Читать книгу Kubinke und der Sturm: Kriminalroman - Alfred Bekker - Страница 10
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Rudi und ich flogen am nächsten Morgen vom Flughafen Tegel aus mit einer Kleinmaschine nach Wilhelmshaven. Förnheim und Wildenbacher würden erst eine Maschine am Nachmittag nehmen, da sie noch ein paar Voruntersuchungen abschließen wollten, für die sie besser in Quardenburg ausgestattet waren, als dies am Zielort der Fall sein würde.
Eine Beamtin der Wilhelmshavener Polizeidienststelle empfing uns am Flughafen.
„Polizeiobermeisterin Tanja Dettmer”, stellte sie sich vor. „Sie sind?”
„Kriminalinspektor Harry Kubinke. Dies ist mein Kollege Kriminalinspektor Rudi Meier”, gab ich Auskunft.
„Ich hatte eigentlich erwartet, dass ...” Sie brach ab und ihr Blick schweifte suchend umher.
„Wen suchen Sie?”, fragte ich.
„Ich dachte, Sie wären zu viert. Jedenfalls hat man mir das gesagt.”
„Dr. Förnheim und Dr. Wildenbacher werden mit einer späteren Maschine kommen. Das ist kurzfristig umdisponiert worden.”
„Oh ...”
Ich hob die Augenbrauen.
„Irgendwie habe ich den Eindruck, dass Sie ziemlich enttäuscht sind.”
Ihr Lächeln wirkte auf eine durchaus charmante Art und Weise verlegen.
„Sieht man das so deutlich? Wir sind natürlich sehr froh, dass Sie da sind und sich dieses Falles annehmen, Herr Kubinke.”
„Da bin ich ja froh!”
„Aber um ganz ehrlich zu sein: Ich hatte eigentlich gehofft, Dr. Förnheim zu treffen und deswegen sogar mit einem Kollegen getauscht, der eigentlich dazu eingeteilt war, Sie abzuholen. Irgendjemand scheint da die Information nicht weitergegeben zu haben.”
„Kann ja passieren”, meinte Rudi.
„Kennen Sie Förnheim?”, fragte ich, während wir bereits die Flughafenhalle verließen.
„Ja, ich meine nein. Ich meine ...”
„Was denn nun: Ja oder nein?”
„Also ich kenne ihn, aber er mich vermutlich nicht, beziehungsweise, er wird sich nicht an mich erinnern. Wie soll ich Ihnen das jetzt einigermaßen plausibel erklären? Also es ist so, ich bin bei der Spurensicherung. Vorletztes Jahr habe ich einen Fortbildungskurs auf der Akademie in Quardenburg mitgemacht, der dort für die Angehörigen regionaler Polizeibehörden durchgeführt wird. Und bei dieser Gelegenheit habe ich Dr. Förnheims faszinierende Tatort-Methodik kennenlernen dürfen.”
Sie hatte gelocktes, bis über die Schultern reichendes brünettes Haar und grüne Augen. Und in diesem Moment leuchteten diese Augen auf eine Weise, die mehr als viele Worte deutlich machte, wie sehr sie Förnheim offenbar verehrte.
„Ich bin überzeugt davon, dass sich noch eine Gelegenheit ergeben wird, FGF kennenzulernen”, versicherte ich.
„FGF? Friedrich G. Förnheim? Natürlich! So nennen Sie ihn? Das ist schon witzig. Klingt fast wie eine chemische Formel.”
Tanja Dettmer fuhr uns mit ihrem Dienstfahrzeug zur Polizeidirektion in der Mozartstraße.
Unterwegs redete Tanja Dettmer beinahe ununterbrochen. Sie wirkte ziemlich quirlig und irgendwie kam sie immer wieder auf Förnheim zurück.
„Hat FGF - wenn Sie gestatten, dass ich ihn so nenne, wie Sie das tun - auch etwas mit den Ermittlungen im Fall des Giftmischers von Berlin zu tun? Ich habe darüber in der Fachpresse gelesen, wissen Sie, ich bilde mich nämlich regelmäßig weiter.”
„Also, ich gestatte Ihnen ja gerne, unseren Kollegen FGF zu nennen, nur bin ich mir nicht sicher, ob er nicht möglicherweise was dagegen hätte.”
„Oh ...”, machte sie. „Ja, Sie haben vielleicht recht. Wissen Sie, hier in der Gegend sind wir eher unkonventionell und locker, aber Dr. Förnheim hatte während dieser Fortbildung, an der ich teilhaben durfte, durchaus einen Hang zum Förmlichen.”
„Ja, das hat er”, bestätigte ich.
„Sie müssen schon entschuldigen, es ist natürlich vollkommen unhöflich, dass ich die ganze Zeit über Ihren Kollegen rede und Sie dabei völlig vernachlässige ...”
