Читать книгу Drei exotische Welten: Science Fiction Fantasy Großband 11/2021 - Alfred Bekker - Страница 8

Teil 1

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„Das IMPERIUM DER HUMANITÄT basiert auf dem Verbot des Überlichtfluges. Es klingt paradox, dass eine effektive Herrschaft über diesen unvorstellbar großen, Milliarden Lichtjahre durchmessenden Raum sich auf die Immobilität seiner Bewohner gründet.“

Samtong Gordis, ein früher Dissident

*



"JETZT, DA DU MEINE Geschichte kennst, wird dir noch mehr bewusst werden, was es bedeutet, mein Diener zu sein", sagte der Subimperator im Dienst des Galaxien umspannenden IMPERIUMS DER HUMANITÄT, einem Reich, das in mehr als einer Million Jahren entstanden war. Der Subimperator des lokalen Sektors hatte die Gestalt eines jungen Mannes angenommen. Das lange Haar fiel ihm bis auf die Schultern herab. Seine jugendliche äußere Gestalt täuschte allerdings über sein wahres Alter hinweg. Seine Existenz währte schon ganze Zeitalter. Einst war er ein Mensch namens Richard Berringer gewesen, aber das war eine andere Geschichte. Jetzt trug er zwar die äußere Erscheinung eines Menschen. Aber jemand, der ein Leben von mehr als einer Million Jahren hinter sich hat, kann wohl kaum noch mit einem gewöhnlichen menschlichen Wesen verglichen werden.

Eher schon mit einem Gott.

Aber das ist alles eine Frage des Maßstabs.

Der Subimperator fuhr fort: "Es geht um nicht mehr, aber auch nicht weniger als darum, das Gleichgewicht in einem riesigen Teil des Universums aufrecht zu erhalten."

"Ein Gleichgewicht, das ständig in Gefahr ist", schloss ich. Mein Name ist Jon Renard und ich bin nichts anderes als ein Werkzeug. Eine Waffe im Dienst des Subimperators und damit der eisernen, unerschütterlichen Ordnung, die das IMPERIUM DER HUMANITÄT dem von ihm beherrschten Teil des Universums auferlegte.

"Du sagst es", stimmte der Subimperator zu.

Eine Projektion erschien. Die dreidimensionale Abbildung eines Sonnensystems.

"Der Ort meiner nächsten Mission?", fragte ich.

"Das Candakor-System."

"Nie davon gehört."

"Wie auch? Es ist ein unbedeutendes Staubkorn im Nichts..."

"Ach so."

"Allerdings ein Staubkorn, das an einer ganz entscheidenden Stelle des Universums positioniert ist."

In einem Teil der Projektion erschien eine kleinere schematische Darstellung, die nähere Angaben zum System enthielt:

CANDAKOR-SYSTEM: INSGESAMT FÜNF PLANETEN, NUMMER DREI UND VIER VON MENSCHEN BESIEDELT. NUMMER DREI BESITZT EINE SAUERSTOFF-STICKSTOFF-ATMOSPHÄRE UND IST ZU ZWEI DRITTELN VON LAND BEDECKT. ES EXISTIEREN SALZHALTIGE BINNENMEERE. AUF CANDAKOR-3 HERRSCHT EIN TROCKENES WÜSTENKLIMA MIT TEMPERATUREN ZWISCHEN -20° und +50° CELSIUS. DIE HUMANOIDE BEVÖLKERUNG IST IN ZWEI KULTURELL UND SPRACHLICH SEHR VERSCHIEDENE GRUPPEN AUFGESPALTEN: DIE IN STÄDTEN LEBENDEN SUDORI UND DIE NOMADISIERENDEN ADA’AN. AUF GRUND DER GERINGEN BEVÖLKERUNGSDICHTE KAMEN SICH BEIDE GRUPPEN, DIE IM ZUGE UNTERSCHIEDLICHER EINWANDERUNGSWELLEN AUF DEN PLANETEN GELANGTEN, IM VERLAUF DER LETZTEN TAUSEND JAHRE KAUM INS GEHEGE. CANDAKOR-4 HINGEGEN IST EIN ATMOSPHÄRELOSER FELSBROCKEN, AUF DEM DIE SUDORI VON CANDAKOR-3 EINIGE KUPPELSTÄDTE ERRICHTETEN. IM ORBIT VON PLANET 4 BEFINDEN SICH AUCH DIE TERMINALS, IN DENEN DIE INTERSTELLAREN CONTAINERSCHIFFE EINLAUFEN.

"Ein eher unbedeutendes System", pflichtete ich bei.

Ich wunderte mich in so fern darüber, als mein Herr und Meister, der Subimperator, vom Gleichgewicht des Universums und ähnlich bedeutungsvollen Dingen geredet hatte.

Der Subimperator lächelte mild. "Ja, auf den ersten Blick mag es so erscheinen." Er ließ eine andere Projektion entstehen, die die Lage Candakors veranschaulichte. Eine Projektion, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ und auch mir auf den ersten Blick einleuchtete. Ich zog die Augenbrauen zu einer Art Schlangenlinie zusammen.

"Das Candakor-System ist ja..."

"...im intergalaktischen Nichts", stellte der Subimperator fest und nickte leicht. "Ja, das ist wahr."

"Wie sind die ersten Siedler dort hingelangt?"

"Vor vielleicht einer halben Million Jahre mit Hilfe von Generationenschiffen. Genau weiß man es nicht mehr. Ich übrigens auch nicht, was eigentlich unmöglich erscheinen mag... Tatsache bleibt, dass es dort Menschen gibt."

Ich fragte den Subimperator, ob die Bewohner des Candakor-Systems etwa auch aus einer der gigantischen Menschenfabriken stammten, wie sie etwa der Planet Erde darstellte. Aber der Subimperator verneinte.

"Nein, das ist nicht der Fall. Soweit ich weiß, wurden niemals Menschen im Tiefschlaf auf die jahrtausendelange Unterlicht-Reise nach Candakor geschickt."

"Warum nicht?"

"Es hat niemand ein Interesse daran, die Bevölkerungszahl dort auch noch zu erhöhen. Dass dort überhaupt Menschen leben, ist nicht unbedingt im Interesse des Gleichgewichts, in dem wir das Universum zu halten versuchen."

"Ach, nein?"

"Du wirst es bald begreifen."

Mir kam das reichlich merkwürdig vor. Hatte der Subimperator mir soeben mitgeteilt, dass es im System Candakor Menschen gab, die niemand jemals hin geschickt hat? Seit einer halben Million Jahre schon? Und dass er das System trotzdem in das interstellare Handelsnetz der Containerschiffe integriert hat - eben seit einer halben Million Jahre?

Meine Neugier wuchs.

*



KOBALTBLAU SCHIMMERTE das quaderförmige Containerschiff, das soeben die große vollrobotische Orbitalstation ansteuerte, die den atmosphärelosen vierten Planeten der Sonne Candakor in einer geostationären Umlaufbahn umkreiste. Die Orbitalstation befand sich exakt oberhalb von Gar Dana, einer von drei Kuppelstädten auf der kargen, felsigen Oberfläche von Candakor-4. Ein Shuttle flog im Unterlichtflug an der Orbitalstation vorbei und setzte zum Landeanflug an.

Das Shuttle war robotisch gesteuert.

An Bord waren insgesamt zehn Personen.

Allesamt Gesandte von den Sudori-Städten auf Planet Drei.

Bulezos stand an einem der Sichtfenster und blickte hinaus.

"Der Anblick eines eintreffenden Containerschiffs scheint Sie zu faszinieren, Gesandter Bulezos", meldete sich ein grauhaariger Mann zu Wort, dessen Haare über den Augenbrauen in einer geraden Linie abgeschnitten worden waren. Bulezos, ein jüngerer und um fast einen Kopf größerer Mann mit entschlossen wirkenden dunklen Augen, drehte sich herum. Ein nachdenklicher Zug kennzeichnete sein Gesicht. Seine Augenbrauen bildeten eine geschlängelte Linie.

"Nein, Faszination ist nicht der passende Begriff, Tamrin."

"Welchen Begriff würden Sie bevorzugen?"

"Ich weiß nicht. Jedenfalls bin ich der Auffassung, dass wir die Abhängigkeit vom interstellaren Handelsnetz der Containerschiffe durchbrechen müssen..."

"Ein ehrgeiziges Ziel."

"Nicht, wenn es uns gelingt, den Überlichtflug tatsächlich soweit zu entwickeln, dass wir unsere Schiffe serienmäßig damit ausrüsten können."

Tamrin atmete tief durch.

Er verschränkte die Arme vor der Brust, zog die Augenbrauen hoch. Er blickte ebenfalls durch das Sichtfenster. Das kobaltblaue Containerschiff schob sich langsam durch den beinahe vollkommen schwarzen Raum vorwärts.

Diese Schiffe mussten Jahrhunderte unterwegs gewesen sein.

Vielleicht auch noch länger.

Sie wurden vollkommen robotisch gesteuert und schlichen im Unterlichtflug durch die Weiten des interstellaren Raumes. Ihre schier unendlich langen Reisen führten sie selbst an so abgelegene Orte wie das Candakor-System, das weitab von jeglicher Materie inmitten der Schwärze des Alls schwebte.

Eine vergessene Materieansammlung zwischen den Galaxien.

"Ich glaube nicht, dass es klug ist, sich gegen jene Macht aufzulehnen, die in der Lage ist, diese Containerschiffe über derart gewaltige Distanzen hinweg zu koordinieren. Es muss eine gigantische Organisationsleistung sein! Nicht nur, wenn man sich die räumliche Dimension ansieht, sondern auch was die zeitliche angeht..."

Bulezos' Mundwinkel verzogen sich spöttisch.

"Es besteht keinerlei Anlass für Ehrfurcht."

"Finden Sie nicht?"

"Diese Herren der Sterne sind keine Götter."

"Im Vergleich mit uns schon."

"Nicht, wenn wir den Überlichtflug zu nutzen lernen."

"Das wird Krieg bedeuten."

"Krieg? Mit wem? Mit den armseligen Ada’an-Nomaden, die der Auffassung sind, dass viele unserer technischen Errungenschaften frevelhaft seien?" Bulezos lachte auf. "Oder fürchten Sie sich davor, dass die geheimnisvollen Mächte jenseits der großen Finsternis in unsere Geschicke eingreifen?"

"Wäre das kein Grund, sich zu fürchten?", antwortete Tamrin mit einer Gegenfrage. Seine Stimme klang absolut ruhig dabei.

Bulezos zuckte die Achseln. Er verachtete die Zögerlichkeit der Älteren. Viel zu lange hatte sie seiner Meinung nach für Stillstand in den Städten der Sudori-Menschen gesorgt. Sowohl auf Candakor-3, seiner Heimatwelt, als auch auf dem vierten Planeten dieses Systems.

"Warum sollten wir uns vor einer Reaktion dieser fernen Mächte fürchten?", fragte Bulezos dann und sein Mund verzog sich dabei auf eine Weise, die seinem Gesicht einen leicht zynischen Zug gab. "Die Bestrafung durch die Herren über die Containerschiffe kann doch frühestens in mehreren Jahrhunderten wirksam werden."

"Was macht Sie da so sicher?", war die skeptische Erwiderung.

"Die Versammlung der Sudori-Städte wird entscheiden."

"Ja und dabei hoffentlich unsere Zukunft mit bedenken!"

"Keine Sorge, das wird die Versammlung schon. Ich hoffe jedenfalls, dass sich diesmal nicht der überkommene Starrsinn durchsetzt."

*



UNWEIT DES CANDAKOR-Systems war ich vom Schiff des Subimperators aus mit einem Shuttle ausgesetzt worden. Ein kleiner Ein-Mann-Shuttle, der über keinerlei technische Finessen verfügte.

Das Ding hatte einfach nur die Aufgabe, mich, Jon Renard, nach Candakor-3 zu bringen und auf der Oberfläche sicher abzusetzen.

Ich hatte einen klar umrissenen Auftrag.

Wie immer.

Es gab eine Fraktion in der Führungsschicht der Sudori-Städte, die alles daran setzte, den Überlichtflug zu entwickeln und hemmungslos einzusetzen. Für das Raum-Zeit-Kontinuum konnte das geradezu katastrophale Folgen haben. Aus diesem Grund war der Überlichtflug seit langem nur noch für die Einheiten der Subimperatoren erlaubt.

