Читать книгу Hexe und Herrin: Die Ranenhexe 2 - Alfred Bekker - Страница 9
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Es rächte sich jetzt, dass keiner daran gedacht hatte, eine Wache aufzustellen.
Dabei war ihr Tun gefährlich, denn sie opferten den alten Göttern.
Umso größer deshalb der Schrecken, als plötzlich die Kriegsknechte vor ihnen erschienen, lautlos und so, als wären sie aus dem Nichts gekommen.
Der Priester vor der kleinen Svantevit-Figur stieß sogar einen leisen Schreckensruf aus, aber es war zu spät. Niemand konnte verkennen, was sie hier gerade taten.
Die Männer wichen vor den Bewaffneten zurück, mussten aber gleich darauf erkennen, dass sie von ihnen umzingelt waren. Eine Flucht war damit unmöglich geworden.
„So, hier wird also noch den alten Götzen geopfert!“, sagte ein bärtiger, großer Soldat, dessen breite Schultern ihn in den Augen der Menschen um den Priester zu einem wahren Hünen machte. Nur selten gab es einmal Männer mit seiner Größe, und als er jetzt so scheinbar freundlich zu ihnen sprach, dröhnte seine Stimme doch noch tief und grollend.
„Wir lassen uns nicht taufen!“, rief schließlich der Priester und zog dazu ein verzweifeltes Gesicht, als würde er alles daransetzen, das Svantevit-Abbild zu schützen.
„Hört, hört!“, rief der Hüne laut, und die Soldaten fielen in ein lautes Gelächter ein.
„Was ... was geschieht jetzt mit uns?“, rief leise jemand von den anderen, und der Hüne drehte sich erstaunlich schnell zu ihm um.
„Das kannst du dir ja wohl denken, Kerl! Wir setzen euch alle gefangen und warten, bis die Mönche hier eintreffen. Dann werdet ihr getauft, bekommt eine Buße auferlegt und könnt wieder euer altes Leben aufnehmen. Das geht so lange gut, bis man euch wieder beim Götzendienst erwischt. Dann allerdings drohen euch allen harte Strafen!“
Der Priester schwieg, aber jemand aus der Runde nahm das Wort und erkundigte sich mutig: „Was ist mit euch Soldaten? Habt ihr Hunger und Durst?“
„Das kannst du wohl sagen, Bursche! Deshalb sind wir zu euch gekommen, und nicht wegen eurer alten Götzenbilder!“
Der Priester senkte sein Haupt und schwang die Arme zu einer Einladung.
„Dann kommt mit uns. Wenn wir euch bewirten, könntet ihr dann vielleicht vergessen, was ihr bei uns gesehen habt?“, erkundigte sich der Priester vorsichtig.
„Hm, wir werden sehen!“, antwortete der Hüne eine Spur freundlicher, als sie erwarteten.
„Wir haben frisches Bier gebraut, das wird euch köstlich munden!“, versicherte ihm der Bauer, der sich zu den Worten hinreißen ließ. Der Hüne musterte ihn abschätzend, dann nickte er, und die folgende Zeit saßen die Kriegsknechte alle um ein Feuer in der Dorfmitte und ließen es sich schmecken.
„Weißt du, mir ist es eigentlich egal, wen ihr anbetet!“, begann der Hüne sein Gespräch, nachdem er gesättigt war. „Wir können euch ohnehin nicht ständig überwachen, und ich denke, es ist nicht so schlimm, wenn der eine oder andere von euch gelegentlich mal wieder mit euren Götzen spricht.“
Als der Priester ihn verwundert ansah, kniff der große Soldat ein Auge zu und grinste dabei. Der schöpfte sofort Hoffnung und erkundigte sich vorsichtig: „Dann werdet ihr uns nicht den Mönchen melden?“
Jetzt blickte sein Gegenüber zu seinen Männern und nickte, bevor er antwortete: „Ich glaube, ich lasse mal Gnade vor Recht ergehen. Aber du sorgst dafür, dass sich so etwas nicht mehr wiederholt, verstanden? Wenn ihr zu euren Göttern beten wollt, dann macht das heimlich, in einer Höhle oder unten am Meer – aber doch nicht auf einem Platz, den man sofort als einen eurer Anbetungsorte erkennen kann! Versteckt den alten, vierköpfigen Burschen gut, dann habt ihr von mir nichts zu befürchten.“
Der Priester konnte seinen Ohren nicht trauen.
War es denn überhaupt möglich, dass sie so ungeschoren davonkommen sollten?
Da fuhr der Hüne schon in seiner Rede fort, und jetzt lauschten alle, die mit ihm am Feuer saßen, atemlos seinem Bericht.
