Читать книгу Der Gesandte Spaniens: Die Seherin von Paris 4 - Alfred Bekker - Страница 5

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François Delacroix war im Jahre des Herrn 1680 nicht der einzige Schreiber am Hofe Seiner Majestät König Ludwig XIV. Aber er zählte sicherlich zu den fleißigsten überhaupt. Jeden Tag war er schon früh auf den Beinen. Um zu sehen, zu erleben und aufzuschreiben, was für ihn von Belang erschien. Und was für ihn von Belang war, das war es auch für Schloss Versailles und seinem wichtigsten Bewohner, eben König Ludwig XIV.

Bei immerhin bis zu zwanzigtausend Adeligen, die hier Residenzpflicht hatten, weil der König seine adelige Gesellschaft gern im Auge behalten wollte, gab es natürlich entsprechend viel zu sehen, zu erleben und aufzuschreiben. Was nicht alles verwertbar war, denn natürlich musste eine Hofberichterstattung wie an jedem Königshof auf der ganzen Welt und zu jeder Zeit auch entsprechend genehm sein. Details, die zu Recht das Licht der Öffentlichkeit und der Nachwelt scheuten, hatte ein Schreiber wie Delacroix gefälligst auszulassen, sowieso möglichst alles, was dem Ruf des Hofes hätte schaden können.

Was allerdings nicht hieß, dass es solche Details nicht dennoch gab. Laut Delacroix sogar zuhauf. Hätte er alles dies berichtet und für die Nachwelt festgehalten, wie es ja eigentlich seine Aufgabe hätte sein sollen, wäre wesentlich mehr von ihm zu Papier gebracht worden als dieser eher dürftige Extrakt, der gerade so noch im Rahmen des Erlaubten und somit Genehmen von ihm aufgezeichnet wurde.

Dazu gehörten auch die Umtriebe des Exorzisten-Kollegs, das eigens vom Vatikan mit Genehmigung des Königs höchst selbst am Hofe eingetroffen war, um gegen okkulte Verschwörer zu ermitteln. Immerhin etwas, was durchaus notwendig erschien, mochte man meinen. Und es gab nicht nur Hofschreiber, die darüber so dachten, sondern eigentlich die meisten derer unter den hier verweilenden Adeligen, die nicht gerade mit den Verschwörern sympathisieren wollten.

So richtig hatte das mit den okkulten Verschwörungen wohl bereits 1666 begonnen. Das hieß, damals war es zumindest deutlich geworden. Was wirklich jeder wusste, obwohl es nicht niedergeschrieben werden durfte. Auch nicht von Delacroix. Und das, obwohl er es seitdem natürlich trotzdem aufmerksam weiter verfolgt hatte. So wusste er nicht nur, dass just im Jahre des Herrn 1666 bereits sogenannte Schwarze Messen am Hofe abgehalten worden waren, vornehmlich wohl von einem gewissen Priester namens Etienne Guibourg zelebriert, der vom Gottesdiener zum Satansdiener konvertiert war gewissermaßen. Er wusste auch, dass Madame de Montespan zu diesem Zeitpunkt bereits daran teilgenommen hatte. Als Mätresse des Königs. Wohl um ihre ärgste Konkurrentin um die Gunst des Königs, nämlich Louise de la Valliére loszuwerden und anstelle derer die Hauptmätresse zu werden. Was ihr im Laufe der Zeit tatsächlich ja gelungen war. Ob nun auf Grund okkulter Rituale oder auch auf Grund ihrer größeren erotischen Anziehungskraft, konnte auch von Delacroix nicht endgültig beantwortet werden.

Zumal Madame de Montespan inzwischen am Hofe längst Geschichte war. Seit endgültig klar war, dass sie all die Jahre versucht hatte, ihren königlichen Liebhaber zu vergiften. Nicht um ihn zu töten zwar, sondern um ihn gefügig zu machen eben für die okkulten Verschwörer.