Ansonsten gab es keine überlichtschnelle Raumfahrt. Und das musste unter allen Umständen so bleiben. Wie mir der Subimperator klar gemacht hatte.

Möglicherweise wären die Folgen an irgendeinem anderen x-beliebigen Ort im Universum nicht so gravierend gewesen, wie der Subimperator es für das Gebiet um das Candakor-System voraus sagte.

Denn hier trafen sich die Gravitationsfelder mehrerer Galaxien auf eine ganz besondere, charakteristische Weise. Ein Umstand, der das Candakor-System in physikalischer Hinsicht zu einem besonders sensiblen Punkt im Raum-Zeit-Gefüge machte.

Es stellte eine Art Knotenpunkt dar. Wenn hier ein für den Bestand des Raum-Zeit-Gefüges relevantes Ereignis stattfand, wie etwa ein verstärkter Einsatz des verbotenen Überlichtfluges, so war mit in jeder Hinsicht unangenehmen und in ihren Folgen nicht absehbaren Wirkungen zu rechnen. Wie bei der Stimulation eines Akupressur-Druckpunktes des menschlichen Körpers auch Auswirkungen auf mitunter weit entfernte Körperareale nachweisbar waren.

Mein Shuttle erreichte Candakor-4.

Die Orbitalstation Gar-Dosan, von der aus sowohl der Verkehr der mit Unterlichtgeschwindigkeit fliegenden interstellaren Containerschiffe als auch der systeminterne Raumverkehr der Sudori kontrolliert wurde, peilte den Bordrechner an, begann mit ihm zu kommunizieren. Die ID-Kennung, die der Shuttle-Rechner zurücksandte, würde dafür sorgen, dass ich problemlos passieren konnte.

Mein Auftauchen würde nicht weiter auffallen, niemanden alarmieren.

Die technischen Möglichkeiten des Subimperators überstiegen jene der Sudori-Föderation erheblich.

Und damit das in einem bestimmten Punkt auch so blieb, war ich hier her geschickt worden.

Das Schiff des Subimperators wartete indessen außerhalb des Candakor-Systems. Obwohl ich mich oft genug schon fragte: Ist es tatsächlich ein... Schiff? Oder handelt es sich nicht vielmehr... um den Subimperator "persönlich"? Wenn man in einem solchen Zusammenhang überhaupt das Wort "persönlich" benutzen durfte...

"Wie lang werden wir bis nach Candakor-3 brauchen?", fragte ich den Bordrechner des Shuttles über die akustische Eingabe.

"Drei Standardtage."

Ich seufzte.

Aber gleichzeitig war mir natürlich klar, dass ein schnellerer Transport nicht möglich war. Jedenfalls nicht, ohne erheblich aufzufallen.

Ich schloss für einige Augenblicke die Augen, vergegenwärtigte mir dabei die Rolle, die ich zu spielen hatte, nachdem ich auf Candakor-3 gelandet war.

Du wirst der Gesandte des Subimperators sein, ging es mir durch den Kopf. Erkennbar an einem sternförmigen Amulett, dessen technisches Innenleben es mir ermöglichen wird, gewisse Psi-Impulse auszusenden...

Die nomadischen Ada’an waren zweifellos menschlicher Abstammung.

Aber in den Äonen, die vergangen waren, seit sie auf Candakor-3 siedelten, hatten sie sich verändert. Insbesondere galt dies für einen gewissen Sektor ihres Gehirns, der in der Lage war, Impulse abzugeben, mit deren Hilfe die Nomaden Candakors die Anfatoi zu steuern vermochten: gewaltige, skorpionartige Wesen, auf deren riesenhaften Panzern sie ihre Behausungen zu errichten pflegten. Auf dem Rücken der Anfatoi durchquerten sie die staubtrockenen, kargen Felswüsten, die den Großteil der Oberfläche von Candakor-3 bedeckten.

Und es war unmöglich, unter den Ada’an Anerkennung zu finden, wenn man nicht in der Lage war, einen Anfatoi zu lenken. Der Legende nach hatte der HERR DER STERNE vor Äonen den Ada’an die Anfatoi untertan gemacht und so das Überleben der Ada’an auf Candakor-3 gesichert. Ein Umstand, der dafür gesorgt hatte, dass sie ihn als Gott verehrten.

Der Subimperator, dachte ich.

Wahrscheinlich hatte er bei der neurologischen Veränderung der Ada’an seine Hand im Spiel gehabt.

Ich verzichtete darauf, die Informationsspeicher des Shuttle-Rechners daraufhin zu überprüfen. Möglicherweise waren derartige Informationen in den entsprechenden Datenbanken auch gar nicht enthalten. Und die Tatsache, dass es mir der Subimperator nicht selber erzählt hatte, war vielleicht doch irgendwo zu begründen - und sei es auch, weil es einfach nicht wichtig genug war.

Überhaupt, was sensible Informationen in den Informationsspeichern des Shuttles betraf: Schließlich musste damit gerechnet werden, dass das Shuttle nach meiner Landung in falsche Hände geriet.

Zumindest war es nicht vollkommen auszuschließen.

Und mit dem Subimperator Verbindung aufzunehmen war jetzt nicht mehr möglich; das Risiko war einfach zu groß.

Die Föderation der Sudori-Städte war ohnehin schon misstrauisch genug.

Ihre Entscheidungsträger wussten sehr genau, dass sie ihre Pläne zur Erlangung des Überlichtfluges geheim halten mussten und dass es irgendwo DA DRAUSSEN, in der schwarzen Unendlichkeit des Raums zwischen den Galaxien oder noch weiter entfernt eine Macht gab, die danach trachtete, genau das zu verhindern.

Drei Tage, dachte ich.

Drei Tage der Ruhe blieben vermutlich, wenn nichts Unvorhergesehenes geschah.

Und davon war nach Lage der Dinge nicht auszugehen.

Aber dann erwartete mich ein äußerst gefährlicher Einsatz.

Mich, Jon Renard, den Diener des SUBIMPERATORS, der von einem Teil der Bevölkerung von Candakor-3 wie ein Gott verehrt wurde.

*



DREI STANDARD-TAGE später...

Gar Maduna, größter Raumhafen auf Candakor-3 und eine der wichtigsten Städte der Sudori-Föderation...

Die große Kuppel eines Prallschirms aus reiner Energie wölbte sich über die Stadt.

Die Stürme des dritten Candakor-Planeten waren mörderisch. Mit hunderten von Stundenkilometern rasten sie über die weitgehend flache Oberfläche. Atmosphärische Turbulenzen, die kaum gebremst wurden.

Es existierten nur wenige nennenswerte Gebirgsauffaltungen. Die tektonische Aktivität unter der Oberflächenkruste von Candakor-3 war nicht weiter erwähnenswert.

Ohne den gewaltigen Prallschirm wären die schlanken, sich in Quader- oder Zylinderform empor reckenden Gebäude von Gar Maduna innerhalb weniger Monate dem Erdboden gleich gemacht worden.

Nur dieser Schutzschirm sorgte dafür, dass die Stadt blieb wie sie war. Ein imposantes Zeichen menschlicher Zivilisation, weit weg von jeglicher Materieansammlung im Universum.

Ein Weiteres machte den Prallschirm notwendig:

Die räuberischen Ada’an-Nomaden, die ersten menschlichen Siedler auf Candakor-3, die noch immer glaubten, so etwas wie das Recht des ersten Zugriffs zu besitzen und die in Städten lebenden Sudori als gottlose Frevler gegen die Natur des Universums ansahen.

Unbarmherzige, gnadenlose Krieger waren sie, die ihre monströsen Riesenskorpione sowohl als mobile Behausung, als auch als Waffe benutzten.

Aber einen Prallschirm wie jenen von Gar Maduna vermochte ein Anfatoi nicht zu durchdringen, auch unter Aufbietung all seiner Kräfte nicht. Das war unmöglich. Und die Ada’an waren ebenso häufig mit den Sudori in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt wie mit ihresgleichen.

Denn unter den verschiedenen Gruppen und Stämmen herrschte blanke Anarchie.

Keine von ihnen hätte eine oberste Führung akzeptiert oder sich in irgendeiner Weise Vorschriften machen lassen. Immer wieder kam es zu blutigen Gemetzeln unter ihnen, die die Sudori unter anderem dadurch anzustacheln versuchten, in dem sie stets beide Kontrahenten mit leichten Laserwaffen belieferten.

Der pfeilschnelle Gleiter, mit dem Gleiterpilot Ra-Dor in einem weiten Bogen um die Stadt herumflog, schoss direkt auf die Küste des Saroi-Meeres zu.

Das Wasser schimmerte grünlich in der grellen Sonne.

Der Salzgehalt des Saroi-Meeres ließ es immerhin zu, dass hier höheres Leben existieren konnte. Große Tintenfischfarmen sorgten dafür, dass es in Städten wie Gar Maduna genügend Nahrungsmittel gab.

Ra-Dor folgte dem Verlauf der Küste, warf zwischendurch einen Blick zur Seite auf die schimmernde Kuppelstadt.

Sa-Tram, sein Copilot, war damit beschäftigt, die Messdaten der Instrumente zu verfolgen.

"Die Ortungsgeräte zeigen etwas an, das eine Ansammlung von Anfatoi sein könnte."

"Kurs?"

"Nordnordwest. Entfernung 32,6."

"Dann sehen wir uns das mal an."

"Zielobjekte bewegen sich in westliche Richtung."

"Immerhin, das klingt ja einigermaßen beruhigend."

Es bedeutete, dass die Anfatoi sich von Gar Maduna entfernten. Auf Sa-Trams Display erschien eine schematische Projektion, die deutlich machte, dass die Anfatoi auf einen langsam versalzenden Seitenarm des Saroi-Meeres zu strebten.

Kein Wunder, dachte Sa-Tram.

Salz, genauer gesagt Natriumchlorid, brauchten die Anfatoi für ihren komplexen Stoffwechsel.

Den Hauptteil ihrer Energie bezogen sie durch lichtsensitive Zellen, die ihnen erlaubten, das Sonnenlicht in Energie umzuwandeln. So waren sie weitgehend unabhängig von Nährstoffen, die sie aus der Umgebung hätten aufnehmen müssen, bis auf ein paar Ausnahmen: Natriumchlorid gehörte dazu.

Aber davon gab es auf Candakor-3 mehr als genug.

"Hier Kontrolleinheit CX-23", meldete Ra-Dor an seine Kommandoeinheit in Gar Maduna. "Ortung von Anfatoi-Ansammlung erfolgte soeben. Wir weichen jetzt vom Standard-Kurs ab, um Gefahrenpotential zu ermitteln."

Gar Maduna bestand - wie andere Kuppelstädte der Sudori auch - schon seit Jahrtausenden.

Niemand wusste genau, wie lange eigentlich und wann genau die Vorfahren der Sudori-Siedler es geschafft hatten, sich derart im Candakor-System zu etablieren. Von den Anfängen berichteten nur noch Mythen und Legenden.

Geschichten, die man heute nur noch unwissenden Kindern erzählte und deren Wahrheitsgehalt mehr als umstritten war.

Ra-Dor beschleunigte den Gleiter auf Höchstgeschwindigkeit.

Das Gefährt entfernte sich jetzt von der Küstenlinie des großen Saroi-Binnenmeeres.

Nicht lange und die ersten Anfatoi tauchten auf.

Es gab so gut wie keine wilden Anfatoi. Diese skorpionartigen Riesen waren von den Ada’an-Nomaden mehr oder minder vollständig domestiziert worden.

Und auch bei diesen Tieren waren deutlich die aus einem kalkartigen Material bestehenden Erhöhungen zu sehen, in denen sich die Wohnungen der Ada’an befanden.

Auf den ersten Blick konnte man die Auswüchse an der Oberseite der gewaltigen Panzer für Ablagerungen halten. Wie abgestorbene Korallen, die auf irdischen Meereskrebsen gesiedelt hatten.

Ra-Dor wusste, dass die Ada’an-Nomaden das ultraharte Panzermaterial verendeter Anfatoi dafür benutzten. Durch gewisse Zusätze wurde es zu einer breiigen, plastisch formbaren Masse, bevor daraus die 'Aufbauten' auf einem anderen Anfatoi-Panzer entstanden. Perfekt angepasst an die Umgebung.

So perfekt, dass die skorpionartigen Riesen sich damit metertief in den Wüstensand eingraben konnten, ohne dass die Aufbauten oder deren Insassen dadurch Schaden nahmen.

