Читать книгу Hexe und Herrin: Die Ranenhexe 2 - Alfred Bekker - Страница 8

2.

Оглавление

„Ich kann es noch gar nicht glauben, Bohdan, nach einer solch langen Zeit stehst du plötzlich hier vor mir, und ich fühle mich, als hätten wir uns erst gestern verabschiedet!“, rief Jalite lachend aus, als der ehemalige Waffengefährte so unvermutet vor ihr stand.

„Ja, und du, Jalite, siehst schöner aus als jemals zuvor! Und du bist eine verheiratete Frau, gehörst zu dem mächtigsten Ritter der Insel – man sieht es dir an, du bist glücklich geworden!“, erwiderte Bohdan ein wenig verlegen.

„Wie kommt es aber, dass du plötzlich nach Osrams Herregård kommst – und wer sind deine Begleiter? Aber kommt alle mit mir herüber, unser neues Haus ist noch nicht ganz fertig gestellt, aber ich glaube, wir haben alle ausreichend Platz dort drüben!“, erklärte die Rothaarige, von der Bohdan seit seiner Ankunft kaum ein Auge lassen konnte. Es war für ihn, als hätte sich nie etwas geändert. Der Anblick Jalites genügte, um ihn vollkommen in ihren Bann zu schlagen. Ein Blick in ihre geheimnisvollen, grünen Augen, und der alte Schmerz kehrte zurück. Sie war nun verheiratet und damit für ihn ebenso unerreichbar wie zuvor als Tochter des Hohepriesters. Aber es war nur ein kurzer Moment, der seine Gefühle in Aufruhr versetzte.

Als sie das Haus betraten und sich alle um den Tisch versammelten, auf den Jalite schnell einen Krug mit Wein stellte, dazu ein kaltes Bratenstück, Brot und Käse, da langten die Männer kräftig zu, und Bohdan erzählte dazu, dass er gemeinsam mit dem jungen Vlad aufgebrochen war, um dessen Geschwister zu suchen. Jalite hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen, und forderte dann Milo, den Sprecher der Bauern, auf, ebenfalls seine Geschichte zu erzählen.

Die Männer waren während der Erzählung Bohdans schon sehr unruhig geworden, aber Milo verstand, dass die alten Freunde sich zunächst austauschen mussten. Er schenkte seinen Gefährten einen mahnenden Blick, als sie begannen, auf den Stühlen zu rutschen und sich mehrfach vernehmlich zu räuspern.

Gerade schien der Zeitpunkt gekommen zu sein, seine Geschichte loszuwerden, als Osram von Hauenfels eintrat, seine Frau liebevoll begrüßte und den anderen zunickte. Bevor er jedoch zu ihnen sprach, musste er einen Becher mit Wein leeren, die Zunge klebte ihm trotz der kühlen Temperaturen am Gaumen, denn er hatte einen weiten Weg hinter sich gebracht.

„Wenn ich dich also recht verstanden habe, Milo, dann bist du der Meinung, dass die Bewaffneten von einem Mönch angeführt wurden?“

Milo starrte den Ritter schweigend an und fragte sich, ob er wohl einem christlichen Ritter vertrauen durfte. Dann aber sagte er sich, dass sie schließlich genau aus diesem Grund auf das Gut gekommen waren. Wenn er Osram nicht vertraute – wem dann? Unsicher blickte er zu Jalite hinüber, die ihm aufmunternd zunickte.

„Ja, Herr, da bin ich mir ganz sicher, auch wenn es die dunkle Nacht war, die von den Räubern genutzt wurde. Ich habe wahllos einen der Männer angegriffen, weil ich sie aufhalten wollte. Der Mann, mit dem ich dabei zu Boden stürzte, trug das Habit eines Mönches. Ich konnte nur einen kurzen Blick auf sein Gesicht werfen, bevor ich niedergeschlagen wurde. Aber trotzdem bin ich mir sicher, dass ich ihn erkennen würde.“

Osram lehnte sich zurück, und Jalite nutzte die Gesprächspause, griff von einem Brett einen weiteren Krug und schenkte allen noch einmal nach. Während der gesamten Zeit, in der Milo seine Erlebnisse berichtete, schwiegen die anderen und starrten nur mit wilden Blicken auf den Tisch.