Alles Dinge, die heute mal wieder Delacroix durch den Kopf gingen. Weil er hundertprozentig davon überzeugt war, dass die okkulten Verschwörer immer noch äußerst aktiv waren. Obwohl sich König Ludwig XIV. dagegen im Grunde genommen als äußerst widerstandsfähig erwiesen hatte. Sowohl geistig als auch körperlich wohlgemerkt, denn er erfreute sich nach wie vor bester Gesundheit und saß so fest auf seinem Thron, dass er nach wie vor unanfechtbar erschien. Allen Gewalten zum Trotz gewissermaßen, auch allen Verschwörern, ob nun okkult motiviert oder nicht, und Feinden jenseits von Frankreichs Grenzen.

Allerdings neigte Françoise Delacroix eindeutig auch zu der Annahme, dass jenes Exorzisten-Kolleg, das eigenes vom Vatikan ausgesandt worden war, um solchen Umtrieben entgegenzuwirken, nicht wirklich eine Hilfe war im Kampf gegen den verschwörerischen Okkultismus. Ganz im Gegenteil: Verzweifelte Schreie, die durch die endlos erscheinenden Gänge von Schloss Versailles gellten und von deren Wänden widerhallten, zeugten mehr als deutlich von einem Vorgehen, das nicht weniger schändlich erschien als das jener Verschwörer.

Noch war niemand bei diesem Treiben ums Leben gekommen, zumindest nicht offiziell. Aber nicht nur für Delacroix war das wohl nur eine Frage der Zeit, bis dies eintreten würde. Und von einem Nachlassen des verschwörerischen Okkultismus konnte man dennoch längst nicht sprechen. Es hatte eher den Anschein, als würden die echten Verschwörer von den Exorzisten verschont, die lieber Teufelsaustreibungen an Unschuldigen vornahmen, gewissermaßen zur eigenen Existenzberechtigung und ansonsten ohne jeglichen Sinn.

François Delacroix hatte zwar nicht vor, dies zu Papier zu bringen, weil er die Folgen eines solchermaßen kühnen Tuns fürchtete, aber er bemühte sich durchaus, den wahren Motiven des Exorzisten-Kollegs auf den Grund zu kommen. Weil er seine berechtigten Zweifel daran hegte, ob das Kolleg wirklich nur deshalb hier war, um gegen den mysteriösen „Circle Rufucale“ zu ermitteln. Es erschien ihm eher, dass über das Kolleg der Vatikan auf die Geschehnisse am Hofe größeren Einfluss nehmen wollte. Zumal ja bekannt war, wie angespannt das Verhältnis des Königs zum Vatikan war.

François Delacroix verstand nur eines nicht: Wieso hatte der König überhaupt zugelassen, dass dieses Kolleg unter der Leitung eines religiösen Eiferers und Fanatikers wie Monsignore Rafaelo Santorini überhaupt hier auf dem Schloss hatte tätig werden dürfen? Es erschien ja gerade so, als würde der König derzeit seinen Feinden mehr vertrauen als jenen, die ihm gegenüber ehrlich und loyal geblieben waren.

Inzwischen wusste er allerdings, dass der König sich nicht nur auf das Kolleg verließ. Sein alter Freund Robert de Malboné zeigte sicherlich nicht nur aus rein privaten Gründen so großes Interesse daran, endlich mehr zu erfahren über die okkulten Verschwörer. Delacroix war sogar ziemlich überzeugt davon, dass er insgeheim sogar im geheimen Auftrag des Königs ermittelte, wohl als eine Art Sonderermittler. Obwohl Malboné es ihm gegenüber wohl niemals zugegeben hätte. Immerhin sollte ja ein solcher Geheimauftrag auch tatsächlich geheim bleiben.

