwa sechzigjähriger Mann darum, aus dem Fenster zu steigen.

In der Linken hielt er dabei eine großkalibrige Automatik, Kaliber 45.

Ich erkannte den Mann sofort wieder. Unser Kollege Agent Max Carter aus der Fahndungsabteilung hatte uns eine Bilddatei auf den Bordrechner des Sportwagens gemailt, die D’Andrea bei dessen letzter Verhaftung zeigte. Seitdem waren sieben Jahre vergangen.

D’Andrea saß rittlings auf der Fensterbank.

„Mister D’Andrea, die Waffe weg! Wir sind hier, um Ihnen zu helfen!“, rief ich.

Sonny D’Andrea blickte aus dem Fenster. Offenbar sah er keine Chance zur Feuerleiter zu gelangen.

Er zögerte.

Seine Finger krallten sich so fest um den Griff der Automatik, dass die Knöchel weiß wurden.

„Wenn Sie wirklich vom FBI wären, könnten Sie unmöglich so schnell hier sein!“, keuchte er. „Wer schickt Sie?“ Schweißperlen standen auf D’Andreas Stirn.

„Wir waren in der Nähe! Sofort nachdem Ihr Hilferuf unser Field Office erreichte, bekamen wir die Order, hier her zu fahren!“, versuchte Milo etwas Ruhe in die Situation zu bringen.

Aber unser Gegenüber war vollkommen außer sich.

Er musste furchtbare Angst haben.

„Machen Sie keine Dummheiten, Mister D’Andrea!“, forderte ich ihn auf. Ich griff vorsichtig in meine Jackettinnentasche und zog meine ID-Card hervor. D’Andrea bedachte mich mit einem misstrauischen Blick. Ich schaffte es schließlich, meinen Ausweis herauszuholen. Er schluckte, als er seinen Irrtum erkannte.

„Das Ding sieht echt aus“, gab er zu.

„Es ist echt.“

Er senkte die Waffe. Milo näherte sich von der Seite. D’Andrea ließ sich die Automatik widerstandslos aus der Hand nehmen. Ich steckte meine SIG ins Holster zurück und zog D’Andrea vom Fenster weg.

„Wenn Sie wirklich in Gefahr sind, sollten Sie sich nicht so frei am Fenster bewegen“, erklärte ich ihm.

D’Andrea ging zum Bett und ließ sich wie ein nasser Sack darauf fallen. Ich blickte unterdessen hinaus. Man hatte den Blick auf einen sehr schmalen Hinterhof. Die Bäume, die dort angepflanzt worden waren, bekamen nicht viel Licht. Es war erstaunlich, dass sie überhaupt gediehen.

Ich konnte jedenfalls nichts Verdächtiges entdecken und schloss das Fenster.

„Und jetzt der Reihe nach, Mister D’Andrea“, begann Milo. „Sie sagen, dass ein Killer Ihnen auf den Fersen wäre.“

Er nickte. „Bringen Sie mich hier weg. Meinetwegen in eine Ihrer Gewahrsamszellen – aber nicht nach Rikers Island. Bis dahin reicht nämlich ihr Arm...“

„Wessen Arm?“, hakte ich nach.

Er blickte auf und sah mich an. „Ich sage Ihnen alles, was ich weiß. Und das ist eine Menge, kann ich Ihnen flüstern! Aber erst bringen Sie mich hier weg, sonst hören Sie keinen Ton von mir!“

„Ist ja schon gut!“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen.

„Sie müssen mich ins Zeugenschutzprogramm nehmen! Bitte!“

„Darüber haben wir nicht zu entscheiden“, erklärte ich. „Aber wir können Sie erstmal zur Federal Plaza bringen. Und dort sehen wir weiter. Ich denke, das ist auch in Ihrem Sinn.“

Er atmete tief durch. Der Griff seiner rechten Hand ging in die Herzgegend. Schließlich nickte er.

„Ja“, murmelte er. Und dieses eine Wort hörte sich so an, als wäre ihm in diesem Augenblick eine Zentnerlast von der Seele gefallen.

Er packte sehr schnell seine Sachen zusammen. Nur mit einem Handkoffer war er hier im Lazarr.

Wenig später verließen wir das Zimmer. Milo nahm den Koffer. Ich ging voran – die Hand immer an der Dienstwaffe. Wie real die Gefahr tatsächlich war, von der D’Andrea bei seinem Anruf im Field Office berichtet hatte, konnten wir nicht einschätzen.

Wenig später durchquerten wir das Foyer des Hotels Lazarr. Der Portier beobachtete uns.

„Wieso haben Sie sich ausgerechnet das Lazarr ausgesucht?“, fragte Milo, als wir ins Freie traten.

„Ich weiß, es ist nicht die beste Adresse. Aber hier kennt mich garantiert niemand.“

„Im Fond unseres Sportwagens ist nicht viel Platz.“

„Das macht nichts, Agent...“

„Trevellian.“

„Ah, ja, richtig.“

Er war so nervös, dass er sich noch nicht einmal meinen Namen hatte merken können. Unruhig streifte sein Blick über die etwa heruntergekommenen Fassaden der Umgebung. Manche der umstehenden Lagerhäuser wurden noch immer zu dem Zweck benutzt, zu dem sie auch gebaut worden waren. Andere dienten einfach als Abstellfläche für Waren aller Art. Eine dritte Gruppe hatte man in teure Eigentumswohnungen verwandelt, was so manchen störte, der seit Jahren in der Gegend wohnte. Aber Brooklyn veränderte sich im Augenblick stark.

„Ich kann mich klein machen, wenn es sein muss“, murmelte er und blickte dabei auf die Uhr.

Wir gingen auf den Sportwagen zu.

Plötzlich tanzte ein Laserstrahl eines Zielerfassungsgerätes durch die Luft. Das konzentrierte Licht brach sich irgendwo und ließ eine gerade Linie erahnen.

Eine Schusslinie.

Ich warf mich auf D’Andrea und riss ihn zu Boden.

Milo zog seine Waffe, ließ dabei den Koffer fallen und ging hinter einem parkenden Fahrzeug in Stellung.

Die Schüsse des Angreifers waren lautlos.

Das Blut rann mir zwischen den Fingern hindurch. Erst einen Moment später begriff ich, dass es nicht mein Blut war. Sonny D’Andrea blickte mich mit offenem Mund und starren, toten Augen an. Eine Kugel hatte seine Schläfe durchschlagen und war direkt in sein Gehirn gefahren.

„Der Killer ist im fünften Stock, andere Straßenseite!“, rief Milo. Er spurtete los.

Offenbar waren D’Andreas Befürchtungen keineswegs aus der Luft gegriffen gewesen.

Milo überquerte die Union Street. Ein Lieferwagen bremste stark ab. Der Fahrer zeigte Milo einen Vogel, aber mein Kollege kümmerte sich nicht weiter darum. Er rannte unbeirrt weiter.

Ich setzte per Handy eine kurze Meldung ans Field Office ab, damit Verstärkung geschickt wurde und folgte Milo dann über die Straße.

Das Gebäude, aus dem geschossen worden war, wirkte verlassen. Einige der Fenster waren mit Spanplatten vernagelt worden. Offenbar handelte es sich um ein Gebäude, das kurz vor der Sanierung stand. In diesem Teil Brooklyns gab es zurzeit viele davon.

Der Eingang war offenbar zur anderen Seite ausgerichtet.

Ich folgte Milo durch die enge Gasse von etwa zwei Yards Breite, um zur Rückfront des Gebäudes zu gelangen.

Augenblicke später erreichten wir einen Hinterhof. Ein Geländewagen vom Typ Ford Maverick startete gerade mit durchdrehenden Reifen und fuhr in einem Höllentempo auf die schmale Ausfahrt zu. Vom Fahrer war kaum etwas zu sehen. Nur einen kurzen Moment blinkte etwas auf. So als ob er eine Brille mit spiegelnden Gläsern trug.

Milo zielte mit seiner Dienstwaffe auf die Hinterreifen.

Aber in diesem Moment tauchte ein Fahrradkurier auf, der die Ausfahrt in entgegen gesetzter Richtung passierte und dabei ein hohes Tempo drauf hatte.

Wahrscheinlich nahm er den Weg über dieses Grundstück einfach als willkommene Abkürzung, um schneller zur Union Street zu gelangen.

Der Maverick hielt rücksichtslos auf ihn zu. Mit einem Sprung versuchte sich der Kurier zu retten. Er knallte auf die Motorhaube, während das Fahrrad vom Kuhfänger erfasst wurde.

Der Kurier rutschte seitlich vom Kotflügel des Maverick herunter und knallte mit dem Helm gegen die Hauswand. Der Geländewagen brauste inzwischen weiter, zermalmte das Rad aus ultraleichter Karbonfaser unter seinen hohen Rädern und fädelte sich dann ziemlich brutal in den Verkehr ein.

Milo senkte die Waffe.

Ich ebenfalls.

Ich spurtete los, während Milo bereits das Handy am Ohr hatte, um dafür zu sorgen, dass möglichst schnell ein Ambulanz-Team des Emergency Service eintraf.

Augenblicke später hatte ich den Verletzten erreicht.

Er rührte sich.

Blut sickerte unter seinem Helm hervor, der ihm aber dennoch wohl das Leben gerettet hatte. Er lag in seltsam verrenkter Haltung da.

„Ganz ruhig“, sagte ich. „Es kommt gleich jemand.“

Milo spurtete an mir vorbei, bis zur nahen Hauptstraße. Aber er kehrte rasch zurück und schüttelte den Kopf. Das hieß wohl, dass uns der Flüchtige erst einmal durch die Lappen gegangen war.

In der Ferne waren bereits die Sirenen von City Police und Emergency Service zu hören.


6


Der verletzte Kurier hieß George Dalbandio, wie aus der ID-Card seines Kurierdienstes hervorging. Er bestätigte uns, den Weg über diesen Hinterhof oft als Abkürzung zu nehmen. Ansonsten beteuerte er immer wieder nur, dass der Maverick ganz plötzlich aufgetaucht sei und er ihn erst im letzten Moment gesehen hätte.

„Wieso hat der Kerl noch Gas gegeben?“, keucht Dalbandio. „Ich höre das immer wieder in meinem Kopf. Wie der Motor aufheult. Warum hat er nicht gebremst?“

„Wir werden den Fahrer kriegen“, versprach ich. „Ganz bestimmt.“

„Das hoffe ich! So einer sollte nicht mehr den Verkehr unsicher machen!“

„Haben Sie den Fahrer sehen können?“, hakte Milo nach.

„Nein, tut mir leid. Das ging alles so schnell...“

Die Diagnose des Notarztes war trotz des erschreckenden Bildes, das sich uns zunächst geboten hatte, recht ermutigend. Schürfungen, Quetschungen, Stauchungen und wahrscheinlich zwei gebrochene Beine und eine starke Gehirnerschütterung lautete die erste Bilanz. Ob es vielleicht noch Schäden an Schädel und Wirbelsäule gab, mussten die Röntgenbilder erweisen.

„Immerhin ist er ansprechbar“, erklärte der Arzt. Die Tatsache, dass George Dalbandio einen guten Helm und Protektoren trug, hatte ihm das Leben gerettet.

Kollegen der City Police sicherten den Tatort vor dem Hotel Lazarr. Mitarbeiter der Scientific Research Division waren unterwegs, brauchten um diese Zeit aber sicher noch eine gute Stunde, bis sie es von ihren Labors in der Bronx bis nach Brooklyn geschafft hatten.

Milo und ich sahen uns in dem Gebäude um, aus dem geschossen worden war.

Es gab eine zum Hinterhof ausgerichtete Laderampe. Das dazugehörige Tor war fest verschlossen, aber der Personaleingang zehn Yards weiter nicht. Jemand hatte die Tür aufgebrochen.

Im Erdgeschoss befand sich ein Lagerraum, den man im Moment wohl eher als Sondermülldeponie bezeichnen musste. Halb verrostete Fässer standen dort, ein Geruch, der an faule Eier erinnerte, hing in der Luft.

Es gab einen großen Lastenaufzug in die oberen Etagen – aber da der Strom abgeschaltet war, funktionierte der nicht.

Wir nahmen eine Treppe. In den oberen Geschossen lagerten vornehmlich Verpackungsabfälle. Vor allem Kunststoff, aber auch vor sich hin rottende Pappe. Ratten huschen über den Boden.

Milos Vermutung, dass aus dem fünften Stock heraus auf Sonny D’Andrea geschossen worden war, stellte sich als richtig heraus.

In eine der Fensterscheiben war ein Loch geschlagen worden, dessen Ränder dunkel verfärbt waren.

Schmauchspuren, so nahm ich an.

Der Boden davor war von einer grauen Staubschicht bedeckt, in der frische Fußspuren zu sehen waren. Außerdem Abdrücke, die von ausgeworfenen Patronenhülsen stammen konnten. Offenbar hatte der Täter Zeit genug gehabt, sie einzusammeln.

„Ich bin sicher, dass von hier aus geschossen wurde!“, sagte Milo. Wir hielten Abstand von dem Bereich vor dem Fenster, um den später eintreffenden Kollegen der SRD nicht die Arbeit zu erschweren.

„Jedenfalls hatte Sonny D’Andrea mit seinen Befürchtungen Recht“, stellte ich fest. „Jemand hat alles daran gesetzt, ihn umzubringen.“

„Dieser Mann und seine Mafia-Vergangenheit sind mir alles andere als sympathisch, aber ich frage mich, weshalb gerade jetzt jemand seinen Tod wollte“, sagte Milo. „Schließlich hatte er sich längst aus dem Geschäft zurückgezogen.“

„Wissen wir das so genau, Milo? Vielleicht war er nur besonders clever.“

„D’Andrea war doch ein Handlanger von Tony Damiani und seiner Familie.“

Der Name sagte mir natürlich etwas, auch wenn ich selbst weder mit den Ermittlungen gegen Damiani noch gegen D’Andrea zu tun gehabt hatte. Damiani hatte sich vor zehn Jahren der Verhaftung durch Flucht entzogen und lebte nach unseren Erkenntnissen wahrscheinlich in Marokko – einem Land, mit dem die USA kein Auslieferungsabkommen hatten. Der Fall war in den letzten Jahren immer wieder einmal in Besprechungen unseres Field Office erörtert worden, weil es je nach außenpolitischer Lage Bemühungen des Justizministeriums gegeben hatte, vielleicht doch noch an Damiani heranzukommen.

„Vielleicht ist da irgendeine uralte Rechnung aus der Zeit offen, als D’Andrea noch für Damiani aktiv war!“, vermutete ich.

„Aber D’Andrea hat sich doch meines Wissens nie versteckt!“, wandte Milo ein.

Ich zuckte mit den Schultern.


7


Die Ermittlungen am Tatort ergaben zunächst keine weitergehenden Erkenntnisse. Immerhin wurden ein Reifenprofil des Maverick und ein Schuhsohlenabdruck des Täters sichergestellt. Nach der Schuhgröße und der Höhe des Schussloches zu urteilen suchten wir nach einem Mann, der mindestens 1,90 m groß war.

Der Ford Maverick war natürlich auch in der Fahndung. Milo und ich hatten uns das Kennzeichen merken können. Es stammte aus New Jersey, aber eine Halterüberprüfung ergab, dass es eigentlich zu einem Toyota aus Patterson gehörte.

Unsere Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina suchten zur selben Zeit Sonny D’Andreas Privatadresse in Riverdale auf.

Sie wurden von unseren Erkennungsdienstlern Sam Folder und Mell Horster begleitet. Zwar verlassen wir uns normalerweise auf die Arbeit, der für alle New Yorker Polizeieinheiten zuständigen Scientific Research Division, aber bei personellen Engpässen oder wenn Ermittlungen besonders aufwändig sind, können wir auch unsere eigenen Erkennungsdienstler hinzuziehen.

Clive parkte den Chevrolet aus den Beständen der FBI-Fahrbereitschaft vor D’Andreas Haus. Der flachsblonde Italo-Amerikaner und sein Kollege stiegen aus. Wenig später trafen Mell und Sam ein.

„De gelbe Lamborghini in der Einfahrt ist auf D’Andreas Namen zugelassen“, stellte Orry fest. „Das habe ich überprüft. Allerdings besaß D’Andrea seid drei Jahren keinen gültigen Führerschein mehr und hätte wegen einer ganzen Latte von Verkehrsdelikten wohl auch Schwierigkeiten bekommen, eine neure Lizenz zu bekommen.“

Sam deutete auf die Reifenspuren in der Einfahrt, die recht frisch wirkten. „Der Wagen muss aber vor kurzem bewegt worden sein.“

„Ärger mit der Highway Patrol gehört sicherlich nicht zu den größten Problemen, die D’Andrea hatte!“, warf Clive ein.

Mell Horster öffnete fachmännisch die Tür. Eigenartigerweise war bei der Leiche von Sonny D’Andrea kein Schlüsselbund gefunden worden.

Clive ging voran.

Schon nach einem Schritt griff er zur Dienstwaffe.

An der Wand im Flur klebte Blut. Orry nahm jetzt ebenfalls seine Pistole in die Rechte. Sie sicherten sich gegenseitig ab und folgten einer Blutspur bis zum Bad.

Eine junge Frau lag dort mit starrem, toten Blick in der Wanne, die voller Blut war.

Clive musste unwillkürlich schlucken.

Selbst für einen abgebrühten FBI-Agenten, der täglich mit dem Verbrechen in Kontakt kam, war dies ein besonders scheußlicher Anblick.


8


Eine Viertelstunde später traf Dr. Brent Claus, ein Gerichtsmediziner im Dienst der Scientific Research Division am Tatort ein.

„Die junge Frau wurde zweifellos gefoltert“, stellte Dr. Claus fest. „Der Täter wusste, wie man größtmöglichen Schmerz zufügt, ohne Gefahr zu laufen, dass das Opfer an den Verletzungen stirbt oder bewusstlos wird. Ich muss natürlich erst eine Obduktion vornehmen, um wirklich etwas Abschließendes sagen zu können, aber...“

„Ich verstehe schon“, murmelte Clive. „Aber sagen Sie uns trotzdem, was Sie denken!“

„Ein sexuelles Motiv würde ich ausschließen. Das war auch kein Triebtäter oder die Tat von jemandem, der seine Impulse nicht zu kontrollieren vermag. Hier ist jemand eiskalt vorgegangen...“

„Um Informationen zu erpressen?“, vermutete Orry.

Dr. Claus nickte. „Ich denke, ja. Und am Ende wurde sie mit einem aufgesetzten Schuss durch die Stirn getötet. Die Mündung hat ein Hämatom gebildet.“

„Ich vermute, dass ein Schalldämpfer benutzt wurde, sonst hätten die Nachbarn alles mitbekommen!“, sagte Clive.

„Die Schreie der Frau haben sie offensichtlich auch nicht gehört“, gab Orry zu bedenken.

„Aber der Durchmesser des Hämatoms auf der Stirn spricht auch für einen Schalldämpfer. Wenn es der Abdruck der Mündung wäre, ließe das auf ein größeres Kaliber schließen, als die Eintrittswunde vermuten lässt.“

Sam Folder fand wenig später im Wohnzimmer eine Handtasche, die ein paar aufschlussreiche Utensilien enthielt. Unter anderem Führerschein und Kreditkarte. Die Tote hieß Beverly Reynolds und hatte eine Adresse in Yonkers angegeben. Sie war 27 Jahre alt und über das Datenverbundsystem NYSIS war zu erfahren, dass sie wegen Prostitution und Drogenbesitz vorbestraft war.

In ihrer Handtasche befand sich außerdem die Visitenkarte eines Maklerbüros. Clive rief dort an und erfuhr, dass Beverly Reynolds offenbar mit Moss Rutherford, einem der Inhaber des Maklerbüros sich hatte treffen wollen.

„Stellen Sie mich doch bitte zu Mister Rutherford durch“, verlangte Clive.

„Das geht leider nicht, er ist in einer Konferenz“, behauptete die Mitarbeiterin am Telefon.

„Ich nehme an, es ist ihm lieber, wenn wir uns im Bundesgebäude an der Federal Plaza treffen.“

„Einen Moment.“

Wenig später war Rutherford doch zu sprechen. Er gab an, gegen elf Uhr am Vormittag bei D’Andreas Haus eingetroffen zu sein. „Der Verkehr hatte mich aufgehalten. Sie wissen ja, wie das ist.“

„Haben Sie mit Miss Reynolds sprechen können?“

„Nein. Vor dem Haus stand zwar ein gelber Sportwagen, aber es hat niemand geöffnet. Schon ziemlich ärgerlich für mich! Schließlich ist in meinem Business Zeit Geld und ich bin extra ihretwegen nach Riverdale raus gefahren.“

„Worum sollte es bei dem Gespräch gehen?“

„Das Haus sollte verkauft werden und Miss Reynolds gab an, die Bevollmächtigte des Eigentümers zu sein.“

„Kam Ihnen das nicht etwas seltsam vor?“

„Leider kam ich nicht dazu, das zu überprüfen. Das Haus ist jedenfalls ein schönes Objekt in guter Lage, das wäre ich leicht losgeworden.“


9


Clive und Orry nahmen sich die Nachbarschaft vor, in der Hoffnung, dass jemand etwas bemerkt hatte.

Das Haus nebenan war derzeit unbewohnt. Später erfuhren unsere Kollegen, dass sich die Besitzer auf einer längeren Reise befanden.

Gegenüber wohnte ein Pensionär des Yonkers Police Department mit seiner Frau.

„Mein Name ist Allan Jennings und ich war 35 Jahre Detective – zuerst bei der Drogenfahndung, später bei der Homicide Squad im Rang eines Lieutenant“, stellte er sich vor, nachdem Clive ihm seine ID-Card gezeigt hatte. Jennings sah sich den Ausweis mit einem bewundernden Blick an. „Ich habe mich auch mal in Quantico beworben. Ist schon lange her – aber leider habe ich die Eingangstests nicht geschafft.“

„Kannten Sie Ihren Nachbarn von gegenüber – Mister Sonny D’Andrea?“

„Ehrlich gesagt habe ich ihn nicht besonders gemocht und ich war auch überhaupt nicht begeistert davon, als er hierher zog. Aber im Grunde hatte ich nichts mit ihm zu tun. Ein Mann mit bunter Vergangenheit, würde ich sagen...“

Clive lächelte. „Sie haben über NYSIS nachgeforscht?“

„Wenn ich zu den Kollegen aufs Revier gehe und etwas wissen will, schauen die weg, wenn ich an den Computer gehe.“

„Mister D’Andrea wurde heute in Brooklyn erschossen.“

„Verstehe und die Durchsuchung der Opfer-Wohnung gehört zur Routinevorgehensweise...“

„Kennen Sie diese Frau?“

Clive hielt ihm den Führerschein von Beverly Reynolds unter die Nase.

Allan Jennings nickte. „Natürlich. Sie hat das letzte Jahr bei ihm gewohnt. Eine Prostituierte, aber D’Andrea schien genug Geld zu haben, um sie exklusiv für sich zu haben. Sie hat ihn auch immer mit dem gelben Lamborghini herumkutschiert, weil er selbst doch nach diversen Verfahren nicht mehr fahren durfte.“

„Wir haben sie ermordet in der Badewanne gefunden.“

Jennings zog die Augenbrauen zusammen. „Wann ist das geschehen?“

„Vermutlich heute Morgen.“

„Da stand für eine Weile ein Ford Maverick vor dem Haus. Ich habe leider nicht gesehen wer drin saß. Schließlich sitze ich ja nicht den ganzen Tag am Fenster und beobachte Leute.“

„Natürlich nicht.“

„Und dann ist noch etwas merkwürdig. Vor zwei Tagen kam ein Transporter und es wurde jede Menge persönlicher Besitz weggeschafft. Keine Möbel oder dergleichen – nur Kleidung, Bücher – der ganze Kleinkram eben.“

„Wer hat den Leuten die Tür aufgemacht?“

„Miss Reynolds. Da bin ich mir sicher.“ Er grinste. „Die übersieht man nicht. Von Mister D’Andrea war schon seit Tagen nichts mehr zu sehen. Ich wette, der wollte untertauchen, weil er befürchten musste, dass schließlich doch noch jemand einen juristischen Dreh findet, um ihn dahin zu bringen, wo er schon lange hingehört hätte! Nach Rikers Island nämlich!“


10


Am nächsten Morgen trafen sich alle G-men, die zurzeit an dem Fall arbeiteten, im Büro unseres Chefs zur Besprechung.

