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Die teure Kunst des Mordes: Kriminalroman (Alfred Bekker Thriller Edition)
ОглавлениеDie teure Kunst des Mordes: Kriminalroman
Alfred Bekker Thriller Edition
Alfred Bekker
Published by Alfred Bekker, 2019.
Table of Contents
UPDATE ME
Die teure Kunst des Mordes
von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 115 Taschenbuchseiten.
Im illegalen Kunsthandels werden Milliarden umgesetzt, und man kommt an die Hintermänner noch schwerer heran als im Drogenhandel. Jetzt erreicht das FBI eine Bitte des Innenministeriums der Russischen Föderation um Zusammenarbeit, die möglicherweise die Chance bietet, einige dieser mafiösen Strukturen endlich aufzudecken. In der Eremitage in St. Petersburg sind seit Jahren massenhaft Kunstgegenstände verschwunden und auf dem schwarzen Markt verkauft worden. Vom Wachpersonal bis zur Kuratorin steckten maßgebliche Teile des Museumspersonals mit den Kriminellen unter einer Decke. Die Ware taucht später zu einem Teil in New York auf. Nun werden die FBI Agents Jesse Trevellian und Milo Tucker darauf angesetzt. Agent Dennister wird ihnen von der Zentrale in Washington als Experte für den internationalen Kunsthandel zugeteilt, um sie mit seiner Sachkenntnis zu unterstützen. Schon bald gibt es einen Toten...
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Alle Rechte vorbehalten.
1
St. Petersburg, Russland
Das Café Rasputin war ein beliebter Szene-Treff, wo sich Künstler, Intellektuelle und alle die sich dafür hielten einfanden, um über den Niedergang Russlands zu diskutieren oder der Performance eines experimentellen Dichters zu lauschen. An den Wänden hingen großformatige Gemälde in grellen Farben. Vladimir Bykov fiel in seinem biederen, dreiteiligen Anzug sofort auf. Er ließ suchend den Blick über die Gäste schweifen. Stimmengewirr erfüllte den Raum.
Und Zigarettenrauch.
In kalten Schwaden hing er über den Tischen und machten Bykov klar, wie sehr ihn zwanzig Jahre New York geprägt hatten. Im Big Apple war das Rauchen beinahe überall verboten und so war Bykov den in Augen und Nase beißenden Qualm nicht gewöhnt.
Sein Blick blieb an einem Mann im dunklen Rollkragenpullover haften, der allein an seinem Tisch saß.
Bykov ging an seinen Tisch.
Der Mann im Rollkragenpullover zog an seiner filterlosen Zigarette und blies Bykov den Rauch entgegen. „Na, endlich! Ich dachte, du kommst nicht mehr! Setz dich!“
Bykov nahm Platz. „Wir müssen miteinander reden, Sergej!“
Der Mann im Rollkragenpullover beugte sich nach vorn und sprach nun in gedämpftem Tonfall. „Ich steige aus, Vladimir! Die Sache ist zu heiß geworden. Und wenn du schlau bist und am Leben bleiben willst, tust du dasselbe!“
2
„Was ist passiert?“, fragte Bykov.
„Genug, um in Zukunft die Finger von der Sache zu lassen. Das Geschäft läuft nicht mehr und ich habe keine Lust, mir die Finger zu verbrennen. Vor zwei Tagen wurde Korzeniowskij erschossen und ich möchte nicht der Nächste zu sein.“
Bykov verengte die Augen.
„Korzeniowskij?“, echote er. „Das wusste ich nicht...“
„Du scheinst so manches nicht zu wissen, Vladimir!“
„Dann erkläre es mir, Sergej!“
„Ich sehe zu, dass ich mein Geld in die Schweiz bekomme und dann bin ich weg!“, erklärte der Mann im Rollkragenpullover.
Er lehnte sich zurück und ließ den filterlosen Glimmstängel aufglühen.
Bykov wedelte mit der Hand, um den Rauch zu vertreiben.
Sergej grinste schief. „Verweichlichter Amerikaner!“, murmelte er verächtlich.
„Was den Pass betrifft stimmt das“, konterte Bykov.
„Na, das wird es für dich ja etwas leichter machen, mit der neuen Situation fertig zu werden.“
Bykov lachte heiser. „Du hast gut reden, Sergej! Ich bin schließlich Verpflichtungen eingegangen! In New York gibt es Leute, die auf die nächste Lieferung so sehnsüchtig warten wie ein Junkie auf seinen Stoff! Die werden ziemlich sauer reagieren.“
Sergej zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid.“
„Was ist mit Lebedew?“
„Der ist schon vor Wochen von der Bildfläche verschwunden. Offenbar hat er den Braten etwas früher gerochen, als der Rest von uns und zugesehen, dass er seine Schäfchen ins Trockene bekommt.“
„Verdammt!“ Bykov ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Eine dunkle Röte überzog sein Gesicht.
Sergej wirkte gelassener. „So ist das nun mal. Jeder muss jetzt sehen, dass er so gut wie möglich aus dem Schlamassel herauskommt.“
„Na, großartig!“
Sergej drückte den Rest seiner Zigarette im Aschenbecher aus, trank seinen mit Wodka vermengten Kaffee aus und erhob sich.
Bykov war bleich wie die Wand geworden.
Sergej sah ihn an und verzog das Gesicht. „Hey, bist du wirklich schon so ein amerikanisches Weichei geworden, Vladimir? Ich dachte, ihr würdet da drüben den Unternehmergeist immer besonders groß schreiben!“
Bykov verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.
„Das tun wir auch.“
„Da wird der deinige ja wohl nicht gleich versagen, nur, weil die Zeit der Riesenjackpots für dich jetzt erst mal eine Weile vorbei ist!“
„Sehr witzig!“
„Immerhin lebst du noch – das ist mehr, als man von so manch anderem sagen kann, der bei der Sache mitgemacht hat!“ Gönnerhaft klopfte Sergej seinem Gesprächspartner auf die Schulter. „Nichts für ungut, Vladimir! War ´ne schöne Zeit und ich denke wir werden dem warmen Dollar-Regen noch lange nachtrauern.“
Bykov bleckte die Zähne wie ein Raubtier. „Du kannst mich mal!“, fauchte er.
„Wie auch immer. Vielleicht machen wir ja irgendwann, wenn sich die Lage beruhigt hat, mal wieder zusammen Geschäfte. Man sollte ja immer optimistisch bleiben!“ Er grinste schief und setzte noch hinzu: „Außerdem kommen Ikonen nie aus der Mode!“
Sergej sah auf die Uhr.
Dann nickte er Bykov zu und ging in Richtung Ausgang.
Gerade hatte ein Mann in dunkler Lederjacke, dazu passenden Stiefeln und grauer Strickmütze den Raum betreten.
Sergej erstarrte, als er ihn sah.
Der Mann in Leder griff unter seine Jacke und riss eine Pistole hervor. Er drückte sofort ab. Sergej bekam einen Treffer in den Brustbereich, taumelte zwei Schritte zurück und wurde anschließend noch in Kopf und Hals getroffen.
Mit einem dumpfen Geräusch schlug der Getroffene auf den Holzboden. Blut sickerte aus den Wunden.
Überall im Café brach Panik aus. Entsetzensschreie gellten durch den Raum.
Bykov erhob sich vom Platz, drehte sich herum und griff unter seine Jacke.
Der Mann in Leder schwenkte den Lauf seiner Automatik in Bykovs Richtung. Die Blicke der beiden Männer begegneten sich kurz. Dann leckte erneut das Mündungsfeuer wie eine rote Drachenzunge aus dem Lauf der Automatik hervor.
Bykov bekam einen Schuss in die Brust, der ihn gegen die Wand taumeln ließ. Ein zweiter Treffer erwischte ihn nur Zentimeter daneben – genau dort, wo sich das Herz befand.
Bykov rutschte an der Wand hinunter, versuchte sich festzuhalten und riss dabei eines der großformatigen Gemälde von den Haken.
Er ächzte und rang nach Luft.
Der Mann in Leder drängte sich derweil bereits durch die von Panik erfüllten Gäste des Café Rasputin in Richtung Ausgang.
Rechts und links stoben die Leute vor ihm zur Seite, so gut sie konnten. Niemand wollte schließlich von der Waffe in seiner Rechten angeschossen werden.
Augenblicke später war er draußen in der Menge der Passanten verschwunden.
Inzwischen stöhnte Bykov schmerzerfüllt auf.
Er versuchte sich zu bewegen, aber er hatte das Gefühl, von mehreren Messern durchbohrt zu werden.
Er rang noch immer nach Luft. Das Atmen tat höllisch weh. Vorsichtig betastete er die Stellen, an denen er getroffen worden war. Die Projektile hatten seine Kleidung aufgerissen. Unter dem edlen Tuch seines New Yorker Schneiders kamen die ersten Lagen grauen Kevlars zum Vorschein.
Immerhin, dachte er, die Weste hat gehalten, was der Hersteller verspricht, auch wenn die Treffer trotzdem sehr schmerzhaft gewesen sind.
Aber die Kevlar-Weste hatte das Eindringen der Kugeln in den Körper verhindert und Bykov damit das Leben gerettet. Ein paar blaue Flecken würden ihm von der Attacke bleiben – wenn er Pech vielleicht auch eine angeknackste Rippe. Bykov berührte eine der Stellen ein zweites Mal. Er war sich noch nicht ganz sicher, wie schwer die Verletzungen tatsächlich waren.
Vorsichtig stand er auf und stützte sich dabei auf einen der Tische.
Im Café Rasputin herrschte jetzt vollkommenes Chaos. Alle rannten durcheinander und versuchten, sich irgendwie in Sicherheit zu bringen.
Da auch Bykov eine Waffe in der Hand hielt, wich ihm jeder aus.
Nur weg, so lange die Miliz noch nicht hier ist!, ging es ihm durch den kopf.
Er hatte keine Lust, sich den langwierigen Fragen der Polizei zu stellen und am Ende noch ein kleines Vermögen investieren zu müssen, um die betreffenden Beamten zu schmieren.
Vielleicht hat Sergej recht gehabt und es ist wirklich Zeit, dass ich aussteige!, überlegte Bykov, als er ins Freie taumelte.
3
„Na, gewöhnst du dich langsam an deine neue Karre?“, fragte mich mein Kollege Milo Tucker, als ich ihn an diesem Morgen abholte. Wie üblich hatte Milo an der bekannten Ecke in der Upper West Side gewartet. Es regnete Bindfäden und er war ziemlich durchnässt.
„Von welcher Karre sprichst du?“, fragte ich.
„Na, von welcher wohl?“
„Das ist ein sehr schnittiger Sportwagen, keine Karre.“
Milo machte sich immer wieder darüber lustig.
Der Wagen, den ich die letzten Jahre über gefahren hatte, war mir gestohlen worden. Wir fanden ihn später in einer Schrottpresse als handliches Päckchen wieder und es stellte sich im Laufe der Ermittlung heraus, dass die Diebe es auf den Inhalt des installierten Dienstrechners abgesehen hatten. Die darauf gespeicherten Daten waren für die Gangster ein Hilfsmittel gewesen, um eine groß angelegten Cyberangriff auf das FBI zu starten.
Inzwischen fuhr ich einen schnittigen Sportwagen.
Die technische Innenausstattung mit integriertem TFT-Bildschirm und Computer entsprach dem Standard, den auch der alte Wagen gehabt hatte.
Seit einiger Zeit hatte ich Gelegenheit, die Fahreigenschaften meines neuen Sportwagens kennen zu lernen.
Bis jetzt war ich vollauf zufrieden, auch wenn ich dem alten Wagen immer noch etwas nachtrauerte. Aber das hatte wohl eher sentimentale Gründe.
Milo schnallte sich an.
„Na, dann zeig mal, was der Neue kann!“, meinte er.
„Witzbold.“
„Wieso?“
„So lange wir uns im Big Apple aufhalten, dürfte das wohl kaum praktikabel sein, wenn wir nicht eine unangenehme Begegnung mit unseren Kollegen in Uniform riskieren wollen. Schließlich gibt es ja auch für FBI-Agenten keine gesonderten Verkehrsregeln.“
„Zumindest, solange nicht irgendein gerechtfertigter Notfall vorliegt“, gestand ich zu.
Der Regen wurde so heftig, dass selbst die unermüdlich hin und her schwingenden Wischblätter es kaum schafften, einen klaren Durchblick zu gewährleisten.
„Wieso bist du ausgerechnet heute so spät dran, Jesse?“, fragte Milo, als wir wenig später an einer Ampel halten mussten. „Ich bin fast aufgeweicht bei der verdammten Nässe!“
„Ich war heute Morgen noch in der Werkstatt und hatte dort einen Sondertermin außerhalb der Geschäftszeiten.“
Milo grinste.
„Ach, hat das gute Stück schon seine Mucken?“
Ich schüttelte den Kopf. „Keineswegs. Es waren nur noch ein paar Feineinstellungen vorzunehmen. Routinekram eben.“
„Wer es glaubt wird selig. Mal ehrlich, ich weiß nicht, ob ich dieser Karre trauen kann!“
4
Als wir das Bundesgebäude an der Federal Plaza erreichten, ließ der Regen zum Glück endlich nach.
Noch bevor wir unser gemeinsames Dienstzimmer erreichten, lief uns Agent Max Carter über den weg. Der Innendienstler aus der Fahndungsabteilung des FBI Field Office New York grüßte knapp und wies uns darauf hin, dass unser Chef in einer halben Stunde eine Besprechung in seinem Büro angesetzt hatte.
„Du bist doch sicher informiert, worum es geht, Max!“, vermutete ich.
Max nickte. „Das wird eine groß angelegte Operation mit internationaler Zusammenarbeit und so weiter...“
„Drogen?“
„Nein. Schon mal was von der Eremitage gehört?“
„Ist das nicht ein Museum in St. Petersburg?“
„Richtig.“
„Dann geht es um illegalen Kunsthandel?“
„Lass dich einfach überraschen, Jesse! Ich muss noch mal ein Dossier für euch zusammenstellen.“
„Bis nachher.“
Der illegale Kunsthandel hatte finanziell gesehen längst Dimensionen wie der Handel mit Drogen, Waffen oder Müll erreicht und war zu einem wichtigen Zweig des organisierten Verbrechens geworden, ohne dass die Öffentlichkeit davon besonders Notiz genommen hatte.
Wir fanden uns zusammen mit einer Reihe weiterer G-men pünktlich im Besprechungszimmer von Mr Jonathan D. McKee, dem Leiter des FBI Field Office New York ein und nahmen Platz.
Mandy grüßte uns knapp.
Die Sekretärin unseres Chefs servierte Kaffee für alle. Außer uns waren unter anderem die Kollegen Clive Caravaggio und Orry Medina anwesend. Die Agenten Jay Kronburg und Leslie Morell trafen kurz nach uns ein.
Max Carter schlich sich erst auf leisen Sohlen in den Raum, als Mr McKee bereits zu sprechen begonnen hatte.
„Über die Bedeutung des illegalen Kunsthandels für das organisierte Verbrechen brauche ich wohl kaum noch ein Wort zu verlieren“, erklärte unser Chef. „Da werden Milliarden umgesetzt und wir kommen an die Hintermänner noch schwerer heran als im Drogenhandel. Jetzt erreichte uns eine Bitte des Innenministeriums der Russischen Föderation um Zusammenarbeit, die für uns möglicherweise die Chance bietet, einige dieser mafiösen Strukturen endlich aufzudecken. Wir kommen auf diese Weise an Informationen heran, die uns da weiterhelfen werden. Sie haben vielleicht von dem Skandal um die Kunstgüter der Eremitage in St. Petersburg gehört. Offenbar sind dort seit Jahren massenhaft Kunstgegenstände verschwunden und auf dem schwarzen Markt verkauft worden. Vom Wachpersonal bis zur Kuratorin steckten maßgebliche Teile des Museumspersonals mit den Kriminellen unter einer Decke. Die Ware tauchte später zu einem Teil auch hier in New York auf. Und das geht nun schon seit Jahren so. Jetzt ist dieser Connection der Kopf abgeschlagen worden. Aber an dieser Stelle übergebe ich das Wort besser an Agent Milton Dennister.“ Mr McKee deutete auf einen Mann in den Fünfzigern. Außer einem schmalen, dunklen Haarkranz hatte er keine Haare mehr am Kopf. „Agent Dennister wurde uns von der Zentrale in Washington als Experte für den internationalen Kunsthandel zugeteilt und wird uns mit seiner Sachkenntnis unterstützen. Bitte Milton, Sie haben das Wort.“
„Danke, Sir.“ Milton Dennister erhob sich und aktivierte den Beamer des Laptops, das vor ihm auf dem Tisch stand. Auf Knopfdruck wurde das Bild einer Frau von Mitte fünfzig projiziert. „Sie sehen die Kuratorin der Eremitage in St. Petersburg. Nachdem eine Revision der Bestände angekündigt wurde, traf sie buchstäblich der Schlag. Die Revision ergab dann auch den Grund. Es fehlten erhebliche Teile des Bestandes, die offenbar über ein kriminelles Netzwerk auf den Markt gebracht wurde. Eine Reihe von Personen wurden verhaftet, darunter der Ehemann und der Sohn der Kuratorin. Der festgestellte Schaden ist nicht einmal abschätzen, denn ein Teil des Eremitage-Bestandes ist noch nicht einmal richtig katalogisiert gewesen. Man weiß bis heute nicht, wie viele Stücke wirklich verschwunden sind. Tatsache ist, dass eine Art Panikwelle durch den illegalen Kunstmarkt fegte, die einmal um den ganzen Globus schwappte und wohl noch nicht ganz abgeebbt ist. Selbst hier in New York waren ein paar Ausläufer davon zu spüren. So verzeichnen wir seit einiger Zeit ein deutlich erhöhtes Angebot an Kunsthandwerk, Ikonen und Schmuck, die genau zum Bestand der Eremitage passen. Hin und wieder haben wir Glück und man kann die Herkunft nachweisen. Häufiger ist das jedoch nicht der Fall und es bleibt nur die Vermutung, dass mit der Herkunft etwas nicht stimmt.“ Milton Dennister aktivierte noch einmal den Beamer. Das Gesicht eines Mannes im dunklen Rollkragenpullover wurde sichtbar. „Wir haben im Zusammenhang mit Auftauchen von inflationär vielen Ikonen in New York, Boston und Philadelphia einige wertvolle Hinweise des Innenministeriums der Russischen Föderation erhalten, die es uns vielleicht möglich machen, auch bei uns ein paar Leuten das Handwerk zu legen, die schon seit Jahren den illegalen Kunsthandel als organisiertes Verbrechen betreiben und dabei bereit sind über Leichen zu gehen. Der Mann, den Sie hier sehen, heißt Sergej Sergejewitsch Michailov. Er arbeitet für ein Kunsthandels-Syndikat in St. Petersburg. Letzte Woche wurde er dort im Café Rasputin von einem Killer erschossen, als er sich mit einem Mann namens Vladimir Bykov traf.“ Dennister sorgte dafür, dass der Beamer das nächste Bild zeigte. Ein Mann im konservativen Dreiteiler war zu sehen. Er wirkte so bieder wie ein Bankangestellter. „Bykov lebt seit zwanzig Jahren in New York. Davor war er Angestellter der russischen UNO-Botschaft und KGB-Agent. Wir nehmen an, dass seine Verbindungen zu dieser Organisation auch noch fortbestanden, nachdem sich der KGB in FSB umbenannt hatte und Bykov aus dem Botschaftsdienst ausschied. Offiziell übrigens deswegen, weil er Mitglied der Kommunistischen Partei war, die Boris Jelzin kurz nach dem Putsch gegen Gorbatschow verbieten ließ. Aber seine angebliche Treue zum Kommunismus hat ihn nicht daran gehindert, anschließend nach allen Regeln der Kunst zu einem kapitalistischen Geschäftsmann zu werden. Er blieb in New York, hatte offenbar gute Fürsprecher bei den Behörden und ist inzwischen Amerikaner.“
„Hat er vielleicht ein paar KGB-Geheimnisse verraten, damit jemand die Hand über ihn hält?“, fragte Clive Caravaggio. Der flachsblonde Italoamerikaner schlug die Beine übereinander. Er war nach Mr McKee der zweite Mann in der Hierarchie des FBI Field Office New York.
Dennister drehte sich zu ihm um und nickte. „Daran habe ich auch gedacht. Und ich habe versucht, etwas darüber in den Archiven zu finden. Zumindest, was das FBI betraf, waren sie mir zugänglich. Bisher Fehlanzeige! Aber das muss nichts heißen. Möglicherweise schlummert da noch etwas bei der NSA oder der CIA. Oder Bykov hat es sogar geschafft, dass dort alles verschwunden ist, was ihn irgendwie hätte kompromittieren können. Denn eins ist klar: Ohne seine alten KGB-Verbindungen hätte er nicht der wichtige Verbindungsmann im illegalen Kunsthandel werden können, der er zweifellos ist.“ Dennister atmete tief durch. „Leider konnte man ihm nie etwas nachweisen, aber das könnte sich nun ändern.“
„In wie fern?“, hakte Mr McKee nach.
„Nun, ich erwähnte ja gerade die Ermordung von Sergej Michailov. Einen Tag zuvor starb Boris Korzeniowskij in seiner Datscha unweit von St. Petersburg. Korzeniowskij stand auch mit Bykov in Kontakt und gehörte derselben Szene an. Er residierte normalerweise am Genfer See und sorgte für die Geldwäsche der Gewinne aus den illegalen Deals. Offenbar findet da gerade eine Säuberungsaktion innerhalb der Kunst-Mafia statt, die durch die Aufdeckung des Eremitage-Skandals verursacht wurde. Jeder, der irgendwie in der Sache drinhängt, versucht jetzt erstens, Kunstobjekte, die er noch auf Lager hat, möglichst schnell abzustoßen und zweitens diejenigen loszuwerden, die ihn als Mitwisser kompromittieren würden.“
„Und Bykov soll dahinter stecken?“, fragte Mr McKee.
„Das wissen wir nicht“, bekannte Dennister. „Wir wissen nur, dass es eine Verbindung zwischen Bykov und den bisherigen Opfern gibt.“
„Dann könnte es durchaus sein, dass er selbst auch auf der Todesliste steht“, folgerte ich.
„Durchaus“, stimmte Dennister zu. „Falls jemand, der über ihm in der Organisation steht, ihn als Gefahr ansieht.“
„Jedenfalls wird Mister Bykov uns einige Fragen zu beantworteten haben“, stellte Mr McKee fest. „Bei unserem Vorgehen geht es in erster Linie darum, Bykovs Hintermänner zu ermitteln, die offenbar schon seit Jahren ihr Geschäft auch hier in New York betreiben.“
Dennister ergriff noch einmal das Wort und ergänzte: „Um das von Mister McKee skizzierte Ziel dieser Operation zu erreichen, wurde uns Unterstützung des russischen Innenministeriums zugesagt. Sie schicken einen hochrangigen Ermittler, der sich auf dieses Gebiet spezialisiert hat. Sein Name ist Valerij Marenkov und eigentlich sollte er bereits eingetroffen sein.“
„Es wundert mich, dass ich nichts davon gehört habe“, erklärte Mr McKee, während sich auf seiner Stirn eine Falte bildete.
Dennister hob die Augenbrauen. „Sir, ich habe keine Ahnung, wo Marenkov bleibt. Dass Sie noch nicht informiert wurden, liegt wohl einfach daran, dass diese Art von internationaler Zusammenarbeit auf höchster Ebene in Washington verhandelt wird.“
„Möglich“, brummte unser Chef.
„Dass der Typ hier nicht aufgetaucht ist, liegt wahrscheinlich mal wieder an der schlechten Organisation der Russen“, äußerte sich unser Kollege Jay Kronburg.
Dennister warf dem ehemaligen Beamten der City Police einen tadelnden Blick zu. „Haben Sie Vorurteile?“, fragte er kühl.
„War ja nur eine Vermutung“, meinte Jay.
„Was auch immer Sie für Vorurteile gegen Russen haben mögen – auf Marenkov treffen sie wohl kaum zu. Er ist ein hervorragender Ermittler und durch kompromissloses Vorgehen gegen die alten Seilschaften hervorgetreten.“ Dennister deutete auf unseren Kollegen Max Carter. „Ihr Kollege Agent Carter war so freundlich, heute noch in aller Schnelle ein paar Dossiers über die Leute zusammenzustellen, von denen seit langem bekannt ist, dass sie auf dem illegalen Kunstmarkt in New York irgendeine Rolle spielen. Wir werden nicht umhin kommen, einen Großteil dieser Leute abzuklappern und zu befragen, um ein klareres Bild darüber zu bekommen, was gegenwärtig in der Szene so los ist. Ich bin überzeugt davon, dass es uns mit dem entsprechenden Einsatz auch gelingen wird, die verschlungenen Pfade der Ikonen zurückzuverfolgen, die gegenwärtig den Markt überschwemmen.“
„Gut“, nickte Mr McKee. „Ich schlage vor, dass Sie die Befragung von Bykov vornehmen.“
Dennister lächelte dünn. „Das hatte ich mir auch so vorgestellt.“
„Jesse und Milo werden Sie dabei begleiten“, ergänzte unser Chef. „Und die Dossiers gehen an alle G-men, die ich für diesen Fall abstelle.“
5
Wenig später saßen Milo und ich im Sportwagen. Der Motorenklang kam mir immer noch ziemlich fremd vor. Aber was die Leistung anging, konnte der Wagen mit jedem anderen Sportwagen aufnehmen.
Milton Dennister benutzte seinen eigenen Wagen. Es handelte sich um einen Alpha Romeo, der ihm von der Fahrbereitschaft unseres Field Office für die Dauer seines Aufenthalts zur Verfügung gestellt worden war.
Bykov wohnte in einem auffälligen Haus im Cast Iron Stil an der Ecke Seventh Avenue und West Huston Street in Greenwich Village. Wir stellten den Wagen auf einem der wenigen Parkplätze ab, die es in der Umgebung gab und mussten die letzten fünf Minuten bis zur Haustür zu Fuß laufen.
