Читать книгу Thorns Zwilling: Die Ranenhexe 3 - Alfred Bekker - Страница 6

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(Handlungszeit: ab 1200)

Er murmelte leise vor sich hin.

Die Lippen bewegten sich kaum dabei.

„Das darf nicht wahr sein!“

Der Mönch war auf die Knie gesunken und rang seine Hände. Der Seewind hatte ihm die Kapuze seiner Kutte vom Kopf gerissen.

„Der Herr sprach: Mir wird übel beim Anblick der Götzenbilder! Oh, ihr Narren...“

Er war allein an der Küste unterwegs zu einem Dorf der Ranen. Es gehörte zu den Aufgaben der Mönche, diese bekehrten Heiden regelmäßig aufzusuchen und auf ihren Glauben zu überprüfen. König Jaromar selbst hatte das befohlen, nachdem Bischof Absalon ihm diesen guten Rat erteilt hatte. Jaromar, selbst vor der Eroberung der Insel Anhänger des alten Götzenkultes um den vierköpfigen Gott Svantovit, hatte den Wink verstanden.

Doch was der Mönch Darko jetzt in dem kleinen Talkessel erblickte, machte ihn fassungslos. Er begann, ein Vaterunser zu beten, richtete dabei seinen Blick starr auf das Geschehen im Dorf der Ranen und spürte, wie ihn in seiner heiligen Wut ein starkes Zittern überfiel, das schließlich sogar seine Hände erfasste. Dann sprang er auf die Füße, nahm sein großes Holzkreuz mit dem Lederband vom Hals, hielt es vor sich hin und sprang den leichten Hang hinunter auf die Häuser zu.

Mit kräftiger Stimme betete er jetzt laut: „Veni, Sancte Spiritus / Et emitte caelitus / Lucis tuae radium – Komm, Heiliger Geist / Und sende vom Himmel her / Deines Lichtes Strahl.“

Darko steigerte seine Stimme noch, als sich die ersten Männer auf dem Dorfplatz von ihrem Lager erhoben und dabei schwerfällig ein paar Schritte auf den Mönch zu machten. Es war ganz offensichtlich, dass sie getrunken hatten, und einer von ihnen, der eben dabei war, an einem großen, hölzernen Standbild zu arbeiten, warf erschrocken sein Werkzeug beiseite.

„Veni, pater pauperum / Veni, dator munerum / Veni, lumen cordium – Komm, Vater der Armen / Komm, Geber der Gaben / Komm, Licht der Herzen“, skandierte der Mönch weiter, als er die ersten Häuser passierte.

Es waren nun fünf Männer, alle jüngeren Alters, gekleidet wie die Fischer, mit braungebrannten Gesichtern, braunen, schulterlangen und verfilzten Haaren und kräftigen Händen.

„Verschwinde, Mönch!“, brüllte einer von ihnen. Die beiden Wörter genügten, um Darkos Verdacht zu erhärten. Die Männer waren betrunken, und das bereits zur Mittagszeit. Während er registrierte, dass zwei von ihnen Holzknüppel in den Händen trugen, beeindruckte ihn das überhaupt nicht. Vielmehr eilte er jetzt, noch immer laut betend und dabei sein Holzkreuz vorhaltend, zu dem Standbild.

„Consolator optime / Dulcis hospes animae / Dulce refrigerium – Bester Tröster / Süßer Gast der Seele / Süße Erfrischung.“

„Hörst du nicht, Mönch? Verschwinde, du bist hier nicht erwünscht!“, brüllte jetzt der Sprecher der fünf Männer erneut.

Darko war fast an dem Mann vorüber, der ihm aus glasigen Augen einen wütenden Blick zuwarf. So betrunken der Mann auch sein mochte, er reagierte trotzdem blitzschnell, streckte seinen Fuß aus und brachte den Mönch zum Stolpern. Darko ruderte heftig mit den Armen und versuchte, als er das Gleichgewicht nicht mehr halten konnte, den Sturz zu mildern. So geschah es, dass er genau zu Füßen der neu errichteten Statue landete und seine Arme den Pfahl umarmten.

Das aber ließ ihn sofort wieder aufspringen, und mit vor Wut gerötetem Gesicht und funkelnden Augen drehte er sich zu den fünf Männern um, die ihn mit grinsenden Gesichtern umstanden.

„Euch wird das Lachen noch vergehen, verdammte Heidenbrut! Was treibt ihr hier? Was fällt euch ein, ein Götzenbild zu schaffen? Die Folgen für ein so frevelhaftes Verhalten werden über euch kommen, das ist gewiss!“, donnerte er ihnen mit Stentorstimme entgegen.

