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5. Kapitel

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Tjade Winkels hatte sich einen Tee gemacht, der Tag versprach schön zu werden, und Harm hatte sich in seinen Korb verzogen, um sein Frühstück zu verdauen.

Bevor er überlegen konnte, wie er weiter vorgehen wollte, klingelte das Telefon. Uwe Dröver.

Er solle vorbeikommen, und Uwe wolle ihm etwas zeigen, zu dem er Tjades Meinung hören wolle.

Winkels legte auf und trank in Ruhe seinen Tee weiter. Er war schließlich nicht in den Ruhestand gegangen, um sich hetzen zu lassen.

Harm würde den Vormittag wie meistens verschlafen. Es machte ihm nichts aus, einen halben oder sogar ganzen Tag allein im Haus zu sein. Allerdings sollte in dieser Zeit nichts herumliegen, was sein Interesse weckte, wie zum Beispiel Socken.

Also saß er eine Stunde später vor Uwes Schreibtisch und wartete gespannt auf die geheimnisvollen Informationen.

„Moin Uwe.“

„Moin, Tjade.“

„Hm.“

„Du kannst es einfach nicht lassen, was?“

„Was meinst du?“

„Na, dich einmischen.“

„So bin ich nunmal.“

„Ja...“

„Was habt ihr jetzt herausgefunden...“

„Tjade, du bist im Ruhestand!“

„Ich weiß.“

„Da habe ich aber manchmal meine Zweifel...“

„Nun sag schon!“

„Du traust deinen alöten Kollegen nicht viel zu, was?“

Tjade Winkels atmete tief durch. „Wenn ich euch nix zutrauen würde, dann würde ich dich ja gar nicht erst fragen!“

Dröver hob erst die Augenbrauen und runzelte dann die Stirn.

„So kann man das natürlich auch sehen.“

Tjade Winkels nickte.

„Kann man.“

Eine Pause des Schweigens entstand.

Und zog sich.

Sekunde um Sekunde verstrich.

Und nachdem Uwe Dröver dann sehr, sehr tief Luft geholt hatte, begann er schließlich zu sprechen.

„Wir haben im Krankenzimmer von Walter Köhler das hier gefunden!“

Uwe Dröver schob ihm die Mappe mit den Kontoauszügen zu, die Winkels bei seinem heimlichen Besuch schon gesehen hatte. Doch davon sollte Dröver wohl besser nichts erfahren.

„Was ist das?“ fragte er neugierig und griff nach der Mappe.

„Sieh es dir an, und wenn du das Gleiche siehst wie ich, hätte ich gern deine Meinung dazu.“

Winkels legte seine Stirn in Falten und blätterte bedächtig durch die Kontoauszüge. Er schüttelte den Kopf, blätterte noch einmal, bis er sich entschloss, dass er lange genug gebraucht hatte.

Er tippte auf einen der Auszüge.

„Ein ziemlich hoher Betrag, der jeden Monat von einem Notar überwiesen wird. Die Rente allein würde für das Seniorenheim gerade so reichen, doch damit hat sich Köhler eine schöne Summe zusammengespart. Ich habe jedoch keine Erklärung, aus welchem Grund er das Geld erhält. Vielleicht eine Erbschaft?“

„Habe ich schon überprüft. Ist es nicht.“

„Eine Zusatzrente?“ schlug Winkels vor.

„Wäre möglich. Wir haben sein Zimmer im Heim noch nicht durchsucht. Das wollten wir heute erledigen. Vielleicht finden wir die Unterlagen einer Versicherung. Du kannst dir auch keinen Reim darauf machen?“

Winkels verneinte, obwohl sich in seinem Kopf ein Gedanke bemerkbar machte, der ihn darauf hinwies, dass diese Überweisung mit dem Mord zusammenhing.

Ehe er seinen Gedanken aussprechen konnte, zog Dröver einen weiteren kleinen Ordner aus einer Schublade.

