Читать книгу Leonardo und der Flugdrachen: Da Vincis Fälle 7 - Alfred Bekker - Страница 6

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Pulverdampf und Büchsenfeuer


Piero de‘ Medici gab nun ein paar Anweisungen an seine Söldner. „Reitet einen Bogen und nähert euch der Stelle, die der Junge beschrieben hat von den Anhöhen aus. Vielleicht gelingt es euch ja, wenigstens einen von den Kerlen zu fangen, sodass wir herausfinden können, wer hinter diesem Plan steckt.“

„Ich führe Euch gerne an eine Stelle, wo man sie gut beobachten kann“, meinte Leonardo. Er wandte sich an den Söldner auf der Brücke. „Ist Euer Name nicht Niccolo?“, fragte er. „Ich habe Euch schon im Palast gesehen.“

„Ich erinnere mich auch an dich“, meinte Niccolo. „Da lebte Cosimo der Alte noch und du bist seitdem auch ein ganzes Stück gewachsen.“

„Lasst Eure Pferde hier und dann führe ich Euch zu Fuß an die Stelle, die ich meine.“

Niccolo wandte sich an seinen Herrn. „Was meint Ihr, Herr?“, fragte er. „Das ist vielleicht gar kein schlechter Vorschlag.“

„Also gut“, nickte Piero de‘ Medici. „Aber seht zu, dass dem Jungen dabei nichts geschieht!“

Leonardo war schon klar, dass die Besorgnis des Stadtherrn nicht ihm persönlich galt. Auch die Tatsache, dass Leonardos Vater als Notar und Schreiber inzwischen viele wichtige Dokumente und Verträge für das Haus Medici aufsetzte, spielte dabei keine große Rolle. Wichtiger war, dass seine Stiefmutter aus einer der angesehensten Florentiner Familien stammte, die immer treu auf der Seite der Medici gestanden hatte. Da wollte man sich Ärger möglichst ersparen.

Mehrere der Söldner stiegen nun von ihren Pferden. Einige hatten Armbrüste bei sich, einer sogar eine Hakenbüchse. Offenbar hatte Piero de‘ Medici selbst schon mit der Möglichkeit gerechnet, dass man ihn vielleicht überfallen könnte. Immer wieder gab es nämlich Machtkämpfe zwischen den bedeutendsten Familien der Stadt. Schon nachdem Cosimo der Alte gestorben war, hatte sich manch einer gedacht, dass jetzt vielleicht der richtige Zeitpunkt gekommen war, um der Familie Medici endlich die Macht über die Republik Florenz zu entreißen.

Leonardo wandte sich an Clarissa. „Pass noch etwas auf meine Schuhe auf“, meinte er.

Dann wandte er sich an Niccolo. „Kommt! Aber macht keinen Lärm, sonst werden die Männer im Hinterhalt noch auf uns aufmerksam.“

Leonardo führte die Männer durch den kleinen Wald und dann die Anhöhen hinauf. Sechs Mann begleiteten ihn – der Rest des Trupps blieb bei Piero de‘ Medici. Bestimmt wunderten sich die Männer im Hinterhalt schon, weshalb der Stadtherr und sein Gefolge nicht schon längst bei ihnen aufgetaucht waren.

Eine ganz andere Frage war, woher sie wohl wussten, dass ausgerechnet heute der Stadtherr diesen Weg nehmen würde. Offenbar sind sie gut informiert, überlegte Leonardo. Vielleicht gibt es irgendjemanden im Palast, der sie regelmäßig mit Informationen versorgt. Einen Spion, der entweder für eine der mit den Medici verfeindeten Familien arbeitete oder vielleicht sogar von einem anderen benachbarten Herrscher geschickt worden war, dem die Herrschaft der Medici in Florenz ein Dorn im Auge war.