In Gefahrensituationen war ein solches Vorgehen hin und wieder nötig.

Vor allem dann, wenn ein Gegner mit überlegener Waffentechnik einen Angriff startete.

Ein Kontrollgleiter der Sudori-Föderation zum Beispiel.

Ra-Dor senkte die Flugbahn des Gleiters um einige Grad.

"Von denen holen wir uns ein paar!", meinte er.

"Bringt doch nichts", erwiderte Sa-Tram.

"Trotzdem."

"Ist eine Art Sport für dich, was?"

"Irgend etwas dagegen einzuwenden?"

"Vergiss es."

"Hier in der Nähe der Saroi-Küste ist der Untergrund noch recht hart."

"Was hat das damit zu tun?"

"Sie werden Schwierigkeiten haben, sich einzugraben."

"Du gehörst wohl auch zu denen, die davon träumen, das Nomadenproblem ein für allemal zu lösen."

"Wenn das möglich wäre..."

Aber das hatten die Ada’an bislang immer zu verhindern gewusst. Sie waren Meister des Überlebens.

Und die Natur des Planeten war auf ihrer Seite.

Mit ihren Riesenskorpionen bildeten sie eine Art Einheit, perfekt an die Umgebung auf Candakor-3 angepasst. Sie brauchten keine Prallfelder und Energiebarrieren, um sich vor den Urgewalten des dritten Planeten zu schützen.

Nicht einmal die leichten Laserwaffen, die Sudori-Händler unter ihnen verbreitet hatten und mit denen sie ihre Fehden auszutragen pflegten, hätten sie wirklich gebraucht.

Ihr größter Trumpf war die Fähigkeit, die Anfatoi mit Hilfe ihres Psi-Extrasinns zu lenken.

Das erlaubte ihnen das Überleben.

Über Jahrtausende hinweg.

Und selbst die weit überlegende Technik der Sudori hatte daran nichts ändern können. In der Vergangenheit hatte es regelrechte Treibjagden auf die Ada’an und ihre Riesenskorpione gegeben.

Aber es war der Föderation der Sudori Städte einfach nicht gelungen, die Nomaden auszurotten. Das Abdrängen in weit entfernte Gebiete war alles, was man phasenweise erreicht hatte.

Doch auch dieses Ziel lag momentan in weiter Ferne.

Sie waren längst wieder waghalsiger geworden, wagten sich manchmal sogar in Sichtweite der großen Kuppelstädte. Sie wussten, dass sie gegen diese Kuppeln aus purer Energie, die sich schützend über die Sudori-Siedlungen legten, nichts zu tun vermochten. Sie wussten es und versuchten es dementsprechend auch gar nicht erst.

Ra-Dor aktivierte den Schutzschirm, der sich schimmernd um die Außenhaut des Gleiters legte.

Wie einer Art Aura.

Der Gleiter raste auf die Anfatoi zu, deren Ada’an-Führer inzwischen wohl auch begriffen hatten, was gerade geschah.

Sie strebten in Richtung des weiten, sandigen Landes zu, das sich bis zum Horizont erstreckte. Die ersten von ihnen begannen damit, sich in den Sand hinein zu graben. Wahre Sandfontänen wurden empor geschleudert.

Blitze zuckten von mehreren Rücken der monströs erscheinenden Kolosse auf.

Laserblitze.

Aber mit ihren unzureichenden Waffen konnten die Ada’an nichts gegen den Kontrollgleiter ausrichten.

Ra-Dor aktivierte die automatische Zielerfassung der Bordkanone. Sekunden später schoss ein Strahl hervor, erfasste einen der Anfatoi. Die Aufbauten platzen in einer Explosion weg.

Die Beine des Anfatoi knickten ein.

Rauch stieg empor.

Nicht mehr als ein ausgeräuchertes Exoskelett würde von ihm bleiben.

Einige der Nomaden hatten sich durch Sprünge in den Sand zu retten versucht.

Sofern sie sich nicht dabei verletzt hatten und nun zurück blieben, versuchten sie, auf andere Riesenskorpione zu gelangen.

Wenn sie hier zurück blieben, kam das einem Todesurteil gleich.

Ein Mensch konnte auf sich allein gestellt, ohne entsprechendes technisches Equipment oder einen gut abgerichteten Anfatoi, nicht überleben.

Dazu war die Natur des dritten Candakor-Planeten einfach zu unbarmherzig.

Ra-Dor ließ die Zielerfassung einen weiteren der gepanzerten Riesen anvisieren, während der Gleiter im Tiefflug daher zischte.

Auch dieser Schuss war ein Treffer.

Ein dritter und ein vierter Energieschuss folgten.

An mehreren Stellen loderten nun Flammen empor.

Schwarze Rauchfahnen quollen zum Himmel empor, färbten ihn schmutzig.

Das Gegenfeuer der Nomaden war nach wie vor hier und da zu beobachten.

Verzweifelte Gegenwehr ohne irgendeinen Effekt.

Ra-Dor zog den Gleiter in einem Bogen herum, um erneut anzugreifen.

"Lass es sein, du wirst doch nicht alle erwischen!", meinte Sa-Tram.

"Lass das meine Sorge sein!"

"Ich habe hier übrigens ein paar eigenartige Energiesignaturen..."

"Schau ich mir nachher an!"

"Also, wenn ich nicht wüsste, dass das nicht sein kann, dann..."

Ra-Dor betätigte erneut die Bordkanone. Dreimal kurz hintereinander.

Für die Anfatoi und die auf ihnen befindlichen Nomaden gab es keine Rettung. Sie waren zum Abschuss freigegebenes Wild, das nicht den Hauch einer Chance gegen diesen übermächtigen Gegner hatte.

Immer mehr der Riesenskorpione gruben sich inzwischen in den Sand ein, waren dort dann weitgehend unerreichbar für den Energiebeschuss.

Die Anfatoi waren dazu in der Lage, sich sehr tief in die Erde hineingraben zu können. Die Behausungen der Ada’an waren soweit zu schließen, dass die eingeschlossene Luft zum Großteil nicht entweichen konnte und den Insassen zur Verfügung stand.

Auch unterirdisch waren die an groteske Ungeheuer erinnernden Anfatoi in der Lage, sich weiter vorwärts zu graben. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein gezielter, intensiver und die oberste Erdschicht der Planetenoberfläche durchdringender Beschuss einen bereits im Sandmeer 'abgetauchten' Anfatoi samt seiner Besatzung zu schädigen vermochte, war äußerst unwahrscheinlich.

Ein Anfatoi nach dem anderen verschwand buchstäblich von der Oberfläche.

Gewaltige Sandfontänen wurden aufgeschleudert.

Die Sicht wurde schlechter.

"Hör mal, das sieht doch so aus, als wäre hier in der Gegend ein Raumgleiter oder sowas gelandet!", meinte Sa-Tram.

"Das kann nicht sein. Meines Wissens..."

"Sieh dir die Anzeigen selbst an, verdammt nochmal!"

Ra-Dor atmete tief durch.

Er stellte eine Verbindung zum Kontrollzentrum in Gar Maduna her und erfragte, ob es in der letzten Zeit irgendwelchen nicht registrierten Verkehr von Raumschiffen oder Gleitern gegeben hatte. Wenn es sich bei dem Objekt, dessen Energiesignaturen Sa-Tram mit Hilfe seiner Instrumente geortet hatte, um einen Raumer handelte, war das schon sehr, sehr merkwürdig.

Normalerweise machte es keinen Sinn, irgendwo auf der Planetenoberfläche zu landen, es sei denn, es handelte sich vielleicht um Kriminelle.

Leute, die von den Waren der an der Orbitalstation Candakor-4 andockenden interstellaren Containerschiffen etwas abgezweigt hatten und nun diese Fracht auf verschlungenen Pfaden dorthin bringen mussten, wo man sie verkaufen konnte.

Auf die Oberfläche des dritten Planeten.

Sei es nun an die Nomaden, mit denen es hier und da verbotenen Handel gab oder auf den Märkten der kleineren Sudori-Städte.

Immer wieder hatte es derartige Machenschaften gegeben.

Warenlieferungen, die niemals dort angekommen waren, wo sie eigentlich hin gelangen sollten.

In der Vergangenheit waren diese Machenschaften von den sogenannten Piratenstädten unterstützt worden: Einige Sudori-Kuppelstädte in der südlichen Polar-Region gehörten nämlich nicht der Sudori-Föderation an und waren somit lange Zeit auch vom direkten Zugang zu den Containerschiffen abgeschnitten gewesen, was dazu geführt hatte, dass die sogenannten "Piraten" sich diesen Zugang gewaltsam verschafft hatten. Sie hatten sich darauf spezialisiert, Gleitertransporte zwischen den Städten der Sudori-Föderation zu kapern.

Immer wieder war es daraufhin zu blutigen Kriegen zwischen den Piratenstädten und der Sudori-Föderation gekommen.

Erst seit einer Handvoll Planetenumläufe gab es einen brüchigen Frieden.

Daher unterhielt die Föderation eine umfangreiche Flotte von Jäger- und Kontrollgleitern, die auch jetzt noch die Planetenoberfläche kontrollierten.

Dem Frieden mit den Piratenstädten, von denen Gar Daba die wichtigste war, traute niemand so recht.

Auch wenn es in letzter Zeit eine Minderheit gab, die eine Aufnahme dieser Städte in die Föderation forderte.

Doch bis dahin würde es sicher noch einige Standardjahre dauern...

Und selbstverständlich waren die Kontrolleinheiten der Sudori-Föderation gehalten, derartige Vorfälle sofort zu melden.

Aber die Oberfläche von Candakor war groß, die Bevölkerungszahl gering.

Es war so gut wie unmöglich, den gesamten Planeten wirklich zu kontrollieren.

Das galt für die Nomaden genauso wie für die Schmuggler und Schwarzhändler, die sich in mafiösen Vereinigungen zusammen geschlossen hatten.

Ra-Dor stellte das Feuer auf die Riesenskorpione ein.

In seiner Sichtweise waren nicht nur die riesenhaften Anfatoi, sondern auch deren Reiter nichts weiter als eine Art Tiere.

Tiere, die man töten durfte, die kein Recht zu leben besaßen, keinen Schutz vor dem Gesetz und keine Würde. Primitive Wilde, an deren Fähigkeit zur Vernunft er immer gezweifelt hatte.

Ihre Jagd war für die Sudori eine Art Sport.

In dieser menschenverachtenden Haltung unterschied er sich nicht von vielen anderen Piloten der Kontrolleinheiten, die die Sudori-Föderation auf Streife schickte.

Aber diese kriminellen Schmuggler und Schieber rangierten in Ra-Dors Auffassung sogar noch unter ihnen. In seinen Augen waren sie Verräter gegen das Allgemeinwohl.

Und zwar von der schlimmsten Sorte.

Menschen, denen reine Profitgier wichtiger war, als die Versorgung der Bevölkerung.

"Ich habe ihn jetzt!", erklärte Sa-Tram.

Eine Projektion erschien. Die Lade des Objekts wurde markiert. "Da hinten, bei den Felsen!", erläuterte Sa-Tram. "Es handelt sich um einen Raumshuttle für den Verkehr nach Zwei."

Zwei - der Trivialname des zweiten Planeten im Candakor-System.

"Peil ihn an, versuche Funkkontakt herzustellen. Wenn die ID-Signatur irgendwelche Unregelmäßigkeiten aufweist, ballern wir das Ding in die Luft!", meinte Ra-Dor.

"In Ordnung."

"Ausnahmsweise bist du mal einverstanden?"

"Du sagst es."

"Aber gegen das Abknallen dieser Skorpion-Bestien hattest du Einwände!"

"Du drehst mir das Wort im Mund herum!"

"Was soll's!"

Eine Pause entstand.

Dann sagte Sa-Tram plötzlich zögernd: "ID-Signaturen scheinen okay, aber..."

"Aber was?"

"Da gibt es minimale Abweichungen."

"Eine Fälschung?"

"Nein, das glaube ich nicht. Aber..."

"Wenn das ehrliche Leute wären, wären sie in Gar Maduna gelandet oder man würde sie dort vermissen."

"Auch wieder wahr!"

"Na, also!"

"Dann mal los! Wird ein schönes Feuerwerk geben!"

"Zielpeilung für Missile."

"Peilung erfolgt."

"Feuer!"