Jalite hatte den Eindruck, dass es jeden Augenblick zu einem Wutausbruch der Bauern kommen konnte und hoffte insgeheim, dass die Männer in ihrem Schmerz wussten, wie sie sich gegen ihren Herrn zu verhalten hatten.

Als Milo wieder sprach, erkannte Jalite, dass er als Anführer der Gruppe wohl auch der Besonnenste war – trotz seiner schmerzlichen Erfahrungen.

„Die Männer eilten den Weg hinunter zur Bucht, wo ein Boot bereitlag und sie aufnahm. Ich war noch nicht richtig bei klarem Verstand, als ich das Schiff auf dem Meer erkannte. Es hielt sich von uns aus gesehen in nordwestlicher Richtung.“

„Ich habe da eine Vermutung!“, meldete sich jetzt Bohdan zu Wort.

Alle Augen richteten sich auf den Ranen-Krieger, der Seite an Seite mit Jalite gegen die eindringenden Feinde gekämpft hatte.

„Sprich, Bohdan!“

„Zusammen mit meinem Freund Vlad bin ich losgezogen, um seine Verwandten zu suchen. Sie lebten in der Nähe der Burg Charenza, als sie nach vierwöchiger Belagerung durch die Fürsten aufgegeben wurde.“

Er schwieg für kurze Zeit, und man konnte sehen, wie die Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse in seinem Gesicht arbeitete.

„Es war unser Fürst Jaromar, der sein eigenes Schwert benutzte, um die Familien unserer Priester abzuschlachten wie das Vieh. Er hat unser Volk verraten, und seit diesem Tag habe ich keine Heimat mehr.

Ich bin kreuz und quer über die Insel gezogen und habe dabei Vlad getroffen, der von dem niedergebrannten Hof seiner Familie kam und kaum noch bei Sinnen war.“

„Ich habe nur meinen Onkel und meine Tante tot in den Trümmern gefunden, nicht aber meine Nichten und Neffen“, erklärte Vlad mit rauer Stimme. „Ich hatte die Hoffnung, dass man die noch jungen Menschen irgendwo in ein Dorf der Mönche gebracht hat, um sie dort zu taufen und zu erziehen.“

Osram stimmte ihm zu und antwortete gleich darauf: „Das wäre durchaus eine Möglichkeit, Vlad. Aber ich nehme an, du bist nicht zu mir gekommen, weil du mir nur eine Idee erzählen möchtest. Sprich frei heraus, was Bohdan und du jetzt vorhaben!“

Die beiden Freunde wechselten einen raschen Blick, dann sprach Vlad weiter.

„Herr Osram, Bohdan und ich vermuten, dass man die geraubten Kinder mit einem Boot von der Insel Rugia fortgebracht hat und auf einer kleinen Insel gefangen hält. Und da uns niemand ein geeignetes Schiff geben kann, machte mir Bohdan den Vorschlag, den Lehnsherrn des dänischen Königs darum zu bitten.“

„Eine Insel vor Rugia? Welche soll das sein, Bohdan?“, erkundigte sich Osram, und fast gleichzeitig mit ihm warf auch Jalite ein: „Vielleicht auf Vlim?“

Osram sah seine Frau verwundert an, und sie fühlte sich verpflichtet, Bohdans Vermutung zu stärken.

„Vorhin hat Milo doch berichtet, dass die Männer mit dem Boot in nordwestlicher Richtung gesegelt sind. Da liegt zunächst die Insel Vlim, von uns bis zur Ankunft der Feinde als Heiliger Ort verehrt. Und ich könnte mir vorstellen, dass die Mönche unser Heiligtum entweiht und für sich in Anspruch genommen haben. Es gab dort früher einmal ein Steinhaus. Mein Vater war mit mir vor einigen Jahren das letzte Mal auf der Insel.“

Osram strich nachdenklich über seinen Bart, dann hatte er einen Entschluss gefasst.

