Читать книгу Drei exotische Welten: Science Fiction Fantasy Großband 11/2021 - Alfred Bekker - Страница 10
Teil 2
ОглавлениеWochen vergingen.
Der Ablauf von Tag und Nacht wiederholte sich und ich, Jon Renard, bekam noch des öfteren Gelegenheit, mich als Anfatoi-Führer zu bewähren, als Führer dieser gigantischen Skorpionwesen, die auf ihrem Rücken die Dörfer und Städte der Kandamo'on durch die ewige Wüste von Candakor-3 trugen.
Schließlich erreichte der Stamm der Paragar die Eiablage-Plätze seiner Anfatoi.
Im Licht der Monde sah ich sie eines Nachts auftauchen. Pyramidenförmige Erhebungen, geformt aus Sand, der durch die Sekrete der Anfatoi in seinen chemischen Eigenschaften verändert worden war.
"Wie kommt es, dass die Anfatoi die Pyramidenform für ihre Eiablageplätze benutzen?", fragte ich, an Sakari, den Schamanen, gewandt.
"Kein Mensch vermag das zu sagen. Möglicherweise weiß der HERR DER STERNE darauf eine Antwort, aber die Pyramide ist eine besondere göttliche Form. Sie konzentriert Kräfte. Das Nachbilden dieser Form muss im genetischen Programm der Anfatoi verankert sein, aus welchem Grund auch immer."
"Der Stamm muss jetzt seine Anfatoi verlassen", erläuterte mir Orlanos. "Nicht einmal die Anfatoi-Führer werden auf ihren Plätzen verbleiben."
"Warum nicht?"
"Weil die Anfatoi jetzt damit beginnen werden, ihre geschlüpften Jungen auszugraben und neue Gelege anzulegen. Während dieser Zeit sind ihre Reaktionen unkontrollierbar. Es wäre lebensgefährlich, auf einem Anfatoi während dieser Zeit zu reiten."
"Wie behaltet ihr die PSI-Kontrolle über die Tiere?", fragte ich.
Orlanos lächelte.
"Das ist nicht schwer. Nach getaner Arbeit sind die Anfatoi dermaßen erschöpft, dass wir sie leicht wieder in Besitz nehmen können."
"Und die geschlüpften Jungtiere?"
"Sie folgen der Herde automatisch. Ein Band des Bewusstseins bindet sie mit jenem Anfatoi, die sie ausgegraben haben."
Orlanos streckte den Arm aus, deutete auf eine der Pyramiden.
"Das, was du hier siehst, Fremder Renard, das ist nur die Spitze, der Großteil liegt unter Sand begraben, den der Wind herbeigeschafft hat, Tonnen von Sand."
"Die Spitze eines Eisbergs also", murmelte ich und musste unwillkürlich über den etwas unpassenden Vergleich lächeln.
*
DER STAMM DER PARAGAR verließ seine Anfatoi. Überall war zu sehen, wie sich zunächst einige der Männer hinunter seilten, dann folgten die Reitkäfer. Schließlich der Rest der jeweiligen Sippe.
Sie bestiegen die Reitkäfer.
Auch ich saß auf einem dieser Tiere und nun zahlte es sich aus, dass ich es zu lenken wusste.
Die Anfatoi waren jetzt kaum noch zu halten.
Sobald das PSI-Band zu ihrem jeweiligen Anfatoi-Führer zerriss, stürzten sie auf die Eiablage-Plätze zu und begannen mit ihrem Werk.
Ein geradezu fantastischer Anblick.
Vom Horizont her war ein Geräusch zu hören.
Mehrere dunkle Punkte näherten sich. Summgeräusche mischten sich in den Lärm, den die Anfatoi veranstalteten.
Viele der Ada’an stoppten ihre Reitkäfer, wandten den Blick angstvoll in den Himmel.
Lichter blinkten dort, die in diesem fast sternenlosen Firmament natürlich besonders auffielen.
"Transport-Gleiter", murmelte ich.
"Sudori!", zischte Orlanos hervor.
Zum ersten Mal sah ich Angst in den Augen der Ada’an, selbst Orlanos, der gelassene Stammesführer, war nicht frei davon.
Und dies hatte seinen Grund, denn in diesem Moment waren die Ada’an verwundbar.
Es gab keine Möglichkeit für sie, vor ihren überlegenen Feinden zu flüchten, wie sie es sonst taten.
Der Weg unter die Planetenoberfläche war ihnen versperrt, denn nichts konnte die Anfatoi unter ihren Einfluss zwingen.
"Ich glaube nicht, dass wir von denen etwas zu befürchten haben", sagte ich.
Orlanos verzog das Gesicht.
"So, wie kommst du zu dieser Ansicht?"
"Es handelt sich um Transport-Gleiter", sagte ich.
Über die unterschiedlichen Gleitertypen war ich durch mein Vorwissen, das der Subimperator mir gegeben hatte, informiert.
"Du scheinst dich ja gut mit den unterschiedlichen Gleitertypen der Sudori auszukennen", sagte Sakari schneidend.
Orlanos Gesicht wurde grimmig.
"Sieh dir die kleinen Schnellen dort hinten mal an, Renard."
Mir fielen sie jetzt auch auf.
Wie Sternschnuppen wirkten sie zunächst, dann näherten sie sich.
Das Licht der Monde wurde durch die metallene Außenhaut reflektiert.
Es handelte sich um kleinere Jägertypen.
Sie schienen eine Art Begleitschutz für die Transportgleiter darzustellen.
Es musste sich um einen Transport von außergewöhnlicher Wichtigkeit handeln, wenn er von diesen schnellen Gleitern geschützt werden musste. Denn normalerweise war kaum eine Bedrohung für die Gleiter vorstellbar.
Dass die schwachen Laserwaffen der Ada’an ihnen etwas anhaben konnten, war mehr als unwahrscheinlich.
Wer immer diesen Transport in Auftrag gegeben hatte, er schien auf Nummer Sicher gehen zu wollen.
Möglicherweise soll damit auch für den Fall des Absturzes sichergestellt werden, dass niemand in den Besitz des Transportgutes gerät, überlegte ich.
Ich begann, mich zu fragen, was an Bord dieser Transportgleiter wohl geladen worden war.
"Sie wissen genau, in welcher Situation wir sind", sagte Orlanos. "Wir sind hilflos."
Die ersten Laserblitze zuckten.
Sie wurden nicht auf uns gefeuert, nicht auf die Ada’an. In der Dunkelheit waren wir vielleicht auch nicht die geeigneten Ziele.
Nein, sie feuerten auf die wie wahnsinnig mit ihren Grabungsarbeiten beschäftigten Anfatoi und ihre Brutgelege-Pyramiden.
Grimm erfasste mich.
Sie tun es einfach nur aus Spaß, dachte ich. Eine Art Sport für sie, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass die Nomaden von den Gelegen abhängig waren.
Wenn ein Ada’an-Stamm durch diese Schießerei zum Sterben verurteilt war, so stellte das für die Piloten vermutlich einen durchaus gewünschten Nebeneffekt dar.
Nur ein toter Nomade war ein guter Nomade.
Nach dieser Devise handelten viele von denen. Ich selbst hatte es erlebt, als ich zum ersten Mal mit Orlanos und dem Stamm der Paragar zusammengetroffen war.
Die ersten Riesenskorpione gingen in Flammen auf.
Ein verbrannter, beißender Geruch verbreitete sich bis zu uns hin.
Kreischlaute der sterbenden Anfatoi ertönten, ein wahrer Höllengesang.
Die Reitkäfer wurden unruhig. Es wurde schwieriger, sie unter Kontrolle zu halten.
Ich spürte den Widerstand des primitiven Bewusstseins meines Tieres. Und den anderen Reitern erging es nicht anders.
Und ich spürte auch noch etwas anderes. Die Blicke der Ada’an. Sie waren auf mich gerichtet.
Ich wusste, dass ich jetzt etwas tun musste.
Ich hatte die Sudori einmal besiegt und das erwarteten sie jetzt wieder von mir.
Ich nahm den Energieprojektor vom Gürtel, jenes kleine, unscheinbare Gerät, das der Subimperator mir mitgegeben hatte und einen ganz wesentlichen Teil meiner Ausrüstung darstellte.
Ich brauchte diesen Projektor noch, um seine Vernichtungskraft dorthin zu lenken, wo die Sudori versuchten, hinter das Geheimnis des Überlichtfluges zu kommen.
Die Energiereserven dieses Moduls waren natürlich begrenzt. Das wusste ich. Und ich wusste auch, dass ich mir einen Teil dieser Reserven aufheben musste, für jenen Moment, wenn der entscheidende Teil meines Auftrages erledigt werden musste.
Aber wenn ich einen Teil dieser Gleiterflotte vom Himmel holte, so überlegte ich, war es wahrscheinlich gar nicht mehr nötig, die anderen auch anzugreifen.
Im übrigen bestand für mich im Moment nicht die geringste Entscheidungsfreiheit, denn wenn ich nichts gegen die Sudori-Gleiter unternahm, dann bedeutete das unweigerlich wohl auch mein eigenes Ende. Denn auch für mich gab es kein Überleben in dieser Wildnis, dieser trostlosen Gluthölle, deren Hitzeaufwallungen einzig und allein den Anfatoi-Eiern zur Reifung nützten, ansonsten aber der Feind jeglichen Lebens waren.
Ich hatte nur Sekunden Zeit, um das Modul zu justieren. Der Energieblitz zuckte, breitete sich aus, bildete eine Energieblase, in die mehrere der kleinen Jäger eingeschlossen wurden und ebenfalls einer der Transportgleiter.
Dem Transportgleiter gelang es, sich aus der Blase wieder zu befreien.
Er trudelte jedoch Richtung Planetenoberfläche.
Die kleinen Jagdgleiter zerbarsten einer nach dem anderen, während der Transportgleiter in einiger Entfernung auf die Oberfläche von Candakor-3 einschlug.
Die Erde erbebte unter dem Aufprall.
Die Ada’an begannen, ein Kampfgeheul auszustoßen.
Es kam wie ich vorher gesehen hatte. Der Gleiterverband zog ab, wohin auch immer.
"Wahrlich, du bist der, auf den wir gewartet haben", sagte Sakari. Seine Stimme vibrierte leicht dabei.
Ich wandte mich an Orlanos.
Ich hatte das Gefühl, dass es ein günstiger Augenblick war, meine Bitte zu äußern.
"Wie lange werden die Anfatoi noch damit beschäftigt sein, ihren Nachwuchs auszugraben?", fragte ich.
"Bestimmt noch die ganze Nacht."
"Dann möchte ich mir gerne die Absturzstelle des Gleiters ansehen."
"Warum? Was versprichst du dir davon? Beutegut?"
Orlanos lachte.
"Das Meiste, was sie an Bord haben, ist frevelhaft, ist vom Herrn der Sterne verboten und widerspricht dem Gortoch."
Gortoch - das war das Prinzip der kosmischen Ordnung, das in der Religion der Ada’an eine zentrale Bedeutung inne hatte.
Gortoch - Gesetz war eine zu schwache Bedeutung für diesen Begriff. Nicht allumfassend genug.
"Ich möchte mir die Absturzstelle ansehen", beharrte ich. "Sie kann nur wenige Meilen entfernt sein und mit den Reitkäfern werden wir diese Strecke innerhalb kürzester Zeit hinter uns gebracht haben."
Orlanos wirkte nachdenklich. Er wechselte einen Blick mit Sakari, dann nickte er schließlich.
"Gut", sagte er. "Aber du sollst nicht allein reiten. Parakas und Lordoi werden dich begleiten. Ich muss hier beim Stamm bleiben, dessen Anführer ich bin."
"Ja, das verstehe ich", sagte ich.
Parakas und Lordoi hatte ich ja bereits als zuverlässige Anfatoi-Führer kennengelernt.
Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, dass sie mich begleiteten, obgleich ich nicht genau wusste, ob dies eine Begleitung zu meinem Schutz oder zu meiner Beaufsichtigung darstellte.
Ich beschloss, mir darüber nicht weitere Gedanken zu machen.
Ich durfte keine Zeit verlieren. Wir brachen auf.
Die Reitkäfer krabbelten in einem erstaunlichem Tempo vorwärts, selten habe ich in einer anderen Welt, die ich im Auftrag des Subimperators besuchte, derart schnelle Reittiere gesehen.
Und selbst viele hochmoderne Fahrzeuge, sofern es sich nicht um Gleiter handelte, hätten Schwierigkeiten gehabt, mit ihnen in diesem unwegsamen Gelände mitzuhalten.