Dabei kannte Delacroix sogar seine Helfer. Allesamt Angehörige der eher berüchtigten Geheimpolizei Seiner Majestät. Nur eine Handvoll, im wahrsten Sinne des Wortes, aber Delacroix war überzeugt davon, dass Malboné mit ihnen dennoch Erfolg haben würde. Und natürlich würde er selbst ebenfalls alles tun, um ihn dabei auch noch nach Kräften zu unterstützen.

Zum Beispiel, indem er seine eigenen Ermittlungen intensivierte. Dabei gab es für ihn durchaus einen Ansatzpunkt, der ihn schon länger beschäftigte, den er aber allein nie hatte weiter verfolgen können. Es betraf ausgerechnet die ehemalige Mätresse des Königs Madame de Montespan, die der König ja ins Exil geschickt hatte, weit außerhalb von Paris und somit möglichst weit weg von Schloss Versailles. Denn diese hatte damals ja nicht allein zu jenem Giftmischerkomplott gegen den König gehört. Da war auch noch die Magierin Madame La Voisin. Diese hatte zwar nicht vom König verbannt oder gar hingerichtet werden müssen, weil sie rechtzeitig untergetaucht war, um sich jeglichem Zugriff zu entziehen, aber Delacroix wusste noch ziemlich genau, mit welchen Adeligen sie vor ihrem Verschwinden häufiger verkehrt hatte. Adelige, die gern auf ihre angeblichen magischen Fähigkeiten zurückgegriffen hatten. Etwas, woran Delacroix genauso wie sein alter Freund Robert de Malboné sowieso nicht so recht glauben mochte.

Und nun war er auf dem Weg zu jenen, um ein paar unverfänglich erscheinende Fragen zu stellen, vorgeblich in irgendeiner harmlosen Sache, die eher in die Rubrik Klatsch und Tratsch am Hofe von Versailles gehörte. Immerhin so geschickt verpackt, dass sie ihm Dinge verraten würden, ohne es selbst zu wollen.

François Delacroix war schließlich ein Meister seines Fachs mit jahrelanger Übung im Umgang mit der Adelsgemeinschaft. Es wäre das erste Mal gewesen, wenn er keinen Erfolg haben würde.

Bislang hatte er davor nur deshalb sich gescheut, weil er alles dies, was er in Erfahrung bringen konnte, nicht selbst hätte verwenden können. Was aber, wenn er Malboné entsprechend instruierte nach erfolgreicher Befragung? Dieser konnte den Hof jederzeit nach Gutdünken verlassen, im Gegensatz zu Françoise Delacroix, der niemals seinen Fuß nach außerhalb setzen durfte, denn die allgemeine Residenzpflicht galt nicht nur für den Adel, sondern im gleichen Maße für alle Vertrauten. Und die Arbeit eines Hofschreibers gehörte nun einmal zu den vertrauenswürdigsten Arbeiten überhaupt im Schloss. Es musste unter allen Umständen vermieden werden, dass ein Schreiber etwaige Aufzeichnungen, die dem Adel alles andere als genehm erscheinen würden, nach außerhalb verbrachte. Und es würde kein Schreiber auch nur auf die Idee kommen, solchermaßen seine höfischen Pflichten zu vernachlässigen. Nicht nur, weil zu befürchten war, dadurch seinen Kopf zu verlieren.

Beinahe erreichte der Schreiber François Delacroix sein Ziel, doch da sah er sich unvermittelt von Maskierten umzingelt. Sie trugen hässliche und abstoßende Schnabelmasken und bodenlange schwarze Kutten mit Kapuzen, die nur die Schnabelmaske frei ließen.

Noch ehe Delacroix angemessen reagieren konnte, traf ihn ein gewaltiger Schlag am Hinterkopf, der ihn zu Boden taumeln ließ. Und noch bevor er den Boden erreichte, verschwand sein Verstand in tiefschwarzen Tiefen. So tief, als würde es daraus niemals wieder eine Rückkehr geben können.

Der Gesandte Spaniens: Die Seherin von Paris 4

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