„Dann sieh´ dir bitte dieses Konto an. Die Unterlagen haben wir im Haus von Wilhelm Papendieck gefunden.“

Winkels blätterte durch die Seiten. Es waren ebenfalls Kontoauszüge. Auch hier war jeden Monat der gleiche Betrag verbucht worden wie bei Walter Köhler. Die Überweisungen kamen vom gleichen Notariatskonto.

„Die Zahlungen beginnen vor gut einem Jahr“, erläuterte Uwe Dröver. „Bei beiden Konten exakt zum gleichen Zeitpunkt. Das kann kein Zufall sein.“

Winkels lehnte sich zurück und dachte nach.

„Wenn ein Notar diese Summen regelmäßig auszahlt, handelt es sich normalerweise um ein Treuhandkonto, das vom Notariat nur verwaltet wird. Das Geld muss jedoch jemandem gehören. Beide Empfänger der Summen sind ermordet worden. Ich sehe einen unmittelbaren Zusammenhang.“

Dröver nickte. „Ich auch.“

Er zögerte und nagte an seiner Unterlippe.

„Man müsste mit dem Notar reden“, dachte Winkels laut.

„Tja, das... also das habe ich schon versucht“, erklärte Dröver leise.

„Und?“

„Ich habe angerufen und verlangt, Auskünfte zu einigen ihrer Mandanten zu bekommen, die jüngst verstorben sind. Als Antwort kam nur ein deutliches nein, und dann wurde aufgelegt.“

Dröver klang echt empört.

Ja, mein lieber Uwe, dachte Winkels, man kann nicht alles am Telefon erledigen.

„Am Telefon bekommst du keine Auskünfte“, sagte er laut.

Dröver hatte sichtlich Mühe, den nächsten Satz herauszubringen.

„Nun, ich habe mir gedacht, dass du vielleicht... sozusagen als Privatmann... also dass du...“

„Ich verstehe schon“, unterbrach Winkels. „Ich rede mit dem Notar. Vielleicht habe ich mehr Glück.“

Dröver schien erleichtert. Er schob einen Zettel über den Tisch. „Hier ist die Adresse.“

Haferkamp & Haferkamp stand da handschriftlich. Notariat und Anwaltskanzlei, darunter eine Anschrift in der Kirchstraße in der Innenstadt von Aurich. Winkels kannte die Straße, er war schon häufig dort durchgefahren. Dort gab es diverse Geschäfte und Bürogebäude.

„Vater und Sohn“, kommentierte er. „Einer wird schon mit mir reden.“

Dröver hob den Finger. „Aber gib dich nicht als Polizisten aus. Du bis jetzt Privatmann, vergiss das nicht.“

„Seit meiner Pensionierung vergesse ich das nicht“, brummte Winkels etwas missgelaunt.

*



Eine Stunde später stand er jedoch im Foyer der Seniorenresidenz Waldfrieden. Er hatte beschlossen, zunächst zu versuchen, ob es ihm gelänge, einen Blick in das Zimmer von Erna Bräker zu werfen. Bevor er den Notar aufsuchte, wäre es gut zu wissen, ob auch dieser Todesfall, den er auch ohne die noch fehlende offizielle Bestätigung für einen Mord hielt, mit den beiden anderen zusammenhing. Er musste herausfinden, ob auch dieses Opfer regelmäßige Zahlungen des Notars empfing.

Die Rezeption war diesmal besetzt.

Er ging auf die junge Frau zu, die hinter dem Tresen saß und ihm freundlich entgegensah.

„Moin“, begann er. „Wäre es möglich, das Zimmer von Frau Bräker kurz zu sehen?“

„Ich erkenne Sie wieder“, antwortete sie. „Sie sind doch einer der Polizisten, die bei uns waren, nachdem die arme Frau Bräker vom Balkon gefallen war.“

Winkels ließ nur ein unverständliches Brummen hören.

Sie kam um den Tresen herum. „Ich schließe Ihnen auf.“

Das war ja leichter als erwartet. Winkels stieg hinter ihr die Treppe hoch. Der Zugang zu Frau Bräkers Zimmer war mit einem Flatterband in x-Form versperrt.

