Читать книгу Schwertmeister der Magie: Drei Fantasy Sagas auf 2500 Seiten - Alfred Bekker - Страница 66
Kapitel 1 In Land der Greifenreiter
ОглавлениеSchwerter klirrten Funken sprühend gegeneinander, und magische Blitze zuckten aus den dunklen Klingen.
Gorian ahnte den Angriff seines Kontrahenten voraus und parierte ihn. Sternenmetall prallte auf Sternenmetall. Mit einem Kraftschrei konzentrierte Gorian so viel Magie in sein Schwert, dass es für einen Moment aufglühte, als es auf das Metall der gegnerischen Waffe traf. Ein zischender Laut ertönte, und der Gegner wurde durch die Gewalt der Magie gegen die überlebensgroße Steinstatue eines Greifen geschleudert.
Dieser Steingreif stand am Rand des Felsplateaus, auf dem sich der Kampf zutrug. Dahinter gähnte ein Abgrund von zwanzig Klaftern, an dessen Fuß die aufgewühlten Wellen der gryphländischen See gegen den Felsen schlugen.
Gorian fasste Sternenklinge mit der Rechten. Die Linke umklammerte den Griff eines Dolchs aus Sternenmetall, dem er den Namen Rächer gegeben hatte. „Du wirst mich heute nicht besiegen, Torbas!“
Sein Gegner atmete tief durch. Die falkengrauen Augen fixierten Gorian mit ihrem durchdringenden Blick. Das dunkle Haar wirkte wie wirres Geflecht.
Die jungen Männer waren beide in jener Nacht geboren, als ein Stück des Schattenbringers, der die Sonne verdunkelte, glühend zur Erde gestürzt war, aus dessen Erz Gorians Vater die beiden Schwerter Sternenklinge und Schattenstich sowie den Dolch namens Rächer geschmiedet hatte. Die Sternenkonstellation schien ihnen beiden das gleiche magische Talent und ein ähnlich bedeutungsvolles Schicksal zu verheißen, aber es war schließlich Gorian gewesen, der am Speerstein von Orxanor mit dem Frostgott Honyrr gekämpft, ihn besiegt und die beiden geraubten Schwerter aus Sternenmetall zurückgeholt hatte.
Sternenklinge und Schattenstich ...
Zwei Waffen, denen große Kraft innewohnte und die dafür geschaffen waren, einst auch Morygor, den Herrn der Frostfeste zu bezwingen.
Torbas' Gesicht veränderte sich. Entschlossenheit mischte sich mit einem Zug fast tierhafter Wildheit, den Gorian bisher noch nicht bei dem Gefährten bemerkt hatte und der ihn im ersten Moment erschreckte.
Torbas fasste Schattenstich mit beiden Händen und griff noch einmal an. Seine Augen, die für einige Momente ihre normale Färbung angenommen hatten, waren wieder vollkommen von Schwärze ausgefüllt, und der Kraftschrei, den er ausstieß, deutete an, dass er wirklich alles an Magie einzusetzen versuchte, was er in sich wachrufen konnte. Schattenstich wirbelte blitzartig durch die Luft, umflort von einer bläulichen Lichtaura, die bei jeder Bewegung dieser mit Magie aufgeladenen Klinge aufleuchtete.
Gorian parierte die Schläge scheinbar mühelos. Immer wieder ließ er das Schwert seines Gegners an seiner eigenen Klinge abgleiten. Dabei schabte Sternenmetall gegeneinander und erzeugte durchdringende, unangenehme Geräusche, die manchmal fast wie ein Aufstöhnen klangen.
Immer heftiger und in immer rascherer Folge kamen Torbas' Schläge, und Gorian war gezwungen, sogar mehrere Schritte zurückzuweichen.
Da war eine ungeheure Wut in Torbas, erkannte Gorian, und für einen Augenblick fragte er sich schaudernd, welche Quelle diese Wut wohl haben mochte. Jedenfalls wurde Torbas stärker. Unbarmherzig setzte er nach, trieb Gorian zwei weitere Schritte zurück.
Dann folgte ein Schlag, den Gorian fast zu spät voraussah, ein angetäuschter Hieb, der im letzten Moment gestoppt und in seiner Richtung so verändert wurde, dass auch jemand, der diese Technik bis zur Meisterschaft perfektioniert hatte, die Aktion des Gegners kaum mehr vorausahnen konnte, selbst ein erfahrener Schwertmeister nicht, der die Kunst der Voraussicht bereits zu seiner zweiten Natur hatte werden lassen. Gorian konnte nur noch ganz knapp ausweichen, sodass Schattenstich haarscharf an seinem Ohr vorbeisauste.
