Читать книгу Zeugen sind lästig: Krimi Sammelband 8 Thriller - Alfred Bekker - Страница 48

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Wir erreichten die BKA Bundesakademie in Quardenburg. Den Dienst-Porsche stellte ich auf einem der Parkplätze ab. Wenig später gelangten Rudi und ich in den Gebäudetrakt, in dem die Arbeitsräume unserer Kollegen vom Ermittlungsteam Erkennungsdienst untergebracht waren.

„Nichts anfassen! Auch wenn es nicht so aussieht, das ist alles geordnet!”, begrüßte uns die Stimme von Dr. Gerold M. Wildenbacher. Sein bayerischer Akzent war nicht zu überhören. Er beugte sich gerade über ein Mikroskop und schien sehr konzentriert zu sein, was ihn aber nicht davon abhielt, mit dem Arm zu gestikulieren.

Ich warf einen kurzen Blick auf den Seziertisch. Dort lagen jede Menge plastinierte Körperteile, so viel, konnte ich auf den ersten Blick erkennen. Offenbar bezog sich Gerolds unmissverständliche Anweisung darauf.

Ich sagte: „Ich würde nicht einmal im Traum daran denken, die Dinge anzufassen, die bei Ihnen auf dem Tisch liegen.”

„Besser ein Hinweis zuviel als zuwenig”, gab Gerold zurück. „Sind Sie dem Fischkopp schon über den Weg gelaufen?”

Mit Fischkopp meinte er Dr. Friedrich G. Förnheim. Förnheim war der Naturwissenschaftler des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts und unter anderem auch für ballistische Untersuchungen zuständig. Und er war Hamburger. Norddeutscher durch und durch.

„Nein, heute noch nicht”, meinte ich.

„Dann rechnen Sie in Kürze mit seinem Erscheinen. Ich will nicht hoffen, dass er sich nur darum drückt, ein paar Nicht-Fachleuten wie Ihnen ein paar zugegebenermaßen nicht ganz einfache Zusammenhänge zu erläutern.”

„Heißt das, Sie haben schon etwas herausgefunden?”, hakte ich nach.

„Was ich jetzt sage, ist noch nicht endgültig und ich würde davor warnen, es bereits in irgendwelchen Pressemitteilungen oder dergleichen an die Öffentlichkeit zu geben.”

„Für wen halten Sie uns, Gerold!”

„Man kann immer wieder die erstaunlichsten Dinge erleben, Harry.”

„Also fest steht, nehme ich an, dass Niko Darkovics Körper als Plastinat Teil der Ausstellung von Reinhold Thalmann war”, sagte ich.

„Das steht nach den Untersuchungen des Kollegen eindeutig fest”, bestätigte Gerold. „Fest steht im Übrigen auch, dass Niko Darkovic ein paar Tage vor seinem Verschwinden noch in einer Klinik war. Es sind Röntgenbilder der Brustorgane erstellt worden, denn es bestand offenbar der Verdacht, dass der große Boss entweder an Lungenkrebs oder an einer Tuberkulose litt. Die gute Nachricht für Herr Darkovic war: keine dieser Diagnosen hat sich bestätigt. Die schlechte ist, dass die diagnostizierten degenerativen Veränderungen der Lunge chronisch geworden und nicht reversibel gewesen sind. Die Kollegen in der Klinik führten sie auf jahrelanges Rauchen zurück. Sein permanenter Husten war sicher lästig, aber nicht unmittelbar lebensbedrohend. Mit den Jahren wäre es allerdings schlimmer geworden.”

„Ein Grund dafür, sich umzubringen und ein sogenannter Körperspender zu werden, wäre dies wohl nicht unbedingt”, schloss ich.

„Das würde ich auch so sehen, zumal in der Klinik keine dem entsprechende Willenserklärung hinterlegt wurde. Stattdessen liegt aber eine schriftliche Verfügung vor, die eine Organspende im Falle des Todes unter allen Umständen untersagt. Und zwar ausdrücklich auch für den Fall, dass sich seine Angehörigen dafür entscheiden sollten.”

„Was soll man davon nun halten?”, meinte Rudi.

Gerold hob die Augenbrauen. „Es gibt Menschen, die eine geradezu panische Angst davor haben, dass im Fall von lebensbedrohlichen Komplikationen bei einem Klinikaufenthalt, Organe schon entnommen werden, noch bevor der Betreffende wirklich tot ist. Möglicherweise gehörte Herr Darkovic zu der Gruppe von Menschen mit dieser speziellen Angst. Mal davon abgesehen, dass in seinem Fall mit solchen Komplikationen auch gar nicht zu rechnen war. Schließlich war er nur zu Diagnosezwecken dort. Aber ich will auf etwas anderes hinaus.”

Er bedeutete uns mit einer für ihn typischen, energisch wirkenden Handbewegung zu ein paar Röntgenaufnahmen. „Dies sind die Aufnahmen, die seinerzeit angefertigt wurden. Wichtig ist dabei nicht, was wir dort sehen, sondern, was wir dort nicht sehen.”

„Und das wäre?”, hakte ich nach.

Gerold deutete zu Niko Darkovics sterblichen Überresten auf dem Seziertisch. „Ich habe am Rückgrat eine Veränderung gefunden, die sehr wahrscheinlich von einer Schussverletzung stammt. Die Kugel ist nicht im Körper stecken geblieben, dann könnten wir sogar nach der Waffe fahnden. Das Projektil hatte aber Kontakt mit dem Rückgrat und ist dadurch abgelenkt worden und anschließend ausgetreten. Durch die Plastinierung ist das verborgen worden. Unser Freund Förnheim ist noch mit ein paar feinmikroskopischen Untersuchungen beschäftigt und will in Zusammenarbeit mit der Kollegin Frau Gansenbrink eine Drei-D-Simulation erstellen. Möglicherweise kann man hinterher wenigstens das benutzte Kaliber bestimmen, vielleicht sogar nähere Aussagen zur verwendeten Waffe machen.”