Vor der Tür fummelte die Angestellte einen Schlüsselbund aus der Tasche. „Ihr Kollege hat gesagt, dass die Spurensicherung heute Nachmittag das Zimmer gründlich untersuchen wird. Gehören Sie zu denen?“

„Ich suche nur etwas Spezielles. Die Kollegen werden viel gründlicher sein als ich.“

„Ach so.“

Die Tür sprang auf, und Winkels schob sich durch die Lücke des Flatterbandes, ohne es zu beschädigen.

Die junge Frau stand in der offenen Tür und sah ihm gespannt zu.

„Danke, das war sehr freundlich von Ihnen.“ Er drückte die Tür vor ihrer Nase ins Schloss.

Im Raum roch es nach abgestandener Luft, schwerem Parfüm und einer leichten Note von Eintopf. Er wagte es nicht, das Fenster zu öffnen oder den Balkon zu betreten. Als erstes zog er seine Handschuhe an, die er immer bei sich trug.

Winkels sah sich um. Es gab nur einen Schrank, der aussah, als würden wichtige Papiere in ihm aufbewahrt. Im oberen Teil befanden sich offene Regale, im unteren verschließbare Türen. Dort begann er.

Er hatte Glück. Bereits im ersten Fach standen diverse Ordner, und einer davon war mit Bank beschriftet. Auszüge und Korrespondenz waren chronologisch abgeheftet. Rasch blätterte er durch den Ordner, und nach kaum einer Minute hatte er gefunden, was er erwartet hatte.

Auch hier die gleiche Summe vom gleichen Notar!

Jetzt war für ihn jeder Zweifel ausgeräumt. Die Todesfälle hingen unmittelbar zusammen, und das Motiv für die Morde musste das Geld sein.

„Ich verwette meine Pension, dass es nur einen Täter gibt“, murmelte er, klappte den Ordner wieder zu und schloss die Schranktür.

Wenig später erinnerte nichts an seine Anwesenheit. Niemand würde vermuten, dass er der Spurensicherung zuvorgekommen war – bis auf die junge Frau an der Rezeption.

Doch auch in diesem Fall brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Sie hatte ihren Kittel abgelegt und sprach mit einer älteren Frau, die gerade ihren Kittel überstreifte. Die junge Frau sah ihn kommen.

„Das ging aber schnell!“, rief sie. „Ich mache gerade Feierabend. Ich war die halbe Nacht im Dienst und muss jetzt schnell nach Hause fahren.“

„Na, dann begleite ich Sie bis zum Parkplatz.“

*



Das Notariat befand sich gleich im Erdgeschoss des Bürohauses. Nach einer kurzen Treppe auf der rechten Seite. Gegenüber war eine Zahnarztpraxis, aus der das gedämpfte Summen eines Bohrers drang. Tjade Winkels verspürte sofort ein Ziehen im Gebiss.

Er klingelte, und ein Summer ertönte. Gleich darauf stand er in einem Empfangsraum, der ein wenig einschüchternd wirkte, und das sollte er wohl auch.

Holzvertäfelungen an den Wänden, englische Stiche unter Glas, Kristallleuchter, Mahagonimöbel und Sitzgelegenheiten im englischen Stil, die mit Leder bespannt waren. Bis auf eine ältere Dame hinter einem Schreibtisch war niemand im Raum.

Sie saß hinter einer alten Kugelkopf-Schreibmaschine, wie sie Winkels schon lange nicht mehr gesehen hatte. Dann fiel ihm ein, dass hier vermutlich ganz verschiedene Formulare ausgefüllt werden mussten, und dafür eignete sich eine Schreibmaschine sicher besser als ein moderner Computer. Den gab es hinter der Dame allerdings auch.

Sie hob den Kopf und blickte ihn streng an. Hoch toupierte Haare, konservatives graues Kostüm, weiße Bluse, und auf der spitzen Nase eine Brille, die an einer Kette hing, so dass man sie auch um den Hals tragen konnte.