Wir erreichten die Absturzstelle.
Eine schwarze Rauchfahne zeigte sie uns auf großer Distanz bereits an.
Ich stieg von meinem Reitkäfer. Inzwischen wusste ich, dass ich ihn durch einen gezielten Schlag an eine bestimmte Stelle seines Kopfes in eine Art Starre versetzen konnte.
Die Ada’an höhlten dazu den Panzer des Reitkäfers dermaßen aus, dass man direkt an die Nervenbahnen des Tieres gelangte. Dieser Schlag, auch Galsch genannt, brauchte etwas Übung. Und nun zeigte sich, dass ich diese Übung nicht hatte.
Parakas half mir.
Er stieg von seinem Reitkäfer herunter, versetzte ihn in Starre und führte dann den Galsch an meinem aus.
"Ich danke dir", sagte ich.
"Keine Ursache. Was du für uns getan hast, ist viel mehr, Renard. Und ich bin froh, mich revanchieren zu können."
Ich nickte ihm zu, dann wandte ich mich herum, sah mir das Wrack des Gleiters an.
Ich hoffte nicht, dass wir auf überlebende Besatzungsmitglieder stießen, denn in dem Fall hatten diese durch die Ada’an-Nomaden nichts anderes als Grausamkeit zu erwarten.
Und ich hatte keine Lust, ein Zeuge dieser Grausamkeiten zu werden.
Im hinteren Teil des Wracks herrschte ein Schwelbrand. Durch die geborstene Scheibe drang der schwarze Qualm nach außen, aber die Fahrerkabine war relativ unversehrt.
Ich öffnete mit Hilfe eines elektronischen Moduls, das ich bei mir trug, die Tür, deren elektronisches Schloss nicht sehr schwer zu knacken war.
Der Pilot und der Copilot waren durch den Aufprall getötet worden. Die Wucht dieses Geschehens hatte sie vorne gegen die Scheiben geschleudert.
Blut klebte dort jetzt.
Was mich interessierte, war der Rechner. Über das Modul, das ich bei mir trug, gelang es mir, in das System hinein zu kommen. Es ließ sich sogar teilweise aktivieren.
Computer waren eben widerstandsfähiger als Menschen, dachte ich.
Einen Teil der Daten lud ich in das Modul hinein. Alles, was ich bekommen konnte.
Mich interessierte die Fracht und der Bestimmungsort. Denn vom ersten Augenblick an war mir klar gewesen, dies war kein gewöhnlicher Transport. Er musste eine besondere Bedeutung haben und ich war entschlossen, herauszufinden, welche.
Ich verließ die Fahrerkabine wieder, klappte die Tür hinter mir zu.
Parakas stand da, beobachtete mich. Erstaunen stand in seinem Gesicht.
"Du kennst dich gut aus in der Technik der Sudori!"
"Ich will wissen, wohin dieser Transporter unterwegs war", sagte ich.
"Warum ist das wichtig?"
"Es ist wichtig", erklärte ich. "Die Sudori sind die Feinde eures Volkes. Warum fragst du nach dem Grund dafür, dass ich ihre Absichten kennen will?"
"Und ihre Absichten kannst du aus dem Zielort dieses Transporters erkennen?", fragte Parakas.
Unverhohlenes Misstrauen, überlegte ich. Genau das war es, was in Parakas' Worten mitschwang. Und das, nachdem ich für ihn und seinen Stamm diesen Transporter vom Himmel geholt hatte. Trotzdem verdächtigte er mich insgeheim, vielleicht doch ein Spion der Sudori zu sein.
"Hat es je Spione der Sudori unter euch gegeben?", fragte ich Parakas.
Lordoi war nun ebenfalls herbeigetreten.
"Es hat", nickte Lardoi. "Vor zwei Generationen haben die Sudori einen Versuch unternommen, uns ganz von der Planetenoberfläche zu tilgen. Sie haben Agenten bei uns eingeschleust, als Händler getarnt. Sie haben versucht, die Eiablageplätze unserer Anfatoi herauszubekommen und hin und wieder ist es ihnen gelungen. Das bedeutete dann stets das Ende des Stammes."
"Ich verstehe", sagte ich. "Aber seit einiger Zeit ist das doch nicht mehr die Politik der Sudori", fuhr ich fort.
"Die Politik der Sudori hat sich nie geändert", korrigierte mich Parakas. "Es ist nur so, dass sie eingesehen haben, dass sie letztlich nur in Koexistenz mit uns hier auf Candakor-3 leben können. Sie können uns dezimieren. Sie können dafür sorgen, dass wir uns gegenseitig mit ihren Laserwaffen zu Tode bringen. Aber sie werden uns niemals von hier vertreiben können. Dazu sind wir viel zu sehr mit dem Planeten selbst eins. Wenn du verstehst, was ich meine, Renard?"
"Ja, ich glaube, ich verstehe sehr gut, was du meinst", nickte ich.
Ich sah mir die Anzeige auf dem Modul an. Die neuen Daten wurden durchsucht und... ich wurde fündig. Zielort dieses Transports war ein inselartiges Stück Land inmitten eines großen Salzsees.
Ich ließ mir auf dem Modul eine Kartenprojektion anzeigen. Keine der großen Städte lag dort. Nicht einmal in der Nähe. Die nächsten Siedlungen der Sudori lagen Tausende von Kilometern entfernt und das hatte seinen guten Grund, denn dieser Salzsee lag mitten in der äquatorialen Glutzone. Kein Gebiet, in dem man eine menschliche Siedlung erwarten konnte.
Vor allem dann nicht, wenn anderswo Platz genug war. Aber irgendetwas ist dort, ging es mir durch den Kopf.
Ich durchforstete weiter die Daten und Parakas und Lardoi sahen mir interessiert zu.
Sie verstanden nicht, was ich tat. Für sie war es eine Art Magie.
Anstatt eines Moduls hätte ich vielleicht ebenso gut irgendein Chitinteil des Anfatoi in der Hand halten können, dem die Ada’an eine rituelle Bedeutung zumaßen.
Ich sah mir die Frachtliste an und dort wurde ich fündig. Es konnte keinen Zweifel daran geben, ich hatte inmitten der Salzwüste einen Ort gefunden, an dem die Sudori die Überschreitung der Lichtgeschwindigkeit zu erproben gedachten.
Ich konnte nur hoffen, dass sie in ihren Vorbereitungen noch nicht allzu weit fortgeschritten waren, aber mir war klar, dass die Zeit drängte.
Ich musste etwas unternehmen.
Offensichtlich waren die Sudori jetzt in das Stadium der praktischen Erforschung und Erprobung getreten. Sie begnügten sich nicht mehr nur mit Simulationen am Computer.
Ursprünglich hatte ich gedacht, dass die großen Rechner von Gar Maduna ein geeignetes Vernichtungsziel gewesen wären, um die Pläne der Sudori zu vereiteln. Aber diese Überlegungen stellten sich nun als Makulatur heraus.
Sie waren hinfällig geworden, weil die Sudori offensichtlich schon um einiges weiter waren.
"Lasst uns zurück reiten!", forderte ich.
Lardoi und Parakas hatten nicht dagegen einzuwenden. Mir war klar, dass sie Sakari und den anderen Ada’an davon berichten würden, was sie gesehen hatten.
Dass sie einen Fremden dabei beobachtet hatten, seltsame Dinge zu tun, die sie nicht verstanden. Dass sie gesehen hatten, wie der Fremde namens Renard scheinbar mühelos mit der Sudori-Technik umzugehen wusste.
Aber in einer Nacht wie dieser, in der ich dem gesamten Stamm das Leben gerettet hatte, war meine Position wahrscheinlich unangreifbar.
*
ABRAN WAR AUSSER SICH, als er die Nachricht erfuhr.
"Ein Angriff der Ada’an auf unseren Transporter? Das kann nicht sein."
Segum, der Pilot von Jagdgleiter 24, stand der Schock ins Gesicht geschrieben, aber er konnte nicht mehr als wiederholen, was sich ereignet hatte.
"Es ist wirklich geschehen. Daran kann es keinen Zweifel geben. Sehen Sie sich doch die Aufzeichnungen unserer Bordrechner an."
"Das werde ich", sagte Abran, "und ich werde sie genau unter die Lupe nehmen."
"Tun Sie das."
Bulezos stand etwas abseits. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Mit dem Aufbau des Camps konnte man zufrieden sein. Er selbst war her gekommen, um alles mit zu überwachen, denn was dieses wichtige Projekt anging, sollte nichts dem Zufall überlassen werden.
Diese neue Entwicklung warf einen Schatten auf die glorreiche Zukunft, die er für das Projekt 'Überlicht' prognostiziert hatte.
"Soweit ich weiß, haben die Ada’an überhaupt nicht die Möglichkeit, unsere Gleiter vom Himmel zu holen", beharrte Abran. "Wie kann das geschehen sein?"
"Ich habe keine Ahnung, aber Tatsache ist, dass mehrere unserer Jagdgleiter und ein Transporter von einer Energieblase erfasst wurden."
"Keine Überlebenden?", fragte Bulezos.
Der Pilot schüttelte den Kopf. "Nein, keine Überlebenden. Die entsprechenden Sensoren haben den Tod der Besatzung gemeldet."
"Und was ist mit der Ladung?", fragte Abran.
"Die dürfte zerstört sein."
"Es ist mir nicht wohl bei dem Gedanken, dass diese technischen Gerätschaften, die an Bord des Transporters waren, in die Hände der Ada’an gefallen sind", erklärte Abran.
Der Pilot hob die Augenbrauen. "Ich glaube nicht, dass das irgendwelche Folgen haben könnte."
"So? Sie glauben?"
"Sie wissen, wie rückständig die Ada’an sind. Sie können mit diesen technischen Apparaturen überhaupt nichts anfangen und es gibt niemanden, der sie ihnen etwa abkaufen würde."
"Haben Sie eine Ahnung", erwiderte Abran ungehalten. "Sie haben ja auch geglaubt, dass die Ada’an keine Möglichkeit hätten, die Schutzschilde Ihrer Gleiter zu zerstören. Aber offensichtlich haben sie das wohl."
"Es muss ihnen jemand geholfen haben."
"Es muss sie jemand unterstützen", warf jetzt Bulezos ein. "Anders kann ich mir diesen Vorfall nicht erklären. Auf jeden Fall müssen wir ihn an den Föderationsrat melden."
"Das werden wir schön sein lassen", sagte Abran. "Wir haben hier genug Möglichkeiten, um uns zu schützen und außerdem ist nicht anzunehmen, dass die Ada’an den großen Salzsee durchqueren, um hier her zu gelangen. Was sollten sie wohl hier? Dies ist ein Ort, der völlig abseits ihrer Routen liegt."
"Ihrer Routen, soweit wir sie kennen", korrigierte Bulezos.
"Und wenn schon. Aber wenn wir jetzt dem Föderationsrat diese beunruhigenden Nachrichten zukommen lassen, Bulezos, dann wird man dort vielleicht über das ganze Projekt noch einmal nachdenken und falls es zu weiteren Vorfällen anderswo auf diesem Planeten kommt, wird man die Prioritäten anders setzen, wenn Sie verstehen, was ich meine?"
Bulezos verstand genau, was Abran meinte. Wenn das von Abran skizzierte Szenario eintraf, würde wahrscheinlich die Verteidigung gegen die Ada’an den Vorrang genießen und nicht mehr die Vielen ohnehin utopisch anmutende Erforschung des Überlichtantriebs.
"Der Vorfall wird unter der Decke gehalten", entschied Abran. "Oder ist irgendjemand hier anderer Meinung?"
Bulezos zögerte noch.
Dann schüttelte er den Kopf.
"Nein", gestand er zu. "Ich glaube, Sie haben recht."
*
"GEPRIESEN SEI DER GESANDTE des Herrn der Sterne!", rief Sakari. Und ein dumpfer Chor fiel in diesen Ruf mit ein.
Die Feuer brannten.
Die Reitkäfer befanden sich im Zustand der Starre.
Fester Boden!, dachte ich. Wie sehr habe ich das vermisst. Und dabei war es sogar lediglich feiner Sand, der unter den Füßen in erschreckender Weise nachgab. Und doch war es ein schönes Gefühl, direkten Kontakt mit der Planetenoberfläche zu haben - nach all diesen Wochen auf dem Rücken der Riesenskorpione.
"Du hast unseren Stamm gerettet!", stellte Orlanos fest. "Wir stehen für alle Zeiten in der Schuld."
*
WIR ERREICHTEN DIE Höhlen von Zamdara.
Wochen waren seit dem Aufenthalt bei den Eiablageplätzen der Anfatoi vergangen.