Torbas stieß erneut einen Kraftschrei aus. Gorian parierte und schlug dann so heftig zu, dass beim Aufeinandertreffen der beiden Klingen ein greller, kugelförmiger Lichtblitz aufleuchtete. Gleichzeitig rief er eine Formel, die er bei seiner begonnenen Ausbildung im Ordenshaus der Magie erlernt hatte, und Torbas wurde Schattenstich förmlich aus der Hand gerissen. Im hohen Bogen flog die Waffe davon, kreiste dabei in einer Weise, die jedem Naturgesetz hohnsprach, mal schneller und dann wieder langsamer um den eigenen Schwerpunkt und verschwand in dem Abgrund jenseits der überlebensgroßen Greifenstatue. Das widernatürlich laute Klirren, mit denen Schattenstich bei seinem Weg in die Tiefe gegen hervorspringende Klippen prallte, wirkte seltsam gedehnt, so als wäre die Zeit selbst in die Länge gezogen, und manche der Laute erinnerten an Schmerzensschreie.
Die Spitze von Gorians Sternenklinge war auf Torbas’ Brust gerichtet. Dieser atmete tief durch. Seine Züge waren derart verzerrt, dass es Gorian erschreckte. Torbas’ Augen waren noch immer vollkommen von Schwärze erfüllt, so als wäre die Magie der Alten Kraft in ihm weiterhin bis zum höchstmöglichen Maß wachgerufen. Er wirkte äußerst angespannt und schien diesen Zustand zunächst auch kaum wieder rückgängig machen zu können, was ein Schwertschüler des Ordens der Alten Kraft in Torbas’ Stadium der Ausbildung eigentlich längst beherrschen musste.
„Dies war ein Übungskampf!“, entfuhr es Gorian, immer noch fassungslos darüber, wie rücksichtslos Torbas gegen ihn vorgegangen war.
Nur allmählich löste sich die Schwärze in Torbas’ Augen auf und machte wieder der bei ihm üblichen falkengrauen Färbung Platz. Er blickte auf die Spitze von Sternenklinge und murmelte: „Du hast wohl gesiegt, so wie es aussieht.“
„Torbas, was war gerade mit dir los?“, fuhr Gorian ihn an.
Ein mattes Lächeln umspielte Torbas' Lippen. „Nichts“, behauptete er. „Es ist alles in Ordnung. Falls ich zu hart gewesen sein sollte, tut es mir leid. Allerdings glaube ich nicht, dass du irgendwann in ernsthafter Gefahr gewesen bist.“
„Ach nein?“
„Du warst mir immer einen entscheidenden Schritt voraus. Allerdings ...“ Sein Blick richtete sich auf Gorians Schulter. Unter dem Lederwams quoll Blut hervor und tränkte das weiße Hemd.
Es war schwarzes Blut.
Gorian bemerkte es ebenfalls. „Oh ...“, murmelte er und wurde blass. Das Erschrecken konnte er kaum verbergen.
„Ich habe es vielleicht doch etwas übertrieben“, meinte Torbas. „Das habe ich wirklich nicht gewollt.“
„Nein, das warst du nicht“, entgegnete Gorian. „Das ist die Wunde, die ich im Kampf gegen Honyrr davontrug.“
„Ich dachte, Sheera hätte sie geheilt.“
„Aber ab und zu fängt die Narbe an zu bluten.“
„Schwarzes Blut?“
Gorian nickte. „Wir waren sehr weit in Morygors Reich, Torbas, und die dunklen Kräfte dort waren ausgesprochen stark. Wir alle waren Morygors Aura ausgesetzt.“
„Erinnere mich nicht daran“, murmelte Torbas, und er wirkte richtiggehend betrübt dabei.
„Es ist die pure Finsternis, die da nach außen quillt“, sagte Gorian. „Ich habe offenbar zu viel von dieser dunklen Magie in mich aufgenommen, als wir auf dem Weg zum Speerstein waren. Mein Vater hatte an der Hand auch so eine Wunde, die nicht mehr heilen wollte und von Zeit zu Zeit schwarzes Blut absonderte. Ich hoffe, dass sich meine Schulterwunde nicht ähnlich entwickelt.“
Torbas nickte leicht. „Seit wir in Morygors Reich waren, ist nichts mehr, wie es zuvor gewesen ist, nicht wahr?“
„Nein“, gab Gorian zu. „Das gilt offenbar für uns alle.“
„Keiner von uns ist als derjenige zurückgekehrt, der er war, als wir mit Centros Bals Greifengondel zum Speerstein von Orxanor flogen. Weder du noch ich – und von Sheera und Meister Thondaril kann man dasselbe sagen.“
„Woher kommt diese Wut, die seitdem in dir ist?“, fragte Gorian. Bisher hatte er noch nicht gewagt, Torbas auf diesen Punkt anzusprechen. Dies, so fand er, war der richtige Augenblick dafür. Und vielleicht konnte durch eine offene Aussprache das Befremden vermindert werden, das zwischen ihnen herrschte, seit sie das Frostreich verlassen hatten.
Torbas schluckte. „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass da manchmal etwas in mir ist, das noch nicht da war, bevor wir ins Frostreich flogen. Und manchmal höre ich immer noch die Stimme ...“
„Die Stimme?“, fragte Gorian alarmiert.