Dort trafen wir Dennister, der ebenfalls zugesehen hatte, dass er seinen Wagen irgendwo in der Gegend abstellen konnte.
„Ich habe bereits geklingelt“, erklärte Dennister. „Leider macht niemand auf. Weder in der Galerie, noch in der Privatwohnung.“
„Versuchen wir es noch mal“, schlug Milo vor. „Um Bykov in die Fahndung zu geben, ist es vielleicht noch ein bisschen früh, oder?“
Dennister drückte erneut auf die Klingel.
Wir warteten ab.
Im Untergeschoss war seine Galerie untergebracht. Darüber bewohnte er eine Etage, die mindestens zweihundert Quadratmeter hatte und damit für New Yorker Verhältnisse schon fast unverschämt groß war.
Die Galerie machte erst am frühen Nachmittag auf.
Offenbar konnte sich ihr Besitzer nicht vorstellen, dass es Kunstfreunde gab, die bereits am Vormittag Interesse daran hatten, sich ein paar Stücke anzusehen.
„Die Galerie ist mehr oder minder zur Tarnung da!“, erklärte Milton Dennister. „Da finden Sie ein paar Gemälde von ausgeflippten modernen russischen Künstlern, die Bykov zu exorbitanten Preisen einkauft.“
„Na, wenn er Sie hier in New York mit Gewinn verkaufen kann!“, gab Milo zurück.
„Genau das ist der Punkt“, erklärte Dennister. „Wahrscheinlich kann er das nicht.“
„Geldwäsche?“, fragte ich.
„Ich würde sagen ja – nur ist ihm das bisher vor Gericht nicht bewiesen worden. Aber der Verdacht liegt natürlich nahe.“
Eine ziemlich breit gebaute Frau in den Fünfzigern kam zu uns an die Tür. Sie musterte uns.
„Wer sind Sie?“
Ich hielt ihr meinen Ausweis unter die Nase. „Jesse Trevellian, FBI. Dies sind meine Kollegen Milo Tucker und Milton Denninger. Wir suchen Mister Vladimir Bykov.“
„Da sind Sie hier leider verkehrt“, behauptete sie und drängte sich zwischen uns hindurch zur Tür.
„Wieso, wohnt Mister Bykov seit neuestem nicht mehr hier?“, fragte Dennister überrascht.
„Doch, das tut er schon. Aber Mister Bykov ist ein sehr arbeitsamer Mann. Der steht um 5 Uhr auf und erledigt seine Büroarbeit.“ Sie sah auf ihre Uhr. „Jetzt treffen Sie ihn zwei Straßen weiter bei Bradshaw’s. Da frühstückt er für gewöhnlich. Und zwar ziemlich ausgedehnt. Das ist auch gut so, dann stört er mich nicht dabei, wenn ich alles in Ordnung bringe.“
„Die Galerie und die Wohnetage?“
„Ja. Da muss man schon im Akkord arbeiten, wenn alles sauber sein soll. Aber Mister Bykov kann es nicht leiden, wenn er dabei ist und durch den Staubsauger oder ähnliches aus seinen Gedanken herausgerissen wird. So was geht ihm unheimlich auf die Nerven!“ Die korpulente Frau atmete tief durch. „Aber ich will nicht meckern, schließlich bezahlt er mich hervorragend. Ich bin jetzt schon seit zehn Jahren bei ihm. Damals kam unsere Jüngste in die High School und wir konnten das Geld gut...“
„Schon gut, Ma’am“, sagte Milo. „Wir werden es mal bei diesem Bradshaw’s versuchen.“
„Das ist ein Coffee Shop. Einfach fünf Minuten die West Hudson Street entlang, dann können Sie das Schild gar nicht verfehlen!“
„Danke.“
Sie schloss die Tür auf. „Falls wir noch Fragen haben: Wie ist denn Ihr Name?“, fragte ich.
Sie musterte mich erneut von oben bis unten. „Florence McGray. Was wollen Sie eigentlich von Mister Bykov?“
„Nur ein paar Routinefragen“, sagte ich, schrieb mir anschließend noch Florence McGrays Adresse auf und hinterließ ihr meine Karte. Mrs McGray studierte sie eingehend, bevor sie das Stück Papier in ihrer Manteltasche verschwinden ließ, die Tür vollends öffnete und in der Galerie verschwand.
„Also auf zu diesem Laden, der sich Bradshaw’s nennt“, forderte Dennister uns auf.
Wir hatten schon ein paar Schritte hinter uns gebracht, als wir aus der Galerie einen furchtbaren Schrei hörten.
Instinktiv ging unser Griff sofort zur Dienstwaffe.
6
Wir kehrten zur Haustür zurück.
Mrs McGray öffnete sie.
Kreidebleich trat sie uns entgegen.
„Kommen Sie!“, flüsterte sie. „Ich weiß gar nicht, wie ich das Mister Bykov beibringen soll.“
„Wovon sprechen Sie, Mrs McGray?“, fragte ich.
„Es ist eingebrochen worden. Die Galerie ist ein einziges Chaos. Seien Sie vorsichtig! Vielleicht sind die Täter noch da drin!“
Mit der Waffe in der Hand drangen wir in die Galerie ein. Mrs McGray folgte uns.
In der Galerie waren mehrere Vitrinen für Ausstellungsstücke zerschlagen worden. Außerdem hatten die Täter Gemälde von den Wänden gerissen und auf den Boden geschleudert. An anderen Stellen gab es leere Haken. Moderne russische Kunst schien den oder die Eindringlinge nicht besonders interessiert zu haben, denn sie hatten sie achtlos liegengelassen.
Milo rief per Handy Verstärkung.
In sämtlichen Räumen der Galerie sah es ähnlich aus. Ein in die Wand eingelassener Safe stand offen. Er war leer.
Neben einer zerschlagenen Glasvitrine fand sich eine deutliche Blutspur auf dem Boden.
„Scheint als wäre Mister Bykov der nächste auf der Todesliste der Kunstmafia gewesen“, meinte Dennister.
„Sie setzen voraus, dass das Blut von Bykov stammt“, erwiderte ich.
„Ich finde, das liegt nahe.“
„Jedenfalls dürfte das vorhandene Spurenmaterial ausreichen, um einen DNA-Test durchzuführen“, stellte Milo fest und steckte seine Waffe ein. „Abgesehen davon werden die Kollegen der SRD hier zweifellos jeden Millimeter unter die Lupe nehmen. Mal sehen, was noch so an Spuren hinterlassen wurde.“
„Wenn es sich um die Leute handelt, die ich in Verdacht habe, wird man gar nichts weiter finden“, stellte Dennister klar. „Zumindest nichts, was wir nicht finden sollten. Das sind nämlich Profis.“
„Warten wir es ab“, schlug ich vor.
Mrs McGray war uns gefolgt.
Die Blutlache sah sie jetzt offenbar auch zum ersten Mal. Sie war ganz bleich geworden. „Mein Gott“, flüsterte sie. „Mister Bykov wird doch wohl nichts passiert sein...“
„Haben Sie auch einen Schlüssel für die Wohnung?“, fragte ich.
„Ja. Da muss ich schließlich auch saubermachen und Mister Bykov ist oft für längere Zeit auf Geschäftsreisen... Zum Lift kommen Sie über die Tür dahinten!“
„Und das Treppenhaus?“
„Ist direkt daneben.“
„Gibt es hier eigentlich eine Alarmanlage?“
Mrs McGray nickte. „Ja, aber sie war ausgeschaltet.“
„Hat Sie das nicht gewundert?“
„Ehrlich gesagt nein. Es kommt öfter vor, dass Mister Bykov vergisst, sie wieder einzuschalten, wenn er hier ist. Ich habe ihn schon des Öfteren deswegen angesprochen. Schließlich nützt es nichts, eine Direktleitung zu einem privaten Sicherheitsdienst zu haben, wenn die Anlage gar nicht aktiviert ist.
„Kennen Sie den Code?“, fragte ich.
Mrs McGray runzelte die Stirn. „Natürlich kenne ich den Code, der eingegeben werden muss...“
Ich wandte mich an Milo. „Sehen wir uns in der Wohnung um.“
„Okay“, nickte mein Kollege.
Mrs McGray gab mir den Schlüssel für die Wohnung.
Wir gingen durch die Tür, die sie uns gezeigt hatte, während Dennister bei ihr blieb.
Die Chance, dass sich der oder die Täter noch im Gebäude aufhielten, schätzten wir zwar gering ein. Aber auszuschließen war es nicht.
„Wer von uns nimmt den Lift und wer das Treppenhaus?“ fragte Milo.
„Das Treppenhaus ist immer für den, der fragt!“, erwiderte ich grinsend.
„Ich würde sagen, du lässt mich den Lift nehmen.“
„Wieso?“
„Schließlich bist du mir noch was schuldig.“
„Habe ich da was verpasst, Milo?“
„Schon vergessen? Du hast mich heute Morgen im Regen stehen lassen, nur, damit noch irgendwas an deiner Karre herumgeschraubt werden konnte!“
„Sportwagen!“
„Wie auch immer, Jesse.“
Ich seufzte. „Okay. Ich will mal nicht so sein.“
7
Ich pirschte mich über das Treppenhaus ein Stockwerk höher und stand sogar schneller vor der Wohnungstür als Milo, was daran lag, dass er die Liftkabine erst aus dem zehnten Stock hatte holen müssen.
Neben dem Ausgang durch die Galerie gab es auch noch einen separaten Zugang für die Wohnungen in den oberen Stockwerken, die deutlich kleiner ausfielen als der von Bykov bewohnte Bereich.
Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen. Ein Kameraauge war auf den Flur gerichtet. Allerdings war es starr. Ich fragte mich, ob die Überwachungsanlage abgeschaltet war.
Mit der Dienstwaffe in der Hand gingen wir hinein und sahen uns um. Schon im Eingangsbereich waren die Spuren des Einbruchs zu sehen. Die Schubladen waren ausgezogen und der Inhalt auf dem Boden verstreut worden. In dem sehr großen Wohnzimmer fanden wir die Polstermöbel aufgeschlitzt vor. Zum Teil großformatige Gemälde mit moderner Kunst waren ebenso wie in der Galerie von den Wänden gerissen und achtlos auf dem Boden liegen gelassen worden.
Auf einer der Leinwände war etwas zu sehen, was vielleicht Fußabdrücke waren.
Hinter einem der Bilder war ein weiterer Safe verborgen gewesen, dessen Stahltür weit offen stand. Er war genauso leer wie der Safe in der Galerie.
Nachdem wir alle Räume durchsucht hatten, steckten wir die Dienstwaffen ein. Hier war niemand mehr.
Milo fand ein Display samt Tastatur, von dem aus die gesamte Überwachungsanlage für die Wohnung die Galerie zu regeln war.
„Abgeschaltet“, stellte Milo fest.
„Wie praktisch für den Einbrecher.“
„Da es von Bykov keine Spur gibt, müssen wir das Schlimmste befürchten, Jesse.“
„Jedenfalls waren an den Türen keinerlei Spuren für ein gewaltsames Eindringen zu sehen“, gab ich zu bedenken. „Bykov könnte den Täter selbst hereingelassen haben. Der hat ihn dann umgebracht, die Wohnung durchsucht und anschließend die Leiche entsorgt.“
„Warum hat er dann nicht dafür gesorgt, dass der Blutfleck verschwindet?“, fragte ich.
„Gute Frage. Vielleicht wurde er gestört und es war nicht mehr möglich, noch einmal in die Wohnung zu gehen.“
„Und was könnte der Täter hier gesucht haben?“
„Jedenfalls nicht die moderne russische Kunst, die hier überall hängt. Ich nehme an, es war der Inhalt der Safes.“
„Was könnte da drin gewesen sein?“
„Wenn unser Kollege Milton Dennister mit seiner Hypothese Recht hat und Bykov auf einer Säuberungsliste der Kunstmafia steht, würde ich sagen, dass nach belastendem Material gesucht wurde.“
Ich ließ den Blick schweifen.
Die zertrümmerte Telefonanlage fiel mir auf. Offenbar sollte es erschwert werden, herauszubekommen, mit wem Bykov zuletzt telefonischen Kontakt hatte. Aber früher oder später würden wir die Verbindungsdaten über die Telefongesellschaft schwarz auf weiß vor uns haben.
Ich streifte mir Latexhandschuhe über.
Die Kollegen des Erkennungsdienstes sehen es im Allgemeinen nicht gerne, wenn sich die ermittelnden Special Agents im Außendienst am Tatort allzu gründlich umsehen. Zu viele Spuren konnten dadurch vernichtet werden. Andererseits war der Zeitfaktor nicht zu unterschätzen, denn der arbeitete grundsätzlich für den Täter. Je mehr Zeit verging, desto schwieriger wurde es, die Tat aufklären zu können.
Ich betrat einen Raum, der offenbar als Arbeitszimmer diente.
Bücher waren aus Regalen herausgerissen und auf dem Boden verstreut worden. Etwa ein Drittel davon war in russischer Sprache, der Rest auf Englisch, einige wenige in Französisch. Neben ein paar Science Fiction-Romanen fanden sich dort vor allem Bücher zur Kunstgeschichte und Kataloge mit Werkverzeichnissen. Außerdem Werke zum Steuer- und Bilanzrecht der Vereinigten Staaten, den Cayman Islands und der Schweiz.
Die Schubladen des Schreibtischs lagen umgedreht auf dem Boden.
Auf der Holzplatte war ein Abdruck zu sehen, der dafür sprach, dass hier noch vor kurzem ein Computer gestanden hatte. Die Täter hatten ihn offenbar einfach mitgenommen.
„Eine Leiche und ein Computer sind verschwunden“, stellte ich fest. „Das muss doch jemandem aufgefallen sein, zumal man vor der Haustür nicht parken kann.“
„Das heißt, die Täter haben beides – und wer weiß, was sonst noch – mit dem Aufzug in die Parkgarage gebracht. Wahrscheinlich haben sie dort auch ihren Wagen abgestellt, Jesse.“
„Was bedeutet, dass sie in irgendeiner Form registriert gewesen sein müssen, um dort hinein und wieder hinauszukommen!“, zog ich einen meiner Meinung nach logischen Schluss.
Milo war derselben Ansicht.
„Wir werden mit der Hausverwaltung und dem privaten Sicherheitsdienst sprechen müssen, der für dieses Haus zuständig ist, Jesse.“ Mein Kollege schüttelte den Kopf und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Da wohnt jemand schon unter einer Adresse, die sicherheitstechnisch mit allen nur erdenklichen Schikanen ausgestattet ist und dann geschieht so etwas!“
„Jedenfalls scheint der Security Service nichts bemerkt zu haben“, nickte Milo.
Wir nahmen uns anschließend noch das Schlafzimmer vor.
Sowohl der Inhalt der Kleiderschränke, als auch die Utensilien im Bad zeigten, dass hier zumindest zeitweilig auch eine Frau gelebt haben musste.
„Wir werden Mrs McGray danach fragen“, schlug Milo vor. „Ich würde ja lachen, wenn Bykov gleich gesund und munter zurückkehrt, nach dem er bei Bradshaw’s gefrühstückt hat!“
„Den Laden werden wir uns auch noch vornehmen müssen“, kündigte ich an.
Milo nickte. „Das tun wir, sobald die Kollegen der SRD hier das Terrain übernommen haben.“
Ich hatte damit begonnen, systematisch die Taschen von Bykovs Anzügen zu durchsuchen. Ich fand einen Zettel mit einer Handynummer. „Mal sehen, vielleicht bringt uns das hier ja weiter, Milo.“
Ich tippte die Nummer in meine Handytastatur und wartete ab. Aber niemand nahm das Gespräch entgegen. „Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar“, wurde mir mitgeteilt.
Wir kehrten zu Dennister zurück.
Unser Kollege deutete auf ein Loch in der Wand.
„Hier hat eine Kugel dringesteckt“, meinte er. „Sie muss durch den Körper Bykovs gegangen sein und ist dann hier gelandet.“
„Der Täter scheint ein Profi gewesen zu sein“, sagte Milo.
Ich hob die Augenbrauen. „Trotzdem ist es doch seltsam, dass die Kugel in der Wand und die Leiche beseitigt wurden und der Blutfleck nicht. Dafür gibt es einen Grund!“
„Warten wir ab, was die Kollegen dazu sagen!“, schlug Milo vor.
Nach fünf Minuten trafen Kollegen der City Police ein, um den Tatort zu sichern. Nach zwanzig Minuten erreichten unsere Erkennungsdienstler Sam Folder und Mell Horster den Tatort.
Dieser Fall wurde auf Grund der internationalen Dimension mit besonderer Priorität behandelt. Aus diesem Grund sollten die Kollegen der Scientific Research Division von unseren FBI-eigenen Erkennungsdienstlern unterstützt werden. Die Beamten des zentralen New Yorker Erkennungsdienstes hatten im Übrigen ihre Labors in der Bronx und brauchten um diese Zeit entsprechend lange, um den Tatort zu erreichen. Wir rechneten erst eine Dreiviertelstunde später mit ihnen.
In der Zwischenzeit unterhielten wir uns noch einmal mit Florence McGray.
„Wir haben Anzeichen dafür gefunden, dass Mister Bykov mit einer Frau zusammengewohnt hat“, eröffnete ich ihr. „Was wissen Sie darüber?“
„Eigentlich lebte Mister Bykov immer sehr zurückgezogen“, erklärte sie. „Aber vor zwei Monaten zog eine junge Frau bei ihm ein. Ich schätze, sie war halb so alt wie er. Mitte zwanzig, schwarzes Haar, zierlich und immer elegant gekleidet.“
„Wissen Sie ihren Namen?“
„Er nannte sie Nora. Mehr weiß ich nicht.“
„Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?“
Florence McGray wirkte nachdenklich. „Ehrlich gesagt, das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe, war kurz bevor Mister Bykov zuletzt verreist ist.“
„Wann war das?“
„Vor anderthalb Wochen. Ich glaube er sagte etwas von St. Petersburg. Das liegt in Florida, glaube ich. Da würde ich gerne sein. Vor allem im Winter... Mister Bykov ist dort öfter hingeflogen.“
„Kann es sein, dass er St. Petersburg in Russland meinte?“, mischte sich Milo ein.
Florence McGray wirkte etwas ratlos. „Auf den Gedanken bin ich gar nicht gekommen“, gestand sie.
„Hat Bykov irgendwann mal geäußert, dass er sich bedroht fühlt?“, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Wir haben kaum miteinander gesprochen. Mister Bykov war immer sehr höflich, aber er hat nie viel mit mir geredet.“
„Hatte er Angestellte in seiner Galerie?“, fragte ich.
„Ja, einen Mann namens Lee Trenton. Aber der war nicht fest anstellt. Mister Bykov hat ihn immer dann angeheuert, wenn es viel zu tun gab.“
Ich wandte mich an Dennister. „Sagt Ihnen der Name Trenton etwas, Milton?“
„Nein, aber es würde mich nicht wundern, wenn er irgendwie aus der Szene kommen würde und wir bereits etwas über ihn im Archiv hätten. Ich werde das mal überprüfen.“
„Mister Trenton wird heute sicher noch auftauchen“, glaubte Mrs McGray. Sie blickte auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „In einer halben Stunde öffnet die Galerie. Eigentlich müsste er jetzt sogar schon hier sein – aber ich weiß natürlich nicht, was Mister Bykov für Abmachungen mit ihm getroffen hat.“ Sie seufzte hörbar und fuhr fort: „Glauben Sie, es besteht noch eine Chance, dass Mister Bykov nicht umgebracht, sondern vielleicht nur entführt wurde?“
„Beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen möchte ich da keine Spekulationen in die Welt setzen, Mrs McGray“, antwortete ich ausweichend.
„Das verstehe ich“, murmelte sie tonlos.
Sie schluckte und schüttelte stumm den Kopf.
8
Später befragten Milo und ich die Angestellten des Security Service, der für die Sicherheit im Haus verantwortlich war.
Pro Schicht waren drei Wachmänner im Einsatz. Sie überwachten von einem Kontrollraum aus die zu den Kameras gehörenden Monitore und gingen rund um die Uhr regelmäßig auf Patrouille.
„Für ein mit elf Stockwerken für New Yorker Verhältnisse ziemlich winziges Haus sind wir hervorragend besetzt“, meinte Malcolm J. Hastings, der gerade diensthabende Schichtführer, als wir ihn im Kontrollraum aufsuchten.
Seine beiden Kollegen wirkten etwas reserviert, aber Hastings war sehr auskunftsfreudig.
„Trotzdem ist bei Mister Bykov eingebrochen worden und wir haben Grund zu der Annahme, dass er einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist“, gab ich zu bedenken.
Hastings runzelte die Stirn.
Er wechselte kurz einen Blick mit seinen Kollegen und erklärte dann: „Mister Bykov war immer ein problematischer Hausbewohner für uns.“
„Wie meinen Sie das?“
„Zunächst einmal, weil er viele Sonderregelungen für sich beansprucht hat, die es nicht gerade erleichtert haben, für seine Sicherheit zu sorgen.“
„Was waren das für Sonderregelungen?“
„Er beharrte darauf, dass gesamte Überwachungssystem für seinen Teil des Hauses autonom abschalten zu können – was er relativ häufig getan hat.“
„Hat er das begründet?“
„Ja, er meinte der Kunsthandel, den er betreiben würde, wäre ein sensibles Geschäft und er hätte manchmal sehr zahlungskräftige Kundschaft, die keinen Wert darauf legt, gefilmt zu werden. Das wir Aufnahmen, die wir in den Fluren und im Eingangsbereich aufzeichnen, alle zwei Wochen vernichten, schien ihm nicht auszureichen.“ Hastings zuckte mit den breiten Schultern. Das schwarze Uniformhemd spannte sich um die kräftigen Bizeps, als er die Arme vor der Brust verschränkte. „Wann ist das Verbrechen geschehen?“
„Wahrscheinlich in dieser Nacht, aber genau lässt sich das wohl erst sagen, wenn die Erkennungsdienstler ihren Job gemacht haben“, erläuterte Milo. „Hoffe ich jedenfalls.“
„Gestern am frühen Abend wurde die Überwachungsanlage für seinen Teil des Hauses abgeschaltet“, erklärte Hastings. „Wahrscheinlich hatte er wieder eine exklusive Vorführung irgendwelcher Kunstobjekte für genauso exklusive Kunden. Also keine öffentliche Veranstaltung oder so etwas. Sie müssten mal mit diesem Typ sprechen, den er angestellt hatte. Der kann Ihnen bestimmt mehr darüber sagen.“
„Lee Trenton?“, vergewisserte ich mich.
„Ja, das ist sein Name. Er hat einen Schlüssel zum Haus und zur Galerie. Außerdem einen Parkplatz in der Tiefgarage, genau wie Bykov selbst.“
„Wir brauchen die Adresse von diesem Trenton.“
„Steht in seinen Unterlagen. Warten Sie, ich suche ihnen das heraus. Ich habe sogar Fingerabdrücke von ihm, sonst hätte er weder die Schlüssel noch den Parkplatz bekommen. Das ist eine Auflage der Eigentümergemeinschaft, der dieses Haus gehört. Schließlich soll hier nicht jeder nach Belieben ein- und ausgehen können!“
„Wunderbar!“, freute ich mich. „Dann händigen Sie uns doch bitte alle Unterlagen aus, die Sie über Trenton haben!“
Hastings erhob sich von seinem Platz, ging an einen Aktenschrank und holte eine Mappe hervor.
„Das hier ist das Original. Wir heben das nur auf, weil nur die Originalunterschrift auf Papier rechtsverbindlich ist. Aber wir haben das ganze auch als Datensatz. Wenn Sie mir Ihre Email-Adresse geben, kann ich Ihnen das gerne auf den Rechner schicken!“
„Gerne. Mit Kopie an unser Field Office, wenn’s recht ist.“
„Ich muss vorher nur kurz mal mit meinem Chef telefonieren und fragen, ob das okay ist. Aber im Prinzip kann ich mir nicht vorstellen, dass er sich querlegt, wenn es darum geht, dem FBI Hilfe zu leisten!“ Er verzog das Gesicht. „Schließlich kämpfen wir doch auf derselben Seite, wie ich meine!“
„Wir hätten dann trotzdem noch gerne Ihre Videoaufzeichnungen der letzten zwei Wochen“, mischte sich Milo ein. „Es könnte ja sein, dass jemand, der als Täter in Frage kommt, Mister Bykov bereits früher einmal besucht hat.“
Hastings nickte. „In Ordnung.“
Ich erkundigte mich anschließend nach der Tiefgarage. „Sie hat zwei Decks und ist eigentlich für das Haus etwas überdimensioniert. Aber es war wohl von Anfang an so konzipiert, dass Leute, die ein Heidengeld für eine Wohnung in diesem Haus bezahlen, sich keine Gedanken darüber machen müssen, ob sie Platz für den Wagen finden – und zwar selbst dann, wenn mehrere oder sehr sperrige Autos vorhanden sind. Mister Bykov zum Beispiel besaß einen Lamborghini und einen etwas unscheinbaren Chevrolet...“
Ich schrieb mir Stellplatznummer und die Kennzeichen der beiden Fahrzeuge auf – so wie ich mir auch notierte, wo Trenton seinen Wagen abzustellen pflegte.
„Ich nehme an, dass die Überwachung des Parkdecks lückenlos war“, vermutete ich. „Oder hatte Mister Bykov da auch Sonderregelungen?“
Hastings lächelte dünn.
„Ich glaube kaum, dass er so etwas gegen die anderen Eigentümer hätte durchsetzen können. Die haben ihn ohnehin alle für einen Spinner gehalten. Beliebt war er nun wirklich nicht. Schon deshalb, weil immer wieder Kleinlastwagen völlig verkehrswidrig vor seinem separaten Eingang zum Be- und Entladen hielten. Ob er dafür wirklich eine Sondergenehmigung der City Police hatte, weiß ich nicht, aber mir ist bekannt, dass das einige andere Hausbewohner ziemlich aufgebracht hat.“
Einer von Hastings Kollegen schaltete einen Computerschirm ein und schaltete den Bildausschnitt von einer der Überwachungskameras um.
