Читать книгу Thorns Zwilling: Die Ranenhexe 3 - Alfred Bekker - Страница 8
2.
ОглавлениеOsram von Hauenfels starrte den Mönch mit finsterer Miene an, als der seinen Bericht beendet hatte. Dann schlug er heftig mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass die Becher hochsprangen, und polterte los: „Das ist unglaublich und verdient eine sofortige Bestrafung! Ich werde ...“
„Bitte, Osram!“, sagte Jalite mit sanfter Stimme. „Übereile nichts. Ich war ja schließlich ebenfalls in dem Fischerdorf und sehe keinen Anlass, so überstürzt dorthin zu reiten und die Schuldigen zu betrafen.“
Osram wischte sich über seinen Bart, dann schüttelte er ungläubig und so heftig den Kopf, dass seine langen, silbergrauen Haare umher flogen.
„Du hast gehört, was der Mönch berichtet hat, Jalite. So etwas kann und darf ich in meinem Bereich nicht erlauben. Erfährt der König davon, gerate ich in schwere Bedrängnis!“
Er betrachtete seine Frau mit verärgerter Miene.
Was denkt sie sich eigentlich? Wenn ich solchen Dingen nicht sofort nachgehe, ist das Gerede von der rothaarigen Hexe und ihrem willenlosen Mann sofort wieder da!, ging es ihm durch den Kopf.
Jalites Gesicht konnte man noch immer ansehen, wie schön sie einst als junge Frau gewesen sein musste. Wenn auch zahlreiche Falten um die Augen und auf der Stirn Zeugnisse ihres Alters waren, so störten eigentlich nur die beiden scharfen Linien der Mundwinkel den Eindruck ihres gleichmäßig geformten Gesichtes; die kleine Nase, ihre Augenpartie, die einst zart geschwungenen Lippen, um die sich nun ebenfalls zahlreiche kleine Falten gebildet hatten.
Wäre nicht immer wieder dieses Gesicht in plötzlich aufwallendem Unmut verzogen worden, wären da nicht die scharfen Linien – Jalite würde auch als Greisin als schöne Frau gelten können. Aber das harte Leben und ihre Schicksalsschläge hatten sie gezeichnet. Und bis auf den heutigen Tag konnte sie nicht verwinden, was sie ihrem zweiten Sohn angetan hatten. Antun mussten, rief sie sich immer wieder ins Gedächtnis. Zwillingsgeburten sind eine Ausgeburt des Bösen und hätten ihren Ruf als Zauberische nur noch verstärkt.
Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie die Vorbereitungen ihres Mannes, und schließlich stieß sie die folgenden Worte hastig und in unangenehmer Tonlage aus: „Muss du immer sofort aufspringen und Menschen züchtigen, die etwas anderes getan haben als das, was man von ihnen erwartet?“
„Sprichst du von diesen Ketzern, Jalite?“, gab ihr Mann scharf zurück. Dann erhob er sich etwas schwerfällig und griff zu seinem Wehrgehänge, das griffbereit in seiner Nähe auf einem Stuhl lag. Jalite musterte ihn kühl, als sie wieder das Wort ergriff.
„Osram, da waren fünf oder sechs betrunkene Fischer, die in alten Erinnerungen schwelgten. Ich will gar nicht leugnen, dass sie sich ein Götzenbild schaffen wollten. Aber du darfst mir glauben, dass allein mein Eintreffen und die Befreiung von Darko aus ihren Händen die Männer ernüchtert hat. Wenn du mit den Kriegsknechten dort erscheinst, werden sie zur Vernunft gekommen sein und das Götzenbild vernichtet haben. Aber lass ihnen Zeit und reite nicht sofort los, um ein Dorf zu züchtigen, in dem ein paar Männer etwas Verbotenes getan haben!“
Osram ließ sich von den Worten seiner Frau nicht besänftigen. Jetzt bemühte er sich, ihr klarzumachen, dass er eigentlich sie selbst nur schützen wollte.
„Jalite, du weißt, was die Menschen reden. Wir haben jetzt eine sehr schwere Zeit durchzumachen, es hat mehr Sommerstürme mit viel Regen gegeben als in den Jahren zuvor. Jetzt die schlimme Hitze! Und damit ist ein Teil der Ernte schon vernichtet. Du weißt, was das bedeutet.“
Jalite stieß einen Seufzer aus und antwortete mit leiser Stimme: „Ja, und ich kann es nicht mehr ertragen. Immer ist es die rothaarige Hexe, die Tochter des getöteten Hohepriesters.“
Die beiden Eheleute standen sich schweigend gegenüber, jeder schien den anderen zu mustern und zu überlegen, was der wohl gerade dachte.
