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7. Kapitel

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Die strenge Dame im Vorzimmer von Notar Haferkamp beäugte Tjade Winkels über den Rand ihrer Brille, als sähe sie ihn zum ersten Mal.

„Sie müssen warten, bis die Testamentseröffnung vorbei ist, dann hat Herr Doktor Haferkamp Zeit für Sie.“

„Kein Problem“, entgegnete Winkels und setzte sich auf einen der Stühle, die für Besucher vorgesehen waren. Er kam sich vor wie im Wartezimmer eines Arztes, auch wenn die Farbgebung hier eine andere war.

Auf einem kleinen Tisch standen eine Flasche stilles Mineralwasser und einige Gläser, die eine ganz leichte Staubschicht aufwiesen. Winkels lächelte belustigt.

Ein tödlicher Blick traf ihn, als hätte er etwas Unanständiges gesagt. „Finden Sie mich komisch?"

„Oh, nein. Ich habe nur über ein paar Dinge nachgedacht. Das hatte nichts mit Ihnen zu tun.“

Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit, doch er merkte, dass sie ihn unauffällig weiter im Auge behielt.

Plötzlich flog die Tür zum Büro des Notars weit auf. Ein Mann stürzte heraus. Geballte Fäuste, ein vor Wut verzerrtes Gesicht.

Werner Papendieck.

„Das lasse ich mir nicht bieten!“ brüllte er.

Seine Frau folgte ihm. „Liebling, bitte!“

Sie sah Winkels und warf ihm einen hilflosen Blick zu. Ihr Mann erkannte ihn im gleichen Augenblick.

„Was haben Sie denn hier zu suchen?“

Sein Zorn schien ein neues Opfer gefunden zu haben. „Sind Sie etwa dafür verantwortlich? Ist das Ganze eine Intrige, die in diesem verdammten Altenheim ausgeheckt wurde?“

Seine Frau legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Liebling, beruhige dich. Wir besprechen das in aller Ruhe.“

Werner Papendieck zitterte am ganzen Körper. Sein Atem ging heftig.

„Ich kann mich nicht beruhigen. Der alte Narr hat mich um mein Erbe gebracht, und ich wette, dass ihm das nicht allein eingefallen ist.“

Damit hast du vermutlich sogar Recht, dachte Winkels.

„Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen“, sagte Winkels mit unschuldiger Miene.

„Ich lasse mich nicht betrügen!“ schrie er, während seine Frau ihn aus der Tür drängte.

Hinter ihnen war eine ganze Gruppe von Menschen stehen geblieben und hatte das Geschehen beobachtet. Eine Familie mit zwei Kindern, Mädchen zwischen zehn und zwölf Jahren, die sich dicht an ihre Mutter drängten.

Erne Bräkers Tochter? Nein, deren Kinder müssten älter sein. Außerdem gab es nach den Unterlagen keinen Mann.

Also Walter Köhlers Sohn mit seiner Frau und seinen Kindern.

Die Eltern sahen recht glücklich aus. Sie schienen mit dem Erbe zufrieden zu sein. Sie folgten Papendiecks Sohn und seiner Frau erst in gewissem Abstand. Es sah aus, als hätten sie keine Lust, ein Gespräch zu suchen. Die Frau nickte im Vorbeigehen dem ehemaligen Hauptkommissar freundlich zu, hatte aber offensichtlich keine Ahnung, wer er war.

Eine Befragung dieser Familie konnte er sich schenken, entschied Winkels. Das konnte er getrost seinem Nachfolger überlassen.

Doktor Haferkamp stand im Türrahmen seines Büros und hatte die Szene mit angesehen. Er schüttelte den Kopf und gab Winkels ein Zeichen.

Winkels folgte dem Notar in dessen Büro.

„Werner Papendieck hat das Testament nicht so gut aufgenommen“, erklärte Haferkamp und sortierte die verstreuten Unterlagen auf dem Konferenztisch.

„Ist mir nicht entgangen. Dann können Sie mir jetzt verraten, worum es geht.“

„Ich habe die drei Testamentseröffnungen zusammen erledigt. Es sind ja auch alle Erben gemeinsam betroffen. Nur Herr Papendieck war nicht zufrieden.“

„Wie haben die anderen denn reagiert, als sie von den Bestimmungen des Testamentes erfuhren?“

Haferkamp spielte mit seinem Füllfederhalter.