„Man hört ja so einiges aus dem Land, wenn man so viel und so weit herumkommt wie wir. Es gibt ein paar unter euch Ranen, die behaupten, dass der Hohepriester Orlaw zurückgekommen ist, um sich an den Täufern zu rächen!“
Der Priester hielt unwillkürlich den Atem an.
Da kam dieser riesige Soldat mit seinen Leuten mitten in ihre heilige Opferzeremonie, und jetzt bestätigte er eine Geschichte, die man sich bereits in einigen Dörfern erzählte. Bislang gingen diese Erzählungen nur heimlich von Mund zu Mund, aber immer mehr Ranen glaubten daran und setzten ihre Hoffnung in sie.
„Ja, ich sehe schon dein Staunen, aber ich habe erst vor zwei Tagen einen Mann getroffen, der Stein und Bein schwor, dass er persönlich Orlaw begegnet ist. Und ich denke, du wirst das auch wissen, als Priester!“
Der Hüne lachte erneut dröhnend, während sich unter den Ranen Schweigen ausbreitete.
„Na, ich merke schon, dass ihr mehr wisst, als ihr jetzt zugeben wollt. Aber dieser Mann erzählte mir, dass euer Hohepriester von seiner eigenen Tochter beschworen wurde und aus der Unterwelt zurückgekehrt ist, um die alten Götter wieder in ihre Rechte einzusetzen. Wenn du mich fragst, ist das eine Geschichte für Kinder, aber nicht für Männer wie dich und mich.“
Behände sprang der Anführer auf die Beine, streckte sich und rief seinen Männern einen Befehl zu. Darauf erhoben sich alle, nahmen ihre abgelegten Lanzen auf und scharten sich um den Hünen.
Staunend beobachteten die Dorfbewohner, wie der Anführer ihrem Priester auf die Schulter schlug und laut dazu zischte: „Also, ihr habt mich verstanden – keine heidnischen Götterdienste mehr an Plätzen, wo man euch entdecken könnte. Wenn ich Ärger mit dem Bischof oder den Mönchen bekomme, gebe ich den an euch weiter. Und jetzt, lebt wohl, und danke für das Essen und euer Bier!“
Niemand von den hier Versammelten konnte glauben, dass sie so davonkommen sollten. Aber die Kriegsknechte marschierten aus ihrem Dorf, ohne sich noch ein einziges Mal zu ihnen umzudrehen. Als der letzte Mann außer Sicht war, begannen alle wild durcheinander zu reden. Schließlich rief der Priester laut, sie möchten schweigen, damit sie ihn verstehen konnten.
In die eintretende Stille sagte er nun laut und für alle verständlich: „Ich weiß nicht, warum uns diese Soldaten verschont haben. Aber ich weiß jetzt, wohin ich gehen werde, um Hilfe zu finden. Gleich morgen werde ich aufbrechen, um die rothaarige Jalite aufzusuchen und mit ihr zu sprechen.“
„Aber Jalite hat den Lehnsherrn geheiratet und ist Christin geworden!“, rief einer der Männer.
„Mag sein, meine Freunde. Aber ich will aus ihrem eigenen Mund hören, ob sie mit ihrem Vater gesprochen hat!“
„Wollen wir nicht morgen alle gemeinsam aufbrechen?“, rief ein anderer, und das Stimmengemurmel klang nach allgemeiner Zustimmung. Doch der Priester schüttelte heftig seinen Kopf.
„Nein, auf gar keinen Fall! Es wäre nicht auszudenken, was passiert, wenn wir anderen Soldaten begegnen, die vielleicht noch dazu einen der Täufer begleiten! Ich gehe allein und kann in zwei Tagen wieder zurück sein. Dann werden wir hören, ob uns Svantevit eine Botschaft übermittelt hat!“
Die Männer saßen noch eine Weile zusammen und sprachen über die seltsame Begegnung mit diesem riesigen Soldaten. Und natürlich wurde über die Behauptung des Mannes geredet, dass der Hohepriester von seiner zauberischen Tochter zurückgeholt wurde.
Das gab ihnen Vertrauen, und schon wurden die ersten Pläne geschmiedet, wie man sich gegen die Fremden erheben könnte, um sie schließlich wieder von ihrer Insel zu vertreiben.
Keiner dieser einfachen Bauern wäre auf den Gedanken gekommen, dass dieser Besuch in der Absicht geschah, sie aufzustacheln. Und noch weniger hätte wohl jemand geglaubt, dass der Urheber für die Unterstützung der Wiederkehr des ermordeten Hohepriesters ausgerechnet ein Mönch war.