„Ach ja? Und wem willst du davon berichten?“

Es war wieder der Sprecher, der jetzt mit dem Holzknüppel in die offene Hand schlug und ein geradezu unverschämtes Grinsen aufgesetzt hatte.

„Ihr wagt es nicht, einen Diener Gottes anzurühren! Die Strafe für das neue Götzenbild wird schon hoch genug werden, verschlimmert nicht noch eure Lage, indem ihr einen Mönch angreift!“

„Denkst du!“, lachte einer.

„Dieser Narr!“

„Hört, was er sagt!“

„Ob sein Gott ihm jetzt hilft?“

„Meinst du den Gott, der seinem Sohn nicht geholfen hat, als der ans Kreuz geschlagen wurde?“

Gelächter folgte.

„Ich werde dir mal zeigen, was wir von deinen Drohungen halten, Mönchlein!“, rief der betrunkene Sprecher der Gruppe. Während er sich plötzlich auf den Mönch warf und ihn bei seiner Kutte packte, lachten sie nur laut auf und machten Gesichter wie Kinder, die sich auf ein neues Spiel freuten.

Aber Darko war kein schwacher Mann, und er wehrte sich gegen den Angriff des Betrunkenen. Als der jedoch mit dem Knüppel ausholte, hatte Darko es satt, unterlief den Mann und rammte ihm seinen Kopf gegen die Brust.

Ein dumpfes Geräusch entstand dabei.

Mit einem lauten Geräusch entwich dem die Luft, er kippte nach hinten, schlug schwer zu Boden und bemühte sich vergeblich, wieder auf die Beine zu kommen.

„Heda, Mönch, so geht das nicht!“ Das war der erste Satz, den einer der anderen Männer sprach.

Drohend schwang er nun ebenfalls einen Knüppel, aber Darko war nicht gewillt, den Hieb abzuwarten. Blitzschnell bückte er sich nach dem Knüppel des ersten Angreifers, und als jetzt der andere mit einem wütenden Knurren auf ihn zusprang, wartete er ruhig den Angriff ab.

Im letzten Moment blockierte er mit seinem Knüppel den Hieb des Mannes, gleich darauf schlug er ihm mit seinem Holzstück sehr schmerzhaft auf das Handgelenk. Mit einem Aufschrei ließ der den Knüppel fallen, aber nun gab es kein Halten bei den anderen mehr. Vielleicht hätte der Mönch Darko sogar gegen die verbliebenen drei Angreifer bestehen können, denn sie standen alle nicht mehr sonderlich sicher auf den Beinen. Den meisten ihrer Hiebe konnte er ausweichen, aber dann hatte sich der Mann von hinten an ihn herangeschlichen, der an dem hölzernen Götterbild gearbeitet hatte. Mit einem kräftigen Schlag auf den Hinterkopf schaltete er den Mönch aus. Darko stürzte wie ein gefällter Baum nach vorn und schlug hart mit dem Gesicht auf.

„So, der hat genug!“, sagte der Bursche mit zufriedenem Lächeln.

„Da bin ich mir gar nicht so sicher!“, meinte ein anderer.

„Genug? Der hat erst genug, wenn ich ihm die Haut in Streifen heruntergezogen habe! Damit werde ich unserem Svantovit einen schönen Schmuck anfertigen und sein Bild schmücken!“ Das war der erste Angreifer, der sich eben wieder aufrappelte und mit blutunterlaufenen Augen den ohnmächtigen Mönch musterte. Dann zog er ein langes, dünnes Messer aus seinem Gürtel und beugte sich über Darko.

„Halt!“, rief eine Stimme dicht hinter ihnen, und erschrocken fuhren die Männer herum. Es war eine Frau, aber ihre Stimme war kaum leiser als die des zürnenden Mönches. Und sie bot einen beeindruckenden Anblick.

Hoch aufgerichtet saß sie auf ihrem Pferd, einem unruhig tänzelnden Schecken. Die langen, roten Haare flossen ihr über die Schultern. Ihren Bogen hielt sie schussbereit in den Händen, und ihr vom Zorn gerötetes Gesicht ließ die Männer einen Schritt von dem niedergeschlagenen Mönch zurücktreten.

„Du da – hilf dem Mann auf die Füße! Wird‘s bald?“

„Die Hexe von Osrams Herregård“, raunte einer von ihnen leise, aber Jalite hatte es trotzdem vernommen.

Jalite, die Ranenhexe....

So nannte man sie.

Die Frau des Ritters Osram.

Jeder hier wusste, wer sie war.