Wochen in der Gluthölle der Äquatorialzone von Candakor-3.
Immer vertrauter wurde ich mit dem Leben und den Gebräuchen der Ada’an.
Und ich gewann das Gefühl, dass meine Anerkennung in ihrer Mitte stetig zunahm.
Ganz unabhängig von der Tatsache, dass ich der war, auf den sie warteten, hatte ich ihren Respekt erworben.
Und das war vielleicht mehr wert als alle Vorbereitungen, die der Subimperator für mich auf dieser Welt getätigt hatte. Angefangen von den Mythen der Ada’an, die seine Saat gewesen waren.
Eine Saat, die ich gekommen war, zu ernten.
Das Zamdara-Canyon streckt sich über einen gewaltigen Bereich hinweg. Es ist ein Beweis dafür, dass es früher mal sehr viel mehr Wasser auf Candakor-3 gegeben haben muss, denn nur Wasser hat die Kraft, so tief in den Stein hinein zu graben.
Als die ersten Ausläufer dieses Canyons in der Ferne sichtbar wurden, wie dunkle Schatten aufragten in der Dunkelheit der Nacht, in der wir reisten, da sagte Orlanos zu mir: "Dort, in jenem Canyon, sind die Eingänge zu den Höhlen von Zamdara, verborgen zwischen engen Schluchten und schmalen Pässen. Du wirst es kaum glauben, Renard, aber es gibt dort Orte, die seit Tausenden von Jahren nicht die Sonne gesehen haben. Und das obwohl sie in der Glutzone des Äquators liegen. Schluchten, in denen ein kalter Hauch weht; hin und wieder ist dort Wasser. Es ist wie eine Lebensinsel mitten in der Hölle."
"Ich habe davon gehört", sagte ich und bezog mich dabei auf das Vorwissen, das ich vom Subimperator erhalten hatte.
Ich wandte mich an Orlanos.
"Nur ein Teil des Stammes nimmt an dem Fest teil, nicht wahr?"
"So ist es", bestätigte der Stammesführer. "Es ist eine besondere Ehre, aber andererseits auch eine Notwendigkeit, denn die Anfatoi müssen wir für diese Zeit verlassen."
"Ja, ich weiß. Die Felsspalten und Schluchten sind zu schmal für sie. Es ist unmöglich, sie bis zu den Höhlen gelangen zu lassen."
"Richtig", erwiderte Orlanos. "Und davon abgesehen, wäre dort auch gar nicht genug Platz für sie, denn schließlich sind wir ja nicht der einzige Stamm, der zu den Höhlen von Zamdara unterwegs ist."
Parakas meldete sich aufgeregt zu Wort.
Er deutete zum westlichen Horizont.
"Seht! Dort hinten!", rief er.
Dunkle Schatten tauchten dort auf. Schatten, die sich bewegten.
"Anfatoi", murmelte Orlanos.
"Die Anfatoi eines anderen Stammes?", vergewisserte ich mich.
"Du sagst es, Renard, aber das bedeutet keine Gefahr, denn wir haben jetzt die Zeit des Festes von Zamdara und das bedeutet, dass hier in der Gegend um den Canyon herum Frieden herrscht."
"Und dieser Frieden wurde noch nie gebrochen?", erkundigte ich mich.
"Nein. Es würde den Ausschluss aus der Gemeinschaft der Ada’an bedeuten. Das würde kein Stamm wagen. Dalragan Sor würde seinen Bannspruch über die Frevler richten."
"So wie über die Sudori-Frevler?"
"Ja, genau, Renard, du hast mich verstanden."
"Haben die Sudori noch nie versucht, euch hier anzugreifen?", fragte ich schließlich. Mir steckte der letzte Angriff der Sudori immer noch in den Knochen und gewiss ging es nicht wenigen im Stamm ähnlich.
Orlanos lächelte.
"Ich glaube nicht, dass sie diesen Ort überhaupt kennen."
"Warum sollten sie ihn nicht kennen, Orlanos? Sie verfügen über eine ausgefeilte Technik."
"Das mag sein. Aber sie vermuten niemals hier in der tiefsten Einöde, im Herzen der Glutzone, irgendetwas, das von einem Wert sein könnte. Wenn ihre Gleiter herbei kommen, mögen sie sich möglicherweise wundern über die große Ansammlung von Ada’an. Vielleicht nutzen sie auch die Gelegenheit zu einem Angriff, aber seit Menschengedenken hat kein Fahrzeug der Sudori sich hier her verirrt, Renard. Was sollten sie auch hier? Dieser Ort liegt völlig abseits von allen Handelsrouten, von den Wegen zwischen den einzelnen Sudoristädten."
Orlanos schüttelte den Kopf.
"Nein, wahrscheinlich sind wir hier sicherer als irgendwo sonst auf dem Planeten."
Orlanos sah mich nachdenklich an, dann fuhr er fort: "Du wirst uns natürlich in die Höhlen begleiten, Fremder Renard."
"Werde ich Dalragan Sor hier treffen?"
"Das nehme ich an."
"Wie soll ich ihm gegenüber treten?"
"Er wird dir gegenübertreten, Renard."
"Ich verstehe." Es war eine Lüge. Ich verstand überhaupt nichts.
"Erzähl mir von Dalragan Sor", forderte ich Orlanos auf. "Erzähl mir alles, was du weißt. Dieser Mann interessiert mich. Residiert er immer in den Höhlen von Zamdara?"
"Ja, das tut er", sagte Orlanos.
Und ich war froh, dass er bereit war, über diesen Propheten der Ada’an zu sprechen, denn viel Vorwissen über ihn besaß ich nicht. Die Informationen, die ich vom Subimperator über ihn bekommen hatte, waren äußerst spärlich. Und zweifellos spielte er, Dalragan Sor, eine Schlüsselrolle auf Candakor-3.
Der Stamm der Paragar hatte mich anerkannt, sah mich als den, den der HERR DER STERNE gesandt hatte, aber die entscheidende Hürde hatte ich noch längst nicht genommen. Das würde die Anerkennung durch Dalragan Sor sein.
"Wie kann man hier überleben?", fragte ich.
"Du wirst es sehen, Renard. Es geht. Es gibt Wasser hier. Mehr als du denkst. Und in den Höhlen ist es angenehm kühl. Kaum Hitze dringt in die Tiefen."
"Wahrscheinlich bin ich zu ungeduldig", sagte ich.
"Gewiss. Aber bald wirst du alles mit eigenen Augen zu sehen bekommen. Hier schlägt das Herz unseres Volkes, Renard. Hier und nirgendwo anders. Ein Ort, der für uns noch wichtiger ist als die Eiablagepyramiden unserer Anfatoi."
*
EIN DUNKLER RAUM, ERLEUCHTET nur von einigen fluoreszierenden Steinen und dem flackernden Schein eines Feuers.
Wasser tropfte in ein Becken hinein. Es tropfte von der Höhlendecke, wo Stalagmiten herunter ragten. Feucht und kalt war es hier unten.
Dalragan Sor saß mit geschlossenen Augen da, lauschte dem Tropfen, diesem unregelmäßigen Klangteppich aus hunderten, ja tausenden von Impulsen. Ein akustisches Muster ohne jede Regel, so überlegte er.
Ein Chaos, wie das Universum selbst oder wie der Blick auf die Zukunft.
Es war unmöglich zu sagen, welcher Tropfen sich als erster vom Kalkstein herunter wagte und in das Bassin fiel.
Er wird hier her kommen, dachte Dalragan Sor. Jener, den alle erwarten, jener, der für uns der Messias sein soll.
Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht unter den Stämmen verbreitet. Ebenso wie die Nachricht über die Wundertaten dieses Fremden namens Renard, der allein es geschafft hatte, einen Sudori-Angriff abzuwehren.
Paragar-Leute, die sich zwischenzeitlich von ihrem Stamm abgesondert hatten, um Handelsstationen aufzusuchen, waren wohl in erster Linie dafür verantwortlich. Denn zu Kontakten zwischen den einzelnen Stämmen kam es ansonsten relativ selten.
Die Handelsstationen wurden zumeist durch Sudori betrieben. Sudori, die unter ihresgleichen auch als Außenseiter galten und nicht gerade wohlgelitten waren, da sie ein gutes Geschäft daraus gemacht hatten, an die Ada’an Waffen zu verkaufen. Aber auch Ausgestoßene aus den Stämmen sammelten sich hier.
Es war jedoch gängige Praxis, die Handelsstationen als neutralen Boden zu betrachten. Selbst die Sudori-Patrouillen ließen sie in Ruhe. Schließlich gelangten von dort auch Neuigkeiten über die Ada’an zu den Stadtbewohnern, so dass diese zumindest das Gefühl hatten, kontrollieren zu können, was unter den Skorpion-Reitern vor sich ging.
Ein Mann, der nicht von dieser Welt ist, dachte Dalragan Sor. Genauso wie es die Legenden beschreiben. Es ist gespenstisch.
Dalragan Sor atmete tief durch. Er murmelte eine der rituellen Formeln des Gortoch. Eine Übung, die seine Konzentration schärfte, seine Sinne klar machte. Und das war es, was er jetzt brauchte. Einen klaren Verstand und klare Sinne, denn vor ihm lag eine Zeit, die nicht einfach werden würde.
Darüber machte sich der Prophet keine Illusionen.
Eine zynische Stimme meldete sich im Hinterkopf des Propheten. Freust du dich denn gar nicht über die Ankunft des Erlösers? Jenes Erlösers, den du doch nie müde wurdest zu verkünden und dessen Ankunft nun gekommen zu sein scheint.
Dalragan Sor biss sich auf die Lippe.
Nein, er freute sich nicht über die Ankunft dieses Fremden. Die Hoffnung auf den Messias war etwas, das den Ada’an die Kraft zum Überleben gab. Ein Mythos, der wie eine Energiequelle auf sie wirkte.
Das Schlimmste, was einem Menschen geschehen kann, ist, dass sein größter Wunsch in Erfüllung geht, überlegte Dalragan Sor.
Aber es waren durchaus nicht nur selbstlose Motive, die den Propheten mit gemischten Gefühlen der Ankunft des angeblichen Messias entgegen sehen ließen.
Seine eigene unumstrittene Machtposition war natürlich auf das Höchste bedroht, wenn jener nun endlich erschien, in dessen Namen er seine Autorität ausübte.
Sein Wort war zur Zeit Gesetz unter den Ada’an, aber Dalragan Sor wusste, dass das in jenem Moment vorbei war, in dem der Fremde namens Renard als der 'Erwartete' anerkannt wurde. Genau in diesem Moment würde man von dem Propheten erwarten, ins zweite Glied zurück zu treten und das war eine Aussicht, die Dalragan Sor auf keinen Fall behagte.
Du wirst kaum etwas dagegen tun können, meldete sich eine realistische Stimme in seinem Hinterkopf. Denk an die alte Weisheit, dass man begrüßen muss, was man nicht zu verhindern vermag.
Ein straff organisiertes planetenumspannendes Reich der Ada’an, das war es, was Dalragan Sor vorschwebte. Nicht dieser im Grunde anarchische Stämmeverbund, der letztlich durch nichts weiter zusammen gehalten wurde als durch eine gemeinsame Religion und gemeinsame Wertvorstellungen.
Wertvorstellungen, die beispielsweise darin bestanden, die Technik der Sudori als frevelhaft abzulehnen.
Ein Krieg gegen die Sudori, dachte Dalragan Sor, das würde unser Volk einigen.
Aber noch war es nicht so weit, noch hatten die Ada’an nicht die Mittel dazu.
Doch Dalragan Sor hatte sich vorgenommen, darauf hin zu arbeiten. Die Sudori-Städte sollten in Schutt und Asche gelegt werden oder in Feuersbrunsten vergehen. Als Mahnmale des Frevels würden ihre Ruinen noch Jahrhunderte lang die Gläubigen in Schauer versetzen.
Doch nun war dieser Fremde erschienen.
Und das drohte alles zunichte zu machen, wofür der Prophet jahrelang gearbeitet hatte.
Ich hätte zu meinen Lebzeiten dieses Wunder nicht gebraucht, überlegte er.
Warte ab mit deinem Urteil, bis du ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber getreten bist, sagte sich der Prophet dann.
Aber er durfte sich keinen Illusionen darüber hingeben, dass der Traum, den er geträumt hatte, zunächst einmal Makulatur geworden war.
Der Traum davon, Herrscher in einem Staat zu sein, der ohne die Frevel der Sudori erhalten werden konnte, in Einklang mit der Natur, mit dem Planeten, mit dem Universum.