„Du wirst vermutlich Recht haben, Jalite. Andererseits habe ich aber noch einen anderen Gedanken. Die Mönche haben doch ein paar verlassene Häuser bezogen und den Ort Mönnichgaud (Mönchsgut) genannt. Warum sehen wir nicht zunächst dort erst einmal nach? Ein Schiff kann ich euch morgen zur Verfügung stellen, wenn meine Kriegsknechte ihre Arbeiten beendet haben. Aber der Weg nach Mönnichgaud ist nicht weit, ich könnte ihn in einer Stunde zu Pferd zurücklegen.“

Die Männer schienen noch unschlüssig zu sein, sahen aber bald ein, dass es durchaus sinnvoll war, am nächsten Morgen in aller Frühe nach Vlim aufzubrechen, wenn Ritter Osram jetzt den Ritt in die Ortschaft der Mönche antreten wollte.

„Ich begleite dich, Osram!“, sagte Jalite nur kurz und war schon aus der Tür, um ihre beiden Pferde zu holen.

„Gut also, ihr seid meine Gäste auf Osrams Herregård, so lange ihr wollt. Ich verspreche euch, wenn ich erfolglos von Mönnichgaud zurückkehren sollte, mit euch allen gleich mit dem ersten Lichtstrahl aufzubrechen. Die Schnigge hat genügend Platz für alle, ihr müsst mich aber beim Rudern unterstützen. Zusätzlich haben wir ein kleines Segel, und so, wie der Sturm sich jetzt endlich gelegt hat, finden wir noch ausreichend Wind für diese Fahrt.“

„Möge uns Perun, der Donnergott, mit seinen Wind- und Wassergeistern gnädig gesonnen sein!“, stieß Milo aus und erntete dafür einen verwunderten Blick des Ritters. Aber Osram sagte nichts dazu. Wenn er auch Christ war und seine Frau sich vor der Hochzeit ebenfalls taufen ließ, so war ihm der Glaube der Menschen ziemlich gleichgültig. Er war auch davon überzeugt, dass Jalite nur seinetwegen die Taufe angenommen hatte und heimlich noch immer zu den alten Göttern betete.

Jetzt aber stand er auf, als Jalite mit den beiden Pferden von der Umzäunung zurückkam und nach ihm rief. Gleich darauf waren sie aus dem Palisadenzaun und ritten hinüber zum Dorf der Mönche.

Der Himmel riss auf. Die Wolken lösten sich auf.

Und bis zur Mittagszeit hatte sich das Wetter vollkommen beruhigt – von der See her strich nur noch eine milde Brise herüber. Die letzten schwarzen Wolken waren vertrieben, die Sonne trocknete die Erde rasch, und die beiden hatten wenig Mühe auf dem Weg, den sie eingeschlagen hatten. Zunächst konnten die Pferde gut ausgreifen, denn der Weg war eben und ohne Hindernisse. Es folgte ein Stück Heide, auf der die letzten, verblühten Pflanzen standen. Dann aber näherten sie sich dem dichten Wald, der überwiegend von uralten Eichen und Ulmen gebildet wurde und ein rasches Durchqueren nicht möglich machte. Hier gab es keinen Weg, aber Osram kannte die ungefähre Lage des Dorfes von einem seiner Umritte. Es lag mitten in dem Waldstück, bei einer Lichtung, an einer alten Erhöhung, dem Litorinakliff.

Wenig später trieben die beiden ihre Pferde zu den einfachen Hütten, die sich die Mönche in den vergangenen Monaten zu ihrem ständigen Aufenthalt eingerichtet hatten. Jalite staunte über die rege Tätigkeit, die hier herrschte. Überall waren Mönche mit irgendwelchen Arbeiten an den Häusern beschäftigt, während andere das Essen auf einem Feuerplatz zubereiteten.

Verwundert fuhren die Köpfe nach den Reitern herum, und als die Mönche zwei Bewaffnete erkannten, eilten sie rasch zusammen, ohne ihre Werkzeuge aus der Hand zu legen. Das erkannte Osram natürlich und musterte die Mönche mit finsterem Blick.

„Ein seltsamer Empfang eures Herrn, sehe ich! Seit wann ist es üblich, einen Ritter mit Werkzeug in der Hand zu begrüßen? Wer ist hier der Verantwortliche unter euch?“

Verlegen sahen die Mönche zu Boden, und als würde ihnen erst jetzt bewusst, dass sie noch Werkzeuge hielten, legte einer nach dem anderen alles ab, was möglicherweise als Waffe verwendet werden konnte. Ein noch ziemlich junger Mönch mit glattem Gesicht, freundlich blickenden Augen und sehr dürren Armen, die er jetzt aus seinem Habit wie segnend hervorstreckte, trat vor und antwortete mit sanfter Stimme: „Während unsere älteren Brüder unterwegs sind, um die Lehre Christi zu verbreiten, leite ich die Arbeiten in unserem Dorf, mein Herr!“

Dabei senkte er sein Haupt und schaute zu Boden.