Typus alte Jungfer, registrierte er.

„Sie wünschen?“

„Mein Name ist Winkels. Ich würde gern mit Herrn Haferkamp sprechen.“

Sie zog einen dicken Kalender zu sich heran und studierte eine Seite.

„Ich kann hier keinen Termin entdecken“, verkündete sie ungerührt.

„Es geht um eine Angelegenheit von großer Wichtigkeit. Eine kriminalpolizeiliche Angelegenheit.“

Sie dachte einen Augenblick über die Bemerkung nach.

„Welchen unserer Herren wollen Sie denn sprechen?“

„Den Vater, denke ich.“

Jetzt zog ein leichtes Lächeln um ihre Mundwinkel. „Da haben Sie Pech. Der alte Herr Doktor Haferkamp ist vor zwei Jahren gestorben.“

Winkels war irritiert. „Aber er steht noch im Firmennamen“, wandte er ein.

Sie schüttelte den Kopf. „Wieder falsch. Es handelt sich um zwei Brüder. Welcher soll es denn nun sein?“

Winkels fühlte sich ein wenig genervt. „Ich möchte mit dem sprechen, der für die Mandanten Papendieck, Köhler und Bräker zuständig ist.“

Sie betrachtete ihn weiter mit der Aufmerksamkeit einer Kobra. Die Namen schienen ihr geläufig zu sein.

„Deswegen hat sich bereits ein Kollege von Ihnen gemeldet. Doch am Telefon geben wir grundsätzlich keine Auskunft.“

Winkels spürte ein warmes Gefühl. Jeder schien zu glauben, dass er noch im aktiven Dienst war. Niemand wollte einen Ausweis sehen. Er gehörte wohl doch noch nicht zum alten Eisen.

„Das wäre dann Herr Doktor Carsten Haferkamp“, führte sie gerade aus. „Leider steht er im Moment nicht zur Verfügung. Er hat einen auswärtigen Termin mit einem Mandanten.“

Sie warf einen Blick auf die Wanduhr, ein offensichtlich antikes Stück in einem Messinggehäuse. „Er müsste jede Minute zurück sein. In der Zwischenzeit können Sie mir erzählen, worum es geht.“

„Das würde ich lieber mit dem Herrn Notar direkt besprechen“, kam Winkels´ spitze Antwort.

„Dann nehmen Sie bitte so lange Platz.“

Ehe er sich auf einem der Ledersessel niederlassen konnte, öffnete sich die Tür, und ein gut aussehender Mann zwischen vierzig und fünfzig Jahren betrat den Raum. Dreiteiliger Anzug mit Spitzentüchlein in der Brusttasche, auf Hochglanz polierte schwarze Schuhe, akkurat gescheiteltes Haar, leicht ergraut, rosige Gesichtsfarbe.

„Da bin ich wieder“, sagte er zu der Dame gewandt.

Dann fiel sein Blick auf Winkels. Er starrte ihn sekundenlang an. Dann zog ein Lächeln über sein Gesicht.

„Ich kenne Sie!“

Er schnippte mit den Fingern. „Ich hab´s gleich. Warten Sie! Ja, Sie sind Kommissar Winkels. Erinnern Sie sich?“

Winkels konnte sich nicht erinnern.

„Das ist lange her, fünfzehn oder zwanzig Jahre. Ich war ein ganz junger Anwalt und habe einen nichtsnutzigen Dieb vor Gericht verteidigt. Sie waren der Kommissar, der ihn verhaftet hat, und ich konnte Sie im Kreuzverhör nicht von Ihrer Meinung abbringen. Es war mein erster Fall vor Gericht, und ich habe ihn verloren. Daraufhin habe ich beschlossen, die Karriere als Strafverteidiger an den Nagel zu hängen.“

Er machte eine kreisende Handbewegung. „Das war eine gute Entscheidung, wie Sie hier sehen.“

Der ehemalige Hauptkommissar konnte sich beim besten Willen nicht an das Gerichtsverfahren erinnern. Er hatte zu oft als Zeuge vor Gericht gestanden, um jeden einzelnen Fall im Gedächtnis zu behalten.