„Ich kann damit leben”, versicherte ich milde lächelnd. „Und was das Genie unseres Kollegen betrifft, so teile ich Ihre Ansichten vollkommen. Rudi und ich sind auch immer wieder von der außergewöhnlichen Qualität seiner Arbeit angetan.“
„Herr Kubinke, ich ...”
„Nennen Sie mich ruhig Harry! Das macht es etwas unkomplizierter.”
„Harry! Sie sind doch wegen des bislang nicht identifizierten Toten hier, der in dem Gebiet gefunden wurde, das von der Sturmschneise ziemlich heftig zerstört worden ist.”
„Exakt.”
„Und was die Todesursache angeht, dürfte ja inzwischen feststehen, dass es sich um ein Verbrechen des sogenannten ‘Stechers’ handelt. Ich habe Dr. Förnheim eine Mail dazu geschrieben, nachdem ich die vorläufige Analyse des Labors auf dem Tisch hatte. Er hat sich dazu nicht bei mir zurückgemeldet, aber nach meinem bisherigen Wissensstand scheint man in Quardenburg meine Schlussfolgerung zu teilen. Schließlich gehen Sie ja auch offenbar von einer Täterschaft des Stechers aus.”
„Ich hatte eigentlich gedacht, die Einzelheiten mit Hauptkommissar Jansen und Kommissar Pedersen zu besprechen - aber da Sie anscheinend ja auch tief in die Materie eingearbeitet sind und wir ohnehin schon darüber reden, kann ich dazu nur Folgendes sagen: Die Sache mit dem Stecher ist eine Arbeitshypothese. Es spricht viel dafür, dass sie zutrifft, und wir haben bereits alle fahndungstechnischen Hebel in Bewegung gesetzt, um in dieser Sache weiter zu kommen.”
Sie hob die Augenbrauen und sah mich einige Augenblicke länger an, als ich das in diesem Moment gut finden konnte. Schließlich saß sie am Steuer eines Fahrzeugs und Wilhelmshaven ist zwar nicht Hamburg oder Berlin, aber genug Verkehr, um seine Aufmerksamkeit am besten möglichst zu 99 Prozent auf das Straßengeschehen zu konzentrieren, gab es hier allemal auch.
„Dann schließen Sie nicht aus, dass es auch eine andere Ermittlungsrichtung geben könnte, die uns am Ende zum Ziel führt?”
„Warum sollt man das zu einem so frühen Zeitpunkt bereits ausschließen?”, gab ich zurück. „Schließlich ist der Ausschluss von alternativen Ermittlungsrichtungen der mit Abstand häufigste Fehler, der in der Polizeiarbeit gemacht wird.”
„Ich meine ja nur. Wenn es dieser Profikiller wäre, der als Stecher bezeichnet wird, würde das durchaus ins Bild passen.”
„Wie meinen Sie das?”
„Ich habe heute noch mit einem Kollegen aus der Abteilung für organisiertes Verbrechen gesprochen, und er hat meine Ansicht bestätigt. Wilhelmshaven und die ganze Küste scheinen im Moment ein umstrittenes Gebiet zwischen verschiedenen Syndikaten zu sein. Billiger Stoff wird auf den Markt geworfen, mit dem offenbar Drogenbanden Marktanteile an sich reißen.”
„Und die alteingesessenen Banden wollen das verhindern”, schloss ich.
„Ganz genau.”
„Aber so etwa kommt immer wieder vor, und auch wenn es bei solchen Verteilungskämpfen manchmal sehr blutig zur Sache geht, ist das eher etwas für die groben Jungs von der Straße - nicht für einen Auftragsmörder der Extra-Klasse, wie man den Stecher ja wohl sehen muss.”
„Sie meinen, so einer wird nur engagiert, wenn es wirklich um etwas geht?”
„Für alle anderen ist er einfach zu teuer.”
„Vielleicht ging es hier ja um so eine ganz große Sache, bei der sehr viel für alle Beteiligten auf dem Spiel stand.”
„Warten wir einfach ab, was die weitere Fahndung ergibt, anstatt dass wir Mutmaßungen anstellen“, sagte ich.
„Mal was ganz anderes”, mischte sich jetzt Rudi in unser Gespräch ein, der die Fahrzeit genutzt hatte, um ein Laptop aufzuklappen und ein paar Dinge zu erledigen, für die wir sonst unsere Büros in Berlin hatten. „Wir brauchen ein vernünftiges Fahrzeug für unseren Einsatz hier.”
„Steht alles für Sie bereit”, erklärte Tanja Dettmer. „Allerdings muss ich gestehen, dass ich über die Einzelheiten jetzt nicht so genau informiert bin. Das hat mein Kollege erledigt.”
„Ich verstehe”, murmelte Rudi.
Irgendwie schien ihm die quirlige Erkennungsdienstlerin etwas auf die Nerven zu gehen.