Außer uns waren das die Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina sowie die Erkennungsdienstler Mell Horster und Sam Folder.

Agent Max Carter aus der Fahndungsabteilung unseres Innendienstes verspätete sich etwas, da er offenbar mit der Vorbereitung eines Dossiers für die beteiligten Agenten nicht rechtzeitig fertig geworden war.

Mr Jonathan D. McKee, der Leiter des FBI-Field Office New York informierte uns über neue Erkenntnisse im Mordfall D’Andrea.

„Der Ford Maverick, den dieser pensionierte Cop gesehen hat, ist identisch mit dem Fahrzeug, dass der Mörder von D’Andrea benutzt hat“, erklärte unser Chef. „Das beweist die Auswertung der Reifenspuren. Außerdem hat sich Lieutenant Jennings die Nummer aufgeschrieben. Das Kennzeichen ist falsch. Max und seine Abteilung gehen im Moment die Liste der als gestohlen gemeldeten Fahrzeuge dieses Typs durch. Es könnte durchaus sein, dass wir da fündig werden.“ Mr McKees Gesicht wurde sehr ernst. Er wandte sich an Max Carter. „Der Fall D’Andrea könnte durchaus in einem größeren Zusammenhang stehen. Max hat ein Dossier für Sie vorbereitet und wird Sie jetzt über alles Weitere informieren. Bitte, Sie haben das Wort!“

Max nickte.

„Vor ein paar Tagen wurde im Lake Tappan bei archäologischen Grabungen Überreste einer Leiche aus dem Sumpf der Uferregion geborgen, die zweifelsfrei nicht von einem Algonkin-Indianern aus präkolumbianischer Zeit stammt, sondern eine Zahnbehandlung bekommen hat und außerdem ein künstliches Hüftgelenk besaß, wie man es vor etwa zwanzig Jahren verwendete. Über die Seriennummer des Hüftgelenks konnten die Kollegen der örtlichen Polizei schnell herausbekommen, dass es sich bei dem Toten um niemand anderen als Tony Damiani handelt – der Mafia-Boss, von dem wir alle annahmen, dass er seit zehn Jahren an einem sonnigen Plätzchen seine illegal erwirtschafteten Reichtümer genießt. Was den Todeszeitpunkt angeht, so steht im gerichtsmedizinischen Gutachten, dass der Grad der Verwesung nahe legt, dass Tony Damiani bereits starb, kurz nachdem er vor zehn Jahren untertauchte – und nicht etwa später inkognito zurückkehrte.“

„D’Andrea hat sich kurz nach Damianis Untertauchen aus dem Geschäft zurückgezogen“, gab Clive zu bedenken. „Gibt es da vielleicht irgendeinen Zusammenhang?“

„Das liegt nahe“, erklärte Max. „Damiani war die Justiz wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Verabredung zum Mord auf den Fersen. Entscheidend war dabei der letzte Anklagepunkt. Damiani hätte lebenslänglich hinter Gitter kommen können und da hat er es vorgezogen, zu verschwinden. Diese Anklage beruhte hauptsächlich auf der Aussage von Tom Buscella, einem auf Rikers Island einsitzenden Mafia-Killer. Buscella gab zu, in Damianis Auftrag einen Konkurrenten im Drogengeschäft aus dem Weg geräumt zu haben.“

„Könnte es sein, dass da vor zehn Jahren im Damiani-Syndikat eine Palast-Revolution vonstatten ging und der große Boss ins Abseits gedrängt werden sollte?“, fragte Mr McKee.

„Das ist zumindest nicht ausgeschlossen“, nickte Max.

„Wer hat die Geschäfte von Damiani damals übernommen?“, fragte ich.

„Sein Neffe Jack Gabrielli. Wenn jemand vom Tod – oder dem Verschwinden – Damianis profitiert hat, dann war er es.“

„Ich wette, Sonny D’Andrea wusste genau darüber Bescheid, was damals abgelaufen ist“, war Clive überzeugt. „Aber leider ist er nicht mehr dazu gekommen, es uns zu verraten.“

Mr McKee wandte sich an Clive. „Ich möchte, dass Sie und Orry in D’Andreas Umfeld herumstochern. Dass es einen Zusammenhang mit Damianis Tod gibt, liegt nahe – aber im Moment sind das alles nur Vermutungen.“

„D’Andreas private Sachen wurden ja schließlich vor kurzem abtransportiert. Ich werde mich mal darum kümmern, wo das alles geblieben ist.“

„Vielleicht finden wir da ein paar Hinweise“, ergänzte Orry.

„Und vergessen Sie das Umfeld von Beverly Reynolds nicht!“, gab Mr McKee zu bedenken. „Sonny D’Andrea hat ihr zumindest soweit vertraut, dass er sie beauftragte, sein Haus zu verkaufen! Es kann also gut sein, dass sie noch viel mehr über ihn wusste und das anderen gegenüber auch geäußert hat!“

„Wenn Sie mich fragen, hat D’Andrea die Kleine wie einen Minenhund vorgeschickt, weil er genau wusste, dass seine Feinde bei ihm zu Hause in Riverdale auftauchen würden!“, vermutete Sam Folder. „Ein skrupelloser Typ!“

„Für uns aber im Moment in erster Linie ein Mordopfer“, stellte Mr McKee klar. „Und das bedeutet, wir werden mit derselben Energie und Sorgfalt ermitteln wie in jedem anderen Fall auch.“ Unser Chef wandte sich an Milo und mich. „Für Sie beide habe ich einen Termin auf Rikers Island gemacht. Tom Buscella will nur in Begleitung seines Anwalts befragt werden, was die Sache etwas komplizierter macht.“

Milo und ich nickten.

„Und dann möchte ich, dass Sie sich Jack Gabrielli vornehmen! Ich bin gespannt, was er dazu zu sagen hat, dass sein Onkel plötzlich im Lake Tappan aufgetaucht ist!“


11


Der Grauhaarige lenkte mit der linken Hand den Maverick durch den Lincoln-Tunnel. Die Rechte spielte mit dem Goldkreuz auf seiner Brust.

Es gibt keinen Grund, nervös zu werden!, versuchte er sich einzureden. Alles lief doch wie geschmiert!

Sonny D’Andrea war gerade noch rechtzeitig ausgeschaltet worden, bevor er sich ausführlich mit dem FBI unterhalten konnte.

Im Radio lief Country-Musik.

Der Grauhaarige summte mit. Seine Singstimme verfügte allerdings nur über einen tiefen und einen ganz tiefen Ton. Das Ergebnis war ziemlich dissonant.

Nachdem er den Lincoln Tunnel passiert hatte fuhr er auf die Interstate 87 Richtung Paterson.

Nach ein paar Kilometern erreichte er einen Parkplatz, bog ab und stoppte den Wagen. Auf dem Beifahrersitz lag eine Golftasche, in der er ein Spezialgewehr mit Laserzielerfassung verstaut hatte. Das nahm er an sich, stieg aus und schloss ab.

Eigentlich schade um den Wagen!, dachte er. Ich hätte ihn gerne länger behalten...

Aber das Risiko war einfach zu groß.

Er nahm die Tasche mit der Linken über den Rücken, zupfte an dem Goldkreuz herum und ging auf einen unscheinbaren Toyota zu, der ein paar Meter entfernt geparkt war.

Die Tasche mit dem Gewehr verstaute er im Kofferraum. Dann setzte er sich ans Steuer und griff nach seinem Handy. Natürlich ein Prepaid-Gerät, damit sich der Gesprächskontakt später nicht nachweisen ließ.

„Alles erledigt“, sagte er einfach, als am anderen Ende der Leitung jemand abnahm.


12


Inzwischen lag der ballistische Bericht vor. Dave Oaktree, unser Chefballistiker schneite in das Dienstzimmer, das Milo und ich uns teilten.

„D’Andrea und die Frau sind mit demselben Kaliber, aber mit verschiedenen Waffen getötet worden“, sagte Dave. „Beverly Reynolds wurde mit einer Automatik mit Schalldämpfer in den Kopf geschossen. Es gibt zweierlei Riefen, also besteht an der Verwendung eines Schalldämpfers kein Zweifel. Das Projektil, das Sonny D’Andrea getötet hat, wurde jedoch mit Sicherheit aus einem Gewehr abgefeuert. Vermutlich eine Spezialanfertigung. Beide Waffen sind leider bisher nicht aktenkundig.“

„Ein Profi!“, lautete Milos Schluss. „Aber das haben wir ja ohnehin schon vermutet.“

„Zwei Morde an einem Tag – und er hat immer die richtige Waffe dabei. Das ist auch nicht alltäglich!“, meinte ich.

Eine halbe Stunde später erfuhren wir von unserem Kollegen Max Carter, dass der Ford Maverick höchstwahrscheinlich einem Mann aus Paterson gestohlen worden war. Allerdings konnte dieser keine weiteren sachdienlichen Angaben machen.

Unser Termin auf Rikers Island ließ uns Zeit genug, um die Mittagszeit noch einen Snack zu nehmen. Wir kauften uns einen Hot Dog an der Worth Street, ganz in der Nähe des Bundesgebäudes an der Federal Plaza. Zurück schlenderten wir jeder mit einem Hot Dog in der Hand durch den Thomas Payne Park.

„Ich bin mal gespannt, ob Buscella heute den Mund aufmacht“, sagte Milo.

„Und ich bin gespannt, wer sein Anwalt ist und ihn bezahlt“, gab ich zurück.

„Du meinst, da hat jemand Angst, dass Buscella etwas Verkehrtes sagt?“

„Natürlich! Buscella selbst hat doch nichts mehr zu verlieren. Er ist an der Todesstrafe vorbeigekommen und sitzt lebenslänglich ohne Aussicht auf Bewährung. Wozu braucht der einen Anwalt, wenn er mit uns redet?“

Zehn Minuten später saßen wir im Sportwagen und fuhren richtig Norden, um unseren Termin auf der Gefängnisinsel wahrzunehmen.

Wir trafen Tom Buscella in einem karg eingerichteten Verhörraum. Er war ein Hüne von fast zwei Metern mit breitem Gesicht und kurz geschorenen Haaren. Die Unterarme waren voller Tätowierungen. Er trug Hand- und Fußfesseln.

„Ich denke, die können Sie abnehmen“, wandte ich mich an einen der Wachleute.

„Der Letzte, der das gesagt hat, war sein Psychologe und der liegt jetzt mit gebrochenem Rückgrat im Bethesda Hospital“, erwiderte der Wachmann. „Mister Buscella neigt nämlich zu einem aufbrausenden Temperament.“

„Er wurde provoziert!“, mischte sich ein kleiner, dunkelhaariger Mann im kobaltblauen Dreiteiler ein, der sich als letzter in den Raum gedrängt hatte.

Er gab mir die Hand und drückte sie übertrieben fest.

„Brian Reddick von Reddick, Cameron & Partners, New York City. Ich vertrete Mister Buscella.“

„Freut mich Sie kennen zu lernen. Ich bin Agent Trevellian und dies ist mein Kollege Milo Tucker. Für Ihren Mandanten steht hier nichts auf dem Spiel, wie Sie bedenken sollten!“

Reddick grinste raubtierhaft und entblößte dabei zwei Reihen weiß blitzender und völlig gleichmäßiger Zähne. „Wollen Sie mir jetzt etwa vorschlagen, meine Arbeit nicht so gut wie möglich zu machen!“

„Ganz bestimmt nicht!“

„Dann ist es ja gut!“

Wir setzten uns.

„Hängen Sie mir ruhig noch etwas an, wenn Sie wollen“, knurrte Buscella. „Früher dachte ich, es sei ein Erfolg meines Anwalts, die Todesstrafe abzuwenden – heute denke ich, ich hätte es auf die Giftspritze ankommen lassen sollen...“

„Dieses Problem sollten Sie mit Mister Reddick besprechen“, schlug ich vor. „Sie haben seinerzeit vor Gericht zugegeben, im Auftrag von Tony Damiani einen Mord begangen zu haben.“

„Richtig. Die Kanaille, die ich niedergemacht habe, hieß Lee Kim – ein mieser koreanischer Drogenbaron. Die Justiz hätte mir eigentlich dankbar sein sollen, dass ich den aus dem Verkehr gezogen habe!“

„Agent Trevellian, ich weiß nicht, wohin diese Befragung führen soll“, mischte sich Reddick ein. Es hielt ihn nicht auf seinem Platz. Er stand auf, ging hin und her und verbreitete dadurch eine nervöse Atmosphäre. „Wenn Sie versuchen wollen, meinen Mandanten zu Aussagen zu provozieren...“

„Ich denke nicht, dass sich Ihr Mandant provozieren lässt“, erwiderte ich und wandte mich Buscella zu. „Mister Buscella, Ihr damaliger Auftraggeber wurde in einem See an der Grenze zwischen New York State und New Jersey gefunden.“

Das Erstaunen in Buscellas Gesicht schien mir echt zu sein.

Sein breiter Kinnladen fiel herunter und er vergaß für einige Augenblicke, den Mund wieder zu schließen. „Ich dachte, Damiani hätte es geschafft und sich irgendwo in den sonnigen Süden oder so abgesetzt. Hier in Rikers Island hört man ja eine Menge Gerüchte. Und von Big Tony hieß es immer, dass er gerade noch rechtzeitig das Land verlassen hätte! Marokko, glaube ich! Genau, das war es!“ Buscella lachte heiser. „Ich habe mich oft bei dem Gedanken schwarz geärgert, dass der feiste Sack seine Millionen irgendwo am Strand mit einem Tequila in der Hand genießt, während ich hier lebenslänglich abbrummen muss! Aber wenn ich jetzt überlege, dass er in Wahrheit die ganze Zeit in diesem Wasserloch vor sich hinfaulte...“ Er verzog das Gesicht. „Will mir noch gar nicht in den Kopf.“

„Ich denke, Mister Buscella hat gesagt, was er zu dem Thema zu sagen hat“, machte Reddick erneut einen Versuch, die Befragung abzubrechen.

Es hing tatsächlich alles von Buscella ab. Wir hatten keine Möglichkeit, ihn zu einer Aussage oder gar zur Zusammenarbeit zu zwingen – und mehr Vergünstigungen, als er schon bekommen hatte, waren für einen wie ihn nach Lage der Dinge nicht drin.

Aber Tom Buscella schien heute seinen redseligen Tag zu haben und gar nicht daran zu denken, der Linie seines Anwalts zu folgen.

„Hören Sie, G-man, es ist alles so, wie ich es damals ausgesagt habe! Tony Damiani hat mir 50 000 Dollar für den Mord an Lee Kim gegeben. Dessen Drogenring überschwemmte damals New York mit billigem Stoff und drohte die alteingesessenen Bosse aus dem Geschäft zu drängen! Ich brauche Ihnen doch wohl nicht zu erzählen, wie das läuft! Man hat von Big Tony erwartet, dass er etwas tut, bevor das Geschäft völlig ruiniert ist. Und Big Tony ist zu mir gekommen, so war das!“ Er lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. „Ist schon seltsam, dass Sie jetzt nach all den Jahren seinen Mörder suchen...“

„Wer käme denn da in Frage – Ihrer Meinung nach?“

„Ist das Ihr Ernst? Na, der Clan von Lee Kim natürlich! Diese Koreaner halten viel auf Familienzusammenhalt. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass Tony so unvorsichtig ist, dass sie ihn gleich erwischen.“

„Hatte er weitere Feinde, von denen Sie wissen? Feinde in der eigenen Organisation zum Beispiel?“

„Mein Mandant wird dazu nichts sagen“, erklärte Reddick.

„Natürlich sage ich was dazu“, rief Buscella. „Tony Damiani war für alle wie ein Vater! Ein echter Patron, auf dessen Hilfe man sich verlassen konnte und der außerdem noch dafür sorgte, dass die Geschäfte gut liefen! Wenn Sie denken, dass ihn jemand aus den eigenen Reihen in der Versenkung verschwinden lassen wollte, dann sind Sie auf dem völlig falschen Weg.“

„Ihre Zeit ist um, Agent Trevellian!“, brach Reddick das Gespräch ab. „Wir haben Ihnen nichts mehr zu sagen!“

Buscella hob die Schultern. „Tja, ich höre wohl besser auf Agent Trevellian – sonst versuchen Sie mir am Ende noch irgendetwas anzuhängen und ich lande doch noch in der Todeszelle...“

„Ich dachte, das würden Sie bevorzugen – oder war das nur Gerede?“, fragte Milo.

„Nein, das ist kein Gerede. Aber meine Schwester braucht mich noch. Sie ist schwer krank und wird wahrscheinlich bald sterben. Wie sähe das für sie denn aus, wenn ich mich in meiner Zelle erhängen oder ein paar weitere Morde gestehen würde, damit man mir doch noch die Spritze setzt? Ich muss ihretwegen am Leben bleiben, weil ich ihr einziger Halt bin.“

„Sie haben regelmäßig Kontakt zu ihr?“, fragte ich.

„Wir telefonieren und sie kommt mich besuchen. Krebs bedeutet nicht unbedingt, dass man nicht mehr laufen kann – aber er bringt einen trotzdem um.“

Buscella erhob sich.

„Wenn Sie Jimmy Kim sehen, dann grüßen Sie ihn von mir. Er war damals die Nummer zwei bei den Koreanern und stand eigentlich auch noch auf meiner Liste, wenn meine Verhaftung nicht dazwischen gekommen wäre... Sagen Sie ihm: Tom Buscella kriegt ihn jetzt doch noch – mit einer Aussage vor Gericht!“ Buscella lachte rau.

Reddick gab erst Milo und dann mir noch einmal die Hand. „Sie haben gesehen, dass mein Mandant zu Ihrem Fall substantiell nichts beitragen kann“, erklärte er. „Ich gehe daher davon aus, dass dies das letzte Gespräch Ihrerseits mit ihm im Rahmen Ihrer Ermittlungen ist und wir uns nicht wieder sehen.“

„Man sollte niemals nie sagen“, gab ich zurück.


13


Im Anschluss an das Gespräch ließen wir uns noch von der Gefängnisleitung die Besucherlisten für Tom Buscella zeigen.

Es gab darauf – abgesehen von seinem Anwalt – nur einen einzigen Namen.

Doreen Buscella.

„Sie kommt ihn regelmäßig besuchen“, berichtete uns Alec Johnes, einer der stellvertretenden Leiter von Rikers Island.

„Ich sehe, dass auch sein Anwalt, Mister Reddick, regelmäßig auf der Liste erscheint“, stellte Milo fest. „Bereitet Buscella irgendein Wiederaufnahmeverfahren oder dergleichen vor oder welchen Grund könnte das haben?“

Johnes schüttelte den Kopf.

„Jedenfalls nicht, dass ich davon wüsste. Das wäre in seinem Fall wohl auch ziemlich aussichtslos, würde ich sagen.“

„Gibt es Mitgefangene, denen er vielleicht über seine früheren Kontakte zu Tony Damiani etwas gesagt haben könnte?“, hakte ich nach.

Johnes schüttelte abermals den Kopf. „Jedenfalls nicht seit ich hier bin – also in den letzten fünf Jahren. Buscella ist ein sehr schwieriger Gefangener. Sie haben gesehen, welche Vorsichtsmaßnahmen nötig waren. Er ist vollkommen unberechenbar und neigt zu unkontrollierten Wutausbrüchen. Vielleicht gefällt er sich auch nur in der Rolle des Monsters, wer weiß. Unser Psychologe hat eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, die sich im Verlauf der letzten Jahre verstärkt hat. Aggressionen wechseln mit depressiven Phasen ab... Kurz und gut: Den Kerl konnte man nur einzeln unterbringen.“

„Dann machen Sie uns trotzdem eine Liste der Zellengenossen, die er in der Zeit davor hatte“, schlug Milo vor.

„In Ordnung.“

Nachdem wir wieder im Sportwagen saßen und bereits über den Damm fuhren, der Rikers Island mit dem Festland verband, telefonierte Milo per Handy mit dem Field Office. Max Carter war am Apparat. Über die Freisprechanlage konnten wir beide mithören.

„Wir brauchen alles, was es über einen Anwalt namens Brian Reddick gibt. Er vertritt Buscella und wir möchten gerne wissen, wen noch.“

„Kein Problem, Milo“, gab Max zurück.


14


Jimmy Kim stand auf der Terrasse seiner Villa auf den Brooklyn Heights. Er rief ein scharfes Kommando in koreanischer Sprache.

Zwei Dobermänner, die sich bis dahin auf dem englisch kurz geschnittenen Rasen um einen Golfball gebalgt hatten, kehrten hechelnd zu ihrem Herrn zurück.

Sie setzten sich einen Meter vor Jimmy Kims Fußspitzen und blickten ihn aufmerksam an. Jimmy Kim trat auf sie zu und kraulten die Hunde am Nacken.

„Leider sind diese Dobermänner so ziemlich die einzigen, in unserer Familie, die noch koreanisch verstehen“, meinte er.

„Das ist der Lauf der Dinge, Mister Kim“, sagte der Mann um die fünfzig, dessen Anzug nicht nur schlecht saß, sondern auch fleckig und abgenutzt wirkte. Die Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals. Seine Nase war rot und er roch nach Alkohol.

Jimmy Kim schickte die Hunde mit einem weiteren Befehl wieder auf die Wiese.

„Meine Großmutter kam als junge Frau in den Fünfziger nach New York – kurz nach dem Korea-Krieg. Sie war schwanger. Meinen Großvater hatte die Kommunisten in einem ihrer Umerziehungslager zu Tode gequält und jetzt musste sie hier ein neues Leben anfangen. Sie begann als Näherin in Chinatown – unter Bedingungen, die langnasige Amerikaner wie Sie schon damals als Sklaverei bezeichnet hätten! Es war ein langer Weg nach oben, Mister Manetta. Das können Sie mir glauben.“ Jimmy Kim drehte sich zu Manetta um. Sie waren beide etwa fünfzig. Aber da Kim jede graue Strähne sofort färben ließ, wirkten die beiden Männer, als ob eine Generation zwischen ihnen liegen würde.

Manettas Haare waren so grau wie seine Haut.

Er wirkte ziemlich heruntergekommen.

„Ich danke Ihnen, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind, Mister Manetta.“

Manetta lachte auf. „Einladung?“, höhnte er. „Sie sind gut! Ich komme morgens nach durchzechter Nacht nach Hause und da warteten Ihre Gorillas schon auf mich und steckten mich kopfüber in eine Limousine! Eine Einladung nenne ich was anders.“

„Die Begleitumstände, unter denen meine Leute Ihnen begegneten, mögen etwas unerfreulich gewesen sein, Mister Manetta...“

„Das ist aber sehr nett ausgedrückt!“

„... aber das hat auch etwas damit zu tun, dass Sie nicht so recht ansprechbar waren.“

„Ich hatte getrunken – aber noch ist das erlaubt, auch wenn ich befürchte, dass es irgendwann so kommen wird, wie beim rauchen und man sich in irgendeine Ecke zurückziehen muss, nur um ein Bier zu trinken.“

Manetta gähnte.

Er hatte in einem von Jimmy Kims luxuriös ausgestatteten Gästezimmern seinen Rausch ausgeschlafen. Auf die Möglichkeit, eine Dusche zu nehmen, hatte er allerdings verzichtet. Er wollte wissen, was der Nachfolger des großen Drogenbarons Lee Kim von ihm wollte.

