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Regensburg, 13. Februar 996

Mehr als 40 Jahre sind seit der Schlacht vergangen...

Cunrat erschrak.

Schon die Stimme, die ihn da ansprach, klang wie ein scharfes Messer.

Schneidend, scharf - unangenehm.

Cunrat schluckte. Dem Jungen ging der Herzschlag bis zum Hals.

"Sieh dich bloß vor, du Straßenköter! Kommst du mir zu nahe, lasse ich dich auf der Stelle von meinen Reisigen töten!"

Bei diesen Worten war der Junge schreckensbleich zurückgewichen und warf einen scheuen Blick auf den Sprecher, senkte aber sofort wieder den Kopf.

Reisige - das waren die bewaffneten Begleiter des Handelsherrn.

Und die verstanden keinen Spaß.

Sogleich traten zwei Bewaffnete mit drohenden Gesichtern an die Seite des Sprechers, und Cunrat wich vorsichtshalber einen weiteren Schritt zurück, sah den Handelsherrn Runtinger dann aber mit treuherzigem Augenaufschlag an.

"Aber gewiss nicht, Herr Runtinger, ich bin nur dabei, mir etwas von den Abfällen für meine nächste Mahlzeit aufzusammeln!", versicherte er mit zitternder Stimme.

"So?"

"Ich nehme nur, was niemand mehr haben will."

"Schwer dich zum Teufel!"

"Seid barmherzig!"

Der vornehme Handelsherr betrachtete mit Abscheu den Jungen, der sich da durch die Menge zu ihm geschlängelt hatte, als er gerade am Stand mit Eiern und Geflügel eine junge, sehr ansehnliche Magd beobachtete. Gesindel! So dachte er. Sein Blick ließ keinen Zweifel daran. Dieser Junge war für ihn nichts als Straßengesindel. Ein Dieb, der nur auf die Gelegenheit wartete, einem reichen Mann wie ihm irgend etwas wegzunehmen, wenn der nicht aufpasste. Man musste immer auf der Hut vor diesem Gesindel sein, fand der Handelsherr. Aber andererseits forderte der Glaube, dass man Barmherzigkeit übte. Selbst mit dem lebendigen Schmutz der Straße.

Markus Runtinger war ein schon älterer, weißhaariger Handelsherr, der von allen Bürgern respektvoll begrüßt wurde. Sein mächtiges Handelshaus war in den vergangenen Jahren gewaltig gewachsen, immer neue Holzanbauten für die Waren füllten die schmale Gasse, in der es nur ein weiteres Haus gab.

Die Familie Runtinger hatte bereits ein älteres Haus erworben und abreißen lassen, um mehr Platz für seine Lagerhäuser zu erhalten.

Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis auch das noch verbliebene Haus in dieser Gasse ebenfalls den Besitzer wechseln würde. Man tuschelte am Brunnen und während der Markttage, dass der junge Behringer, der das Haus vor ein paar Jahren geerbt hatte, nur noch den Kaufpreis in die Höhe treiben wollte.

Auch heute, am Markttag, hatte man den Behringer schon beobachtet, als er mit gelangweilter Miene über den Platz bummelte.

Das bunte Treiben auf dem Marktplatz nahe der Donau hatte nicht nur Cunrat, sondern auch einige andere Jungen angelockt. Sie alle bestritten ihren Lebensunterhalt durch ihre Fingerfertigkeit. Als Taschendiebe und Beutelschneider waren sie im dichtesten Gewühl unterwegs, tasteten geschickt nach den Börsen an den Gürteln und schnitten sie rasch mit der kleinen, aber scharfen Messerklinge ab.

Doch diese Jungen führten damit auch ein gefährliches Leben.

Nur zu oft bemerkten die Bestohlenen noch im letzten Moment die Tat, hielten die Diebe fest und übergaben sie den Stadtsoldaten. Es wurde kein großes Federlesens mit ihnen gemacht, der Henker der Stadt Ratisbona, wie man Regensburg oft noch nannte, hatte genug zu tun. Man verzichtete in einem solchen Fall auf das Verfahren der gütlichen Befragung, denn keiner der Jungen würde freiwillig einen Diebstahl einräumen.

Kein Ratsherr kümmerte sich weiter um dieses Gesindel, der Henker schlug dem Dieb mit einem Beil die Hand ab, und damit war der Gerechtigkeit genüge getan.