„Du willst doch sicher nicht behaupten, dass du sie nicht auch gehört hättest. Morygors Gedankenstimme.“
„Er fürchtet uns, Torbas. Und deshalb versucht er, uns auf seine Seite zu ziehen. Wir müssen stark bleiben. Die größte Macht, die Morygor zur Verfügung steht, sind nicht die Horden von untoten Frostkriegern oder die gewaltigen Leviathane, in deren Bäuche ganze Heere Platz haben. Es ist die Macht seiner Gedanken, die sich in deinen Geist schleichen, ohne dass du es richtig merkst.“
„Wir werden noch viel Kraft brauchen“, stimmte Torbas zu. Er drehte sich um und ging zu dem steinernen Greifen. Er blickte über die hüfthohe Mauer, streckte eine Hand aus und ließ Schattenstich wieder emporschweben. Ganz kurz füllten sich seine Augen dabei wieder mit Finsternis. „Eines Tages werde ich mit diesem Schwert so gut kämpfen, wie du es vermagst, Gorian.“
„Eines Tages werden wir mit diesen Klingen Morygors Schicksalslinie kreuzen und ihn besiegen!“
„Wir?“ Torbas hob die Augenbrauen. „Ich bin gern dabei, aber Morygor sieht in mir offensichtlich nicht eine so bedeutende Gefahr für seine Zukunft. Schließlich hat er bisher nur versucht, dich von seinen Schergen töten zu lassen.“
„Meister Thondaril lässt euch rufen!“, vernahmen sie beide eine weibliche Stimme.
Gorian drehte sich um. Ein ebenmäßiges Gesicht, ruhige meergrüne Augen und seidiges, bis über die Schultern fallendes Haar. Sheera trat aus dem Eingang der Höhlenwohnung, in der die Gesandtschaft des Ordens der Alten Kraft untergebracht war.
Die junge Frau blickte von Torbas zu Gorian. „Warum war dein Geist so verschlossen, dass es unmöglich war, dich mit einem Gedanken zu rufen?“, fragte Sheera stumm und ohne dabei auch nur die Lippen zu bewegen. Dann fiel ihr das Blut auf. „Schon wieder?“, erreichte Gorian ihr Gedanke, in dem tiefste Besorgnis mitschwang.
Ein mattes Lächeln zeigte sich in seinem Gesicht. „Es ist nicht so schlimm“, behauptete er.
„Ich werde noch einmal ein paar Heilsteine auflegen müssen“, sagte sie nun laut. „Aber das scheint das Problem auf Dauer nicht zu lösen. Vielleicht solltest du doch die Hilfe von Meister Aarad annehmen.“
Meister Aarad war ein ausgebildeter Heiler, der die Gesandtschaft des Ordens der Alten Kraft in Gryphenklau leitete. Er genoss das besondere Vertrauen des Königs von Gryphland, dem Reich der Greifenreiter, was vornehmlich darin begründet lag, dass er dessen kränkliche jüngste Tochter bisher am Leben erhalten hatte, obwohl alle einheimischen Ärzte sie längst aufgegeben hatten. Damit war er natürlich ein nahezu idealer Botschafter des Ordens beim gryphländischen König.
Gorian allerdings traute niemandem mehr so ohne Weiteres, seit sich sogar der Hochmeister des Ordens als Verräter entpuppt hatte. Und vielleicht fürchtete er auch, die Wahrheit über diese Wunde zu hören: dass es kein Heilmittel gegen die Blutungen gab und dass sich sowohl sein Körper als auch seine Seele während des Aufenthalts in Morygors Reich so sehr mit dunkler Magie aufgeladen hatten, dass diese Kräfte einfach hinaus mussten, in welcher Form auch immer.
Gorian erwiderte den Blick von Sheeras meergrünen Augen. Eines der wenigen Dinge, die sich nicht verändert hatten, seit sie Morygors Reich verlassen hatten und an Bord der Gondel des Greifenreiters Centros Bal nach Gryphenklau gelangt waren, schien ihm die grenzenlose Faszination und Zuneigung zu sein, die er für dieses Mädchen empfand – und die Gewissheit, dass ihrer beider Schicksalslinien miteinander verwobenen waren.
Die eigentümliche Vertrautheit, die Gorian ihr gegenüber empfand, war nicht im Mindesten erschüttert, und das beruhigte ihn irgendwie.
––––––––
Die siebentürmige Kathedrale von Toque am Oberlauf des Bar war ein Wahrzeichen des Glaubens an den Verborgenen Gott.
Toque, mitten im Herzland des Heiligen Reichs gelegen, war auch die Residenzstadt des Herzogs von Quellanien, aber die Kathedrale allein war etwa doppelt so groß wie das herzogliche Schloss und die eigentliche Stadt, die ihren Reichtum vor allem den vielen Pilgern verdankte, die jedes Jahr zu Hunderttausenden herbeiströmten und das Gebiet um die Kathedrale im Sommer monatelang zu einer gewaltigen Zeltstadt anschwellen ließen. Vom heiligen Wasser einiger Heilquellen erhoffte man sich Linderung von Krankheiten oder gesunden Nachwuchs oder Vergebung von Sünden. Selbst den einen oder anderen bekehrten Oger-Söldner, der in seinem früheren Leben Menschenfleisch als Delikatesse empfunden hatte, zog es her, um in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen zu werden.