„Halt dein unverschämtes Maul, Kerl!“, fuhr sie den Mann an und richtete ihren Bogen auf ihn. „Noch ein einziges Wort von einer Hexe, und ich zeige euch, wie schnell meine Pfeile euch vom Leben über den brennenden Fluss in die Unterwelt Nav bringen!“

Die Männer senkten ihre Blicke, zwei von ihnen packten den noch immer ohnmächtigen Mönch, bemühten sich, ihn auf die eigenen Füße zu stellen und schüttelten ihn dazu kräftig. Tatsächlich schlug Darko verwundert die Augen auf und versuchte, seine Lage zu erfassen.

„Aber Herrin“, begann jetzt schüchtern einer der Männer. „Ihr ... Ihr gehört doch zu uns, sprecht selbst jetzt noch von Nav und ...“

„Schweig auf der Stelle!“, herrschte ihn Jalite wütend an. „Ihr seid Narren, wenn ihr glaubt, dass ihr ungestraft ein Abbild des Gottes aufstellen könnt. Außerdem seid ihr betrunken und scheint nicht in der Lage zu sein, zu verstehen, was das bedeutet!“

„Ich möchte ...“

„Schweigt, sagte ich!“, rief Jalite erneut.

„Natürlich...“

„Ich bin eure Herrin, und werde es vor dem König zu verantworten haben, wenn ihr, töricht wie die Kinder, dem verbotenen Götzen opfert und euch vor seinem Abbild betrinkt!“

Jalite hatte auch die Reste der mit Honig gebackenen Brotstücke gesehen und sofort richtig eingeschätzt. Hier entstand tatsächlich für den höchsten Gott der Slawen, zu denen das Volk der Ranen gehörte, ein neues Standbild. Und wie üblich bei den Ehrungen, die für gewöhnlich die alten Priester vornahmen, wurde dazu viel getrunken und das Honigbrot gegessen. Die Lage, die sie hier vorgefunden hatte, war klar und wurde nur noch durch die Gewalt gegen den Mönch verschlimmert.

Jalite, die Tochter des getöteten Hohepriesters Orlaw, hatte vor vielen Jahren Osram von Hauenfels geheiratet, einen Söldner im Dienste König Waldemar I. von Dänemark. Aus Dankbarkeit für seine treuen Dienste erhielt Osram ein Gut an der Südküste von Rugia (Rügen), das in den folgenden Jahren prächtig gedieh und immer größer wurde. Siedler aus Sachsen waren auf die Insel gekommen und hatten sich in seiner Nachbarschaft angesiedelt.

Nach dem Sieg über die Pommern hatten sich ihr Mann und König Jaromar ausgesöhnt, und Osram wurde zu einem der mächtigsten Männer auf der Insel Rugia, wenn auch das familiäre Glück immer wieder getrübt wurde. Da war zunächst das erstgeborene Kind Gunhild, das mit einem Klumpfuß auf die Welt kam. Schon flammten die alten Gerüchte wieder auf, dass Jalite das Wissen ihres Vaters ererbt habe, somit eine zauberkundige Hexe war, und sicher alles daransetzen würde, die Rückkehr ihres ermordeten Vaters vorzubereiten.

Dann wurden in aller Heimlichkeit Zwillinge geboren, ein sicheres Zeichen, dass der vierköpfige Gott Svantovit seine Hände im Spiel hatte. Um den ohnehin immer lauter werdenden Stimmen nicht noch mehr Anlass zur Nachrede zu geben, setzten die Eltern einen der Zwillinge nach der Geburt am Strand aus.

Doch über all die vergangenen Jahre verstummten die Gerüchte über die Hexenkünste der rothaarigen Herrin von Osrams Herregård nie völlig. In den letzten Monaten lebten sie erneut auf, weil es mehrfach ungewöhnlich heftige Stürme mit Regen gegeben hatte. Dadurch war die Ernte stark beeinträchtigt, und wenn auch Ritter Osram von Hauenfels allen, die er im Verdacht hatte, diese Gerüchte noch zu schüren, heftig entgegentrat und ihnen schwere Strafen androhte, verstummten diese Gerüchte doch nicht.

So ähnliche Gedanken mochten jetzt auch durch die Köpfe der angetrunkenen Götzenverehrer ziehen, aber der Mönch, der sich jetzt plötzlich heftig bewegte und die beiden Männer abschüttelte, die ihn hielten, brachte sie rasch wieder in die Gegenwart zurück.

„Hört mir gut zu, Männer!“

Jalite machte eine Pause. Sie wartete ab, bis sie sich der vollem Aufmerksamkeit aller sicher war.

Ihr Blick ging die Reihen der Männer entlang.

Der Blick einer Frau, über die es viele Gerüchte gab...