Cunrat war das natürlich nur zu gut bewusst. Trotzdem sah er keine andere Möglichkeit, sein Leben zu fristen, denn die Gauklertricks, die er beherrschte, warfen zu wenig ab.

Der hagere und sehr flinke Junge kannte wie kaum ein anderer die Straßen und Gassen seiner Heimatstadt genau und war durch seine Schnelligkeit schon zweimal den Stadtsoldaten entkommen. Aufgewachsen als Waisenkind auf der Straße, war er äußerlich zwar recht ungepflegt, ja, geradezu verwildert, aber Cunrat bemühte sich trotzdem, seine Kleidung regelmäßig am Donauufer zu waschen und auch von seiner Haut immer wieder den Schmutz mit Sand herunterzuscheuern.

Selbst bei der derzeit vorherrschenden herrschenden Kälte, wollte er nicht darauf verzichten – es war wichtig nicht sofort aufzufallen.

Seine wilden, dunkelbraunen und fast schon schulterlangen Locken hatte er zum Beginn des neuen Jahres durch Affra kürzen lassen. Das Mädchen lebte wie er auf der Straße und bettelte zumeist auf den Stufen einer Kirche. Geschickt verstand sie es, seine Haare zu Büscheln zu fassen und mit dem kleinen, scharfen Messer abzuschneiden. Das war zwar nicht sonderlich elegant gemacht, aber Cunrat wirkte nach dieser Behandlung nicht mehr wie einer der struppigen Straßenköter, mit denen ihn gerade der Handelsherr verglichen hatte.

"Man kennt solche Bürschchen wie dich aber zur Genüge!", brummte Markus Runtinger, und die beiden Reisigen machten noch immer eine Miene, als wollten sie den hageren Jungen mit einem einzigen Biss herunterschlucken. Der Handelsherr war in einen dicken Pelz gewickelt und wirkte dadurch wie ein großer, alter Bär auf Cunrat. Auch die Bewaffneten trugen dick gepolsterte Röcke, während der hagere Junge ein so dünnes Hemd trug, dass jeder, der ihn anblickte, sofort fröstelte ob der vorherrschenden Temperaturen.

Doch Cunrat war nicht so leicht zu beeindrucken.

"Seht nur, Herr Runtinger!", rief er in diesem Moment verwundert aus. "Gehört das Euch?"

Die drei Männer blickten verwundert auf die Stelle im Straßendreck, konnten aber dort nichts entdecken. Blitzschnell hatte sich Cunrat gebückt und klaubte mit der rechten Hand auf dem Boden herum, als hätte er Mühe, etwas aus der Mischung, die sich an den Markttagen rasch bildete, herauszuholen. Die Erde vermischte sich mit fauligem Obst und Gemüse, dass die Händler achtlos vor ihre Stände warfen. Dazu kam oft das Blut, das von den zum Ausbluten aufgehängten Schweinen, Hühnern und Gänsen heruntertropfte. Da dieser Monat aber schneefrei war und für die Jahreszeit ungewöhnlich mild, gab es nicht den üblichen Morast der Markttage.

Cunrat musste sich ein Grinsen verkneifen, was aber in der angenommenen Körperhaltung kein Problem war. Er hatte seinen erstaunten Ausruf genau in dem Augenblick getan, als er hinter dem Kaufmann die schmächtige Gestalt von Affra erblickt hatte. Sie hatte über ihrem Hemd einen fadenscheinigen Umhang, der sie nicht nur vor der Kälte schützen sollte, sondern für das gemeinsame Vorgehen wichtig war.

Beim Vorbeugen schnitt Cunrat rasch den Geldbeutel ab und fing ihn geschickt auf. Hinter Runtinger ging auch das Mädchen in die Kniebeuge, und während Cunrat alle Augen mit dem ausgestreckten rechten Finger ablenkte, steckte er den Geldbeutel Affra zu. Cunrat tat, als müsse er sich sehr anstrengen, das kleine Stück aus dem halb gefrorenen Dreck zu puhlen, und Affra war schon wieder unbemerkt im Gewühl verschwunden.

"Seht nur, Herr – ein Stück Hacksilber!"