„Es war übrigens gar nicht so einfach, Sie aufzuspüren“, gestand Jimmy Kim. „Mir scheint, Sie haben sich aus dem Geschäft zurückgezogen.“

„Das ist richtig.“

Jimmy Kim hob die Augenbrauen. „Sie waren mal ein Passfälscher, mit einem legendären Ruf!“

Manetta lachte heiser.

„Ja“, bestätigte er. „Ich war ganz gut im Geschäft. Aber die technische Entwicklung ist über mich hinweggegangen. Ich habe da irgendwie den Anschluss verpasst. Aber ich denke nicht, dass Sie mich haben kidnappen lassen, um mit mir über alte Zeiten zu plaudern!“

„Kidnappen - was für ein hässliches Wort, Mister Manetta. Sie können gehen, wann immer Sie wollen, aber ich dachte, es wäre Ihnen angenehmer, wenn mein Fahrer Sie nach Hause bringt. Und da ihre finanzielle Situation im Moment nicht gerade die Beste ist, dachte ich, Sie wären vielleicht daran interessiert, etwas dazu zu verdienen.“

Manetta wirkte sofort etwas wacher und aufmerksamer.

„Was muss ich dafür tun? Wenn Sie eine Fälscher-Arbeit von mir haben wollen, kann ich Sie nur warnen! Die Qualität wäre miserabel. Ich bekomme noch nicht einmal mehr einen dieser modernen Fahrlizenzen richtig hin!“

„Keine Sorge, ich will Informationen von Ihnen.“

„Alte Freunde verrate ich nicht.“

„Sie sollen niemanden verraten und soweit ich weiß, war der Mann, um den es geht auch nicht gerade Ihr Freund.“ Jimmy Kim deutete auf die Sitzecke. „Nehmen Sie Platz, wir besprechen das in aller Ruhe.“

Manetta zögerte.

Ein drahtiger Leibwächter in dunklem Rollkragenpullover und einer Automatik im Schulterholster rückte Manetta einen Stuhl zurecht.

„In Ordnung“, sagte Manetta, setzte sich und schlug die Beine übereinander.

„Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen erst etwas zu trinken anbiete, wenn unser Gespräch beendet ist“, sagte Jimmy Kim mit einem maskenhaften Gesicht, das vollkommen regungslos blieb.

Er schnipste mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Der Leibwächter verneigte sich, verschwand für kurze Zeit im Haus und kam einen Augenblick später mit einer Zeitung wieder, die er vor Manetta auf den Tisch legte.

MAFIA-BOSS IM LAKE TAPPAN!, stand dort in großen Lettern und etwas kleiner darunter: Die von Archäologen entdeckte Leiche im Lake Tappan wurde identifiziert.

„Ich weiß nicht, ob Sie das bei Ihrem Alkoholpegel überhaupt mitbekommen haben – aber unser gemeinsamer Feind Big Tony Damiani ist aus der Versenkung gestiegen – und darüber sollten wir uns vielleicht mal unterhalten!“

Manetta war blass geworden.

Er starrte auf die Schlagzeile und eine tiefe Furche erschien dabei mitten auf seiner Stirn, während er angestrengt zu lesen begann.


15


Jack Gabrielli bewohnte zwei Traumetagen am Central Park West mit zusammen mehr als vierhundert Quadratmetern. Gleichgültig, ob er Eigentümer oder Mieter war – diese Wohnung musste ein Vermögen verschlingen.

Der Sicherheitsstandard war so hoch wie man ihn sich in allen Regierungsgebäuden gewünscht hätte. Es gab eine lückenlose Kamera-Überwachung aller nicht-privaten Räume und einen zahlenmäßig sehr gut besetzten Sicherheitsdienst, der überall im Haus ständig Präsenz zeigte.

Jack Gabrielli empfing uns in seinem Wohnzimmer. Von der Fensterfront aus hatte man einen traumhaften Blick auf den Central Park.

Gabrielli war 45, dunkelhaarig und schlank. Sein maßgeschneiderter Anzug hatte mehr gekostet, als ein G-man in zwei Monaten verdiente.

Am Handgelenk glitzerte eine Rolex.

Unseren Informationen nach hatte Gabrielli vor zehn Jahren nach Big Tony Damianis Verschwinden die Nachfolge seines Onkels angetreten. Anscheinend gingen die Geschäfte nicht schlecht.

Wir stellten uns kurz vor und zeigten Gabrielli unsere Dienstausweise, aber daran war er nur mäßig interessiert.

„Ich nehme an, Sie sind wegen des Leichenfundes im Lake Tappan hier“, sagte er. „Wie üblich gibt es undichte Stellen im Polizeiapparat, die dafür sorgen, dass das Ganze in der Presse breit getreten wird.“

„Sie sagen das, als ob diese Leiche Sie gar nichts anginge“, gab ich meiner Verwunderung Ausdruck.

Jack Gabrielli zuckte mit den Schultern. „Ich persönlich bin noch lange nicht überzeugt davon, dass es sich bei den Knochen, die dort gefunden wurden, tatsächlich um die sterblichen Überreste meines Onkels handelt. Aber da wird sich die Wahrheit sicher am Ende zweifelfrei herausstellen...“

„In diesem Punkt gibt es keine Zweifel mehr“, korrigierte ich ihn. „Die Seriennummer des Hüftgelenks ist eindeutig Ihrem Onkel zuzuordnen. Das einzige, worüber es jetzt noch Spekulationen geben kann, ist die Frage, wie und von wem Tony Damiani getötet wurde.“

„Eigentlich müsste es doch auch in Ihrem Interesse liegen, den Fall aufzuklären und mit uns zusammen zu arbeiten“, warf Milo ein.

Gabrielli atmete tief durch. „Ich mache Ihnen persönlich keine Vorwürfe, Agent Trevellian, weil ich nicht weiß, ob Sie selbst überhaupt etwas damit zu tun hatten. Aber es ist doch so: Jahrelang hat die Justiz meinen Onkel wegen seiner völlig legalen Geschäfte grundlos verfolgt. Ihm wurden Vorwürfe gemacht, die sich vor Gericht jedes Mal als nicht haltbar erwiesen...“

„...weil Zeugen plötzlich Angst bekamen und es sich anders überlegt haben“, warf Milo ein.

„Sie unterstellen, dass Onkel Tony die Justiz beeinflusst hat – aber haben Sie schon mal in Betracht gezogen, dass hinter diesen Machenschaften vielleicht Leute steckten, die Onkel Tony einfach nur geschäftlich ins Abseits drängen wollten?“

„Es geht hier nicht um die Fehler der Justiz“, wandte ich ein. „Die konnte Mister Damiani leider lange Zeit nichts nachweisen, aber...“

„Und deshalb hat man dann in den Steuersachen herumgewühlt! Seien Sie doch mal ehrlich: Können Sie dafür garantieren, dass alle Ihre Angaben richtig waren? Ich bin sicher, es gibt niemanden, in dessen Steuerklärung man nicht irgendein Haar finden könnte. Das grenzt doch alles an Schikane und am Schluss glaubt man dann bereitwillig der Aussage eines Lohnkillers, der nichts mehr zu verlieren hat und wahrscheinlich um irgendwelcher Vorteile willen einen Eid auf alles mögliche ablegen würde!“

„Also erstmal ging es der Steuerfahndung nicht um irgendwelche Kleinigkeiten, sondern um Geldwäsche – und die gehört zum organisierten Verbrechen“, entgegnete ich ihm. „Wir verfolgen die Schuldigen am Tod Ihres Onkels so wie jeden anderen Verbrecher, aber wenn Sie uns dabei helfen wollen, dann geht das nur mit einem Mindestmaß an Aufrichtigkeit. Sie schaden Ihrem Onkel Tony nicht mehr damit, wenn Sie zugeben, dass er alles andere als ein Engel war.“

„Tatsache ist, dass er damals in die Enge getrieben wurde, so dass ihm keine andere Möglichkeit mehr blieb, als ins Ausland zu flüchten.“

„Wo er offenbar nie ankam!“, unterbrach Milo.

„Ja, weil ihn wohl einer seiner Feinde zuerst erwischte.“

„Sprechen wir über die Feinde, die Ihr Onkel damals hatte“, forderte ich. „Wenn Sie darüber etwas wissen, dann ist jetzt der Zeitpunkt, um es uns zu sagen.“

„Nur noch eins: Es konnte nie wirklich nachgewiesen werden, dass dieser Killer tatsächlich in Onkel Tonys Auftrag handelte, als er Lee Kim umbrachte!“

„Jedenfalls wird Tony Damiani deswegen jetzt wohl niemand mehr vor Gericht stellen“, wich ich aus.

„Es konnte noch nicht einmal schlüssig bewiesen werden, dass dieser Tom Buscella tatsächlich der Killer war, der Lee Kim ermordete! Ich habe mir die Akten damals wieder und wieder angesehen. Die materiellen Beweise waren höchst dürftig! Und wenn es dieses Geständnis nicht gegeben hätte, wäre vielleicht damals in eine andere Richtung ermittelt worden!“

Ich sah es als nicht besonders ergiebig an, mit Jack Gabrielli weiter darüber zu diskutieren, ob es nun tatsächlich einen Mordauftrag an Buscella gegeben hatte oder nicht.

Die Heftigkeit, mit der er seinen Onkel verteidigte, wunderte mich allerdings. Sie schien mir nicht ganz verhältnismäßig zu sein.

„Sie sprachen von den Feinden Ihres Onkels.“

„Wenn er damals ermordet wurde, kommt in erster Linie Jimmy Kim dafür in Frage. Ich meine, nach dem was die Cops für einen Zinnober veranstaltet hatten, musste der doch glauben, dass Onkel Tony tatsächlich für den Tod seines Vaters verantwortlich war! Außerdem konnte er sich so unter seinen eigenen Leuten Respekt verschaffen.“

„Andererseits hat Ihr Onkel doch wahrscheinlich alles getan, um nicht gefunden zu werden“, wandte ich ein. „Gab es Verräter unter seinen Leuten, die ihn vielleicht an Kim verraten haben?“

„Da kann man nie sicher sein, Agent Trevellian. Das wissen Sie doch auch...“

„Was ist mit seinem näheren Umkreis?“, fragte ich. „Seine Frau zum Beispiel...“

„Tante Ava? Wollen Sie diese herzensgute Frau wirklich des Mordes verdächtigen? Sie sind verrückt!“

„Eigentlich wüsste ich nur gerne, wo sie geblieben ist, Mister Gabrielli. Unseren bisherigen Informationen nach ist sie ihrem Mann ins Ausland gefolgt.“

Gabrielli nickte. Er ging zum Fenster, blickte hinaus und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann drehte er sich abrupt um. „Sehen Sie, ich hatte zu beiden ein sehr enges Verhältnis. Meine eigene Mutter starb bei einem Verkehrsunfall, als ich dreizehn war und Tante Ava war für mich zeitweise so etwas wie ein Ersatz.“

„Dann haben Sie Kontakt zu ihr gehalten?“, hakte ich nach.

Er machte eine ruckartige Bewegung. Sein Blick fixierte mich. „Nein, natürlich nicht. Genauso wenig wie zu Onkel Tony. Ich meine, bis vor kurzem ging ich ja davon aus, dass beide irgendwo ein glückliches Leben führen.“

„In Marokko.“

„Ich sehe, Sie sind gut informiert, Agent Trevellian.“ Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Sein Blick zeigte jetzt einen Ausdruck von Trauer. Eine Furche bildete sich mitten auf der Stirn. Er presste die Lippen zusammen. „Wenn ich gerade etwas unwirsch zu Ihnen war, dann liegt das daran, dass ich es im Grunde nicht wahrhaben will, dass diese beiden Menschen tot sind, die für mich so viel bedeutet haben.“

„Die Beiden?“, echote ich.

„Nachdem Onkel Tony eindeutig identifiziert wurde, muss ich doch jetzt annehmen, dass auch Tante Ava ihren Zufluchtsort in Marokko nie erreicht hat. Oder klingt das abwegig?“

„Leider nicht“, gab ich zu.

„Onkel Tony führte die Geschäfte unserer Familie in einer anderen Zeit und mit anderen Methoden“, gab er schließlich zu.

„Sie meine verbrecherische Methoden?“

„Sagen wir mit harten Bandagen. Wir haben damals auch deswegen ausgemacht, dass der Kontakt zwischen uns völlig abgebrochen wird, um die beiden zu schützen. Vor dem Zugriff der Justiz waren sie in Marokko sicher – aber nicht davor, dass jemand sie verfolgt, um eine alte Rechnung zu begleichen.“

„Womit wir wieder bei den Kims wären!“

„Richtig. Nehmen Sie Jimmy Kim und seine Sippe am besten sehr genau unter die Lupe. Allerdings...“

„Ja?“

„Mir fällt da noch eine andere Sache ein, da wir gerade von Onkel Tonys Feinde sprechen. Er war damals ja ziemlich in Bedrängnis und brauchte eine gefälschte Identität, um das Land verlassen zu können. Dies ist doch kein offizielles Verhör oder?“

„Es verlangt niemand von Ihnen, dass Sie sich selbst belasten“, erwiderte ich.

„Gut, was ich nun sage, werde ich vor keinem Gericht wiederholen und sofort abstreiten, wenn es diese vier Wände verlässt.“ Er trat auf mich zu, zögerte noch einen Augenblick und sagte dann: „Ich bin bislang nicht einmal vorbestraft und möchte, dass es so bleibt!“

„Reden Sie schon. Wir suchen einen Mörder.“

„Ich bekam den Auftrag, den besten Mann dafür zu engagieren. Außerdem musste es jemand sein, der keinen Kontakt zu den Kims hatte und da die ihre Finger in fast jedem Geschäft haben, war das schwierig. Ich sprach einen gewissen Mark Manetta an. Aber der wollte nicht für uns arbeiten. Die Sache war ihm zu heiß.“

„Was haben Sie getan?“

„Nichts weiter, als ein persönliches Treffen zwischen den beiden zu arrangieren. Ich war nicht dabei, aber anschließend war Manetta plötzlich sehr kooperativ.“

Ich hob die Augenbrauen. „Sie meinen, Tony Damiani hat diesen Manetta irgendwie unter Druck gesetzt?“

„Big Tony war der bestinformierteste Mann New Yorks, Agent Trevellian. Der hatte Quellen, von denen Sie nicht einmal etwas ahnen. Ich nehme also an, dass er etwas gefunden hat, mit dem er Manetta erpressen konnte. Was das war, weiß ich nicht. Aber es muss wichtig genug gewesen sein, um einem Mann zu helfen, der von der Justiz gejagt wurde und es wäre dann doch logisch, wenn er Onkel Tony aus dem Weg geräumt hätte, um zu verhindern, dass er selbst in den Fokus der Ermittlungen gerät.“

Ich wechselte einen kurzen Blick mit Milo.

Irgendetwas brannte ihm noch auf der Seele, das konnte ich ihm ansehen.

„Wo finden wir diesen Manetta?“, fragte ich an Gabrielli gerichtet.

„Das letzte, was ich von ihm gehört habe ist, dass er sein Geld in eine Diamantenmine in Südafrika investiert hat und auch dorthin gezogen ist. Aber das ist Jahre her.“ Er zuckte mit den Schultern. „Mehr kann ich leider nicht für Sie tun, aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich über den Fortgang Ihrer Ermittlungen auf dem Laufenden halten würden.“

„Das werden wir ganz sicher“, erwiderte ich.

„Eine Frage noch“, mischte sich Milo ein. „An Ihrer Hand sehe ich einen Ehering. Ist Ihre Frau zufällig gerade zu Hause?“

„Sie hat mit der Sache nichts zu tun.“

„Seit wann sind Sie verheiratet?“

„Seit zwölf Jahren.“

„Dann nehme ich an, dass Sie mit Tony und Ava Gabrielli auch bekannt waren, wenn Sie sich so nahe standen. Damit ist Ihre Frau eine Zeugin.“

Jack Gabriellis Gesicht veränderte sich. Es wurde dunkelrot. Offenbar hatte Milo einen Nerv getroffen.

„Wir leben seit einem Jahr getrennt. Ich kann Ihnen die New Yorker Adresse aufschreiben, aber Sie werden meine Frau dort kaum antreffen. Drei Viertel des Jahres verbringt sie an der Côte d’Azur in Europa und gibt dort das mein sauer verdientes Geld aus.“


16


Wir kehrten zur Federal Plaza zurück und trafen uns mit Max Carter, der inzwischen alles zusammengetragen hatte, was es über Brian Reddick und die Anwaltskanzlei herauszufinden gab, der er angehörte.

„Ich habe nach Verfahren gesucht, an denen diese Kanzlei in den letzten zehn Jahren beteiligt war“, berichtete Max. „Jedenfalls ist Reddick keiner dieser typischen Mafia-Anwälte. Die Strafverfahren, in denen er die Vertretung übernommen hat, hatten kaum Berührungspunkte mit der organisierten Kriminalität. Bis auf einen Fall.“

„Worum ging es da?“

„Vor drei Jahren wurde ein Clubbesitzer namens William Rothman des Drogenhandels angeklagt. Reddick war der Anwalt, der ihn rausgepaukt hat. Auf den ersten Blick gibt es da keine Verbindung, aber dieser Club hat noch einen Teilhaber namens Mickey Callaghan. Callaghan hält Beteiligungen an einer ganzen Reihe von Diskotheken, Clubs und Bars im Big Apple, und New Jersey und es ist ein offenes Geheimnis, dass er ein Strohmann von Jack Gabrielli ist!“

„Die Trauer um seinen Onkel schien mir von Anfang an etwas dick aufgetragen zu sein“, meinte Milo. „Gabrielli kam mir vor wie ein Schauspieler!“

„Nach allem was wir wissen, strotzte Gabrielli damals vor Ehrgeiz“, sagte Max. „Er war fünfunddreißig. In den besten Jahren also – und es wird ihn gewurmt haben, immer von Big Tony bevormundet zu werden, zumal man beiden auch unterschiedliche Vorstellungen von der zukünftigen Ausrichtung des Syndikats nachsagte!“

„Aber wenn Big Tony Damiano doch ohnehin gezwungen war das Land zu verlassen und die Leitung seiner Geschäfte der Nummer Zwei in der Organisation zu übertragen, dann bestand für Gabrielli doch gar kein Grund, seinen Onkel umzubringen!“, wandte ich ein. „Im Gegenteil, er konnte auf der Autorität von Big Tony aufbauen!“

„Vorausgesetzt Big Tony wollte ihn damals tatsächlich als Nachfolger“, meinte Milo. „Wissen wir, was hinter den Kulissen tatsächlich ablief?“

„Jedenfalls gibt es eine vage Verbindung zwischen Gabrielli und Buscella“, sagte Max. „Und ehrlich gesagt: An Zufälle glaube ich da nicht.“

„Wie gesagt, ich verteidige diesen Gabrielli ungern und ich hatte auch das Gefühl, dass er uns eine Show geboten hat – aber ich sehe kein Motiv bei ihm, um Damiani umzubringen. Es lief alles hervorragend für ihn... genau in seinem Sinn!“ Ich stockte.

„Dir geht doch irgendein Gedanke durch den Kopf, Jesse“, erwiderte Milo. Er grinste „Raus damit, damit wir ihn widerlegen können!“

„Vielleicht gibt die Sache so einen Sinn: In Ermangelung anderer Beweise hat die Justiz Damiani mit den Steuersachen zugesetzt. Aber das reichte vielleicht nicht, um den großen Tony aus dem Land zu treiben. Gabrielli wollte aber an die Spitze des Syndikats. Da hat er die Gelegenheit genutzt und diesen Killer zum Singen gebracht – womit auch immer. Danach musste Damiani mit lebenslang rechnen und hat die Flucht angetreten.“

„Das würde erklären, weshalb dieser Anwalt wie ein Schießhund aufpasste, dass Buscella nicht ein Wort zuviel äußerte!“, stimmte Max zu. „Könnte so gewesen sein, aber ich schlage vor, ihr überprüft erstmal, wie stark die Verbindung zwischen Gabrielli und Buscella wirklich ist.“ Max blickte auf die Uhr. „Die Clubs machen gerade auf.“

„Ja, aber vorher möchte ich noch alles über einen Passfälscher namens Mark Manetta wissen.“

Max ließ die Finger über die Computertastatur gleiten.

„Kein Problem, da gibt es über NYSIS jede Menge Einträge! Ach, das habe ich gerade noch vergessen zu erwähnen: Der Maverick ist auf einem Parkplatz in New Jersey gefunden worden. Sieht so aus, als hätte der Killer ihn zurückgelassen und wäre dort auf einen anderen Wagen umgestiegen.“

Ich lehnte mich zurück.

„Ein echter Profi! Der geht auf Nummer sicher!“, stellte ich fest.


17


Jimmy Kim hielt die Maschinenpistole vom Typ Uzi mit beiden Händen. Sein Gesicht wurde zu einer verzerrten Maske. Die Waffe knatterte los. Mündungsfeuer zuckte aus dem kurzen Lauf. Dutzende von kleinkalibrigen Projektilen fetzten innerhalb von Sekunden in Bauchhöhe durch grobes Leinen.

Jimmy Kim feuerte, bis kein Schuss mehr im Magazin war, dann senkte er die Waffe, riss das Magazin heraus und ersetzte es durch ein neues.

Die beiden Dobermänner saßen kerzengerade neben ihm. Die Tiere hatten nicht einmal gezuckt. Einer der beiden ließ jetzt ein leises Winseln hören.

„Nicht so unruhig!“, murmelte er.

Auf die Trefferfläche des mit zahlreichen Sandsäcken abgesicherten Schießraums, den er sich im Keller seiner Villa eingerichtet hatte, erschien ein anderes Bild. Es zeigte einen maskierten Angreifer mit einer Automatik in Lebensgröße.

Erst jetzt bemerkte Jimmy Kim, dass jemand den Raum betreten hatte.

Ein Mann von Anfang dreißig mit asiatischen Gesichtszügen, die den seinen sehr ähnlich waren. Das blauschwarze Haar verdeckte die Ohren.

„Ray!“, stieß er hervor.

„Ich habe davon gehört, was im Lake Tappan an die Oberfläche gekommen ist und gleich den ersten Flieger aus Europa genommen!“

„Du weißt, wie wichtig unsere Verbindungen dorthin sind!“

„Sicher.“

„Unser Geschäft muss expandieren, sonst gehen wir unter.“

„Wann hättest du mir davon erzählt, Vater?“, fragte Ray sehr eindringlich. Sein Blick versuchte Jimmy Kim zu fixieren.

Doch dieser wich ihm aus und versuchte den direkten Blickkontakt zu vermeiden.

„Ich wollte nicht, dass deine Verhandlungen in Europa dadurch belastet werden. Es hängt für uns viel davon ab.“

Jimmy Kim feuerte erneut seine Waffe ab. Er traf schlecht. Der Hauptteil der Kugeln ging in die Beine, aber die beiden Dobermänner blieben vollkommen regungslos sitzen. Wie Standbilder.

„Die ganze Geschichte von damals kommt jetzt wieder ans Tageslicht!“, sagte er, nachdem er auch das zweite Magazin leergefeuert hatte.

„Ich weiß, Vater.“


18


Unsere Kollegen Clive und Orry erreichten den Parkplatz an der Interstate 87 Richtung Paterson, New Jersey.

Die Erkennungsdienstler Sam Folder und Mel Horster waren bereits vor ihnen eingetroffen und unterhielten sich mit Lieutenant Melissa Pherson von der New Jersey Highway Patrol, die den Wagen entdeckt hatte.

„Clive Caravaggio, FBI, dies ist mein Kollege Orry Medina“, wandte sich der Italoamerikaner an die Beamtin der Highway Patrol. „Schön, dass Ihnen der Wagen so schnell aufgefallen ist!“

„Er war ja in der Fahndung“, sagte Lieutenant Pherson. „Und so viele Mavericks gibt es nun auch wieder nicht. Vorne am Kuhfänger sind Lackschäden und Blutspuren.“

„Ja, der Fahrer hat einen Fahrradkurier bei seiner Flucht brutal über den Haufen gefahren“, berichtete Orry.