*
DER STAMM DER PARAGAR lagerte auf der Hochebene vor dem Zamdara-Canyon.
Mit etwa hundert Kriegern ritten wir durch die engen Schluchten des Canyons.
Ich konnte es kaum erwarten, endlich Dalragan Sor gegenüber zu stehen, dem zweifellos bedeutendsten Repräsentanten der Ada’an-Kultur.
Während ihres großen Festes huldigten die Ada’an dem Gortoch, dem Prinzip der kosmischen Ordnung, gegen das niemand zu verstoßen hatte.
Am Ende der Nacht brachen wir auf. Der Morgen graute und die Sonne Candakors kroch als glutroter Ball über den Horizont.
In der Ada’an-Sprache gab es nur ein Wort für Sonne und Tod. Und jedem, der einen dieser glutheißen Tage in der Äquatorialzone von Candakor-3 erlebt hatte, war klar, wie es dazu gekommen war.
Die Reitkäfer erwiesen sich als überraschend gute Kletterer. Mit den rutschigen Pfaden und den steilen Hängen innerhalb des Canyons hatten sie keinerlei Schwierigkeiten.
Es machte fast den Eindruck, als seien sie nichts anderes gewohnt und würde der Ursprung ihrer Spezies in einem Gebiet liegen, das diesem gleichen musste.
Die Sonne brannte zwar vom Himmel, aber fast die gesamte Zeit über hielten wir uns im Schatten. Immer tiefer wurden die Schluchten, immer verschlungener die Pfade, denen wir in diesem labyrinthartigen Canyon folgen mussten.
Ohne ein elektronisches Navigationssystem wäre ich niemals in der Lage gewesen, den Rückweg zu finden.
Schon nach kurzer Zeit hatte ich vollkommen die Orientierung verloren.
Anders die Ada’an. Sakari, der Schamane, führte die Gruppe an und er schien nicht einen Augenblick daran zu zweifeln, noch immer auf dem richtigen Weg zu sein.
An den Felswänden fielen mir Linien auf, dunkle, fast schwarze Linien, von denen ich den Eindruck gewann, dass es sich um Malereien handelte.
Allerdings sah ich weniger konkrete Darstellungen, sondern eher abstrakte Symbole.
Ich fragte Orlanos danach.
"Das sind die Zeichen der Geheimnisvollen", sagte Orlanos.
"Wer sind die Geheimnisvollen?", fragte ich.
"Wir wissen es nicht. Wir fanden nur ihre Zeichnungen, ihre Knochen in den Höhlen und diverse andere Hinterlassenschaften. Sie müssen hier gelebt haben, lange bevor die Ada’an nach Candakor kamen."
Von den Geheimnisvollen hatte ich noch nichts gehört. In den Vorinformationen, die ich vom Subimperator, dem wahren Herrn der Sterne, erhalten hatte, war von ihnen nicht die Rede gewesen.
Ahnte am Ende nicht einmal der Subimperator von ihrer Existenz?
Eine Million Jahre reichte die Herrschaft des Subimperators mittlerweile bereits zurück.
Seit einer Million Jahre durchkreuzten die Unterlichtcontainerschiffe das All, auf ihren jahrhundertelangen, manchmal jahrtausendelangen Reisen mit Waren aller Art, die zwischen den Welten des interstellaren Handelsverbundes ausgetauscht wurden - und oft auch mit... Schlafkammern voller Siedler.
"Ich dachte, die Ada’an wären die ersten menschlichen Siedler auf Candakor-3 gewesen", sagte ich.
"Das waren sie auch", erwiderte Orlanos. "Die Geheimnisvollen mögen vernunftbegabt gewesen sein, aber menschlich waren sie keinesfalls."
"Wie sahen sie aus?", fragte ich.
Orlanos lächelte.
"Den Skeletten nach waren sie - Insektenabkömmlinge. Käferartige."
"Vielleicht hat es damit zu tun, dass ihre Auffassung von bildnerischer Schönheit sich augenscheinlich sehr von der menschlichen unterschied", erwiderte ich.
"Du verstehst die Bedeutung dieser Linien nicht", sagte Orlanos.
"Verstehst du sie?", fragte ich Orlanos.
Orlanos lächelte.
"Nein, ich verstehe auch nichts von diesen Dingen, nicht einmal Sakari, unser Schamane. Aber es gibt Gelehrte, Priester im Umkreis des Propheten. Sie wissen diese Linien zu deuten."
"Dann stellen sie eine Art Schrift dar?"
"Man könnte es so nennen, Renard."
Die Botschaft einer urzeitlichen Vergangenheit, in der intelligente Käfer über diesen Planeten geherrscht hatten. Etwas Derartiges hatte ich nicht erwartet.
Ungefähr eine halbe Stunde später trafen wir auf eine Gruppe von etwa dreißig Ada’an.
Auch sie ritten auf ihren Käfern und strebten offenbar dem selben Ziel zu wie wir.
Ich bemerkte die Unruhe unter den Angehörigen des Paragar-Stammes. Wüste Beschimpfungen murmelten einige von Orlanos Kriegern vor sich hin.
Die Männer zügelten ihre Reitkäfer.
"Deine Leute scheinen diese Fremden zu kennen?", stellte ich an Orlanos gerichtet fest.
Hier und da waren die Hände nahe bei den Strahlenpistolen oder Einhandarmbrüsten. Und auch die Angehörigen der fremden Gruppe schienen plötzlich wie elektrisiert zu sein.
"Das sind Angehörige des Stammes der Palmagi. Bei der Handelsstation Tablor Mech sind wir das letzte Mal aufeinander gestoßen und dabei hat es viele Tote gegeben."
Orlanos grinste.
"Vor allem auf Seiten unserer Gegner."
"Aber für die Zeit des Festes von Zamdara herrscht doch Frieden", sagte ich.
Orlanos nickte. "Ja, wenn die da drüben sich daran halten."
"Werden sich deine Leute daran halten?"
"Meine Leute tun, was ich sage", erklärte Orlanos selbstbewusst.
Indessen tönte es von der anderen Seite unflätig herüber: "Verflucht sei der Anführer der Paragar, an dessen Name sich niemand mehr erinnert", rief ein Mann mit grauem Bart. Er schlug den Umhang zur Seite. Eine Laserpistole wurde sichtbar, außerdem ein Wurfdolch, sowie eine Einhandarmbrust.
"Orlanos von den Paragar gleicht einem Stück Käferkot", rief er. "Nur im Schutz des Friedensfest von Zamdara traut er sich mir gegenüber zu treten."
Orlanos blieb ruhig.
Er rief zurück: "Mein alter Freund Ladon sollte bedenken, dass die Seinen in der Unterzahl sind und sie in einem Kampf nicht die geringste Chance hätten."
"Die Gedanken eines Feiglings", rief Ladon zurück und die ihn begleitenden Männer stimmten mit lautem Geheul darin ein.
"Wir werden die Friedensregeln des Festes von Zamdara nicht brechen", erklärte Orlanos.
"Wie lange werden deine Männer dir noch folgen, wenn du dich ungestraft beleidigen lässt, Orlanos?", rief sein Gegenüber zurück.
"Die Gefolgschaft meiner Männer lass lieber meine Sorge sein. Ansonsten hoffe ich, dass du dich keines Frevels schuldig machen willst! Schon gar nicht in Gegenwart des Erwarteten, der mit uns reitet."
Ladon lenkte seinen Reitkäfer näher heran, ließ ihn eine Böschung hinauf klettern.
Der Abstand betrug jetzt nur noch wenige Meter zu den ersten von Orlanos' Kriegern.
"Ich habe davon gehört", sagte er. "Man erzählt sich alles Mögliche an den Handelsstationen."
"Wenn mein Feind Ladon etwas weiß, weiß es gewiss jeder", sagte Orlanos. "Denn er ist gewöhnlich, der Letzte, der etwas erfährt."
Ladons Hand glitt zur Seite, umfasste krampfhaft den Griff des Wurfdolchs. Er stieß ein paar unflätige Verwünschungen hervor.
Gleichgültig, ob es nun die Übermacht von Orlanos Männern oder der Respekt vor den Gesetzen des Festes war, er wagte keinen Angriff.
Er atmete tief ein und wieder aus, aber seine Körperhaltung entspannte sich daraufhin nicht. Die dunkelgrauen Augen musterten Orlanos hasserfüllt, dann ließ Ladon den Blick über Orlanos Männer schweifen.
"Wer von diesen jämmerlichen Gestalten soll es sein?", rief er. "Ich möchte ihn mit eigenen Augen sehen?"
Schweigen herrschte einige Augenblicke.
"Ich bin es", sagte ich schließlich.
"Du bist der Diener des Herrn der Sterne?"
"Ja, der bin ich."
"Ich werde dich erst anerkennen, wenn unser Prophet Dalragan Sor es tut."
"Unter anderem bin ich deswegen hier."
"So lange das nicht geschehen ist, werde ich dich behandeln wie jeden anderen Ada’an."
Ich musste unwillkürlich an meinen eigenen Ursprung denken - und an meinen Werdegang. Ich war Herr der Straße gewesen - auf der unmenschlichen Erde. Das bedeutete: Herr über Leben und Tod. Vor allem Leben und Tod meiner Feinde - und jeder war mein potentieller Feind gewesen, damals. Ich hatte mich durchgesetzt, gegen alle. Ich hatte niemals auch nur einen Kampf verloren, auch nur eine einzige Auseinandersetzung und war jeder Situation gewachsen gewesen. Sonst hätte ich nicht überlebt. Bis der Subimperator, der HERR DER STERNE, mich aufgelesen hatte. Inzwischen wusste ich, dass es zu einer Art Zuchtprogramm gehört hatte, mit Bedingungen, die eigentlich kein Mensch erfüllen konnte. Es sei denn, er hatte das Zeug, Diener des Subimperators zu werden.
Ich hatte es geschafft. Nicht, weil ich selber das so gewollt hatte. Sondern nur, weil ich hatte leben wollen. Besser gesagt: Ich hatte ÜBERLEBEN wollen.
Daran hatte sich nichts geändert.
Ich wusste, dass ich auch diesem meinem Gegenüber überlegen war, aber auch, dass es äußerst unklug gewesen wäre, dies hier und jetzt zu zeigen oder gar unter Beweis zu stellen.
"Das ist dein gutes Recht", sagte ich deshalb beipflichtend. "Und wie jedem anderen Ada’an wirst du mir den friedlichen Zugang zu den Höhlen nicht verweigern, so wie es die Überlieferungen sagen, so wie es geschrieben steht und wie es deine Pflicht ist."
Ich hatte sehr ruhig gesprochen und Ladon schien dennoch sichtlich beeindruckt - oder gerade deswegen?
Dann wandte er sich an Orlanos.
"Dieser Mann kann unmöglich mit einem Stück Reitkäferkot wie dir verwandt sein. Das habe ich gleich gesehen", und fügte dann noch hinzu: "Unsere Fehde ist nur aufgeschoben, Orlanos. Zur Zeit herrscht der Frieden des Festes von Zamdara, aber wenn diese Zeit vorbei ist, sind wir wieder Feinde."
"Bei unserem nächsten Zusammentreffen werde ich dich töten", versprach Orlanos.
"Ich glaube nicht, dass du das schaffst!"
"Abwarten."
*
WIR ERREICHTEN ZUSAMMEN mit Ladons Männern den Höhleneingang.
Tatsächlich blieb es die ganze Zeit über friedlich, auch wenn Provokationen von beiden Seiten nicht ausblieben.
Aber der Anblick dieser gewaltigen Grotten schien eine Art läuternder Wirkung auf die Krieger beider Seiten zu haben und erinnerte sie wohl an das Friedensversprechen, das an diesem Ort galt.
Und zwar ohne jede Einschränkung.
Es gab keinen Grund, der es nach dem Kodex der Ada’an rechtfertigte, zur Zeit des Festes eine gewaltsame Auseinandersetzung auszutragen.
Dies war die Zeit der Einheit und des Zusammenhaltes. Mochten sich die Ada’an-Nomaden ansonsten auch mit Vorliebe gegenseitig zerfleischen, so war das für die Zeit Festes mit einem Tabu belegt, das man sich absoluter nicht vorstellen konnte.
Wir kamen in eine große, hallenartige Grotte.
Dort wurden die Reitkäfer in Starre versetzt, indem sie einen Schlag an eine bestimmte Stelle ihres Kopfes bekamen.
Dieser hallenartige Raum erinnerte mich an eine gigantische Kathedrale.
Nie hatte ich etwas Vergleichbares gesehen.