„Einer von Bykovs Wagen fehlt“, stellte er fest. „Es der Chevrolet. Er hat die dazugehörige Chipkarte genau um 4.30 Uhr heute Morgen benutzt.“
„Könnte man feststellen, ob sich Bykov wirklich in seinem Wagen befand?“, fragte Milo.
„Sicher. Dauert aber ein bisschen.“
„Macht nichts“, sagte ich. „Das könnte uns eventuell weiterbringen. Und vielleicht stellen Sie dann auch gleich mal fest, wann Lee Trenton zuletzt im Gebäude gewesen ist.“
„In Ordnung“, nickte der Wachmann, an dessen Uniformhemd der Name WARREN E. SMITHFIELD in Großbuchstaben aufgebügelt war.
Es dauerte eine Weile, bis Smithfield die richtigen Stellen in den Aufzeichnungen herausgesucht hatte. Es war auf dem Bildschirm deutlich zu sehen, wie Lee Trenton am Vortag gegen Mittag mit seinem Wagen in die Tiefgarage gefahren war. Erst nach Mitternacht hatte er sie wieder verlassen.
„Wahrscheinlich war da diese Privatvorführung für irgendwelche erlesenen Kunden zu Ende“, meinte Milo.
Anschließend zeigte uns Smithfield die Szenen, in denen man sehen konnte, wie Bykovs Chevy am Morgen um 4.30 Uhr die Tiefgarage verließ.
„Können Sie die den Fahrer näher heranzoomen?“, fragte ich.
„Sicher“, nickte Smithfield.
Er vergrößerte den Bildausschnitt, der den Mann hinter dem Steuer des Chevys zeigte. Aber mehr als ein gepixelter Schatten war dort nicht zu sehen.
„Wer sollte das denn sonst sein – außer Bykov?“, fragte Hastings.
Ich zuckte mit den Schultern. „Wir sind uns nicht sicher, ob Bykov zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch am Leben war. Den Wagen könnte auch sein Mörder benutzt haben.“
Wir ließen uns noch den Blick auf Bykovs Parklatz zeigen.
Allerdings versperrten ein Pfeiler sowie ein paar andere Fahrzeuge den Blick. So war auch nicht zu sehen, wer den Wagen bestiegen hatte und ob der Betreffende vielleicht noch eine Leiche im Kofferraum verstaute.
„Noch eine letzte Frage“, wandte ich mich an Hastings. „Vor zwei Monaten soll eine gewisse Nora bei Bykov eingezogen sein. Hatte sie zufälligerweise auch eine Chip Card für die Tiefgarage?“
Hastings schüttelte den Kopf. „Nein. Sie ist bei uns nicht bekannt. Bykov war Eigentümer seiner Wohnung. Der konnte dort wohnen lassen, wen er wollte.“
„Offenbar hatte die Lady keine eigenen Wagen“, kommentierte Milo.
9
„Wenn du mich fragst, dann passt das alles überhaupt nicht zusammen“, meinte Milo, während wir mit dem Lift zurück in die Galerie im Erdgeschoss fuhren. „Bykov fährt mit seinem eigenen Wagen am frühen Morgen aus der Tiefgarage, obwohl er in seiner Wohnung ermordet wurde?“
„Wir wissen nicht, wer am Steuer des Chevys saß“, erinnerte ich Milo.
„Gut, gehen wir davon aus, dass es der Mörder war, der am Steuer saß. Er veranlasst Bykov, ihm die Tür aufzumachen...“
„Das heißt er muss Bykov bekannt gewesen sein, Milo!“
„Nicht unbedingt. Eine Automatik mit Schalldämpfer könnte auch ein überzeugendes Argument gewesen sein! Und sag jetzt nicht, dass er um seines Gastes willen die Alarmanlage ausgeschaltet hat! Die hat er einfach nur vergessen, weil am Vorabend doch eine dieser mysteriösen Präsentationen gewesen ist, deren Gäste so Lichtscheu sind, dass sie nicht von einer Überwachungskamera aufgezeichnet werden wollen.“
„Wie auch immer. Es kommt zum Streit, vielleicht auch zum Kampf“, sagte ich. „Der Schuss in der Galerie ist eine Tatsache. Bykov bekommt eine Kugel ab und der Killer durchsucht das ganze Haus nach belastendem Material! Aber ein unbekannter Profi hätte Bykov schon an der Tür erschossen. Also muss es doch ein Bekannter gewesen sein.“
„Okay, ich gebe zu, dass sie offenbar noch eine ganze Weile miteinander geredet haben, Jesse. Vielleicht wollte der Killer zuerst noch Informationen aus Bykov herausholen.“
Ich atmete tief durch „Vielleicht sollten wir das ganze mal umgekehrt durchdenken, Milo.“
„Wie meinst du das?“
„Na, wir gehen doch bis jetzt immer davon aus, dass Bykov das Opfer war. Wie funktioniert das denn, wenn er der Täter ist?“
„Komm schon, das ist nicht dein Ernst, Jesse!“
„Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf die Blutanalyse.“
Als wir in der Galerie ankamen, war Milton Dennister bereits von Bradshaw’s Coffee Shop zurückgekehrt.
Bykov hatte dort tatsächlich jeden Morgen sein Frühstück eingenommen, wie er uns berichtete. In der Zeit vor seiner letzten Reise nach Russland war dabei oft eine junge Frau zugegen gewesen. „Bykov wurde gestern zum letzten Mal in Bradshaw’s Coffee Shop gesehen“, berichtete Dennister. „Und zwar zusammen mit einem Mann, der ein ziemlich auffälliges Äußeres hatte: kaum 1,60 groß, fast kein Hals, breites Gesicht und grauer Cäsar-Schnitt. Er trug eine blauen Blazer und sprach mit sehr hartem, ausländischem Akzent.“
„Ein Russe?“, fragte Milo.
„Möglich. Die Leute in dem Coffee Shop waren sich leider nicht sicher. Tatsache ist, dass das Arbeitsfrühstück der beiden mit einem lautstarken Krach endete! Bykov blieb allein zurück.“
„Wir müssen unbedingt mit ihm sprechen!“, stellte ich klar.
Dennister nickte. „Deswegen habe ich auch bereits auch in Ihrem Field Office angerufen. Sie verfügen da über einen exzellenten Zeichner...“
„Agent Prewitt!“, schloss ich.
„Genau. Er begibt sich mit seinem Laptop zu Bradshaw’s und fertigt aus den Angaben der Angestellten ein Phantombild. Vielleicht finden wir ihn dann.“ Dennister blickte auf die Uhr. „Sie beide waren ja eine Weile weg und da habe ich die Zeit genutzt, um den Kerl zu überprüfen, den Bykov in der Galerie angestellt hatte.“
Ich hob die Augenbrauen.
„Lee Trenton?“
Er nickte. „Genau. Über den Kerl gibt es eine Datei, die man über NYSIS einsehen kann. Mehrere Verurteilungen wegen Hehlerei stehen auf seinem Kerbholz.“
„Das ist interessant.“
„Noch interessanter ist, worum es dabei ging, Jesse. Sie werden es nicht glauben: Er hatte sich auf illegale Kunstgegenstände spezialisiert. Allerdings war er damals noch auf Kunst aus Südostasien versessen.“
„Vielleicht liefen Bykovs Verbindungen zur Kunstmafia über diesen Trenton“, vermutete ich.
Dennisters Gedanken schienen sich in dieselbe Richtung zu bewegen. „Das liegt meiner Ansicht nach nahe.“
10
Wir befragten noch systematisch die anderen Bewohner des Hauses. Die meisten waren um diese Zeit zur Arbeit und so würden wir wahrscheinlich noch einmal zurückkommen müssen.
Ein Siebzigjähriger, der seine Wohnung im fünften Stock hatte, beschwerte sich darüber, dass gegen vier Uhr dreißig morgens ein Transporter mit laufendem Motor vor der Galerie gestanden hatte.
„Ich habe einen leichten Schlaf und war deswegen ziemlich sauer“, meinte der Zeuge.
Er hieß Thomas McGreedy und war ein ehemaliger Börsenmakler, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Allerdings verfolgte er die aktuellen Kurse immer noch rund um die Uhr online und spekulierte wohl auch in gewissem Rahmen mit seinen Ersparnissen. Zumindest verfolgte er auf drei verschiedenen Monitoren die Kursstände der Börsen London, New York und Tokio. „Ich kann es halt nicht lassen“, meinte er dazu schulterzuckend. „Viel Schlaf brauche ich glücklicherweise nicht.“
„Können Sie uns über diesen Transporter noch irgendwelche Einzelheiten sagen?“
„Es war ein Mercedes, da bin ich mir sicher. Ich bin auf den Balkon gegangen und habe heruntergeschaut. Wissen Sie, dass bei dieser Galerie des Öfteren mal angeliefert wird, bin ich ja gewöhnt. Aber das geschieht dann tagsüber. Manchmal kommt es zu einem kleinen Stau bis zur Ausfahrt der Tiefgarage, was viele Hausbewohner sehr aufgebracht hat.“
„Sie nicht?“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich benutze meinen Porsche kaum noch. Der Verkehr im Big Apple ist mir einfach zu hektisch geworden.“
„Haben Sie gesehen, was aus- oder eingeladen wurde?“, mischte sich Milo in das Gespräch ein.
Er nickte heftig.
„Ja. Es handelte sich um ein paar Kisten und einen Teppich. Es waren drei Mann, die das Zeug aus der Galerie holten, einluden und dann ab damit. Das ging sehr schnell und hektisch.“
„War dies einer der drei?“, fragte ich und zeigte ihm ein Bild von Lee Trenton.
„Nein. Das ist der Kerl, den Bykov für die Galerie angestellt hat, den kenne ich! Ich glaube, er heißt Trenton. Sein Parkplatz liegt in der Tiefgarage neben meinem. Wissen Sie, ich benutze meinen Porsche zwar kaum noch, aber wenn jemand einen Kratzer dranmacht, möchte ich wissen, wer das war. Deswegen habe ich mich erkundigt. Ich finde es übrigens nicht in Ordnung, dass hier Leute Parkplätze bekommen, die gar nicht im Haus wohnen! Aber wenn Mister Bykov das will, gelten offenbar die Beschlüsse unserer Eigentümerversammlung nicht mehr! Ich habe keine Ahnung, wie er das dreht, aber in Ordnung ist das nicht!“
„Können Sie die Männer beschreiben?“, versuchte ich das Gespräch wieder auf den Punkt zu bringen.
„Die waren so um die dreißig Jahre alt. Einer hatte einen Vollbart, ein anderer war blond. Der dritte war etwas größer als die beiden anderen und hatte gelocktes Haar.“
Ich telefonierte kurz mit unserem Kollegen Agent Prewitt, damit er nach einem Besuch bei Bradshaw’s auch noch bei Thomas McGreedy vorbeischaute.
Wir hatten McGreedys Wohnung gerade verlassen, als uns ein Anruf aus dem Field Office erreichte. Unser Kollege Max Carter meldete sich. Ich schaltete das Handy auf ‚laut’.
„Dieser Marenkov hat sich gemeldet. Er ist am Flughafen JFK und hätte gerne, dass Agent Dennister ihn abholt.“
„Okay“, nickte Milton Dennister.
„In Ordnung“, meinte Max. „Marenkov sitzt im Café Number One. Das ist im...“
„Ich kenne es“, schnitt Dennister ihm das Wort ab.
„Sie sollen sich dort einfach irgendwo hinsetzen. Marenkov wird Sie dort ansprechen.“
„Gut.“
Das Gespräch wurde unterbrochen.
„Dieser Marenkov kennt Sie?“, fragte ich etwas verwundert.
„Ja, wir sind uns vor zwei Jahren auf einer internationalen Tagung in Budapest über die Bekämpfung des illegalen Kunsthandels begegnet. Ein guter Mann.“
„Aber offenbar sehr misstrauisch.“
Dennister lachte auf. „Was glauben Sie, was da zurzeit in St. Petersburg so los ist? Leute wie Marenkov sind doch ständig Zielscheiben der Kunstmafia. Den Mann, der vorher auf Marenkovs Posten war, fand man als Wasserleiche in der Newa. Er hat allen Grund, vorsichtig zu sein.“
Milo und ich wechselten einen kurzen Blick. „Okay, dann trennen sich unsere Wege hier erst mal. Wir werden zu Lee Trenton fahren und ihm ein paar Fragen stellen.“
Milton Dennister grinste.
„Viel Glück dabei.“
11
Lee Trenton blickte kurz auf die Papiere und Flugtickets. Ein neuer Name und ein neues Leben. Der Name, unter dem das Wirklichkeit werden sollte war ‚James Smith’, südafrikanischer Staatsangehöriger.
Ganz so fantasielos hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt!, ging es im durch den Kopf.
Er hörte Schritte. Nackte Füße auf dem Parkettboden. Seine Freundin Abby kam aus der Dusche. Sie trug einen Frotteemantel und ein Handtuch, das wie ein Turban um ihren Kopf gewickelt war.
Bevor sie etwas von den Papieren sehen konnte, ließ Lee Trenton sie in der Jackettinnentasche verschwinden. Er hatte keine Lust, irgendwelche Fragen zu beantworten. Und gefragt hätte Abby mit Sicherheit!
Sie blickte auf den Koffer, in den er ein paar Hemden, ein Jackett und eine zweite Hose gelegt hatte.
„Du willst weg?“
„Ich muss.“
„Davon hast du mir noch gar nichts gesagt.“
„Habe ich wohl vergessen.“
„Wieso denn jetzt so plötzlich?“
„Geschäftlicher Termin in Toronto. Du weißt doch, dass bei Mister Bykov diese Dinge manchmal Hals über Kopf gehen.“
„Dann arbeite doch für jemand anders, als für diesen schmierigen Typen. Ehrlich gesagt, mochte ich ihn von Anfang an nicht.“
Trenton schloss den Koffer.
„Findest du nicht, dass die Sachen, die du da eingepackt hast, für Toronto ein bisschen sommerlich wirken?“
Lee Trentons Ton wurde schärfer. „Herrgott noch mal, was machst du jetzt für dein Aufstand? Ich muss ein paar Tage weg, das ist alles! Eigentlich dachte ich, du hättest dich langsam daran gewöhnt!“
Das Telefon klingelte.
Trenton nahm ab.
„Ja?“
Keine Antwort. Es klickte in der Leitung. Trenton legte wieder auf. Eine tiefe Furche erschien auf seiner Stirn.
Abby stemmte die Arme in die Hüften
„Wer war das?“, wollte sie wissen.
„Niemand...“
„Hör mal, ich glaube fast, du tanzt noch irgendwo auf einer anderen Hochzeit! Erzählst mir da irgendwelche Geschichten über Geschäfte in Toronto oder so einen Mist und packst Sachen ein, die dazu nicht passen!“
„Abby...“
„Ich habe schon länger den Eindruck, dass du da irgendwo noch etwas anders laufen hast!“
„Das ist Unsinn!“
„Besser, du sagst es mir offen und ehrlich, anstatt dieses feige Versteckspiel weiter zu treiben!“
„Abby, mein Flieger wartet nicht!“
„Du kannst mir noch nicht einmal gerade in die Augen sehen, Lee!“
„Vielleicht können wir ein anderes Mal in Ruhe darüber reden...“
In diesem Augenblick klingelte es am Eingang. Abby ging zur Tür des geräumigen Ein-Zimmer-Apartments.
„Wer ist da?“, fragte sie über die Sprechanlage, ehe Lee Trenton es verhindern konnte.
Eine sonore Stimme meldete sich. „UPS-Paketservice. Ich habe eine Sendung für Sie.“
Abby öffnete die Tür.
Ein Mann in einer bis über die Hüfte gehenden, taillierten Lederjacke und dazu passenden Lederstiefeln stand auf dem Flur. Eine dunkle Strickmütze bedeckte fast die gesamte Stirn.
Der Mann in Leder blickte an Abby vorbei in Lee Trentons Richtung und griff unter seine Jacke. Abby sprang zurück, während eine Automatik mit Schalldämpfer unter der Lederjacke hervorgezogen wurde.
Trenton griff unter sein Jackett und riss einen kurzläufigen Revolver hervor.
Aber er kam nicht mehr zum Schuss.
Zweimal kurz hintereinander ertönte ein Geräusch wie bei einem heftigen Niesen. Das Mündungsfeuer leckte blutrot aus dem Schalldämpfer heraus. Trenton zuckte und sackte erst auf die Knie, ehe er mit dem Gesicht nach vorn zu Boden fiel.
Abby wich zurück und schrie.
Der Mann in Leder richtete seine Waffe auf sie und drückte noch einmal ab. Getroffen sank sie zu Boden und blieb regungslos liegen. Blut sickerte aus einer Schusswunde an ihrem Kopf.
Der Killer trat in die Wohnung, schloss die Tür hinter sich und sah sich um.
Ein zynisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
Für jemanden, der in den letzten Jahren so gute Geschäfte gemacht hat, hast du aber ziemlich stillos gelebt, Lee Trenton!, dachte er grinsend
12
Milo und ich parkten vor einem einfachen Brownstone-Bau in der West 10th Street. Lee Trentons Adresse lag im vierten Stock.
Das Haus war gepflegt, verfügte aber über keinerlei besonderen Luxus und auch nicht über besondere Sicherheitstechnik. Die Mieten waren in dieser Gegend aber auf Grund der zentralen Lage trotzdem gepfeffert.
Wir klingelten nicht bei Trenton, sondern bei einem der anderen Mieter, der uns hereinließ, nachdem wir uns mündlich als FBI-Agenten vorgestellt hatten.
Mit dem Lift ging es dann hinauf in den vierten Stock.
Wenig später standen wir vor Trentons Tür. Aus der Wohnung waren Geräusche zu hören.
„Das hört sich an, als würde dort jemand einen Umzug beginnen!“, meinte Milo und drückte auf die Klingel.
Die Geräusche verstummten.
Nichts geschah. Wir postierten uns rechts und links der Tür, die Hand an der Dienstwaffe.
„Mister Trenton, hier spricht das FBI! Bitte machen Sie die Tür auf! Wir müssen dringend mit Ihnen sprechen!“
Im nächsten Moment folgten fünf kurz hintereinander abgegebene Schüsse. Die großkalibrigen Projektile stanzten daumengroße Löcher in die Tür.
Anschließend waren auf der anderen Seite schnelle Schritte zu hören.
Ich schnellte vor, zog die Dienstwaffe vom Typ SIG Sauer P226 und stürmte los.
Zwei Schritte weit kam ich.
Dicke, blassgrüne Schwaden zogen mir entgegen, die die Augen tränen ließen.
Der Nebel war so dicht, das kaum etwas sehen konnte.
Nur eine schattenhafte Gestalt. Ein Mündungsfeuer blitzte durch den Nebel hindurch.
Kein Schussgeräusch.
Die Kugel zischte dicht an mir vorbei. Ich feuerte zurück ins Nichts hinein. Das Geräusch einer zerspringenden Fensterscheibe war zu hören.
Dann war die Gestalt verschwunden.
Ich kämpfte mich durch den beißenden Nebel und presste mir dabei mein Taschentuch vor die Nase.
Ein paar Schritte vor mir lag dir Leiche einer jungen Frau.
„Zurück, Jesse!“, rief Milo – und er hatte Recht.
Ich taumelte zurück zur Tür und hustete erbärmlich. Brechreiz machte sich bemerkbar. Wer diese Wolke durchquerte, war anschießend kampfunfähig.
Milo klingelte inzwischen an der Tür der Nachbarwohnung und klopfte heftig gegen die Tür. „FBI! Machen Sie die Tür auf!“
Ich erholte mich unterdessen einigermaßen.
Ein Mann von Mitte vierzig öffnete die Tür der Nachbarwohnung.
„Was wollen Sie?“
„Gehen Sie zur Seite!“, forderte Milo und hielt ihm seinen Dienstausweis unter die Nase. „Wir müssen durch Ihre Wohnung.“
„Aber...“
„Gibt auf Ihrer Seite des Hauses Feuerleitern?“
„Ja.“
„Dachte ich mir!“
Milo stürmte voran. Ich schnellte hinterher. Der Wohnungsbesitzer, an dessen Tür der Name ‚Mark Leslie Nelson’ stand, sah uns verdutzt hinterher.
Mit schnellen Schritten war Milo durch das Ein-Zimmer-Apartment geeilt und hatte die Balkontür erreicht. Ich war ihm dicht auf den Fersen. Milo öffnete die Tür und wir traten ins Freie.
Aus Trentons Wohnung quollen blassgrüne Tränengasschwaden.
„Das ist aber ein anderes Zeug, als unsere Kollegen von der City Police verwenden“, meinte Milo.
„Aber mindestens genauso wirksam!“, gab ich zurück und versuchte den Drang zu unterdrücken, mir die Augen zu reiben.
Ich ließ den Blick schweifen.
Eine Feuerleiter war von Trentons Balkon aus gut zu erreichen.
Über sie war der Täter vermutlich geflüchtet.
Vor uns lag ein Hinterhof, der von mehrstöckigen Gebäuden umgeben war. Offenbar sollte der gesamte Komplex gründlich saniert werden. Das Gebäude auf der Rechten war eine entkernte Ruine ohne Fenster. Offenbar wurde das Haus gerade abrissfertig gemacht. Auf der Linken war bereits ein acht Stockwerke hoher Rohbau zu sehen, der zeigte, wie sich die Eigentümer die Zukunft vorstellten.
Die Arbeiten ruhten zurzeit. Wie ich später erfuhr, gab es Unstimmigkeiten über die Zahlung einiger Zwischenrechnungen.
Der Asphalt auf dem Mittelplatz war von feinem Zementstaub bedeckt. Der Wind wehte ihn aus dem Neubau, sodass eine feine Schicht davon auch die Baumaschinen und den Kran der Abrissbirne bedeckte.
Frische Fußspuren fanden sich dort – gleich im Anschluss an das Ende der Feuertreppe.
Leider verloren sie sich bereits nach wenigen Schritten.
Milo telefonierte mit unserem Field Office an der Federal Plaza. Ich überkletterte inzwischen die Balkonbrüstung und machte einen Satz, sodass ich auf dem nächsten Absatz der Feuertreppe landete.
„Warte, Jesse!“, rief Milo.
Aber ich dachte gar nicht daran.
Der Kerl, den ich gesehen hatte, konnte sich schließlich nicht in Luft auflösen. Die Einfahrt zum Hinterhof war mit einem drei Meter hohen Zaun aus Stahlgitter gesperrt. Dass der ‚Schatten’ es innerhalb der kurzen Zeit geschafft hatte, diesen Zaun zu überklettern schien mir sehr unwahrscheinlich.
Vielleicht hatte er versucht, über das Abbruchhaus oder den Rohbau zu entkommen.
Es war anzunehmen, dass die jeweiligen Baustellen ebenfalls zur Straßenseite stark gesichert waren. Schon deshalb, weil es keine Baufirma und kein Bauherr riskieren konnte, unter Umständen millionenschwere Schmerzensgelder zahlen zu müssen, wenn sich dort irgendein Passant verletzte.
Vielleicht steckte der ‚Schatten’ also noch ganz in der Nähe, verbarg sich einfach irgendwo und hoffte darauf, dass wir ihn bereits aufgegeben hatten.
Ich rannte mit Riesenschritten die Feuertreppe hinunter.
In den Augen brannte es immer noch höllisch und ich hatte gleichzeitig ein Gefühl, als wollte mir jemand die oberen Atemwege ohne Betäubung aus dem Leib reißen. Aber ich biss die Zähne zusammen.
Unten angekommen verharrte ich für einen kurzen Moment neben einem übervollen Müllcontainer. Dort hatte ich zumindest etwas Deckung.
Die Spur verlor sich, zeigte aber für meinen Geschmack eindeutig in Richtung des Abbruchhauses. Ich beobachtete sorgfältig die Fenster, achtete dort auf jede Bewegung, jede Kleinigkeit...
Aber da schien niemand zu sein.
Mit der SIG in beiden Händen stürmte ich voran. Einige Meter ohne Deckung musste ich überwinden, ehe ich einen etwa zwei Meter fünfzig hohen Schuttcontainer erreichen konnte.
Kurz bevor ich die Deckung erreichte, tanzte der feine, kaum sichtbare Strahl einer Laserzielerfassung durch die Luft und brach sich im aufgewirbeltem Staub.
Ich wartete nicht, bis mein Gegner mich perfekt im Visier hatte.
Stattdessen hechtete ich mich zu Boden, und rollte um die eigene Achse über den Boden.
Der ‚Schatten’ entschloss sich eine Sekunde zu spät zum Schuss. Die kurz nacheinander abgefeuerten Kugeln krachten in den Asphalt und stanzten dort Löcher hinein, deren Tiefe der Länge eines Zeigefingers entsprach.
Im nächsten Moment hatte ich den Schutz des Schuttcontainers erreicht. Ein Projektil kratzte pfeifend über der oberen Metallkante.
Milo feuerte unterdessen von einem der Absätze der Feuertreppe aus auf das Fenster, wo sich der ‚Schatten’ verborgen hielt.
Inzwischen waren in der Ferne bereits die Sirenen der City Police und des Fire Service zu hören, die Milo ebenfalls alarmiert hatte.
Ich tauchte aus der Deckung hervor, richtete die Waffe empor und hielt sie auf das Fenster, aus dem auf mich geschossen worden war.
Aber der Schütze hatte sich von dort offenbar inzwischen zurückgezogen.
Ich rannte in geduckter Haltung auf das Haus zu. Milo gab mir dabei von seiner Position aus Feuerschutz.
Wenige Augenblicke später erreichte ich die Wand und schwang mich dann im Erdgeschoss durch ein Fenster ins Innere. Mit der SIG im Anschlag schlich ich voran und versuchte, keinen Laut zu verursachen.
Ich ging davon aus, dass Milo inzwischen die in Kürze eintreffenden Einheiten der City Police so instruierte, dass sie damit begannen, den gesamten Block komplett abzusperren.
