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Prolog


Anno 955, auf dem Lechfeld...

Das Heer von König Otto I., den man später Otto den Großen nennen wird, hat sich zur Schlacht aufgestellt: Die gepanzerten Ritter und das Fußvolk. Schwerter und Lanze werden gegen den grauen Himmel gereckt. Es ist ein Augusttag. Aber für einen Tag im August ist er ungewöhnlich kühl. Wolkengebirge türmen sich wie drohende Schatten des Unheils am Himmel. Als ob sich die Erde selbst an diesem Tag verdunkeln sollte.

Auf der anderen Seite stehen die Ungarn mit gefährlichen Komposit-Bögen. Deren Reichweite übertrifft alles, was Ottos Ritter aufbieten können. Dazwischen ist ein offenes Feld. Ein Feld, dass eigentlich keiner von Ottos Männern überqueren kann, ohne von den Ungarn wie bei einer Hasenjagd abgeschossen zu werden.

Ein Geistlicher spricht ein Gebet.

Und der Beistand Gottes ist tatsächlich auch das Einzige, worauf Ottos Männer an diesem Tag hoffen können.

"Ich rate von einem Angriff ab", sagt einer der Männer des Königs. "Sie werden uns einfach abschießen. Wir haben nicht den Hauch einer Chance, mein König!"

Aber der König ist zu allem entschlossen.

Er steht ohnehin mit dem Rücken zur Wand.

Seine eigenen Söhne haben ihn verraten. Um ein Haar hätten sie sich mit den Reichsfürsten zusammengetan und ihn abgesetzt. Nur ein Umstand hat die Reichsfürsten veranlasst, doch noch zum König zu halten: Dessen Söhne haben das Rad überdreht und sich mit den heidnischen Ungarn verbündet. Das war zuviel!

Aber der König weiß, dass er nur deshalb noch König ist.

Und er weiß auch, dass viele aus dem Heer, das da hinter ihm steht, nicht wirklich auf seiner Seite sind.

Oder nur vorläufig, weil sie sich nicht nachsagen lassen wollen, gemeinsame Sache mit den Heiden gegen den Herrscher der Christen gemacht zu haben.

"Bei Gott, diese Schlacht ist von vorn herein verloren!", hört der König einen der Ritter sagen.

Ja, denkt der König. Vielleicht ist sie das.

Aber an seiner Entschlossenheit ändert das nicht das Geringste.

Vielleicht deshalb, weil er gar keine andere Wahl hat.

In der Hand hält er die Heilige Lanze umklammert.

Die Reichsreliquie.

Jene Lanze, mit der der Legende nach Jesus am Kreuz gequält wurde.

Ein erster Pfeilhagel der Ungarn kommt herangeflogen. Der Himmel verdunkelt sich unter diesem Pfeilhagel, der wie ein herannahender Vogelschwarm wirkt.

Und die Pfeile treffen - auch auf diese extrem weite Distanz. Die ersten Todesschreie gellen. Viele werden von den Schilden aufgefangen, aber es sind immer noch genug, die ihren Weg vorbei zu den Leibern der Männer finden und sie töten.

Noch zwei weitere solcher Pfeilsalven und mein Heer läuft auseinander, noch ehe es sich dem Kampf gestellt hat!, geht es dem König durch den Kopf.

Selbst das Gebet des Geistlichen ist verstummt, denn ein Pfeil hat seine Kehle durchbohrt - ein anderer das Gebetbuch. Er wird nie wieder ein Gebet sprechen. Nicht in dieser Welt...

Jetzt oder nie!, denkt der König, und er reckt die Heilige Lanze zum Himmel.

"Gott will es!", ruft er und und reitet voran.

Die Pfeile haben ihn bisher auf wundersame Weise verschont. Sie sind einfach an ihm vorbeigeflogen. Und es scheint fast so, als könnten sie ihm nichts anhaben.

"Gott will es!", rufen jetzt auch andere und das Heer beginnt, sich in Bewegung zu setzen und dem König zu folgen.

Die nächste Pfeilsalve der Ungarn regnet vom Himmel und sorgt für Tote und Verwundete.

Aber noch ehe all die Pfeile gelandet sind und ihr Ziel gefunden haben, öffnet sich der Himmel. Die zu dunklen, unheimlichen Gebilden aufgetürmten Wolken öffnen ihre himmlischen Schleusen und lassen einen Wolkenbruch herniedergehen, wie man ihn selten gesehen hat. Innerhalb kürzester Zeit sind die Männer auf beiden Seiten vollkommen durchnässt. Das Wasser tropft nur so die Helme herab.

Der Boden wird weich.

Aber nicht nur der Boden weicht auf , sondern auch der Leim der Kompositbögen.

Schon die nächste Pfeilsalve fällt schwächer aus als die ersten.

"Gott ist auf Ottos Seite", flüstert ein junger Mann aus dem Fußvolk ergriffen, der mit Speer und Langmesser ebenfalls über das offene, matschige Feld läuft und sich mit einem Schild vor den Ungarnpfeilen zu schützen versucht. Gott muss auf Ottos Seite sein! Eine andere Erklärung kann es nicht geben. Der Herr im Himmel hat sein Urteil gefällt und sich auf Ottos Seite gestellt, als er die Heilige Lanze hob.

Der junge Mann fasst neuen Mut - wie so viele, die dem König Heeresfolge leisten. Im sonstigen Leben ist er ein Flussschiffer bei Regensburg.

Das Unmögliche ist möglich geworden!

Ottos Kämpfer erreichen die Reihen der Ungarn und jetzt beginnt dort das Gemetzel. Das Heer der Feinde löst sich auf. Der junge Flussschiffer nimmt einem gefallenen Ungarn den aus dem Leim gegangenen Kompositbogen ab. Die Einzelnen Teile wird er behalten. Als Erinnerung an diesen Augusttag, der wie kein andere gewesen ist. Das sind gute Haltegriffe, denkt der junge Mann. Haltegriffe für ein Schiffsruder zum Beispiel. Das Holz ist wunderbar glatt verarbeitet..

Die Schlacht ist entschieden.

Entschieden durch die Macht der Heiligen Lanze.

Der Dieb der Heiligen Lanze

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