Cunrat richtete sich wieder auf, putzte das winzige Stück rasch zwischen den Fingern sauber und hielt es dann hoch. Es war tatsächlich Hacksilber, so klein wie ein abgeschnittenes Stück von einem Fingernagel, aber zweifelsfrei Silber. Das hielt er nun stolz auf der flachen Hand dem verblüfften Kaufmann vor das Gesicht. Der wechselte einen raschen Blick mit seinen Bewaffneten, dann griff er selbst zu und prüfte das Stück, indem er es dicht vor die Augen hielt.

"Tatsächlich, der Bursche hat nicht gelogen! Es ist ein Stück Hacksilber. Du Strolch musst ja wunderbare Augen besitzen, dass du so etwas erkennen kannst. Aber von mir ist es nicht, ich habe meinen Geldbeutel heute noch gar nicht benutzt."

Und mit einer gönnerhaften Miene reichte es der Handelsherr dem Gassenjungen zurück. Jesus sagte, dass die Armen ins Himmelreich kamen.

"Warum gebt Ihr mir das zurück?"

"Wie?"

"Sehe ich aus wie ein reicher Mann, der so etwas verloren haben könnte?"

"Nein."

"Also..."

"Was du den Geringsten getan hast, hast mir getan, spricht der Herr. Das sagt der Pfarrer. Also behalt es."

"Aber Herr ... das ... das ist nicht mein Eigentum!", stammelte Cunrat scheinbar verlegen und sah die drei Männer scheu an.

Jetzt konnte Runtinger sogar so etwas wie ein Lächeln zeigen.

"Es gehört dir. Du hast es gefunden, behalte es. Und nun weiter, ich kann nicht den ganzen Tag hier verplaudern!" Die letzten Worte waren an seine bewaffneten Begleiter gerichtet, und damit stapften die drei an dem verlegen aussehenden Cunrat vorbei.

"Das war ja eine großzügige Geste!", ließ sich einer der Umstehenden vernehmen. Es war einer der Fuhrknechte, die durch das Geschehen mitten im Markttreiben neugierig herangetreten waren und im Halbkreis um den Handelsherrn und seine Soldaten standen, um sich nichts entgehen zu lassen.

"Kannst dir gratulieren, Junge!", sagte eine Magd, die dicht neben ihm stand. "Der Runtinger ist sonst ganz gewiss nicht so großzügig!"

"Kann ich das dann wirklich behalten?" Cunrats Stimme war fast ein Flüstern geworden.

"Natürlich, Dummkopf! Er hat es laut verkündet, dass es ihm nicht gehört! Wenn du noch länger zögerst, gib es mir, ich kann es wohl in Bier und Wurst umsetzen!"

Die Umstehenden lachten, und der Junge schloss das winzige Silberstück fest in seine Faust, nickte noch einmal und war gleich darauf zwischen den anderen Marktbesuchern verschwunden.

‚Ich mache es wie die großen Herren!‘, dachte Cunrat. ‚Wer etwas erreichen will, muss auch etwas riskieren. Im schlimmsten Falle hätte ich das kleine Silberstück eingebüßt. So aber war es wieder einmal ein hervorragendes Ablenkungsmittel. Schade nur, dass ich diesen Trick nicht allzu oft anwenden kann, ohne aufzufallen.‘

Affra war bei ihrem hastigen Rückzug um ein Haar noch aufgehalten worden.

Gerade warf sie noch einmal einen scheuen Blick über ihre Schulter, ob jemand sie verfolgte, da stieß sie ziemlich heftig mit einem Lastenträger zusammen, der sofort lospolterte:

"Heda, kannst du nicht aufpassen? Schläft mit offenen Augen am hellen Tag und rempelt schwerarbeitende Menschen an! Du hast Glück, dass ich dir nicht einen Schlag dafür verpassen kann, ohne meine Last abzusetzen!"

"Entschuldigung, ich ... ich war so..."

Affra umschloss den Lederbeutel fest mit beiden Händen.

Um nichts in der Welt hätte sie ihn sich jetzt entreißen lassen.

"Ja, ja, ja!", brummte der andere und war schon weiter, um seine schwere Last endlich ans Ziel zu bringen. Er war auf dem Weg hinunter an die Donau, wo die Frachtschiffe bereitlagen, um neue Waren in ihren geräumigen Bäuchen aufzunehmen. Neben einigen Flößen, mit denen man überwiegend Holz und Steine als Baumaterial beförderte, lagen Plätten und Zillen in unterschiedlichen Größen verankert. Dazu kamen einige größere Kelheimer, also Zillen, die mehr Fracht aufnehmen konnten. Mit ihnen transportierte man auf den Flüssen gern wertvolle Ladung wie Salz- oder Weinfässer. Stromaufwärts musste getreidelt werden. Das mühsame Geschäft besorgten die Treidler, kräftige Männer, die sich in das Schleppgeschirr stemmten und die Schiffe auf dem Leinpfad entlang der Ufer wieder zurückzogen.