Ich arbeitete mich vorsichtig voran.
Aus dem Inneren des Hauses war buchstäblich alles herausgerissen worden, was sich noch irgendwie verwenden ließ. Es gab weder Fenster noch Heizkörper. Das Dämmmaterial der Wände hing hier und da noch in Fetzen herunter. In den Schächten für die Lifte hingen nicht einmal mehr die Stahlseile, deren Aufgabe es war, die Kabinen zu tragen.
Ich durchquerte das Erdgeschoss. Durch die offenen Fenster blickte man auf eine Verblendung aus Wellblechelementen, die das Gelände zur Straße abschirmte.
Ich erreichte schließlich eine Treppe, die in den zweiten Stock führte.
Von oben hörte ich ein Geräusch und erstarrte.
Mir wurde schlagartig klar, dass sich mein Gegner in einem der oberen Stockwerke aufhalten musste. Wegen der hohen, so gut wie unüberwindbaren Wellblechverblendung, hatte er nur von dort überhaupt eine Chance, das Haus auf der zur Straße liegenden Seite wieder zu verlassen.
Also begann ich, die Treppe empor zu schleichen.
Es gelang mir beinahe lautlos.
Nachdem ich mich in den ersten Stock hochgearbeitet hatte, hörte ich ein paar Geräusche, schätzungsweise zwanzig Meter von mir entfernt. Mir war klar, dass er gerade irgendwie versuchte, die Straße zu erreichen.
Ich rannte los.
Dann stoppte ich.
Ein Wasserschlauch fiel mit auf.
Er war stramm gespannt. Durch eines der offenen Fenster im zweiten Stock führte er hinaus zur Straße. Der Killer hatte den Schlauch offenbar dazu benutzt, um sich vom Fenster aus über die Wellblechelemente hinweg abzuseilen.
Als ich das Fenster erreichte, fand ich meine Vermutung bestätigt.
Ich ließ den Blick über die Passanten schweifen, die hier her gingen. Jeder von ihnen hätte es sein können! Einsatzkräfte der City Police kamen gerade mit mehreren Fahrzeugen an. Sie schwärmten aus und schickten sich an, den Block zu sichern.
Ihr Einsatzeifer änderte nichts daran, dass sie zu spät waren, um den Täter noch aufzuhalten.
Ich atmete tief durch und steckte die Dienstwaffe wieder zurück ins Gürtelholster.
Schritte ließen mich herumfahren.
Milo kam im Laufschritt auf mich zu.
Ich deutete auf den Schlauch. „Ein ganz schön cleverer Bursche, mit dem wir es da zu tun haben.“
Milo atmete tief durch.
„Ich hoffe, dass wenigstens dieser Marenkov endlich etwas mehr Klarheit in die Sache bringen kann!“
Dem konnte ich nur beipflichten. „Es scheint fast so, als hätte dieser Zweig des organisierten Verbrechens über so viele Jahre hinweg existiert, dass ihm niemand wirklich gefährlich werden kann!“
„Und das hat sich seit den Ereignissen um die Eremitage offenbar geändert“, ergänzte Milo. „Jetzt versucht jeder rücksichtslos seine eigenen Claims zu halten und möglichst viel von den ergaunerten Millionen noch mit auf die eigene Seite zu schaffen.“
„Milo, ich gebe es ungern zu, aber bislang haben wir noch nicht einmal einen Ansatzpunkt, um an jene ominösen grauen Eminenzen heranzukommen, die hier in New York die Kunstmafia offenbar wie ein Marionettentheater aufziehen!“
13
Wir kehrten zur Wohnung von Lee Trenton zurück.
Die Tränengaswolken hatten natürlich jede Menge Neugierige auf den Plan gerufen. Bei den anderen Hausbewohnern mischte sich die Neugier natürlich mit blankem Entsetzen. Bei manchen sogar mit Panik.
Wir waren jedenfalls heilfroh, als die Kollegen der City Police endlich damit anfangen konnten, den Tatort abzusperren und uns so ein bisschen Freiraum gaben.
Der Fire Service war inzwischen mit Gasmasken in Trentons Wohnung eingedrungen und hatte zumindest festgestellt, dass keinerlei Explosionsgefahr oder dergleichen bestand. Der Rauch ging nur von einer sehr leistungsfähigen Tränengasgranate aus. Unsere Kollegen Clive Caravaggio und ‚Orry’ Medina trafen ebenfalls ein.
Als sich der Nebel gelichtet hatte und die Wohnung betreten werden konnte, fanden sich die Leichen von Lee Trenton und einer Frau, die ihren Papieren nach Abby Dempsey hieß.
Orry fand die falschen Papiere in Lee Trentons Jackettinnentasche. „James Smith, Republik Südafrika“, murmelte er.
„Trenton hatte also vor, ein neues Leben zu beginnen“, stellte ich fest. „Wahrscheinlich hat er gewusst, was auf ihn zukommt...“
„Du meinst, dass irgendein Bluthund hinter ihm her war, der ihn ausschalten sollte?“, meinte Clive. „Wir haben uns mit verschiedenen Informanten getroffen, die uns bisher über diese Szene immer ganz zuverlässig informiert haben. Bykov war ihnen natürlich ein Begriff. Trenton war ja wohl so etwas wie sein Handlanger.“
„Und?“, hakte ich etwas ungeduldig nach. „Was redet man so in der Szene?“
Clive zuckte mit den Schultern. „Nicht viel. Aber es scheint so zu sein, dass Bykov wohl ein paar Kisten voll wertvoller Ikonen wie Sauerbier angeboten hat. Er ist mit dem Preis so dramatisch in den Keller gegangen, dass da selbst jemand Misstrauen schöpfen müsste, der von der Materie gar nichts versteht.“
„Und warum wollte ihm das Zeug niemand abkaufen?“, fragte Milo. „Lass mich raten: Die bösen Gerüchte aus St. Petersburg sind schneller nach New York zurückgekehrt als Bykov mit seinem Flieger!“
„Ja, so ähnlich“, bestätigte Clive. „Übrigens gehen unsere Informanten davon aus, dass sich der Markt bald wieder beruhigen wird – und der Strom von Kunstgegenständen aus Russland erneut zu fließen beginnt. Diese Enthüllungen über die Eremitage werden im Sand verlaufen. Ein paar Verurteilungen wird es vielleicht geben. Aber das ist eher symbolisch. Der Großteil der Beteiligten kommt glimpflich davon. Zumindest diejenigen, die irgendwelche mächtigen Schutzpatrone haben. Und dann beginnt alles von vorn, nur dass sich vielleicht die Namen einiger Mitspieler geändert haben. Und genau das ist der Punkt! Angeblich soll es hier in New York einen Mann geben, der von allen nur ehrfürchtig ‚der Impressario’ genannt wird. Er zieht schon länger die Fäden bei der Kunstmafia, aber nun sieht er wohl die Chance, lästige Zwischenhändler wie Bykov auszuschalten und zur beherrschenden Nummer des ganzen Business zu werden – nicht nur in New York, sondern global.“
„Aber wer dieser Impressario sein könnte, hat dir nicht zufällig jemand verraten?“, fragte Milo.
Clive lächelte dünn. „Leider nicht. Aber vielleicht kommen wir da ja noch weiter.“
„Fragen wir am Besten unseren Kollegen Milton Dennister, was er darüber weiß“, schlug ich vor. „Mir macht er jedenfalls einen sehr kompetenten Eindruck.“
Ich rieb mir die Augen.
„Lass das besser bleiben!“, meinte Milo
„Du hast gut reden!“
„Hör zu, du musst dich behandeln lassen, Jesse.“
Ich schüttelte den Kopf. „Halb so wild. Ich spüle das selbst oder frage Dr. Claus, wenn er hier ankommt.“
„Erstens dauert das noch ein bisschen und zweitens ist Dr. Claus Gerichtsmediziner!“
„Aber ein Arzt!“
Milo schnipste mit den Fingern und streckte die Hand aus. „Ich weiß, dass es dir schwer fällt, Jesse, aber du gibst jetzt mir den Schlüssel für den Sportwagen und ich bring dich dorthin, wo du hingehörst. In die Ambulance.“
Ich seufzte.
„Wenigstens hast du nicht Karre gesagt.“
14
Milton Dennister war pünktlich im Café Number One. Dennister kannte es gut. Es gehörte nicht zum eigentlichen Flughafengelände, lag aber ganz in der Nähe und eignete sich hervorragend als Treffpunkt. Zwar nannte es sich Café, weil der vorhergehende Besitzer dort tatsächlich ein klassisches Café etabliert hatte, aber inzwischen glich es eher einem französischen Bistro und wurde von einem Kanadier aus Montreal betrieben, der sich von den Gästen Jacques nennen ließ.
Dennister wusste zufällig, dass er in Wahrheit Antoine hieß, aber das konnten die wenigsten Gäste korrekt aussprechen, geschweige denn sich merken.
Dennister ließ den Blick über die Plätze schweifen. Es herrschte mittlerer Betrieb.
Er bestellte sich einen Café au lait und wartete. Dabei blickte er immer wieder auf die Uhr.
Schließlich griff er zum Handy und rief im Field Office an. „Mister Marenkov scheint mich versetzt zu haben“, stellte er fest. „Jedenfalls glaube ich nicht, dass er noch auftaucht.“
15
Am frühen Abend trafen wir uns alle noch einmal im Besprechungszimmer von Mr McKee.
„Wie geht es Ihren Augen und Lungen, Jesse?“, sprach er mich an.
„Ich werde es überleben, Sir!“
„Unsere Experte untersuchen, was das für ein Granatentyp war. Ich schätze, bis morgen haben wir das.“
Unser Chef hörte sich stirnrunzelnd an, was wir bisher als gesicherte Tatsachen vorlegen konnten.
„Mit anderen Worten, es gibt im Fall von Mister Bykov noch nicht einmal den Beweis dafür, dass er wirklich tot ist“, stellte er fest.
„An die Möglichkeit einer Entführung habe ich auch schon gedacht“, gestand Clive. „Allerdings frage ich mich dann, an wen sich die Erpressung richten sollte. Schließlich besitzt Bykov keine zahlungskräftige Familie, die ihn auslösen könnte.“
„Jedenfalls möchte ich nicht, dass wir länger dazu gezwungen sind, mehr oder minder tatenlos mit anzusehen, wie offenbar ein paar mächtige Herrschaften der Kunstmafia glauben, hier in New York schalten und walten zu können, wie sie wollen!“, stieß Mr McKee ärgerlich hervor.
„Wir sollten die Laboruntersuchungen abwarten“, schlug Dennister vor. „Dann sind wir mit Sicherheit schlauer.“
„Einen kleinen Ansatzpunkt hätte ich vielleicht, dem sich noch lohnt nachzugehen“, meldete sich Max Carter zu Wort. Er wandte sich an mich. „Du hast mir ja unterwegs eine Telefonnummer durchgegeben.“
„Richtig. Sie stand auf einem Zettel in einer von Bykovs Jacken.“
„Die Nummer gehört zu einem Handy, dessen Eigentümer ein gewisser Norman Gallesco ist.“ Max wandte sich an Dennister. „Bei dem Namen sollte es bei Ihnen klingeln, Milton.“
„Sie meinen den Anwalt Gallesco, der in der 5th Avenue residiert und eine der dubiosesten Rollen in der ganzen Szene einnimmt?“
„Genau den.“
„Dieser Gallesco ist mir kein Begriff“, gestand Mr McKee. „Vielleicht könnte mich hier mal jemand aufklären, um wen es sich da handelt!“
„Mit Vergnügen“, sagte Milton Dennister. „Norman Gallesco ist eine Art Hobby-Kunsthändler, im eigentlichen Beruf aber Anwalt. In der Vergangenheit war er bei einigen zweifelhaften Transaktionen die treibende Kraft – insbesondere dann, wenn sogenannte „entführte“ Bilder gegen Lösegeld zurückgeführt werden sollten.“
„Es kam der Verdacht auf, dass Gallesco da die Grenzen dessen, was noch zu den Pflichten eines Anwalts gehört, bei weitem überschritten hat“, warf Max ein. „Allerdings konnte man ihm nicht nachweisen, dass er eventuell mit Bilderentführern Absprachen getroffen hat, die ungesetzlich sind.“
„Wenn Sie mich ganz persönlich fragen, kann man schon fast den Verdacht haben, dass Gallesco hin und wieder mit ihnen zusammengearbeitet und Millionen daran verdient hat!“, warf Dennister ein. „Aber einer wie der ist wohl einfach zu clever für unsere Justiz. Alles, was bei ihm auf dem juristischen Kerbholz steht, sind ein paar Verstöße gegen die Parkordnung der Stadt New York und die Beleidigung eines Richters, für die er tatsächlich drei Tage ins Gefängnis ging, anstatt die lächerliche Ordnungsstrafe zu bezahlen.“ Dennister grinste. „Er machte ein richtiges Happening daraus.“
„Klingt nach einem komischen Vogel“, lautete Milos Kommentar.
„Ja, aber er dürfte noch sehr viel weiter verzweigte Kontakte bis in die Kunstmafia hinein besitzen, als Ihre Informanten, die Sie bisher um Unterstützung gebeten haben“ stellte Dennister klar.
„Nachdem Jesse diese Nummer gefunden hat, haben wir ja auch einen ganz offiziellen Grund mit ihm zu sprechen“, erklärte Mr McKee. „Notfalls auch hier im Bundesgebäude in einer Gewahrsamszelle, wenn es sein muss! Aber das hat Zeit bis Morgen früh.“
Anschließend berichtete Milton Dennister noch von seiner missglückten Verabredung mit Major Marenkov. „Ich habe inzwischen herausgefunden, dass tatsächlich ein Flug auf den Namen Marenkov gebucht war, aber dieser Marenkov hat den Flieger in Russland nie bestiegen. Der Platz wurde an jemand anderes vergeben.“
„Und wer hat dann angerufen?“, fragte ich.
Max Carter meldete sich daraufhin zu Wort. „Alle eingehenden Anrufe werden bei uns ja glücklicherweise aufgezeichnet. Ich habe die Aufnahme natürlich sofort Agent Dennister vorgespielt und er hat die Stimme identifiziert.“
Mr McKee wandte sich an den Mann aus Washington. „Sie sind sich sicher, dass es die Stimme von Marenkov war? Ich wusste nicht, dass Sie ihn so gut kennen...“
„Ich bin ihm tatsächlich auch nur einmal begegnet, aber wir hatten hin und wieder Telefonkontakt“, antwortete Dennister. Er hob die Schultern. „Hundertprozentige Sicherheit gäbe nur ein Höhenkurvenabgleich dieses Anrufs mit der Originalstimme Marenkovs und selbstverständlich gibt es geschickte Stimmenimitatoren, aber...“ Er schüttelte entschieden den Kopf. „Das wäre doch absurd!“
„Der Anruf könnte auch aus Audioschnipseln irgendwelcher Aufnahmen zusammen geschnitten worden sein“, wandte Max ein. „Das untersuchen gerade unsere Experten. Schließlich wäre es absurd, anzunehmen, dass Marenkov längst in der Stadt ist und Agent Dennister zum Narren hält!“
Mr McKee atmete tief durch. „Man kann auch mit gutem Willen noch nicht sagen, dass wir Licht in die Sache gebracht hätten, aber die nötige Geduld gehört eben auch zu unserem Job. Ich schlage vor, Sie machen jetzt Feierabend und morgen früh sehen wir weiter.“
„Dann müssten auch schon einige Laborberichte vorliegen!“, war Clive recht zuversichtlich.
„Hoffen wir’s“, murmelte Milo. „Sonst drehen wir uns weiter im Kreis.“
16
Wir gingen Am Abend noch zusammen mit Agent Dennister zu unserem Lieblingsitaliener. Schließlich hatten wir alle einen Riesenhunger.
Milo und ich nahmen eine Pizza, Milton Dennister hingegen nur einen Salat. „Ja, Sie als Special Agents im Außendienst haben Bewegung genug, um wie Scheunendrescher essen zu können, aber bei mir sieht das anders aus!“, sagte er und fasste sich dabei an den Bauch.
„Wo sind Sie für Ihre Zeit hier in New York untergebracht?“, fragte ich.
„Hotel Supreme im East Village. Ist mehr eine Pension als ein Hotel, aber es liegt immerhin im Spesenrahmen, den man mir zugesteht!“
Eine Weile aßen wir einfach nur und keiner redete einen Ton. Der Tag war schließlich hart genug gewesen. Wenigstens am Abend muss man hin und wieder seine Gedanken sortieren, wenn man am Tag mit knapper Not der Laserzielerfassung eines skrupellosen Killers entkam.
Es ärgerte mich noch immer, dass mir der Kerl mit der Tränengasgranate entwischt war. Aber wenn man es genau nahm, konnte ich mir noch nicht einmal hundertprozentig sicher sein, dass es sich tatsächlich um einen Kerl handelte.
Ich versuchte mich zu erinnern und vergegenwärtigte mir noch einmal jenen Augenblick, als ich in das mit Tränengas verräucherte Zimmer stürmte.
Da war nichts weiter als ein Schatten.
Der vage Umriss eines Menschen.
Mehr ließ sich aus den Bildern, die sich in mir eingebrannt hatten, einfach nicht herausholen, so sehr ich das auch versuchte.
Milo brach schließlich das Schweigen, indem er Dennister noch mal auf sein fehlgeschlagenes Rendezvous mit Marenkov ansprach. „Seien Sie ehrlich Milton, was denken Sie, was steckt wirklich dahinter?“
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung“, gestand er. „Aber ich mache mir Sorgen.“
„Weshalb?“
„Marenkov wäre nun wirklich nicht der erste Ermittlungsbeamte, der seine Nase zu tief in Dinge gesteckt hat, von denen ein paar ehrenwerte Herrschaften der Ansicht sind, dass man sich da heraushalten sollte.“
17
Es war schon fast Mitternacht, als Agent Milton Dennister das Foyer des Hotel SUPREME im East Village betrat.
Den Wagen hatte er auf einem nahen Parkplatz abgestellt.
Der Portier begrüßte Dennister und ihm seinen Schlüssel.
„Guten Abend.“
Dennister nickte nur und unterdrückte ein Gähnen.
Er ging die Freitreppe ins Obergeschoss empor und hatte wenig später Zimmer Nummer 14 erreicht.
Die 14 lag neben der 12. Dennister musste jedes Mal darüber schmunzeln, dass man die 13 in der Nummerierung der Zimmer als Unglückszahl einfach ausgelassen hatte.
Er öffnete die Tür. Innen war es dunkel.
Dennister machte Licht.
Das Zimmer war nichts Besonderes. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Kleiderschrank und ein klobiger Drehsessel aus Leder, von dem Dennister den Eindruck hatte, dass der Hotelbesitzer nur nicht den Mut gehabt hatte, ihn auf den Müll zu werden.
Der Sessel drehte sich.
Ein Mann saß darin. In der Rechten hielt er eine Automatik mit Schalldämpfer, deren Lauf auf Dennisters Bauch zielte. Ein kaltes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er schlug die Beine übereinander. Die Lederstiefel passten exakt zu seiner Jacke.
Dennister erstarrte zur Salzsäule.
Im ersten Moment hatte er nach seiner Dienstwaffe greifen wollen, aber er hielt sich zurück.
Seine Chance lag bei null.
Dennister schluckte. „Was wollen Sie?“
Der Mann in Leder grinste schief.
„Erst eine kleine Unterhaltung, Agent Dennister. Wie unangenehm die wird, liegt ganz bei Ihnen... Und anschließend lege ich Sie schlafen. Deswegen sind Sie doch ohnehin hier, oder?“
18
Am nächsten Morgen fanden wir uns pünktlich zur Besprechung in Mr McKees Büro ein. Nur Milton Dennister war nicht anwesend. Mr McKee begann nach anfänglichem Zögern die Besprechung ohne den Spezialisten aus Washington.
Zunächst referierte unser Kollege Nat Norton über Vladimir Bykovs wirtschaftliche Verflechtungen. „In der Wohnung wurden ja keinerlei Kontoauszüge oder dergleichen gefunden“, sagte unser Experte für Betriebswirtschaft, dessen Spezialität das Aufspüren verborgener Geldströme war. „Ich hatte also wenige Anhaltspunkte, um überhaupt etwas über Bykovs wirtschaftliche Verhältnisse herauszufinden. In Zusammenarbeit mit der Steuerbehörde habe ich immerhin die Geschäftskonten der Galerie und die wichtigsten Privatkonten überprüfen können.“
„Mit welchem Ergebnis`?“, hakte Mr McKee nach.
„Seit Bykovs Ermordung – oder seinem Verschwinden, ganz wie man will – wurde auf die Konten nicht mehr zugegriffen.“
„Das würde ja die Mordthese unterstreichen“, ergänzte Clive.
Nat nickte. „Das Interessante sind die Zahlungen, die innerhalb der letzten Jahre von diesen Konten abgingen. Bykov stand mit einer Reihe von Briefkastenfirmen in Liechtenstein und auf den Cayman-Islands in Verbindung, die als Tarnfirmen der Kunstmafia gelten. Außerdem hatte er sehr starke Verbindungen nach St. Petersburg. Aber gegenwärtig komme ich da noch nicht weiter.“
„Es gibt dafür etwas Neues aus den Labors“, berichtete Max Carter. „Was den Blutfleck in Bykovs Galerie angeht, sind wir inzwischen sicher, dass derjenige, dem dieses Blut gehörte, erschossen wurde. Die Blutreste in dem Loch, das vermutlich von einem Projektil in die Wand gestanzt wurde, sind mit der DNA des Blutflecks identisch. Außerdem haben wir Schmauchspuren gefunden und wissen ziemlich genau, wo der Täter stand.“ Max projizierte einen Grundriss der Galerie mit dem Beamer seines Laptops an die Wand. Die ermittelte Position des Schützen war markiert worden. „Das Opfer wurde aus nächster Nähe erschossen. Der Treffer ging durch den Kopf. Es wurden in dem Einschussloch nämlich geringfügige Spuren von Hirnmasse gesichert. Leider haben wir weder eine Kugel noch eine Leiche und genau genommen können wir daher noch immer nicht sicher sein, ob es wirklich Bykov war, der getötet wurde. Schließlich haben wir kein genetisches Vergleichsmaterial.“ Max deutete auf einen bestimmten Punkt auf den Grundriss, der besonders gekennzeichnet war. „Hier war die Blutlache. Die Kollegen gehen davon aus, dass dort der Kopf des Toten eine Weile gelegen hat. Und zwar auf der Seite. Dadurch haben wir einen vollständigen Ohrabdruck.“
„Zu dem uns aber auch der Vergleich fehlt!“, schloss Mr McKee.
Max nickte. „Leider.“
„Was ist mit Fingerabdrücken?“, fragte ich. „Schließlich müssten Bykov bei der Einbürgerung Fingerabdrücke abgenommen wurden sein und wenn der Tote mit der Hand auf den Boden kam...“
„Es gibt tatsächlich Fingerabdrücke, aber die sind leider verschmiert“, erklärte Max. „Wir haben sie trotzdem mit Bykovs gespeicherten Fingerabdrücken verglichen und drei Übereinstimmungen gefunden. Der niedrigste Standard für eine sichere Identifizierung sind sechs Übereinstimmungen, manche Gutachter sind da aber durchaus auch noch anspruchsvoller.“
„Ich dachte immer, Fingerabdruck ist gleich Fingerabdruck!“, warf unser Kollege Jay Kronburg ein.
Ich zog ein Fazit. „Mit anderen Worten, es könnte Bykov sein – muss aber nicht.“
„So ist es“, nickte Max. „Wir suchen jetzt nach Verwandten, mit deren DNA wir das Blut aus der Galerie vergleichen könnten. Seine Schwester lebt ebenfalls in den Vereinigten Staaten. Nur weiß niemand, wo sie gegenwärtig steckt.“
„Das wir sich ja wohl herausfinden lassen“, meinte Clive.
„Der Tathergang lässt sich nach bisherigem Erkenntnisstand so rekonstruieren: Jemand klingelt Bykov in aller Frühe aus dem Bett. Bykov öffnet diesem Mister X. Wahrscheinlich, weil er ihn kennt und nicht als Gefahr einschätzt. Alarmanlage und Videoüberwachung sind noch ausgeschaltet. Bykov wird dazu gezwungen, in der Wohnung und in der Galerie die Safes zu öffnen. Unten in der Galerie versucht er sich zu wehren und wird erschossen. Vielleicht hatte der Killer auch von Anfang an vor, Bykov umzubringen. Auf jeden Fall scheint der Abtransport von größeren Gegenständen geplant gewesen zu sein, sonst hätte nicht wenig später ein Transporter vor der Tür gehalten, in den dann alles hinein geladen wurde, was dem Killer und seinen Komplizen wichtig erschien – einschließlich der Leiche.“
„Ich wette, dass neben einer ganzen Menge Beweismaterial auch die Kisten mit den Ikonen dabei waren, die in Bykovs Wohnung ja nicht aufgefunden werden konnten“, schloss Clive. „Aber irgendetwas muss die Täter dann bei ihrer Aufräumaktion gestört haben, sonst hätten sie diese so sauber zu Ende geführt wie sie alles andere beendet haben!“
„Und wenn sie wollten, dass wir den Blutfleck finden?“, fragte ich. Ich zuckte mit den Schultern. „War nur so ein Gedanke.“
„Sie meinen Bykov hat seinen Tod inszenieren wollen?“, fragte Mr McKee.
Niemand schien diesen Gedanken besonders weiterführend zu finden, denn keiner der anwesenden G-men ging darauf ein.
Mir war klar, dass ich den Stein der Weisen selbst noch nicht gefunden hatte – aber mein Instinkt sagte mir, das mit der Rekonstruktion des Tathergangs, wie Max sie uns vorgetragen hatte, irgendetwas nicht stimmte.
Ich wusste nur nicht, was mich so daran störte.