Man sagte, dass jedes zweite Haus in Toque ein Gasthaus sei und die Zahl der Einwohner im Winter kaum ein Zehntel dessen erreichte, was man in den reisefreundlichen Sommermonaten an Volk zu sehen bekam.
Es war Spätsommer, aber es wehte ein so eisiger Wind über die quellanischen Felder bis in die westlich des Bar gelegene Tiefebene von Garilanien, wie in manch hartem Winter nicht. Und immer wieder gab es Schnee- und Hagelschauer aus einem grauen Himmel. Die Sonne zeigte sich nur als großer verwaschener Lichtfleck, der durch die Wolkendecke schimmerte und zusätzlich noch zur Hälfte von etwas Dunklem verdeckt wurde – dem Schattenbringer, den die Magie Morygors allmählich vor die Sonne schob, sodass die Erde immer mehr zu einem Reich der Kälte wurde.
Die Zeltstadt rund um Toque befand sich in Auflösung, und ihre Bewohner bestanden in diesen Tagen auch nicht überwiegend aus Pilgern, sondern aus Flüchtlingen, denen es gelungen war, sich bis nach Toque zu retten. Dass ihnen allerdings der Nimbus der mächtigen Kathedrale Schutz vor den heranrückenden Horden Morygors bieten konnte, schienen die wenigsten von ihnen zu glauben. Stattdessen versuchten einige mit allen Mitteln, das garilanische Ufer zu erreichen, doch die breite Brücke, die sich über den Bar spannte, war hoffnungslos verstopft. Manche ließen sich mit Booten übersetzen oder versuchten einen Platz an Bord eines der Flussschiffe zu ergattern, mit denen man bis nach Nelbar in Oquitonien gelangen konnte, wo der Bar in das laramontische Meer mündete. Ein noch größerer Zug von Menschen bewegte sich allerdings über die dem quellanischen Ufer folgende Straße nach Süden, was bedeutete, dass ihnen der breite Strom keinerlei Fluchtmöglichkeit mehr ließ, wenn der Feind auftauchte.
Und dieser Feind war nahe ...
... und unbarmherzig.
Schon seit drei Tagen waren keine weiteren Flüchtlinge mehr über die Ebene der quellanischen Felder nach Toque gelangt. Ein Zeichen, das nicht zu missdeuten war.
Am Horizont schob sich ein mehrere Klafter hoher Eispanzer gen Süden und Westen. Die Geschwindigkeit, mit der dieser breite Gletscher vordrang, widersprach allem, was man über die Natur des Eises wusste. Wie eine zähflüssige Masse walzte sich das Eis vorwärts und begrub alles unter sich, während ein frostiger Hauch die Verteidiger von Toque erstarren ließ. Voller Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit blickten die wenigen Ritter und Landsknechte, die noch auf den Mauern und Türmen der Stadt ausharrten, dieser grauweißen Wand entgegen. Einige zu allem entschlossene Schwertmeister des Ordens der Alten Kraft befanden sich unter ihnen, zu erkennen an den Meisterringen, die sie trugen. Aber ein Großteil der Bewaffneten hatte schon vor Tagen zusammen mit dem Herzog und seiner Familie und dem Bischof die Stadt verlassen.
Die graue Wand näherte sich, und noch ehe die Dunkelheit hereinbrach, walzten die Eismassen die äußeren Stadtmauern nieder, schoben sich durch die Straßen, drückten Hauswände ein und begruben bis auf eine Höhe von anderthalb Klaftern alles unter sich, was ihnen im Weg stand. Das Eis hatte dabei eine Geschwindigkeit, die dem eines Wanderers mit normalem Schritttempo entsprach. Da auch die Straße nach Süden auf viele Meilen von dem heranfließenden Gletscher betroffen war, blieb den vielen Menschen, die sich noch in der Stadt befanden, nur noch die Flucht über die völlig überladene Brücke des Bar oder zur Kathedrale, die ebenso wie das herzögliche Schloss auf einer Anhöhe gelegen war.
Bald ragte der von Menschen umlagerte Bereich um die siebentürmige Kathedrale wie eine Insel aus einem vereisten Ozean. Das etwas tiefer gelegene herzogliche Schloss hingegen wurde zum Großteil ebenfalls von den Eismassen fortgerissen. Einzig und allein der Burgfried hielt noch stand und ragte trotzig aus dem grauen Eis hervor, das sich weiter voranschob, dem Fluss entgegen, in den sich das Eis schließlich als zähflüssiger Strom ergoss.
Immer wieder brachen Gletscherstücke ab und wurden südwärts getrieben. Manchmal brachten diese Eisstücke Boote und Flussschiffe in arge Bedrängnis, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis auf dem Oberlauf des Flusses, der eigentlich auf der gesamten Länge zwischen Toque bis Nelbar schiffbar war, jeglicher Transport eingestellt werden musste.
Die Eismassen brachten schließlich auch die Pfeiler der Brücke zu Einsturz. Ein Treck von Tausenden, die niemand mehr davon hatte abhalten können, trotz aller drohenden Gefahr die völlig überfüllte Brücke zu betreten, stürzte in die Tiefe. Aber ihr Schreien ging unter in den manchmal eher stöhnenden, dann wieder mehr schabenden oder krachenden Lauten, die das Eis bei seinem Vormarsch verursachte.