„Die Familie von Walter Köhler haben Sie ja noch gesehen und sich vermutlich selbst ein Urteil gebildet.“

Winkels nickte. „Sie schienen sehr zufrieden zu sein. Der Geldsegen kam für sie offensichtlich völlig unerwartet, und sie nahmen es dem Verstorbenen nicht übel, dass seine Tippgemeinschaft den Hauptteil erhielt. Ohne diese Gruppe hätte es vermutlich überhaupt keinen Gewinn gegeben. Und die Erben von Frau Bräker?“

„Die Tochter von Frau Bräker war mit ihrem Sohn hier, also dem Enkel der Verstorbenen. Die beiden waren mit der Nachricht zufrieden, dass sie nur den ihnen zustehenden Pflichtteil erbten. Sie waren völlig überrascht, dass sie überhaupt so viel bekamen. Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht wussten, was die alte Dame auf dem Konto hatte. Sie haben kein Wort darüber verloren, wieso die Hälfte des Erbes an jemanden anderen ging. Ich glaube, der Enkel hatte Mühe, sich die geerbte Summe überhaupt vorzustellen. Ihren Fall hatte ich als ersten verhandelt, und sie sind sofort danach gegangen, ohne abzuwarten, was die übrigen Anwesenden betraf.“

Er lächelte. „Vielleicht wollten sie gleich mit dem Geldausgeben anfangen.“

„Über wieviel Geld reden wir eigentlich?“ fragte Winkels, der seine Neugier nicht länger bezähmen konnte.

„Ich vermute, das wird auch Sie überraschen“, begann der Notar und machte eine Pause, als wolle er die Spannung künstlich steigern.

„Es geht insgesamt um eine Summe von etwas über acht Millionen Euro. Die Tippgemeinschaft hatte an jenem Wochenende als einzige die richtige Zahl, und der Hauptgewinn war in den Wochen davor immer höher geklettert. Ich wundere mich, dass es den sechs Gewinnern gelungen ist, das Geheimnis so lange zu bewahren, sogar vor ihren Kindern und Enkeln.“

Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu. „Doch das war vermutlich auch der Sinn der ganzen Sache.“

Winkels ließ sich auf einen der Sessel fallen. Damit hatte er nicht gerechnet.

„Über acht Millionen?“

„Ja, und die Hälfte davon wird jetzt an die übrigen drei Gewinner verteilt. Da bleibt für jeden eine beträchtliche Summe. Die Vereinbarung, die ursprünglich getroffen wurde, bezieht sich übrigens auch nur auf die Gewinnsumme. Das normale Erbe ist davon nicht betroffen.“

„Dafür hätte wohl auch niemand mehrere Morde riskiert“, vermutete Winkels.

In seinem Kopf rasten die Gedanken. Nie im Leben hätte er geglaubt, dass es um solche Summen ging. Das musste Auswirkungen auf ihre Überlegungen haben, was eine mögliche Täterschaft betraf.

Plötzlich waren auch die direkten Erben der drei Todesopfer wieder in den Fokus gerückt.

War doch einer von ihnen der Mörder? Wollte er mit mehreren Morden verschleiern, um welches Erbe es in Wirklichkeit ging?

Es wurde Zeit, die weiteren Schritte mit Uwe Dröver zu besprechen. Winkels sah auf seine Uhr. Mittagszeit – er war lange nicht mehr in der Polizeikantine gewesen.

*

„Der Chef ist in der Kantine“, beantwortete eine Assistentin im Großraumbüro seine Nachfrage.

Es versetzte Winkels einen leichten Stich. Früher war er hier der Chef gewesen. Es wurde allmählich Zeit, diese alten Gedanken abzuschütteln.

Den Weg kannte er im Schlaf. Als er eintrat, gab es verschiedene Reaktionen. Einige grüßten freundlich mit einem Handzeichen, andere wandten den Blick ab, als hätte er Lepra.

Hauptkommissar Uwe Dröver verdrehte leicht die Augen, als er ihn kommen sah. Vielleicht störte es ihn, dass sie zusammen in der Kantine gesehen wurden.

Winkels nahm sich ein Tablett und bestückte es mit einem belegten Brötchen und einer Tasse Kaffee aus dem Automaten.

„Der Kaffee geht aufs Haus“, sagte die Dame an der Kasse grinsend und verlangte nur den Preis für das Brötchen.