Mr McKee ergriff das Wort. „Ehe ich es vergesse, dieser Marenkov wird heute gegen zehn bei uns hier im Field Office eintreffen“, sagte er. „Ich dachte mir, dass Sie ihn vielleicht etwas unter Ihre Fittiche nehmen, Jesse. Ich bin überzeugt davon, dass Sie und Milo gut mit ihm zusammenarbeiten. Übrigens erwartet Washington das auch von uns. Man beobachtet das ganze auf höchster Ebene mit Argusaugen.“
„Ja, Sir“, nickte ich.
„Aber was hat dieses geplatzte Treffen gestern mit Dennister zu bedeuten?“, hakte Milo nach.
„Das habe ich ihn bei dem Telefonat, das wir heute morgen führten, auch gefragt“, berichtete unser Chef. „Es stellte sich heraus, dass Marenkov bereits vor drei Tagen unter anderem Namen in New York angekommen ist. Er traut offenbar seinen Gegnern aus der Kunstmafia alles zu. Marenkov hat Dennister aus der Ferne beobachtet, ihn aber nicht angesprochen, weil sich jemand in der Nähe aufhielt, der ihm verdächtig erschien und daher wollte er kein Risiko eingehen. Aber Sie können sich da ja von ihm selbst schildern lassen.“
„Oder von Dennister – sobald er auftaucht!“, warf Jay Kronburg ein.
„Wir müssen noch über die Morde an Lee Trenton und Abby Dempsey sprechen“, erinnerte uns Max Carter.
Mr McKee nickte ihm zu. „Bitte!“
„Die verwendete Waffe ist noch nicht aktenkundig und die sichergestellten Projektile hatten das Kaliber .44. Aufschlussreich ist die Tränengasgranate. Sie entspricht einem Typ, der in Russland verwendet wird – hier bei uns allerdings völlig unüblich ist.“
19
Anderthalb Stunden später traf Marenkov an der Federal Plaza ein. Er hatte zunächst ein halbstündliches Gespräch mit Mr McKee. Anschließend führte Max Carter ihn in das Dienstzimmer, das Milo und ich uns teilten.
Marenkov trug einen doppelreihigen Anzug, aber die Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals. Ich hatte gleich das Gefühl, dass dieser Business-Look nicht seine bevorzugte Kleidung war.
Wir stellten uns kurz vor.
„Nennen Sie mich Valerij“, sagte Marenkov mit einem kräftigen Händedruck. „Ich hoffe, dass wir gut zusammenarbeiten.“
„An uns wird es sicher nicht liegen – und an dem Kaffee, den die Sekretärin unseres Chefs kocht, sicher auch nicht!“, versicherte Milo.
Marenkov hob die Hände.
„Danke für Ihre Offenheit!“, sagte er akzentschwer. „Mister McKee hat mich darüber in Kenntnis gesetzt, wie weit Sie in der Sache sind.“
„Was wissen Sie über Bykov?“, fragte ich.
Marenkov schien im ersten Moment etwas überrascht über eine so konkrete Frage zu sein.
„Dass er einer der wichtigsten Kontaktpersonen der Kunstmafia gewesen sein muss.“
„Es soll hier in New York jemanden geben, der von allen nur ‚Impressario’ genannt wird und der die Fäden zieht. Haben Sie davon auch gehört?“
Marenkov lächelte verhalten.
„Ehrlich gesagt, hatte ich bisher Bykov in Verdacht, dieser Mann zu sein – oder zumindest sehr eng mit ihm in Verbindung zu stehen. Aber inzwischen glaube ich das nicht mehr.“
Ich hob die Augenbrauen. „Wie lautet denn Ihre Theorie dazu?“
Marenkov zuckte mit den Schultern. „Ich denke, dass die etablierten Zweige des organisierten Verbrechens auch den Kunsthandel in ihrer Gewalt haben und längst als wunderbare Möglichkeit der Geldwäsche für sich entdeckten. Wenn Sie die Finanzen von Leuten wie Bykov überprüfen, verwette ich meinen Schlips dafür, dass Sie auf dieselben dubiosen Firmennamen in Liechtenstein, auf den Cayman-Inseln und ein paar anderen Steueroasen stoßen, die Sie bereits aus Ihren Ermittlungen gegen Drogenringe kennen! Dort sollten Sie meiner Ansicht nach die Drahtzieher suchen.“ Er grinste breit und wirkte etwas gezwungen. „Aber wer bin ich, dass ich Ihnen sage, was Sie zu tun haben!
„Ich nehme an, dass Sie bereits darüber aufgeklärt wurden, welche Befugnisse Sie hier haben“, sagte ich.
Marenkov grinste, „Oder besser gesagt, welche Befugnisse ich hier nicht habe“, schnitt er mir das Wort. „Ich weiß, dass ich in diesem Land keinerlei Polizeibefugnisse besitze und beratend tätig bin und Sie brauchen auch keine Sorge zu haben, dass ich Ihnen und Ihrem Partner dauernd auf den Fersen klebe...“
„Keine Sorge“, sagte ich.
„Nat braucht Sie später unbedingt für seine Ermittlungen in Sachen Konten und Geldströme!“, ergänzte Max Carter.
„Ich stehe zur Verfügung“, versprach Marenkov.
„Wir werden uns heute um Norman Gallesco kümmern“, kündigte ich an. „Haben Sie den Namen mal gehört?“
Marenkov überlegte kurz. Dann nickte er. „Ich glaube, das war ein Anwalt, der für Bykov tätig war. Aber nur kurzfristig.“
„Sie sind aber gut informiert!“
Marenkov bleckte die Zähne. „Darum bin ich noch am Leben!“
20
Wir fuhren zu Norman Gallescos Residenz in der 5th Avenue. Wir boten Marenkov natürlich an, ihn im Sportwagen mitzunehmen. Milo erklärte sich bereit, im Fond Platz zu nehmen, der bei diesem Hybriden auch nicht viel geräumiger war als in dem alten E-Type.
Aber Marenkov lehnte ab und bevorzugte einen Wagen aus den Beständen unserer Fahrbereitschaft. Er entschied sich für einen unscheinbaren Toyota.
Es stellte sich heraus, dass er schon öfter in New York gewesen war und sich hier hervorragend auskannte. Entgegen unseren Befürchtungen hatte er daher auch keinerlei Schwierigkeiten, sich an die Verkehrsverhältnisse im Big Apple anzupassen.
„Das Art Business ist ein globales Geschäft!“, meinte er dazu. „Gleichgültig, ob auf der legalen oder der illegalen Seite. Und die neureichen Gangster aus Moskau oder St. Petersburg lassen sich nun mal ganz gerne mit dem Privatflieger, nach Paris, New York oder sonst wohin fliegen, nur um ihrer Angebeteten in irgendeiner angesagten Boutique eine 600-Dollar-Jeans zu kaufen. Nebenbei besucht man dann ein paar Geschäftsräume...“
„Ich verstehe“, sagte ich.
Marenkovs Lächeln wurde spöttisch. „Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich meine Befugnisse während dieser Aufenthalte in Ihrem Land nie überschritten habe, falls Sie sich darüber Sorgen machen sollten.“
Norman Gallesco residierte in einer Traumetage mit freiem Blick auf den Central Park. Das Gebäude selbst glich einer Hochsicherheitsfestung. Überwachungskameras und bewaffnete Security Guards waren überall.
Wir fuhren mit dem Lift in Gallescos Etage.
Ein zwei Meter großer Bodyguard im dunklen Anzug öffnete uns. Er hielt einen Metalldetektor in der Rechten und wollte uns tatsächlich damit nach Waffen durchsuchen.
Ich hielt ihm meine ID-Card unter die Nase.
„Dieser Ausweis sollte auch für Sie vertrauenswürdig genug sein.“
„Sie sind nicht angemeldet!“
„Ich denke, dass sich Mister Gallesco trotzdem ein paar Minuten für uns Zeit nehmen wird.“
„Der Terminkalender von Mister Gallesco ist sehr eng.“
„Der unsere auch!“, mischte sich Milo etwas ungehalten ein.
In diesem Augenblick öffnete sich eine Tür.
Zwei Männer traten hervor. Der eine war groß und hager, der andere kaum 1,60 m, mit einem sehr kurzen Hals, dessen vollen, grauen Haarschopf man einen Cäsar-Schnitt verpasst hatte. Er sprach mit durchdringender Stimme und seinem sehr harten Akzent. Offenbar war er ziemlich aufgebracht.
„Wir besprechen alles weitere in den nächsten Tagen, Mister Zurcher!“
„Ich will es hoffen!“, sagte Zurcher, der uns kurz musterte und dann mit seiner dünnen Aktentasche unter dem Arm die Wohnung verließ.
„Mister Norman Gallesco?“, wandte ich mich an den Hageren.
Dieser drehte sich zu seinem Leibwächter herum. „Was machen diese Leute hier, Barry?“
Ich hielt ihm meinen Ausweis entgegen.
„Jesse Trevellian, FBI! Dies sind mein Kollege Milo Tucker sowie Major Marenkov, ein Ermittler des russischen Innenministeriums, der uns berät. Wir würden gerne kurz mit Ihnen über Vladimir Bykov sprechen.“
„Was ist mit Bykov?“
„Er ist verschwunden - wahrscheinlich ermordet. Und wir hofften eigentlich, dass Sie uns etwas Näheres dazu sagen könnten.“
„Ich wüsste leider nicht, wie ich Ihnen da behilflich sein könnte. Aber vielleicht kommen Sie erst einmal in mein Büro und Sie erläutern mir die Sache etwas genauer.“
„Gerne.“
Wir folgten ihm.
Das Büro war größer als dir meisten New Yorker Wohnungen. Der gewaltige Schreibtisch war aus einem dunklen Tropenholz, mit dem der Handel längst verboten war. Gallesco führte uns zu einer Sitzgruppe in der Nähe der zum Central Park ausgerichteten Fensterfront.
Wir setzten uns.
Gallesco wirkte nervös.
„Wir befürchten, dass Vladimir Bykov Opfer einer Serie von Morden im Dunstkreis der Kunstmafia wurde. Lee Trenton, sein GalerieverMax wurde kurz danach erschossen und...“
„Das ist ja furchtbar!“, stieß Gallesco hervor. „Aber ich frage mich, was mit alledem zu tun habe.“
„Ich habe Ihre Nummer in Bykovs Jackett gefunden“, stellte ich klar. „Wir gehen davon aus, dass er eine zentrale Vermittlerrolle im illegalen Kunsthandel mit Russland einnahm. War er Ihr Mandant?“
Gallesco lächelte.
„Ja, ich gebe zu, dass ich ihn in der Vergangenheit ein paar Mal vertreten habe.“
„In welchen Angelegenheiten?“
„Nun, ich habe Mister Bykov in juristischen Fragen beraten. Rund um den internationalen Transfer von Kunstgegenständen. Allerdings ging es um legale Geschäfte!“ Sein Lächeln wirkte gezwungen. „Das ist schon risikoreich genug, denn die gesetzlichen Bestimmungen halten da wirklich jede Menge Fußangeln bereit. Aber wenn Sie glauben, dass ich Mister Bykov bei irgendwelchen illegalen Aktivitäten unterstützt hätte, liegen Sie völlig falsch.“
„Von dem Eremitage-Skandal haben Sie sicher gehört“, warf nun Milo ein.
Gallesco nickte. „Jeder, der sich nur ein bisschen für das Thema interessiert hat, hat das.“
„Unsere Kollegen haben über V-Leute ermittelt, dass Bykov auf mehreren Kisten mit Kunstgegenständen – vor allem Ikonen und Schmuck - saß, die er jetzt wohl kaum noch offen anbieten konnte. Haben Sie etwas davon gehört?“
Gallesco verschränkte die Arme.
„Wie gesagt, ich tue nichts Ungesetzliches. Schon gar nichts, was nach Hehlerei aussehen könnte! Da würde ich meine Existenz als Anwalt aufs Spiel setzen.“
„Aber man sagt Ihnen exzellente Verbindungen in der Kunstmafia nach und wir hatten gehofft, dass Sie noch immer einigermaßen informiert sind...“
„Und jetzt sagen Sie nicht, dass Sie mit solchen Leuten nicht zusammenarbeiten würden!“, mischte ich mich ein, noch bevor Gallesco in der Lage war zu antworten. „Sie haben das doch bereits!“
„Ach, ja?“
„Sie haben dafür gesorgt, dass mehrere klassische Gemälde, die aus einer Privatsammlung entwendet worden waren, über dubiose Kanäle gegen Lösegeld zurückgeführt wurden!“, hielt ich ihm vor.
„Ja und ich wäre deswegen beinahe wegen Beihilfe zu einem Verbrechen ins Gefängnis gekommen!“
„Wenn Sie in diesem Fall etwas Ähnliches für das FBI tun würden, bestünde diese Gefahr nicht“, machte ich ihm klar.
Sein Lächeln wirkte wie eine Maske. „Natürlich nicht!“, knurrte er. „Damals sind alle über mich hergefallen! Dabei habe ich nicht den Entführern geholfen. Nicht in erster Linie jedenfalls – sondern der Menschheit und dem Erhalt Ihres Kulturerbes, schließlich habe ich verhindert, dass ein paar Wahnsinnige Bilder zerstören oder auf Nimmerwiedersehen in den Safes von ein paar superreichen Sammlern verschwinden lassen, denen es darum geht, so ein Kunstgut ganz für sich allein zu besitzen! Die Staatsanwaltschaft war doch damals nur sauer darüber, dass ich es abgelehnt habe, mit der Justiz zusammen zu arbeiten!“
Gallesco stand auf.
Er ging ein paar Schritte unruhig auf und ab. Dabei vergrub er seine Hände in den weiten Taschen seiner grauen Flanellhose. Schließlich blieb er abrupt stehen und fixierte mich. „Okay, ich will mit offenen Karten spielen. Ich kann damit meinem Mandanten wahrscheinlich nicht mehr schaden, so wie Sie die Dinge dargestellt haben...“ Er atmete tief durch und fuhr fort. „Bykov habe ich vor drei Tagen zuletzt gesehen. Wir hatten schon länger geschäftlich nicht mehr miteinander zu tun. Er hat mich tatsächlich wegen einer Lieferung von Ikonen angesprochen, Agent Trevellian. Meinem Mandanten war klar geworden, dass er an einen Posten illegal verschobenen Materials geraten war.“
„Was hat ihn zu dieser Erkenntnis geführt?“, fragte ich.
Gallesco hob die Schultern. „Ich nehme an, die Meldungen über die Eremitage in St. Petersburg haben ihm die Augen geöffnet, obwohl ein Mann seines Sachverstandes eigentlich misstrauischer sein sollte. Jedenfalls wollte er, dass ich für Kontakt zu einem Mann aufnehmen sollte, von dem ich aus sicherer Quelle weiß, dass er ein Hehler ist – auch wenn ich ihm das wohl ebenso wenig beweisen könnte wie Sie!“
„Um wen handelt es sich?“, hakte ich nach.
„Byron Templeton.“
„Das ist nicht nur ein kleiner Hehler!“, schritt Marenkov ein.
„Darf dieser Mann aktiv an Verhören teilnehmen?“, fragte Gallesco gereizt. „So weit ich weiß...“
„So weit ich weiß, ist dies kein Verhör, sondern ein vollkommen unverbindliches Gespräch“, erwiderte ich. „Und im Rahmen eines solchen Gesprächs darf Major Marenkov alles.“
Gallesco lächelte kalt.
„Wenn Sie mich vor Gericht auf irgendetwas festnageln wollen, werde ich Ihnen das um die Ohren hauen, Agent Trevellian!“
Milo schritt jetzt ein und stellte unmissverständlich klar: „Es hat niemand vor, Sie vor Gericht in den Zeugenstand zu rufen oder gar anzuklagen, Mister Gallesco!“
Gallesco atmete tief und beruhigte sich wieder etwas.
Marenkov fuhr inzwischen fort: „Ich bin nur dafür, keine beschönigenden Bezeichnungen für jemanden wie Templeton zu gebrauchen! Der Name ist selbst in Moskau und St. Petersburg bekannt! Leider hatte unser Ministerium bis jetzt keine Möglichkeit, ihn kalt zu stellen. Aber ich bin überzeugt davon, dass er eine ganz große Nummer in dieser Eremitage-Connection ist, die da schon seit Jahren läuft!“
„Ich werde diese Aussage nicht kommentieren“, sagte Gallesco.
„Haben Sie den Deal eingeleitet?“, fragte ich.
Gallesco schüttelte den Kopf. „Ich habe Mister Bykov natürlich empfohlen, sich mit seinem Verdacht an die Behörden zu wenden, nur fürchte ich, dass er das nicht getan hat.“
„Wissen Sie, wer der ‚Impressario’ ist?“, fragte ich.
„Ich weiß nur, dass er existiert“, sagte Gallesco sehr ernst. „Und dass jeder, der ihm bisher in die Quere gekommen ist, das bitter bereut hat.“
21
„Was hältst du von Gallesco?“, fragte Milo, als wir dessen Residenz wieder verlassen hatten und uns auf dem Weg zum Wagen befanden.
„Ich habe das Gefühl, dass der noch sehr viel mehr weiß“, bekannte ich.
„Ich wette, dass er den Ikonen-Deal über die Bühne gebracht hat!“, war Milo überzeugt.
„Wir sollten uns auf Byron Templeton konzentrieren“, fand Marenkov. „Ich bin in jahrelanger Ermittlungsarbeit auf diesem Gebiet immer wieder auf den sogenannten Impressario gestoßen.“
„Ohne seine Identität aufdecken zu können?“
„Wir wissen, dass er ursprünglich Russe ist. Als KGB-Agent wurde er in der Endphase des kalten Krieges in den USA eingeschleust und lebte dort als ganz normaler US-Bürger. Bei Bedarf sollte er aktiviert werden.“
„Und Sie kennen nicht den Namen?“, fragte ich.
„Um wen es sich auch immer handeln mag, er hatte hervorragende Kontakte. Die Akten beim Geheimdienst sind unter Verschluss, verschwunden oder nicht zugänglich. Ich bin überzeugt davon, dass Bykov ihn weiß, denn ich habe herausgefunden, dass er eine Zeitlang sein Führungsoffizier gewesen sein muss...“
„Sie sprechen über Bykov, als würde er noch leben!“, stellte ich fest.
Marenkov sah mich überrascht an und grinste. „Zweckoptimismus. Da ist wohl der Wunsch Vater des Gedankens. Und schließlich gibt es ja auch noch keinen Beweis dafür, dass das Blut in der Galerie von ihm stammt, oder?“
„So ist es“, nickte ich. „Meinen Sie, dass dieser Templeton bereits hoch genug in der Hierarchie steht, um direkten Kontakt zum Impressario zu haben?“
Marenkov zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht ist Templeton ja der ‚Impressario’!“
Milos Handy klingelte.
Er nahm das Gespräch entgegen und sagte zweimal kurz hintereinander: „Ja!“
Anschließend wandte er sich an uns. „Unser Kollege Milton Dennister wurde tot in seinem Hotel gefunden. Wir sollen zum Tatort kommen.“
22
Als wir das Hotel ‚Supreme’ im East Village aufsuchten, war die Zufahrtsstraße bereits durch eine Handvoll Einsatzfahrzeugen blockiert. City Police, Gerichtsmedizin und Scientific Research Division waren bereits da.
Wir mussten den Sportwagen in einer Seitenstraße in der Nähe abstellen. Marenkov war uns mit seinem Toyota gefolgt. Zusammen mit dem russischen Kollegen gingen wir zum Eingang des ‚Supreme’.
Ein uniformierter Officer hielt uns an.
„Milo Tucker, FBI!“, sagte mein Kollege und hielt ihm die ID-Card entgegen. „Wer leitet den Einsatz hier?“
„Lieutenant Davis. Er wartet schon auf Sie. Gehen Sie einfach ins Foyer.“
„Danke.“
Wir folgten der Empfehlung des Officers und trafen im Foyer auf Lieutenant Davis von der zweiten Homicide Squad des zuständigen NYPD-Reviers.
„Schön, dass Sie da sind!“, sagte Davis. „Der Besitzer des ‚Supreme’ hat uns gerufen. Eines der Zimmermädchen hat einen gewissen Milton Dennister mit einer Kugel im Kopf in seinem Bett gefunden. Laut den Papieren, die bei ihm gefunden worden sind, ist er ein Kollege von Ihnen.“
„Wir haben ihn heute Morgen bereits vermisst“, gestand ich.
Davis nickte leicht. „Das ganze sieht nach der Tat eines Profis aus. Der Tote war so ein sein Bett drapiert worden, dass man ihn für schlafend halten konnte. Außerdem muss ein Schalldämpfer benutzt worden sein, denn weder einer von den anderen Gästen noch vom Personal hat einen Schuss gehört.“
„Wann war der vermutliche Todeszeitpunkt?“, frage ich.
„Dr. Claus meint gestern gegen Mitternacht. Plus minus zwei Stunden.“
„Wir möchten gerne mit dem Zimmermädchen sprechen, dass Agent Dennister entdeckt hat. Außerdem müssen wir allen reden, die zur Tatzeit Dienst hatten.“
„Das Zimmermädchen steht unter Schock“, sagte Davis. „Ich glaube, es bringt nicht viel, sie im Moment noch einmal zu befragen. Ich habe sie in die Ambulanz geschickt, nachdem meine Kollegin Sergeant Anderson das Wichtigste aufgenommen hatte.“ Davis seufzte schwer und fuhr sich mit einer fahrigen Handbewegung durch das krause Haar. Wir haben noch Glück gehabt. Eine Blutlache hatte das Laken voll gesogen - andernfalls hätte das Zimmermädchen vielleicht gar keinen Verdacht geschöpft.“
„Was hatte es überhaupt in dem Zimmer zu suchen, solange Dennister noch drin war?“, hakte Milo nach.
„Ein Versehen. Die junge Frau hat nicht damit gerechnet, dass Dennister noch da ist – und es war weder abgeschlossen, noch war das Schild ‚Bitte nicht stören’ nach draußen gehängt.“
In diesem Moment wurde gerade der Metallsarg mit Dennisters sterblichen Überresten durch das Foyer getragen.
Der Gerichtsmediziner Dr. Brent Claus von der Scientific Research Division, folgte mit an den Körper gepresstem Arztkoffer den Trägern. Er begrüßte uns knapp. Wir kannten ihn gut.
Schließlich hatten wir mit Dr. Claus Brent bereits in Dutzenden von Fällen gut zusammengearbeitet.
„Tut mir leid für den Kollegen“, sagte Dr. Claus. „Für die Obduktion brauche ich zweieinhalb bis drei Stunden.“
23
Clive und Orry erreichten eine Farm bei Warrington, einem kleinen Ort nördlich der Stadt Paterson in New Jersey.
„Das soll eine Art Pferdehof sein, auf dem New Yorker, die sich das leisten können, ihr Pferd unterstellen, mit dem sie dann übers Wochenende mal ausreiten“, meinte Orry.
„So fern sie dazu überhaupt Zeit haben“, gab Clive zurück.
Sie parkten den Wagen – einen unscheinbaren Chevy – direkt vor der Haustür des Haupthauses.
Die beiden G-men stiegen aus.
Orry ging mit seinen guten Schuhen wie ein Storch durch den aufgeweichten Boden. Unser indianischer Kollege galt als bestangezogendster G-man des Field Office New York – aber hier draußen hatte er definitiv nicht das Richtige an den Füßen.
„Etwas overdressed, würde ich sagen“, meinte Clive.
„Hauptsache, wir sind nicht umsonst hier raus gefahren.“
Sie gingen zur Tür des Haupthauses. Es gab keine Klingel. Clive klopfte heftig. Es dauerte ein paar Minuten, ehe sich innen etwas regte. Wenig später öffnete ein großer, kräftiger Mann in einem karierten Hemd und musterte Clive und Orry von oben bis unten.
Clive hielt ihm seine ID-Card entgegen.
„Clive Dillagio, FBI. Dies ist mein Kollege Agent Medina. Sind Sie Mister Ronald Kavanaugh?“
Der Mann im karierten Hemd verschränkte die Arme. „Der bin ich. Was wollen Sie?“
„Sie waren doch vor ein paar Jahren mit einer gewissen Svetlana Bykov verheiratet.“
„Das liegt Jahre zurück. Wollen Sie mir jetzt die Rechnung präsentieren und mir doch noch nachweisen, dass es sich um eine Scheinehe handelte? Hören Sie, wir sind damals deswegen angeklagt worden und es kam zu einem Freispruch. Und soweit ich weiß, kann man wegen desselben Delikts nicht zweimal vor Gericht gebracht werden.“
„Darum geht es auch nicht, Mister Kavanaugh. Können wir vielleicht kurz hereinkommen?“
Kavanaughs Körperhaltung entspannte sich etwas. Ein paar Augenblicke schien er mit sich zu ringen, dann nickte er.
„Okay, kommen Sie!“
„Danke“, sagte Clive.
Kavanaugh führte Clive und Orry in die Wohnküche.
„Wollen Sie Kaffee?“
„Nein danke“, sagte Clive. „Sie müssen zugeben, dass der Verdacht, dass Sie mit Svetlana Bykov eine Scheinehe führten, nicht ganz von der Hand zu weisen war. Ich meine, jetzt könnten Sie es doch gefahrlos zugeben.“
Kavanaugh grinste. „Ich habe zwanzigtausend Dollar von einem reichen Kerl bekommen. Es war ihr Bruder – Vladimir Bykov. Dafür habe ich Svetlana geheiratet, damit sie die US-Staatsbürgerschaft schneller bekommen konnte.“ Kavanaugh zuckte mit den Schultern. „Hat sich für und beide gelohnt, würde ich sagen! Aber ich bin schon seit Jahren von meiner Frau geschieden und habe nicht die geringste Ahnung, was Sie von mir wollen!“
„Wir suchen Svetlana“, erklärte Orry.