Jalite war von ihrem Schecken gestiegen und ging von einem Haus zum anderen, um einen Blick hineinzuwerfen. Der junge Mönch beobachtete sie jetzt verschämt.

Osram musterte den Sprecher kurz, aber der Mönch nahm sofort wieder eine demütige Haltung ein und erreichte damit, dass der Ritter ihn nun ebenfalls freundlich ansprach.

„Wir sind auf der Suche nach Kindern, die man nicht weit von hier in einem Dorf an der Küste in der Nacht geraubt hat.“

Der Mönch sah erschrocken zu ihm auf.

„Kinder geraubt? Aber – Herr, weshalb kommt Ihr da zu uns? Wollt Ihr glauben, dass wir, die wir die Liebe Christi predigen, zu einer solchen Tat fähig wären?“

Er wirkte vollkommen hilflos.

„Wo ist Gerius von Rönne?“

Bei dem Namen schien der junge Mönch förmlich zusammenzuzucken.

„Bruder Gerius ist auf der Insel unterwegs, Herr. Wir erwarten ihn nicht vor Ablauf von zwei Tagen.“

„So, und was kannst du mir zu den Kindern sagen?“

Der junge Mönch war noch immer von dem drohenden Ton des Ritters eingeschüchtert. Er streckte wieder seine dünnen Ärmchen aus und deutete auf seine Mitbrüder, die jedoch alle den Kopf gesenkt hielten.

„Herr, seht Euch bei uns um, niemals würden wir Kinder den Eltern rauben! Wozu soll das überhaupt gut sein?“

Osram von Hauenfels musterte mit strenger Miene einen nach dem anderen, dann wendete er sein Pferd.

„Gut, ich glaube dir, Mönch. Wenn dieser Gerius hier erscheint, richtet ihm aus, dass ich ihn auf meinem Gut erwarte. Wenn er nicht am dritten Tag von heute an gerechnet sich bei mir meldet, werde ich ihn durch meine Soldaten suchen lassen. Richtet ihm aus, dass wir ihn auch zu finden wissen. Dann hat er sich die Folgen seiner Saumseligkeit selbst zuzuschreiben!“

„Aber Herr, bedenkt doch bitte, dass der Bischof selbst ...“

„Es ist mir egal, was euer Bischof sagt. Gerius kommt zu mir heraus, oder ich lasse ihn holen!“

Damit trieb er sein Pferd wieder an, und Jalite folgte ihm wortlos.

Erst, als sie eine ganze Strecke geritten waren, lenkte sie ihr Pferd dicht an Osrams und zeigte ihm einen kleinen Ball. Es war ein übliches Spielzeug, wie es alle Kinder auf der Insel und dem Festland gern zum Spielen verwendeten. Aus einem Stück Leder eng gerollt und durch mehrfaches Durchnässen in die runde Form gebracht, hatte dieses Exemplar schon ziemlich unter seinem Besitzer gelitten.

„Ein Ball? Wo hast du ihn gefunden, Jalite?“

„Dicht neben dem letzten Haus. Ich glaube nicht, dass die Mönche damit spielen, oder bist du anderer Meinung?“

Osram streckte den Arm danach aus, und Jalite legte ihn in seine Hand.

Nach kurzer Untersuchung antwortete ihr Mann: „Er ist nass vom letzten Regen und lag also wohl schon länger an der Stelle, wo du ihn gefunden hast. Schade, dass du mich nicht gleich darauf aufmerksam gemacht hast. Dann hätte ich die Mönche zur Rede gestellt.“

„Aber wie du selbst gerade gesagt hast – er ist noch nass und liegt also schon länger dort. Das passt nicht mit dem Bericht von Milo zusammen, aber für mich zeigt es, dass durchaus Kinder in Mönnichgaud anwesend waren. Mal sehen, was die Bauern dazu sagen.“

Hexe und Herrin: Die Ranenhexe 2

Подняться наверх