Der Notar ging auf eine holzgetäfelte Tür im Hintergrund zu. „Kommen Sie! Gehen wir in mein Büro. Ich habe eine halbe Stunde Zeit.“

Tjade Winkels folgte ihm in ein großes Büro, das neben dem englischen Schreibtisch mit einem rechteckigen Konferenztisch für mindestens acht Personen ausgestattet war.

Haferkamp nahm hinter seinem Schreibtisch Platz.

„Nun, was kann ich für Sie tun?“

„Wir sind im Zusammenhang mit mehreren Todesfällen auf eine merkwürdige Tatsache, eine Gemeinsamkeit, gestoßen. Die Toten wurden ermordet, zwei davon mit Gewissheit, beim dritten steht das Ergebnis der Autopsie noch aus.“

„Ich habe in der Zeitung gelesen, dass es einige vermutliche Morde in unserer Stadt gab. Bei dem Bericht über eine Erna B. in der Seniorenresidenz Waldfrieden wusste ich sofort, dass es sich nur um meine Mandantin handeln konnte. Ich kannte sie persönlich. Eine nette und hilfsbereite Frau. Wer tut so etwas?“

„Da komme ich gleich zum Punkt. Die Genannte war tatsächlich Erna Bräker, die regelmäßig von einem Konto Ihrer Kanzlei Geldbeträge erhielt. Erhebliche Beträge.“

Er spürte, wie sich der Notar versteifte.

„Die beiden anderen Todesfälle“, fuhr er ungerührt fort, „betrafen Personen, die ebenfalls Geld von Ihnen erhielten. Die gleiche Summe zum gleichen Zeitpunkt. Wir gehen davon aus, dass es sich um ein Treuhandkonto handelt, das von Ihrer Kanzlei verwaltet wird.“

Es dauerte fast eine Minute, ehe sich Haferkamp zu einer Antwort entschloss.

„Ja, das ist richtig.“

Winkels beugte sich vor. „Wir sind uns einigermaßen sicher, dass diese Überweisungen uns zum Motiv für die Morde führen.“

„Sie sprachen von zwei weiteren Fällen. Bisher war mir nur klar, dass Frau Bräker gemeint war.“

„Die beiden anderen Toten sind Wilhelm Papendieck, der von der Leiter gestoßen wurde, und Walter Köhler, der im Krankenhaus ermordet wurde. Der Täter versuchte, die Morde wie einen Unfall oder einen natürlichen Tod aussehen zu lassen, doch das ist bei den heutigen Untersuchungsmethoden ziemlich schwierig zu bewerkstelligen.“

Haferkamp lehnte sich zurück. Seinem Gesicht war die Erschütterung über diese Information anzusehen. „Das ist ja furchtbar.“

„Wir würden nun gerne wissen, welche Bewandtnis es mit diesen Überweisungen auf sich hat.“

Haferkamp nahm einen Füller in die Hand und spielte gedankenverloren damit herum.

„Das ist eine schwierige Situation für mich“, sagte er schließlich. „Durch das Anwaltsgeheimnis sind mir die Hände gebunden.“

„Auch nach dem Tod?“

„Es gäbe eine Möglichkeit...“

„Woran denken Sie?“

Haferkamp legte den Stift wieder in die Federschale. „Alle Betroffenen haben bei mir ihre Testamente hinterlegt, und es gibt jeweils eine offizielle Testamentseröffnung. Bei dieser Gelegenheit könnten Sie ebenfalls erfahren, was der Verstorbene festgelegt hat. Ich könnte dafür sorgen, dass diese Eröffnungen sehr zeitnah erfolgen.“

Winkels nickte. „Wir haben allerdings noch ein viel gravierenderes Problem. Ich habe nämlich gehört, dass neben den drei Verstorbenen noch weitere Personen zu dieser Gruppe gehören sollen, die vermutlich ihre Testamente ebenfalls bei Ihnen hinterlegt haben.“

Er zog einen Zettel aus der Tasche. „Ich habe mir die Namen aufgeschrieben. Heinz Bartels, Karl Ahlsen und Martha Weber. Die beiden Herren wohnen ebenfalls in der Seniorenresidenz Waldfrieden. Gibt es für sie ein ähnliches Arrangement?“

Der Notar nickte zögerlich.