„Tut mir leid, ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Und damit, würde ich sagen, ist das Gespräch zu Ende. Ich muss mich um die Pferde kümmern. Es bezahlen ein paar reiche Pinkel aus dem Big Apple schließlich ein Heidengeld dafür, dass ich mich um ihre edlen Reittiere kümmere!“
„Wir müssen Ihre Ex-Frau unbedingt finden“, sagte Orry. „Ihr Bruder ist verschwunden. Wir haben eine Blutspur gefunden und brauchen Svetlana Bykovs DNA, um mit Sicherheit sagen zu könne, ob der Verschwundene einem Verbrechen zum Opfer fiel. Also helfen Sie uns bitte.“
Kavanaugh runzelte die Stirn. „Wie kommen Sie darauf, dass ich noch Kontakt zu meiner Ex-Frau habe?“, empörte er sich.
„Sie sind einfach unser einzige Ansatzpunkt. Svetlana Bykov alias Svetlana Kavanaugh ist nämlich anscheinend untergetaucht. Sie hat keine Sozialversicherungsnummer, keine uns bekannte Adresse und keine Kreditkarte.“
„Zumindest nicht unter diesem Namen“, ergänzte Clive.
Kavanaugh kratzte sich am Hinterkopf. Er trat zum Fenster, wandte uns den Rücken zu und blicke nachdenklich ins Freie. „Ich habe mich mit Svetlana immer gut verstanden, trotz allem. Nach unserer Scheidung hat sie eine ganze Weile in Paterson gewohnt und eine Boutique betrieben.“
„Das wissen wir. Aber es gibt weder die Boutique, noch ist sie unter ihrer alten Adresse in Paterson zu erreichen“, stellte Clive fest.
„Am besten, Sie lassen sie einfach in Ruhe“, meinte Ronald Kavanaugh. „Sie hatte schon während unserer Ehe etwas dagegen, wenn sich ihr Bruder eingemischt hat...“
„Ich fürchte, Mister Bykov ist im Moment gar nicht in der Lage, sich noch irgendwo einzumischen“, erwiderte Clive etwas gereizt. „Und die Leute, die ihn möglicherweise auf dem Gewissen oder entführt haben, könnten vielleicht auch nach seiner Schwester suchen.“
Kavanaugh machte eine ruckartige Bewegung. „Ich habe Svetlana eigentlich versprochen, nichts zu verraten.“
„Wolle Sie sie auf dem Gewissen haben?“
Kavanaugh schluckte. „Sie nennt sich jetzt Jane Benson und wohnt in Jersey City. Und jetzt wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie verschwinden könnten. Ich habe nämlich vor kurzem wieder geheiratet und möchte mir eigentlich ersparen, meiner Frau von den alten Geschichten erzählen zu müssen!“
Clive langte in die Innentasche seiner Jacke und reichte ihm erst einen Notizblock und anschließend einen Kugelschreiber.
„Scheiben Sie uns die Adresse auf, Mister Kavanaugh!“, verlangte der flachsblonde Italoamerikaner.
„Die kenne ich nicht. Wir hatten nur zwischenzeitlich einmal Telefonkontakt, als sie mich bat, für sie eine Rechnung bei einem Versandhaus zu begleichen.“
„Und das haben Sie getan?“, frage Clive.
„Ja. Sie hat mir das Geld in bar zurückgezahlt. Ich habe sie dazu kurz auf einem Parkplatz in Jersey City getroffen.“
„Sie wollte wohl vermeiden, dass sie mit einer Kreditkarte Spuren hinterlässt!“, schloss Orry.
Ich nickte. „Sie wollte untertauchen.“
24
Es gab insgesamt zwölf Personen in Jersey City, die Jane Benson hießen und unter diesem Namen eine Sozialversicherungsnummer besaßen.
Es stellte sich heraus, dass eine dieser Personen eine Boutique eröffnet hatte.
„Das ist sie!“, meinte Clive, als Max Carter ihm diese Erkenntnisse telefonisch durchgab. „Sie versucht beruflich wieder dort Fuß zu fassen, wo sie auch vorher schon tätig war!“
Über das Internet war auch die Adresse dieser Boutique schnell zu finden. Das Geschäft lag in der Franklin D. Roosevelt Road im Zentrum von Jersey City.
Orry und Clive betraten den Laden.
Die Chefin persönlich stand hinter dem Kassentisch und sah ein paar Rechnungen durch, als die beiden Agenten ihr die ID-Card entgegenhielten.
„FBI. Sind Sie Jane Benson?“, fragte Clive.
Sie blickte auf, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und wurde dunkelrot.
„Ja, Sir“, murmelte sie.
„Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen, vielleicht gehen wir dazu in einen Nebenraum.“
„In Ordnung.“ Sie fasste sich und wandte sich der einzigen Angestellten des Ladens zu, einer jungen Frau mit brünetten, gelockten Haaren. „Würdest du mal eben übernehmen, Dana?“
„Ja klar!“
Clive und Orry gingen zusammen mit der Frau, die sich nun Jane Benson nannte, in einen benachbarten Lagerraum.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust.
„Was ist? Was werfen Sie mir vor?“
„Ihnen persönlich wahrscheinlich nur mehrfache Urkundenfälschung. Aber das ist etwas, worüber man hinwegsehen könnte. Wir brauchen Ihre Hilfe.“
„So?“
„Ihr wirklicher Name lautet Svetlana Bykov...“
Sie schluckte. Ihr Gesicht wurde dunkelrot.
„Es geht wahrscheinlich mal wieder um meinen Bruder und seine Geschäfte!“, stieß sie hervor.
„Was wissen Sie darüber?“, fragte Clive.
„Nur, dass sie nicht legal sind und ich nichts damit zu tun haben will.“
„Gilt das nur für die Geschäfte oder auch für Ihren Bruder persönlich?“
„Für beides.“
„Er hat Ihnen zu Ihrem neuen Leben hier in den USA verholfen“, gab Orry etwas verständnislos zu bedenken.
Sie nickte. „Das mag sein. Aber seine illegalen Geschäfte sind auch der Grund dafür, dass ich meine Identität verändern musste. Er tauchte plötzlich auf und meinte, ich müsste von heute auf morgen alle Brücken abbrechen, damit ein paar Leute, mit denen er wohl Meinungsverschiedenheiten hatte, nicht auf die Idee kämen, ihn damit unter Druck zu setzen, dass sie mich entführten oder dergleichen.“
„Wenn wir Sie finden konnten, können andere das auch. Wenn Sie also wissen, mit wem sich Ihr Bruder angelegt hat, dann sollten Sie uns das sagen. Jede auch noch vage Vermutung könnte wichtig sein. Davon abgesehen brauchen wir eine Speichelprobe von Ihnen, um die DNA eines Blutflecks mit Ihrer zu vergleichen. Nur so können wir vielleicht feststellen, was mit Ihrem Bruder geschehen ist!“
„Können Sie mich zu diesem Zweck zwingen?“
„Es scheint Sie ja nicht sehr zu kümmern, ob ihr Bruder nun tot ist oder nicht.“
Sie zuckte die Schultern. Ihr Mund wirkte wie ein gerader Strich.
„Wie ich Ihnen gerade schon schilderte, haben wir unsere Probleme miteinander. Aber Sie haben Recht. Bei dieser Sache sollte das alles keine Rolle spielen.“
„Das ist vernünftig“, nickte Clive.
„Dann sagen Sie mir, was ich tun muss, um diese Probe abzugeben?“
„Das können wir gleich hier mit einem Wattestäbchen machen, das Sie in den Mund nehmen.“
25
Am frühen Abend trafen wir uns noch zu einer kurzen Besprechung bei Mr McKee im Büro. Mir fiel auf, dass Marenkov den Kaffee nicht anrührte, den Mandy uns gekocht hatte. Davon abgesehen war der Mann aus Russland überraschend schweigsam. Ich hatte ihn Anfangs eigentlich für jemanden gehalten, der es liebte, sich in den Vordergrund zu spielen, wenn es die Situation zuließ. Offenbar hatte ich mich getäuscht.
„Mögen Sie keinen Kaffee?“, fragte ich.
„Ich habe mir in Vietnam eine Mageninfektion geholt und vertrage seitdem nicht mehr“, sagte Marenkov.
Ich hatte etwas darüber in dem offiziellen Lebenslauf gelesen, den man uns aus dem russischen Innenministerium übersandt hatte. Trotzdem tat ich überrascht. „Sie waren in Vietnam?“
Marenkov nickte. „Als Berater. Ich habe in Saigon eine Polizei-Truppe aufgebaut, die den illegalen Ausverkauf einheimischer Kulturgüter verhindern sollte. Und das war bitter nötig! Vor allem aus dem benachbarten Kambodscha sind unzählige Objekte auf dem Markt und werden von Saigon – Verzeihung: Ho-Tschi-Minh-Stadt – aus in alle Welt vertrieben.“
Der Obduktionsbericht lag inzwischen vor und sogar die die ballistischen Tests waren bereits durchgeführt worden.
„Der Bericht liegt zwar noch nicht schriftlich vor, aber die Ballistiker sagen, dass die Kugel, mit der Dennister umgebracht wurde, aus derselben Waffe stammt, die Trenton und seine Freundin tötete“, erklärte Mr McKee und wandte den Kopf ein paar Grad in meine Richtung, ehe er fort fuhr. „...und um ein Haar ja auch Sie, Jesse.“
„Erinnern Sie mich nicht daran, Sir!“, wehrte ich ab. „Ich hätte den Kerl um ein Haar gehabt!“
Aber der ‚Schatten’ war mir eben doch um das entscheidende Quäntchen voraus gewesen – und das wurmte mich.
„Was ist mit dieser Nora, die für eine Weile ständiger Gast in Mister Bykovs Wohnung gewesen ist?“ fragte ich.
„Auch da haben wir jetzt einen Anhaltspunkt“, erklärte Max Carter. „Und zwar durch eines der Kleider, das wir sichergestellt haben. Es ist ihr auf den Leib geschneidert worden – und zwar von einem gewissen Manuel DiGiorgio aus New York, dessen Kreationen im Moment auf den Laufstegen Furore machen.“
„Aber es ist die Frage, ob diese Nora tatsächlich so wichtig ist. Vielleicht sollten wir uns erst einmal auf diesen Hehler namens Byron Templeton konzentrieren“, schlug Mr McKee vor.
„Ganz meiner Meinung!“, stimmte Marenkov zu.
„Über Byron Templeton habe ich etwas herausgefunden“, erklärte Max. „Er erlitt vor kurzem einen Verkehrsunfall. Die Sache ereignete sich in Miami. Templeton liegt seitdem im Koma.“
„Und es lagen keine Hinweise darauf vor, dass es sich vielleicht um ein Verbrechen handelte?“, schaltete ich mich sofort ein.
Max schüttelte den Kopf.
„Offensichtlich nicht, sonst wären mit Sicherheit entsprechende Ermittlungen eingeleitet worden. Aber ich werde die Akten anfordern und der Sache nachgehen.“
„Tun Sie das, Max“, sagt Mr McKee. Er wandte sich Marenkov zu. „Morgen hätte ich gerne, dass Sie unserem Kollegen Nat Norton zur Verfügung stehen. Vielleicht schaffen Sie es gemeinsam, die Geldströme nachvollziehbar zu machen, die die Lebensader der Eremitage-Connection sind.“
„Wie Sie möchten, Sir. Meine Abteilung arbeitet schon seit Jahren an dem Problem. Leider nur mit mäßigem Erfolg. Aber wenn wir unsere Kenntnisse zusammenfügen, könnte das eine Möglichkeit sein, um diese Organisation endlich zu knacken!“
26
Der Morgen war klirrend kalt. Dunst zog vom Hudson herauf und quälte sich in dicken Schwaden auch bis zur Müllkippe Yonkers West.
Frank Potter saß am Steuer seines Bulldozers. Die Maschine brüllte auf, als der Abfallhaufen, den sie vor sich her schob zu groß wurde.
Dann begann der Motor zu stottern und ging schließlich aus.
„Verdammt!“, schimpfte Potter und kletterte aus der Kabine. Potter zog sich die Strickmütze tiefer ins Gesicht, um sich vor dem kalten Wind zu schützen. Möwen kreischten über der Müllkippe.
„Was ist denn nun schon wieder!“, rief ein ziemlich aufgebrachter, breitschultriger Mann mit roten Haaren.
„Die Maschine braucht eine Generalüberholung!“, schimpfte Potter. „Das Ding gehört auf den Schrott, aber auf mich hört ja keiner!“
„Wahrscheinlich deswegen, weil du auch nicht für die Kosten aufkommen musst, Frank!“
Potter verzog das Gesicht. „Aber du, Billy, was?“
Seit Billy Jarvis Schichtführer geworden war, spielte er sich für Potters Geschmack schrecklich auf. Dazu kam, dass Frank Potter sich ebenfalls beworben hatte. Aber Billy hatten sie vorgezogen, obwohl er fünfzehn Jahre jünger war.
Vielleicht auch gerade weil er fünfzehn Jahre jünger war.
Jedenfalls fand frank, dass ihm der Posten und die Zulage zugestanden hätten. Dadurch war das Verhältnis zwischen den beiden Männern in letzter Zeit vergiftet.
„Schon seltsam“, meinte Potter. „Noch vor kurzem hast du auch darauf geschimpft, dass am falschen Ende gespart wird und wir unseren Job machen müssen, ohne richtig ausgerüstet zu sein. Hauptsache es ist billig. Aber seit man dich befördert hat, scheint dich das nicht mehr so zu stören“
„Du redest Unsinn, Frank!“
„Ach, ja?“
Potter kletterte auf die Ketten des Bulldozers und schickte sich an, den Motorblock zu öffnen.
Hundegebell lenkte ihn ab.
Es kam immer wieder vor, dass streunende Hunde oder Katzen angelockt wurde, um den Möwen etwas von ihrer Beute wegzunehmen. Man hatte alles Mögliche versucht, um das zu verhindern. Vergeblich. Es gab immer irgendwo undichte Stellen in den Zäunen.
Zwischen zwei Müllbergen rannte ein zotteliger grauer Terrier daher, der etwas im Maul trug.
Ein Schäferhund verfolgte ihn.
Der Terrier verlor den Stiefel. Beide Hunde verbissen sich kurz ineinander.
Billy Jarvis hob eine platt gedrückte Konserve vom Boden auf. Mit seinen festen Arbeitshandschuhen bestand nicht die Gefahr sich zu schneiden. Er schleuderte das rostige Metallstück auf die beiden Hunde.
Die stoben daraufhin davon und verschwanden zwischen den aufgetürmten Müllgebirgen.
Billy ging auf den Stiefel zu. Es handelte sich um ein elegantes Herrenmodell. Größe 44 schätzte er.
Der Schaft zeigte in Billys Richtung.
Als er hineinblickte, veränderte sich sein Blick. Er wirkte verstört.
„Frank!“, rief er. „Frank, komm mal her!“
Frank Potter hatte sich längst wieder dem Motor des Bulldozers zugewandt. Eine dunkle Flüssigkeit rann unter der Verkleidung hervor. Ein schlechtes Zeichen, da war irgendeine Leitung geplatzt.
„Frank, hörst du nicht?
„Was ist denn los, verdammt noch mal?“
„Frank, ob du es glaubst oder nicht – das sieht fast aus, als wäre in dem Stiefel noch ein Fuß!“
27
Am nächsten Morgen führten wir in Zusammenarbeit mit der City Police eine groß angelegte Aktion durch. Mr McKee hatte noch in der Nacht einen Durchsuchungsbeschluss für alle privaten und geschäftlichen Immobilien von Byron Templeton erwirkt. Er galt sowohl für die dubiose Im- und Exportfirma, deren Eigentümer er war, als auch für verschiedene Geschäfte, die er in Midtown Manhattan betrieb. Außerdem natürlich die Villa auf den Brooklyn Heights. Kollegen des zuständigen County Sheriffs nahmen sich zur gleichen Zeit auch sein Ferienhaus in der Nähe von Montauk, Long Island vor.
Gerade letzteres erwies sich als Fundgrube.
Kistenweise waren dort Ikonen, Gemälde und vor allem auch wertvoller Schmuck aufbewahrt worden. Schon eine oberflächliche Prüfung zeigte, dass zumindest ein Teil dieser Kunstgegenstände aus der Eremitage in St. Petersburg stammten. Sie waren in den Inventarlisten verzeichnet, die die russischen Behörden übersandt hatten.
Man konnte annehmen, dass auch der Rest aus derselben Quelle stammte, aber auf Grund der lückenhaften Inventarlisten der Eremitage würde man wohl einen Teil davon nicht zurückverfolgen können.
Milo und ich gehörten zusammen mit Nat Norton und Major Marenkov zu dem Teil unserer Einsatzkräfte, die sich die Villa auf den Brooklyn Heights vornahmen.
Byron Templetons Ehefrau Kimberley war dort. Sie rief sofort ihren Anwalt an.
„Mein Mann liegt im Koma und Sie haben nichts Besseres zu tun, als ihn zu beschuldigen, ohne, dass er die Chance hätte, sich zu verteidigen!“, giftete uns Kimberley Templeton an, als wir ihr den Beschluss aushändigten.
In der Villa befand sich natürlich keinerlei Hehlerware.
Dieses Risiko wären weder Templeton noch seine Frau eingegangen.
Wenig später traf ein Mann im grauen Zweireiher ein.
„Matt Varney von Varney & Partners“, stellte er sich vor. „Ich bin der Anwalt der Templetons! Wer immer diese Aktion angeordnet hat, wird mit Konsequenzen zu rechnen haben.“
„Warten wir es ab“, erwiderte ich.
Wenig später erreichten uns dann die Meldungen unserer Kollegen aus Montauk.
Ich belehrte Mrs Kimberley Templeton über ihre Rechte. „Es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie nichts von den Geschäften Ihres Mannes gewusst haben. Wenn Sie etwas wissen, sollten Sie jetzt mit uns zusammenarbeiten.“
„Meine Mandantin wird Ihnen gegenüber gar keine Aussagen machen“, beharrte der Anwalt.
„Ein Mann namens Bykov soll sich wegen einer Lieferung von Ikonen und Schmuck an Ihren Mann gewandt haben. Wissen Sie etwas darüber?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen“, behauptete Kimberley Templeton.
„Wir werden Ihre Telefonlisten überprüfen – und falls sich dabei herausstellen sollte, dass es Kontakt zwischen Ihnen und Bykov gab...“
„Ich weiß wirklich nichts darüber!“ behauptete sie. Das Foto von Bykov schaute sie sich gar nicht richtig an.
28
Am frühen Nachmittag erreichte uns ein Anruf aus dem Field Office. Mr McKee hatte bei der Bearbeitung der DNA-Vergleichsprobe von Bykovs Schwester Druck gemacht und so lag nun das Ergebnis vor.
Es sah ernüchternd aus.
„Was ist?“, fragte Milo.
„Die DNA aus dem Blutfleck in der Galerie mag von sonst wem stammen – aber nicht von Bykov“, informierte ich meinen Kollegen, nachdem ich das Gespräch beendet hatte.
„Dann wollte Bykov wohl untertauchen“, glaubte Milo. „Aber wer ist der Kerl, der die Kugel in der Galerie abbekommen hat?“
„Sobald man die Leiche findet, wird ein DNA-Test gemacht und in die Datenbank eingestellt. Dann werden wir es erfahren, vorausgesetzt, die Leiche ist in einem identifizierbaren Zustand.“
Milo seufzte. „Alles, was wir wissen ist, dass es eine Leiche geben muss, denn einen Schuss mitten durch den Kopf überlebt wohl kaum jemand.“
29
Vladimir Bykov blickte in den Spiegel. Sein Gesicht hatte sich stark verändert. Er trug eine aschblonde Perücke und einen künstlichen Oberlippenbart. Bykov war mit dem Ergebnis zufrieden. Die Veränderung seiner optischen Erscheinung entsprach den neuen Passbildern, die er gemacht hatte. In Zukunft musste er aufpassen kein Detail seiner Maskerade zu vergessen.
Bykov hielt in der Linken einen auf den Namen Ian Van Bronk ausgestellten Pass der Republik Südafrika und verglich sorgfältig jedes Detail mit dem darin enthaltenen Foto.
Geht so!, dachte er.
In diesem Augenblick stutzte er.
Von draußen war das Geräusch eines Wagens zu hören.
Bykov steckte den Pass in die Brusttasche seines Hemdes und griff zu der Automatik, die hinter seinem Hosenbund steckte.
Es handelte sich um eine SIG Sauer P226, wie sie inzwischen auch von den meisten Polizeieinheiten zur Standardwaffe gemacht worden war. 15 Patronen steckten im Magazin, eine im Lauf. Trotz dieser überlegenen Feuerkraft mochte Bykov die Waffe nicht. Er schwor auf die Makarow, die er wegen ihrer Zuverlässigkeit schätzte.
Aber auf die Schnelle war eine Waffe dieses Typs nicht aufzutreiben gewesen.
Und Bykov brauchte eine fabrikneue, völlig unbelastete und irgendwo registrierte Pistole. Schließlich war er gerade dabei sämtliche Brücken zu seinem vergangenen Leben abzubrechen.
Ihm blieb keine andere Wahl, wenn er überleben wollte.
Bykov verließ das Bad und blickte aus einem Fenster. Das kleine Holzhaus, das Bykov für zwei Wochen gemietet hatte, lag am Lake Tappan, der je zur Hälfte in New York State und New Jersey lag. Es hatte einen eigenen Steg, an dem ein Anglerboot lag. Ansonsten war es von Wald umgeben.
Ein Geländewagen hatte in der Einfahrt gehalten. Die Scheiben waren getönt.
Die Fahrertür öffnete sich und eine junge Frau stieg aus.
Bykov atmete tief durch.
Er ging zur Haustür, öffnete und wartete dort.
Die junge Frau trat auf ihn zu und stutzte, als sie Waffe in Bykovs Hand sah.
„Hey, was soll das?“
„Bist du allein?“
„Natürlich bin ich allein. Tu die Waffe weg! Der Wagen ist auf deinen neuen Namen zugelassen. Außerdem habe ich noch einen Führerschein mitgebracht, der dazu passt.“
„Wer hat ihn gefälscht?“
„Johnson. Der war doch der erste, den ich ansprechen sollte. Es ist eine hervorragende Arbeit, genau wie der Pass, den du schon hast.“
Sie reichte ihm den Führerschein. Bykov nickte schließlich und steckte ihn ein. „Du hast Recht, Nora. Eine hervorragende Arbeit.“
„Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, weshalb du nicht einfach einen Flieger nimmst und dich an irgendeinem angenehmen Ort niederlässt.“
„So einfach ist das nicht“, sagte Bykov. „Und vor allem habe ich vorher noch ein paar Dinge zu erledigen.“
„Was?“
„Zum Beispiel muss ich sicher sein, dass wirklich keine Spur mehr zu mir führen kann. Die Leute, die mich umbringen wollen, haben ehemalige KGB-Verbindungen.“
„Die hast du auch““
„Ja, aber ich habe das Gefühl, dass mit diese Verbindungen im Moment eher gefährlich werden können, als sie mir nützen. Da geht einiges hinter den Kulissen vor sich – sowohl in St. Petersburg, als auch in New York...“
„Ich habe alles, was du mir gesagt hast, eingekauft. Die Sachen liegen im Wagen. Du kannst ja mal schauen, ob alles dabei ist.“
„Danke.“
„Lass uns ins Haus gehen“, sagte sie.
„Hör zu – die Tatsache, dass mir geholfen hast, heißt nicht, dass wir wieder ein Paar sind“, sagte Bykov kühl.
Nora schickte. „Das weiß ich.“
Sie gingen zurück ins Haus.
„Bringst du mich nachher noch bis nach Paterson?“, fragte sie. Sie sah ihn überrascht an und blickte in die Mündung der Waffe, die er plötzlich wieder auf sie gerichtet hatte.
„Soll das ein Witz sein, Vlad?“
„Tut mir leid, Nora. Aber ich sagte dir ja, dass ich noch das eine oder andere zu erledigen habe. Ich muss wirklich alle Brücken hinter mir abbrechen.“
Nora machte eine Bewegung auf ihn zu. Bykov drückte ab.
Sie presste die Hände gegen die Schusswunde, versuchte vergeblich die Blutung zu stillen und starrte Bykov verständnislos an. Er sah seelenruhig zu, wie sie auf den Boden fiel. Er hatte darauf gedachtet, dass sie auf dem Teppich stand.
Auf dem Rücken war die Austrittwunde der Kugel zu sehen.
Bykov steckte die Waffe weg.
Er ging zur Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, holte ein Schweizer Taschenmesser aus einer Hosentasche und kratzte damit das Projektil aus dem Holz.
30
„Wir müssen komplett umdenken, Milo.“
„So, in wie fern?“
„Bis jetzt sind wir ja immer davon ausgegangen, dass Bykov das Opfer war. Aber diese These hat der DNA-Test wie eine Seifenblase zerplatzen lassen. Vielleicht sollte wir uns daran gewöhnen, ihn als Täter zu sehen.“
Wir waren auf dem Weg zu dem Schneider, der für Vladimir Bykovs zumindest zeitweilige Freundin Nora ein Kleid angefertigt hatte.
„Bykov hat jemanden in seiner eigenen Galerie umgebracht, Jesse?“, fragte Milo ungläubig.
Ich nickte. „Ja - und anschließend ein paar Leute beauftragt, die für ihn aufgeräumt haben.“
„Und Bykov selbst? Was ist aus dem geworden?“
„Untergetaucht. Wir dachten bis jetzt, dass der Täter in Panik geriet, weil er durch irgendetwas gestört wurde, aber das war nicht der Fall. Es war Bykov, der alles so arrangierte, dass es wie ein Einbruch aussah. In Wahrheit hat er das selbst so drapiert.“
„Und der Blutfleck, Jesse?“
„Den hat er mit Absicht hinterlassen. Seine Schwester war untergetaucht, er musste nicht damit rechnen, dass wir sie finden. Er musste eigentlich noch nicht einmal damit rechnen, dass in Frage gestellt würde, ob das Blut von ihm ist.“
Milo atmete tief durch und pfiff durch die Zähne.
„Wenn es tatsächlich so ist, wie du sagst, dann hat Bykov zumindest ein Ziel erreicht: eine Menge Zeit gewonnen!“
„Richtig.“
31
Das Atelier von Manuel DiGiorgio war in einem Haus untergebracht, das bis in die fünfziger Jahre ein Lagerhaus gewesen war.