Hier, am Donauufer und mitten im geschäftigen Treiben der Bootsleute und Lastenträger, befand sich ihr Treffpunkt. Affra würde die Rückkehr ihres Freundes erwarten, dann die Beute mit ihm teilen und endlich wieder etwas zu Essen kaufen können. Dieses Gebiet war ihnen so gut vertraut, dass sie sich auch bei völliger Dunkelheit zurechtfanden. Hier gab es ein paar einfache Lagerschuppen, und die beiden hatten sich in einem davon direkt unter dem Dach ein Versteck eingerichtet. Man musste an einem der Stützbalken hinaufklettern, eine Leiter gab es hier nicht. Früher mochte der Zwischenboden als Strohlager gedient haben, denn Reste davon gab es immer noch. Das hatten sie im vergangenen Herbst wieder mit größeren Mengen aufgefüllt, und es gab sogar eine Decke für ihre Nächte. Zwar verdiente dieser Flickenlappen die Bezeichnung eigentlich nicht, aber die beiden schliefen hier ungestört und sicher. War es einmal, wie im vergangenen Dezember und Januar, besonders kalt, so schmiegten sich die beiden mageren Körper fest aneinander, um sich zu wärmen.

Affra, das hagere Waisenmädchen, nannten die, die ihr begegneten, stets "die Hungrige", denn ihre magere, schmutzige Hand hielt sie unentwegt ausgestreckt jedem Menschen entgegen, und ihr kummervoll verzogenes Gesicht ließ mitunter selbst Hartherzige zu einem Stück Brot oder einem Apfel greifen, der zum eigenen Verzehr gedacht war. Das war Affras Masche, die sie so perfekt beherrschte wie Cunrat seine Fingerfertigkeit. Sie verstand es, durch ihren bloßen Anblick, den schmerzlich verzogenen, kleinen Mund und die weitaufgerissenen, strahlendblauen Augen die Menschen zu rühren.

Auf ihrem Weg zur Donau traf sie noch auf eine ältere Frau, die neben ihrem Korb mit Äpfeln rastete. Man sah es ihr an, dass diese Last viel zu schwer für ihren gebeugten Körper war, aber sie hatte niemand, der ihr helfen konnte. Mit traurigem Gesichtsausdruck schlich Affra an ihr vorüber, als sie der Ruf der Alten erreichte.

"He, du da – nicht so schnell! Ich kenne dich doch, du bist Affra, die Hungrige, stimmt’s? Komm her zu mir, Kind, ich habe einen Winter-Apfel für dich. Ist nicht viel, aber wenn ich dein dünnes Hemd sehe, durch das man deinen mageren Körper bald so gut wie ohne Hemd sehen kann, dann bringe ich es nicht über’s Herz, dich so weiterziehen zu lassen."

Affra trat schüchtern an die Alte heran, die ihr den Apfel entgegenstreckte.

"Danke, du bist ein guter Mensch, Apfelfrau!", sagte sie leise und verbeugte sich mit dem ganzen Oberkörper.

"Lass es gut sein, Kind. Bete heute Abend für mich, und denk an die alte Greta. Ich muss jetzt auch weiter."

Damit nahm sie den Korb wieder auf und ging mit langsamen Schritten davon, während Affra vergnügt in den knackigen Apfel biss und nun zu dem dicken Baumstamm ging, an dem die Seile von drei großen Booten vertäut waren.

Hier setzte sie sich dicht daneben an die laublosen Bäume und verzehrte den Apfel bis auf den Stiel mit Genuss.

Während der gesamten Wartezeit achtete sie nicht auf die zahlreichen Lastenträger, die mit ihren Lasten an ihr vorüber keuchten und über die schmalen Planken auf die Boote eilten. Die Lastschiffe hatten wertvolle Erze und Kupfer sowie Silber aus den östlichen Ländern nach Regensburg gebracht und wurden nun mit Salz- und Weinfässern, aber auch mit Seidenballen und anderen Tuchstoffen beladen.