Skulpturen waren in den Stein hinein gehauen.
Und überall waren die abstrakten Linienmuster der Geheimnisvollen, jener Käferartigen, die vor Äonen diesen Planeten beherrscht haben mussten. Wahrscheinlich hatten auch sie diesen Ort als Gebäude benutzt.
Ich stieg von meinem Reitkäfer, genau so wie die Männer Ladons und vieler anderer Clans und Stämme.
"Noch nie habe ich eine derartig gewaltige Höhle gesehen", sagte ich, an Orlanos gewandt.
Ein Lächeln glitt über dessen Gesicht.
"Das mag schon sein. Dieser Ort ist wirklich einzigartig."
Ich fragte mich, ob diese Höhlen vielleicht nicht natürlichen Ursprungs waren. Als Baumeister kamen hier beispielsweise die Käferartigen in Frage, die offenbar vor langer Zeit hier gelebt hatten, aber diese Spekulationen waren fruchtlos.
Im Augenblick gab es Dringenderes zu tun.
"Wann werde ich den Propheten sehen?", fragte ich.
Orlanos lächelte.
"Alles zu seiner Zeit. Du wirst Geduld haben müssen. Wir werden einige Tage und Nächte hier campieren, während dieser Zeit werden einige zum Orakel gehen, um sich die Zukunft voraussagen zu lassen und du wirst den Propheten zu Gesicht bekommen, aber du wirst nichts erzwingen können, Jon Renard."
Das hatte ich inzwischen schon begriffen. Erzwingen konnte ich nichts, nicht einmal mit der Macht des Subimperators in meinem Rücken, aber meine Mission befand sich auf einem guten Weg, so hatte ich das Gefühl. Allerdings lag jetzt eine entscheidende Weggabelung vor mir. Von der Anerkennung durch den Propheten hing alles ab: Aragan Sor.
Ich war schon sehr gespannt darauf, den Mann kennenzulernen, der die Ada’an regierte.
Nein, regierte war wahrscheinlich nicht das richtige Wort dafür.
Der sie anführte und das, wie ich bis dahin annahm, wohl eher in einem geistig-religiösen Sinn. In diesem Punkt sollte ich mich allerdings doch ein wenig täuschen.
*
BULEZOS BETRAT DAS Büro des Chefwissenschaftlers Abran, der gerade in einem Gespräch mit seinem Assistenten vertieft war.
Das Gespräch verstummte sofort, als Bulezos auftauchte.
Die Höflichkeit anzuklopfen hatte Bulezos nicht, denn er sah sich als politischer Gönner und Würdenträger in einer Position, die es ihm erlaubte, alles zu wissen.
Er sah sich als Chef dieses Projektes an.
Insgeheim dachte er von Abran als eine Art Untergeordnetem. Abran hatte das sehr wohl gespürt, sich aber gehütet, irgendeine Äußerung zu machen, die diesen Umstand aufgriff.
Mochte er der geniale Erfinder und Wissenschaftler sein, er wusste sehr wohl, wie abhängig er von Bulezos und seiner Fürsprache war.
Selbst jetzt noch, in dieser entscheidenden Phase des Projekts.
"Wie ich höre, machen Sie große Fortschritte", sagte Bulezos. In seiner Stimme klang Ärger mit.
Abran hob die Augenbrauen.
"Ja, das ist richtig, Bulezos."
"Warum wurde ich davon dann nicht darüber informiert?"
"Nun, wie Sie sehen, berate ich mich hier noch und es sind längst noch nicht alle Einzelheiten sicher, aber..."
"Sie sollten mit diesem Gewäsch aufhören, Abran. Ich möchte über jede Einzelheit informiert werden. Schließlich trage ich auch die Verantwortung für dieses Projekt."
"Gewiss", nickte Abran.
"Dieser Angriff der Ada’an auf den Transportgleiter und seinen Begleitschutz lässt das Ganze ohnehin in einem prekärem Licht erscheinen. Wir haben schon mal darüber gesprochen."
"Ja, ich weiß."
"Dann unterrichten Sie mich bitte über den gegenwärtigen Stand Ihrer Arbeit, Abran. Jetzt und hier."
Abran atmete tief durch.
"Gut. Es laufen jetzt die letzten Vorbereitungen. Wir können in... sagen wir ein bis zwei Tagen mit den ersten Experimenten beginnen, mit den ersten ernsthaften Experimenten, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die Entwicklung eines geeigneten Antriebsaggregates für den überlichtschnellen Raumflug ist dann nur noch eine Kleinigkeit."
*
SPRECHGESÄNGE ERFÜLLTEN die kathedralenartige Höhle.
Dalragan Sor, der Prophet, trat auf eine Felsenkanzel. Er blickte auf die Masse der Gortoch-Gläubigen. Seine Haltung war würdevoll.
Durch die Einnahme berauschender Chemikalien, die aus den Ablagerungen der Anfatoi-Panzer gewonnen wurden, sowie selbsthypnotisch wirkenden Ritualen und Tänzen versetzten sich viele Ada’an in eine Art Trance.
Tagelang würden sie weder essen noch trinken.
In den vergangenen Jahren sind sie gekommen, um mich zu sehen, ging es Dalragan Sor durch den Kopf.
Meinetwegen und des Orakels wegen, das in diesen Höhlen beheimatet ist.
Aber in diesem Jahr kommen sie um eines Anderen willen. Dalragan Sor glaubte, das spüren zu können. Eine Schwingung, die gewissermaßen im Raum hing und die ihm sagte, dass sich längst Gerüchte und Legenden verselbständigt hatten.
Jenen Mann, der den Willen des Herrn der Sterne erfüllen sollte, Renard, wollten sie sehen.
Dalragan Sor blickte über die Masse der Käferreiter. Tausende hatten in dieser Höhlenhalle Platz und einer von ihnen musste Renard sein.
Der Singsang der Gläubigen schwoll an. Sie hatten lange auf den Propheten warten müssen.
Dalragan Sor hob segnend seine Hände über sie. In fließende Gewänder gehüllte Priester und Priesterinnen bildeten eine Art Prozession, die sich durch den hallenartigen Raum schlängelte.
Dampfende Schalen wurden geschwenkt, aus denen berauschende Dämpfe aufstiegen. Eigentümliche Gerüche begannen, die Höhle zu erfüllen, dann vollführte der Prophet ein Zeichen.
Eine ganz bestimmte Handbewegung und innerhalb von wenigen Sekunden war es vollkommen ruhig in der Höhle.
Niemand bewegte sich, niemand sagte ein Wort.
Die Gläubigen starrten zu Dalragan Sor empor. Sie warteten darauf, dass er etwas sagte.
Er sprach langsam und ohne technische Hilfsmittel. Bei der Akustik dieses Raumes brauchte er die auch nicht.
Seine Stimme klang tief und warm, aber es mischte sich ein Unterton hinein, der einem unbeteiligten Beobachter hätte klar machen können, dass diese Sicherheit nur vorgespielt war. "Ihr seid die Diener des Gortoch", sagte er, "der kosmischen Ordnung. Ihr erfüllt den Willen des Herrn der Sterne, ihr seid diejenigen, die ohne Frevel leben."
Es war eine rituelle Formel. Die Antwort der Gläubigen war entsprechend.
Sie kam wie aus einem Mund, automatisch.
Dalragan Sor fuhr fort: "Die Macht der Sudori-Frevler ist immer noch groß und es ist an uns, sie zu brechen. Ich glaube nicht länger, dass für die Sudori und für die Ada’an Platz genug ist auf dieser Welt, denn siehe, es steht geschrieben, da, wo das Gortoch regiert, kann kein Frevler sein. Die Überlieferungen unserer Uralten sagen das ganz deutlich. Es wird der Tag kommen, an dem wir die verhassten Sudori-Frevler hinweg fegen werden, an dem wir ihre Kuppelstädte zerstören werden und endlich ein Mittel finden, ihre Energieschirme zu durchdringen. Der Tag wird kommen, an dem auch die Sudori sich dem Gortoch unterwerfen und sich unserer Lebensweise anschließen, auf dass sie nicht länger frevelhafte Außenseiter im Kosmos sind, die die Ordnung zerstören, die Ordnung des Herrn der Sterne."
Ein Raunen ging durch die Menge.
Dalragan Sor genoss diese Aufmerksamkeit.
"Der Tag, an dem unsere gerechte Herrschaft anbricht und unsere Gortoch gefällige Ordnung beginnt, ist nicht mehr fern. Candakor-3 wird sich in eine paradiesische Welt verwandeln, in eine Welt, erfüllt von Ordnung und Harmonie; nicht länger werden wir es den Containerschiffen der Sudori gestatten, diese Welt mit Dingen zu beliefern, die dem Frevel nur Vorschub leisten. Der HERR DER STERNE hat uns diese Welt gegeben. Sie ist unser Ort, auf ihr werden wir leben. Wir brauchen nichts und niemanden!"
Begeisterte, fast ekstatische Beifallsstürme brandeten los. Jubelschreie, aus denen eine Form von Hysterie sprach, aber Dalragan Sor vernahm auch Rufe, die ihm weniger gefielen, die ihn zusammenzucken ließen.
"Der Gesandte, der Gesandte!", riefen viele von ihnen. "Wo ist der Gesandte?"
Und andere riefen seinen Namen, dessen Klang sich inzwischen unter den Ada’an verbreitet hatte.
"Renard!"
Ein Frösteln überkam Dalragan Sor.
Du wirst nicht an ihm vorbei kommen, ging es ihm durch den Kopf. Jahrelang hast du ihnen von der neuen Zeit gepredigt und jetzt glauben sie, dass sie angebrochen ist. Es ist nicht mehr aufzuhalten und was nicht aufzuhalten ist, das sollte man begrüßen, so schwer es auch fallen mag.
*
ICH SAH ZU DEM PROPHETEN hinauf.
Ich befand mich inmitten eines Hexenkessels.
Viele der Ada’an taumelten in einer Art Trance umher.
Eine eigenartige Stimmung herrschte in der kathedralenartigen Höhle.
Die Priester des Propheten Dalragan Sor suchten mich auf. Es waren hochgewachsene Männer, die vollkommen kahlköpfig waren, in tunikaartigen Gewändern.
Zielsicher bahnten sie sich ihren Weg durch die Menge. Den Stamm der Paragar erkannten sie an seinen Stammeszeichen.
Die Blicke von Orlanos und seinen Leuten waren auf mich gerichtet, denn natürlich wussten sie, was die Priester wollten.
"Wir suchen den Mann, der sich Renard nennt und der von sich sagt, der Gesandte des Herrn der Sterne zu sein", erklärte einer von ihnen.
Sakari, der Schamane, deutete auf mich.
"Er ist es!", erklärte er.
Der Priester trat auf mich zu, musterte mich prüfend.
"Dann folge uns, Renard. Dalragan Sor, der Prophet der Ada’an, der Verkünder der Gortoch, möchte dich sehen."
"Gut", sagte ich.
Wobei ich mich fragte, ob ich überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte, dieses Treffen zu verweigern.
Orlanos wandte mir einen eigenartigen Blick zu.
"Jetzt", so meinte er, "wird der Augenblick der Wahrheit kommen, Renard."
"Das hoffe ich", erwiderte ich.
"Es wird so sein, ganz gewiss."
Die kahlköpfigen Priester nahmen mich also in ihre Mitte und führten mich weg.
In einem halbdunklen Raum musste ich eine ganze Weile warten.
Erhellt war dieser Raum nur von fluoreszierenden Steinen. Ich hörte das Plätschern von Wasser und bemerkte, dass dort, wo ich zunächst eine gähnende Finsternis vermeint hatte zu sehen, ein ausgedehnter unterirdischer See zu finden war.
Etwas bewegte sich darin, kräuselte die ansonsten vollkommen glatte Wasseroberfläche.
Ich blickte angestrengt in das fast vollkommene Dunkel hinein und meine Augen gewöhnten sich daran.
Ich sah eine Nasenspitze und zwei blitzende Augen, Reptilienaugen.
Dies musste eines der gewaltigen, krokodilartigen Reptiloiden sein, die in den unterirdischen Gewässern von Zamdara hausten.
Ich war durch das Vorwissen, das mir der Subimperator gegeben hatte, darüber einigermaßen informiert.
In früheren Zeitaltern, in denen das Klima auf Candakor-3 feuchter gewesen sein musste, hatten diese Reptiloiden die Ufer großer Ströme und flacher Binnenmeere besiedelt.
Jetzt waren sie fast ausgestorben.
Der Salzgehalt der candakorischen Binnenmeere war viel zu hoch, um ihnen noch eine Lebensmöglichkeit zu geben.