Nur Sekundenbruchteile verrannen.

"Treffer", stellte Sa-Tram fest.

"Wieder einer weniger."

"Es gefällt mir trotzdem nicht."

"Was?"

"Dieses Töten."

"Nicht sentimental werden, Sa-Tram."

"Ja, ja..."

"Es sind Tiere."

"Sprichst du von den Anfatoi oder den Ada’an."

"Da gibt's außer der Größe für mich keinen Unterschied."

"Ich hoffe nur..."

"Was?"

"Dass sich unsere Überheblichkeit gegenüber den Nomaden nicht eines Tages rächen wird."

Ra-Dor lachte auf.

"Keine Sorge."

"So?"

"Sie werden niemals in der Lage sein, das Blatt zu wenden. Nicht diese Primitiven..." Sein Gesicht wurde angespannt. "Feuer!", murmelte er und löste ein weiteres Geschoss aus.

*



ICH, JON RENARD, DIENER des Subimperatores und zukünftiger Messias einer relativ primitiven Welt am Rande des Bewohnten Universums, beobachtete den Angriff des Gleiters auf die Anfatoi-Herde.

Es handelte sich um eine ziemlich große Herde dieser skorpionartigen Ungeheuer.

Jedenfalls sagte mir dies das per Hypnoschulung implantierte Wissen, mit dem der Subimperator mich diesbezüglich ausgestattet hatte. Wissen, das sich auf ein vollkommen unbedeutendes Staubkorn namens Candakor bezog und das ich nie wieder benötigen würde, sobald diese Mission beendet war.

Aus mindestens hundert Tieren musste diese Herde bestehen, so schätzte ich.

Aus dem Gleiter heraus wurden sie gnadenlos beschossen. Die Aufbauten, die sich die auf den Anfatoi siedelnden Ada’an-Nomaden gebaut hatten, sprengten die Laserschüsse auseinander.

Die Strahlen bohrten sich durch den Panzer dieser Tiere hindurch.

Ein verbrannter Geruch hing in der Luft. Der Geruch des Todes.

Schreie gellten.

Schreie, die sich mit den dumpfen, knarrenden Lauten vermischten, die die Anfatoi ausstießen, wenn Laserschüsse sie nicht richtig trafen und nur verletzten, anstatt sie zu töten.

Die Nomaden haben keine Chance, dachte ich. Sie werden einfach abgeschlachtet.

Aber du wirst letztlich dafür sorgen, dass sie sich erheben.

Doch nicht um ihr eigenes Schicksals willen, sondern weil der Subimperator, den sie den HERRN DER STERNE nennen, sie als seine Marionetten braucht. Als Schachfiguren in einem Spiel, dessen Existenz diese Menschen noch nicht einmal erahnen...

Ich berührte das Amulett, das ich auf der Brust hängen hatte.

Das Sternenamulett.

Jenes Symbol, an dem die Ada’an mich erkennen sollten und dessen Impulse mich in die Lage versetzen würden, einen Anfatoi zu lenken.

Es gibt keinen Zufall, dachte ich. Zumindest, wenn man der Philosophie der Ada’an folgt.

Es gibt nur Schicksal.

Bestimmung.

Aber keinen Zufall...

Der Mensch bewegte sich auf vorgezeichneten Bahnen. Vorgezeichnet vom HERRN DER STERNE und anderen höheren Mächten, als deren Sendboten mich diese Nomaden nun zweifellos ansehen mussten, sobald ich in ihr Leben getreten war.

Der Sudori-Gleiter schwenkte herum, zog seine Bahn jetzt genau in meine Richtung.

Ich bezweifelte, dass irgendjemand an Bord auf mich achtete.

Das Interesse des Piloten schien sich vollkommen auf die besiedelten Anfatoi zu konzentrieren.

Immer wieder zuckten Geschosse aus den entsprechenden Mündungen heraus.

Der Geruch nach verbranntem Anfatoi-Fleisch hing in der Luft.

Beißend.

Der Gestank des Todes.

Ich griff an meinen einen Gürtel, nahm einen fingergroßen Energieprojektor hervor. Ein Produkt der überlegenen Technik des Subimperators.

Ich betätigte den Auslöser.

Eine bläuliche, blasenartige Energiekugel bildete sich, schimmerte wie eine Seifenblase, schwebte in Richtung des Gleiters, beschleunigte dabei immer stärker und erweiterte dabei ihr Volumen um ein Vielfaches.

Die Gleiterbesatzung bemerkte den Angriff im letzten Moment, versuchte ein Ausweichmanöver.

Vergeblich.

Die Energieblase hüllte den Gleiter ein, spannte sich um seine Außenhaut herum und schloss ihn ein. Der Druck im Inneren dieser Blase sorgte dafür, dass das Gefährt zusammenschrumpfte.

Es wurde wie in einer Schrottpresse zusammengedrückt und stürzte ab.

Noch ehe der Gleiter auf dem Boden aufschlug, hatte er nur noch die Hälfte seines eigentlichen Volumens.

Am Boden kam es dann zu einer Detonation.

Die bläulich schimmernde Blase platzte auf, Flammen schossen hoch empor.

Die Anfatoi hielt in ihren Bewegungen inne.

Sie hörten auf, sich in den Wüstensand einzugraben.

Die sie bewohnenden Ada’an-Nomaden kamen aus ihren Behausungen hervor, standen auf den Panzern ihrer Riesenskorpione und blickten hinauf zu dem Felsen, wo ihr Retter stand.

Ich betätigte noch einmal den Mini-Projektor, diesmal allerdings in anderer Funktion, die ich vorher exakt programmiert hatte.

Eine energetische Leuchterscheinung schoss hervor und formte am Himmel ein Symbol, das identisch war mit dem Amulett, das ich um den Hals trug.

In diesem Zeichen werdet ihr euch erheben, dachte ich.

Gegen die Frevler in den Städten.

Für den Subimperator.

*



ABRAN WAR EINER DER Chefwissenschaftler von Gar Maduna. Die besten und fähigsten Köpfe der gesamten Sudori-Föderation arbeiteten für ihn an einem Projekt, von dessen Explosivität keiner der daran Beteiligen etwas ahnte.

Abran saß am Terminal, ließ eine Projektion erscheinen. Die besten Rechner des gesamten Candakor-Systems waren hier, unter der Kuppel von Gar Maduna, zu finden.

Computer, die das zu simulieren vermochten, was vielleicht sehr bald schon den Lauf der Geschichte dieses Sonnensystems ändern würde.

Es ging um die Entwicklung eines Überlichtantriebs. Erste Experimente hatte es längst gegeben. Und in der Simulation funktionierte der Antrieb bereits.

Was die praktische Umsetzung anging, würden noch einige Probleme zu überwinden sein.

"Sie denken an die bevorstehende Entscheidung des Rates, nicht wahr?", meinte La-Hem, der Stellvertreter des Chefwissenschaftlers.

Ein Lächeln glitt über Abrans Gesicht.

"Diese Entscheidung kann sich noch Tage hinziehen."

"Ja, ich weiß."

"Wir arbeiten einfach schon zu lang an dieser Sache. Und noch immer haben wir kein Ergebnis, mit dem ich zufrieden sein könnte. Was den Rat anbetrifft..."

"...so muss er von der Dringlichkeit dieses Projektes immer wieder von neuem überzeugt werden", vollendete La-Hem Abrans Satz.

"Ja, so ist es."

Eine Pause des Schweigens entstand.

Abran versank wieder in seinen Gedanken.

Das Candakor-System wird bald schon kein abgelegenes Staubkorn im Nichts mehr sein, dachte er.

*



DIE REITKÄFER HATTEN die Größe irdischer Pferde. Nur waren sie natürlich breiter.

Zwei Reiter hatten bequem Platz.

Die Käfer wurden in Ställen innerhalb der auf dem Rücken der Anfatoi befindlichen Gebäude gehalten und ebenso wie die Riesenskorpione durch Psi-Impulse gelenkt. Sie kletterten an den Körpern der gewaltigen Riesenskorpione hinab und verharrten dann.

So waren sie dressiert.

Die Psi-Impulse der Ada’an allein konnten sie nicht unter ihren Willen zwingen.

Sie waren lediglich wie Signale, die dem Reitkäfer klar machten, dass er stehen zu bleiben hatte. Dass sie darauf zu hören hatten, musste den Tieren in mühsamer Kleinarbeit beigebracht werden.

Erst nachdem die Reitkäfer den Boden erreicht hatten, folgten ihnen die Ada’an-Reiter.

Sie seilten sich einer nach dem anderen an den Panzern der Riesenskorpione hinab, bestiegen dann die Reitkäfer.

Ich beobachtete diese Szene von meiner Position auf einer Felsenkanzel aus.

Eine Kolonne von Käferreitern machte sich auf.

Sie würden einen Bogen reiten und mich dann erreichen.

Ich konnte nur hoffen, dass sie in mir genau den sahen, dessen Ankunft sie erwarteten. Aber in dieser Hinsicht konnte ich wohl den langfristigen Vorbereitungen des Subimperators vertrauen.

Machterhalt war ein Geschäft, das man langfristig betreiben musste, wenn man Erfolg haben wollte.

Der Subimperator hatte dieses Gesetz ganz offensichtlich verinnerlicht.

Ich wartete.

Mehr konnte ich im Moment nicht tun.

Mit einer Hypnoschulung war ich so auf meinen Einsatz vorbereitet worden, dass ich sowohl die verschiedenen Ada’an-Dialekte als auch die Sudori-Sprache perfekt beherrschte.

Einer Kontaktaufnahme stand also von dieser Seite her nichts im Weg.

Ich drehte mich um, sah auf das Symbol, das noch immer am Himmel stand und jetzt langsam verblasste wie die Kondensstreifen eines prähistorischen Flugzeugs, wie es angeblich vor undenklich langer Zeit auf der Erde verwendet worden war, als noch primitive Düsentriebwerke verwendet worden waren.

Triebwerke immerhin, die im Gegensatz zu späteren Errungenschaften der menschlichen Forschung den nicht zu bestreitenden Vorteil gehabt hatten, dass sie die Struktur des Raum-Zeit-Gefüges unangetastet ließen.

Erstaunlich schnell erreichten mich die Käferreiter.

Schneller, als ich erwartet hatte.

Ein bis zwei Ada’an ritten auf je einem dieser Reitkäfer.

Sie ritten in einer V-förmigen Formation.

In gemessenem Abstand sorgten sie dafür, dass ihre Reitkäfer stoppten. An unsichtbaren Zügeln aus leichten Psi-Impulsen geschah das.

Einige der Ada’an-Krieger stiegen von ihren Reitkäfern.

Sie trugen weite, kuttenartige Kapuzenmäntel, die vor der Sonne schützten. Darunter eher enganliegende, praktische Kombinationen.

Hier und da glänzten Dolche, erbeutete oder durch Handel erstandene leichte Laserwaffen und Einhandarmbrüste, in deren Handhabung die Nomaden Candakors traditionell wahre Meister waren.

Allerdings konnte keine dieser Waffen sie vor Angriffen der Sudori schützen.

Ein Riesenskorpion ließ sich durch den gezielten Schuss mit einer Einhandarmbrust sofort töten, wenn er außer Kontrolle geriet oder einem angreifenden Stamm angehörte. Aber was immer die Ada’an auch in Richtung der Sudori-Gleiter schossen, es wurde durch die undurchdringlichen Schutzschilde abgehalten.

Zwei Wege des Überlebens in einer Umwelt, die nicht gerade perfekt für den Menschen geschaffen ist!, überlegte ich. Der Weg der überlegenen Technik, wie ihn die Sudori beschritten. Und der Weg der Anpassung an die Natur, wie bei den Nomaden.

Der Weg der Sudori war allerdings an einen Punkt gekommen, wo er zu einer Gefahr für die Ordnung des Universums wurde.

Und deswegen war ich hier.

Der offensichtliche Anführer der Gruppe verneigte sich.

"Sieh mich an", sagte ich.

Er hob das Gesicht, begegnete mit seinen dunklen, fast schwarzen Augen meinem Blick. Ein Mann in den mittleren Jahren.

"Wer bist du?", fragte ich.

"Ich bin Orlanos, der Anführer des Paldagar-Stammes."

"Und was glaubst du, wer vor dir steht?"

Orlanos sprach jetzt mit belegter Stimme.