Marenkov begleitete uns, obwohl er ursprünglich unserem Kollegen Nat Norton bei seinen Ermittlungen helfen sollte. Wie es zu dieser Änderung gekommen war, wusste ich nicht genau und Marenkov selbst antwortete auf entsprechende Fragen nur ausweichend. Aber ich hatte mitbekommen, dass am Morgen ein Gespräch zwischen Mr McKee und dem Major unter vier Augen stattgefunden hatte.
Offenbar hatte er es geschafft, unseren Chef davon zu überzeugen, dass es für den Fortgang der Ermittlungen wichtiger war, dass Marenkov Milo und mich unterstützte.
Manuel DiGiorgio empfing uns in den hohen, Licht durchfluteten Räumen seines Ateliers. Etwa ein Dutzend Näherinnen hatte er beschäftigt.
Wir stellten uns vor und erkundigten uns nach Bykov und seiner Begleiterin.
„Ich erinnere mich an Bykov“, sagte DiGiorgio und verzog das Gesicht. „Normalerweise sind Russen meine Lieblingskunden. Die schauen nicht so kleinlich auf das Geld, sondern kaufen sich einfach, was ihnen gefällt.“
„Bei Bykov war das anders?“, hakte ich nach.
„Ja. Er war sehr kritisch und hat immer wieder an den Entwürfen herumgemeckert. Seine Begleiterin war da viel unkomplizierter.“
„Wissen Sie ihren vollständigen Namen?“
„Natürlich. Einmal bekamen wir den Auftrag, ein Kleid direkt an ihre Adresse zu schicken. Warten Sie, ich schreibe Ihnen das auf!“
Die Adresse lautete 34 Clayton Lane in Queens.
Wir fuhren dorthin. Es handelte sich um ein fünfzehnstöckiges, sehr gepflegtes Mietshaus, in dem es jedoch keinerlei sicherheitstechnischen Luxus gab. Dafür waren auf der Rückseite Parkplätze an der Oberfläche vorhanden, was in gewisser Weise auch ein Luxus war. Wir stellten den Sportwagen ab. Marenkov war uns gefolgt und traf nur einige Augenblicke später ein.
Es war mir aufgefallen, dass er an diesem Morgen ziemlich schweigsam war.
Als er aus seinem Wagen stieg, lockerte er sich die Krawatte und rieb sich den Hals.
Als er meinen verwunderten Blick bemerkte, lächelte er mild. „Ich glaube, ich werde mich niemals an diese Dinger gewöhnen!“
„Meinen Sie Krawatten?“
„Wer sie erfunden hat, hat es nicht gut mit denen gemeint, die sie sich bis heute umbinden müssen! Normalerweise trage ich in St. Petersburg so etwas nie. Eher einen Rollkragenpullover!“
„Ist vielleicht eine Frage der Konventionen“, warf Milo ein.
Marenkov nickte. „Hier in New York gibt es Restaurants, in die man ohne Krawatte gar nicht hineinkommt!“
„In St. Petersburg gibt es so etwas nicht?“, wunderte sich Milo.
Marenkov grinste. „Inzwischen schon. Früher wäre das eine bourgeoise Verirrung gewesen.“
„Das nennt man dann wohl Globalisierung“, sagte Milo.
Wir ließen uns vom Lift in den 12. Stock tragen, wo die Adresse lag, die uns angegeben worden war.
An der Wohnungstür standen zwei Namen: Nora Crawley und Joanne Steinman.
Eine junge Frau in Pullover und Jeans öffnete uns.
„Jesse Trevellian, FBI. Wir suchen Miss Nora Crawley.“
„Die ist nicht da.“
„Dann sind Sie Jeanne Steinman?“
„Ja, aber was wollen Sie?“
„Vielleicht können wir einen Moment hereinkommen.“
Joanne Steinman seufzte und wirkte sichtlich genervt. „Wenn es sein muss...“
„Leider ja“, sagte Milo.
Sie führte uns in die Wohnung. „Wo befindet sich Nora Crawley sich jetzt?“, fragte ich. „Wir haben Anlass zu der Annahme, dass sie sich in Lebensgefahr befindet.“
Joanne schluckte. „Ich habe keine Ahnung. Wir wohnen nur zusammen, aber ansonsten macht jede ihr eigenes Ding.“
„Was machen Sie beruflich?“
„Ich arbeiten in der Filiale der Grand National Bank am Central Park West.“
„Und Nora Crawley?“
„Sie hat mal diesen und jenen Job. Hören Sie, was werfen Sie ihr eigentlich vor?“
„Gar nichts. Aber sie ist vermutlich eine wichtige Zeugin. Sagt ihnen der Name Bykov etwas?“
„Das ist der Typ, mit dem sie zuletzt zusammen war. Ein viel älterer Mann, Marke seriös und bieder. Sie hat praktisch bei ihm gewohnt und sich aushalten lassen. Ich kann so etwas nicht verstehen.“
„Dieser Bykov ist verschwunden, hat wahrscheinlich jemanden umgebracht und seine eigenen Tod vorgetäuscht“, erklärte ich. „Er scheint eine große Nummer in der internationalen Kunstmafia zu sein und versucht wohl gerade unterzutauchen, weil ihn seine ehemaligen Geschäftsfreunde zu töten versuchen. Und wenn Ihre Freundin damit auch nur ganz am Rande etwas zu tun haben sollte, sollten Sie uns das sagen, dann erhöhen Sie ihre Chance, sowohl juristisch als körperlich einigermaßen unversehrt aus der Sache herauszukommen.“
Joanne atmete tief durch. Milo warf ein Blick in eines der Zimmer. Die Tür stand halb offen.
„Ist das Noras Zimmer?“, fragte er.
„Ja“, murmelte Joanne. Sie rieb die Handflächen gegeneinander und schien mit sich zu ringen. Sie hatte wohl das Gefühl, eine Freundin zu denunzieren, wenn sie uns half.
Es dauerte etwas, bis sie begriff, dass sie ihr höchstens half.
„Es ist schon seltsam“, murmelte sie.
„Wovon sprechen Sie?“
„Nora war für kurze Zeit Sekretärin in einer Anwaltskanzlei. Dadurch hat sie Bykov kennen gelernt.“
„Was war das für eine Kanzlei?“
„Irgend so ein Nobelunternehmen in der 5th Avenue.“
„Heißt dieser Anwalt zufällig Norman Gallesco?“
Sie blickte auf. „Ja, woher wissen Sie das?“
„Reden Sie einfach weiter!“, forderte ich. Sie nickte und biss sich dabei auf die Lippen. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie fortfuhr. Auf jeden Fall würde uns Gallesco noch ein paar Fragen beantworten müssen, denn seine geschäftliche Beziehung zu Bykov war offenbar viel stärker, als er das uns gegenüber dargestellt hatte.
„Wie ich schon erwähnte, ist Nora bei Bykov eingezogen und der hat sie mit alle möglichen Geschenken verwöhnt. Aber vor ein paar Wochen war Schluss. Sie hat nicht darüber gesprochen, weshalb. Sie wohnte dann wieder ständig hier. Aus dem Mietvertrag ist sie ja sicherheitshalber nie ausgestiegen. Seltsam ist nur, dass sie seit ein paar Tagen wieder dauernd unterwegs ist und mir nichts davon sagt, wo sie hingeht. Außerdem tut sie seltsame Dinge. Sie besorgt Männerkleidung, sie verhandelt am Telefon über den Kauf eines Geländewagens gegen Barzahlung und noch ein paar andere Dinge. Das hat für mich alles keinen Sinn ergeben, aber wo sie mir jetzt erzählen, dass Mister Bykov unterzutauchen versucht, sieht es fast so aus, als würde sie ihm dabei helfen.“
„Hat sie ein Handy?“
„Ja.“
„Dann werden wir versuchen das von unserem Field Office aus anpeilen zu lassen“, sagte ich. „Geben Sie uns bitte die Nummer!“
Sie nickte stumm.
32
Als wir zum Parkplatz gingen, meinte Marenkov: „Scheint so, als hätten Sie diesen Bykov bislang etwas unterschätzt!“
„Sie nicht?“, fragte ich.
Marenkov zuckte mit den Schultern. „Sie wissen doch, wie das ist. Polizeibehörden erfahren alles mögliche, aber beweisen lässt sich nicht alles, was man erfährt.“
„Das stimmt leider.“
Wir stiegen in unsere Wagen und fuhren los.
Die Kollegen des Innendienstes unseres Field Office konnten das Handy von Nora Crawley sehr schnell orten.
Es war glücklicherweise eingeschaltet und befand sich in der Nähe des Tappan-Sees, ungefähr 500 Meter von Staatsgrenze zwischen New Jersey und New York State entfernt.
Es gab dort Wochenendhäuser, die man mieten konnte. Ansonsten war das Gebiet kam besiedelt. Eine Naherholungsoase vor den Toren des Big Apple.
Wir machten uns auf den Weg.
Mr McKee alarmierte die Kollegen der State Police, die das Gebiet weiträumig absperren sollten. Bykov stand jetzt offiziell unter dem Verdacht, ein Kapitalverbrechen begangen zu haben, auch wenn uns kurioserweise die Leiche fehlte.
Wir hatten gerade den Lincoln Tunnel hinter uns gebracht als der Kontakt plötzlich abbrach.
Das Handy von Nora Crawley ließ nicht mehr anpeilen.
Die Ursache dafür konnte natürlich ganz harmlos sein.
Mr McKee bat den zuständigen County Sheriff, ein paar seiner Männer zur letzten angepeilten Position zu schicken.
Zwanzig Minuten später hatten die Deputies diese, bis auf wenige Meter exakte Position erreicht.
Sie befand sich in der Nähe eines kleinen Holzhauses am Seeufer mit eigenem Bootssteg, das Tage- und Wochenweise vermietet wurde. Aber es gab dort auf den ersten Blick weder eine Spur von Nora Crawley noch von Bykov. Nur Spuren von Reifen, die zu einem Geländewagen passten.
Als wir mit entsprechender Verspätung dort eintrafen, waren bereits überall Einsatzkräfte des County Sheriffs und der State Police.
Wir stiegen aus.
Marenkov ließ den Blick schweifen. „Ein idealer Ort für jemanden, der untertauchen will“, lautete sein Kommentar.
Der zuständige Sheriff begrüßte uns. Sein Name war Bradley. Er trug einen feuerroten Vollbart und überragte Milo und mich um fast einen ganzen Kopf.
„Gut, dass Sie kommen“, sagte Sheriff Bradley.
„Haben Sie etwas gefunden?
„Das kann man wohl sagen. Folgen Sie mir bitte.“
Wir folgten Sheriff Bradley zu ein paar Sträuchern, ungefähr hundert Yards vom Haus entfernt.
Dazwischen lag der Körper einer jungen Frau. Sie war offenbar in einen Teppich eingerollt worden, der jetzt an manchen Stellen blutdurchtränkt war.
„Das Bündel war mit Zweigen und Blättern so getarnt, dass man es so ohne weiteres gar nicht finden konnte, wenn man nicht gerade danach sucht“, berichtete Sheriff Bradley.
„Wurde das Handy gefunden?“
„Nein. Aber es ist hier zum letzten Mal im aktiven Status gewesen – und zwar genau genommen im Haus.“
„Dann ist dort das Verbrechen begangen worden“, stellte ich fest.
Bradley bestätigte dies. „Das stimmt. Der Teppich lag dort. Das Holz außen herum ist vom Tageslicht verschossen worden, sodass man genau sehen kann wo der Teppich lag. Das Opfer starb an einem Durchschuss und wir haben ein Einschussloch in der Wand gefunden, dass dazu passen würde. Aber der Täter hat sich die Mühe gemacht, das Projektil herauszukratzen.“
„Das scheint Bykovs besondere Handschrift zu sein“, stellte Milo fest.
Ich nickte leicht. „Eine Handschrift, die sich deutlich von der Vorgehensweise des Killers unterscheidet, der Lee Trenton und seine Freundin auf dem Gewissen hat!“
„Und beinahe auch dich, Jesse!“
Marenkov kniete sich unterdessen neben den sterblichen Überresten von Nora Crawley nieder und ließ suchend den Blick schweifen. Nicht nur über das, was auf dem Teppich zu finden war, sondern auch in der näheren Umgebung.
„Bykov kann noch nicht allzu weit weg sein“, glaubte er.
„Was glauben Sie, wo er jetzt hingeht?“, fragte ich.
Bykov antwortete nicht gleich. „Er will uns loswerden – und wenn er dazu noch jemanden umlegen muss, dann tut er das.“
„Wer könnte da noch auf der Liste stehen?“
„Da fragen Sie mich zuviel, Jesse.“
„Und wenn hat er in der Galerie umgebracht?“
„Vielleicht bekommt er ja noch Gelegenheit, uns das zu erklären“, glaubte Milo.
Marenkov schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Sie sind zu optimistisch, Milo.“
„Wieso?“
„Weil wir immer einen Schritt zu spät sein werden. Wir müssen uns in ihn hineinversetzen und versuchen, seine Handlungsweise vorauszusehen. Sonst entwischt er uns.“
Marenkov erhob sich wieder.
„Leichter gesagt als getan“, lautete Milos ernüchterndes Fazit.
„Es ist die einzige Chance. Ich habe übrigens telefonisch Kontakt zu einem alten KGB-Agenten aufgenommen der jahrelang für die Sowjetunion tätig war und sich nach dem Ende der Sowjetunion in den Ruhestand verabschiedet hat.“
„Um wen handelt es sich?“
Marenkov lächelte. „Das kann ich Ihnen nicht sagen, Jesse. Der Mann würde sich strafbar machen. Aber er weiß hervorragend Bescheid und er hatte zum selben Netzwerk Kontakt, zu dem auch Bykov gehörte. Wer einmal dazugehörte, wird von den anderen nie aus den Augen gelassen. Das ist nun mal so.“
„Sie wissen, dass Sie hier auf amerikanischem Boden nicht allein ermitteln dürfen“, gab ihm zu bedenken.
„Das weiß ich. Aber ich darf doch private Gespräche führen oder? Mein Kontaktmann kennt Bykov sehr gut und könnte uns weiterhelfen.“
„Ich gehe davon aus, dass wir Sie bei dem Treffen begleiten.“
„Dann würde mein Kontaktmann nicht einen Ton sagen. Er ist scheu wie ein Reh.“
Unsere Blicke begegneten sich.
Er musterte mich auf eine Weise, die mir seltsam vorkam.
„Sprechen Sie mit Mister McKee, bevor Sie sich in diese juristische Grauzone begeben. Sonst stehen wir am Ende mit Beweisen da, die vor Gericht nicht zu gelassen werden, weil die Rechte des Angeklagten verletzt wurden!“
„Wie Sie meinen“, murmelte Marenkov düster.
Es war ihm anzusehen, dass ihm diese Aussicht nicht behagte.
33
Am Abend fuhr Marenkov nach Brooklyn, wo er sich in einer Pension an deKalb Street eingemietet hatte.
Er betrat das Zimmer, schloss hinter sich die Tür und zog die Krawatte vom Hals. Dann zog er Mantel und Jackett aus. Valerij Marenkov fühlte sich wie verkleidet.
Er verzichtete darauf, das Licht einzuschalten und setzte sich auf das Bett.
Der Schein einer Neonreklame auf der anderen Straßenseite drang durch die Schlitze der Rollläden.
Der Major wählte eine Nummer auf seinem Handy und hielt wenig später den Apparat ans Ohr.
„Mister Gallesco? Wir müssen dringend noch einmal miteinander sprechen.“
34
Am nächsten Morgen schickte Mr McKee Milo und mich in die Bronx, wo Dr. Claus uns erwartete. Es ging um die Identifizierung einer Leiche, die auf der Müllhalde Yonkers West gefunden worden war.
Wir besuchten Dr. Brent Claus in den Labors des gerichtsmedizinischen Instituts, dass der Scientific Research Division untergeordnet war. Marenkov begleitete uns diesmal nicht. Er war meinem Rat gefolgt und hatte Mr McKee von dem Informanten berichtet, mit dem er sich treffen wollte und unser Chef hatte dazu offensichtlich sein Okay gegeben.
„Gut, dass Sie schon hier sind“, begrüßte uns Dr. Claus. Er führte uns in die Leichenhalle. Er öffnete eines der Kühlfächer. Ich wunderte mich darüber, auf der Bahre nicht etwa ein weißes Tuch vorzufinden, durch dass sich die Konturen eines Menschen abhoben, wie das normalerweise bei den hier aufgebahrten Toten der Fall war.
Stattdessen lag da ein Plastiksack, dessen Form nicht im Geringsten auf den Inhalt schließen ließ.
Dr. Claus’ Gesicht wurde sehr ernst. „Ich mache diesen Job nun wirklich schon sehr lange, aber so etwas erlebe auch ich selten.“
„Was ist passiert?“, fragte ich.
„Die Leiche war in Einzelteile zersägt und völlig unkenntlich gemacht worden. Weil ein Hund sich den Fuß des Toten schnappte, wurden zwei Angestellte von Yonkers West auf die Sache aufmerksam. Inzwischen bin ich mit der Obduktion weitgehend fertig. Todesursache war ein Kopfdurchschuss.“
„Wie bei dem verschwundenen Toten aus Bykovs Galerie!“, entfuhr es mir.
„Der Gen-Test liegt vor, deswegen habe ich heute Morgen Mister McKee angerufen. Ein DNA-Vergleich ergab, dass der Blutfleck in der Galerie von dieser Leiche stammt.“
„Und der Kopfdurchschuss passt auch zum restlichen Spurenbild am Tatort“, stellte Milo fest.
„Die Leichenteile waren in einen Teppich eingewickelt worden. Die Kollegen aus dem Labor sagen aber, dass der Tote zuerst in dem Teppich transportiert war, dann noch einmal ausgewickelt und zerstückelt wurde, bevor man ihn erneut verpackte und auf der Müllhalde ablud.“
„Gibt es irgendwelche Hinweise auf die Identität dieses Mannes?“, fragte ich.
„Wir wissen gerade mal, dass es ein Mann war. Alter: Ende vierzig bis Mitte fünfzig. Das Gesicht lässt sich nur durch sehr aufwendige Rekonstruktion wiederherstellen. So etwas dauert Monate. Nicht einmal der Zahnstatus ist noch vollständig erkennbar. Im Moment führen die Kollegen aus dem Labor Untersuchungen zur Isotopenverteilung des vom Körper aufgenommen Bleis durch. Damit können wir immerhin feststellen, woher der Betreffende stammt und wo er in den letzten Jahren gelebt hat.“
Von dieser Methode hatte ich gehört. Sie kam eigentlich aus der Archäologie und war der letzte Schrei unter den Wissenschaftlern, die ihren Dienst für das FBI oder die SRD verrichteten. Das Element Blei lag in verschiedenen Isotopen vor, deren Anteile regional stark schwankten. Die jeweilige Zusammensetzung glich einem regionalen Fingerabdruck. Da Blei vom Körper angereichert wurde und man sehr genau wusste, wie lange es dauerte, bis dieses Schwermetall in Haaren oder Fingernägeln wieder zu finden war, ließ sich über Jahre hinweg eine Art Atlas darüber erstellen, wo sich ein Mensch über längere Zeit aufgehalten hatte.
„Ich weiß, dass das alles nicht gerade nach einem riesigen Ermittlungsfortschritt klingt, aber die Isotopenverteilung des im Körper angereicherten Bleis ist das einzige, was sich relativ schnell durchführen lässt. Alles andere, was wir tun können, braucht seine Zeit.“
„Ich nehme an, dass ein Abgleich der Gen-Daten bereits stattgefunden hat“, mischte sich Milo ein.
Dr. Brent Claus nickte. „Ja.“
„Dann wissen wir ja immerhin, dass der Mann nicht straffällig war. Was ist mit der Kleidung?“
„Die Herkunft wird untersucht. Aber da werden wir wohl auch auf aufwendige Textilanalysen warten müssen, denn die Etiketten und Markenbezeichnungen sind sämtlich entfernt worden. Übrigens meiner Ansicht nach bereits vom Opfer – das war keine Maßnahme des Täters, um die Spuren seines Verbrechens zu verwischen.“
„Das ist doch schon mal etwas“, meinte ich und wandte mich an Milo. „Was für Leute trennen denn die Etiketten aus ihren Kleidern?“
„Geheimagenten oder andere Personen, die ein konspiratives Leben führen und es sich nicht erlauben können, dass man herausfindet, wer sie wirklich sind“, lautete Milos Schlussforderung.
35
Anstatt gleich zum Field Office zurückzufahren, statteten wir Joanne Steinman noch einen Besuch ab.
„Wir haben leider keine guten Nachrichten“, eröffnete ich. „Nora Crawley ist tot. Wir nehmen an, dass Bykov der Täter ist.“
Sie sah uns entgeistert an und schüttelte stumm den Kopf. Joanne Steinman war für Augenblicke völlig unfähig, auch nur einen einzigen Ton herauszubringen. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und schluckte. „Wieso hat dieser Bykov das getan?“
„Offenbar hat Ihre Mitbewohnerin Bykov dabei geholfen unterzutauchen. Sie wusste einfach zuviel über ihn. Darum war er wohl der Ansicht, sie nicht am Leben lassen zu können“, sagte Milo.
„Aber er läuft immer noch frei herum!“
„Ja. Bitte, Miss Steinman, versuchen Sie sich an alles zu erinnern und helfen Sie uns.“
„Aber womit? Ich habe keine Ahnung wie ich etwas dazu beitragen könnte, dass dieser Kerl hinter Schloss und Riegel kommt!“
„Es geht um den Wagen den Nora gekauft hat“, ergriff nun Milo das Wort.
„Mit Bykovs Geld natürlich!“, sagte Nora. Sie war jetzt uns gegenüber sehr viel aufgeschlossener als bei unserem ersten Gespräch.
„Erinnern Sie sich an den Typ? Das Kennzeichen?“
„Bin ich ein Computer?“, fuhr sie auf. Sie wirkte jetzt ziemlich gereizt. „Ich kann mir nicht alles merken!“
„Wissen Sie vielleicht, bei welchem Händler sie den Wagen gekauft hat?“
„Bei Jamieson & Co. in New Rochelle. Das weiß ich so genau, weil ich den Kaufvertrag kurz gesehen habe. Ich glaube, es war ein Ford Maverick.“
„Na, dann wissen wir immerhin, wonach wir fahnden müssen“, sagte ich.
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Wir suchten den Autohändler auf, der Nora Crawley den Wagen verkauft hatte.
Wie vermutet, war der Ford Maverick bar bezahlt worden und wir wussten jetzt die genaue Typbezeichnung und die Zulassungsnummer.
„Okay, wir haben uns gewundert, weshalb die Lady auf Barzahlung bestand“, meinte Clive Johnson, einer der drei Besitzer des Autohauses. „Ich dachte nur, dass so ein paar verrückte Hippies den Kreditkarten immer noch misstrauen.“
Ich ging auf seine Bemerkungen nicht weiter ein. Stattdessen versuchte ich aus Johnson herauszuholen, ob ihm vielleicht noch irgendetwas anderes im Gedächtnis geblieben war. „Vielleicht eine Bemerkung, die Miss Crawley fallen ließ oder irgendwelche besonderen Extras.“
Johnson schüttelte den Kopf. „Nein. Aber wissen Sie, was meine Hauptsorge ist?“
„Wovon sprechen Sie?“
„Dass morgen der ganze Big Apple in der Zeitung und im Kabelfernsehen mitbekommt, dass wir etwas mit einem Mord und dem organisierten Verbrechen zu tun haben! Hier kauft doch niemand mehr einen Wagen!“
„Wir werden tun, was wir können, um Sie da herauszuhalten“, erwiderte ich.
Und Milo ergänzte: „Schließlich sind wir vom FBI und keine Korrespondenten einer Nachrichtenagentur.“
„Das soll mich jetzt beruhigen, oder was?“
„Mister Johnson, es ist einfach Ihre Pflicht dabei mitzuwirken, dass Polizei und Justiz ihre Arbeit machen können“, sagte ich ernst. „Schließlich könnte es ja auch einmal sein, dass Sie unseren Schutz brauchen und darauf angewiesen sind, dass jemand sein Wissen mit uns teilt!“
„Ist ja schon gut, Mister Trevellian!“
„Für Sie Agent Trevellian!“, erwiderte ich kühl.
Er sah mich an und verengte dabei die Augen. Schließlich erklärte er: „Da ist vielleicht noch etwas, das Sie interessieren könnte!“
„Was?“
„Sehen Sie, wir bieten auch den Einbau von Mobiltelefonen samt Freisprechanlage an. Deswegen kann man hier auch Handys erwerben. Ist für uns ein Zusatzgeschäft und wie heißt es so schön? Man soll geschäftlich nie alle Eier in einen Korb legen.“
„Heißt das, Miss Crawley hat hier ein Handy erworben?“, hakte ich sofort nach.
Johnson nickte. „Ja. Allerdings nur eins dieser billigen Dinger ohne Vertrag, die man mit einer Prepaid-Karte betreiben muss. Man hat dann keinen festen Vertag, sondern kann immer nur den Betrag vertelefonieren, der noch auf der Karte gespeichert ist.“
Prepaid-Handys waren das Kommunikationsmittel, das bei den Gangstern den höchsten Beliebtheitsgrad hatte, da man das Gerät nur schwer einem einzelnen zuordnen konnte und es normalerweise sehr abhörsicher war.
„Wir brauchen die Nummer, die für Miss Crawley eingerichtet worden ist!“, verlangte ich.
„Ich suche sie Ihnen heraus“, versprach Johnson.
„Okay.“ Während ich mich an Milo wandte, verschwand Johnson in einem Nebenraum. „Wenn wir Glück haben, können wir Bykov mit dem Ding orten!“
„Falls er es irgendwann mal einschalten sollte.“
„Ich will nicht hoffen, dass es sein Ersatzgerät ist!“
Milo hob die Augenbrauen. „Dass Nora Crawley es gleich an ihn weitergereicht hat, stellst du gar nicht erst in Frage, oder?“
„Sie hat es für Bykov besorgt, da wette ich drauf!“
Nachdem wir das Gespräch mit Johnson beendet hatten, fuhren wir zurück zur Federal Plaza.