„Ich schlage vor, wir sehen uns mal nach weiteren Reifenspuren um“, schlug Clive vor. „Wir vermuten nämlich, dass der Gesuchte hier auf einen anderen Wagen umgestiegen ist.“

Die relativ gut erhaltenen Reifenprofile mehrerer Fahrzeuge waren auf dem Parkplatz zu finden.

„Wir werden sie alle sichern müssen“, meinte Orry.

„Ja, und der Kerl dann noch mal zuschlägt und wir finden am Tatort ein Vergleichsprofil, werden wir wissen, welches das Richtige war“, knurrte Clive etwas missmutig.

„Der Kerl ist ein Profi. Wir werden nicht damit rechnen können, dass er viele Fehler macht!“

Clive wandte sich an Lieutenant Pherson. „Können Sie irgendetwas dazu sagen, wie lange dieses Fahrzeug hier schon steht?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, Sir. Im Moment ist unsere Personalsituation sehr angespannt, sodass wir die Abstände zwischen den Patrouillenfahrten vergrößern mussten.“

Sam und Mell nahmen den Wagen sehr gründlich unter die Lupe. Sie fanden ein paar Haare, aus denen sich vielleicht genug DNA gewinnen ließ, um einen Test durchzuführen.

„Wenn wir Glück haben, war der Kerl mal wegen irgendeiner Gewalttat verurteilt.“

„Ja, aber das müsste dann schon sehr lange her sein, denn der Killer, mit dem wir es tun haben, ist äußerst geschickt“, sagte Clive. „Er muss viel Erfahrung haben.“

„Die DNA-Reste könnten auch von den rechtmäßigen Besitzern des Wagens kommen“, gab Orry zu bedenken. „Das müssen wir erst abgleichen.“

Schließlich kam ein Autotransporter, mit dem der Wagen nach New York zu den Labors der SRD gebracht werden sollte.

Mell und Sam hatten ihre Untersuchungen inzwischen fürs Erste abgeschlossen.

„Wir haben eine Substanz gefunden, die sich unter den Schuhen festgesetzt haben muss“, stellte Mell fest. „Keine Ahnung, was das ist, aber ich bin überzeugt davon, dass wir es herausfinden können.“

„Dann wissen wir über den Kerl jetzt, dass er gut 1,90 m groß ist und irgendwann in jüngerer Zeit mal in den Dreck getreten ist“, konnte sich Orry eine sarkastische Bemerkung nicht verkneifen. „Viel ist das noch nicht!“

„Er war außerdem Country-Fan!“, verkündete Mell.

Die anderen sahen ihn erstaunt an. „Wie kommst du darauf?“

„Auf dem Sender, den er eingestellt hatte, läuft von morgens bis abends Country-Musik“, erklärte Mell. Er grinste. „Ich weiß das, weil ich ihn selbst gerne höre.“


19


Milo und ich fuhren am Abend in die Avenue B. Den Bereich um die Avenues A, B, C und D nennt man folgerichtig auch Alphabet City. In den letzten Jahren ist dieses Gebiet zu einer Art New Yorker Vergnügungsmeile geworden. Hier konzentrierten sich die Clubs und Diskotheken. Die meisten Neueröffnungen waren hier zu verzeichnen.

Das Butterfly war allerdings ein Club, der schon seit zwanzig Jahren existierte, auch wenn er zwischenzeitlich den Namen gewechselt hatte und die Innenausstattung alle drei Jahre einer Radikalkur unterzogen wurde.

Nachdem wir den Türstehern unsere Dienstausweise gezeigt hatten, wurden wir eingelassen. Innen herrschte flackerndes Laserlicht. Auf den Tanzflächen war um diese Uhrzeit noch nicht allzu viel los. Wir gingen an die Bar und erkundigten uns nach Mickey Callaghan.

Der Barkeeper verschwand für kurze Zeit durch eine Nebeneingang. Er kehrte in Begleitung eines breitschultrigen Mannes zurück, der ein graues Hemd mit weißen Streifen trug.

„Vielleicht kann ich Ihnen weiterhelfen. Mein Name ist William Rothman, ich führe den Laden hier!“

„Wir suchen Mister Callaghan.“

„Was möchten Sie von ihm?“

„Das würden wir ihm schon gerne selbst sagen, Mister Rothman.“

„Der Laden hier ist in Ordnung und...“

„Ihr Club interessiert uns nicht, wir wollen nur zu Callaghan, der ja wohl als stiller Teilhaber fungiert“, sagte Milo.

„Na gut, dann folgen Sie mir.“

Er führte uns durch einen engen Korridor. Am Ende befand sich die Tür zum Büro. Rothman ging ohne anzuklopfen hinein. Hinter dem Schreibtisch saß ein ziemlich beleibter Mann mit einem Glas Champagner in der Hand.

„Mister Mickey Callaghan?“, fragte ich. Und hielt ihm meinen Ausweis entgegen. „Jesse Trevellian, FBI. Wir haben ein paar Fragen an Sie...“

„Worum geht es?“

„Wie ich sehe, gibt es was zu feiern!“ Ich deutete auf das Champagnerglas.

„Die Bilanz des letzten Geschäftsjahres rechtfertigt den Champagner“, antwortete Callaghan. „Was wollen Sie von mir?“

„Ihr Partner wurde durch einen Anwalt namens Brian Reddick vor Gericht vertreten, ist das richtig?“, fragte ich.

Rothman hob abwehrend die Hände. „Die Anklage wurde niedergeschlagen, ich hatte in allen Punkten die Jury auf meiner Seite und wenn Sie jetzt damit ankommen wollen, mir denselben Sermon noch einmal zu servieren, dann...“

„Beruhigen Sie sich, Mister Rothman, das ist nicht unsere Absicht. Es geht hier genau genommen nicht um Sie, sondern um Ihren Anwalt.“

„Ich hatte noch nie von ihm gehört, aber mein Partner hat ihn mir empfohlen – und ich kann Ihnen sagen, Reddick war sein Geld wert“, sagte Rothman. Er schien keine Ahnung zu haben, was hier gespielt wurde. Vielleicht wusste er noch nicht einmal darüber Bescheid, dass hinter seinem Teilhaber jemand wie Jack Gabrielli steckte. Andernfalls hätte er sich wohl kaum so unbekümmert geäußert.

Mickey Callaghans Blick sprach Bände.

„Hör zu, ich möchte das gerne mit den Gentlemen unter sechs Augen regeln“, sagte er.

„Hey Mickey, wenn es den Club betrifft, dann betrifft es auch mich.“

„Mach dir keine Sorgen. Die Sache hat nichts mit dir zu tun.“

Rothman atmete tief durch. Er musterte erst uns der Reihe nach und anschließend noch einmal seinen Geschäftspartner. Dann verließ er schließlich doch den Raum.

Ich wartete bis die Tür ins Schloss gefallen war.

„Ihr Partner soll nicht erfahren, dass Sie der Strohmann von Jack Gabrielli sind, nicht wahr?“

„Das würde uns beide – Gabrielli und mich in Schwierigkeiten bringen.“

„Dann helfen Sie uns einfach weiter und wir sparen uns diese Schwierigkeiten.“

„Was wollen Sie wissen?“

„Alles über Reddick.“

„Da gibt es nicht viel zu sagen. Als mein Partner vor einiger Zeit in Schwierigkeiten war, habe ich Mister Gabrielli nach einem Anwalt gefragt. Einem scharfen Hund natürlich. Mister Gabrielli meinte, er hätte da jemanden, den er immer dann einsetzt, wenn keine Spur direkt zu ihm führen soll und empfahl mir Reddick und seine Kanzlei.“

„So ähnlich haben wir uns das schon gedacht“, nickte Milo.

Mickey Callaghan hob die Augenbrauen. „Irgendwie muss ich den springenden Punkt wohl verpasst haben, oder?“

„Das glaube ich kaum“, erwiderte ich. „Gegenwärtig vertritt dieser Reddick einen ehemaligen Profi-Killer namens Tom Buscella. Der hätte aber gar nicht die Mittel dazu, ihn zu bezahlen.“

„Dann scheint Mister Reddick noch eine großzügige Seite zu besitzen, die er bisher zumindest vor mir erfolgreich verbergen konnte“, erwiderte Callaghan. „Von meinem Partner hat er nämlich ein saftiges Honorar genommen. Allerdings muss ich zugeben, dass er jeden Cent davon wert war. Ich hatte schon befürchtet, meinen Partner die Geschäftsberichte in Zukunft nach Rikers Island nachsenden zu dürfen...“

„Angenommen, wir würden einen Richter dazu überreden können, Ihre Bücher zu überprüfen, weil wir Hinweise darauf hätten, dass Sie Mister Buscellas Anwalt bezahlen ...“

„Das wäre nicht verboten!“

„Dann käme unweigerlich die Frage auf den Tisch, weshalb Sie das für Buscella übernehmen. Die Verbindung zu Mister Gabrielli ließe sich nicht mehr unter der Decke halten!“

Mickey Callaghan schluckte. „Was schlagen Sie vor?“

„Sagen Sie einfach, wie es gewesen ist und wir sparen uns viel Zeit und Sie viel Ärger.“

Er zögerte noch einen Moment, biss sich auf die Lippe und nickte. „Ich komme aus der Sache wohl nicht mit heiler Haut raus und Sie würden es ja wohl ohnehin erfahren...“

„Richtig.“

„Mister Gabrielli bat mich, an Reddick regelmäßig eine bestimmte Summe zu überweisen. Natürlich bekomme ich die von ihm zurück.“

„Haben Sie eine Ahnung, weshalb Mister Gabrielli den Mann unterstützt, der seinen Onkel beinahe ins Gefängnis gebracht hätte?“

„Ich habe keine Ahnung. Und ehrlich gesagt, sollten Sie das nicht mich fragen. Im Übrigen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie Mister Gabrielli gegenüber nicht erwähnen würden, dass Sie Ihre Informationen von mir haben. Er kann ziemlich unangenehm werden und ich möchte gerne gesund bleiben...“

„Von dieser Seite hat sich Mister Gabrielli uns gegenüber noch nicht präsentiert“, sagte Milo.

Mickey Callaghan hob die Hände. „Ich werde nichts von dem, was hier gesagt wurde, irgendwo wiederholen. Weder vor dem Staatsanwalt noch vor einer Jury.“

„Das brauchen Sie auch nicht“, erwiderte ich und er sah mich überrascht an. „Ich schlage vor, Sie rufen einfach Mister Gabrielli an, sagen ihm, dass wir bei ihnen waren und bereits alles wussten. Dann sind Sie aus dem Schneider.“

„Und Sie können in aller Ruhe Mister Gabriellis Reaktion abwarten...“

„Genau.“


20


Jack Gabriellis Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Wir trafen ihn am nächsten Morgen im Büro unseres Chefs an. Außerdem waren noch Brian Reddick und der Bezirksstaatsanwalt Robert Thornton anwesend.

Anscheinend hatte Gabrielli einige Hebel in Bewegung gesetzt.

Mr McKee bat uns dazu.

„Ihnen ist klar, dass Mister Reddick Sie nicht offiziell vertreten kann“, erklärte Robert Thornton. „Schließlich ist Tom Buscella sein Mandant und es ist nicht auszuschließen, dass es da Interessenkonflikte gibt, die...“

„Ich brauche hier und jetzt keine anwaltliche Vertretung“, unterbrach Gabrielli den Staatsanwalt. „Mister Reddick ist lediglich hier, um zu bezeugen, was ich Ihnen gegenüber klarstellen möchte. Er ist nicht mein Rechtsvertreter.“ Er wandte sich an Milo und mich. „Ich hatte Ihnen beiden vertraut und einen Moment lang gedacht, dass es ihnen tatsächlich darum geht, den Tod meines Onkels aufzuklären. Aber da habe ich mich wohl getäuscht.“

„Sie hatten uns nicht die volle Wahrheit gesagt“, entgegnete ich.

„Ich habe Ihnen ein paar unwesentliche Details vorenthalten und dafür gab es Gründe. Aber Sie haben das zum Anlass genommen, unserer Familie etwas anzuhängen.“

„Ich finde nicht, dass es ein unwesentliches Detail ist, dass sie den Mann anwaltlich unterstützen, der ihren Onkel in den Knast bringen wollte.“

„Wie gesagt, dafür gibt es eine Erklärung.“

„Vielleicht die, dass Sie Ihren Onkeln mit Buscellas Hilfe aus dem Geschäft drängen wollten! Die Steuersachen allein hätten dazu nicht ausgereicht und das Verfahren wegen Geldwäsche hätte sich jahrelang hinziehen können. Vielleicht hätte Ihr Onkel das Urteil gar nicht mehr erlebt. Aber Buscellas Auftritt hat alles verändert...“

„Das ist eine böswillige Unterstellung, Agent Trevellian und ich werde prüfen lassen, in wie fern sich juristisch dagegen vorgehen lässt, dass Sie derartige Behauptungen verbreiten.“

„Gentlemen!“, schritt nun Mr McKee ein und wandte sich seinerseits an Gabrielli. „Nach Lage der Dinge hatte Agent Trevellian allen Grund, anzunehmen, dass Sie vielleicht mehr mit dem Verschwinden und dem Tod Ihres Onkels zu tun hatten, als Sie zugeben wollten. Wenn Sie Ihr Engagement für Tom Buscella anders erklären könne, dann tun Sie das jetzt bitte!“

Gabrielli atmete tief durch.

Er nippte an dem Kaffee, den Mandy, die Sekretärin unseres Chefs ihm serviert hatte. „Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass Buscellas Geständnis in Bezug auf den Mord an Lee Kim falsch war. Mein Onkel musste untertauchen und bis vor kurzem ging ich davon aus, dass er in Marokko mit seiner Frau Ava ein glückliches Leben führt. Jetzt muss ich annehmen, dass beide tot sind. Ich wollte, dass Buscella seine Aussage zurücknimmt. Mir gegenüber hat er das auch getan, auch wenn er das niemals zugeben würde. Unser Deal war, dass er das auch gegenüber der Staatsanwaltschaft so tut, sobald Mister Reddick für ihn eine Revision in seinem Hauptverfahren erreicht.“

„Das war doch von vorn herein aussichtslos“, glaubte Mr McKee.

„Nein, es gab da unseres Erachtens ein paar gravierende Verfahrensfehler auf Seiten der Staatsanwaltschaft, was zur Nicht-Zulassung eines Großteils der Beweismittel geführt hätte“, korrigierte ihn Reddick. „Leider konnte die Grand Jury unserer Auffassung nicht folgen, aber die Sache läuft noch.“

„Ich wollte meinen Onkel rehabilitieren. Und das will ich auch jetzt noch, da er tot ist“, erklärte Gabrielli. „Er ist noch nicht einmal rechtskräftig verurteilt worden und gilt trotzdem überall als jemand, der einen Mord in Auftrag gegeben hat.“

„Einen, den man ihm vor Gericht hätte nachweisen können“, wandte Thornton ein. „Es dürfte sehr viel mehr Fälle geben...“

„Das ist eine Unterstellung“, erwiderte Gabrielli kühl. Er erhob sich. „Meine Erklärung haben Sie. Sie bekommen das ganze auch noch schriftlich und Mister Reddick wird bezeugen, dass es so war, wie ich gesagt habe.“

„Jedes Wort“, warf Reddick ein.

Gabrielli hob das Kinn. „Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte!“


21


„Den haben Sie ganz schön aufgeschreckt“, stellte Mr McKee fest, nachdem außer Milo und mir alle anderen Teilnehmer des Gesprächs gegangen waren.

„Ich glaube ihm kein Wort“, sagte ich.

„Bleiben Sie an ihm dran. Aber vielleicht agieren Sie in Zukunft etwas unauffälliger, denn Mister Gabrielli wird jetzt mit Argusaugen unsere nächsten Schritte beobachten.“

„Ja, Sir.“

„Clive und Orry haben übrigens die Spedition ausfindig gemacht, die Sonny D’Andreas Sachen abgeholt hat. Der Ex-Polizist gegenüber hat wirklich hervorragende Observationsarbeit geleistet.“

„Gibt es schon Ergebnisse?“, fragte Milo.

„Nein. Die Sachen werden gerade ins Labor geschafft. Und dann habe ich noch etwas für Sie.“

Ich hob die Augenbrauen. Mr McKee trat an seinen Schreibtisch und holte ein paar zusammengeheftete Computerausdrucke. Mit einer Büroklammer war ein Zettel mit einer Adresse befestigt.

„Das ist die Adresse eines gewissen Mark Manetta“, sagte Mr McKee. „Er war der Mann, der Tony Damiani falsche Papiere besorgen sollte.“

„Richtig“, nickte ich. „Aber bisher sind wir davon ausgegangen, dass Manetta nach Südafrika gezogen ist.“

„Nach Max' Ermittlungen kehrte er vor einem Jahr zurück“, erläuterte Mr McKee, der Max' Dossier offenbar gelesen hatte. „Seine Diamantengeschäfte waren wohl ziemlich ruinös. Ich soll Sie übrigens von Max grüßen. Er ist heute beim Zahnarzt und konnte dieses Material gerade noch rechtzeitig zusammenstellen.“


22


Manettas neue Adresse lag in Yonkers. Er wohnte im vierten Stock eines Brownstone-Hauses in der Donovan Street. Im Erdgeschoss waren kleine Geschäfte, ein Coffee Shop und eine Bar. Wir stellen den Sportwagen am Straßenrand ab. Zu den Wohnungen gelangte man über einen schmalen Weg, der in einen Hinterhof mündete.

Einige überquellende Müllcontainer waren hier zu finden. Außerdem ein Haufen mit Autoreifen.

„Nicht gerade die beste Gegend“, meinte Milo.

Wir betraten das Haus, in dem Manetta wohnte. Die Tür stand offen. Die Wände im Flur waren mit Graffiti besprüht. Am Aufzug war ein Schild befestigt worden, das auf einen Defekt hinwies.

Wir gelangten über das Treppenhaus in den dritten Stock. Ein paar Jugendliche kamen uns entgegen und sahen uns an wie exotische Tiere. Sie trugen Lederjacken mit der Aufschrift South Yonkers Angels, die in Aufmachung und Stil wohl an die Hell’s Angels erinnern sollten. Eine süßliche Duftmischung aus Marihuana und Alkohol umgab sie.

Schließlich standen wir vor Manettas Tür.

Es gab kein Türschild und die Klingel funktionierte nicht.

Ich klopfte.

„Mister Manetta, hier spricht Agent Trevellian, FBI. Machen Sie bitte die Tür auf!“

Es erfolgte keinerlei Reaktion.

„Mister Manetta scheint nicht zu Hause zu sein“, sagte ich.

Am Ende des Ganges öffnete sich eine Tür.

Eine junge Frau um die Dreißig trat hervor. Sie trug ein Baby auf dem Arm. Ihr Teint war dunkelbraun. Das blauschwarze Haar fiel ihr beinahe bis zum Gesäß.

„Que quisiera?“, fragte sie.

„Jesse Trevellian, FBI. Kennen Sie Mister Mark Manetta?“

„No comprendo, Señor!“

Aus dem Inneren von Manettas Wohnung war jetzt ein Geräusch zu hören.

„Mister Manetta?“, fragte Milo.

Ich trat die Tür auf. Sie flog zur Seite. Mit der Dienstwaffe in der Hand stürmte ich voran.

Die Wohnung war recht geräumig für einen allein stehenden Mann. Aber das es sich um die vier Wände eines Alkoholikers handelte, war schon im Flur nicht zu übersehen. Überall standen Flaschen herum.

Auf dem Fußboden, auf den Kommoden und in mehreren Tüten neben der Garderobe.

Ich ließ die Tür zum Wohnzimmer zur Seite fliegen. Mit der Waffe in der Hand stürzte ich in den Raum. „FBI!“

Der Inhalt mehrerer Koffer lag durchwühlt auf dem Boden. Die Polster waren aufgeschlitzt.

Ein sehr dünner Mann in dunkler Lederjacke und Jeans riss eine Waffe hervor.

Ein zweiter kletterte bereits über die Balkonbrüstung und versuchte wohl über die rostige Feuertreppe zu flüchten.

Der erste Schuss meines Gegenübers ging dicht an mir vorbei und verfehlte mich nur um Haaresbreite. Die Kugel fetzte in den Türrahmen und riss ein daumengroßes Stück Holz heraus.

Ich feuerte einen Sekundenbruchteil später und erwischte den Kerl an der Schulter.

„Waffe weg!“, rief ich.

Er taumelte zu Boden.

Seine Hände umklammerten den 22er in seiner Rechten. Er blickte in die Mündung meiner Dienstwaffe. Er zögerte einen Moment, dann ließ er die Pistole los. Ich trat auf ihn zu und kickte die Waffe zur Seite, sodass sie unerreichbar für ihn war.

Der Kerl auf dem Balkon war inzwischen verschwunden.

Milo spurtete an mir vorbei und nahm die Verfolgung auf. Innerhalb von wenigen Sekunden war er auf dem Balkon. Mit der Waffe zielte er über die Brüstung, während der Flüchtige auf dem ersten Absatz der Feuertreppe stehen blieb. Er hielt eine Waffe in der Hand. Es handelte sich um eine Beretta.

„Seien Sie vernünftig und zwingen Sie mich nicht zur Notwehr!“, rief Milo.

Einen Augenblick lang war der Kerl unschlüssig darüber, was er tun sollte. Er stand wie erstarrt da. Jeder Muskel und jede Sehne seines Körpers waren gespannt.

Der zweite Mann war schätzungsweise Anfang dreißig. Er trug einen dünnen Oberlippenbart und ließ sich außerdem noch eine exakt ausrasierte Haarinsel am Kinn stehen, sodass er Ähnlichkeiten mit den Darstellern in Piratenfilmen hatte.

„Okay, nicht schießen!“, sagte er.

„Lassen Sie zuerst Ihre Waffe fallen. Und dann kommen Sie ganz langsam wieder rauf.“


23


Wir riefen die Kollegen des Yonkers Police Department und den Emergency Service. Innerhalb weniger Minuten standen mehrere Einsatzfahrzeuge vor dem Haus.

Die beiden Männer hießen James Garcia und Miles Dalglish. Eine erste Überprüfung über NYSIS ergab, dass beide bereits wegen mehrerer Einbrüche, Körperverletzung und Drogenbesitzes vorbestraft waren.

Dalglish war auf Grund der Schussverletzung nicht vernehmungsfähig und wurde auf schnellstem Weg in die nächste Klinik gebracht – allerdings unter Bewachung durch Beamte des Yonkers Police Department.

James Garcia verweigerte zunächst hartnäckig jede Aussage.

Ich versuchte ihm klarzumachen, dass es angesichts der Beweislage am besten für ihn war, zu kooperieren. „Sie sind hier auf frischer Tat ertappt worden. Da werden Sie keine Jury der Welt von einem Freispruch überzeugen können. Also nutzen Sie Ihre Chance, sonst wird Ihr Partner das tun.“

James Garcia druckste noch etwas herum.

Wir hatten ihm Handschellen angelegt. Er ballte die Hände zu Fäusten und ließ sich in einen der Sessel sinken.

„Okay, ich packe aus“, sagte er.

„Wir hören Ihnen gerne zu“, sagte ich.

„Der Typ, der hier wohnt, hat irgendeinen italienisch klingenden Namen.“

„Mark Manetta.“

„Genau! Das ist ein notorischer Säufer. Der hat seine Tage in den Bars in der Gegend verbracht. Morgens um zehn war er oft im Drugstore und hat sich mit Whisky eingedeckt. Man konnte ihn zehn Meter gegen den Wind riechen und ich wüsste nicht, das ich ihm mal nüchtern begegnet bin.“

Nach der Adresse in Garcias Führerschein wohnte er nur ein paar Blocks entfernt. Der verletzte Dalglish ebenfalls.