Die ehemaligen Flüsse waren längst zu Vadis, ausgetrockneten Flussbetten, geworden.
Der Reptiloide verzog sich. Er tauchte unter. Ich schätzte seine Größe auf mindestens fünfzehn Meter.
Wenig später kam er wieder an die Oberfläche, schwamm dann mit kräftigen Bewegungen seines Schwanzes davon und verschwand in der Dunkelheit.
Ich atmete auf.
Nicht so sehr, weil ich in dem Reptiloiden eine Gefahr gesehen hätte. Schließlich war ich bewaffnet.
Ich trug ein Energiemodul und außerdem einen gewöhnlichen Strahler, wie ihn auch die Ada’an bei sich führten.
Es wäre eine Kleinigkeit gewesen, den Reptiloiden zur Strecke zu bringen, aber aus dem Vorwissen, das der Subimperator mir zugänglich gemacht hatte, wusste ich, dass diese Tiere für die Priesterschaft von Zamdara den Status von heiligen Wesen besaßen.
Wäre ich nun dazu gezwungen gewesen, eines dieser krokodilartigen Ungeheuer niederzustrecken, so hätte das gewiss zu einigen Komplikationen geführt und mein bevorstehendes Zusammentreffen mit Dalragan Sor in keiner Weise erleichtert.
Ich hörte Schritte.
Ein Mann betrat den Raum. Er trug ein langes, fließendes Gewand, einer römischen Toga nicht unähnlich.
Ein dunkler Bart umrahmte sein Gesicht: Dalragan Sor.
Ich erkannte ihn von seinem Auftritt auf der Felsenkante wieder.
Ein leicht spöttisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
Er trat auf mich zu, musterte mich prüfend.
"Du bist der Gesandte", sagte er.
Es ist keine Frage gewesen, ging es mir durch den Kopf. Er hatte es im Tonfall einer Feststellung gesagt.
Bedeutete das, dass er mich bereits anerkannt hatte?
In diesem Moment konnte ich das nicht einschätzen.
"So sagt man", erwiderte ich vorsichtig.
"Du hast gehört, dass die Gläubigen deinen Namen rufen, Renard."
"Ja, das habe ich gehört", gestand ich zu.
"Ganz gleich, wer dich auch immer geschickt haben mag. Ob es nun der HERR DER STERNE ist oder sonst wer. Sie würden dir folgen, blind, überall hin. Ist dir das bewusst, Renard?"
"Ich bin mir dessen vollkommen bewusst", sagte ich. "So glaubst du nicht an mich?", fragte ich und sah Aragan dabei offen an.
Ich musste in die Offensive gehen. Ich wusste, dass er nur dann Respekt vor mir haben würde und genau das war von Nöten.
Er musste mich respektieren als seinen Herrn, dem er absoluten Gehorsam schuldete, als einen Gesandten des Herrn der Sterne, des Garanten für den Fortbestand des Gortoch, dem Fortbestand der kosmischen Ordnung.
"Die Zeichen sprechen eine deutliche Sprache", erklärte er. "Alles, was über dich gesagt wird, entspricht genau dem, was die Legenden über den Erwarteten sagen."
"Es steht dir frei, mich in jeder nur erdenklichen Weise zu prüfen", erklärte ich.
"Das Orakel wird dich prüfen."
Ich hatte von dem Orakel gehört, obwohl die Informationen in dem Vorwissen, das mir der Subimperator zur Verfügung gestellt hatte, über diesen Punkt eher bruchstückhaft waren. Ich wusste, dass das Orakel eine junge Frau war, die aus dem Kreis der Orakeldienerinnen ausgewählt wurde und den Ada’an die Zukunft weissagte oder das, was sie für die Zukunft hielt.
Das Orakel benutzte dabei technologische Artefakte der ausgestorbenen Käferartigen und die Benutzung dieser Artefakte musste wohl ziemlich ungünstige Auswirkungen auf das menschliche Gehirn haben.
Ein Orakel musste mindestens zwanzig irdische Standardjahre alt sein. Aber dem Vorwissen des Subimperators nach hatte es noch keine jener ausgewählten jungen Frauen geschafft, länger als zehn Jahre die Funktion eines Orakels auszuüben.
Geistige Umnachtung, Wahnsinn und oft genug der Tod waren offenbar die Folgen der Benutzung jener geheimnisvollen Artefakte, die die Käferartigen hinterlassen hatten.
"Die Prüfung durch das Orakel ist obligatorisch", erklärte Dalragan Sor. "Und mögen diese Männer da draußen auch deinen Namen gerade gerufen haben, sie werden dir nicht folgen, wenn das Orakel dich nicht für würdig befindet."
"Genauso wenig würden sie mir folgen, wenn der Prophet der Ada’an mich nicht als den anerkennen würde, der ich bin", erwiderte ich.
Ein flüchtiges Lächeln flog über Dalragan Sors Gesicht.
"Ja, das ist gut möglich", sagte er. "Aber ich will nicht spekulieren. Ich habe mein Leben lang dafür gepredigt. Ich habe mein Leben lang ersehnt, dass endlich der Gesandte des Herrn der Sterne hier auf Candakor-3 erscheint. Jetzt haben wir die Möglichkeit, dieses Frevlerpack von diesem Planeten zu werfen. Es in die Wüste, in die Gluthitze der Äquatorialzone zu treiben. Die Tage der Sudori-Herrschaft sind gezählt. Oder hast du andere Pläne?"
"Nein", sagte ich. "Ich habe keine anderen Pläne."
Der Fanatismus in Dalragan Sors Augen erschreckte mich.
Dieser Mann war zu allem entschlossen und ich fragte mich, ob unsere Ziele wirklich identisch waren, selbst in einem vordergründigen Sinn.
"Kein Containerschiff darf je wieder Candakor-3 anfliegen, denn sie sind die Quelle des Frevels", verkündete der Prophet.
Ich verzichtete darauf, ihn zu belehren, dass nicht die Containerschiffe selbst nach Candakor-3 flogen, sondern nur kleinere zur Landung geeignete Einheiten. Der Punkt, auf den er hinaus wollte, war ein anderer und das spürte ich sehr wohl.
"Wir stehen auf eigenen Füßen", erklärte er. "Wir sind vollkommen auf uns selbst gestellt. Candakor-3 ist für uns gemacht worden. Hier gilt das Gortoch und jede Verbindung zur frevlerischen Außenwelt ist von Übel."
Ich dachte, diese Lehre kann er nicht aus den Mythen haben, die der sogenannte HERR DER STERNE, der mit dem Subimperator identisch war, den Ada’an überliefert hatte.
Dalragan Sor hatte die alte Lehre des Gortoch verändert. Diese Art radikaler Isolationismus war eigentlich nicht Teil der Gortoch-Religion gewesen und schon gar nicht war die Zerstörung oder Abkoppelung Candakors vom interstellaren Containerschiffnetz im Sinn des Subimperators.
Davon konnte überhaupt keine Rede sein. Schließlich war das System der unterlichtschnellen Containerschiffe, die den Kosmos wie ein Netz überzogen, Teil jener universellen Ordnung, der auch der Subimperator unterworfen war.
Dieser Mann trieb sein eigenes Spiel, so wurde mir jetzt klar. Und ich würde auf ihn aufpassen müssen, wie auch immer sich die Dinge weiter entwickeln mochten.
"Dein Erscheinen bedeutet Krieg, Gesandter", erklärte er.
"Ja, das ist richtig", bestätigte ich. "Es wird Krieg geben." Ich sprach diese Worte aus und war mir schon nicht mehr so recht im Klaren darüber, ob ich mich auf der richtigen Seite befand. Andererseits fragte mich niemand danach, denn mochte ich auch vielen Ada’an als eine Art Verkünder der Macht erscheinen, so war ich doch nichts weiter als ein Befehlsempfänger. Ein mehr oder weniger willenloser Diener, der die Befehle des Subimperators auszuführen hatte.
*
KARA WAR DAS ERWÄHLTE Orakel. Eine junge Frau mit langen, bis weit über die Schultern fallendem dunklem Haar, das im Schein der fluoreszierenden Steine glänzte. Sie trug ein fließendes Gewand aus einem transparenten, sich eng anschmiegenden Stoff. Ihr aufregender Körper zeichnete sich deutlich darunter ab.
Eine der Orakeldienerinnen verneigte sich vor ihr.
"Was willst du, Orakeldienerin?", fragte Kara.
Die Orakeldienerinnen wurden niemals mit ihren Eigennamen angesprochen. Kara war es nicht anders ergangen, als sie selbst noch diesen Status gehabt hatte.
Dalragan Sor hatte sie unter den Orakeldienerinnen dazu auserwählt, das neue Orakel zu sein.
Ihre Aufgabe war es, dem Volk der Ada’an die Zukunft vorherzusagen.
Ihrem Wort wurde viel Gewicht beigemessen. Aber die junge Frau war klug genug, um längst begriffen zu haben, dass sie nichts weiter als eine Marionette war.
Eine Marionette an den Fäden des Propheten.
Der Macht Dalragan Sors hatte sie nichts entgegenzusetzen.
Ein paar Jahre wirst du die Artefakte der Käferartigen benutzen und dann dem Wahnsinn anheim fallen, wie so viele deiner Vorgängerinnen seit undenklichen Zeiten!, ging es ihr durch den Kopf. Düstere Gedanken beherrschten sie immer dann, wenn sie über ihre persönlichen Zukunftsaussichten nachdachte. Sie, die Frau, die für die Stämme der Ada’an die Zukunft sah, hatte selbst keine Zukunft. Jedenfalls keine sehr lange.
Es ist eine Ehre!, so hatte man ihr immer gesagt. Eine Ehre, die mit nichts zu vergleichen ist.
Sie war nie gefragt worden, ob sie diese Ehre überhaupt anstrebte. Schon die Kriterien, nach denen sie zur Orakeldienerin bestimmt worden war, waren ihr nicht klar.
Dasselbe galt für die Gründe, die dazu geführt hatten, dass die Priester nun sie und nicht eine der anderen gegenwärtigen Orakeldienerinnen zum Orakel bestimmt hatten.
"Ich möchte dir die heiligen Zeichen aufmalen", sagte die Dienerin und hielt dabei den Blick gesenkt, so wie es die Konvention gebot. Ein offener Blick in die Augen der Orakelseherin war etwas, was tunlichst zu vermeiden war. Ein Ada’an stand mit dem Rücken zur Zukunft, war der Vergangenheit zugewandt, die wie ein offenes Buch vor ihm lag. Die Zukunft jedoch sah er nicht. Abgesehen von ein paar Splittern, die ihm das Orakel vielleicht zeigte.
Ein zu intensiver Blick in die Zukunft, so glaubten die meisten Ada’an, ließ einen denselben Unbilden zum Opfer fallen, wie auch die Orakelseherinnen seit undenklichen Zeiten.
Wahnsinn.
Und Tod.
"So beginne mit den Zeichen", sagte Kara abwesend.
Ihre Gedanken waren weit abgeschweift.
Die Orakeldienerin begann ihr Werk. Eine andere Dienerin brachte die Farbe herbei. Schwarz war die Farbe. Man vermalte sie mit dem ausgestreckten Zeigefinger. Ein Zeichen wurde auf Karas Stirn gemalt, das aussah wie zwei miteinander verschlungene Kreise.
Ich werde dem Erwarteten begegnen, dachte sie. Zwangsläufig. Denn er wird der Orakel-Prüfung unterzogen werden müssen, bevor er als der anerkannt wird, der er ist: Der Gesandte des Herrn der Sterne.
Auch Kara hatte von den Gerüchten gehört, die man sich über den Außenweltler namens Renard erzählte. Die Zeichen stimmten mit jenen überein, von denen die alten Legenden berichteten. Und er war offenbar fähig, wirksam gegen die verhassten Sudori-Frevler zu kämpfen.
Wirksam zu kämpfen.
Es gab also keinen Grund, an seiner Identität zu zweifeln. Der HERR DER STERNE musste ihn gesandt haben. Und selbst wenn es nicht so war oder alles nur auf Legenden und alten Geschichten beruhte, deren Wahrheitsgehalt heute niemand mehr nachvollziehen konnte, so lag es in Karas Interesse, die Autorität dieses Fremden anzuerkennen.
Denn dadurch wurde die Autorität des Propheten Dalragan Sor zweifellos geschwächt. Der Prophet musste nun zwangsläufig in die zweite Reihe zurücktreten. Das war gar nicht anders denkbar. Schließlich hatte er seine Macht nur stellvertretend für den erwarteten Gesandten des Herrn der Sterne ausgeübt.