Der Blick einer Hexe, wie viele sagten.

Sie fuhr fort:

„Ich werde diesen Mönch jetzt mit mir nach Osrams Herregård nehmen und ihm dort Gelegenheit geben, meinem Mann von euren Taten zu berichten. In der Zwischenzeit solltet ihr alles dafür tun, diese heidnischen Dinge verschwinden zu lassen. Kommt Osram von Hauenfels mit seinen Kriegsknechten hierher, kann ich euch für nichts mehr garantieren.“

Die Männer standen jetzt, sichtlich ernüchtert, um das hölzerne Götzenbild, starrten nur auf den Boden und nickten schließlich stumm.

„Wie ist dein Name, Mönch?“

„Darko!“, antwortete der und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

„Gut, Darko, sitz hinter mir auf, ich bringe dich auf unser Gut.“

Der Mönch zögerte keinen Moment, griff die dargebotene Hand der Reiterin und schwang sich geschickt auf das Pferd, wobei er sein Habit raffte.

Jalite wendete den Schecken und galoppierte davon, ohne sich noch ein einziges Mal umzudrehen.

„So, nun werden wir wohl damit rechnen müssen, Hab und Gut zu verlieren!“, sagte schließlich einer der Burschen, die noch immer hinter der so unverhofft aufgetauchten Reiterin hersahen.

„Abwarten. Ich glaube nicht daran, dass wir wirklich in Gefahr schweben!“, sagte derjenige, der als Erster den Mönch angegriffen hatte.

Ein verächtliches Schnauben seines Nachbarn ließ ihn auf dem Absatz herumfahren.

„Du musst nicht so tun, als hätten wir alles falsch gemacht. Wenn sie wirklich ihrem Mann davon berichtet, dann wird es gut für uns werden.“

Der andere schüttelte erstaunt den Kopf. „Wie kommst du darauf? Osram gilt nicht gerade als nachsichtiger Mann!“

Lächelnd antwortete ihm der inzwischen fast wieder nüchtern gewordene Sprecher: „Sie hat nicht einmal den Namen Svantovit ausgesprochen. Sie hat auch nicht verlangt, dass wir seine Statue vernichten sollen!“

Die anderen umstanden ihn und zeigten verständnislose Gesichter.

„Ihr müsstet mal sehen, wie ihr dasteht und glotzt! Glaubt mir, die Herrin ist noch immer eine von uns. Sie wird jede Gefahr von uns abwenden. Es war gut, dass sie kam und den Mönch mitgenommen hat. Jetzt bin ich mir sicher, dass die alten Zeiten zurückkehren und wir die Christen vertreiben!“

Die anderen blickten nicht so zuversichtlich wie der Sprecher, aber als er auf die Krüge mit dem frisch gebrauten Bier deutete, nahmen sie alle wieder rund um den Holzstamm Platz. Wenig später wurde die Arbeit fortgesetzt. Die vier Köpfe des Gottes waren schon gut herausgearbeitet, jetzt wurden noch ein paar Feinheiten nachgebessert.

„Wir werden ihn an geschützter Stelle aufstellen müssen!“, begann nach einer Weile der Mann, der mit seinem Werkzeug die Linien in das Holz zog, die den vier Köpfen ein strenges Gesicht verliehen. „Es wäre nicht auszudenken, wenn er hier im Dorf gefunden wird!“

„Wird er nicht!“, lächelte erneut ihr Sprecher.

„Was macht dich da so sicher?“

„Das hier!“

Damit griff der Mann in sein Gewand und zog an einer Lederschnur einen länglichen Stein hervor, den er ihnen präsentierte.

„Was willst du mit dem Zeichen Peruns?“, rief einer von ihnen erschrocken aus. Die Ranen deuteten die keilförmigen Steine als Blitze des Donnergottes, die er auf die Erde schleuderte. Man suchte häufig nach ihnen und legte sie auf die Dächer der Häuser, um den mächtigen Gott zu besänftigen.

„Nun, ich denke mal, dass er uns beschützen wird. Ich habe diesen Donnerkeil erst heute Morgen gefunden. Ein gutes Zeichen, was meint ihr?“

Die anderen wogen nur bedenklich ihre Köpfe, aber ihr Sprecher lachte höhnisch und laut auf.

„Ihr werdet ja sehen, dass ich das Richtige getan habe. Lasst den Ritter nur kommen, er wird nichts finden, was uns in Ungnade bringt. Es gibt schon lange einen guten Platz, an dem wir unsere Götter wieder verehren können, wie es uns die Eltern gelehrt haben.“

Thorns Zwilling: Die Ranenhexe 3

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