„Wieso haben Sie sich Mister Manettas Wohnung ausgesucht?“, fragte Milo. „Soweit wie wir wissen, war er finanziell ruiniert und dürfte auch kaum über irgendwelche Wertgegenstände verfügt haben!“

James Garcia lachte. „Da irren Sie sich! Er hat vor kurzem das große Los gezogen. Jedenfalls haben wir einen Tipp bekommen, sonst hätten wir uns mit seiner Wohnung gar nicht erst abgegeben.“

„Wer hat Ihnen den Tipp gegeben?“, fragte ich.

Er verzog das Gesicht.

„Sie denken jetzt nicht im Ernst, dass ich Ihnen das sage, oder? Was glauben Sie, was ich dann für Ärger bekommen kann!“

„Was glauben Sie, welchen Ärger Sie bekommen, wenn Sie es nichts sagen“, erwiderte ich kühl.

Er schluckte und brauchte ein paar Augenblicke, um sich zu entscheiden. „Okay, es war Donald Clay, ein Stockwerk höher. Er hat mir den Tipp gegeben. Die beiden sind oft zusammen auf Sauftour gewesen. Clay meinte, Manetta würde plötzlich mit dem Geld nur so um sich werfen, obwohl er vorher arm wie eine Kirchenmaus war. Er hat angenommen, dass etwas davon in der Wohnung ist. Leider Fehlanzeige.“

„Haben Sie eine Ahnung, wo sich Manetta jetzt befindet?“

„Sie werden wohl sämtliche Bars in Yonkers absuchen müssen! Am besten, Sie fragen Clay, der kannte seine Gewohnheiten.“


24


Wenig später standen wir vor Donald Clays Wohnung, ein Stockwerk höher. Lieutenant Dan Terrence vom Yonkers Police Department begleitete uns. Er leitete den Verstärkungseinsatz, den wir angefordert hatten.

Clay war ein kleiner, unscheinbarer Mann mit aschblondem, schütterem Haar. Ich schätze ihn auf Mitte vierzig.

Milo hielt ihm die ID-Card des FBI unter die Nase.

„Agent Milo Tucker, FBI. Dies ist mein Kollege Jesse Trevellian. Sie werden der Mittäterschaft an einem Einbruch verdächtigt, der gerade ein Stockwerk tiefer stattgefunden hat.“

Er sah uns der Reihe nach mit großen Augen und offenem Mund an. Er war fassungslos und hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass er so schnell mit der Polizei zu tun haben würde.

„Ich verstehe nicht ganz...“

Wir traten ein. Donald Clay wich zurück.

Lieutenant Dan Terrence las ihm seine Rechte vor.

„Wir haben eine sehr glaubwürdige Aussage eines der Täter, dass sie den Tipp gegeben haben, dass sich in Mister Manettas Wohnung eine größere Summe Bargeld befände“, stelle Milo fest. „Wir suchen Mister Manetta dringend als Zeugen in einem anderen Fall. Wenn Sie also mit uns kooperieren wollen, sollten Sie das jetzt tun, denn wenn wir Mister Manetta erst gefunden haben, brauchen wir Ihre Hilfe nicht mehr – und somit kann sie sich auch nicht mehr positiv auf das Verfahren auswirken, das Sie erwartet.“

„Ich will einen Anwalt“, sagte er.

„Ich glaube, Sie verschwenden hier Ihre Zeit“, sagte Lieutenant Terrence.

Ich nickte. „Das sehe ich auch so. Wir finden Manetta auch so...“

Milo und ich drehten uns in Richtung der Tür, während Terrence die Handschellen klicken ließ.

„Warten Sie!“, rief Donald Clay.

Wir drehten uns zu ihm um.

Ich hob die Augenbrauen. „Ja, bitte?“

„Okay, ich gebe es zu! Ich habe den Jungs den Tipp gegeben.“

„Woher wussten Sie von dem Geld von Mister Manetta?“

„Er hat es mir selbst gesagt. Mark und ich haben viel zusammen getrunken. Und das lockert die Zunge, wenn Sie wissen, was ich meine. Er war für ein paar Jahre in Südafrika, hatte aber Pech mit seinem Diamantengeschäft. Aber seit kurzem hatte er keine Geldsorgen mehr.“

„Warum sind Sie davon ausgegangen, dass es in der Wohnung zu finden ist?“, hakte ich nach.

„Weil Mark nichts von Banken hielt. Ich glaube, er hatte hohe Schulden und ein Bankguthaben wäre sofort gepfändet worden.“

„Woher hatte er das Geld von dem Sie sprachen?“

„Keine Ahnung. Ich weiß nur seit wann. Er hat nämlich seine Schulden bei mir bezahlt. Das war gestern am späten Nachmittag. Gegen Mittag war er von einer Strech-Limousine nach Hause gebracht worden. So ein Ding fällt hier ziemlich auf, wie Sie ich denken können!“

„Allerdings!“

„Den Tag vorher war er wie vom Erdboden verschluckt. Keine Ahnung, wo er gesteckt hat und er wollte mit mir darüber auch nicht reden.“

„Erinnern Sie sich noch an irgendwelche Einzelheiten, was die Limousine angeht?“, fragte Milo.

„Der Fahrer sah asiatisch aus. Er machte Mark die Tür auf, als wäre er die Queen oder ein Präsident... Ich habe es aus meinem Fenster gesehen...“

„Sonst noch etwas?“

„Ja, auf dem Nummernschild stand die Buchstabenkombination KIM. Das ist mir aufgefallen. Am Abend haben wir einen draufgemacht – diesmal auf seine Kosten.“

„Und am nächsten Tag haben Sie nichts Besseres zu tun, als ein paar Typen Bescheid zu sagen, die seine Wohnung ausrauben“, stellte ich fest. „Solche Freunde wünscht man sich...“

„Hey Mann, es muss jeder sehen, wo er bleibt!“

„Noch eine Frage, Mister Clay“, sagte ich. „Wo könnte Manetta jetzt sein?“

Clay schluckte. „Die größten Chancen haben Sie in Catherine’s Bar, zwei Blocks weiter. Es gibt da ein paar Billard-Tische. Mark war ein leidenschaftlicher, aber sehr schlechter Spieler.“


25


Eine Viertelstunde später betraten Milo und ich Catherine’s Bar, zwei Blocks weiter. Das Licht war gedämpft, die Musik auch. Es gab ein paar Billard-Tische, wie Clay uns gesagt hatte. Aber nur an einem davon wurde im Moment gespielt – und keiner der Männer, die da die Kugeln über den grünen Filz rasen ließen, war Mark Manetta.

Wir legten dem Barkeeper ein Foto von ihm vor.

Es stammte aus Max' Dossier. Es war zwar schon ein paar Jahre alt, aber ich war überzeugt, dass man ihn wiedererkennen konnte.

„Wir suchen diesen Mann – Mister Mark Manetta“, sagte Milo dazu. Der Barkeeper runzelte die Stirn, sah erst auf das Foto, dann auf den Dienstausweis, den ich ihm auf den Tresen gelegt hatte.

„Ja, der war heute schon hier. Da steht sogar noch sein Glas... Ihm war übel. Wahrscheinlich kommt er gleich wieder.“

„Wo sind die Toiletten?“

Der Barkeeper streckte die Hand aus und deutete auf eine Tür auf der anderen Seite des Raumes. „Immer dem Gang nach und dann links.“

„Danke.“

Milo und ich durchquerten den Raum und passierten die Tür, auf die der Barkeeper gedeutet hatte. Der anschließende Korridor war kahl und wurde durch zwei grelle Neonröhren beleuchtet. Wir erreichten die Waschräume.

Mark Manetta lag regungslos auf dem Boden. Eine Blutlache ergoss sich über die Fliesen und folgte den Fugen.

Mitten auf seiner Stirn war ein Einschussloch.

„Wir kommen zu spät“, murmelte ich grimmig. Unwillkürlich ballte ich die Fäuste, während Milo zum Hörer griff, um die Kollegen der SRD zu rufen.


26


Jimmy Kim ging quer durch den Dachgarten. Er gehörte zu dem französischen Nobelrestaurant Chez Jules im New Yorker Stadtteil Chelsea. Seine Dobermänner folgten dem koreanischstämmigen Syndikatsboss auf dem Fuß. Davon abgesehen wurde er von zwei dunkel gekleideten Leibwächtern begleitet. Die Waffen drückten sich unter den eng anliegenden Jacketts der Männer deutlich ab.

Nur ein Tisch im Chez Jules war im Moment belegt.

Dort saß ein Mann im karierten Jackett, Anfang fünfzig mit aschblondem, schütterem Haar.

„Mister Camerone?“ Jimmy Kim deutete eine Verbeugung an.

Der Mann im karierten Jackett wirkte etwas eingeschüchtert.

„Hey, es war abgemacht, dass wir uns unter vier Augen treffen! Ich habe den ganzen Dachgarten vom Chez Jules gemietet, damit wir nicht gestört werden! Und sie kommen hier mit Ihrem gesamten Hofstaat an!“

Camerone erhob sich.

„Setzen Sie sich“, sagte Jimmy Kim ruhig, aber sehr bestimmt. Es war ein Befehl, daran gab es keinen Zweifel. Die Dobermänner, die sich nebeneinander auf den Boden gesetzt hatten, knurrten leise.

Jimmy Kim sagte ein paar Worte auf Koreanisch. Die Hunde wurden daraufhin ruhig. Er tätschelte einem von ihnen den Nacken. „Das sind sehr teure Tiere – und vor allem reinlich. Ich mag es nicht, wenn Hunde mit haarigen Fellen überall Fusseln hinterlassen.“ Er schnipste mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand und wandte sich an seine Leibwächter. „Lasst uns allein.“

„Sind Sie sicher, Boss?“

„Mister Camerone ist ein Ehrenmann und ich denke, er mag Hunde genauso gern wie ich.“

Die beiden Leibwächter zogen ab.

Jimmy Kim setzte sich.

Die Dobermänner verharrten fast regungslos an ihren Positionen.

„Hören Sie, ehrlich gesagt, bin ich von der Aussicht nicht so begeistert, dass diese Raubtiere mir beim Essen zusehen!“

„Sie haben Glück, Mister Camerone. Die beiden verstehen nur Koreanisch, sonst hätten sie Ihre Worte vielleicht als Beleidigung aufgefasst.“

Camerone beugte sich nach vorn. Sein Gesicht wirkte angestrengt.

„Was wollen Sie von mir, Mister Kim? Ich bin lange aus dem Geschäft und genieße mein Geld – und die alten Zeiten der Feindschaft sind lange vorbei. Zumindest zwischen uns persönlich. Ich will da nicht für meine gesamte Verwandtschaft sprechen. Da kann ich auch nicht.“

„Sie haben gut reden, Mister Camerone.“

„So?“

„Ihr Vater wurde damals auch nicht ermordet.“

„Was wollen Sie denn? Die Sache ist doch aufgeklärt, wenn ich mich richtig erinnere! Der Killer hat gestanden und seid Big Tonys Knochen von diesen Archäologen aus dem Sumpf geholt wurden... ah, jetzt verstehe ich.“

„Das glaube ich kaum, Mister Camerone.“

„Sie haben Angst, dass die Cops Sie ins Visier nehmen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Liegt ja auch nahe. Der Sohn rächt den Vater... und soweit ich weiß, standen Sie sich ja auch sehr nahe.“

„Sie missverstehen mich.“

Camerone machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ihre Anwälte wehren das mit links ab, sollte da etwas kommen und bei Ihren eigenen Leuten erhöht es höchstens den Respekt, den Sie genießen, glauben Sie mir, das ist immer so! Ich weiß, wovon ich da rede...“

Jimmy Kim unterbrach den Redefluss seines Gesprächspartners.

„Mister Camerone, ich hatte ein sehr interessantes Gespräch mit Mark Manetta, dabei erhielt ich Informationen, über die ich jetzt gerne mit Ihnen reden würde.“

Camerone wurde blass.

Einer der Dobermänner knurrte ganz leise, blieb aber regungslos.

Auf einen Blick von Kim hin verstummte er.

„Wussten Sie, dass Dobermänner gefährlich werden können, wenn man sie nicht richtig unter Kontrolle hat?“, fragte Kim. „Ich scheine bei der Erziehung wohl ein paar Fehler gemacht zu haben...“

„Soll das eine Drohung sein?“

„Fassen Sie es auf, wie Sie wollen!“

„Dann betrachte ich dieses Gespräch als beendet. Ich hatte mich unter anderen Voraussetzungen mit Ihnen getroffen.“

Die Hunde knurrten.

Ein roter Punkt tanzte durch die Luft. Der Laserstrahl einer Zielerfassung! Für einen Sekundenbruchteil war der rote Punkt auf dem Tisch zu sehen. Der Strahl brach sich in dem Wasserglas, das sich vor Camerone auf dem Tisch befand.

Jimmy Kim wirbelte herum, griff instinktiv unter seine Jacke, während ein Schuss ihn in den Oberkörper traf.

Das Hemd wurde aufgerissen, grauer Kevlar kam darunter zum Vorschein. Die Wucht des Geschosses drückte ihn gegen die Stuhllehne. Der zweite Schuss durchbohrte seine Stirn. Sein Blick erstarrte. Blut sickerte aus dem Einschussloch über dem rechten Auge.

Die Hunde knurrten.

Sie sprangen Camerone zugleich an und warfen ihn mitsamt seinem Stuhl zu Boden. Aber ihr Knurren verwandelte sich in Winseln. Ihre Körper zuckten, noch während sie zusammen mit Camerone zu Boden fielen. Camerone schrie auf. Jimmy Kims Leibwächter stürmten auf den Dachgarten. Sie hatten die Waffen gezogen und blickten sich irritiert um. Als sie den Strahl des Laserpointers bemerkten, war es schon zu spät. Der Erste sank getroffen zu Boden, der Zweite wollte sich in Deckung hechten, bekam aber zuvor ebenfalls einen tödlichen Treffer.

In verrenkter Haltung blieb er regungslos liegen.

Camerone zitterte.

Seine Hände waren Blut besudelt. Aber es war nicht sein eigenes Blut, sondern das der Hunde, deren tote Körper ihn bedeckten.

Das war knapp!, dachte er.


27


Unsere Kollegen Clive und Orry besuchten Milla Johnson. Zusammen mit Beverly Reynolds bewohnte sie ein Appartement in Queens.

Beide hatten in der Vergangenheit gegen die Anti-Prostitutionsgesetze in New York verstoßen, was sie vermutlich nicht davon abgehalten hatte, weiter als Callgirls zu arbeiten.

Milla Johnson verdrehte die Augen, als Clive ihr den Dienstausweis unter die Nase hielt. „Nicht schon wieder. Erst die Vice-Abteilung des nächsten NYPD-Reviers, dann die Vice-Abteilung eines anderen Reviers und jetzt Sie. Man könnte denken, die Cops von New York hätten nichts Besseres zu tun, als unschuldige Frauen zu belästigen!“

„Es geht um Ihre Mitbewohnerin Beverly Reynolds.“

„Ja, das NYPD war hier und hat ihre Sache durchwühlt. Ich habe ihr von Anfang an gesagt, dass sie die Finger von diesem Mann lassen soll.“

„Welchem Mann?“

„Sonny D’Andrea. Ein reicher aller Sack – aber einer mit Verbindungen zur Mafia und wenn es da mal Ärger gibt, landet man schneller im Leichenschauhaus, als man Piep sagen kann. Und genau das ist ja nun auch mit Beverly passiert!“

„Vielleicht können wir reinkommen und uns drinnen weiter unterhalten, dann bekommt nicht das ganze Haus unser Gespräch mit“, schlug Orry vor.

„Meinetwegen. Ich hoffe, Sie machen es nicht wie Ihre Kollegen. Erst so tun, als ginge es ihnen darum, Beverlys Mörder zu fassen und mir am Ende ein neues Verfahren wegen Prostitution anhängen.“

„Wir interessieren uns nicht dafür, wie Sie Ihren Lebensunterhalt verdienen“, sagte Clive. „Es geht uns nur um Beverly – und dem Mann, mit dem sie zusammen war.“

„Ein merkwürdiger Typ. Aber ganz witzig. Wir waren mal alle drei zusammen essen. Beverly hat sich hervorragend amüsiert.“

„Wir würden uns gerne ihr Zimmer ansehen.“

„Das haben die Cops versiegelt. Ich habe mit ihrer Mutter telefoniert. Sie kommt übernächste Woche aus Virginia und wird den ganzen Plunder abholen. An ihrer Stelle hätte ich das Zeug gleich weggeworfen. Der Sprit von Virginia nach New York kostet doch schon mehr als das ganze Zeug wert ist.“

Sie führte die beiden zu Beverlys Zimmertür. Orry öffnete das Siegel fachmännisch.

Sie traten ein. Zwölf Quadratmeter, von denen vier bereits von einem großen Doppelbett eingenommen wurden.

Milla Johnson folgte uns bis zur Tür.

„Wie ist sie gestorben?“, fragte sie. „Der Officer von der City Police hat keine Einzelheiten genannt. Nur, dass es schlimm gewesen sein muss und dass es in dem Bungalow von diesem Sonny D’Andrea passiert ist.“

„Sie wurde gefoltert und zum Schluss mit einem aufgesetzten Schuss getötet“, sagte Clive. „Wir vermuten, das man aus ihr herausbekommen wollte, wo sich Sonny D’Andrea befand. Der wurde nämlich wenig später umgebracht.“

„Dann war sie einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort...“

„D’Andrea vertraute ihr offenbar...“

„Ja, er überließ ihr häufig seinen gelben Sportwagen, weil er selbst nicht mehr fahren durfte.“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Vielleicht können Sie uns helfen. Sagen Sie uns möglichst viele Einzelheiten aus Beverlys Leben – vor allem in den letzten Wochen. Hat sich irgendetwas verändert?“

„Ja, sie ist plötzlich wieder hier eingezogen, obwohl sie monatelang nur noch pro forma hier gewohnt hat. Ich habe sie gefragt, ob sie sich mit Gold-Sonny gestritten hätte, aber das war wohl nicht der Fall. Sie wirkte sehr angespannt und hat viel telefoniert. Ich habe ihr die Adressen von Maklerfirmen herausgesucht.“

„Wir vermuten, dass Mister D’Andrea untertauchen wollte und Beverly ihm dabei half. Hat sie irgendwann einmal darüber gesprochen?“

Milla Johson überlegte einen Moment und schüttelte anschließend energisch den Kopf.

„Nein“, murmelte sie. „Aber sie hat mir die Telefonnummer von jemandem gegeben, dem ich Bescheid sagen sollte, falls ihr etwas passieren würde.“

„Geben Sie uns diese Nummer bitte.“

Sie kramte einen Zettel aus ihrer engen Jeans und gab ihn Orry. „Eine Handy-Nummer. Haben Sie dort schon angerufen?“

„Ich habe auf eine Mailbox gesprochen, gleich nachdem der Police Officer hier war und mir von Beverlys Ermordung berichtet hat.“

Orrys Handy klingelte in diesem Augenblick.

Unser Kollege sagte zweimal kurz „Ja!“ und schließlich einmal „In Ordnung!“ bevor er das Gespräch beendete.

„Es gab eine Schießerei im Dachgarten des Lokals Chez Jules in Chelsea. Jimmy Kim ist dabei ermordet worden“, berichtete Orry.

„Da werden jetzt offenbar Rechnungen der Vergangenheit ausgeglichen!“, murmelte Clive.


28


Von der Bronx nach Yonkers ist es nicht besonders weit. Wir forderten daher die SRD von New York an, um die Untersuchungen in Catherine’s Bar durchzuführen. Schließlich waren die Mitarbeiter bereits mit unserem Fall vertraut und wir konnten hoffen, dass Parallelen zu anderen Morden, die in irgendeiner Form mit dem Auftauchen von Big Tony Damiani zu tun hatten, schneller auffielen, wenn dieselben Kollegen den Fall bearbeiteten.

Die erste Parallele ergab sich sehr schnell. Ein Turnschuhabdruck, der mit einem online abrufbaren Abdruck übereinstimmte, den wir von dem Täter im Mordfall D’Andrea/Reynolds hatten.

Der Gerichtsmediziner Dr. Brent Claus nahm die Erstuntersuchung an der Leiche von Mark Manetta vor. „Er starb durch einen aufgesetzten Schuss – genau wie Beverly Reynolds“, stellte er fest. „Ich wette, dass der Durchmesser des Hämatoms exakt mit dem Wert übereinstimmt, die wir dort gemessen haben.“

„Ob es wirklich derselbe Täter war, werden wir natürlich erst nach der ballistischen Untersuchung mit Sicherheit sagen können“, meinte Milo. „Aber die Wahrscheinlichkeit erscheint mir ziemlich hoch.“

„Gehen Sie ruhig davon aus“, sagte Dr. Claus. „Außerdem könnte ich mir denken, dass der Mörder sein Opfer zunächst bedroht hat und beide noch miteinander sprachen. Andernfalls ist nicht erklärbar, wie es zum Aufsetzen des Schusses kommen konnte.“

„Also ging es auch hier um das Erpressen von Informationen?“, fragte ich.

Dr. Claus zuckte die Achseln. „Das herauszufinden ist Ihr Job, Jesse!“


29


Wir befragten das Personal und die Gäste von Catherine’s Bar. Aber die Aussagen brachten uns zunächst nicht weiter. Vom Täter wussten wir bis jetzt nur, dass er über 1,90 war, große Füße hatte und Turnschuh trug.

Der Barkeeper glaubte sich an jemanden zu erinnern, auf den diese vage Beschreibung passte. „Von seinem Gesicht habe ich fast nichts gesehen, er trug eine Baseballmütze und eine Spiegelbrille – selbst hier drinnen. Mister Obercool. Hat einen einfachen Whiskey bestellt. Er saß zwei Stunden hier – allerdings, bevor der Mann kam, den Sie mir auf dem Foto zeigten.“

„Mister Manetta.“

„Ja genau. Seinen Namen wusste ich nicht, aber der kam häufig. Fast immer zur selben Zeit.“

„Wissen Sie ob dieser Mister Obercool auf der Toilette war?“

„Er hat mich jedenfalls danach gefragt wo sie ist. Ich habe meine Gäste nicht ständig im Auge. Übrigens fingerte er immer an einem Goldkreuz herum, das er um den Hals trug. Das war wie ein nervöser Tick oder so etwas.“

Wir fragten die anderen Gäste nach dem Mann. Aber es konnte sich nur einer an ihn erinnern.

Und das auch nur flüchtig. Verwertbare Aussagen bekamen wir nicht. Also begannen wir, die umliegenden Geschäfte abzuklappern.

Vielleicht hatte ja irgendjemand etwas Merkwürdiges beobachtet oder besaß sogar eine Videoüberwachungsanlage, auf der erkennbar war, wer vor der Bar geparkt hatte. Aber da wir uns nicht gerade in der besten Gegend von Yonkers befanden, war der Sicherheitsstandard der Geschäfte nicht besonders hoch. Die Erträge, die hier von den Geschäftsleuten verdient wurden, waren einfach nicht groß genug und an der Sicherheit glaubten viele am ehesten sparen zu können.

Schließlich nahmen wir uns auch noch den Hinterhof vor. Sehr wahrscheinlich hatte er die Bar durch die Hintertür verlassen. Der Hinterhof, der sich daran anschloss, diente Lieferantenfahrzeugen als Parkplatz. Müllcontainer standen hier. Die meisten quollen über.

Ein paar Kinder spielten Basketball. Wir befragten auch sie, aber sie spielten offenbar erst seit kurzem hier und hatten nichts gesehen.

„Fürs Erste müssen wir uns wohl geschlagen geben, Jesse“, sage Milo.

„Aber nur fürs Erste“, erwiderte ich.