Affra war von der rasch dahinfließenden Donau, auf deren Oberfläche sich die kalte Wintersonne gleißend reflektierte, so angetan, dass sie zusammenschrak, als plötzlich dicht hinter ihr eine Stimme sagte:

"Ist das nicht dieses Bettelmädchen, die hungrige Affra?"

"Du Schuft!", rief sie, als sie von ihrem Platz aufgefahren war und nun erst Cunrat erkannte, der mit verstellter Stimme gesprochen hatte. "Du hast mich zu Tode erschrocken! Cunrat, du hast es gewagt, den mächtigen Herrn Runtinger zu berauben. Was wäre wohl passiert, wenn er dich erwischt hätte? Wenn man dir die Hand abschlägt, was soll denn aus mir werden?"

Cunrat lachte fröhlich auf und klopfte dem hageren Mädchen auf die Schulter.

"Du, mein Täubchen, wirst wohl überall auch ohne mich gut durchkommen. Ein Blick auf dein Leidensgesicht, und ein Stein beginnt zu weinen!"

"Gemein, dass du dich so lustig über mich machst!"

"Tue ich doch gar nicht. Hast du schon etwas gegessen?"

"Die Apfel-Greta hat mir einen von ihren Winteräpfeln geschenkt."

"Das ist gut. Ich habe noch einen Kanten Brot erwischt! Die Apfel-Greta versteht es, die Äpfel in einer Miete frisch zu halten. Sie schmecken immer noch knackig und süß", antwortete Cunrat und zog unter seinem schmutzigen Hemd ein ordentliches Brotstück hervor, brach es auseinander und reichte die Hälfte Affra.

Dann saßen die beiden trotz der Kälte einträchtig nebeneinander bei den Uferbäumen, bissen herzhaft in ihr Brot und beobachteten, wie gerade ein mächtiger Kelheimer quer gegen die Strömung auf das Ufer zugerudert wurde. Die Bootsleute hatten dabei schwere Arbeit zu verrichten, denn nach den Regentagen der letzten Zeit war die Donau wieder sehr wasserreich und schnell geworden. Endlich war das Frachtboot nur noch in geringer Entfernung, und einer der Bootsleute formte die Hände zum Schalltrichter und rief den beiden zu:

"Heda, könnt ihr ein Tau fassen und um den Baumstamm schlagen?"

"Natürlich!", rief Cunrat schnell und sprang auf. "Wenn du es zahlst?"

Die Bootsleute lachten über den hageren Jungen, der sofort von seinem Lohn sprach, noch bevor er das Tau überhaupt in den Händen hielt.

"Wenn du es aber nicht schaffst, gibt es statt einer Belohnung einen Hieb auf die Nase!", antwortete der Sprecher. Seine Stimme klang fremdländisch und rau, aber er sprach die hier übliche Sprache fließend.

Cunrat hob grinsend die rechte Hand, und gleich darauf warfen die Bootsleute das Tau. Affra und Cunrat griffen hastig zu, als das dicke Tau wie eine nasse, gewaltige Schlange auf sie zuflog.

Doch beide hatten sich mit solcher Arbeit schon häufiger ihr Essen verdient, und mit geschickten Schlägen hatten sie gleich darauf das Tau bei den anderen befestigt, ohne damit das Ablegen eines anderen Bootes zu behindern.

Allerdings war diese Arbeit schwierig und erforderte ihre ganze Geschicklichkeit, denn das Tau hatte zuvor im kalten Donauwasser gehangen, und ihre Finger wurden rasch klamm, als sie damit hantierten. Endlich war es aber gelungen.

Der Bootsmann sprang schon ans Ufer, als sich Cunrat aufrichtete, und war mit wenigen Schritten bei dem Baumstamm.

Affra zitterte vor Kälte und barg ihre klammen Hände unter den Achselhöhlen, um sie etwas zu wärmen.

"Na, du bist wohl auf einem Schiff geboren, was? Gut gemacht, Junge!", lobte der Fremde. Anstelle einer Antwort streckte Cunrat nur die Hand aus.

Lachend drehte sich der Bootsmann zu den anderen um, rief ihnen etwas in einer fremden Sprache zu, und gleich darauf flog ein kleines Bündel zu ihm herüber. Geschickt fing er es auf und reichte es den beiden Helfern.