Dichtes Schneegestöber setzte ein, und der eisige Wind frischte auf, so als hätten sich alle in Morygors Diensten stehenden Frostgötter dazu entschlossen, im selben Moment ihren kalten Hauch über das Land zu verbreiten.
Aus der Kathedrale drangen die Gesänge verzweifelter Gläubiger sowie einiger Geistlicher aus den niederen Rängen der Priesterschaft des Verborgenen Gottes. Gesänge, die um magische Hilfe jener mächtigen Wesenheit baten, denn nach Auffassung der Priesterschaft war jede Magie eine gnädige Gabe des Verborgenen Gottes und nicht ein Talent des Einzelnen, wovon die Lehre des Ordens der Alten Kraft ausging. Aber der Verborgene Gott schien taub gegenüber dem Flehen seiner Gläubigen.
Bis zum Morgengrauen wurde das Schneetreiben immer dichter. Den Fluss zu überqueren war nahezu unmöglich geworden. Er war zwar inzwischen halb zugefroren, und immer größere Eisstücke brachen von dem heranfließenden Gletscher ab und lagerten sich aneinander, aber es war lebensgefährlich, den Fuß auf dieses Brucheis zu setzen. Dennoch gab es genug Verzweifelte, die es dennoch versuchten. Ihre Schreie gingen im allgemeinen Lärm unter.
Die quellanischen Felder, wie man die Ebene östlich des oberen Bar allgemein nannte, waren inzwischen eine einzige grauweiße und mit einer hüfthohen Schneeschicht bedeckte Einöde. Auch der letzte Turm des herzoglichen Schlosses war unter dem Druck des Eises zerbrochen. Einzig die gewaltigen Mauern der siebentürmigen Kathedrale trotzten noch dem frostigen Hauch aus Morygors Reich, aber Schneeverwehungen türmten sich klafterhoch an ihnen auf.
Der Schneefall hörte auf, und eine kalte, fahle Sonne stand am Himmel, gut die Hälfte verdeckt von der Schwärze des Schattenbringers. Die Luft war eisig klar, und man konnte weit über die Ebenen sehen. Hundert Leviathane rückten in breiter Front über den Horizont, jeder von ihnen zwanzig oder mehr Schiffslängen messend und im Bauch jeweils eine ganze Armee von Frostkriegern, die jederzeit ausgespieen werden konnten.
Schneller als westreichische Galeeren und heiligreichische Koggen das Meer von Ost-Erdenrund durchpflügten, glitten die gewaltigen Wesen über die weiße Decke aus Eis und Schnee. Untote Armbrustschützen aus Torheim hatten sich auf den Rücken der Giganten positioniert, die breiter als jede Brücke und jede Straße waren, die je von Menschen- oder Ogerhand erschaffen worden war. Die jeweilige Eskorte, bestehend aus Tausenden von orxanischen Wollnashornreitern, stand nicht selten in Gefahr, von den gewaltigen Leibern der Leviathane erdrückt zu werden, zumal diese trotz ihrer enormen Größe eine enorme Geschwindigkeit vorlegten, bei der die Wollnashörner gerade noch mithalten konnten.
Wie eine Flutwelle drang diese Streitmacht auf einer Breite, die den gesamten Horizont einnahm, in Richtung des Flusses Bar voran. Während die Gesänge in der Kathedrale anhielten, stürzte bereits der erste der sieben Türme unter dem Druck eines der Leviathane in sich zusammen ...
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Gorian starrte auf die verblassenden Bilder in der ovalen, etwa mannsgroßen, flimmernden magischen Sphäre, die Meister Thondaril erzeugt hatte. Thondaril hob die Hand mit den Ringen eines Meisters in den Ordenshäusern der Magie und des Schwertes und ließ die Sphäre langsam in seiner Handfläche verschwinden. Sein wie aus Stein gemeißeltes Gesicht wirkte noch ernster, als man es ohnehin schon von ihm gewohnt war.
Außer Gorian und Meister Thondaril befanden sich noch Torbas, Sheera und Meister Aarad in dem Raum, der zur Wohnhöhle der Ordensgesandtschaft in Gryphenklau gehörte. Die Stadt der Greifenreiter war nahezu völlig in ein gewaltiges Felsmassiv hineingeschlagen worden. Künstliche Wohnhöhlen waren mit dem natürlichen Höhlensystem verbunden worden – Höhlen, in denen früher wilde Greifen gelebt hatten und die nun als Stallungen für diese riesenhaften Mischwesen aus Vogel und Löwe dienten.
Dass es dem Orden gestattet war, seine Gesandtschaft in einer dieser Wohnhöhlen einzurichten, konnte durchaus als Ausdruck besonderer Wertschätzung angesehen werden. Die Gesandtschaft des Heiligreichischen Kaisers jedenfalls befand sich in der zu Gryphenklau gehörenden separaten Hafenstadt am Fuß des Felsmassivs, und obwohl sowohl der Orden als auch der Kaiser beide Repräsentanten desselben Landes waren, zeigte der König auf diese Weise ziemlich deutlich, wessen Anwesenheit am gryphländischen Königshof höher geschätzt wurde.