„Na komm schon, du weißt, dass unser Job etwas für Leute mit Geduld ist, Jesse!“

„Das musst du auch gerade sagen.“

„Über einen Punkt komme ich immer noch nicht hinweg.“

„Welchen?“

„Die Limousine, die dieser Clay gesehen haben will.“

„Mit der Buchstabenkombination KIM auf dem Nummernschild!“

„Wenn das Jimmy Kim gewesen ist, dann wüsste ich gerne, was der mit Mark Manetta zu besprechen hatte!“

„Wir werden ihn bei Gelegenheit fragen, Milo.“

Auf dem Rückweg nach New York erfuhren wir, dass wir Jimmy Kim nie wieder etwas würden fragen können. Mr McKee rief uns an und berichtete uns von dem Anschlag im Chez Jules in Chelsea.

„Clive und Orry sind schon dort, außerdem unsere Erkennungsdienstler. Sie beide möchte ich bitten, zu den Brooklyn Heights zu fahren und mit Mister Kims Familie zu sprechen. Ich schicke außerdem noch genug Unterstützungskräfte um eine Hausdurchsuchung des Ermordeten durchzuführen.“

„In Ordnung, Mister McKee“, sagte Milo.


30


Der Verkehr in der Rushhour hatte uns ziemlich aufgehalten. Unterwegs erläuterte uns Orry telefonisch, was die Ermittlungen am Tatort auf dem Dachgarten des Chez Jules ergeben hatten.

Danach war Kim vom Dach eines Nachbargebäudes aus zusammen mit seinen Leibwächtern und Hunden erschossen worden. Der Mann, der als Boss des koreanischen Drogensyndikats galt, hatte sich mit Ben Camerone getroffen. „Der gehörte vor zehn Jahren zu den führenden Köpfen von Big Tony Damianis Organisation“, berichtete Orry.

„Und inzwischen nicht mehr?“

„Er hat sich nach unseren Erkenntnissen damals aus dem Geschäft zurückgezogen. Im Moment rätseln wir noch, ob dieser Anschlag wirklich beiden galt. Camerone könnte nämlich den Schützen auf dem Dach des Nachbargebäudes positioniert haben, um sich bei dem Treffen mit Jimmy Kim abzusichern.“

„Was sagt er denn, worum es bei dem Gespräch ging?“, hakte ich nach.

„Dazu schweigt er sich aus. Aber vielleicht wissen ja Jimmy Kims Angehörige etwas mehr darüber – oder es ergibt sich etwas bei der Hausdurchsuchung.“

„Erst Manetta, dann dieser Ben Camerone – es muss einen Grund haben, dass Jimmy Kim plötzlich das Gespräch mit ehemaligen Größen aus Big Tonys Organisation suchte!“, war Milo überzeugt.

Als wir auf den Brooklyn Heights eintrafen, waren unsere Kollegen bereits dort und hatten uns die undankbare Aufgabe abgenommen, die Nachricht von Jimmy Kims Ermordung zu überbringen.

Mrs Kim machte einen vollkommen schockierten Eindruck. Sie saß starr da und schüttelte nur den Kopf. Ihr Gesicht war zu einer Maske gefroren.

Außer unseren Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell war noch ein junger Mann im Raum. Er war schlank, trug einen konservativen grauen Dreiteiler und sah insgesamt wie eine jüngere Ausgabe von Jimmy Kim aus.

Er stellte sich uns als Ray Kim, der älteste Sohn des Ermordeten vor. Es gab noch zwei weitere Kinder. Ein Sohn, der in Seoul studierte und eine Tochter, die auf ein Privat-College in England ging.

„Unser Vater hat uns immer gesagt, dass Bildung das wichtigste sei“, erklärte Ray Kim mit einer erstaunlichen Gefasstheit angesichts der schlechten Nachricht, die ihm soeben übermittelt worden war. Leslie raunte mir zu, dass unsere Kollegen Josy O'Leary und Fred LaRocca bereits mit der Durchsicht von Kims Privatsachen begonnen hatten. Außerdem war noch Agent Nat Norton an dem Einsatz beteiligt. Nat war unser Fachmann für Betriebswirtschaft und das Aufspüren von verborgenen Geldströmen, was bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens unerlässlich war.

„Sie werden davon gehört haben, dass vor kurzem im Lake Tappan die sterblichen Überreste von Big Tony Damiani geborgen wurden“, sagte ich an Ray Kim gewandt.

„Natürlich haben mein Vater und ich das verfolgt“, gestand Ray Kim. „Schließlich war die Justiz der Auffassung, dass er einen Killer beauftragt hatte, um meinen Großvater Lee Kim zu töten.“

„Jack Gabrielli glaubt, dass Ihr Vater damit ein Motiv gehabt hätte, Big Tony damals umzubringen.“

„Genauso hätte Jack Gabrielli selbst ein Motiv gehabt. Schließlich wollte er schon lange an die Spitze der Organisation, die Big Tony aufgebaut hatte. Das pfiffen doch die Spatzen von den Dächern.“

„Jimmy Kim hatte wirklich nichts damit zu tun?“, hakte ich nach. „Wenn Sie etwas darüber wüssten, könnten Sie es jetzt ruhig sagen, ohne Ihrem Vater damit zu schaden.“

„Das ist richtig. Glauben Sie mir, wir waren der Ansicht, dass Damiani und seine Frau irgendwo ihren Reichtum genießen. Warum hätte mein Vater mich sonst nach Marokko schicken sollen, um Ava Damiani zu folgen...“

„Wie bitte?“ Im ersten Moment glaubte ich, mich verhört zu haben.

Ein verhaltenes Lächeln huschte über das ansonsten asiatisch-unbewegliche Gesicht meines Gegenübers. „Ich hatte ehrlich gesagt immer den Verdacht, dass Sie uns auf Schritt und Tritt beschatten. Aber offenbar habe ich das FBI und seine Möglichkeiten grob überschätzt.“

„Wann waren Sie in Marokko?“, fragte ich nach.

Ray Kim trat etwas näher und sprach nach einem kurzen Seitenblick in Richtung seiner Mutter in einem deutlich gedämpften Tonfall weiter.

„Ich würde das gerne unter vier Augen besprechen“, sagte er.

Jay Kronburg zuckte mit den Schultern. „Geh mit ihm in den Nachbarraum, Jesse. Wir sehen zu, ob Mrs Kim vielleicht doch noch etwas aussagt. Und außerdem haben wir noch die Befragung des Hauspersonals vor uns...“

„Nur vier Augen, Agent...“

„Trevellian. Jesse Trevellian.“

Ray Kim nickte. „Und wir werden eine inoffizielle Unterhaltung haben, deren Inhalt ich gegebenenfalls widerrufen werde.“

„Man sollte zu seinem Wort stehen, Mister Kim.“

Er führte mich in einen Nebenraum. „Wollen Sie einen Drink?“

„Nein, danke, Mister Kim.“

„Tom Buscella gestand damals, meinen Großvater im Auftrag von Big Tony umgebracht zu haben und er tauchte unter, ehe er festgenommen werden konnte. Sie verstehen, dass niemand von uns wollte, dass er so leicht davonkommt. Die einzige Möglichkeit, ihn vielleicht doch noch aufzuspüren, war, sich an seine Frau Ava zu heften. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die Beiden das sehr schlau eingefädelt hatten. Ava sollte offenbar erst später das Land verlassen.“

„Ich frage mich, wo sie heute steckt, Mister Kim.“

„Sie reiste unter falschem Namen und ein paar Umwegen schließlich dorthin, wo sich angeblich auch ihr Mann befand. Nach Marokko. Irgendwann verlor ich die Spur, obwohl ich mit einem Team von sehr fähigen Leuten auf die andere Seite des Atlantiks gereist bin.“

„Haben Sie irgendeine Ahnung, wo Ava Damiani heute steckt?“

Ray Kim schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Reiste sie allein nach Marokko?“

„Es hatte zunächst den Anschein. Aber ich stellte fest, dass sie von jemandem wie ein Schatten begleitet wurde. Eine Art Bodyguard.“

„Wer?“

„Gary Simone. Das erschien mir auch logisch. Er war damals der Mann fürs Grobe bei Big Tony. Ich verlor damals auch seine Spur.“

„Hat dieser Simone nicht bemerkt, dass Sie Ava Damiani folgten?“

Ray Kim lächelte verhalten. „Dann wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Zumindest habe ich das damals gedacht. Heute erscheint mir das alles in einem anderen Licht.“

„Vielleicht werden Sie da mal konkreter!“

„Im Rückblick frage ich mich, ob Ava Damiani nicht nur eine Art Lockvogel war, um alle an der Nase herumzuführen, die es auf Big Tony abgesehen hatten – die Justiz und Gegner in den eigenen Reihen eingeschlossen. Etwa zur selben Zeit entstand das Gerücht, die Damianis seien in Marokko untergetaucht. Vielleicht war das auch nur gezielt gestreut.“

„Wollte Ihr Vater darüber mit Mark Manetta sprechen?“

„Das ist gut möglich. Über den Inhalt der Gespräche mit Manetta kann ich Ihnen allerdings nichts sagen. Ich war nicht dabei.“

„Ihr Vater hat Manetta eine für seine Verhältnisse große Summe gezahlt!“, gab ich zu bedenken. „Das wird er nicht ohne Grund getan haben.“

„Wie gesagt, dazu kann ich Ihnen nichts sagen.“

„Und auch nicht darüber, was er mit Ben Camerone zu besprechen hatte?“

„Unser Kontakt war in letzter Zeit nicht mehr so eng. Es gab gewisse Differenzen. Aber darüber möchte ich mit Ihnen nicht weiter sprechen. Was ich Ihnen gesagt habe, muss fürs Erste genügen. Ansonsten finden Sie ja wahrscheinlich ein paar Hinweise bei der unvermeidlichen Hausdurchsuchung.“

Im Klartext bedeutete Ray Kims letzte Aussage wohl, dass sein Vater Jimmy ohnehin ständig darauf vorbereitet gewesen war, dass in seinen Privat- und Geschäftsräumen alles auf den Kopf gestellt wurde und er daher alle wirklich brisanten Unterlagen dort nicht aufbewahrte.


31


Es war spät, als wir an diesem Abend zum Field Office zurückkehrten. New York war ein nächtliches Lichtermeer geworden.

„Wenn es stimmt, was Ray Kim gesagt hat, dann lag Big Tony Damiani bereits in seinem feuchten Grab im Lake Tappan, während seine Frau nichts Besseres zu tun hatte, als unter falschem Namen nach Marokko zu reisen.“

„Bisher haben wir angenommen, dass auch Ava Damiani früher oder später tot aufgefunden wird“, stellte Milo fest.

„Und was ist, wenn Mrs Damiani sich ohne ihren Mann ein schönes Leben machen wollte, Milo?“

„Der Schlüssel zu allem ist Buscella.“

„Wir sollten ihn uns noch einmal vorknöpfen.“

„Ja, aber für heute dürfte die Besuchszeit auf Rikes Island vorbei sein.“

Wir fuhren noch kurz zum Bundesgebäude an der Federal Plaza 26. In Mr McKees Büro brannte wie üblich noch Licht.

Wir sahen bei ihm vorbei.

„Mandy hat noch Kaffee aufgesetzt, bevor sie gegangen ist“, begrüßte er uns. „Wenn Sie keine Probleme haben, danach zu schlafen, sollten Sie sich den Genuss gönnen.“

„Danke“, schüttelte ich den Kopf. Milo nahm sich einen Becher.

„Es gibt Neuigkeiten, die Sie interessieren werden“, fuhr unser Chef fort. „Aber wir können das auch morgen früh besprechen. Ihr Dienst ist längst zu Ende.“

„Ihrer ja auch“, sagte ich.

Mr McKee atmete tief durch. „Inzwischen wurden weitere Knochen im Lake Tappan entdeckt, die allesamt der Leiche von Big Tony Damiani zugeordnet werden konnten. Laut Bericht fehlen nur noch ein paar Knochen. Wir wissen jetzt, dass man ihn an Armen und Beinen mit Kabelbindern gefesselt hatte. Eine Knochenabsplitterung am Brustbein legt nahe, dass dort eine Kugel eingedrungen und wieder ausgetreten ist. Natürlich hätten wir die gerne, aber da bestehen wohl keine Aussichten. Wir wissen nicht einmal, wo sich der eigentliche Tatort befand.“

„Hat man vielleicht Knochen einer weiteren Person gefunden?“

„Sie meinen Damianis Frau Ava?“

„Ja.“

Mr McKee schüttelte den Kopf. „Nein, dafür gibt es bis jetzt keine Anhaltspunkte. Theoretisch ist es natürlich denkbar, dass sie ebenfalls im Lake Tappan gelandet ist, aber um das wirklich auszuschließen, müssten viele Kubikmeter Schlamm durchsucht werden.“

„Ray Kim gibt an, Ava Damiani nach Marokko gefolgt zu sein und dort ihre Spur verloren zu haben. Ich halte das für sehr glaubwürdig. Zur gleichen Zeit setzten sich eine Reihe von Leuten aus Big Tonys Organisation zur Ruhe – wie beispielsweise Sonny D’Andrea. Irgendwie müssen wie diese beiden Puzzleteile miteinander in Verbindung bringen, aber ich weiß nur noch nicht wie.“

„Morgen ist auch noch ein Tag, Jesse.“


32


Tom Buscella wurde von zwei Wärtern in einen der Verhörräume geführt, die es auf Rikers Island gab.

„Was soll das? Ich will meinen Anwalt sprechen!“, rief er. „Sonst werde ich hier nichts sagen!“

Auf der anderen Seite des Tisches, der sich in der Mitte des ansonsten kahlen Raums befand, saß Alec Johnes. Der stellvertretende Direktor von Rikers Island kaute auf seiner Unterlippe herum. Er wirkte nachdenklich.

„Sagen Sie das Ihren FBI-Freunden und diesem Staatsanwalt oder wer auch sonst mir Fragen stellen will!“

„Mister Buscella, Sie haben in diesem Fall nicht das Recht, einen Anwalt hinzuziehen, weil wir Sie gar nichts fragen werden“, kündigte Johnes an. „Vielmehr habe ich die traurige Pflicht, etwas mitzuteilen.“

Buscella runzelte die Stirn. „Mitteilen? Was denn?“

„Ihre Schwester wurde gestern Abend in Ihrer Wohnung in Brooklyn tot aufgefunden.“

„Das ist nicht wahr!“, rief Buscella.

„Dem vorläufigen Bericht nach hat sie sich eine Überdosis Morphium gegeben.“

„Aber...“ Buscella fiel der Kinnladen zu Boden. „Bei ihrem letzten Besuch, da wirkte sie noch so...“ Er sprach nicht weiter und schüttelte nur den Kopf.

„Der Arzt, der Ihre Schwester untersucht hat, geht davon aus, dass die Schmerzen, die mit ihrer Krebserkrankung einhergingen, einfach zu stark geworden sind und sie deswegen diesen Weg wählte.“

„Aber sie hat diese Krankheit schon seit mehr als zehn Jahren und nie aufgegeben! Ich verstehe das nicht!“ Buscella wirkte vollkommen entgeistert.

Er schluckte.

Johnes griff in seine Jackettinnentasche und reichte ihm ein Couvert, das bereits geöffnet worden war. „Sie hat Ihnen einen Brief hinterlassen, in dem Sie Ihnen für alles dankt – insbesondere dafür, dass sie die bestmögliche medizinische Versorgung bekam. Bitte lesen Sie selbst. Es tut mir sehr Leid für Sie. Sowohl der Pfarrer, als auch der Psychologe stehen jederzeit zu Ihrer Verfügung...“

Johnes nickte einem der Wärter zu, woraufhin dieser die Handschellen löste.

Mit zitternden Fingern nahm Tom Buscella das Couvert, nahm den Brief heraus und faltete ihn auseinander. Tränen glitzerten in den Augen des ehemaligen Lohnkillers.


33


Am nächsten Morgen trafen wir uns zunächst in Mr McKees Büro zur Besprechung. Max Carter war wieder dabei, auch wenn er sich wesentlich weniger lebhaft als sonst beteiligte, was wohl mit seinem Zahnarztbesuch zusammenhing. Später erfuhr ich, dass er am Vortag einen Weisheitszahn entfernt bekommen hatte.

Unser Chefballistiker Dave Oaktree erläuterte uns die Ergebnisse vom Tatort im Chez Jules. Die verwendeten Projektile stammten aus derselben Waffe, die auch Sonny D’Andrea getötet hatte.

„Anhand der Auftreffwinkel der einzelnen Schüsse konnten wir das Gebäude ermitteln, von wo aus geschossen worden ist. Der Täter hat sich auf das Dach gelegt und ganz ruhig abgewartet, bis es zu dem Treffen zwischen Jimmy Kim und Ben Camerone kam.“

„Das bedeutet, der Killer ist darüber informiert worden“, stellte Mr McKee fest.

Dave Oaktree zuckte mit den Schultern. „Das ist Ihre Schlussfolgerung, ich kann Ihnen nur die Spurenlage erläutern. Aber es sieht tatsächlich danach aus. Die Wachen wurden wohl deshalb erschossen, weil der Täter sonst damit rechnen musste, sofort verfolgt zu werden.“

„Und die Hunde?“, fragte ich.

„Gute Frage, Jesse“, stellte Mr McKee fest. „So wie ich das sehe gibt es zwei Möglichkeiten. Nummer eins: Ben Camerone steckte mit dem Täter unter einer Decke. Er hat sich mit Jimmy Kim getroffen, wusste aber, dass ein Risiko dabei ist und hat einen Hit-man auf dem Dach eines Nachbarhauses postiert.“

„Der musste natürlich die Hund ausschalten, damit seinem Boss nichts passiert“, nickte Milo.

„Möglichkeit zwei ist, dass jemand Jimmy Kim besonders hasste“, fuhr Mr McKee fort. „Die erschossenen Dobermänner sollten zusätzlich noch einmal die Überlegenheit des Killers demonstrieren und das Opfer erniedrigen. Schließlich war allgemein bekannt, wie sehr er an den Tieren hing.“

„Wir haben im Labor eine Rekonstruktion des Tathergangs vorgenommen“, sagte Dave Oaktree. „Mit Hilfe einer Computersimulation, den exakt ausgemessenen Schussbahnen der Projektile und den Positionen der betroffenen Personen lässt sich relativ eindeutig klären was vorgefallen ist. Danach sind die Hunde getötet worden, während sie sprangen. Die Brüstung hätte sie ansonsten nämlich für den Schützen verborgen. Die Hunde haben Ben Camerone genau in dem Moment angesprungen, als auf ihn geschossen wurde – und ihm damit das Leben gerettet. Camerone wurde vollkommen blutverschmiert aufgefunden. Er muss eine ganze Weile unter den Hunden gelegen gehaben und stand wohl auch unter Schock.“

„Das bedeutet, Möglichkeit 2 scheidet definitiv aus?“, vergewisserte sich Mr McKee.

Dave Oaktree nickte. „Natürlich besteht die theoretische Möglichkeit, dass der Schütze Camerone vor dem Angriff der Hunde bewahren wollte – aber das wäre extrem risikoreich gewesen. Nicht einmal der Scharfschütze eines SWAT-Teams hätte in dieser Situation eingegriffen.“

„Wo ist Camerone jetzt?“, fragte ich.

„Wir haben ihm Schutzhaft angeboten, da wir davon ausgingen, dass der Anschlag auch im galt“, erklärte Clive Dillagio. Der flachsblonde Italoamerikaner nippte an seinem Kaffeebecher und fuhr fort: „Aber Camerone wollte davon nichts wissen.“

„Und weshalb wollte er sich mit Jimmy Kim treffen?“, hakte Mr McKee nach.

„Angeblich war es umgekehrt, Jimmy Kim wollte sich mit ihm treffen. Es sei um das gegangen, was Mark Manetta zugestoßen ist. Mehr wüsste er nicht, denn zu dem Gespräch ist es dann nicht mehr gekommen.“

„Ich habe das nachgeprüft - Mark Manetta und Ben Camerone saßen mal zwei Jahre zusammen in einer Zelle auf Rikers Island“, warf Max Carter ein.

„Ich möchte, dass Camerone beschattet wird“, sagte Mr McKee. „Ich wette, dass er genau wusste, um was es hier geht!“

„Ich nehme an, Camerone hat sich auch aus dem Geschäft zurückgezogen, nachdem Big Tony seinerzeit verschwand“, vermutete ich

„Vollkommen richtig, Jesse. Nach Big Tonys Verschwinden und der Übernahme der Geschäfte durch Jack Gabrielli fand eine völlige Neustrukturierung des Syndikats statt. Da war wohl für ein paar Leute kein Platz mehr.“

„Und es macht natürlich weniger Aufsehen, diese Leute auszuzahlen, anstatt sie umzulegen“, stellte Milo fest. „Vorausgesetzt, man hat das nötige Kleingeld.“

„Das war vorhanden!“, gab ich zu bedenken. „Ich denke, das Riesenvermögen, von dem wir glaubten, dass Big Tony Damiani es ins Ausland geschafft hatte, reichte aus, um jeden zufrieden zu stellen und trotzdem noch genug übrig zu behalten.“

„Von wem sprichst du jetzt, Jesse?“, fragte Clive.

„Von Big Tonys Ehefrau Ava und seinem Neffen Jack Gabrielli“, sagte ich. „Dass Tom Buscellas Geständnis in Bezug auf den Mord an Lee Kim gekauft war, liegt für mich auf der Hand, auch wenn ich es nicht beweisen kann. Nehmen wir mal an, Gabrielli plante eine Palastrevolte im Syndikat...“

„Dann hatte er schlechte Chancen, weil Big Tony so fest im Sattel saß wie kaum jemand!“, warf Max ein.

„Also musste Gabrielli zwei Dinge tun: Dafür sorgen, dass die Justiz Big Tony aus dem Land treibt und die alten Gefolgsleute des großen Alten ruhig stellen.“

„Und das funktioniert mit Geld“, schloss Mr McKee.

„Jedenfalls hätten keiner von denen bei einem Mord an ihrem Patron mitgemacht“, fuhr ich fort.

„Fragt sich nur, weshalb Big Tony dann im Lake Tappan und nicht in Marokko gefunden wurde“, warf Orry ein.

„Da gibt es zwei Möglichkeiten“, sagte Mr McKee. „Entweder, es ist etwas schief gegangen und Big Tony hatte tatsächlich vor, sich der Justiz zu stellen. Vielleicht hatte er Jack Gabriellis Spiel durchschaut und wollte Buscella ein noch besseres Angebot machen, wenn er seine Aussage zurückzieht...“

„...oder Ava Damiani spielt hier die entscheidende Rolle!“, sagte ich.

Mr McKee nickte.

„Genau diesen Gedanken hatte ich auch.“

„Ava war erheblich jünger als Big Tony“, warf Max Carter ein. „Möglich, dass Mrs Damiani das Vermögen ihres Mannes allein genießen wollte.“

„Um das zu überprüfen, müssten wir sie erstmal finden.“

„Oder den Mann, der wahrscheinlich noch in Avas Nähe war, als Ray Kim ihre Spur in Marokko verlor! Ich spreche von Gary Simone!“, gab ich zurück.

Mr McKee machte ein nachdenkliches Gesicht. „Ich verstehe, was Sie meinen, Jesse, aber bislang ist das nur eine Theorie. Vermutungen, mehr nicht.“

„Ich weiß“, seufzte ich. „Mark Manetta wird sich alles zusammengereimt haben – zumindest nachdem Tony Damianis sterbliche Überreste aus dem Lake Tappan geborgen worden waren. Er hat schließlich die falschen Papiere für die Damianis besorgt. Und ähnliches gilt für die anderen Mordopfer – Jimmy Kim, Sonny D’Andrea und um ein Haar auch Ben Camerone.“

„Camerone und D’Andrea waren treue Gefolgsleute von Big Tony“, stellte Max fest. „Wir haben den Fall zwar erst nach dem Mord an D’Andrea auf den Schreibtisch bekommen, aber das lag nur daran, dass der Fall vorher im Zuständigkeitsbereich der örtlichen Polizei war.“

Mr McKee wandte sich an Clive. „Versuchen Sie, Camerone dazu zu bewegen auszusagen. Machen Sie ihm klar, dass er sonst wie D’Andrea endet! Der Killer wird nicht einfach so aufgeben.“

Clive beugte sich etwas vor. „Eine juristische Möglichkeit, ihn festzuhalten, sehen Sie aber nicht zufällig, oder? Das würde die Sache nämlich erheblich leichter machen.“

„Nein, aber ich werde noch über Rund-um-die-Uhr-Überwachung beantragen.“


34


Milo und ich gingen zusammen mit Max Carter an den Computer und stellten alles zusammen, was es an verfügbaren Informationen über Gary Simone gab.