"Der Diener des HERRN DER STERNE. Daran gibt es für keinen, der Augen hatte, zu sehen, auch nur den Hauch eines Zweifels."

Eine Pause des Schweigens folgte.

Die Männer starrten mich an.

Sie starrten mich an wie ein leibhaftiges Wunder, wagten in meiner Gegenwart kaum zu atmen.

Dies war zweifellos ein Moment, der noch nach Generationen unter ihnen weiter erzählt werden würde. Legenden würden sich um mein Erscheinen ranken. Die Wahrheit würde sich mit dem mischen, was die Ada’an dazu dichteten. So war es immer.

Es ist Betrug, dachte ich.

Diese Menschen wurden auf gewisse Weise benutzt. Benutzt als willfährige Werkzeuge im Dienst einer Idee.

Der Idee des Gleichgewichts und der Aufrechterhaltung der Herrschaft des SUBIMPERATORS, den sie als den HERRN DER STERNE verehrten.

Es hat keinen Sinn darüber nachzudenken!, ging es mir durch den Kopf. Du bist genauso ein Werkzeug wie sie. Niemand hat in diesem Spiel auch nur annähernd etwas, das man als eine Wahl bezeichnen könnte.

"Wie sollen wir dich nennen, Fremder?", fragte Orlanos.

"Nennt mich Renard", sagte ich.

"Wir sollten schleunigst aufbrechen, Renard. Die Sudori werden bald mit weiteren Kampfgleitern hier sein und uns angreifen."

"Ich habe keine Angst."

"Verzeih uns die unsere. Du beschämst uns."

"Das war nicht meine Absicht."

"Wir haben viele unserer Anfatoi samt den dazugehörigen Gemeinschaften verloren."

"Ich weiß."

"Wir fürchten weitere Verluste."

"Ich werde mit euch kommen. Und die Furcht wird euch verlassen..."

Orlanos verneigte sich. In seinen Augen blitzte es. Er wandte sich herum. Für einen kurzen Moment wurde die leichte Laserwaffe unter seinem kuttenartigen Umhang sichtbar. Eine jener Waffen, die die Sudori den Ada’an überließen, weil sie genau wussten, dass damit keinerlei Gefahr von ihnen ausging; andererseits aber dezimierten sich die Nomaden damit sehr wirkungsvoll selbst und nahmen den Kampfgleitern der Föderation zumindest einen Teil der Arbeit ab.

Orlanos rief ein paar Befehle, an einen seiner Krieger gerichtet.

Dieser ließ seinen Reitkäfer heran traben.

Dessen kalte Facettenaugen stierten mich an. Seine Mundwerkzeuge bewegten sich unruhig, die hoch aufgerichteten Fühler ebenfalls.

Der Ada’an-Krieger stieg vom Rücken des Reitkäfers herab.

"Mein Tier sei das deine, Renard!", verkündete er.

Er stieg bei einem der anderen Reiter mit hinauf.

Dutzende von Augenpaaren waren auf mich gerichtet.

Ich begriff sogleich, dass dies eine Art Probe war. Sie wollten herausfinden, ob ich das war, was in ihrer Überlieferung ein MENSCH MIT SEELE war.

Ein Ada’an.

Ein Mensch, der über einen zusätzliche Psi-Sinn verfügte, der es ihm erlaubte, jene Impulse abzugeben, mit Hilfe derer sich sowohl die Reitkäfer als auch die gewaltigen Anfatoi- Riesenskorpione lenken ließen.

Die Situation, in der ich mich jetzt befand, hatte ich zuvor in der Hypnosimulation durchgespielt.

Ich WUSSTE, wie man die Reitkäfer unter seine Kontrolle zwang.

Aber ich hatte es noch nie wirklich GETAN!

(Vertrau auf deine Konditionierung!, ging es durch meine Gedanken. Es kann nichts schief gehen.)

Ich näherte mich dem Reitkäfer, der heftig die Beißwerkzeuge bewegte, berührte dabei das Amulett auf meiner Brust, das meine mentalen Impulse verstärken sollte, sodass sie jenen der Ada’an entsprachen.

Ich versuchte, meine Gedanken zu konzentrieren, wobei der Begriff GEDANKE wahrscheinlich nicht das richtige Wort für einen mentalen Impuls ist, der sich an eine eindeutig nicht vernunftbegabte oder auch nur im entferntesten Sinn intelligente Kreatur richtet.

Ich trat auf den Käfer zu, streckte die Hand aus.

Angesichts der Beißwerkzeuge dieser Kreatur nicht ganz ungefährlich.

Ich erwischte eine bestimmte Stelle an seinem Kopf, was das Tier empfänglicher für meine Impulse machen würde. Zumindest der Theorie nach.

Aber offensichtlich stimmte sie in diesem Fall.

Der Reitkäfer beruhigte sich zusehends. Ich konnte mich daran machen, auf seinen Rücken zu steigen, was mir schließlich auch gelang.

Undeutlich spürte ich die mentale Gegenwart dieses primitiven Bewusstseins.

Und ich merkte, dass ich es durch meine Impulse genauso lenken konnte, wie ein geübter Pferdereiter in prähistorischer, vor-stellarer Zeit es durch den Druck mit den Schenkeln getan haben mochte.

Ich lenkte den Reitkäfer herum.

(Keine Sorge. Das Tier gehorcht dir... Und wenn du keinen größeren Fehler machst, wird es mit den Ada’an insgesamt bald genauso sein...)

Die Nomaden sahen mich an, nickten sich gegenseitig zu. Es war tatsächlich eine Art Probe gewesen, was ich gerade durchgemacht hatte. Und ich hatte sie offensichtlich bestanden.

"Ein Diener des HERRN DER STERNE, der ein besonderes Amulett trägt und den Reitkäfer zu lenken versteht!", hörte ich einen der Ada’an sagen. Es handelte sich um einen älteren Mann, der eine v-förmige Tätowierung auf der Stirn trug. "Wahrlich, er muss der sein, auf den wir schon so lange warten!"

Zustimmendes Gemurmel erhob sich.

Orlanos beendete dies mit einer Handbewegung.

"Die Zukunft wird es zeigen!", verkündete er, mit einer deutlichen Portion Skepsis in der Stimme. "Auf jeden Fall hat Renard uns vor der Grausamkeit der Sudori gerettet und dafür werden wir ihm auf ewig dankbar sein!"

*



ICH LEBTE MIT DEN ADA’AN in den Wohnhöhlen, die sie auf den Rücken ihrer Anfatoi modelliert hatten. Diese Wohnhöhlen wirkten so organisch an die Panzer der Riesenskorpione angepasst, dass man von allein kaum auf den Gedanken gekommen wäre, es könnte sich um künstlich erschaffene Gebäude handeln.

Der Panzerrücken eines Riesenskorpions war der Lebensraum einer Dorfgemeinschaft. Eine oder mehrere Großfamilien lebten dort.

Jedes Sippenmitglied, älter als sieben Jahre, war in der Lage, einen Anfatoi zu lenken. Für das Überleben der Ada’an gab es nichts Wichtigeres, als diese Fähigkeit.

Von ihr hing alles ab.

Und je länger ich unter diesen Nomaden von Candakor lebte, desto klarer wurde mir das.

Die Anfatoi stellten ein äußerst effektives Verkehrsmittel dar. Ohne jede technischen Hilfsmittel vermochten die Nomaden mit ihrer Hilfe Tausende von Kilometern zu überwinden.

Wochenlang waren sie unterwegs, ohne auf irgendeine menschliche Seele zu treffen, die nicht zu ihrem Stammesverband gehörte.

Candakor war eine dünn besiedelte Welt, so wurde mir klar. Und wahrscheinlich war die Weite der candakorischen Einöden und Wüsten die Überlebensgarantie der Ada’an. Die ebenfalls nicht sehr zahlreichen Sudori, die sich in ihrer Handvoll hochmoderner Städte Oasen des Lebens geschaffen hatten, hatten wahrscheinlich schon allein aus diesem Grund kaum eine Chance, ihre Feinde endgültig vom Antlitz des Planeten zu tilgen.

"Wohin zieht ihr?", fragte ich Orlanos einmal, als der Stamm mit seinen Anfatoi im Licht der sieben kleinen Monde fortsetzte, die am Nachthimmel Candakors leuchten. Kleine Monde sind es. Gesteinsbrocken, auf denen niemand es lohnend befinden würde, zu landen. Früher hatte es angeblich 13 Monde gegeben, aber die fehlenden Trabanten waren angeblich zerstört worden, da sie eine zu große Gefahr für die Containerschiffe darstellten, die die Oberfläche von Candakor anzufliegen versuchten. Der erste Frevel der Sudori, so bezeichnete die Mythologie der Ada’an dieses Ereignis.

Orlanos sah mich an.

"Weit im Süden, unterhalb des Äquators von Candakor-3, gibt es eine große Höhle mit einem unterirdischen See."

"Die Höhle von Zamdara", sagte ich.

Er nickte.

"Du kennst dich offenbar gut auf unserer Welt aus."

"Ich habe so manches gehört."

"Wenn du wirklich Verbindung zum HERRN DER STERNE hast, so verwundert es nicht..."

"Was wollt ihr in Zamdara?"

"Alljährlich findet dort ein großes Fest zu Ehren des HERRN DER STERNE statt. Dort wirst du unseren Propheten kennenlernen..."

"Den legendären Dalragan Sor..."

"Du hast von ihm gehört, Renard?"

"Ja."

"Von seinem Wort wird unter anderem auch dein Schicksal abhängen, Renard."

"In wie fern?"

"Wir glauben, dass du der Beauftragte des HERRN DER STERNE bist. Der Erwartete. Der Messias, der uns befreien wird..."

"Aber der Prophet Dalragan Sor muss zum selben Ergebnis kommen."

"Er wird dich prüfen, Renard."

"Ich verstehe..."

Orlanos lachte auf.

"Oh, allwissender Renard von den Außenwelten... Ich weiß nicht, ob dir wirklich klar ist, was dir bevorsteht."

"Ich glaube nicht, dass ich irgendeine Art von Prüfung zu fürchten habe", erwiderte ich.

Orlanos atmete tief durch.

Sein Gesicht wurde wieder ernst.

"Das wollte ich damit auch nicht gesagt haben, Renard."

"Ich weiß."

"Ich glaube an deine Mission, Renard. Und die meisten vom Stamm der Paragar, die Zeuge deiner großen Kraft geworden sind, glauben das auch. Aber unter den Ada’an gilt das Wort des Propheten Dalragan Sor als die letzte Autorität. Nur wenn ER dir folgt, werden alle Ada’an DIR folgen."

"Das ist mir klar."

"Gut."

"Euer Prophet Dalragan Sor hat es bislang nicht geschafft, Frieden und Einigkeit unter den Ada’an zu stiften."

In Orlanos' Augen blitzte es.

"Für die Zeit des großen Festes in Zamdara ist Frieden."

"Ein kurzer Waffenstillstand inmitten einer unendlichen Abfolge von Gemetzeln, Orlanos..."

"Aus der Sicht eines Außenweltlers mag es so erscheinen."

"Aus der Sicht des Erwarteten erscheint es so."

"Ja..."

"Ich werde diesen Zustand ändern."

Orlanos legte seine Hand auf meine Schulter.

"Wenn einer diesen Zustand zu ändern vermag, dann bist gewiss du es, Renard!"

*



EINIGE TAGE SPÄTER...

"Wie weit ist es bis Zamdara?", fragte ich.

Orlanos musterte mich.

"Noch einige Wochen. Wir haben Zeit genug. Aber je näher wir dem Äquator kommen, desto heißer wird es werden. Nicht mehr lange und wir werden nur noch des Nachts reisen können."

"Und wo verbringen wir die Tage?"

"Unter der Erde. Im Sand von Candakor."

Ich stellte es mir nicht gerade sehr angenehm vor, unter Tonnen von Sand in einer Wohnhöhle auf dem Rücken eines Riesenskorpions begraben zu liegen. Bei wem hätte sich da nicht so etwas wie ein Anflug von Klaustrophobie eingestellt?

Orlanos registrierte das genau.

Ein mildes Lächeln ging über sein Gesicht.

"Du magst ein Abgesandter des HERRN DER STERNE sein, aber..." Er zögerte, sprach nicht weiter.

Ich hob die Augenbrauen.

"Aber was?", hakte ich nach.

"...du bist doch ein Fremder hier."

"So, wie es prophezeit ist."

"Ich weiß, Renard."