Die Fahndung nach Bykov lief auf Hochtouren – nur leider bislang ziemlich erfolglos.
Nicht einmal was die Kennzeichen anging, machte ich mir große Hoffnungen, dass sie einen Fahndungserfolg brachten. Bykov war schließlich mit allen Wassern gewaschen und hatte sicher für Ersatz gesorgt.
37
Am nächsten Tag fand sich Marenkov zusammen mit Max Carter in unserem gemeinsamen Dienstzimmer ein.
„Wie war Ihr Rendezvous mit dem geheimnisvollen Informanten, Valerij?“, fragte ich ihn.
Major Marenkov vollführte eine wegwerfende Handbewegung. „Hat leider nicht stattgefunden!“
„Sagen Sie bloß, der Kerl ist unzuverlässig“, mischte sich Milo ein.
Marenkov schüttelte den Kopf. „Nein, wir haben die Sache aus Sicherheitsgründen abgeblasen. Mein Informant war sich nicht sicher, ob er verfolgt wird. Er wird sich morgen wieder bei mir melden.“
„Viel Glück dabei“, sagte ich.
Max Carter hatte immerhin ein paar Neuigkeiten auf Lager.
„Habt ihr schon gehört, dass Staatsanwalt Thornton Anklage gegen Kimberley Templeton erheben wird?“
„Dann war sie wohl doch nicht so unschuldig, wie sie immer glauben machen wollte!“, lautete Milos Kommentar.
Max fuhr fort: „Sie steckt sogar ziemlich in den Geschäften ihres Mannes mit drin. Und was dessen Unfall angeht, so könnte man durchaus auch auf die Idee kommen, dass das in Wahrheit ein Mordanschlag war.“
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Bykov fuhr den Ford Maverick auf das Grundstück der Im- und Exportfirma Super Cargo Inc. im Norden von Yonkers. Super Cargo hatte eine eigene Hafenanlage für Frachtschiffe am Hudsonufer. Sowohl Binnenschiffe als auch Seeschiffe mittlerer Tonnage konnten hier anlegen. Ansonsten bestand der Fuhrpark aus Fahrzeugen jeder nur erdenklichen Größe.
Vom großen Container-Truck bis zum kleinen Mercedestransporter war alles dabei.
Bykov überprüfte die Ladung seiner Waffe und schraubte den dazugehörigen Schalldämpfer auf, bevor er die Waffe wieder unter seiner Jacke verbarg.
Verwundert stellte er fest, dass heute offensichtlich bei Super Cargo nicht gearbeitet wurde.
Ein Mann mit Vollbart trat aus einer der Lagerhallen. Er näherte sich.
„Hallo, Ben!“, sagte Bykov. Er tickte gegen den Mercedes Transporter. „Das ist er doch – der Wagen, den ihr benutzt habt, um bei mir in der Galerie aufzuräumen.“
„Nein, der Wagen steht auf der anderen Seite. Wir besitzen zwei davon.“
„Ich verstehe.“
„War aber auch eine ziemliche Sauerei, die wir da wegmachen mussten.“
„Ihr habt es gut bezahlt bekommen. Wo sind die anderen Jungs?“
„Im Haus.“
„Das ist gut. Ich brauche nämlich etwas Hilfe, um die Kisten mit den Ikonen in meinen Wagen zu bringen.“
Ben kratzte sich an seinem Vollbart.
„Wäre es nicht klüger, die Kisten zu abzustoßen? Meinetwegen auch für die Hälfte des Wertes?“
Bykov grinste. „Ihr hättet mir ja ein vernünftiges Angebot machen können!“
„An heißer Ware sind wir erst wieder interessiert, wenn sich die Aufregung in der Eremitage wieder gelegt hat und die richtigen Leute ihren Einfluss zurück gewonnen haben. Das kann schon in einem Jahr der Fall sein.“
„Dabei würde ich einen zu großen Verlust machen.“ Bykov schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde es anders machen.“
„So?“
„Ich werde einfach abwarten.“
„Es ging ja schon lange das Gerücht um, dass Byron Templeton auf einem riesigen Berg an Eremitage-Kunst sitzen soll wie der Hahn auf dem Misthaufen. Jetzt sollen die Cops das Zeug in seinem Haus auf Montauk gefunden haben.“
„Templeton bekommt davon zum Glück nicht mehr viel mit“, sagte Bykov. Er sah auf die Uhr. „Wo sind die Kisten?“
„Komm mit!“
„Dann fahre ich den Wagen vor die Tür“, schlug Bykov vor.
Ben schüttelte den Kopf. „Nein, komm jetzt erstmal mit. Wir müssen etwas besprechen.“
Das klingt nicht gut!, dachte Bykov.
„Wie du willst“, murmelte er zwischen den Zähnen hindurch.
Bykov folgte Ben zum Bürohaus. Die Kisten mit den Ikonen waren dort aufgeschichtet. Im Maverick war Platz genug dafür.
Zwei Männer warteten dort. Der eine war blond, der zweite hatte gelocktes Haar.
„Hi, Vlad!“, sagte der Blonde. Er hieß George Cannaro und war der Kopf des Trios. „Wir müssen mit dir reden.“
„Worum geht es?“
„Wir haben eine Leiche für dich entsorgt und hinterher so zerstückelt, dass selbst ein guter Gerichtsmediziner ein halbes Jahr braucht, ehe er das Puzzle wieder einigermaßen zusammengesetzt hat.“
„Vorausgesetzt man findet sie überhaupt je!“, mischte sich der Lockenkopf ein.
George Cannaro trat einen Schritt näher. „Was wir für dich getan haben, ist keine Kleinigkeit, Vlad!“
„Ihr seid fürstlich bezahlt worden!“, gab Bykov zu bedenken. Sein Mund war ein schmaler Strich geworden. Die Stimme klirrte wie Eis.
„Wir haben den Schmuck bekommen – aber den werden wir erst eine ganze Weile auf Eis legen müssen, bis sich das ganze Theater gelegt hat“, hielt George Cannaro dem entgegen.
„Ihr wollt also mehr!“ Bykov zählte die Kisten. „Es fehlen zwei. Wie ich sehe, habt ihr euch schon bedient.“
„Das reicht noch nicht ganz, Vlad“, sagte George Cannaro. „Du musst das verstehen. Schließlich bist du jetzt auch für uns ein ziemlich großes Risiko geworden.“
Bykov taxierte, wo die drei ihre Waffen hatten. Die Kleidung der drei war an den charakteristischen Stellen ausgebeult, sodass er davon ausgehen musste, dass alle drei eine Waffe bei sich trugen.
Wut erfasste ihn.
Es reicht!, dachte er.
„Die Jungs meinten, dass du vielleicht sauer reagieren könntest“, fuhr George Cannaro fort. „Ich habe ihnen gesagt, dass diese Sorge völlig unbegründet ist und du Verständnis dafür hast, dass wir auch auf unsere Kosten kommen müssen.“
Bykov bleckte die Zähne.
„Jeder soll bekommen, was er verdient!“, knurrte er, riss die Waffe heraus und feuerte. Georg Cannaro bekam die erste Kugel ab – begleitet vom dumpfen ‚Plop’ des Schalldämpfers.
Der bärtige Ben Tomlin schaffte es gerade noch, seine eigene Waffe zur Hälfte herauszureißen, als ihn Bykovs Kugel in den Kopf traf.
Nur der Lockenkopf schaffte es schnell genug, seinen Revolver in die Rechte zu bekommen.
Er feuerte.
Die Kugel erwischte Bykov eine Handbreit unterhalb des Schlüsselbeins. Er taumelte rückwärts, schoss dabei seine eigene Waffe ab.
Vier Schüsse krachten aus dem Schalldämpfer heraus und ließen den Körper des Lockenkopf zuckend zu Boden gehen.
Bykov presste eine Hand gegen die Schusswunde.
Er fluchte auf Russisch vor sich hin.
Eine Welle des Schmerzes durchflutete ihn.
Jetzt wird es kompliziert!, dachte er.
Er schleppte sich ins Freie. Ihm wurde beinahe schwarz vor Augen, bis er endlich seinen Wagen erreichte und sich stützen konnte. Er harrte einige Augenblicke lang aus, öffnete die Fahrertür und zog sich hinter das Lenkrad des Maverick.
Bykov blickte auf den Asphalt und bemerkte, dass er eine Blutspur hinter sich hergezogen hatte.
Er griff zu seinem Handy, schaltete es ein und wählte zitternd eine Nummer.
„Gallesco? Hier ist Bykov! Sie müssen mir helfen! Ich brauche einen Arzt, der keine Fragen stellt und ich... denke, dass...“ Er stöhnte auf. „...Sie kriegen das hin!“
„Sagen Sie mir, wo Sie sind“, forderte die Stimme auf der anderen Seite der Verbindung. „Dann kann ich jemanden zu Ihnen schicken, der sich um Sie kümmert!“
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Bykov erwachte aus einem fiebrigen Dämmerschlaf. Er hatte keine Ahnung wie viel Zeit vergangen war. Jedenfalls schreckte er hoch und griff nach seiner Waffe. Der Schmerz pulsierte ausgehend von seiner Verwundung durch den gesamten Oberkörper.
Bykov hatte sich die Wunde provisorisch verbunden und dazu den Inhalt des Verbandskissens geplündert. Er war auf Grund seiner Verletzung nicht besonders geschickt dabei gewesen. Verbandszeug und Heftpflaster lagen überall im Wagen verstreut herum.
Ein Wagen war auf das Gelände von Super Cargo Inc. gefahren.
Es handelte sich um einen Toyota.
Er hielt an und jemand stieg aus.
Der Mann in Leder!, durchfuhr es Bykov. Die Erinnerung daran, wie dieser Killer in St. Petersburg zugeschlagen hatte, stand ihm noch lebhaft vor Augen. Er überprüfte die Ladung seiner Waffe.
Dann ist es also Gallesco, der hinter allem steckt!, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Gallesco räumt alle aus dem Weg, von denen er glaubt, dass sie ihn in den Strudel des Eremitage-Skandals mit hineinreißen könnten! Und wenn alles vorbei ist, will er das Geschäft allein machen... Dieser Bastard!
Der Mann in Leder zog eine Waffe mit Schalldämpfer.
Bykov drehte unterdessen den Zündschlüssel des Maverick herum und startete den Wagen.
Er trat auf Gaspedal und raste auf den Mann in Leder zu. Dieser Feuerte seine Waffe auf ihn. Die Schüsse ließen die Frontscheibe des Maverick zerspringen. Bykov duckte sich.
Er ließ den Maverick einfach vorwärts rasen.
In letzter Sekunde musste der Mann in Leder zur Seite springen. Er rollte sich federnd auf dem Boden ab und riss erneut seine Waffe empor.
Der Maverick knallte frontal gegen das Wellblechtor einer Lagerhalle und kam zum stehen.
In diesem Augenblick waren aus der Ferne Polizeisirenen zu hören.
Der Mann in Leder rappelte sich auf. Die Fahrertür des Maverick öffnete sich einen Spalt. Bykov feuerte in Richtung des Killers, konnte aber nicht richtig zielen. Er drückte immer wieder ab. Der Killer rettete sich hinter einen der beiden Mercedestransporter, die Super Cargo Inc. gehörten.
Der Geschosshagel verebbte.
Erst jetzt bemerkte der Killer, dass er doch etwas abbekommen hatte. Eine Kugel hatte ihn am Unterarm erwischt. Die Wunde blutete stark.
„Verdammt!“, knurrte er und biss die Zähne zusammen.
Der erste Einsatzwagen des Yonkers Police Department erreichte das Gelände. Ein zweiter folgte. Die Beamten sprangen heraus und zogen ihre Waffen.
Wo kommen die denn so plötzlich her?, durchfuhr es den Killer. Aber er hatte keine zeit, darüber länger nachzudenken. Mit der Linken holte er eine Tränengasgranate aus der Jackentasche.
Er holte aus, tauchte kurz aus seiner Deckung hervor und schleuderte sie in Richtung der Cops.
40
Am späten Nachmittag waren wir noch einmal im Labor von Dr. Claus in der Bronx.
Es gab Neuigkeiten.
„Die Analyse der Bleiisotope liegt jetzt vor“, eröffnete uns Dr. Claus. „Der Mann, dessen Identität wir herauszufinden versuchen, stammt aus Russland oder dem Baltikum und hat dort auch so gut wie sein ganzes Leben verbracht. Außerdem muss er längere Zeit in Vietnam gewesen sein, wenigstens zwei Jahre.“
„Das ist alles?“, fragte ich.
„Bislang ja. Die Schlüsse daraus müssen Sie schon selbst ziehen. Aber um wen es sich auch immer handeln mag – es war ganz bestimmt sein erster Besuch hier an der Ostküste der Vereinigten Staaten!“
„Fragt sich nun, wem der Schuh passt“, meinte Milo.
„Die Zahnbehandlungen werden wir so schnell nicht rekonstruieren können. Aber das wenige, dass sich finden ließ, deutet auf Behandlungen nach Standards, die in Osteuropa üblich sind“, fuhr Dr. Claus fort.
Wir gingen anschließend zurück zum Sportwagen, aktivierten den Bildschirm und fuhren den Computer hoch.
„Die Sache ist doch ganz einfach“, sagte Milo. „Wir haben ein paar Merkmale und suchen jetzt eine passende Person dazu.“
„Wir kennen jemanden, der in Russland den größten Teil des Lebens verbracht hat, aber zwischendurch auch zwei Jahre in Vietnam war!“, sagte ich.
Milo sah mich verwirrt an.
„So?“
„Ich spreche von Marenkov!“
„Das ist ein Scherz oder Jesse?“
„Ich habe nur laut gedacht und mich daran erinnert, dass Marenkov seinen Aufenthalt in Vietnam erwähnte. Das ist alles.“
„So als müsst er beweisen, dass er seinen eigenen Lebenslauf kennt?“
„Ja.“
Milo zuckte mit den Schultern. „Rein statistisch gesehen sind so viele Gemeinsamkeiten zwischen unserem russischen Kollegen und der Leiche von Yonkers West gegen jede Wahrscheinlichkeit, Jesse!“
„Es sei denn, man geht davon aus, dass wir es nicht mit dem echten Marenkov zu tun haben“!“ erwiderte ich.
Wir hatten keine Gelegenheit, diesen Gedanken weiter zu verfolgen.
Milos Handy klingelte. Er nahm das Gespräch entgegen und sagte schließlich: „In Ordnung, Mister McKee. Wir sind schon so gut wie dort.“
„Was ist los?“, fragte ich.
„Das Prepaid Handy wurde aktiviert – und zwar in einem Gewerbegebiet im Norden von Yonkers, direkt am Hudson. Die Firma heißt Super Cargo. Zwei der drei Besitzer habe deutliche Verbindungen zur Kunstmafia.“
„Dann nichts wie los, Milo!“
41
Wir setzten das Rotlicht auf das Dach des Sportwagens. Von den Labors der SRD in der Bronx war es nicht weit bis Yonkers.
Unterwegs nahmen wir noch einem Kontakt mit dem Field Office auf und erfuhren, dass auch das Yonkers Police Department alarmiert worden war.
Als wir das Firmengelände von Super Cargo erreichten, war dort bereits eine wilde Schießerei im Gang. Cops des Yonkers Police Departements verschanzten sich hinter ihren Wagen. Schwaden von Tränengas zogen ihnen entgegen, denn vom Hudson wehte ein leichter Wind, der ihnen das Reizgas direkt entgegen trieb.
Einen der NYPD-Cops hörte man in ein Funkgerät noch Verstärkung rufen.
Offenbar hatten die Kollegen den nötigen Personalaufwand für diesen Einsatz völlig unterschätzt.
Ich stoppte den Sportwagen. Es quietschte dabei.
In geduckter Haltung stiegen wir aus und rannten mit den Dienstwaffen im Anschlag zu unseren Kollegen, die gerade wieder das Feuer eröffnet hatten.
Wir kamen noch rechtzeitig bei den zur Barrikade umfunktionierten Polizeiwagen an, ehe von der anderen Seite geschossen wurde.
Die Sicht wurde schlechter. Der durch die Gasgranate verursachte Nebel machte es fast unmöglich, zu sehen, was auf der anderen Seite geschah.
Schnelle Schritte waren zu hören.
„Trevellian, FBI!“, stellte ich mich den Kollegen der Yonkers Police kurz vor.
„Ich bin Sergeant Loomis!“
„Wie ist die Lage?“
„Es sind zwei Kontrahenten. Der im Maverick schießt nicht mehr. Und der zweite scheint sehr gut ausgerüstet zu sein.“
„Also nichts wie hinterher!“, meinte Milo.
Wir spurteten los, machten dabei einen großen Bogen um die Wolke aus Reizgas.
Hinter den großen Trucks, hatten wir Schutz. Dann ereichten wir das Ende des Trucks und ließen besondere Vorsicht walten.
Milo tauchte kurz dahinter hervor und wurde sofort beschossen.
„Er ist an der Ecke einer Lagerhalle!“, sagte Milo. „Gut dreißig Yards entfernt.“
Ich versuchte es als nächster und tauchte mit der Dienstpistole in Anschlag hervor.
„FBI – Waffe weg!“, rief ich.
Der Flüchtige rannte auf das Hudsonufer zu. Ich fragte mich, ob er ernsthaft erwog, in den Strom zu springen und sich einfach Flussabwärts treiben zu lassen. So fern er nicht gerade Kampfschwimmer war, war das nicht gerade empfehlenswert.
Er wirbelte herum, riss die Waffe in meine Richtung und jetzt erst erkannte ich sein Gesicht.
„Marenkov!“, rief ich.
Er zögerte.
Zwei Sekunden geschah nichts und ich dachte schon, ich hätte gewonnen. Die Waffe in seiner Hand senkte sich, aber nur, um dann plötzlich wieder empor gerissen zu werden.
Er feuerte.
Aber ich war einen Sekundenbruchteil schneller. Während Marenkovs Schuss ins Leere ging, traf meine Kugel ihn in die rechte Brust. Er wurde zu Boden gerissen.
Milo und ich rannten los und wenig später waren wir bei ihm. Er lächelte und umkrallte immer noch seine Waffe. Nur der Aufsatz mit der Laserzielerfassung hatte sich gelöst und lag neben ihm auf dem Boden.
„Es ist aus, Marenkov“, sagte ich. „Oder wer immer Sie auch in Wahrheit sein mögen... Im Übrigen sind Sie verhaftet. Jedes Wort, dass Sie von nun an...“
„Sparen Sie sich den Sermon!“, fuhr er mir in die Parade. „Mein Name ist Kelly James McConroy.“
„Amerikaner?“, fragte ich verblüfft.
„Ja. Aber ich war bei der CIA und wurde für den Auslandseinsatz ausgebildet. Daher kann ich jederzeit einen Russen überzeugend darstellen...“ Er lächelte gequält. „Sie wollten doch auch gerne wissen, wer der ‚Impressario’ ist, oder?“
„Wissen Sie es denn?“
„Er ist mein Auftraggeber – Norman Gallesco. Er ist für die Morde an Ihrem Kollegen Dennister und ein paar anderen verantwortlich...“ Er kicherte. „Man sollte sich damit beeilen, mir ein Angebot zu machen. Sonst geht Gallesco Ihnen durch die Lappen!“ Er atmete tief durch. „Ich will einen Anwalt“, brüllte er anschließend mit überraschender Kraft. „Und den Staatsanwalt!“
„Ich denke, wir rufen erst einmal den Emergency Service“, erwiderte Milo trocken.
Bykov lebte noch, wie die Kollegen des Yonkers Police Department wenig später feststellten. Sein Zustand war allerdings sehr ernst. Der Emergency Service der Stadt Yonkers versorgte ihn genauso wie den Mann, den wir als Marenkov kannten.
Für Bykov kam extra ein Helikopter, der ihn auf direktem Weg in die Gefängnisklinik von Rikers Island brachte.
Marenkovs Zustand war nicht ganz so ernst. Er wurde mit einem normalen Krankentransporter weggebracht.
42
Als wir mit großem Aufgebot die Residenz von Norman Gallesco in der 5th Avenue aufsuchten, war der kunstsinnige Staranwalt alles andere als begeistert. Aber von seinen Leibwächtern wagte es keiner, irgendwelchen Widerstand zu leisten. Außer Milo und mir nahmen noch Clive, Orry und ein halbes Dutzend weiterer G-men an der Aktion teil, denn es war damit nicht nur eine Verhaftung, sondern auch eine Wohnungsdurchsuchung verbunden.
„Mister Gallesco, Sie sind verhaftet. Verabredung zum Mord in mehreren Fällen steht auf der Tagesordnung.“
„Wie bitte? Wer sagt so etwas?“, ereiferte sich Gallesco, der sich zunächst loszureißen versuchte, als Orry ihm die Handschellen anlegte.
Schließlich sah er aber ein, dass jeder Widerstand sinnlos war.
„Ihr Lohnkiller wird umfassend gegen Sie aussagen. Und Bykov vermutlich auch. Die beiden haben nichts zu verlieren.“
„Daraus wird nichts!“, zeterte Gallesco, dessen Gesicht die Farbe verloren hatte.
Ich sah ihn an. „Sie wollten den illegalen Kunstmarkt Markt mit Diebesgut aus der Eremitage in Ihrem Sinne neu ordnen, nicht wahr, ‚Impressario’? Und dazu war Ihnen jedes Mittel recht. Sie erfuhren durch Ihre hervorragenden Kontakte nach St. Petersburg, dass ein Mann namens Marenkov unterwegs war, der die Machenschaften Ihrer dortigen Handlanger genauso gut kannte wie er über das Bescheid wusste, was Sie so Geschäfte nennen. Der Major reiste aus gutem Grund inkognito nach New York. Er glaubte wohl, dass FBI wäre so korrupt wie manche Polizeieinheit in seiner Heimat. Jedenfalls traute er niemandem. Noch am Tag seiner Ankunft, suchte er Bykov auf. Inzwischen wissen wir von den Kollegen in Moskau und St. Petersburg, dass der echte Marenkov ihn dazu überreden wollte, auf seine Seite zu wechseln und Informant zu werden. Andernfalls wäre genug Material da, um ihn hochgehen zu lassen. Bykov brachte ihn um und beauftragte ein paar Handlanger mit der Beseitigung der Leiche.“
„Eine hübsche Geschichte“, knurrte Gallesco.
„Nein, die Wahrheit“, widersprach Milo an meiner Stelle. „Der Staatsanwalt wird Ihnen das in seinem Plädoyer alles auseinander zu setzen versuchen.“
Ich sah Gallesco in die Augen. „Ihr Kontakt zu Bykov war sehr viel intensiver, als Sie uns das dargestellt haben. Bykov behauptet das zumindest. Um ein Haar hätte er zu spät bemerkt, dass Sie ihn über die Klinge springen lassen wollten.“
„Hören Sie“, murmelte Gallesco und wich meinem Blick dabei aus.
„Nein, hören Sie mir zu“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Sie haben rücksichtslos Menschen töten lassen, um sie als lästige Zwischenhändler und Mitwisser auszuschalten, darunter auch einen Kollegen von mir, der einfach nur das Pech hatte, den echten Marenkov zu kennen. Aber schon bald wird man Ihnen genauso wie Bykov, Templeton oder den anderen Beteiligten die Rechnung präsentieren!“
Milo und ich sahen ihm nach als er abgeführt wurde.
Er sah sich noch einmal kurz um und verzog das Gesicht.
„Die Eremitage-Connection ist erst einmal gekappt“, stellte Milo zufrieden fest.
ENDE
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Neun Top Thriller für den Sommer – 1166 Seiten Krimi Spannung
Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre.
Dieses Buch enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Der Todeskandidat
Thomas West: Scharfe Bombe, die nicht tickt
Thomas West: Milo Tucker und der Terror-Anschlag
W.A.Hary: Mike Borran auf der Todesinsel
Franc Helgath: Der Südsee-Teufel
Theodor Horschelt: Der Gast von Zimmer 13
Klaus Tiberius Schmidt: Kühle Blondinen, heißer Schnee
Theodor Horschelt: Ein Mann geht durch die Hölle
Klaus Tiberius Schmidt: Bount Reiniger und das Todesquartett
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
About the Author
Über Alfred Bekker:
Wenn ein Junge den Namen „Der die Elben versteht“ (Alfred) erhält und in einem Jahr des Drachen (1964) an einem Sonntag geboren wird, ist sein Schicksal vorherbestimmt: Er muss Fantasy-Autor werden! Dass er später ein bislang über 30 Bücher umfassendes Fantasy-Universum um “Das Reich der Elben” schuf, erscheint da nur logisch. Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten und wurde Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', ‘Ragnar der Wikinger’, 'Da Vincis Fälle - die mysteriösen Abenteuer des jungen Leonardo’', 'Elbenkinder', 'Die wilden Orks', ‘Zwergenkinder’, ‘Elvany’, ‘Fußball-Internat’, ‘Mein Freund Tutenchamun’, ‘Drachenkinder’ und andere mehr entwickelte. Seine Fantasy-Zyklen um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' ,die 'Gorian'-Trilogie, und die Halblinge-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Alfred Bekker benutzte auch die Pseudonyme Neal Chadwick, Henry Rohmer, Adrian Leschek, Brian Carisi, Leslie Garber, Robert Gruber, Chris Heller und Jack Raymond. Als Janet Farell verfasste er die meisten Romane der romantischen Gruselserie Jessica Bannister. Historische Romane schrieb er unter den Namen Jonas Herlin und Conny Walden. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er als John Devlin. Seine Romane erschienen u.a. bei Lyx, Blanvalet, BVK, Goldmann,, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt., darunter Englisch, Niederländisch, Dänisch, Türkisch, Indonesisch, Polnisch, Vietnamesisch, Finnisch, Bulgarisch und Polnisch.
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