Читать книгу Krimi Doppelband 2234 - Alfred Bekker - Страница 9
Roman
ОглавлениеDas Haus war dunkel, kühl und fast beklemmend still; der schmächtige alte Mann lauschte einen Moment beunruhigt, bevor er sich wieder über den Briefbogen beugte. Die Feder seines Füllhalters kratzte widerspenstig.
„ Lieber Freund, an unserer Schönen soll es nicht scheitern, ich schicke sie Dir gern. Sie ist zuverlässig, schnell, tüchtig und verschwiegen, sie ist aber auch im wahrsten Sinne des Wortes gewissenlos. Und das, mein Freund, vergiss bitte nie; ich habe es in einer schwachen Stunde einmal vergessen und teuer dafür bezahlt. Sie hat übrigens einen für Dich geeigneten Mann an der Hand, den sie mitbringen wird. An Deiner Stelle würde ich ihr diesen Brief zeigen; Du wirst schon begreifen, warum ich Dir das rate.
Unser letztes Geschäft war ein Fehler. Die Wölfe kommen näher, einer muss vom Schlitten, und zwar bald. Ich bin traurig und fürchte mich. Alles Gute, Dein Walter.“
Mit pedantischer Sorgfalt, die alle seine Bewegungen auszeichnete, schraubte er den Füllhalter zu, faltete den Bogen und schob ihn in den bereits adressierten und frankierten Umschlag, klebte ihn zu und legte ihn mitten auf die Schreibunterlage. Es reichte, wenn er ihn morgen auf der Fahrt ins Büro einwarf.
Eine altmodische Standuhr begann zu schlagen, er zählte bis zwölf und griff seufzend nach dem Stock. Das rechte Fußgelenk war dick bandagiert, und mühsam humpelte er zur Tür. Noch vor Monaten hatte er das große leere Haus als Schutzburg empfunden, inzwischen ängstigte es ihn, und seit dem unglücklichen Sturz vor drei Wochen überfiel ihn manchmal die panische Furcht, in einer riesigen Falle zu sitzen. Ächzend stieg er die lange, gerade Treppe hoch, der Knöchel schmerzte immer noch.
Die Gestalt zog sich zurück und wartete oben im Schatten, direkt neben der Treppe, flach atmend. Unter der scheußlichen Hexenmaske aus Gummi war es feuchtwarm.
Der alte Mann hatte die vorletzte Stufe erreicht. Plötzlich trat die Gestalt zwei Schritte vor, der Schreck lähmte den Mann für eine Sekunde, aber da hatte die Gestalt bereits beide Hände ausgestreckt und stieß ihn mit aller Kraft zurück. Dagegen hatte der Alte keine Chance. Mit einem erstickten Schrei stürzte er rückwärts die Treppe hinunter, sein Stock verklemmte sich in dem Geländer und splitterte, die beiden Teile rollten hinterher.
Die Gestalt wartete eine Minute, bevor sie hinunterging, vorsichtig über die beiden obersten Stufen steigend, auf denen sie – mit Handschuhen – vorher die Spannstäbe des Läufers ein wenig gelockert hatte, nicht viel, gerade genug, um jetzt ein wenig ziehen zu können, sodass der rotschwarzkarierte Läufer auf zwei Stufen Falten warf, nicht auffällig, aber auch nicht zu übersehen. Der Mann war tot, zu einer grotesken Gliederpuppe geworden, und der Schreck hatte sein Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse verzerrt, fast so abstoßend wie die Maske, die der Gestalt auf der schweißnassen Haut klebte.
Ohne Eile ging die Gestalt in die Bibliothek. Die Schreibtischlampe brannte noch, als müsse sie eigens auf den Brief, genau in der Mitte der Unterlage hinweisen. Die Hexe las die Anschrift und grunzte, bevor sie den Brief einsteckte. Durch die Seitentür verließ sie unbemerkt das Haus und schloss ab. Auf dem Heimweg hielt die Gestalt einmal an, um Maske, Handschuhe und Schlüssel in eine fremde Mülltonne zu stopfen.