Wir schwiegen eine Weile.

Mir war nicht ganz klar, ob mein Gegenüber möglicherweise an meiner Verbindung zum HERRN DER STERNE zweifelte.

Ob er vielleicht nicht glaubte, dass ich direkt von jener Wesenheit gesandt worden war, die in seinem Weltbild wie ein Gott über das Universum herrschte.

Ich wusste es besser.

Ich kannte die profane Wahrheit.

Der Subimperator selbst hatte sie mir enthüllt.

Ein Mensch namens Berringer, nichts anderes war der Subimperator ursprünglich gewesen. Auch wenn ihn die lange Zeit seiner Existenz mit Sicherheit schon weit von dem entfernt haben musste, was jener Mann mit dem Namen Berringer einst gewesen war.

Es konnte gar nicht anders sein.

(Ist es nicht eine Ironie? Orlanos würde dich töten, sobald du es wagen würdest, die Wahrheit laut und deutlich zu sagen. Er würde dich töten, weil er dich für einen schändlichen Frevler hielte...)

Ich stellte Orlanos eine Frage: "Was ist dir über die Frevel der Sudori bekannt?"

"Sie missachten die Gesetze des Universums. Darum ist der Kosmos ihr Feind. Sie müssen ihn bekämpfen und sich mühsam ihre Inseln des Lebens schaffen. Hast du jemals eine der Sudori-Städte gesehen, Renard?"

"Ja, das habe ich."

In gewisser Weise stimmte das, denn an Bord des Subimperator-Schiffes hatte ich mir sehr detaillierte Projektionen angesehen.

"Sie müssen sich gegen die Natur durch Schutzschirme aus Energie schützen. Wenn sie den Gewalten dieser Welt schutzlos ausgeliefert wären, würde der nächste Sturm sie von der Oberfläche fegen... Sie sind auf ihre Technik angewiesen."

"Im Gegensatz zu den Ada’an."

"Ja, so ist es. Wir werden noch über die Oberfläche Candakors ziehen, wenn es die Sudori schon längst nicht mehr gibt."

"Da bist du dir so sicher?" Ich würde ihm natürlich nicht sagen können, dass dies keineswegs im Sinne des Subimperators, des wahren HERRN DER STERNE, wäre, denn die Sudori waren schließlich wichtige Handelspartner im interstellaren Handelsnetz - und sollten das auch bleiben. Sonst hätte ich es auch anders machen Können: Offener Kampf gegen die Sudori beispielsweise, um sie auf drastische Weise von ihren Plänen abzubringen! Aber dabei hätte ich die für den Handel wichtigen Wirtschaftsstrukturen gleich mit zerstört und gewissermaßen aus einer anderen Richtung die universale Ordnung gefährdet. Nein, ich musste durchaus so vorsichtig und somit in gewisser Weise auch kompliziert vorgehen wie ich soeben im Begriff war, es zu tun...

"Wir waren vor ihnen hier. Wir sind die ersten menschlichen Bewohner Candakors gewesen und ich vermute, dass wir auch die letzten sein werden. So steht es geschrieben, so wurde es überliefert. Und so wird es geschehen."

Überlieferung.

Schrift.

Zukunft.

Ein Dreiklang, der im Weltbild des Ada’an nicht zu trennen war.

Orlanos, so wurde mir klar, schaute in die Vergangenheit, um seine Zukunft zu sehen. Und nicht nur die seine, sondern die seines gesamten Volkes.

Vielleicht hatte er sogar recht?

Bis auf die Verwendung von Laserpistolen in Stammesauseinandersetzungen hatte sich das Leben der Ada’an in den letzten hunderttausend Jahren oder mehr wahrscheinlich so gut wie überhaupt nicht verändert. Es gab aus ihrer Sicht wahrscheinlich auch gar keinen Anlass für eine Veränderung.

Schließlich waren sie perfekt an ihre Umgebung angepasst. Und erst, wenn sich in ihr irgendwelche schwerwiegenden Veränderungen ergaben, wären auch sie gezwungen gewesen, sich zu verändern, einen Schritt in ihrer Entwicklung voran zu gehen.

Stagnation, dachte ich.

Eine passende Umschreibung für diesen Zustand.

Aber wäre es nicht so gewesen, hätte ich sie auch nicht für die Zwecke des Subimperators nutzen können.

Wie sind die Menschen überhaupt nach Candakor gekommen? Nicht zum ersten Mal fragte ich mich das - und es folgte automatisch die Frage: Wieso hat mir der Subimperator das nicht mitgeteilt? Warum machte er ein solches Geheimnis daraus? Ohne Grund und nur deshalb, weil es nicht wichtig war? Ich hegte da so meine Zweifel...

*



WIR NÄHERTEN UNS DER Äquatorregion. Das bedeutete, dass wir am Tag schliefen und in der Nacht weiter zogen.

Während der glutheißen Tage gruben sich die Anfatoi in die Oberfläche Candakors hinein.

Der weiße Sand, der hier vorherrschte, war leicht wegzuschaufeln. Für die gewaltigen Riesenskorpione war das kein Problem.

Die Ada’an verkrochen sich derweil in den Wohnhöhlen, die so gut es ging abgedichtet wurden.

Eine besondere Schwierigkeit war dabei, dass die Anfatoi- Führer die Tiere nicht an einer bestimmten Stelle zwischen den um 360 Grad wendbaren Augen stimulieren konnten. Einer Stelle, an der verschiedene Nervenstränge zusammentrafen.

Die Stimulation erfolgte dadurch, dass ein Dorn aus Metall zwischen die Augen durch den Panzer des Anfatoi hindurchgeschlagen wurde. Berührte der Anfatoi Führer diesen Stab war eine besonders wirksame Übertragung der PSI-Signale möglich.

Wenn die Riesenskorpione sich jedoch eingraben sollten, war es nicht möglich, dass der Anfatoi-Führer das Tier bis zum letzten Augenblick unter Kontrolle hatte.

So lange es ging, pflegte er, auf seinen Posten zu sitzen. Erst kurz bevor ihn die Erdmassen zu begraben drohten, begab er sich in eine der Höhlen auf dem Rücken des Riesenskorpions.

Schon so mancher Anfatoi-Führer hatte bei einer solchen Aktion sein Leben verloren. Die Legenden der Ada’an waren voll von Geschichten darüber.

Wenn der Anfatoi sich tief eingegraben hatte und es eigentlich vollkommen dunkel in den künstlichen Höhlen der Ada’an hätte sein müssen, spendeten fluoreszierende Steine Licht.

Feuer zu machen war natürlich unter diesen Umständen nicht möglich, dazu hätte es eines besseren Abzugssystems bedurft.

Aber manchmal gruben sich die Anfatoi so tief in die Erde ein, dass sie auf Bodenschichten stießen, in denen geringe Mengen an Feuchtigkeit vorhanden waren.

Denn Wasser gab es sehr wohl auf Candakor. Viel mehr als die spärlichen Meere und Salzseen verrieten. Doch es war unter der Oberfläche gefangen, vor Jahrmilliarden eingeschlossen, nach gewaltigen geologischen Umwälzungsprozessen.

Die Ada’an zapften dann die Wasserspeicher an den Riesenskorpionen an, ohne dass den Tieren davon ein Schaden entstand.

Das war eine eigene Kunst, ein heiliger Ritus unter den Ada’an. Denn geschah dabei ein Fehler, so konnte das das Ende des Anfatoi bedeuten.

Die Nomaden aber waren von diesen Tieren vollkommen abhängig, wie mir immer mehr klar wurde.

Sie lebten mit ihnen in einer Art vollkommener Symbiose. Und nur das ermöglichte ihnen ein Überleben in dieser überlebensfeindlichen Umwelt.

Ein Überleben, das anders als das der Sudori nicht durch Technik ermöglicht wurde.

Das war jedesmal ein schwieriger Prozess, den Anfatoi wieder zum Auftauchen aus der Erde zu bewegen. Die PSI-Verbindung zum Anfatoi-Führer durfte während dieser Zeit nicht abbrechen.

Er durfte während dieser Zeit nicht schlafen, sein Bewusstsein musste hellwach bleiben.

Die Legenden der Ada’an berichteten von Anfatoi-Führern, die der Schlag getroffen hatte während der von ihnen geführte Riesenskorpion sich tief unter die Erdoberfläche vergraben hatte.

Jämmerlich war die jeweilige Sippe dann ums Leben gekommen.

Ganze Tragödien rankten sich um dieses Sujet.

*



ES WAR AN EINEM DIESER glutheißen Tage. Wir saßen in den spärlich durch die fluoreszierenden Steine beleuchteten Anfatoi-Höhlen.

Nichts vom grellen Licht des Tages drang bis hierher.

Nur die Hitze.

Sie würde sich bis zum Abend bis in diese Tiefe vor gearbeitet haben.

Orlanos saß mir gegenüber.

"Wann werden wir den Ort des großen Festes erreichen?", fragte ich Orlanos.

Orlanos lächelte mild. "Geht dir das Leben auf Candakor jetzt schon auf die Nerven, Außenweltler?"

"Das wollte ich damit nicht gesagt haben."

"Wie ist es auf anderen Welten?", fragte er. "Du kennst sie, wir nicht. Ist es wahr, dass es Planeten gibt, die von Pflanzen geradezu überwuchert sind?"

"Ja, das ist wahr", sagte ich. "Und es gibt Welten, die buchstäblich so übervölkert sind, dass der Einzelne kaum noch Raum für sich hat und die Menschen in einer einzigen großen Stadt zusammengedrängt leben." Ich dachte dabei an die Erde, meinen Heimatplaneten. Jene Welt, die so etwas wie eine planetare Aufzuchtstation für Menschen darstellte, die dann im Tiefschlaf mit Hilfe der interstellaren Containerschiffe in die gesamte Galaxies verfrachtet wurden.

"Es gibt eine Legende bei uns", sagte Orlanos. "Eine Legende über jenen Planeten, von dem wir einst aufgebrochen sind. Er heißt Saradan. Und an den einsamen Hitzetagen unter der Erde erzählen wir uns Geschichten über Saradan."

Er hob die Augenbrauen und sah mich einen Augenblick intensiv an. "Kennst du diese Welt, Renard?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich habe noch nie von ihr gehört."

Orlanos nickte. Enttäuschung spiegelte sich in seinem Gesicht.

"Euer Aufbruch muss viele Zeitalter zurückliegen", sagte ich.

"Das ist wahr", erwiderte Orlanos.

Ich fuhr fort: "Möglicherweise hat diese Welt inzwischen ihren Namen geändert. Außerdem gibt es so viele bewohnte Welten im Reich des Subimperators, dass es unmöglich für einen einzigen Menschen wäre, sie alle zu kennen, geschweige denn, seinen Fuß auf sie zu setzen."

"Da magst du wohl Recht haben", nickte Orlanos.

"Was sagen die Legenden?", fragte ich. "Seid ihr mit den unterlichtschnellen Containerschiffen gekommen?"

"Ja. Unsere Legenden berichten darüber, dass unsere Vorfahren in den Schlaf versetzt wurden, in einen langen, todesähnlichen Schlaf, der auch der 'Schlaf der Kälte' genannt wird. Und als sie aus ihm erwachten, sahen sie die Sonne Candakors."

"Und die Sudori kamen später", stellte ich fest.

"So ist es. Sie brachten das Unglück über unsere Welt. Sie achteten nicht die Gesetze der Natur und des Universums. Sie sind Frevler. Und sie achten auch nicht die Gesetze des Herrn der Sterne."

"Darum bin ich hier", sagte ich.

Orlanos' Augen wurden schmal. Er musterte mich auf eine Weise, die man nur prüfend nennen konnte.

"Wir werden nicht auf direktem Weg zu den Festhöhlen reisen", sagte er dann. "Unterwegs werden wir einen Abstecher zu den Brutplätzen der Anfatoi machen."

"Wo liegen die?"

"Mitten in der heißen Äquatorzone. Die Hitze der Sonne sorgt dafür, dass die Anfatoi-Eier reifen. Wir sind darauf angewiesen, die Brutplätze zu hegen und zu pflegen. Es sind die Brutplätze der Anfatoi unseres Stammes. Wenn wir dich dorthin mitnehmen, ist das ein großer Vertrauensbeweis."

"Inwiefern?"

"Weil für unseren Stamm eine tödliche Gefahr bestünde, wenn unsere Feinde diesen Ort kennen würden."