Sie kletterten die Anhöhen empor. Aber Leonardo führte die Söldner auf einem etwas anderen Weg als denjenigen, den er selbst vor wenigen Augenblicken genommen hatte. Es war ein Weg, der näher an die Stelle heranführte, wo der Hinterhalt gelegt worden war. Dafür musste man mehr darauf achten, keinen Lärm zu machen, und die meiste Zeit über hielten sie sich geduckt. Hinter den zahlreichen Sträuchern, die hier wuchsen, konnte man sehr gut Deckung finden.

Schließlich kamen die Unbekannten, die sich in den Hinterhalt gelegt hatten, in den Blick. Leonardo sah jetzt zum ersten Mal, dass die Fremden Fackeln entzündet hatten. Allerdings nicht etwa deshalb, weil es an diesem sonnigen Tag zu dunkel gewesen wäre! Sie brauchten die Fackeln, um daran die Lunten ihrer Hakenbüchsen zu entzünden, sobald es ernst wurde.

Zwei Minuten brannte eine solche Lunte. Wenn man in dieser Zeit keinen Schuss abgab, musste man eine neue Lunte nehmen und an dem Haken befestigen, mit dem das brennende Ende dann ins Pulver getaucht wurde, sodass der Schuss losging. Leonardo sah außerdem Reste eines Lagerfeuers.

„Das sind keine Strauchdiebe“, murmelte Niccolo. „Das sind Söldner wie wir! Gut ausgerüstete Waffenknechte.“

„Ich frage mich, wer die angeheuert hat“, meinte einer der anderen Söldner, der nun einen Bolzen in seine Armbrust legte und die Waffe spannte.

„Was glaubt Ihr, wer diese Waffenknechte dazu beauftragt hat, sich dort auf die Lauer zu legen?“, wollte Leonardo wissen.

„Still jetzt und frag nicht so viel!“, gab Niccolo ziemlich barsch zurück.

Seine flüsternde Stimme klang wie das Zischen einer der Schlangen, die man in dieser Gegend finden konnte.

Niccolo machte ein paar Handzeichen in Richtung seiner Begleiter. Diese nickten ihm zu, wohl zum Zeichen, dass sie ihn verstanden hatten. Die Söldner verteilten sich. Ein paar dieser Zeichen galten Leonardo. Im ersten Moment begriff er nicht, aber dann verstand er doch, was Niccolo von ihm wollte. Er sollte sich klein machen und hinter den Büschen verbergen. Dann fiel Niccolos Blick auf eine Stelle auf den Boden, nur eine halbe Armlänge von dem Jungen entfernt. Leonardo sah, dass sich das Gesicht des Söldners auf seltsame Weise verändert hatte. Es drückte jetzt tiefsten Ekel und größtes Entsetzen aus und im ersten Moment konnte sich der Junge nicht erklären, was das nun zu bedeuten hatte.

Dann fiel sein Blick tiefer und traf den Boden.

Nun bemerkte es auch Leonardo. Eine tote Eidechse, die er oben auf den Anhöhen gefunden hatte, war ihm aus dem Bündel gerutscht, das er sich seitlich an den Gürtel geschnürt hatte. Es bestand einfach aus einem Stück grober Jute, das er aus einem Mehlsack herausgeschnitten hatte und normalerweise dafür benutzte, um das Wasser von Flüssen und Bächen nach Kleintieren und anderen darin herumschwimmenden Bestandteilen zu filtern. Kaulquappen hatte er sonst zum Beispiel damit gefangen. Und da er es schon ein paar Jahre in Gebrauch hatte, war es voller Flecken. Das Blut toter Vögel und Mäuse hatte dort ebenso seine Spuren hinterlassen wie eine Reihe anderer Substanzen, die allesamt gemein hatten, dass sie stark und schlecht rochen.

Im Haus seines Großvaters hatte Leonardo ein eigenes Zimmer gehabt, in dem er eifrig den verschiedensten Experimenten nachgegangen war. Tote Tiere aufschneiden, ihre Organe untersuche und herausfinden, wie sie von innen aufgebaut waren, war eine seiner Lieblingstätigkeiten gewesen. Zum Glück hatte sein Großvater einen so feinen Geruchssinn nicht mehr gehabt.