„Danke“, entgegnete Winkels und zwinkerte ihr zu. Sie versah hier ihren Dienst, seit er denken konnte.

Er setzte sich seinem Nachfolger gegenüber und schüttelte ihm die Hand. Der Kaffee war ungewöhnlich heiß. Hatte man die Maschine repariert?

Winkels biss in sein Brötchen.

„Es gibt Neuigkeiten“, sagte er mit halbvollem Mund.

„Du zuerst!“

Winkels verputzte seine Mahlzeit, ehe er Dröver erzählte, was er in der Zwischenzeit erfahren hatte. Die größte Überraschung hatte er sich für den Schluss aufgespart.

„Mehr als acht Millionen? Im Ernst?“

Drövers Erstaunen war womöglich noch größer als das seines Vorgängers. „Das ändert einiges, oder?“

Winkels nickte. „Ich denke, wir müssen uns alle Beteiligten noch einmal genau ansehen und überprüfen. Tragen wir doch mal zusammen, was wir inzwischen wissen.“

„Einverstanden! Beginnen wir mit den Erben der noch lebenden Lottospieler.“

Tjade nahm seine Finger bei der Aufzählung zu Hilfe.

„Da wäre als erstes Holger Bartels, einziger Sohn des Ermordeten. Ein unangenehmer Kerl, der merkwürdigerweise bei seiner Stiefmutter lebt, also bei der zweiten Frau von Heinz Bartels. Ich weiß, dass man nicht nach Äußerlichkeiten urteilen soll, aber dem würde ich einiges zutrauen.“

Dröver verzog das Gesicht. „Da haben wir schon das erste Problem. Meine Leute haben inzwischen die Hintergründe aller Verdächtigen oder der sonstigen Beteiligten ausgeleuchtet. Holger Bartels hat für den Mord an Erna Bräker ein bombensicheres Alibi. Er war in der fraglichen Zeit und auch weit darüber hinaus auf dem Trainingsplatz seiner Fußballmannschaft. Zahlreiche Zeugen haben ihn dort gesehen. Er hat den Platz nicht verlassen. Er kann nicht unser Mörder sein.“

„Was ist mit den beiden anderen Morden?“

„Dazu haben wir keine Erkenntnisse. Wir haben in der Nachbarschaft von Papendieck in allen Häusern nachgefragt. Niemand hat einen Verdächtigen gesehen oder etwas Ungewöhnliches beobachtet. Ähnlich ist es im Fall von Walter Köhler. Wir haben Dutzende von Mitarbeitern des Krankenhauses befragt. Außer dem Patienten, der in Köhlers Zimmer lag, gibt es keine weiteren Zeugen.“

Winkels war enttäuscht. Denn Holger Bartels war nach seiner ersten Einschätzung sein Verdächtiger Nummer eins.

„Dann haben wir noch die beiden Söhne von Karl Ahlsen. Thorsten ist anscheinend im Urlaub. Eine Zeugin hat ihn mit Gepäck wegfahren sehen. Er ist bisher nicht wieder aufgetaucht.“

„Das überprüfen wir“, warf Dröver ein.

„Rolf Ahlsen ist für mich ein echter Verdächtiger. Er hat eine Freundin, die im Gegensatz zu ihm auskunftsfreudiger war. Ich kann es nicht beweisen, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir in seinem Fall näher hinsehen sollten. Martha Weber, die dritte der Überlebenden, hat keine Kinder, soweit ich weiß.“

„Das ist richtig.“ Dröver schob seinen leer gegessenen Teller beiseite. „Sie lebt mit ihrem Ehemann zusammen, der seit Jahren im Rollstuhl sitzt. In ihrem Fall sehen wir nicht den geringsten Verdachtsmoment, zumal sie nach ihrer Aussage einen Teil Ihres Erbes dem Seniorenheim vermacht.“

Winkels richtete sich auf. „Gibt es in der Beziehung womöglich einen Verdacht?“

Dröver winkte ab. „Unwahrscheinlich. Das Heim gehört einer Stiftung. Da hätte niemand einen persönlichen Vorteil.“

„Na, schön. Dann sehen wir uns in Anbetracht der Summe auch die Erben der bereits Verstorbenen an. Papendiecks Sohn Werner hat sich beim Notar furchtbar darüber aufgeregt, dass er nur den Pflichtteil bekommt. Walter Köhlers Sohn und seine Familie schienen dagegen sehr zufrieden mit ihrem Erbe zu sein. Allerdings wussten wohl beide nichts vom Umfang der Erbschaft.“

„Und die Bräker?“

„Erna Bräkers Tochter und Enkel halte ich nicht für verdächtig. Ich glaube, ich habe im Lauf meiner Karriere viele Erfahrungen gesammelt, was Verdächtige angeht, und meiner Meinung nach gehören die beiden nicht zu diesem Kreis.“

„Wir sind also nicht wirklich schlauer nach all diesen Erbschaftsgeschichten“, stellte Dröver fest.