Ihr eigener Einfluss konnte unter diesen Bedingungen nur steigen.
*
ICH UNTERHIELT MICH lange mit Dalragan Sor. Und ich gewann den Eindruck, einen hochintelligenten Mann vor mir zu haben, der sehr genau wusste, wie man Macht erringen und dafür sorgen konnte, dass man sie behielt.
Es fällt ihm mit Sicherheit nicht leicht, in die zweite Reihe zurückzutreten, ging es mir durch den Kopf. Aber er war klug genug, sich nicht gegen mich zu stellen. Denn natürlich hatte er gespürt, dass die Hoffnungen zu vieler Ada’an auf meinen Schultern ruhten.
Er war nur der Wegbereiter des Erwarteten gewesen.
An mir aber war es, die Prophezeiungen zu erfüllen, die in den Legenden der Nomaden herum spukten.
Alles war nichts weiter als eine Manipulation, ging es mir durch den Kopf. Die Manipulation einer überlegenen Macht.
Des Subimperators.
Nichts weiter.
Mir schauderte bei der Erkenntnis, wie sehr sich dieser Mythos aus der Retorte inzwischen verselbständigt hatte.
Hätte der Subimperator in diesem Augenblick noch die Macht gehabt, die Entwicklung zu stoppen, wenn er es aus irgendeinem Grund heraus für notwendig erachtet hätte?
Es hat keinen Sinn, derartige Fragen zu stellen!, sagte ich mir. Ich war ein Werkzeug. Kein Akteur auf dieser planetaren Bühne, der man irgendwann einmal die Bezeichnung Candakor-3 gegeben hatte.
Dalragan Sor berichtete mir von dem Staat, der errichtet werden müsste, nachdem die Sudori besiegt seien; jene Frevler, gegen die der Krieg unvermeidlich war, weil sie der Durchsetzung des Gortoch im Wege standen. Ein Staat geprägt durch starre Regeln und inbrünstige Frömmigkeit dem Herrn der Sterne gegenüber. Und dem Prinzip der kosmischen Ordnung, dem Gortoch.
Mir schauderte bei den Schilderungen des Propheten.
War die Stärke der Ada’an nicht immer ihre Fähigkeit zur Anpassung gewesen?
Bislang lebten die einzelnen Sippen in einem fast anarchischen Zustand. Ihr Volk wurde lediglich durch einige gemeinsame Kultvorstellungen, die Existenz des Propheten und des Festes von Zamdara zusammen gehalten. Möglicherweise zählte das geheimnisvolle Orakel, dem ich noch vorgestellt werden sollte, ebenfalls zu den verbindenden Elementen, obgleich mir nicht so recht klar war, ob dessen Bedeutung wirklich dermaßen umfassend war.
Die Feindschaft zu den Sudori war ebenfalls ein Band, das sie zusammen hielt. Die Verachtung der Stadtbewohner verhinderte, dass auch nur ein einziger Ada’an den Lebensstil der Sudori in ihren kultivierten Kuppelstädten hätte attraktiv finden können.
*
DALRAGAN SOR RIEF SEINE Priester herbei.
Die Barschheit, mit der er das tat, überraschte mich. Ich hatte so etwas nicht erwartet, denn bis jetzt hatte ich einen Mann kennen gelernt, der mir mit großer Ruhe gegenüber getreten war.
Zwei der kahlköpfigen Priester betraten den Raum.
Sie verneigten sich leicht vor Dalragan Sor.
"Begleitet ihn zum Orakel", sagte der Prophet.
"Ja, Herr", sagten die beiden Priester wie aus einem Mund.
Dalragan Sor wandte sich mir zu.
"Folge ihnen. Mache alles, was sie sagen."
"Gibt es irgendetwas, was ich zu beachten habe?", fragte ich.
"Nein", war die Antwort des Propheten.
Die beiden Priester nahmen mich in ihre Mitte.
Wir verließen den Raum.
Die beiden Kahlköpfigen führten mich durch einen langen Korridor, der sich mehrfach verzweigte.
Ich verlor ziemlich bald völlig die Orientierung.
Schließlich wurde ich in eine grottenartige Höhle geführt. Sie war nicht so gewaltig wie jene Versammlungshöhle, in der sich die Gläubigen aufhielten, aber auch sie hatte ein beträchtliches, kathedralenartiges Ausmaß.
Tropfsteine hingen herab und wuchsen von unten empor.
Schädel hingen von der Decke, menschliche Schädel und solche der Käferartigen.
Offenbar hatte man sie mit kaum sichtbaren Fäden angebracht.
Beim leichtesten Luftzug gerieten sie in Bewegung, wie ein groteskes Mobilé. Diese Schädel leuchteten von innen heraus, denn offenbar waren sie mit fluoreszierenden Steinen bestückt worden.
Die Gesichter der Priester waren vollkommen gleichmütig. Aufgrund ihrer Kahlköpfigkeit hatte ich Mühe, sie zu unterscheiden.
Ich blickte auf den See hinaus, versuchte zu ergründen, wo dessen Ende war. Aber das eigenartige Spiel von Licht und Schatten, das hier herrschte, verhinderte, dass man klare Konturen erkennen konnte.
"Was geschieht nun?", fragte ich, an die Priester gewandt.
"Warte hier", erwiderte einer von ihnen.
Ein Boot tauchte aus den Schatten heraus auf. Es wurde von einem der Kahlköpfigen gerudert.
Auch seitlich davon bewegte sich plötzlich etwas im Wasser.
Die krokodilartigen Reptiloiden, ging es mir durch den Kopf.
Das Boot legte an. Der Priester, der im Boot saß, bedeutete mir mit einem Handzeichen, einzusteigen.
Ich gehorchte.
Die Priester, die mich bis hierher begleitet hatten, blieben zurück. Sie stießen das Boot ab.
Ich verlor etwas das Gefühl für Zeit, als wir endlich anlegten und der Widerhall der Ruderschläge aufhörte.
Der Priester bedeutete mir, ihm zu folgen. Wieder wortlos, mit abgehackt wirkenden Gesten.
Ich fragte mich, ob er stumm war.
Wir gingen durch eine bogenförmige Tür, dann stand ich schließlich dem Orakel gegenüber, einer jungen Frau, die in fließende Gewänder gehüllt war, umringt von einer Reihe Dienerinnen.
In der Mitte des Raumes befand sich ein quaderförmiger Stein, auf dem eigenartige, metallene Gegenstände lagen. Manche in Form von Reifen, andere hatten die Form einer Ellipse oder eines Bogens.
"Sei gegrüßt, Gesandter des Herrn der Sterne", sagte die junge Frau, die das Orakel war. "Ich bin Kara, das gegenwärtige Orakel von Zamdara."
Ich nickte nur.
Kara gab den Anwesenden ein Zeichen.
"Lasst mich mit ihm allein", forderte sie. Sowohl die Dienerinnen als auch die Priester verschwanden durch Nebentüren. So war ich allein mit ihr.
"Du bist ein Außenweltler, so wie es die Legende sagt", sagte sie. Es war keine Frage, es war eine Feststellung.
"Ja", nickte ich. "So ist es. Ich bin gekommen, um den Willen des Herrn der Sterne zu erfüllen."
"Ich weiß, dass du die Wahrheit sprichst", sagte Kara. "Du bist tatsächlich der Gesandte. Ich habe dich gesehen und ich wusste schon lange vor dem heutigen Tag, dass du hier vor mir stehen würdest."
Ich hob die Augenbrauen. Offenbar stand mir die Verwunderung ins Gesicht geschrieben.
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Orakels.
"Ich bin das Orakel", sagte sie. "Und ich sehe die Zukunft."
Sie ging zu dem Steinquader mit den metallenen Artefakten.
"Ich sehe die Zukunft und die Gedanken eines Menschen."
Sie nahm ein bogenförmiges Metallartefakt, reichte es mir.
"Handelt es sich dabei um eine Hinterlassenschaft der Käferartigen?", fragte ich.
"Ja. Diese Apparate sind für sie ausgelegt, nicht für Menschen. Das macht den Umgang damit etwas schwierig und gefährlich."
"Gefährlich?", echote ich.
"Man darf sich vom Strom der Bilder und Gedanken nicht fortreißen lassen", sagte sie. "Dann wird man wahnsinnig."
Ein trauriges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
"Alle meine Vorgängerinnen endeten im Wahnsinn. Es muss etwas am Mechanismus dieser Geräte sein, die auf Dauer das Gehirn zerstören. Anders kann ich es mir nicht erklären. Aber das ist der Preis für die Fähigkeit, Dinge zu sehen, die sonst niemand zu sehen vermag."
"Und dieser Gefahr willst du den Gesandten des Herrn der Sterne aussetzen?", fragte ich.
"Ich muss!", sagte das Orakel. "So wie ich auch mich selbst dieser Gefahr aussetzen muss und ihr irgendwann erliegen werde. Es ist meine Pflicht. Die Zukunft der Ada’an hängt davon ab."
Ich nahm den bogenförmigen Apparat, wie Kara ihn genannt hatte. Schon bei der ersten Berührung fühlte ich eine Art Prickeln meinen Körper durchlaufen.
Der Metallbogen schien die Quelle einer geheimnisvollen Energie zu sein.
Kara nahm eines der anderen Geräte. Es hatte die Form eines Ringes, dessen Durchmesser in etwa ihrer Kopfbreite entsprach.
"Halte dieses Gerät so, dass es deine Stirn berührt. Die Innenseite muss deine Stirn berühren", sagte Kara.
Ich hatte einen instinktiven Widerwillen dagegen. Andererseits wusste ich, dass dies genau die Prüfung des Orakels war, von der Dalragan Sor gesprochen hatte. Und ich wusste auch, dass ich sie bestehen musste, wenn ich den Auftrag des Herrn der Sterne, des Subimperators, erfüllen wollte.
Ich hatte keine andere Wahl.
"Ein einmaliger Gebrauch dieser Artefakte wird dir keinen bleibenden Schaden zufügen", hörte ich Karas Stimme. "Dessen kannst du gewiss sein."
"Du sagtest, dass du mich gesehen hättest, mit diesem Ding hier?"
"Ja, so ist es."
"Reicht das nicht als Gewissheit?"
"Nein. Es geht nicht nur um deine Zukunft, Renard. Es geht auch um deine Gedanken, deine Absichten. Ich weiß, dass es vieles geben wird, das ich nicht durchschauen werde, aber ich werde wissen, ob deine Ziele mit den unseren überein stimmen und ob du wirklich gekommen bist, um den Ada’an zu helfen, so wie es die Legenden sagen. Die äußeren Zeichen sind nicht genug, um das zu bestätigen. Wir müssen auch die inneren Zeichen beachten, wenn du verstehst, was ich meine, Renard."
Ich war mir nicht sicher. Ich wusste nur, dass ich keine andere Wahl hatte.
Kara setzte sich das Gerät der Käferartigen auf den Kopf wie eine Art Krone.
"Jetzt, Renard, jetzt."
Ich tat, was sie gesagt hatte, hielt das bogenförmige Artefakt so, dass es an der Innenseite meine Stirn berührte. Der eigenartige, prickelnde Energiefluss ging jetzt direkt in mein Gehirn. Ich trat aus der mich umgebenden Welt heraus, war plötzlich in einem Meer von Bildern, Gestalten, Geräuschen. Ein wahres Chaos schien mich zu umgeben. In den ersten Augenblicken erinnerte es mich an das Farbenmeer abstrakter Malerei, ungegenständlich, strukturlos, verwirrend. Ich hörte Stimmen, glaubte, sie verstehen zu können, ja, sie verstehen zu müssen, erfasste ihre Bedeutung aber dennoch nicht. Menschliche Stimmen waren darunter und die zirpenden Stimmen von Insektoiden.
Käferartigen, ging es mir durch den Kopf.
Langsam bildeten sich klarere Umrisse heraus, verschiedene Szenen, vielleicht unterschiedliche Zeitebenen, die sich überlappten wie Überblendungen.
Ich sah Horden von Käferartigen, deren Exo-Skelette aus Chitin in den Höhlen von Zamdara gefunden wurden.
Ich sah wahre Massen von ihnen die Planetenoberfläche von Candakor-3 zertreten.
Dann sah ich mich an der Spitze eines gewaltigen Heeres von Riesenskorpionen reiten. Es mussten Tausende von Anfatoi sein, die da in Bewegung waren, im Hintergrund die Salzwüste, vor uns der Prallschirm einer Sudori-Stadt.