Gorian betastete mit der Hand die Schulter, an der er während seines Kampfes mit Honyrr verletzt worden war. Rächer – sein eigener Dolch – hätte ihn beinahe getötet. Gorian hatte sich noch schnell ein frisches Hemd angezogen, bevor er schließlich als Letzter den Raum betreten hatte. Aber von den bewegten Bildern, die Meister Thondarils Magie gezeigt hatte, hatte er dennoch genug gesehen, um zu ermessen, wie ernst die Lage war.
„Das, was ich euch gerade zeigte, sandte mir Schwertmeister Sarenthorm durch Handlichtlesen“, erklärte Thondaril. „Leider habe ich die Verbindung zu ihm verloren und befürchte das Schlimmste.“
„Bis Toque sind sie also schon“, murmelte Meister Aarad, und sein von schlohweißem Haar umrahmtes Gesicht bekam noch zusätzlich ein paar tiefe Sorgenfalten. Seit sie in Gryphenklau weilten, war der Leiter der Ordensgesandtschaft Gorian immer wie ein Sinnbild innerer Gelassenheit und des seelischen Gleichmuts vorgekommen. Aber das war wie verflogen, und die Verstörung war ihm nur allzu deutlich anzusehen. „Die Kathedrale von Toque dem Erdboden gleichgemacht ...“ Er schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wie kann der Verborgene Gott so etwas zulassen? Wie kann er tatenlos mitansehen, wie eines der Wahrzeichen des Glaubens an ihn in Grund und Boden gewalzt wird?“
„Ich fürchte, dass sich das Heilige Reich in Auflösung befindet“, erklärte Thondaril, und seine Stimme klang hart und klar dabei. „Der Kaiser ist nach Arabur in seine laramontische Stammlande geflohen, aber es ist nicht anzunehmen, dass Laramont von Morygors Horde lange verschont bleiben wird. Der Oberlauf des Bar wird inzwischen gefroren sein, und nachdem Toque gefallen ist, werden die Leviathane jetzt über das Tiefland von Garilanien herfallen. In Atanien befindet sich nur noch ein schmaler Küstenstreifen nicht in der Gewalt des Feindes, was wohl nur der Tatsache geschuldet ist, dass die zerklüfteten Höhen des mittelatanischen Gebirges das Vordringen der Leviathane etwas verlangsamen oder sie zu Umwegen zwingen. Zwei Drittel des Heiligen Reiches sind schon von Morygor erobert worden. Von Pantanela und einem Großteil des nördlichen Ogerlandes können wir das nur vermuten, weil uns von dort schon seit Langem keine Nachrichten mehr erreichen. Bis zu den Inseln der Dreilande ist das Meer gefroren – und das Eis breitet sich unaufhaltsam weiter nach Süden und Westen aus.“ Thondaril atmete tief durch. „Und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Morygor, wenn seine Schergen die südlichen Grenzen des Heiligen Reiches erreicht haben, plötzlich die Tugend der Bescheidenheit für sich entdeckt. Die Leviathane werden Garilanien im Eiltempo durchqueren und Mitulien erreichen - und danach auch den Norden Gryphlands.“
„Es müssten sich alle Mächte zusammenschließen, die noch zum Widerstand in der Lage sind“, meinte Gorian.
„Daran arbeite ich, seit der Krieg ausgebrochen ist und sich gezeigt hat, dass offenbar kein Heer dieser Welt Morygors Horden allein aufzuhalten vermag“, erklärte ihm Meister Aarad. „Aber das ist leichter gesagt als getan. Nicht einmal alle überlebenden Großen innerhalb des Heiligen Reichs sind sich wirklich einig – und hier in Gryphland oder in Westreich scheint man darauf zu hoffen, dass der eisige Hauch über das eigene Land hinwegzieht wie ein vorübergehendes Unwetter.“
„Jeder, der zum Himmel aufblickt und sieht, um wie vieles mehr der Schattenbringer die Sonne verdeckt als noch vor ein paar Wochen, muss doch begreife, dass sich dieser Wunsch nicht erfüllen kann“, sagte Gorian voll grimmiger Unverständnis über solche falschen Hoffnungen.
„Ja, aber du wirst zugeben, dass es leichter fällt, gegen einen Feind ins Feld zu ziehen, gegen den zu siegen zumindest eine Möglichkeit besteht“, entgegnete Torbas. „Ehrlich gesagt, kann ich die in diesem Fall bislang nicht erkennen.“
Er wandte den Kopf und sah Gorian an, und sein Blick hatte einen Ausdruck, den Gorian nicht so recht zu deuten wusste. Wo war die selbstbewusste, spöttische Überheblichkeit, die sonst so kennzeichnend für Torbas war? Wo die Unerschrockenheit, die sich nicht selten in purer Respektlosigkeit gegenüber allem und jedem geäußert hatte? Gorian war sich mittlerweile sicher, dass sich diese Wandlung in den eisigen Weiten des Frostreichs ereignet hatte. Torbas hatte offenbar eine Form von Furcht kennengelernt, die ihm zuvor unbekannt gewesen war – und vor allem auch die Grenzen der eigenen Fähigkeiten und Kräfte.