Dr. Lin-Tai Gansenbrink war die IT-Expertin und Mathematikerin des Teams.

„Könnte es nicht sein, dass die Verletzung des Rückgrats mit einer früher erlittenen und verheilten Schussverletzung in Zusammenhang steht?”, fragte Rudi. „Immerhin war Herr Darkovic gerade in seinen jüngeren Jahren wiederholt in Schießereien verwickelt, auch wenn ihm daraus strafrechtlich nie ein Strick gedreht werden konnte.”

„Das mag sein, Rudi. Aber die Röntgenaufnahmen, die kurz vor seinem Verschwinden - und seiner mutmaßlichen Ermordung - gemacht wurden, beweisen eindeutig, dass er bis dahin nichts abbekommen hat. Die angesprochene Verletzung des Rückgrats war definitiv nicht vorhanden - wie übrigens zwei weitere Stellen, die Förnheim und ich ebenfalls in Verdacht haben...”

„Mit anderen Worten: Ihr Zwischenbefund sagt aus, dass Darkovic von mindestens einer und möglicherweise sogar von drei Kugeln getroffen wurde”, fasste ich die Erkenntnisse unseres Research-Teams zusammen.

„Auf jeden Fall können Sie davon ausgehen, dass Darkovic ermordet wurde und schon dieser eine Schuss tödlich gewesen sein muss. In den nächsten Tagen werden wir vielleicht sogar die Schussbahn rekonstruieren können.”

„Kennen Sie sich ein bisschen mit der Plastinierungs-Methode von Reinhold Thalmann aus?”, fragte ich.

„Oberflächlich”, gestand Gerold.

„Halten Sie es für möglich, dass Thalmann diese Leiche auf den Tisch bekam und plastinierte, ohne zu bemerken, dass es sich das Opfer eines Mordes handelt?”

„Ausgeschlossen. Nach allem, was ich mir über das Internet in der Kürze der Zeit über den Kerl angelesen habe, verfügt er über profunde anatomische Kenntnisse und hat ein abgebrochenes Medizinstudium hinter sich. Anders könnte er Körper auch gar nicht mit der entsprechenden Sachkenntnis behandeln und in seinen Ausstellungen inszenieren.”

„Gut zu wissen”, meinte ich.

„Austritts- und Eintrittswunde müssen unübersehbar gewesen sein, Harry. Darkovics Körper wurde vor der Plastination so hergerichtet, dass diese Stellen wie verheilte Narben aussehen. Kommen Sie!”

Gerold führte uns zu seinem Laptop. Die Tastatur verfügte über einen Spritzschutz, wie er auch bei Zahnärzten üblich geworden war.

Der Bayer aktivierte den Bildschirm.

Wir sahen Fotos von plastinierten Körpern.

„Das Fotografieren ist bei Thalmanns Ausstellungen verboten”, erklärte Gerold. „Trotzdem tun es einige und stellen ihre Bilder anschließend ins Netz. Lin-Tai hat sie sich aus diversen Foren besorgt. Die Qualität ist sehr gut. Auf jeden Fall gut genug, um rekonstruieren zu können, wo sich diese Narben befanden.” Gerolds Finger glitten über die Tastatur und vergrößerten den Zoom. Was man auf dem Bildschirm sehen konnte war eindeutig. „Das könnte die Austrittswunde gewesen sein. Ob das mit dem mutmaßlichen Schusskanal übereinstimmt, wird ihnen Dr. Förnheim sicher bald mit letzter Sicherheit beantworten können. Ich wette mal, die Antwort auf diese Frage ist ein schlichtes Ja - aber so schlicht mag unser hamburgischer Fischkopp die Dinge ja nicht.”

„Wie ich sehe sind Sie von unserem bayerischen Landarzt bereits in gewohnter Schlichtheit über den Stand der erkennungsdienstlichen Ermittlungen informiert worden”, drang jetzt eine Stimme mit unverkennbar hamburgischem Akzent an unser Ohr.

Friedrich G. Förnheim hatte den Raum betreten.

„Na endlich! Wo stecken Sie so lange?”, fragte Wildenbacher.

„Ein methodisches Problem erwies sich als komplizierter als ursprünglich gedacht und ich musste die geschätzte Kollegin Lin-Tai erst davon überzeugen, dass man sich über die Regeln naturwissenschaftlich-empirischer Forschung nicht so einfach hinwegsetzen kann, wie sie das mitunter bei den gesetzlichen Regeln des Datenschutzes handhabt.” Friedrich G. Förnheim atmete tief durch und musterte zunächst mich und anschließend Rudi. „Mit Ihrer beider Vorliebe für knappe Vereinfachungen bin ich ja oft genug konfrontiert worden”, sagte er. „Da Ihnen der Kollege ja schon die wesentlichen Fakten erläutert haben dürfte, werde ich es mal so zusammenfassen: Den Mörder von Niko Darkovic kennen wir noch nicht. Aber wir kennen jemanden, der zumindest Beihilfe geleistet haben muss!”

„Reinhold Thalmann”, murmelte ich.

Zeugen sind lästig: Krimi Sammelband 8 Thriller

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