"Du sprichst von den Sudori?", fragte ich.

"Nein, ich spreche von anderen Ada’an-Stämmen, mit denen wir Fehden auszutragen haben."

"Eure Uneinigkeit ist ein Grund für eure Schwäche", sagte ich.

Orlanos lächelte mild. "Das mag sein, aber bis jetzt hat es niemand geschafft, diesen Umstand zu ändern."

"Vielleicht werde ich das sein", sagte ich.

Orlanos lachte rau auf. "In dem Fall hast du dir viel vorgenommen, Renard."

"Eine Aufgabe, die dem Diener des Herrn der Sterne angemessen ist", erwiderte ich.

"Wie du meinst."

"Ich werde sie nicht allein erfüllen können."

Orlanos zögerte mit seiner Antwort. In seinem Gesicht zuckte ein Muskel knapp unterhalb des linken Auges. Er wirkte nachdenklich.

Sein Blick war in sich gekehrt.

Schließlich sagte er: "Wenn sich erweisen sollte, dass du wirklich der bist, für den ich dich halte, dann wird es dir an Unterstützung unter den Ada’an-Nomaden nicht mangeln."

"Ich hoffe, dass deine Einschätzung sich bewahrheiten wird, Orlanos."

"Vetrau mir! Vertrau mir, Renard, so wie wir dir vertrauen, in dem wir dich an die Brutplätze der Anfatoi mitnehmen. Denn wenn die Brutplätze durch Verrat in die Hände unserer Feinde fielen, wären wir verloren."

"Ohne eure Anfatoi seid ihr nichts, nicht wahr, Orlanos?"

"Du sagst es."

"So seid ihr vollkommen abhängig."

"Besser von diesen Tieren abhängig zu sein, als von einer zweifelhaften Technik, die sich den Gesetzen des Schöpfergottes widersetzt und ein Frevel ist. Ein Bruch der Ordnung, die alles durchdringt, das gesamte Universum. Glaub mir, Renard, die Ada’an werden noch auf Candakor-3 sein, wenn die Sudori längst von der öden Oberfläche dieses Planeten getilgt sind."

Gut möglich, dass er Recht hat - was ihre eigene Überlebensfähigkeit betrifft, dachte ich. In ihrer perfekten Anpassung an den Planeten entsprach die Lebenserwartung wahrscheinlich jener des Planeten selbst. Sie brauchten sich nicht zu ändern, sich oder ihre Lebensweise, solange der Planet selbst sich nicht änderte. Und falls dies geschah, so traute ich ihnen zu, sich abermals an die neuen Bedingungen perfekt anzupassen.

"Wie war es auf Saradan? Was sagen eure Legenden?"

"Saradan soll eine Pflanzenwelt gewesen sein, mit riesigen bis zum Himmel reichenden Gewächsen. Etwas, das man sich kaum vorzustellen vermag, wenn man hier auf Candakor-3 lebt."

"Gab es einen Grund für euch, diese Welt zu verlassen? Saradan, die doch so perfekt war."

"Woher willst du wissen, ob sie wirklich so perfekt für uns war, Renard? Vielleicht war es ein sehr gefährlicher Ort? Und in den verschiedenen Legenden, die es über Saradan gibt, wird diese Welt durchaus unterschiedlich gezeichnet."

"Was war der Grund für euren Exodus?", fragte ich erneut.

"Der Grund?" Orlanos lächelte. Er wandte sich an einen der anderen Ada’an. An einen Mann namens Sakari, von dem ich inzwischen wusste, dass er der Schamane der Gruppe war.

"Das ist eine Frage für dich, Sakari. Was war der Grund für unseren Weggang von Saradan?"

Sakari blickte auf.

Seine Augen waren grau, falkengleich.

Die hohen Wangenknochen gaben seinem Gesicht etwas Markantes, Düsteres, etwas, das mich an einen Totenschädel erinnerte.

"Es war der Wille des Herrn der Sterne", behauptete Sakari. "Ihm folgen wir - bedingungslos. Gleichgültig, ob in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft..."

Darauf werde ich irgendwann zurückkommen, dachte ich.

Dann, wenn ich eure Hilfe gegen die Sudori brauche.

*



ABRAN, DER CHEFWISSENSCHAFTLER von Gar Maduna, erhob sich, als der Gesandte Bulezos den Raum betrat.

Bulezos' Händedruck war schwach.

"Behalten Sie Platz, Abran", sagte der Gesandte. "Wie Sie sicher gehört haben, bin ich von meiner Reise nach Planet IV inzwischen zurückgekehrt."

"Das habe ich in der Tat gehört", gab Abran zu.

Bulezos fuhr fort: "Der Rat der Sudori-Föderation hat getagt. Ich will es kurz machen", sagte Bulezos dann, "der Rat der Sudori Föderation gibt Ihnen völlig freie Hand. Ich weiß nicht, ob, bei der Indiskretion, die diese Versammlung auszeichnet, sich diese Nachricht vielleicht schon bis zu Ihnen herumgesprochen hat?"

"Nein, das hat sie nicht", sagte Abran.

Seine Miene hellte sich sichtlich auf.

"Wir können ruhig ehrlich sein", meinte Bulezos, "Sie wissen ja, dass ich auf Ihrer Seite bin und zwar voll und ganz."

"Ja, das weiß ich."

Ein Lächeln flog über Abrans Gesicht. Die Müdigkeit, die noch gerade seine Züge so gezeichnet hatte, schien jetzt wie verflogen. "Sagen wir so, es hat einige Gerüchte gegeben."

"Ich verstehe", sagte Bulezos. "Es gab einige kritische Stimmen innerhalb des Föderationsrates und diese Stimmen bezogen sich unter anderem auf die möglichen Folgen, die eine Anwendung der von Ihnen entwickelten Technologie hat."

"Bis jetzt existiert diese Technologie nur in der Simulation. Es gibt noch keine Erprobung im praktischen Experiment."

"Ja, ich weiß. Aber genau davor fürchten sich einige Leute. Und so sehr ich den Überlichtflug befürworte, so muss ich doch sagen, dass mir die Argumente einiger Kritiker nichts als... sagen wir, völlig unsinnig erscheinen."

"Nun, worauf beziehen Sie sich konkret?", fragte Abran.

Bulezos hob die Augenbrauen.

Er ging im Raum auf und ab.

Abran setzte sich und schlug die Beine übereinander.

Er hat es in ziemlich kurzer Zeit sehr weit gebracht, überlegte Abran, während er sein Gegenüber beobachtete. Er ist noch ein junger Mann und er hat eine große Zukunft vor sich. Es ist gut, dass ich ihn auf meiner Seite habe.

"Was ist mit den angenommenen Raum-Zeit-Verwerfungen?", fragte Bulezos.

Ah, das ist es, worauf er hinaus will, ging es Abran durch den Kopf. Ein altes Argument meiner Gegner. Abran hatte dieses Argument, das die Kritiker ins Feld führten, noch nie für stichhaltig gehalten.

"Es ist die Furcht, die die Gegner dieses Projekts beherrscht", sagte er.

"Ja, ich weiß, aber es gibt auch Berechnungen."

"Berechnungen, die die Furcht diktiert hat. Wir wissen nicht, was geschieht, wenn die Lichtmauer durchstoßen wird. Keiner von uns. Niemand hat es je versucht seit Menschengedenken."

"Niemand außer dem Subimperator", gab Bulezos zu Bedenken.

"Ja, sehr richtig. Aber ich sehe nicht ein, weshalb wir in seiner Abhängigkeit bleiben sollten. Was er kann, können wir auch. Aus eigener Kraft. Es gibt in der Tat einige Ungereimtheiten bei der Berechnung der Konstanten, aber ich denke, dass wir das im Griff halten können", verkündete Abran im Brustton der Überzeugung.

"Wirklich?"

Bulezos hob die Augenbrauen.

"Ich verlasse mich auf Sie."

"Das können Sie."

"Gut, das zu hören."

"Wann werden wir in das Stadium der praktischen Erprobung eintreten?", fragte Bulezos jetzt.

Abran hob die Schulter.

"Dem steht nichts mehr entgegen. Wir könnten sofort anfangen."

"Sie haben bereits Pläne vorbereitet, wie ich vermute?"

"Aber ja. Wir werden die Überlichtbeschleunigung zunächst auf Teilchenebene durchführen. Dazu brauchen wir ein Forschungscamp und einen Beschleuniger. Ich habe auch schon ein geeignetes Areal zur Errichtung eines solchen Camps ausgesucht."

"Interessant", gab Bulezos zu.

"Computer, Projektion des Planeten", forderte Abran.

Eine 3-D-Projektion von Candakor-3 erschien.

"Vorgesehenes Areal für Forschungscamp bitte markieren", wies Abran den Rechner an.

Der Computer gehorchte. Eine Sekunde später blinkte ein roter Punkt auf der Planetenoberfläche auf.

"So weit im glühenden Äquatorgebiet?", fragte Bulezos. "Möglichst weit von den Städten entfernt, wie mir scheint."

"Das ist richtig", gab Abran zu.

"So haben auch Sie Sorgen, dass etwas schief gehen könnte. Möglicherweise sogar, dass die Experimente einen Einfluss auf unsere Raum-Zeit haben."

Abran lächelte.

"Nein, ich habe das Gebiet aus anderen Gründen ausgesucht. Sehen Sie, hier ist das große Salzmeer. Es schließt das Gebiet mehr oder weniger vollkommen ein, in dem ich das Camp errichten möchte. Wir sind auf diese Weise geschützt."

"Geschützt? Vor wem?"

"Na, vor den Ada’an zum Beispiel."

"Ich dachte, diese Anfatoi, diese Riesenskorpione, auf denen sie reiten, brauchen das Salz für ihren Stoffwechsel?"

"Das ist richtig. Aber über den Rand des großen Salzmeeres gehen sie nie hinaus. Es hat keinen Sinn für sie. Außerdem liegt das Gebiet vollkommen abseits aller ihrer Wanderrouten. Ich habe das genau studiert. Wenn Sie die entsprechende Simulation dazu sehen möchten?"

"Nein, danke, Abran", erwiderte Bulezos. "Auch in diesem Punkt vertraue ich Ihnen vollkommen. Sagen Sie, was Sie brauchen: Personal, Ausrüstung, Material. Sie bekommen alles zur Verfügung gestellt, was notwendig ist."

"Das ist gut."

"Innerhalb weniger Tage können Sie da draußen ein Camp aus dem Boden stampfen."

Abran nickte zufrieden.

Ein fast mildes Lächeln umspielte seine Lippen.

Jahre seines Lebens hatte er diesem Projekt geopfert. Der schier uferlosen Grundlagenforschung, die er mit den besten Computern, die dem Candakor-System zur Verfügung standen, hatte durchführen können, hier in Gar Maduna.

Jetzt endlich kam die zweite, die experimentelle Phase.

Ein mühsamer Weg, dachte er. Und dieser Weg war noch lange nicht zu Ende.

Erst wenn das erste Raumschiff mit einem Überlichtantrieb ausgerüstet ins All startete und tatsächlich innerhalb kürzester Zeit fremde Planetensysteme erreichte, hatte Abran sein Ziel erreicht.

Erst dann.

Und keinen Tag vorher.

Wann dieser Tag kam, das mochten die primitiven Mächte wissen, an die die Ada’an glaubten.

Diese barbarischen Anhänger des Übernatürlichen.

Abran hingegen hatte zu dieser Welt keinen Bezug. Er war ein kühler Logiker, ein Wissenschaftler durch und durch. Jemand, der versuchte, die Welt objektiv zu sehen, so objektiv, wie es nur eben möglich war.

Hast du nicht auch deinen blinden Fleck?, ging es ihm durch den Kopf.

Irgendeine zynische Stimme aus dem Hinterkopf hatte sich da gemeldet.

Eine Stimme, die Abran jetzt, im Augenblick des Triumphs, nicht hören wollte.

Was sollen diese Zweifel überhaupt?, dachte er. Sie hindern dich nur daran, dein Ziel zu erreichen.

Denke an die Raum-Zeit-Verwerfungen. Möglich, dass alle deine Gegner sich irren, hoffe es.

(Bete meinetwegen zum Gott der Ada’an...)

Ein leicht zynischer Zug trat in Abrans Gesicht. Wenn es nötig wäre, würdest du vielleicht auch das tun.

Selbst das!