Leonardo griff nach der Eidechse, wickelte sie wieder in das Stück Jute ein und schnürte sich das Bündel fester, als er es bisher getan hatte.

„Das ist ekelhaft“, flüsterte Niccolo und schüttelte verständnislos den Kopf.

In diesem Moment ertönte ein Schrei. Von weiter oben auf den Anhöhen tauchte ein Mann auf. Offenbar gehörte er zu den Waffenknechten, die den Überfall geplant hatten. Ihr Anführer hatte ihn wahrscheinlich dort hinauf geschickt, um herauszufinden, wo denn der Stadtherr von Florenz und sein Gefolge blieben. Nun konnte er natürlich auch Leonardo und Niccolo sowie die Männer, die mit ihnen gekommen waren, sehen.

Sein Schrei war so laut und durchdringend, dass die Waffenknechte im Hinterhalt sich sofort umdrehten. Einer von ihnen feuerte seine Hakenbüchse ab. Pulverdampf stieg auf.

Der Schuss ging über Leonardo und Niccolo hinweg. Die Kugel schlug in einen knorrigen, halb vertrockneten Baum ein, den irgendwann einmal der Blitz gespaltet hatte. Jetzt klaffte an seinem Hauptstamm ein faustgroßes Loch.

Ein zweiter Schuss wurde abgegeben. Niccolos Männer wehrten sich nun und kamen dafür aus ihrer Deckung. Der Armbrustschütze ließ den Bolzen durch die Luft schnellen, den er gerade eingelegt hatte. Die Schüsse und das Kampfgeschrei waren bestimmt auch bis zur Brücke zu hören, wo Piero de‘ Medici mit dem Rest seiner Männer geblieben war.

„Bleib in Deckung, Junge!“, rief Niccolo, während er das Schwert zog und vorwärts stürmte.

Natürlich hielt es Leonardo nicht in seinem Versteck. Er war einfach zu neugierig auf das, was sich da abspielte.

Die Waffenknechte, die im Hinterhalt gelauert hatten, rannten jetzt zu ihren Pferden, die sie in einiger Entfernung bei einer Gruppe von Bäumen angebunden hatten. Einer von ihnen wartete dort und begann damit, sie loszubinden. Noch einmal knallte eine Hakenbüchse. Dann ritten die ersten Mitglieder der Bande bereits davon. Auch die anderen sahen zu, dass sie so schnell wie möglich in den Sattel kamen. Die Pferde wieherten. Der Armbrustschütze hatte inzwischen seine Waffe nachgeladen, was immer etwas umständlich war. Bis er den Bolzen eingelegt hatte, waren die Banditen längst auf und davon. Auch der Mann auf der Anhöhe war nicht mehr zu sehen. In der Ferne hörte Leonardo den Galopp ihrer Pferde.

„So ein Mist! Von denen werden wir keinen mehr einholen“, meinte der Armbrustschütze – und Niccolo konnte ihm da nur zustimmen.

„Seien wir froh, dass unser Herr nicht in den Hinterhalt geraten ist“, sagte er. „Ich wüsste nur zu gern, wer diese Männer geschickt hat.“

„Vielleicht kann man das noch herausfinden“, mischte sich Leonardo ein.

Niccolo steckte sein Schwert ein und stemmte die Arme in die Hüften. „So, du scheinst ja ein Neunmalkluger zu sein! Wie willst du das anstellen?“

„Vielleicht haben dies Männer Spuren hinterlassen, aus denen man schließen kann, wer ihr Auftraggeber ist. Lasst uns nachsehen!“

Leonardo wartete gar nicht erst auf eine Antwort, sondern lief einfach los.

Niccolo wandte sich unterdessen noch einmal an den Armbrustschützen. „Cristian, geh mit ihm! Die anderen holen die Pferde.“

Leonardo und der Flugdrachen: Da Vincis Fälle 7

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