„Er ist jetzt 53 Jahre alt“, sagte Max. „Also könnte es sein, dass seine Haare entweder ausgegangen oder ergraut sind. Das letzte Foto, das wir von ihm haben, ist 13 Jahre alt, aber ich kann eine künstlich gealterte Version herstellen, damit er leichter erkannt wird.“

„Dafür wäre ich dir sehr dankbar.“

Auf der Vergrößerung waren weitere interessante Details zu sehen. So trug er ein Goldkreuz um den Hals, was mit der Beschreibung übereinstimmte, die uns der Barkeeper in Catherine’s Bar gegeben hatte. In seiner Army-Zeit, in der es bis zum Scharfschützen brachte, hatte er angefangen unter Kameraden mit Drogen zu dealen und war daraufhin unehrenhaft entlassen und zum ersten Mal verurteilt worden. Anschließend hatte er sich mit verschiedenen Jobs über Wasser gehalten. Unter anderem war er DJ in einem auf Country Musik spezialisierten Sender gewesen, der ein Jahr später von Big Tony Damiani aufgekauft wurde, um als Geldwaschanlage zu dienen. Dort hatten sich Damiani und Simone offenbar kennen gelernt.

„Als ehemaliger Scharfschütze brachte er alle Voraussetzungen zum Profi-Killer mit“, meinte Milo.

„Man hat ihm allerdings nie einen Mord nachweisen können“, stellte Max klar. „Einmal wäre er beinahe dran gewesen, als er einen kleinen Drogendealer so zusammenschlug, dass er aus dem Koma nicht mehr erwachte.“

„Vielleicht sollten wir uns den Fall noch einmal genauer ansehen“, schlug ich vor.

Das taten wir. Zumindest die wichtigsten Daten dazu waren über NYSIS abrufbar. Im Urteil wurde Notwehrexzess erkannt, weil Ava Damiani für ihn ausgesagt hatte. Sie war in seiner Begleitung gewesen und der Dealer hätte sie angegriffen.

„Da gab es also auf jeden Fall schon mal eine entfernte Verbindung zwischen Simone und Mrs Damiani“, stellte ich fest.

„Fragt sich, wie eng die Verbindung war, Jesse“, lautete Milos Kommentar. „Ich meine, ist es denn ausgeschlossen, dass die beiden Big Tony gemeinsam aus dem Weg geschafft haben, während alle anderen dachten, er sei schon in Marokko?“

„Das werden wir herausbekommen“, murmelte ich.

Mir fiel noch ein weiteres interessantes Detail auf. Simones Verteidiger hieß Reddick. „Vielleicht sollten wir seiner Kanzlei noch einen Besuch abstatten“, schlug ich vor.

Von Ava Damiani gab es nur wenige Fotos. Meistens stammten sie von Observationen, wenn Mrs Damiani zufällig mit aufs Bild geraten war. Als vermisst hatte sie ja nie gegolten. Max vergrößerte eines dieser Bilder und gab uns sowohl die Originalversion als auch eine Fassung mit künstlicher Alterung mit.

Anschließend fuhren wir zu Catherine’s Bar, wo Mark Manetta ermordet worden war. Dort wir die Bilder überall herum, in der Hoffnung, dass sich zumindest an Gary Simone jemand erinnerte. Schuh- und Körpergröße stimmten jedenfalls mit dem überein, was die Auswertung der Spuren an den Tatorten bisher ergeben hatte. Simone war 1,95 groß.

„Das war der Typ, den ich Ihnen beschrieben hab“, bestätigte uns der Barkeeper. „Ich bin mir hundertprozentig sicher.“

„Trotz der Spiegelbrille?“, hakte ich nach.

„Ja, kein Zweifel.“

„Dann wissen wir mit ziemlich großer Sicherheit, wer Mark Manetta und die anderen getötet hat“, stellte Milo klar. „Und es würde ich nicht wundern, wenn Ben Camerone der Nächste auf Simones Liste wäre!“


35


Unsere Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina fuhren nach Staten Island, wo Ben Camerones Adresse lag. Er bewohnte dort einen Bungalow mit Swimmingpool und einem Garten von zweitausend Quadratmetern.

Clive und Orry betraten das Grundstück. Im Postkasten befand sich die Zeitung vom Morgen.

„Entweder Mister Camerone hat einen tiefen Schlaf oder er hat es vorgezogen unterzutauchen“, meinte Orry.

Er klingelte. Es erfolgte keine Reaktion.

„Ich hoffe, wir kommen nicht zu spät“, meinte Clive.

„Er hätte auf uns hören sollen!“, gab Orry zurück.

Sie umrundeten den Bungalow. Der Rasen war erst vor kurzem geschnitten worden. Sie erreichten die Terrasse.

Die Tür stand einen Spalt offen. Man hatte sie aufgebrochen.

Beinahe gleichzeitig griffen Clive und Orry zu ihren Dienstwaffen. Clive verständigte außerdem sofort das Field Office, um Verstärkung anzufordern. Unsere Kollegen mussten von einem Einbruch ausgehen.

Mit der SIG Sauer p226 in beiden Händen ging Orry voran, stieß die Terrassentür leicht an und betrat anschließend vorsichtig ein sehr großzügig angelegtes Wohnzimmer. Es war sicherlich mehr als hundert Quadratmeter groß.

An den Wänden hingen ein paar moderne Gemälde. Die Einrichtung war insgesamt sehr modern, aber karg. Ein vollkommen durchsichtiger Glastisch bildete zusammen mit einer Sitzgruppe aus Metallsessel das Zentrum.

Fernseher und Computer waren in die Wand eingelassen.

Ein Windstoß fegte durch das Haus. Die Balkontür wurde zugeschlagen. Irgendwo musste sich noch eine Öffnung befinden, die diesen Durchzug ausgelöst hatte. Vielleicht ein offen stehendes Fenster oder dergleichen.

Der Reihe nach durchsuchten Clive und Orry ein Zimmer nach dem anderen. Es war niemand dort. Der Kleiderschrank im Schlafzimmer stand offen. So als hätte jemand sehr eilig ein paar Stücke zusammengepackt, um zu verreisen.

Im Badezimmer gab es keine Zahnbürste – auch das ein Indiz dafür, dass Camerone das Weite gesucht hatte. Immerhin sprachen diese Anzeichen nicht dafür, dass man ihn entführt hatte. Im Gegenteil.

„Ich wette, einer wie Camerone hat noch irgendwo ein paar andere Immobilien, wo er untergekrochen sein könnte.“

Ein Geräusch ließ sie beide herumfahren.

Jemand war an der Terrassentür.

Vorsichtig schlichen Orry und Clive zurück zum Wohnzimmer.

Ein großer, kräftiger Mann tauchte im Flur auf.

„Hände hoch, FBI!“, rief Orry.

Der Mann zuckte zusammen und gehorchte.

„Das ist ein Missverständnis!“, rief er, nachdem er sich etwas gefasst hatte.

„Natürlich, das würde ich jetzt auch sagen“ erwiderte Clive, während Orry ihn kurz durchsuchte und Handschellen anlegte.

„Hören Sie, ich bin hier nicht eingebrochen.“

Clive hielt ihm die ID-Card unter die Nase. „Wie heißen Sie?“

„Harry Witter. Ich bin ein Nachbar und habe Ben – dem Besitzer dieses Hauses versprochen, darauf zu achten, während er nicht da ist.“

Witter hatte einen Führerschein in der Gesäßtasche, der seine Identität bestätigte. Er schien in Ordnung zu sein.

Orry nahm ihm daraufhin die Handschellen wieder ab. „Was machen Sie hier?“, fragte er.

„Dasselbe wie Sie. Ich habe bemerkt, dass eingebrochen wurde. Am helllichten Tag! Es ist unglaublich! Aber wenn man die Cops mal braucht, sind sie ja nicht da! Es ist immer dasselbe!“

„Wann haben Sie Mister Camerone zum letzten Mal gesehen?“, fragte Clive.

„Gestern Abend. Er sagte, er müsste verreisen.“

„Das Ziel seine Reise hat er nicht zufällig angegeben?“

„Nein. Aber er bat mich, die Blumen zu gießen und die Post aus dem Kasten zu nehmen. Leider bin ich heute etwas spät dran damit, aber das liegt daran, dass ich einen Arzttermin hatte. Was ist denn los? Werfen Sie Mister Camerone irgendetwas vor? Also auf mich hat er nie wie ein Krimineller gewirkt.“

„Wir werfen ihm nichts vor“, stellte Clive klar. „Aber wenn wir ihn finden, haben wir vielleicht noch eine Chance, sein Leben zu retten!“

„Er hat mir eine Handynummer gegeben. Wenn man da anruft, meldet sich eine Mailbox. Ich spreche drauf und Ben ruft dann zurück.“

„Wenn Sie uns diese Nummer bitte geben könnten!“, verlangte Clive.

„Einen Moment.“

Witter kramte einen Zettel hervor und reiche ihn Clive. „Die Nummer kommt mir irgendwie bekannt vor“, meinte er und reichte ihn Orry.

„Ist das nicht dieselbe Nummer, die uns Beverly Reynolds gegeben hat?“, fragte dieser.

„Das lässt sich ja feststellen...“ Clive sah in seinen Notizen nach. „Volltreffer!“

Unsere Kollegen hatten bereits versucht, das zu dieser Nummer gehörende Prepaid-Handy zu orten. Bislang ohne Erfolg.

„Übrigens war vorhin ein Mann bei mir, der sich nach Ben erkundigt hat“, sagte Witter.

„Wie lange ist das her?“

„Eine halbe Stunde. Ich war gerade vom Arzt zurückgekommen, da klingelte es an meiner Tür. Ich dachte erst, es sei dieser aufdringliche Bibelverkäufer, der in letzter Zeit die Gegend unsicher macht, weil er ein ziemlich deutlich sichtbares Kreuz um den Hals hängen hatte. Aber der war es nicht.“

„Geben Sie uns eine möglichst exakte Beschreibung, Mister Witter“, forderte Clive.

„Mindestens 1,90m groß und grauhaarig. Er behauptete von den Wasserwerken zu sein und dringend mit Ben sprechen zu müssen, konnte sich aber nicht ausweisen.“


36


Auf dem Rückweg von Yonkers erreichte uns ein Telefonat. Es war Mr McKee.

Wir erfuhren, dass Ben Camerone spurlos verschwunden war. „Er hatte einen Flug nach Miami für heute Morgen vom JFK Airport gebucht“, berichtete unser Chef. „Allerdings hat er ihn nicht angetreten.“

„Wir wollen hoffen, dass Gary Simone ihn nicht vorher erwischt hat. Wir haben jetzt die Aussage des Barkeepers in Catherine’s Bar in Yonkers, dass er zur gleichen Zeit dort war wie Mark Manetta.“

„Dann brauchen wir den Kerl nur noch zu fassen, aber ich fürchte, das wird nicht ganz so leicht werden. Ich rufe eigentlich aus einem anderen Grund an. Tom Buscella möchte unbedingt mit Ihnen reden, Jesse. Und zwar speziell mit Ihnen.“

„Was soll das bringen? Jedes Mal, wenn es interessant zu werden verspricht, fährt sein Anwalt ihm in die Parade und verhindert, dass er weiter redet!“

„Das Treffen soll ohne Reddick stattfinden.“

„Wann?“

„Fahren Sie sofort hin, Jesse. Was immer uns Buscella auch zu sagen hat, es hat mit dem Fall zu tun und könnte interessant für uns sein.“

„Wie Sie meinen, Sir!“


37


Wir warteten bereits zusammen mit dem stellvertretenden Gefängnisdirektor Alec Johnes eine Viertelstunde auf den Gefangenen, als er wie üblich in Hand- und Fußfesseln hereingeführt wurde.

„Ich will nicht, dass Sie dabei sind!“, fauchte Buscella Johnes an.

„Warum nicht?“

„Das werde ich nicht begründen. Ich will es einfach nicht und wenn Sie nicht auf meine Bedingungen eingehen, können wir uns das ganze Theater sparen und ich gehe wieder in meine Zelle.“

Alec Johnes lief dunkelrot an. Er erhob sich von seinem Platz.

„Viel Glück mit dem Kerl“, raunte er mir zu und verließ anschließend den Raum.

„Die Wachen auch!“, verlangte er. „Das ist etwas Persönliches.“

„Das ist schon in Ordnung“, versicherte ich.

Schließlich saßen wir allein mit Tom Buscella im Verhörraum.

Buscella beugte sich vor.

„Agent Trevellian, ich bin nicht das wilde Tier, für das Sie mich vielleicht halten. Aber man muss sich hier drinnen Respekt verschaffen und ab und zu muss ich was für mein Image tun - zumal das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, dem völlig wiederspricht.“

„Ich bin ganz Ohr, Mister Buscella.“

„Meine Schwester hat sich das Leben genommen“, sagte er und seine Stimme wurde brüchig dabei. In seinen Augen glitzerten Tränen. Wahrscheinlich waren es diese Emotionen, die er niemandem zeigen wollte, weil sie das beschädigt hätten, was Tom Buscella als sein Image ansah. „Sie hat sich eine Überdosis Morphium gesetzt, weil sie die Schmerzen einfach nicht mehr aushielt. Seit dreizehn Jahren kämpfte sie nun schon gegen diesen verdammten Krebs, aber die Krankheit ist immer wieder von neuem ausgebrochen. Es gab kaum ein Organ an ihr, das nicht schon bestrahlt oder operiert wurde. Als die Krankheit ausbrach, hatte sie keine Krankenversicherung, weil ihr gerade gekündigt worden war. Und danach gab es keine Versicherung mehr, die bereit war sie aufzunehmen. Die Behandlungskosten waren astronomisch und wenn ich nicht dafür gesorgt hätte, dass sie die bestmögliche Behandlung bekommt, dann hätte sie auch gar nicht mehr so lange gelebt.“

„Lassen Sie mich raten: Sie haben den Mord an Lee Kim auf sich genommen und jemand anderes bezahlte dafür die Behandlungskosten Ihrer Schwester?“

„Ja.“

„Dieser andere war Jack Gabrielli.“

„Auch das ist richtig.“ Er stockte und lehnte sich zurück. Sein Blick ging ins Nichts. Tom Buscella schien sich im Moment in seiner eigenen, inneren Welt zu befinden. Er biss sich auf die Lippe. Ich hatte den Eindruck, dass es am besten war, ihm einfach etwas Zeit zu geben und nicht weiter nachzubohren. Schließlich war er es, der uns hier her gerufen hatte.

Und so würde er zweifellos den Faden irgendwann wieder aufnehmen.

Ein Ruck ging durch seinen Körper. Er wandte den Kopf und fixierte mich plötzlich mit seinem Blick. „Wissen Sie, wie das ist, wenn man den Abschiedsbrief des einzigen Menschen in den Händen hält, der einem noch etwas bedeutet? Sie ist regelmäßig zu Besuch gekommen, gleichgültig, wie schlecht es ihr ging.“ Er atmete tief durch und brauchte einige Augenblicke, eher er die Fassung wiedererlangt hatte. „Meine Schwester war sehr religiös, müssen Sie wissen. Der Glaube hat ihr Trost und Halt gegeben. Sie hat mir immer gesagt, dass sie sich schon vor langer Zeit umgebracht hätte, wenn sie diesen Trost nicht gefunden hätte. Eine Stimme, die ihr sagte, dass ihr Leiden nicht umsonst sei, und es jemanden gäbe, der sie bis zum Ende begleiten würde.“ Er zuckte die Schultern. „Ich persönlich habe nie viel von der Kirche und alldem gehalten. Und es war für sie gewiss nicht leicht, zu einem Bruder zu stehen, der alles mit Füßen getreten hatte, was ihr heilig war und die Kraft zum Überleben gab.“ Er lachte heiser. „Schließlich habe ich mein Geld damit verdient, Menschen zu töten. Einen größeren Gegensatz zu dem, woran sie glaubte, ist wohl kaum denkbar.“

„Dass Doreen trotzdem zu ihnen gehalten hat, spricht für sie“, sagte ich. „Ich habe sie zwar nie kennen gelernt, aber ich denke, es braucht sehr viel innere Größe dazu.“

„Innere Größe – das ist genau das richtige Wort, Agent Trevellian. Ich sehe, Sie verstehen mich.“ Er sah mich eine ganze Weile einfach nur an und nickte schließlich. Dann fuhr er fort: „Meine Schwester hat mich in ihrem Abschiedsbrief darum gebeten, reinen Tisch zu machen. Mit allem.“

„Es hat ihr nicht gefallen, auf welche Weise ihre Behandlungskosten finanziert wurden, nicht wahr?“, vermutete ich. „Sie wusste es doch?“

„Sie wusste nicht alles. Nur, dass ich einen Mord auf mich nahm, den ich nicht begangen hatte. Aber ich konnte sie damals davon überzeugen, dass es für mich keine Rolle spielt, für welchen Mord ich hier sitze – für die, die ich begangen habe oder für diesen einen, den ich nicht begangen hatte.“

„Aus den Akten geht hervor, das Sie einiges an Detailwissen besaßen, dass Jury und Gericht schließlich überzeugte. Detailwissen vom Tatort und dem Tathergang.“

„Das habe ich von dem wahren Täter.“

„Wer war es?“

„Jack Gabrielli.“

Eine Pause entstand.

„Erzählen Sie mir mehr dazu“, forderte ich ihn schließlich auf. „Tun Sie das, was Doreen Ihnen aufgetragen hat, machen Sie reinen Tisch.“

Er nickte. „Darum bin ich hier. Ich weiß nur nicht, womit ich anfangen soll.“

„Reden Sie einfach. Es spielt keine Rolle.“

„Gut. Jack Gabrielli hat Lee Kim ermordet – und zwar höchstpersönlich.“

„Woher wissen Sie das?“

„Weil er es mir gesagt hat. Die Sache war nämlich so: Damals herrschte Krieg zwischen Big Tonys Organisation und den Koreanern. Aber Jack Gabrielli wollte sich mit der anderen Seite einigen, weil er das Geschäft insgesamt in Gefahr sah. Leider hat das nicht geklappt. Die andere Seite war genauso verbissen. Der Versuch scheiterte und Lee Kim hat daraufhin versucht, Jack Gabrielli zu erpressen. Gabrielli sollte Informationen aus dem Syndikat weitergeben. Der wäre bei seinen Leuten – und vor allem bei Big Tony – unten durch gewesen, wenn das raus gekommen wäre. Ich habe keine Ahnung, was genau der Auslöser war, aber bei einem geheimen Treffen zwischen Lee Kim und Jack Gabrielli hat es dann geknallt. Ich vermute, dass Lee Kim Gabrielli so unter Druck gesetzt hat, dass dieser die Nerven verlor. Er rief mich mitten in der Nacht an. Ich hatte bis dahin direkt für ihn noch nie gearbeitet, aber er wusste, dass ich diskret bin. Ich glaube Ben Camerone hat mich mal empfohlen.“

„Was hatten Sie für den gemacht?“

„Das gehört nicht hier her, Agent Trevellian.“

„Schon gut, fahren Sie fort!“

„Die Sache war auf einem Parkplatz am Highway Richtung Albany passiert. Ich versprach ihm, dafür zu sorgen, dass die Leiche an einem Ort aufgefunden werden würde, der weit genug entfernt war. Außerdem sollte ich die Tatwaffe entsorgen. Gabrielli sollte sich irgendwo öffentlich zeigen, sodass er ein Alibi hatte. Lee Kim hatte ein Ferienhaus in Montauk, ganz am anderen Ende von Long Island. Es war niemand da. Ich drapierte die Leiche so, dass die Polizei später den Eindruck gewann, er sei dort ermordet worden. Ich fingierte vom Haus aus einen Anruf zum County Sheriff. Es war keine Stimme zu hören – nur ein Schuss. Zur selben Zeit besuchte Jack Gabrielli einen Nachtclub, betrank sich und benahm sich so daneben, dass sich hundert Leute an ihn erinnerten.“

„Ein fast perfektes Verbrechen.“

„Ich wurde gut für meinen Anteil daran entlohnt. Aber wenig später hatte ich Pech und wurde wegen einer ganz anderen Sache festgenommen und verurteilt. Jack Gabrielli sah seine Chance gekommen, Big Tony zu beerben. Die Steuerfahndung hatte dem großen Boss übel zugesetzt. Und da sah Jack Gabrielli die Chance, den Alten abzuservieren, ohne dabei die Unterstützung von dessen getreuen Paladinen zu verlieren. Und so haben wir uns geeinigt.“

„Wo ist die Tatwaffe geblieben?“, mischte sich Milo ein.

„In einem Bankschließfach, das ich für solche Dinge unter falschem Namen angemietet hatte. Ich hatte das Gefühl, mich absichern zu müssen. Und ich glaube kaum, dass Jack Gabrielli bereit gewesen wäre, Doreens Behandlung so lange zu bezahlen, wie er es schließlich getan hat.“

„Sie verraten uns, wo sich dieses Schließfach befindet?“, hakte ich nach.

„Grand National Bank, Filiale in der Mott Street, Schließfach 3422. Den Schlüssel besitze ich nicht mehr, aber die Miete ist für 15 Jahre im Voraus bezahlt gewesen.“

Er seufzte. Fast so, als würde ihm ein zentnerschwerer Stein vom Herzen fallen. „Doreen schrieb in ihrem Brief, dass es mir gut tun würde. Sie hatte Recht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal mit dem FBI zusammenarbeiten würde. Aber nicht einmal ein so frommer Mensch wie Doreen konnte sich an die Ideale ihres Glaubens halten...“

Ich hob die Augenbrauen.

„Was meinen Sie damit?“

„Ihren Selbstmord. Soweit ich weiß, hätte sie das nicht tun sollen. Aber wahrscheinlich war es besser so. Zumindest für sie.“


38


Ein paar Stunden später drangen wir mit einem halben Dutzend Agenten in Jack Gabriellis Traumwohnung am Central Park West ein. Clive und Orry waren ebenso dabei wie unsere Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell sowie Josy O'Leary und Fred LaRocca.

Clive Caravaggio präsentierte Gabrielli den Haftbefehl. „Sie haben das Recht zu schweigen, Mister Gabrielli. Falls Sie auf dieses Recht verzichten, kann und wird jedes Wort, das Sie von nun an sagen vor Gericht gegen Sie verwendet werden!“

„Das ist nicht Ihr Ernst!“, fauchte Gabrielli völlig fassungslos.

Jay und Leslie entwaffneten inzwischen den Bodyguard, der neben Gabrielli stand, ein großer breitschultriger Kerl mit kurz geschorenen blonden Haaren.

„Ich habe einen Waffenschein für die Beretta!“, beklagte er sich.

„Den werden wir ganz genau unter die Lupe nehmen“, versprach Clive.

Gabrielli wandte sich an mich. „Ich weiß nicht, was Sie hier für ein Spiel abziehen, Mister Trevellian...“

„Für Sie Agent Trevellian!“, erwiderte ich.

„... aber Sie werden mit Ihrem miesen Intrigenspiel nicht durchkommen!“ Gabriellis Züge waren zu einer hasserfüllten Maske gefroren.