„Dann sind diese drei Genannten vermutlich in Lebensgefahr“, stellte Winkels mit ruhiger Stimme fest.

Haferkamp wurde blass um die Nase.

„Wieso?“ krächzte er.

„Ich denke, dass jemand hinter dem Geld her ist, das Sie diesen Leuten monatlich auszahlen, und wir müssen wissen, welche Regelung dahinter steckt. Wir müssen weitere Morde unbedingt verhindern, das verstehen Sie doch.“

Haferkamp druckste etwas herum.

„Ich kann Ihnen so viel sagen, dass es sich insgesamt um die genannten sechs Personen handelt, die durch diese Zahlungen miteinander verbunden sind.“

„Woher stammt das Geld?“

„Die sechs haben eine Tippgemeinschaft gebildet, und sie haben gewonnen.“

„Viel?“

Haferkamp nickte. „Sehr viel. Es war der Hauptgewinn. Sie haben vereinbart, dass jeder einen monatlichen Betrag von einem Treuhandkonto erhält, das wir eingerichtet haben.“

Winkels war einen Moment sprachlos.

„Gut. Das erklärt die regelmäßigen Zahlungen. Ich verstehe jedoch nicht, weshalb das ein Grund für die Morde sein könnte. Wenn ein Erbe an die Gewinnsumme herankommen will, ist doch nur ein Mord nötig, oder liege ich mit meinen Annahmen völlig falsch?“

Es fiel dem Notar sichtlich schwer, mit den Fakten herauszurücken.

„Ja und nein. Die sechs haben einen Pakt geschlossen. Die Einzelheiten habe ich jetzt nicht im Kopf, und ich dürfte sie Ihnen auch noch nicht verraten. Ich werde versuchen, die erste Testamentseröffnung in zwei Tagen abzuhalten. Dort können Sie erfahren, was dieser Pakt genau bedeutet. Für erste nur so viel: die Partner der Tipp-Gemeinschaft haben sich gegenseitig zum Erben eingesetzt. Wenn also einer von ihnen stirbt, geht das Geld an die übrigen Teilnehmer. Die normalen Erben sollen von diesem Gewinn nur ihren gesetzlichen Pflichtanteil erhalten, sonst nichts.“

„Ist das legal?“

Haferkamp nickte. „Ungewöhnlich vielleicht, aber durchaus legal. Der sogenannte Erblasser kann vererben, an wen er will. Die eigentlichen Erben haben letztlich nur einen Anspruch auf dieses Pflichtteil. Das könnte nur entfallen, wenn sie offiziell enterbt werden. Doch dazu muss es sehr gute Gründe geben.“

„Verstehe ich Sie richtig, dass der letzte übrig gebliebene dieser sechs dann alles erhält?“

Der Notar schüttelte den Kopf. „Nein, das war der Gemeinschaft dann wohl doch zu viel des Guten. Nach dem dritten Tod ist Schluss. Der Rest wird auf die drei Überlebenden verteilt und dann ganz normal weiter vererbt. Insofern denke ich, dass es keine weiteren Morde geben wird, falls jemand wirklich aus diesem Grund für die Todesfälle verantwortlich ist.“

Winkels dachte kurz nach.

„Nach dem jetzigen Stand der Dinge würden die noch lebenden Teilnehmer der Tipp-Gemeinschaft also jeweils den doppelten Anteil erhalten.“

„Das ist korrekt.“

„Dann wäre es logisch, den Täter unter den Erben dieser Personen zu suchen.“

„Ich bin kein Ermittler“, sagte Haferkamp steif.