*



"DER FREMDE AUSSENWELTLER namens Renard wird beweisen müssen, dass er in der Lage ist, einen Anfatoi zu lenken", sagte Sakari an Orlanos, den Stammesführer, gewandt.

Orlanos blickte den Schamanen nachdenklich an.

Er hat recht, dachte er. Grundsätzlich hatte er recht, aber der Fremde ist noch nicht so weit.

"Wir sollten damit noch warten", sagte Orlanos.

"So? Wie lange willst du damit warten, Orlanos?", fragte Sakari.

Das Licht der fluoreszierenden Steine schimmerte auf seinem Gesicht, gab ihm einen grünlichen Ton.

"Ich dachte, es ist dein Ziel, dass er Dalragan Sor, unseren Propheten, überzeugt?"

"Das ist es", nickte Orlanos. "Das ist es, das kannst du mir glauben. Denn wenn einer die Kraft hat, Einigkeit unter uns herzustellen, dann ist es dieser Fremde."

In diesem Punkt war Sakari derselben Meinung.

"Alles ist so, wie es die Legenden beschreiben", nickte er. "So ist es. Und doch muss Renard zeigen, dass er ein Mensch ist, der über den besonderen Sinn verfügt. Jenen Sinn, über den alle Ada’an verfügen."

"Hatte er das nicht bereits? Er konnte den Reitkäfer lenken."

"Ein Reitkäfer ist auch mit schwacher Begabung lenkbar."

"Das Bewusstsein eines Anfatoi ist nicht stärker", gab Orlanos zu bedenken.

Sakari lächelte matt.

"Es geht darum, die Leute zu überzeugen. Auf einigen der anderen Anfatoi unseres Stammes gibt es bereits Stimmen, die Zweifel an Renard anmelden."

Orlanos ballte die Hände zu Fäusten. "Das ist doch Unsinn. Haben diese Narren nicht die Wunder gesehen, die Renard vollbracht hat?"

"Ich war gestern auf dem Anfatoi von Sippenführer Dasran-Tor und dort gibt es einige junge Männer, die behaupten, Renard sei ein Sudori und das, was wir als Wunder gesehen hätten, sei nur Ergebnis von Sudori-Technik. Von Frevel also, wenn man es genau nimmt."

Orlanos Gesicht veränderte sich.

(Hast du nicht auch schon an diese Möglichkeit gedacht?)

Ja, diese Möglichkeit war ihm auch schon durch den Kopf gegangen.

Er hatte sie verworfen.

Er hatte sich gesagt, es könne nicht sein und sich einen Narren gescholten.

Schließlich hatte er doch mit eigenen Augen gesehen, was geschehen war.

Und dann gab es dieses Amulett, das Symbol am Himmel, die Legenden, das alles zusammen hatte ihn die Bedenken hinwegschieben lassen.

Aber Sakaris Worte hatten dafür gesorgt, dass sie wieder an die Oberfläche seines Bewusstseins gespült wurden.

Es war wie bei einer frisch verheilten Wunde, auf der sich eine Kruste gebildet hatte.

Diese 'Kruste' war nun fort.

"Welchen Grund sollten die Sudori haben, uns jemanden wie Renard zu schicken?"

Sakari zuckte die Achseln.

"Wer weiß, was sie vorhaben? Ob sie uns ins Verderben stürzen wollen? Ob sie einen geheimen Plan zu unserer Vernichtung haben? Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht."

"Glaubst du, was diese Männer sagen?", fragte Orlanos.

"Ich glaube es nicht."

"Aber sie glauben es und das ist ein Faktum, dem wir uns stellen müssen."

Sakari atmete tief durch. "Ja, du hast recht", sagte er. "Du hast wirklich recht."

"Wirst du mit Renard reden?"

"Ich werde mit Renard reden."

"Gut. Aber tue es bald. Das Murren dieser Männer kann wie ein Flächenbrand sein."

"Ich bin Schamane, Orlanos. Ich komme auf den verschiedenen Anfatoi des öfteren herum, um unsere traditionellen Riten durchzuführen. Glaub' mir, ich habe ein besseres Bild von der Stimmung im Stamm als du und das gilt vor allem für eine so lange Zeit der Reise, wie wir sie jetzt schon hinter uns haben."

Orlanos atmete tief durch.

"Ich danke dir, dass du dich an mich gewandt hast."

"Das habe ich als meine Verpflichtung empfunden, Orlanos."

Wie weit würde seine Loyalität gehen?, fragte sich Orlanos.

Werde ich mich auch auf ihn verlassen können, wenn die Stimmung vielleicht noch stärker umschlägt und es kritisch wird?

Wenn es jemanden gibt, der es sich leisten kann, sich gegen die Mehrheit des Stammes zu stellen, dann ist es Sakari, überlegte Orlanos weiter.

Nicht ich, denn Sakari hat die Autorität der hohen Mächte, die hinter ihm stehen.

Ich - bin nur ein Anführer, der Anführer eines Stammes. Letztlich austauschbar.

*



ES WAR EINE JENER NÄCHTE, in denen wir weiter in Richtung Äquator reisten.

Ich trat ins Freie.

Die Luft war angenehm kühl.

Am Himmel standen die Monde Candakors. Wie eine Perlenkette wirkten sie und tauchten die ansonsten sehr eintönige Landschaft des Planeten Nummer 3 in ein eigenartiges Licht.

Ein Spiel von Licht und Schatten, das seinesgleichen suchte.

Absolut faszinierend.

Die Monde sorgten dafür, dass es heller war als man es gewöhnlich in einer planetaren Nacht erwartete. Sehr viel heller. Und das obwohl kaum Welten am Himmel standen, nur einige verwaschene helle Flecken, die wohl ferne Galaxien waren.

Ich fragte mich, welcher dieser Flecken die Milchstraße sein mochte.

Eine helle Welt selbst inmitten der absoluten Finsternis zwischen den Galaxien, dachte ich. Welch eine Ironie der Natur.

Und ausgerechnet hier gab es mehr Licht in der Nacht als auf irgendeiner anderen Welt, die ich betreten hatte.

Der gewaltige Zug der Anfatoi bewegte sich weiter vorwärts. Die Riesenskorpione schritten in einem mittleren Tempo dahin. Ihre Trittgeräusche erfüllten die Nachtluft. Es war ein gewaltiges Schauspiel.

Überall aus den Öffnungen der Wohnhöhlen heraus leuchteten die fluoreszierenden Steine. Hie und da brannten Lagerfeuer auf den Rücken der Anfatoi.

Die Anfatoi-Führer saßen angestrengt auf ihrer Position, hielten den Metalldorn umklammert, den man den Tieren zwischen die Augen getrieben hatte. Ein Vorgang, der, wie man mir versicherte, den Anfatoi keinerlei Schmerz zusetzte.

Eine wandernde Stadt, genau das war es, was sich vor mir ausbreitete.

Und ich, Jon Renard, Diener des Subimperators, war für eine gewisse Zeit Bewohner dieser wandernden Stadt geworden.

Es war ein fantastischer Anblick. Ich nahm dieses Bild in mich auf.

Dann glitt mein Blick zu dem Anfatoi-Führer, der zur Zeit den Riesenskorpion, auf dem ich mich befand, lenkte.

Er saß da, hielt den Metalldorn mit beiden Händen und hatte die Augen geschlossen. Ich wusste, dass dieser Mann Parakas hieß. Er hatte sich mit den anderen Männern der Sippe in den letzten Wochen mit der Führung des Anfatoi abgewechselt.

Aber ich hatte auch mitbekommen, dass Parakas als der Geschickteste unter ihnen galt, als derjenige, der vielleicht die größten PSI-Fähigkeiten besaß. Das, was die Ada’an unter ihrem besonderen Sinn verstanden, mit dessen Hilfe sie die Riesenskorpione zu lenken vermochten.

Einige Meter von mir entfernt saßen Männer und Frauen um ein Lagerfeuer herum.

Stimmengewirr war zu hören.

Kinder umkreisten das Feuer, spielten auf dem Rücken des Anfatoi.

Eine einfache Dorfszene, wie sie überall hätte spielen können, die man aber am wenigsten auf dem Rücken einer so gewaltigen Kreatur wie dem Anfatoi erwartet hätte.

Orlanos trat an mich heran. Er deutete auf Parakas, den Anfatoi-Führer.

"Wenn du willst, dass der Stamm der Parakar dir weiter folgt, dann wirst du eines Tages das tun müssen, was er tut", sagte Orlanos, der unter den Leuten am Feuer gesessen hatte, aufgestanden war und sich nun an mich wandte.

Das Licht der Monde spiegelte sich in seinen dunklen Augen.

Diesen Augenblick hast du lange kommen sehen, dachte ich. Du hast dich davor gefürchtet, denn du weißt sehr wohl, was es bedeutet, einen Anfatoi zu führen.

Die Schwierigkeit liegt darin, ihn sich im Morgengrauen vergraben zu lassen.

Ein Spiel auf Leben und Tod.

"Ich teile deine Einschätzung", sagte ich.

"Das habe ich gehofft, Renard. Und Parakas tut nichts, was du nicht auch tun könntest."

"Ja, das mag sein."

Ich hatte das Amulett um meinen Hals zur Stärkung meiner PSI-Impulse. Ich hatte die Hypno-Konditionierung, die ich an Bord des Subimperatores genossen hatte. Ich hatte all das Wissen in mir, das notwendig war, um ein Anfatoi-Führer zu sein.

Nur hatte ich es nie in der Praxis erprobt.

"Ich bin bereit!", sagte ich.

"Gut", nickte Orlanos. "Dann wirst du in der morgigen Nacht unser Anfatoi-Führer sein."

*



EINE GLEITERFLOTTE zog in Richtung des gewaltigen Salzsees. Große Transportgleiter waren es, aufgebrochen in Gar Maduna.

Die Hitze des Tages machte ihnen nichts aus. Ihre Außenhaut war entsprechend beschichtet.

Innen herrschte ein reguliertes Klima.

Die Außenscheiben waren entsprechend getönt, um das UV-Licht abzuhalten.

Abran blickte auf die weiße, eintönige Salzfläche. Einst war hier ein großes Meer gewesen, ein richtiges Salzwassermeer, aber das musste hunderttausende von Jahren her sein.

Die Gluthitze der Sonne Candakor hatte es austrocknen lassen und das Salz zurück gelassen.

"Wir erreichen gleich die Insel, wenn man es so nennen kann", sagte der Pilot.

Abran nickte zufrieden, warf einen Blick auf die 3-D-Projektion, mit deren Hilfe sich der Pilot orientierte. Mitten in diesem Salzmeer gab es eine ehemalige Insel, mit Bergen, Tälern und ehedem auch Flüssen, aber das war lange her.

Jetzt wurde sie von einem Salzgebiet umschlossen, ein winziger Punkt in einer hunderte Kilometer weit reichenden Einöde, geschützt durch Bergmassive.

Diese "Insel" hatte vermutlich vulkanischen Ursprung oder stellte den Rest eines gewaltigen Einschlagkraters dar, den vielleicht ein Asteroid hinterlassen hatte.

Aber das musste in noch fernerer Vergangenheit gewesen sein, vor Millionen von Jahren.

Einige Wissenschaftler in Gar Maduna vertraten die Ansicht, dass Candakor-3 früher noch weitere Monde besessen hatte, die nach und nach der Anziehungskraft ihres Planeten erlegen und auf seine Oberfläche gestürzt waren.

Aber das war nur Theorie.

Einen Beweis gab es dafür nicht.

"Wir müssen jetzt einen geeigneten Landeplatz suchen", sagte der Pilot.

"Alles schon erledigt", erwiderte Abran, "schon vor langer Zeit." Er lächelte mild und gab dem Piloten einen Datenträger.

"Hier ist alles drauf. Sie können sich an den Daten orientieren. Der Datenträger enthält auch ein perfektes holografisches Abbild dieser Insel."

"Hat dieser Ort auch einen Namen?", fragte der Pilot, während er die Daten einlud.

"Nein, noch nicht, aber man wird sicher einen finden. Denn eins ist sicher: Dieser Ort wird in die Geschichte eingehen."

Der Pilot lachte.

"Für's Erste hätte ich es lieber eine Nummer kleiner", meinte er. "Ich wäre schon froh, wenn wir auf diesem unebenen Gelände sicher gelandet wären."


Drei exotische Welten: Science Fiction Fantasy Großband 11/2021

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