„Das ist kein Spiel, Mister Gabrielli. Wir haben schlüssige Beweise, dass Sie den Mord an Lee Kim begangen haben.“

„Schlüssige Beweise?“, höhnte er. „Vielleicht die Aussage eines abgehalfterten Lohnkillers, er alles mögliche sagen würde, nur damit man ihn in eine Einzelzelle verlegt oder sonst irgend welche Vergünstigungen zukommen lässt?“

„Sie meinen, so wie vor zehn Jahren, als er in Ihrem Auftrag sich selbst des Mordes an Lee Kim bezichtigte und Big Tony Damiani als Auftraggeber beschuldigte!“

„Keine Jury der Welt wird diesem Kerl noch glauben, wenn er jetzt plötzlich seine Meinung ändert.“

„Wir haben die Tatwaffe, Mister Gabrielli. Tom Buscella war so schlau, sie die ganze Zeit über aufzubewahren – aber das wissen Sie ja, denn sonst hätten sie vermutlich irgendwann Ihre Verbindungen genutzt, um Buscella im Gefängnis ermorden zu lassen, nachdem er seine Schuldigkeit getan hatte.“

Jack Gabriellis Gesicht wurde kreideweiß.

„Ich möchte mit meinem Anwalt telefonieren“, sagte er.

„Das steht Ihnen jederzeit frei. Obwohl Sie wohl kaum Mister Reddick werden nehmen können, da er nach wie vor ein gültiges Mandat für Tom Buscella hat und sich da doch ein paar Interessensgegensätze ergeben könnten.“

Jack Gabrielli schluckte. „Ich dachte für einen Moment lang tatsächlich, dass Sie wirklich den Mörder meines Onkels suchen würden!“, zischte er zwischen seinen dünnen Lippen hindurch.

„Wer sagt Ihnen, dass wir den nicht schon gefunden haben!“, mischte sich nun Milo ein.

Gabrielli sah ihn entgeistert an. „Was, den Mord wollen Sie mir jetzt auch noch in die Schuhe schieben?“

„Was ist damals passiert, Mister Gabrielli?“, hakte ich nach. „Sie haben Big Tony durch die gekaufte Aussage von Buscella ins Abseits manövriert und...“

„... und deshalb hätte ich doch gar kein Motiv mehr gehabt, ihn auszuschalten!“, fauchte Gabrielli.

„Ja, vorausgesetzt, Ihr Plan wäre aufgegangen und Big Tony Damiani hätte tatsächlich das Land verlassen, nachdem er Sie als Nachfolger einsetzte. Aber wer sagt uns, dass das so wahr?“

„Das ist doch lächerlich, Trevellian! Vollkommen lächerlich!“

„Ich weiß nicht, was Ihre Freunde dazu sagen. Oder die Freunde Ihres Onkels. Viele leben ja nicht mehr, aber Ben Camerone bekommen wir vielleicht noch in die Hände, bevor Ihr Killer ihn erledigt.“

„Was für ein Killer? Sie sind verrückt! Damit habe ich nicht zu tun.“ Er schüttelte den Kopf und trat auf mich zu. „Das ist die Wahrheit!“

„Vielleicht sieht die Wahrheit auch so aus, dass sich Big Tony Damiani damals doch der Justiz stellen wollte!“, gab ich zu bedenken.

Gabrielli lachte heiser. „Um das Risiko einzugehen, lebenslang in den Bau zu gehen?“

„Er hatte gute Anwälte.“

„Das ist doch Blödsinn!“

„Er könnte Ihr Manöver, das ihn aus dem Spiel werfen sollte, durchschaut haben und da blieb Ihnen nichts anderes übrig, als Big Tony in der Versenkung verschwinden zu lassen. Wessen Idee war es, ihn im Lake Tappan verschwinden zu lassen? Haben Sie diesmal die Leiche selbst entsorgt, weil Sie das letzte Mal an einen Erpresser geraten sind?“

„Hören Sie auf!“, schimpfte er.

Clive mischte sich ein. „Sie werden auch des Mordes an Big Tony angeklagt!“

„Das können Sie nicht machen!“, rief er. „Die werden mich umbringen, sobald ich nicht mehr in Untersuchungshaft sitze und sie an mich herankommen!“

„Sprechen Sie von ihren eigenen Freunden?“, fragte ich. Wir hatten ihn beinahe da, wo wir ihn haben wollten.

Er ließ sich in einen der breiten Sessel fallen, die überall in seiner Wohnung zu finden waren. Einige Augenblicke lang verbarg er das Gesicht mit den Händen. „Die Sache mit Lee Kim gebe ich zu. Ich werde auf Notwehr plädieren. Meinem Anwalt wird schon was einfallen, um mich da mit einigermaßen heiler Haut herauszubringen...“

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, sage ich.

„Ich will einen Deal! Sie dürfen mich nicht wegen dem Mord an Big Tony anklage, dann bin ich geliefert! Selbst wenn die Grand Jury es gar nicht zum Prozess kommen lassen sollte, bin ich bei meinen Leuten unten durch!“

Einen Moment herrschte Schweigen.

„Dann helfen Sie uns“, forderte ich.

„Was wollen Sie wissen?“

„Wir suchen Gary Simone.“

Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn seit zehn Jahren nicht gesehen. Tut mir leid.“

„Und Ava Damiani?“

„Tante Ava?“, fuhr er auf. „Hören Sie, was spielen Sie hier eigentlich?“

„Wo lebt sie?“, ließ ich nicht locker.

„Das weiß ich nicht. Okay, Sie sollen jetzt auch die ganze Wahrheit wissen! Es gab Probleme zwischen Tante Ava und Big Tony. Und Gary Simone war ein sehr charmanter Typ. Ich hatte damals immer den Verdacht, dass zwischen Ava und Gary etwas laufen könnte, aber da wollte ich mich nicht einmischen. Mir hat es gereicht, dass Big Tony die Hosen gestrichen voll hatte und bereit war, das Land zu verlassen. Das ist alles. Heute ist mir natürlich klar, dass die beiden Onkel Tony auf dem Gewissen haben müssen.“ Er lachte heiser. „Und damals habe ich wirklich geglaubt, dass sie mit ihm nach Marokko verschwindet.“

„Jetzt ist Gary Simone – oder wie immer sich auch inzwischen nennen mag – dabei all diejenigen umzubringen, von denen er glaubt, dass sie sich die Wahrheit zusammenreimen könnten.“

„Haben Sie dafür Beweise?“, rief Gabrielli.

„Er wurde von einem Zeugen identifiziert – in unmittelbarer Nähe des Tatortes, an dem Mark Manetta umgebracht wurde. Zu dem Mord an D’Andrea können wir durch das verwendete Projektil eine Verbindung ziehen.“ Ich machte eine ausholende Geste. „Sie fühlen sich hier oben vielleicht sicher. Das Haus hat einen der höchsten Sicherheitsstandards, die man sich denken kann und ich nehme an, dass die Kollegen des privaten Security Service, der hier herumpatrouilliert, sich alle Mühe geben. Also wenn Sie es nicht doch waren, der Big Tony umgebracht hat, dann wartet Gary Simone irgendwo draußen auf Sie. Wahrscheinlich nimmt er sich zuerst Ben Camerone vor, den er schon um ein Haar im Dachgarten des Lokals Chez Jules erwischt hatte, bevor Sie drankommen...“

Er atmete tief durch.

„Camerone war hier“, erklärte er. „Er wollte, dass ich ein paar Leute losschicke, die Simone erledigen.“

„Und? Was haben Sie ihm geantwortet?“

„Dass das nicht so leicht ist! Simone ist dafür viel zu ausgebufft! Den kriegt man nicht so schnell! Außerdem verlangte er, dass ich ihm helfe, falsche Papiere und so etwas zu bekommen. Sonst würde Simone ihn überall aufspüren.“

„Warum sagt er nicht einfach vor der Staatsanwaltschaft aus“, meinte Clive. „Er könnte ins Zeugenschutzprogramm.“

„Damit es ihm so geht wie D’Andrea?“, höhnte Gabrielli. „Ich kann verstehen, dass er davon nichts wissen will. Jedenfalls habe ich ihm meine Villa in den Hamptons für die nächsten Tage angeboten. Schließlich weiß Simone über Bens eigene Immobilien Bescheid und braucht sie nur der Reihe nach abzuklappern, um ihn zu finden.“

„Geben Sie uns die Adresse, Mister Gabrielli!“, forderte Clive.


39


In den Hamptons auf Long Island liegen jede Menge Top-Villen, viele davon direkt am Meer und in traumhaft schöner Lage. Viele Ultrareiche – darunter Filmstars wie Robert Redford – haben oder hatten hier Häuser in exquisiter Lage mit Blick auf den Atlantik. Häufig auch mit Privatstrand.

Kräfte der State Police und des zuständigen County Sheriffs hatten die Villa sofort weiträumig abgesperrt, nachdem sie verständigt und um Amtshilfe gebeten worden waren.

Wir G-men flogen mit einem Hubschrauber dort hin und landeten in unmittelbarer Nähe der Villa in den Dünen.

Wir stiegen aus, während die Rotoren des Helikopters sich noch drehten. Jeder von uns hatte eine Schutzweste angelegt. Die Kommunikation wurde durch Headsets sichergestellt.

Clive hatte die Einsatzleitung. Wir schwärmten aus und pirschten uns an das Haus heran.

Eine Megafondurchsage stieß auf taube Ohren.

Es gab keinerlei Reaktion.

Milo und ich arbeiteten uns bis zum Vordereingang voran, während Jay und Leslie den Hintereingang besetzten.

Wir sprengten das Türschloss mit einer eigens dafür dosierten Sprengladung auf und stürmten ins Innere. Raum für Raum nahmen wir uns vor, aber schon bald wurde klar, dass sich niemand im Haus befand.

Allerdings konnte es keinen Zweifel daran geben, dass jemand im Haus gewesen war. Erstens standen im Kühlschrank ein paar leicht verderbliche Lebensmittel, die laut den Frischhaltedaten erst vor kurzem gekauft sein konnten.

Aber von Ben Camerone war nirgends eine Spur zu finden.

„Er muss gedacht haben, dass Gabrielli ihm vielleicht eine Falle stellt, um ihn los zu werden“, vermutete Milo. „Darum ist er wieder auf und davon.“

„Fragt sich nur wohin“, murmelte ich.

„Einsatz kann abgeblasen werden“, verkündete Clive. „Die Villa wird damit wohl ein Fall für unsere Spurensicherer. Vielleicht finden die ja etwas, was uns auf die richtige Spur bringt.“

Clive Handy schrillte. Es war Mr McKee.

„Camerones Handy wurde geortet – wenn auch nur für kurze Zeit“, erklärte er, nachdem das Gespräch beendet worden war. „Der Standort war hier ganz in der Nähe – etwa fünf Meilen entfernt in einem Hotel, das Seagull heißt.“

„Dann nichts wie hin!“, schlug ich vor. „Allerdings sollten wir uns von den Kollegen des County Sheriffs dorthin kutschieren lassen. Das ist wesentlich weniger auffällig, als wenn wir den Helikopter benutzen!“


40


Die Wege und Straßen um das Hotel wurden weiträumig abgesperrt. Wenn Ben Camerone sich in dem eingegrenzten Bereich noch aufhielt, hatte er eigentlich wenig Aussicht, uns durch die Lappen zu gehen.

Wir versuchten unser Glück zunächst im Hotel.

Dort zeigten wir unter dem zurzeit diensthabenden Personal die Bilder von Ben Camerone herum.

Ein junger Mann wusste sofort Bescheid. „Er hat sich für die Nacht hier einquartiert und für eine weitere Nacht im Voraus bezahlt“, erklärte er. „Ich weiß das genau, denn ich hatte gerade Rezeptionsdienst, als er eintraf.“

„Ist er auf seinem Zimmer?“, wollte ich wissen.

„Nein, hundert Yards von hier entfernt gibt es einen Drugstore, da wollte er Vorräte einkaufen! Er ist nämlich auf der Durchreise.“

Jay und Leslie wurden abkommandiert, sich das Zimmer trotzdem anzusehen.

Milo und ich erreichten unterdessen zusammen mit Fred LaRocca und Josy O'Leary den Drugstore, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Der einzige Drugstore in diesem Teil Long Islands, dessen Besitzer sich einer so mörderischen Öffnungszeit unterwarf und rund um die Ihr für seine Gäste da war.

Wir traten ein.

Es war nicht viel Betrieb.

Camerone stand am Tresen.

Ich erkannte ihn sofort.

Er erstarrte, als er uns bemerkte.

„FBI!“, sagte ich, während ich den Ausweis in seine Richtung hielt.

„Was wollen Sie von mir?“, fragte er mit einem gezwungen wirkenden Lächeln.

„Werden Sie gleich sehen.“

„Es gibt keinen Grund dafür, dass Sie mich verfolgen!“, schimpfte er.

„Wir möchten dringend mit Ihnen sprechen – und vielleicht auch Ihr Leben retten, wenn Sie uns die Gelegenheit dazu lassen!“

„Was soll das Gerede?“

Clive mischte sich in das Gespräch ein.„Das ist kein Gerede – und Sie wissen das. Also arbeiten Sie mit uns zusammen, Mister Camerone!“

An einem der Zeitschriftenständer bemerkte ich einen grauhaarigen Mann mit Baseballmütze. Er trug einen Blouson, unter dem sich etwas Dickes an der linken Seite unterhalb des Armes abhob.

Einer Waffe.

Ich erkannte ihn sofort.

„Da ist Gary Simone“, murmelte ich ins Headset hinein.

Er griff unter seine Jacke – dorthin, wo die Waffe in seinem Schulterholster steckte.

„Waffe weg, FBI!“, rief ich.

Ich konnte nur hoffen, dass unser Gegner vernünftig blieb.

Doch das war nicht der Fall.

Er riss die Waffe heraus und feuerte.

Der Schuss ging dicht an mir vorbei und landete in einem der Regale. Eine Flasche mit Brandy wurde zerschossen. Tausend Scherben regneten zu Boden. Irgendetwas schepperte furchtbar. Ich hatte keine Zeit um darauf zu achten.

Der Killer feuerte wild drauflos. Orry bekam eine Kugel in den Brustkorb. Die Einsatzjacke wurde aufgerissen. Das Kevlar seiner Einsatzweste fing das Geschoss auf. Er wurde zu Boden geschleudert und rang nach Atem.

Ich griff nach meiner Waffe und schoss ihm in der nächsten Sekunde gezielt in die Schulter. Er taumelte zurück und rutschte an der Außenwand des Drugstore zu Boden. Sein Gesicht wurde schmerzverzerrt.

Aber offenbar dachte er noch lange nicht ans aufgeben.

Er wollte noch einmal seine Waffe heben, aber er kam nicht mehr dazu. Sein Arm gehorchte ihm nicht mehr.

Blut sickerte an der Einschussstelle durch sein Hemd und seine Jacke. Er stöhnte auf. Sein Gesicht wurde zu einer verzerrten Maske ohnmächtiger Wut.

„Das Spiel ist aus, Mister Simone!“, stellte ich klar. „Oder wie immer Sie sich im Moment auch nennen mögen!“

Er biss die Zähne aufeinander.

„Sie können ich mal!“, fauchte er.

„Wir verhaften Sie wegen unter anderem wegen des Verdachts, die Morde an Sonny D’Andrea, Mark Manetta und Tony Damiani begangen zu haben.“

„Nicht zu vergessen das, was Sie Beverly Reynolds angetan haben“, ergänzte Clive. „Das war wirklich bestialisch. Selbst in meiner langen Zeit als G-man habe ich selten etwas gesehen, dass so furchtbar war.“

Gary Simone blinzelte uns an.

„Wie bitte?“, keuchte er und runzelte dabei die Stirn.

Clive verzog das Gesicht.

„Sie haben sie nach allem möglichen gefragt, nur nicht nach ihrem Namen, nicht wahr?“

„Denken Sie im Ernst, dass ich darauf antworten werde?“, höhnte Simone.

Es fiel Clive offensichtlich schwer, seinen Abscheu zu verbergen und sich einigermaßen im Zaum zu halten.

Ich konnte das sehr gut nachvollziehen.

Aber das Wichtigste war, dass dieser Kerl nicht mehr auf den Straßen von New York City zu finden sein würde.

Und das für lange, lange Zeit.

Vielleicht sogar für immer.

„Diese verdammten Archäologen!“, murmelte er vor sich hin.

„Es gibt eben Leute, die die Vergangenheit nicht ruhen lassen“, kommentierte Milo.

Es folgten die üblichen Verhaftungsrituale. Als wir ihm die Rechte vorlasen, verzog Gary Simone nur das Gesicht. Er hatte einen Führerschein dabei, der sogar noch gültig war und kein bisschen gefälscht aussah.

„Ich werde keinerlei Aussagen machen“, kündigte er an.

„Das sollten Sie sich gut überlegen, Mister Simone“, erwiderte Clive kühl.

„Im Übrigen wäre Ava Damiani wohl kaum dazu bereit, für Sie dasselbe zu tun“, stellte ich Gary Simone gegenüber klar. Orry rief per Handy den Notarzt.

Simone verzog das Gesicht. „Keine Sorge, das würde sie“, murmelte er.

Wir durchsuchten ihn und fanden einen aktuellen Führerschein, der auf den Namen Gary McConnor ausgestellt war. Die angegebene Adresse lag in Paterson, New Jersey.

„Wie dem auch sei“, meinte ich. „Am Ende werden Sie beide für sehr lange Zeit hinter Gittern sitzen.“


41


Gary McConnor alias Gary Simone wurde mit eine Helikopter in die Gefängnisklinik von Rikers Island gebracht, wo er weiter behandelt werden konnte.

Wir fuhren im Morgengrauen mit einem halben Dutzend G-men nach Paterson, New Jersey und suchten die Adresse auf, die in Gary Simone/McConnors Fahrlizenz angegeben war.

Sie gehörte zu einem schmucken Bungalow am Stadtrand. Der Garten war penibel gepflegt.

„Hier hat die Frau von Big Tony also das letzte Jahrzehnt verbracht!“, stellte Milo etwas erstaunt fest. „Nichts gegen Paterson, aber Marokko hätte doch auch seinen Reiz gehabt...“

„Offenbar wollten die beiden in der Nähe New Yorks bleiben...“, stellte Clive fest.

Milo klingelte noch einmal.

Wieder keine Reaktion.

Es blieb uns nichts anderes übrig, als gewaltsam in das Haus einzudringen.

Wir sprengten die Haustür auf. Dann stürmten wir ins Haus. Jeder von uns trug bei diesem Einsatz seine Kevlar–Weste. Schließlich wussten wir nicht, was uns da drinnen erwartete.

Der Reihe nach nahmen wir uns die Zimmer vor, sicherten uns gegenseitig ab und deaktivierten eine Alarmanlage.

Auf dem Wohnzimmersofa fanden wir dann eine Frau in den mittleren Jahren. Sie hatte sich das Haar rotbraun färben lassen. Auf den alten Fotos war es blond gewesen. Dennoch war es unverkennbar das Gesicht von Ava Damiani. Auch jetzt noch eine schöne Frau, auch wenn sie in den vergangenen zehn Jahren etwas rundlicher geworden war.

Sie schlief. Die Ohren wurden von den gut gepolsterten Hörmuscheln eines drahtlosen Infrarot-Kopfhörers bedeckt.

Jetzt schreckte sie hoch, stieß einen Schrei aus und starrte uns an, als hätte sie den Leibhaftigen persönlich vor sich.

„Mrs Damiani, wir beschuldigen Sie der Mittäterschaft an der Ermordung Ihres Mannes“, erklärte Clive und hielt ihr den Haftbefehl unter die Nase. Sie starrte uns ungläubig an. „Alles, was Sie von nun an...!“

„Sparen Sie sich Ihren Atem, junger Mann!“, zischte sie giftig. Ihre Augen wurden schmal. „Ich kenne diese Rechte in- und auswendig. Und wenn Sie auch nur eins davon verletzen, werde ich dafür sorgen, dass Sie es bereuen.“ Sie streckte uns ihre Handgelenke entgegen, damit ihr Handschellen angelegt werden konnten. „Na, los, worauf warten Sie noch! Ich hoffe, Sie gestatten es mir gleich noch, mit einem Anwalt zu telefonieren!“

„Das können Sie mit den Apparaten hier im Haus erst machen, wenn die Durchsuchung beendet wurde“, erklärte ich.


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In den nächsten Tagen folgte das übliche juristische Ringen. Der Zweck war immer derselbe. So wenig wie möglich Schuld wollte jeder der Beteiligten auf sich nehmen. Vor allem Ava McConnor alias Ava Damiani schien daran äußerst interessiert zu sein.

Jedenfalls belastete sie den Mann schwer, mit dem sie offenbar die letzten zehn Jahre ihres Lebens unter dem Namen McConnor zusammen gewohnt hatte.

Alles sei die Idee von Gary< Simone gewesen. Er hätte sie bedroht, dem großen Boss etwas von ihrem Verhältnis zu erzählen, wenn sie nicht mitmachen würde und so weiter. Besonders glaubwürdig wirkte das nicht und Staatsanwalt Robert Thornton sah daher auch keinerlei Anlass, ihr irgendeine Form von Absprache anzubieten.

„Gute Arbeit“, sagte Mr McKee, als er noch einmal alle, die an dem Fall in unserem Field Office gearbeitet hatten, zu einer kurzen Besprechung versammelte. „Wie ich gehört habe, werden Sie alle in Kürze in dem Verfahren gegen Gary Simone als Zeugen aussagen.“

„Wir haben getan, was wir konnten“, sagte ich. „Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“

Mr McKee nickte.

„Was den Mord an Big Tony Damiani angeht, hat sich Staatsanwalt Thornton entschlossen beide McConnors wegen gemeinschaftlichen Mordes anzuklagen.“

„Ich nehme an, dass nicht alle Einzelheiten des Tathergangs letztlich einwandfrei geklärt werden können!“, erwiderte ich.

„Das ist nach so langer Zeit unmöglich“, stimmte Mr McKee zu. „Aber es wird ausreichen, um eine Jury zu überzeugen. Die beiden werden nicht davonkommen!“

„Ein kleiner Sieg für die Gerechtigkeit also“, murmelte Milo.

Mr McKee nickte.

„Das zeichnet sich tatsächlich ab“, bestätigte der Chef unseres Field Office und nippte dabei an seinem Kaffeebecher. Der Geruch von Mandys exquisitem Gebräu erfüllte das ganze Büro. „Ich habe übrigens im Radio gehört, dass die archäologischen Grabungen am Lake Tappan inzwischen fortgesetzt werden.“

„Dann wird man dort unten im See mit Sicherheit wohl keinerlei Munitionsüberreste mehr finden“, war ich überzeugt. „Aber für den Prozess ist das auch nicht nötig.“

ENDE

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Eine junge Frau verliebt sich und muss erkenen, dass der Mann, mit dem sie ihr Leben teilen will, ein Profi-Killer ist, der sie nach dieser Entdeckung unmöglich am Leben lassen kann. Ein Mann glaubt den perfekten Mord geplant zu haben - aber einen Faktor hat er nicht bedacht: Das Wetter. Ein in die Jahre gekommener Junggeselle lebt bei seiner Mutter. Als er endlich wieder eine Freundin findet, verschwindet diese plötzlich - so wie ihre Vorgängerinnen...Um diese und andere Themen geht es in den Krimis von Alfred Bekker.Das Krimi Ferien-Paket enthält:2 Romane und 35 Kurzgeschichten, zusammen ca. 450 Taschenbuch-SeitenEis in den BergenTod in TangerEin Profi gibt nicht aufDas linke BeinZum Dessert: Ein MordTödliche TropfenDer Kopf-AbhackerUngebetene GästeDie KonkurrentenDer einzige MordzeugeKalt wie EisUnter MordverdachtDie Tote am StrandEine böse ÜberraschungSaras FluchtDer VerräterMillys erster MordEin Freund des InspektorsDer Killer in den BergenMörder mit HutDer Name des MördersEine Kugel für den KurierDie Frau, die zuviel wussteSie fanden eine LeicheDer Hollywood-KillerDer Mörder irrteTodesfahrtDer LeibwächterDer Fall RosenerIrischer MordEine Leiche im KofferraumTod im SeeTot und teuerDen Tod vor AugenDer Klinik-MörderBlumen auf das Grab

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About the Author

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete.

Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte.

Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick.

Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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