„Gibt es überhaupt Erben?“

„Ja, ich glaube, schon. Wenn ich mich recht erinnere, ist nur Frau Weber kinderlos. Sie ist jedoch verheiratet und lebt mit ihrem Mann zusammen.“

Winkels erhob sich.

„Herr Doktor Haferkamp, Sie haben mir bei den Ermittlungen sehr geholfen. Jetzt können wir unsere Untersuchungen gezielt fortsetzen. Und vielleicht haben Sie dazu beigetragen, weiteres Unheil zu vermeiden, wenn es uns jetzt gelingt, dem Mörder rechtzeitig das Handwerk zu legen.“

Tjade Winkels fühlte sich sehr beschwingt, als er das Notariat verließ.

*



Der pensionierte Kriminalhauptkommissar fühlte sich in der Seniorenresidenz Waldfrieden schon fast wie zu Hause. Doch wenn er es recht bedachte, war es noch ein wenig früh für den Umzug in ein Altenheim.

Tjade Winkels hatte die Absicht, Helmut Stolte noch einmal aufzusuchen. Dieser Heimbewohner war sehr mitteilsam gewesen, und er hatte auch eine Menge gewusst. Vielleicht konnte er ihm ebenfalls Informationen zu den Erben der bisher überlebenden Seniorentruppe liefern. Tjade wollte erst mit Dröver reden, wenn er mehr wusste.

Tjade brauchte nur einmal zu klopfen, dann stand der Rentner schon vor ihm. „Ah, der Herr Kommissar! Moin übrigens! Kommen Sie herein.“

Winkels folgte ihm in den Raum, der noch genauso aussah wie bei seinem ersten Besuch.

„Wir gehen auf den Balkon“, empfahl Stolte. „Dort gibt es jetzt Schatten, und man ist an der Luft.“

Winkels nahm auf dem angebotenen Korbstuhl Platz. Stolte ließ sich gegenüber nieder und sah ihn gespannt an. „Sie haben sicher noch weitere Fragen. Ich habe in der Zwischenzeit viel nachgedacht, und ich kann mir immer noch nicht vorstellen, dass die arme Erna gesprungen sein soll. Sie war doch noch so lebenslustig! So jemand nimmt sich doch nicht das Leben, oder was meinen Sie?“

„Es wird noch ermittelt“, gab Tjade vage zur Antwort.

Stolte nickte verständnisvoll.

„Ich habe jede Zeile in den Zeitungen gelesen, und es ist kein angenehmer Gedanke, dass ein Mörder frei herumläuft, der es auf alte Menschen abgesehen hat.“

„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Der Mörder hat es nur auf ganz bestimmte Menschen abgesehen.“

Jetzt war Stoltes Neugier in höchstem Maße geweckt. Er leckte sich über die Lippen. „So?“

Winkels ging nicht weiter auf diesen Aspekt ein.

„Uns interessieren einige andere Insassen dieses Heimes. Sie haben mir ja von dieser Gruppe erzählt...“

„Ja, und die Hälfte von ihnen ist tot“, unterbrach Stolte.

Winkels ließ sich nicht beirren. „Sie haben mir die Namen der Mitglieder dieser Gruppe genannt, zum Beispiel Karl Ahlsen und Heinz Bartels. Über sie würde ich gern mehr erfahren.“

„Die Martha gehört auch noch dazu.“

„Martha Weber, ich weiß. Darauf komme ich später zurück. Bleiben wir doch bei den beiden Herren. Wissen Sie, ob es Kinder oder Enkelkinder gibt?“

Stolte nickte heftig. „Karl Ahlsen hat zwei Söhne.“

„Wie alt sind sie?“

„Sie waren beide schon hier, aber nie zusammen und nicht sehr oft. Sie dürften so Mitte Vierzig sein, nicht weit auseinander. Ihre Namen kenne ich nicht. Karl hat immer nur von dem verdammten Pack gesprochen. Sie stammen von seiner ersten Frau, die schon lange tot ist. Seine zweite Frau hat sich scheiden lassen, und Karl hat immer geklagt, dass daran nur die beiden Nichtsnutze schuld seien.“