Schließlich hatte er es nicht vermocht, der Aura Morygors zu widerstehen und Gorian trotz aller gegen ihn gerichteten Magie und ihn bedrängenden Einflüsterungen bis zum Speerstein zu folgen. Stattdessen hatte er ebenso aufgeben müssen wie Sheera und sogar der zweifache Ordensmeister Thondaril. Ein tief greifendes Erlebnis, das Torbas zweifellos als Niederlage empfunden hatte. Als Niederlage gegenüber Gorian – aber auch als Versagen gegenüber den Ansprüchen, die er an sich selbst gestellt hatte.
„Du lebst in der Überzeugung, dass Morygor dich aufgrund irgendwelcher Vorhersagen, die kein Mensch wirklich zu durchschauen oder nachzuvollziehen vermag, fürchtet wie die Pest“, fuhr er fort, an Gorian gerichtet. „Das verleiht dir vielleicht etwas mehr Mut als anderen.“
„Nein, das ist nicht wahr“, entgegnete Gorian. „Auch ich habe keinerlei Gewissheit.“
„Ach nein?“
„Möchtet ihr beide euren privaten Disput erst zu Ende führen, oder wollt ihr hören, was ich vorzuschlagen habe?“, ging Thondaril in scharfem Tonfall dazwischen.
Sowohl Torbas als auch Gorian verstummten und drehten sich zu ihrem Meister um. Beide neigten sie als Zeichen der Demut und des Respekts das Haupt.
Meister Thondaril stemmte die Arme in die Hüften und atmet tief ein. „Meister Aarad wird weiterhin versuchen, ein Bündnis aller verbliebenen Kräfte zustande zu bringen. Aber solange Morygor über den Schattenbringer gebietet, ist jede Schlacht gegen seine Schergen von vornherein verloren. Der Schattenbringer sorgt für den widernatürlichen Winter, den wir erleben. Zumindest trägt er den Hauptteil dazu bei, darin sind sich alle Gelehrten einig. Mag sein, dass auch der eine oder andere Frostgott, den Morygor durch das Weltentor holte, mit seinem Eishauch dazu beiträgt, aber fest steht, dass Morygors Horden niemals so weit nach Süden hätten vordringen können, hätten sie dort nicht Bedingungen vorgefunden, die ihnen die Existenz überhaupt erst ermöglichten: Leviathane, untote Orxanier und Torheimer – sie alle sind Geschöpfe der Kälte, und nur in so einer Umgebung könne sie sich wirklich entfalten. Es gibt seit langem eine Theorie, dass sich der Schattenbringer beeinflussen lässt, und zwar durch eine Kombination verschiedener Kräfte und magischer Prinzipien. Schwerter aus Sternenmetall sind sicherlich besser als irgendetwas sonst geeignet, die Kräfte zu bündeln, auf die es dabei ankommt. Wir werden unsere Art der Magie mit der der Caladran kombinieren müssen, denn niemand versteht die Gestirne so gut wie sie.“
„Die Caladran sind dafür bekannt, dass sie ihre Magie geheim halten und nicht mit anderen teilen“, stellte Sheera fest. „Ehrwürdiger Meister, wie wollt Ihr sie dazu überreden, uns zu helfen?“
„Morygor ist selbst ein Caladran, wenn auch ein Abtrünniger“, antwortete Thondaril. „Oder vielleicht sollte man besser sagen: Er war einst ein Caladran, denn er hat sich längst zu einer ganz anderen Wesenheit entwickelt, von der niemand wirklich etwas weiß. Ich gehe davon aus, dass man nirgends so gut um die Gefahr weiß, die von Morygor und seinem Frostreich ausgeht, als bei den Caladran. Zudem werden auch deren Inseln früher oder später vom Eis eingeschlossen werden, und die Leviathane walzen dann die legendären Städte dieses Volkes genauso nieder, wie es mit der siebentürmigen Kathedrale von Toque geschehen ist. Die Caladran werden uns helfen!“
„Oder sie werden einfach ihre Himmelsschiffe besteigen und davonfliegen“, meinte Torbas. „Angeblich waren sie früher sogar imstande, zu den Sternen zu fliegen.“
„Nach allem, was dem Orden bekannt ist, entspricht das den Tatsachen“, sagte Aarad bedächtig.
„Dann verstehe ich nicht, warum sie nicht ihre alte Kunst benutzen, um mit ein paar Himmelsschiffen zum Schattenbringer zu fliegen und ihn von der Sonne fortzuziehen“, sagte Torbas. „Kann das denn so schwer sein? Vor hundert Jahren schon hätten sie das tun sollen!“
„Sie haben manche ihrer alten Künste vergessen, und letztlich haben wir auch nur Hinweise, aber keinen wirklichen Beweis dafür, dass ihre Magie und ihre Schifffahrt einst zu solch großartigen Taten fähig waren“, gab Aarad zu bedenken. „Doch du solltest dir Meister Thondarils Vorschlag zu Ende anhören.“
Offenbar hatte Thondaril zuerst mit Aarad über seine Pläne gesprochen, erkannte Gorian und wechselte einen Blick mit Sheera.