„Einen Punkt möchte ich noch zu bedenken geben.“ Tjade Winkels hatte die Hartnäckigkeit eines Ermittlers im Blut, und er hörte ungern auf, ehe er nicht alles ausgelotet hatte.

„Wir gehen davon aus, dass die drei Überlebenden, wenn wir sie so nennen wollen, jetzt nicht mehr gefährdet sind, weil der Mörder unserer Ansicht nach sein Ziel erreicht hat, und es keinen Sinn für ihn hätte, eine weitere Person dieser Gruppe zu töten. Was aber, wenn wir uns irren? Wenn der Täter falsche Spuren legen will, oder wenn es doch ein Wahnsinniger ist, der Rentner umbringt?“

Dröver grinste. „Du wirst es nicht glauben, doch daran habe ich bereits gedacht. Ich habe einen meiner jungen Leute als Hilfskraft im Heim eingeschleust, natürlich mit Wissen der Heimleitung. Er wird ein Auge auf die möglichen Opfer haben. In seiner Funktion kann er sich frei bewegen, und er wird niemanden auffallen. Er hat sich die Fotos von allen Beteiligten eingeprägt, die wir uns besorgt haben.“

„Dann habe ich noch eine letzte Frage“, sagte Winkels nach kurzer Überlegung.

„Und welche?“

„Wenn ihr Fotos von allen Beteiligten habt, würde ich gern bei dem einen oder anderen nachfragen, ob nicht doch jemand eine Person gesehen hat, die irgendwie aufgefallen ist. Vielleicht erkennt jemand vom Personal im Krankenhaus oder im Seniorenheim eines der Gesichter wieder. Es ist zwar nur eine kleine Chance und bedeutet viel Lauferei, doch das gehört nun mal zu unserer Arbeit wie das Aktenstudium.“

Dröver erhob sich. „Komm mit nach unten. Wir haben die Fotos, die du brauchst, auf dem Computer. Ich kann sie dir auf dein Smartphone kopieren. Sie stammen vom Einwohnermeldeamt oder von der Führerscheinstelle. Manche der Passfotos sehen den realen Personen jedoch nur entfernt ähnlich.“

„Ich weiß, doch ich versuche es trotzdem.“

*

Nichts im Seniorenheim Waldfrieden verriet, dass hier ein Mord stattgefunden hatte. Das freundliche Sommerwetter tat ein Übriges, um die furchtbare Erinnerung an den tödlichen Sturz von Erna Bräker vergessen zu lassen.

Tjade Winkels durchquerte das Foyer. Am Empfang war auch diesmal niemand zu sehen. Auf dem Grundstück hinter dem Gebäude saßen vereinzelt ältere Herrschaften auf Gartenmöbeln, genossen die Sonne oder unterhielten sich mit anderen Bewohnern. Tjade hatte sich erinnert, dass Heinz Bartels und Karl Ahlsen im Erdgeschoss wohnten. Das waren die Zimmer mit der Terrasse, die voneinander durch einen Sichtschutz getrennt waren.

Er hoffte, sie hier möglichst unauffällig aufsuchen zu können, ohne dem getarnten Kripobeamten aufzufallen, der ihn möglichweise für einen Verdächtigen halten würde.

Er ließ seinen Blick über die offenen Terrassen schweifen. Einige waren unbesetzt, in anderen waren Frauen zu sehen, doch dann…

Sein Blick saugte sich förmlich fest an den beiden älteren Herren, die an einem runden Gartentisch saßen und die Köpfe zusammensteckten, als ob sie ein Gespräch führten, das niemand belauschen sollte.

Entschlossen überwand er die Strecke zu der Terrasse, nur zwei Zimmer entfernt von der Stelle, an der Erna Bräker zu Tode gekommen war.

Sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie ihn nicht kommen sahen.

„Herr Bartels!“ rief Winkels auf gut Glück.

Einer der beiden hob irritiert den Kopf. Ein scharfer Blick aus blauen Augen traf den ehemaligen Hauptkommissar. Sie saßen in einem faltigen Gesicht zwischen einer breiten Nase und einer hohen Stirn unter strubbeligem weißem Haar. Der Mann war bestimmt schon deutlich über achtzig, hielt sich aber sehr aufrecht. Trotz der Wärme trug er eine graue Strickjacke, die aussah, als würde er sie schon sehr lange besitzen.

Der zweite Mann war etwas im gleichen Alter, wirkte aber gebrechlicher. Neben seinem Stuhl lehnte ein Gehstock am Tisch.

„Und Sie müssen Karl Ahlsen sein.“

Die beiden warfen sich einen raschen Blick zu.

„Polizei?“ fragte Bartels.

„Könnte man so sagen.“

„Was wollen Sie noch? Wir haben doch schon mit einem Ihrer Leute gesprochen und alles erzählt, was wir wissen.“

Tjade Winkels konzentrierte sich auf Heinz Bartels. Er schien hier der Wortführer zu sein.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

„Wenn´s sein muss…“

Winkels griff sich einen der freien Stühle, auch wenn er offensichtlich nicht besonders willkommen war. Er hatte sich schon lange ein dickes Fell zugelegt.

„Ich möchte Sie nur fragen, ob Sie einen Verdacht haben, wer Ihre Freude umgebracht haben könnte. Man denkt doch darüber nach.“

Die beiden sahen sich wieder an. Falls sie zum alten Menschenschlag in diesem Landstrich gehörten, war übertriebene Mitteilsamkeit keine ihrer bevorzugten Eigenschaften, das wusste Winkels sehr gut.

„Jemand kann nicht warten“, bequemte sich Ahlsen schließlich zu einer Aussage.

„Sie meinen, auf das Erbe?“

Beide nickten wortlos.

„Und wer könnte das sein?“

Gemeinsames Schulterzucken. Hier würde er nichts erfahren. Vielleicht hatten die alten Herren durchaus eine Ahnung, doch möglicherweise betraf es ihre eigenen Nachkommen, und das wollten sie lieber für sich behalten.

Tjade Winkels verabschiedete sich, was mit einem kommentarlosen Nicken beantwortet wurde.

Er ging durch das Foyer zurück. Am Empfangstresen saß diesmal eine junge Frau, die auf einen Bildschirm starrte.

Einen Versuch war es wert. Er änderte seine Richtung. Sie hob den Kopf, als er vor ihr stand.

„Sie erinnern sich an mich?“

Sie musterte ihn kurz, bis ein Lächeln über ihr Gesicht glitt. „Natürlich, Sie sind von der Polizei. Was kann ich für Sie tun?“

„Sie waren doch an dem Tag hier, als Erna Bräker vom Balkon fiel.“

Sie nickte und wischte sich über die Augen. „Schrecklich“, flüsterte sie.

Winkels zog sein Smartphone aus der Tasche und rief die Fotogalerie auf, in der die Bilder gespeichert waren, die Dröver ihm überspielt hatte.

„Ich möchte Ihnen ein paar Fotos zeigen. Vielleicht erkennen Sie jemanden, der an dem fraglichen Tag hier war.“

Sie blickte angestrengt auf die Fotos, die an ihr vorüberzogen.

„Noch einmal zurück, bitte“, rief sie plötzlich aufgeregt.

Sie tippte auf das Display. „Diese Person war hier!“

Winkels folgte ihrem Blick. „Sind Sie sicher?“

„Ganz sicher. Ich habe mich noch gewundert über die Hast beim Heruntersteigen der Treppe, doch dann klingelte das Telefon, und als ich wieder hinsah, war da niemand mehr.“

Winkels betrachtete das Foto einige Sekunden, bevor er das Gerät wieder einsteckte.

Jetzt war plötzlich alles klar. Sämtliche Puzzleteilchen fielen automatisch an ihren Platz, und das Gesamtbild stand vor seinen Augen.

„Danke, Sie haben mir sehr geholfen“, sagte er, schon halb abwesend, und ging rasch zu seinem Auto zurück.

Ermordet zwischen Sylt und Ostfriesland: 6 Küstenkrimis

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