„Leben die beiden in Aurich?“

„Ich glaube, schon. Karl hat immer erklärt, dass sie zu faul zum Arbeiten seien. Er würde schon verhindern, dass sie nach seinem Tod ihr Lotterleben auf seine Kosten fortsetzen könnten. Ich weiß nicht, wie er das gemeint hat, aber so hat er es ausgedrückt.“

Winkels musste sich Mühe geben, aus dem Gehörten keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen. Es galt immer noch die Unschuldsvermutung.

„Gab es außer den beiden noch andere Erben? Enkel oder Geschwister?“

„Er hat nie etwas von Geschwistern erzählt. Enkel gibt es meines Wissens nicht.“

Winkels überdachte die Informationen, ehe er fortfuhr.

„Wissen Sie auch, wie es bei Herrn Bartels mit der Verwandtschaft steht?“

Stolte lehnte sich zurück und starrte in den Park, der das Seniorenheim umgab.

„Heinz hat zwei Kinder. Eine Tochter, die verheiratet ist und ebenfalls zwei Kinder hat, wenn ich mich recht erinnere. Sie lebt mit ihrer Familie in Oldenburg und ist selten hier. Dann hat er noch einen Sohn. Der muss um die dreißig sein und lebt bei seiner Stiefmutter.“

„Also bei der Frau von Heinz Bartels?“ vergewisserte sich Winkels.

„Genau! Also bei seiner zweiten Frau. Die erste ist schon vor längerer Zeit gestorben.“

Stoltes Augen glänzten. Die saftigen Geschichten schienen seine Lebensgeister zu wecken.

„Sie hat seit Jahren mit Heinz kein Wort mehr gesprochen. Den Grund kenne ich allerdings nicht. Der Sohn, Holger, kommt gelegentlich vorbei. Viel zu sagen hat er sich auch nicht mit seinem alten Herrn.“

„Etwas ungewöhnlich, wenn ein dreißigjähriger Mann noch bei seiner Mutter beziehungsweise bei seiner Stiefmutter lebt“, stellte Winkels fest. „Hat er keine Partnerin?“

Stolte zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Jedenfalls kommt er immer allein. Heinz hat mir mal erzählt, dass sein lieber Sohnemann nur hinter dem Geld her ist. Er hätte nichts Vernünftiges gelernt und gibt das bisschen Geld, das er verdient, für Alkohol und Zigaretten aus. Bei seiner Stiefmutter wohnt er umsonst. Ihr gehört das Haus, in dem sie leben. Die beiden scheinen ein Herz und eine Seele zu sein.“

Er unterbrach sich. „Es gibt da so Gerüchte...“

„Was für Gerüchte?“

„Na, dass der Holger und seine Stiefmutter... Sie wissen schon..“

Winkels gab nicht viel auf Gerüchte und ähnlichen Klatsch.

„Hat Herr Bartels denn auch darüber gesprochen, ob er ein Testament hat?“

„Jetzt, wo Sie fragen – das ist schon merkwürdig. Er hat ganz ähnlich darüber gesprochen wie Karl Ahlsen.“

„Das heißt?“

„Er wollte dem Erbschleicher, wie er sich ausdrückte, am liebsten gar nichts hinterlassen. Dabei grinste er und meinte, dass der Kerl sich wundern würde. Ich weiß jedoch nicht, was er damit gemeint hat“

Ich schon, dachte Tjade Winkels. Die Tippgemeinschaft hatte offenbar gute Gründe für den Pakt, der nach dem Gewinn geschlossen worden war.

Ihm schwirrte der Kopf von den vielen Namen der Beteiligten einschließlich ihrer Erben. Er musste Ordnung in diese Beziehungen bringen.

Es wurde Zeit, die Neuigkeiten mit Hauptkommissar Dröver auszutauschen.


Lotterie für Killer: 7 Strand Krimis

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