"Hier, ein ordentliches Wurstende aus meiner Heimat. Lasst es euch schmecken! Ihr seht so aus, als könntet es ihr vertragen!"

Während Affra sofort das Tuch auseinanderwickelte, um ihren Lohn zu betrachten, erkundigte sich Cunrat:

"Was habt ihr denn geladen, dass ihr so tief im Wasser liegt?"

"Tja, mein Guter, das wird dir Augen machen! Wir sind bis oben hin voll mit gutem Silber und auch Gold, schließlich kommt ja der König in eure Stadt, und da werden die Goldschmiede viel Arbeit haben!"

"Gold und Silber?", erkundigte sich Cunrat mit seltsam heiser klingender Stimme. "Und der König kommt?"

"So ist es."

"Das klingt wie ein Märchen!"

"Es ist aber so! Glaubst du uns nicht?"

"Doch, doch..."

"Na, also, Junge!"

Wieder lachte der Bootsmann laut auf und deutete dann hinüber zur Stadt.

"Ja, und damit niemand auf dumme Gedanken kommt, nahen da schon die Reisigen, die das Ausladen überwachen sollen. Unser Schiffer hat schon lange sein Zeichen gesetzt, damit man uns in Empfang nimmt."

"Die Reisigen kann ich nicht leiden..."

"Wer schon. Aber wenn ich reich wäre, würde ich auch ein paar von diesen Bewaffneten anstellen, um mir Respekt zu verschaffen und mein Eigentum zu schützen."

"Gut, wenn man kein Eigentum hat", sagte Cunrat. "Dann braucht man es auch nicht zu schützen."

"An dir ist wohl ein Witzbold verloren gegangen, was? Du scheinst ja ein richtiger Spaßmacher zu sein."

"Naja..."

"Vielleicht solltest du dir bunte Gewänder anziehen und als Gaukler durch die Lande ziehen!"

"Nein, ich glaube, das wäre nichts für mich."

"Aber so kann man auch sein Auskommen finden!"

"Ich vertraue lieber auf den Herrn."

"Den Herrn?"

"Sehet, sie säen nicht und sie ernten nicht und der Herr ernähret sie doch."

Der Bootsmann lachte. "Du bist nicht auf den Kopf gefallen!"

*


Die beiden Straßenkinder drehten sich erstaunt herum, um die Menge der Soldaten zu bewundern, die eben im raschen Lauf, die Lanzen in der Hand, zum Ufer herunterkamen.

"Tja, dann muss ich mich wohl bis zur Dunkelheit gedulden!", antwortete Cunrat lächelnd, und der Bootsmann drohte ihm spaßhaft mit dem Finger.

"Lass dich nicht erwischen, wenn du an Bord unseres Schiffes gehen willst. Weder der Schiffer noch die Soldaten kennen da Spaß!"

"Keine Sorge, wir verschwinden schon. Dank für die Wurst, sie wird uns munden!"

"Gott mit euch, ihr seid ja noch Kinder und habt es gewiss nicht leicht in dieser Zeit!", antwortete der freundliche Bootsmann in seiner seltsam kehligen Aussprache.

"Danke!", antwortete auch Affra, und als Cunrat ihre Hand ergriff und sie ein wenig beiseite zog, folgte sie fast widerwillig. Aber ein Blick in die finsteren, bärtigen Gesichter der rasch herbeieilenden Soldaten ließ sie keinen Moment mehr zögern.

Lieber unter den Lastenträgern und Bootsleuten einen Abend verbringen, als nur eine kurze Spanne mit den Soldaten, sagten sich die beiden.

"Ich gehe wieder zurück auf den Markt", verkündete Cunrat plötzlich übergangslos und spürte dabei, wie Affra zusammenzuckte. "Keine Sorge, nicht zum Stehlen. Ich werde als Gaukler unterwegs sein, mit den Kugeln jonglieren und auf den Stangen gehen."

"Keine schlechte Idee!", sagte Affra, und ihre Stimme hörte sich tatsächlich erleichtert an. "Wenn du so hoch über den Köpfen deine Bälle wirfst, hast du immer guten Erfolg gehabt. Ich werde herumgehen und sammeln!"

"Das machen wir wieder zusammen, Affra. Und geteilt wird, wie immer, genau zur Hälfte!"

Der Dieb der Heiligen Lanze

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