„Das gefällt dir nicht, was?“, empfing er ihren Gedanken.
Gorian war überrascht. Er fragte sich, weshalb er manchmal ihre Gedanken klar erkennen konnte und in anderen Situationen keine Verbindung zu ihr hatte.
„Es liegt an dir, Gorian“, behauptete Sheera mit einem weiteren Gedanken. „Daran, wie sehr du deinen Geist öffnest. Das gehört eigentlich zum Heilertalent dazu, und du willst doch die Meisterschaft in allen fünf Häusern des Ordens erringen, richtig?“
„In der Gruft von Felsenburg werden uralte Caladran-Schriften aufbewahrt“, fuhr Thondaril zwischenzeitlich fort. „Schriften, aus denen wir vielleicht etwas mehr darüber erfahren, ob sich der Schattenbringer durch die Sternenmagie der Caladran beeinflussen lässt. Meister Aarad hat auch schon beim Landesherrscher angefragt, ob uns die Reise nach Felsenburg gestattet wird.“
„Kann man denn in Gryphland nicht frei reisen?“, fragte Gorian erstaunt.
„Nicht nach Felsenburg. Dorthin darf man nur nach vorheriger Genehmigung, denn auch der gryphländische Reichsschatz ist dort untergebracht. Die Burg liegt in einem nahezu unbewohnten und wüstenartigen Ödland zwischen den mittelgryphländischen Bergen und Mitulien. Das Gebiet ist so unwegsam, dass man ohne Greifen kaum dorthin gelangt.“
„Es ist die menschenfeindlichste Gegend, die ich je gesehen habe“, erklärte Aarad.
„Ihr seid also schon dort gewesen“, sagte Gorian.
Der Ordensgesandte in Gryphenklau nickte. „Ja, vor Jahren erhielt ich zur Vervollkommnung meiner Heiler-Fähigkeiten die Erlaubnis, in den alten Schriften dort zu forschen. Damals stand es sehr schlecht um die Tochter des Königs, und ich nehme an, dass ich nur deswegen die Erlaubnis erhielt. Übrigens tauchen immer wieder mal bruchstückhafte und wohl auch falsche Abschriften aus den Beständen Felsenburgs auf dem Schwarzmarkt von Gryphenklau auf und werden dort zu horrenden Preisen gehandelt.“
„Warum fliegen wir nicht gleich zu den Caladran?“, wollte Gorian wissen. „Wenn man noch irgendetwas gegen Morygor ausrichten will, wird man ohnehin ein Bündnis aller noch freien Völker schmieden müssen, und da sollten nicht ausgerechnet die mächtigsten Magier fehlen, oder?“
„Die erste Schwierigkeit besteht schon allein darin, einen Gryphländer zu finden, der uns mit seinem Greifen zu den Inseln der Caladran fliegt“, antwortete Aarad. „Beide Länder sind nämlich traditionell miteinander verfeindet, auch wenn das im Heiligen Reich wenig bekannt ist, denn es hat schon seit tausend Jahren keine offenen kriegerischen Auseinandersetzungen mehr zwischen Caladran und Greifenreitern gegeben. Der Grund dafür ist, dass keiner stark genug wäre, den anderen zu besiegen, jedenfalls nicht, ohne einen unverhältnismäßig hohen Preis dafür zu zahlen. Diese Feindschaft hat mit den Caladran-Schriften in Felsenburg zu tun. Sie wurden nämlich geraubt.“
Thondaril ergriff wieder das Wort. „Würden wir eine der Schriften mit zu den Inseln der Caladran bringen, würde man das als Friedensangebot verstehen – jedenfalls wenn wir in einer Greifengondel reisen oder zumindest ein Dokument vorweisen, mit dem wir beweisen, im Auftrag des Königs von Gryphland zu handeln. Dann gelänge es uns vielleicht, die Caladran als Verbündete zu gewinnen.“
„Dann sollten wir so bald wie möglich nach Felsenburg aufbrechen“, meinte Gorian.
„Die Zustimmung des Königs steht noch aus“, sagte Aarad.
„Haltet Ihr es für möglich, dass ihm bereits von anderer Seite Versprechungen gemacht wurden?“, äußerte Sheera eine Befürchtung, die ihr auf einmal kam.
„Von Morygor?“, fragte Aarad.
„Wenn er das Geflecht der Schicksalslinien und Wahrscheinlichkeiten so gut zu überblicken vermag, wie wir annehmen, dann weiß er von unserem Plan und wird versuchen, ihn zu vereiteln“, stimmte Thondaril ihrer Sorge zu.
„Ich kenne den Herrscher seit langem und kann mir das eigentlich nicht vorstellen“, erklärte Aarad. „Andererseits weiß ich nicht, was er tun wird, stünde es so schlecht um seine Tochter, dass auch ich ihr nicht mehr zu helfen vermag ...“