Nein, korrigierte ich mich. Es konnte keine Sudori-Stadt sein. Es musste jenes Camp sein, dessen Lage ich anhand der Daten aus den Gleiterwracks herausgefunden hatte und das inmitten einer ehemaligen Insel in der Salzwüste lag.
Es wurde gekämpft, Laserblitze zuckten, der Prallfeldschirm leuchtete auf, pulsierte, zerplatzte schließlich unter dem Einsatz meines Energiemoduls, wie ich erkannte.
Dann brach die Szene ab.
Wieder sah ich einen Zug von Anfatoi. Es war Nacht. Wir befanden uns in der Wüste.
Ich besprach mit Orlanos und Sakari den weiteren Plan. Sudori-Gleiter tauchten am Himmel auf. Wieder kam es zum Kampf. Ich begriff, dass diese Szene zeitlich gesehen vor jener Situation bei dem Sudori-Prallfeldschirm spielen musste.
Wie in Überblendungen erschienen mir weitere Szenen. Ich sah den Aufbruch eines gewaltigen Anfatoi-Heeres und mir war klar, dass es auf mein Kommando hörte, auf meine Befehle, auf nichts sonst, denn ich war der Gesandte des Herrn der Sterne.
Die Zukunft?, fragte ich mich. Oder nur das, was selbst ein menschliches Hirn von der Zukunft sehen konnte, ohne sich besonders anzustrengen?
Denn ich hatte die Männer in der kathedralenartigen Halle gesehen, so wie auch Dalragan Sor sie gesehen hatte. Ich hatte gesehen, dass sie mir folgen würden, dass sie meinen Namen riefen, dass sie entschlossen waren, das zu tun, was ich für das Richtige hielt. Und dass sie bereit waren, die Sudori-Frevler vom Antlitz dieses Planeten zu werfen.
Die Szenen wurden wieder konturloser, Farben, Formen abstrakterer Natur mischten sich in diese kaleidoskopartigen Eindrücke hinein.
Die zirpenden Stimmen wurden stärker. Wieder sah ich die Käferartigen und auf einmal war mir klar, dass es auch ihre Gedanken waren, die ich hörte, auch wenn ich sie zunächst nicht verstand.
Ganz so, als wenn sie nicht tot und seit Jahrmillionen ausgestorben gewesen wären, sondern direkt in meiner Nähe und mit einem geheimnisvollen Psi-Sinn ausgestattet, der Gedankenübertragungen ermöglichte.
Ein unverständliches Chaos war das für mich, ein vielstimmiger Chor, aus dem ich kaum einzelne, verständliche Stimmen heraus kristallisieren konnte.
Immer schneller bewegten sich die Bilder und Eindrücke, immer schriller wurden die Stimmen.
Nicht so schnell, nicht so weit, glaubte ich Karas Stimme zu hören, aber ich war mir nicht sicher.
Jegliches Gefühl für Raum und Zeit hatte ich mittlerweile verloren.
Und dann entstand ein klareres Bild. Plötzlich begann ich, zu begreifen.
Ich sah die öde Oberfläche von Candakor-3. Ein Bild, das abgelöst wurde, überblendet durch die Eindrücke eines gewaltigen Ozeans.
Ich sah den Planeten aus der Weltraumperspektive und stellte fest, dass es kein Ozean war, sondern ein gigantisches Binnenmeer, das fast ein Drittel der Planetenoberfläche bedeckte.
Ist das die Zukunft oder ist das die Vergangenheit? Alles begann, sich in einem Strudel aus Bildern, Farben und Formen aufzulösen.
Die zirpenden Stimmen schrillten in meinem Kopf. Dann verlor ich das Bewusstsein.
*
ICH ERWACHTE UND FAND mich auf einem weichen Lager wieder. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war.
Meinem Gefühl nach waren es Jahre, Monate, aber mein Verstand sagte mir, dass das nicht sein konnte.
Eine der Orakeldienerinnen befand sich im Raum und beobachtete mich.
Als sie bemerkte, dass ich erwacht war, verließ sie den Raum und kehrte wenig später mit Kara zurück.
"Was ist passiert?", fragte ich.
"Du bist zu weit gegangen, zu weit in die Zukunft und du hast dich von den Stimmen mitziehen lassen", erklärte sie mir. "Aber du sprichst klar und machst mir nicht den Eindruck, dass der Wahnsinn dich gepackt hat."
Ich lächelte matt. "Keine Ahnung", murmelte ich und setzte mich auf. Ich hatte ein leichtes Schwindelgefühl, aber ansonsten ging es mir gut.
"Wie viel Zeit ist vergangen?", fragte ich.
"Zwei ganze Tage hast du hier gelegen, Renard."
"Und bin ich der, auf den ihr gewartet habt?"
"Du bist es. Daran kann es jetzt keinen Zweifel mehr geben. Ich habe deine Gedanken gesehen, auch wenn ich vieles davon nicht verstanden habe."
"Die Käferartigen", murmelte ich dann. "Sie existieren nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft."
Kara nickte. "Ja, von uns aus gesehen ist es die Zukunft. Das ist richtig. Sie leben auf einer anderen Existenzebene, in der die Zeit rückwärts verläuft, jedenfalls aus unserer Perspektive betrachtet."
Mir wurde einiges klar. Mit diesen Geräten zeichneten die Käferartigen ihre Gedanken auf.
"Die Käferartigen betrachten das, was wir als Vergangenheit sehen, als Zukunft und umgekehrt ist für sie die Zukunft ihre Vergangenheit."
"Dann existieren sie auch jetzt, um uns herum?", fragte ich.
"In gewisser Weise schon, nur dass sie durch die Dimension der Zeit von uns getrennt sind. Es kommt allerdings zu Überlappungen zwischen ihrer und unserer Existenzebene."
"Sie zeichnen ihre Gedanken auf, aber auch die Gedanken von Menschen?"
"Ja, das ist richtig", bestätigte sie. "Ich bin nur das Orakel, ich habe keine Erklärung dafür."
Wenn es zu solchen Überlappungen kam, stellten die Gedanken der Menschen vermutlich nichts anderes als eine Art Interferenz dar, die mit aufgezeichnet wurde. So wie das Hintergrundrauschen einer Audio-Aufzeichnung.
"Wie kommen diese Geräte in deinen Besitz?", fragte ich. "Wie kommen sie überhaupt auf unsere Existenzebene, wenn sie doch Werkzeuge der Käferartigen darstellen?"
"Eine Folge der Überlappungen unserer Existenzebenen", erklärte Kara. "Wie, warum und wann sie auftreten, vermag niemand zu sagen, aber es gibt sie und diese Überlappungen sind der Grund dafür, dass zum Beispiel hin und wieder Chitin-Skelette der Käferartigen auf unserer Existenzebene auftauchen. Normalerweise könnten wir sie gar nicht wahrnehmen."
"Weil sich unsere Zeitströme nicht berühren", murmelte ich.
"Du suchst eine Erklärung, Renard?"
"Das ist richtig."
"Vielleicht gibt es keine Erklärung, außer der, dass die Gesetze des Gortoch größer sind als unser Verstand."
Ich ging auf diese Bemerkung nicht weiter ein. Es widerstrebte mir, mich damit zufrieden zu geben, aber vom Orakel von Zamdara konnte ich in dieser Hinsicht nicht mehr erwarten.
Außerdem hatte sich in mir inzwischen ein leiser Verdacht geregt: Der Subimperator hatte absichtlich keine Informationen an mich weiter gegeben, betreffend den Umstand, wie die Menschen einst auf diesen Planeten gekommen waren. Ihre Mythen waren frei erfunden - erfunden vom Subimperator selbst. Sicher auch die Mythen und Überlieferungen der Sudori. Um die universale Ordnung zu schützen.
Aber wer waren sie WIRKLICH?
Ich erinnerte mich an ein Sonnensystem zwischen Hyperraum und unserem eigenen Raum-Zeit-Kontinuum. Über eine Million Jahre waren seitdem vergangen. Ich erinnerte mich deshalb daran, weil der Subimperator es für mich irgendwann sozusagen neu zum Leben erweckt hatte. Ich war mit dabei gewesen. Jedenfalls hatte ich das so empfinden dürfen. Ich war auf diesem Planeten gewesen.
Konnte es denn wirklich sein, dass es sich dabei um das heutige Candakor-3 gehandelt hatte?
Die Menschen auf dieser Welt, damals... Es hatte sich um sogenannte PSI-Menschen gehandelt, ausgebildet, um mit PSI-Kräften Raumschiffe überlichtschnell durch das All eilen zu lassen.
Mehr noch: Die PSI-Menschen - man nannte sie damals aufgrund ihrer Funktion Psychonauten - auf jenem Planeten zwischen Jenseits und Wirklichkeit, um es einmal so zu umschreiben... Sie waren Rebellen gewesen gegen die Erde. Denn die Erde hatte damals Experimente laufen, die Psychonauten-Raumfahrt technisch zu ersetzen.
Das hatte damals gewaltige Folgen gehabt. Nicht nur, dass es den Unmut der Psychonauten erregt hatte, die damals noch nicht einmal geahnt hatten, dass auch die Psychonauten-Raumfahrt auf Dauer die universale Grundordnung störte, das Raum-Zeit-Kontinuum auf Dauer regelrecht aufknackte... Nur dauerte es unverhältnismäßig länger als mit der rein technischen Überlichtfahrt.
Über eine Million Jahre war das nun schon her. Und ich fragte mich jetzt zwei Dinge: Wie war jenes Sonnensystem damals überhaupt in diesen Bereich zwischen Jenseits und Wirklichkeit gekommen? Die zweite Frage: Wie hatte es zurück kehren können in den Normalraum, mitsamt seinen Bewohnern?
Wenn mein Verdacht wirklich richtig war, dann waren jedenfalls die Sudori und die Ada’an die direkten Nachfahren jener Psychonauten von damals. Und irgendwann hatten die einen, die ihre PSI-Fähigkeiten hatten behalten und weiter vererben können, sich für das Leben als Ada’an entschieden - und die anderen für ein Leben als Sudori in technisierten Städten...
Immer vorausgesetzt, dass mein Verdacht überhaupt zutraf!
Nun, ich würde es vielleicht heraus finden, noch ehe ich zurück kehrte zum Subimperator. Aber zunächst einmal musste ich meinen Auftrag erfüllen, auch wenn ich zur Zeit absolut keinen Plan hatte, wie es mir unter den gegebenen Umständen überhaupt gelingen sollte...
Ich kam noch einmal auf die Geräte der Käferartigen zurück.
"Sie waren einfach da", berichtete Kara. "Sie lagen in den Höhlen und sie berichten uns von dem, was für die Käferartigen die Vergangenheit ist, für uns aber die Zukunft. Du bist bei deiner inneren Reise sehr weit gegangen, Renard. Beinahe zu weit."
"Ich habe gesehen, wie der Planet sich verändert", sagte ich. "Ich habe gesehen, wie sich ein großes Binnenmeer ausbreitet und immer größer wird."
"Ja, das habe ich auch schon gesehen", sagte Kara. "Und die Versuchung ist groß, immer weiter vorzudringen. Es ist wie ein Sog, dem man sich nur schwer zu entziehen vermag. Irgendwann erliegt man ihm. Allen meinen Vorgängerinnen ist es so ergangen."
Mir gefiel der Gedanke nicht, dass die Zukunft bereits festgelegt war wie ein niedergeschriebenes Buch. Aber vielleicht stimmte das gar nicht, vielleicht entsprach das gar nicht den Tatsachen, auch wenn es im Moment so schien? Hier im Candakor-System trafen sich die Dimensionslinien. Egal, ob ich mit meinem Verdacht betreffend den ehemaligen Planeten der Psychonauten-Rebellen von vor über einer Million Jahren Recht hatte oder nicht: Dies hier war auf jeden Fall ein ganz besonderer Ort im Raum-Zeit-Gefüge und vielleicht trafen sich hier auch die unterschiedlichen Möglichkeiten der Zukunft? Eine davon hatte ich gesehen. Und doch fragte ich mich, ob diese Möglichkeit zwangsläufig Realität wurde oder ob Entscheidungen, die in dem, was wir Gegenwart nannten, getroffen wurden, dies beeinflussen konnten.
Komplexe Fragen von Kausalität und Paradoxon, unlösbare Widersprüche. Es hatte wenig Sinn, sich in diese Dinge hinein zu vertiefen. Ich war ein Diener des Subimperators, mehr nicht. Ich hatte meine Aufgabe zu erfüllen. Das war das einzig Greifbare in meiner Existenz und vielleicht tat ich gut daran, mich endlich und ausschließlich darauf zu konzentrieren?