Wir sind alt geworden, dachte Jalite. Aber noch immer bin ich für viele die rothaarige Hexe, die ihren Mann betört und die alten Götter zurückholen will. Die ein missgestaltetes Kind geboren hat und danach zwei Kinder zugleich, was nicht sein darf. Die ihr eigenes Kind ermordet hat und auch sonst nicht zögert, ihre Waffe einzusetzen. Das wird sich nie ändern, solange wir leben. Und Osram? Was sieht er heute in mir? Die liebevolle Ehefrau – oder die Hexe, die sich noch immer in ihren Hain zurückzieht und geheimnisvolle Dinge tut? Ach, Osram – wo ist unsere Liebe geblieben? Wann haben wir zuletzt das Lager geteilt?
Ihr Mann bewegte sich langsam und bedächtig, seine einst so geschmeidigen Bewegungen wirkten schleppend und mitunter fahrig. Osram von Hauenstein war alt geworden, auch wenn er selbst sich das niemals eingestanden hätte.
Jetzt war er fertig mit seiner Gurtung und rief nach einem Knappen.
„Du willst also wirklich sofort aufbrechen? Dann begleite ich dich“, ergänzte Jalite.
„Ruf die Kriegsknechte zusammen. Wir brechen sofort auf, gerüstet. Vorwärts, eile dich!“, befahl ihr Mann dem eingetretenen Knecht, und tatsächlich dauerte es nicht lange, und zehn Bewaffnete saßen auf ihren Pferden, bereit, ihrem Herrn zu folgen.
Jalite ließ ihren Schecken wieder vorführen, und Osram bestieg seinen kampferprobten Hengst.
Eben wollte er das Zeichen zum Aufbruch geben, als sein Sohn Thorn durch das Tor kam. Er war in Begleitung eines der Knechte, und seine Eltern bemerkten sofort seinen Gesichtsausdruck, der auf weiteren Ärger deutete.
„Thorn, du siehst erzürnt aus. Was ist geschehen, dass du schon so früh zurück von den Feldern bist?“, erkundigte sich Osram.
„Das Wasser, Vater. Das System der Wasserversorgung unserer Felder ist gestört, wir werden noch mehr von unserer Ernte verlieren, wenn es uns nicht gelingt, die Gräben zu vertiefen und die Schleusen zu verbessern.“
„Verstehe – und weshalb kommt ihr beide jetzt zurück?“
„Ich brauche jetzt jede Hand dort draußen, Vater. Ich wollte die Kriegsknechte dazu holen, sie sind ja verpflichtet, uns zur Hand zu gehen, wenn kein Krieg herrscht. Aber ich sehe, du hast anderes mit ihnen vor. Das ist nicht gut, denn wir schaffen es nicht allein. Und die Sonne trocknet den letzten Wasserrest aus, bevor er an den Feldern angekommen ist.“
Osrams Stirn umwölkte sich ebenfalls, und nachdenklich strich er sich über den Bart. Dann hatte er einen Entschluss gefasst.
„Gut, das ist jetzt wirklich wichtiger. Nimm dein Pferd, lass den Knecht auch aufsitzen, dann geht es schneller. Wir werden die Fischer später bestrafen, jetzt müssen wir wirklich an die Ernte denken.“
„Eine gute Entscheidung, Osram!“, merkte seine Frau an. Gleich darauf war auch Thorn beritten, ließ den Knecht hinter sich aufsteigen, und gemeinsam ritten sie zu den ausgetrockneten Kanälen, bei denen bereits die anderen seit dem frühen Morgen beschäftigt waren.
Kopfschüttelnd musterte Osram die Gräben, die das Wasser nach einem ausgeklügelten System an ihren Feldern entlangführten und dafür sorgten, dass auch die benachbarten Wiesen genügend davon erhielten. Das schlechte Wetter in den vergangenen Wochen hatte reichlich Regen gebracht, so dass man die Schleusen öffnen konnte, um Überschwemmungen zu verhindern. Jetzt aber herrschte eine geradezu katastrophale Trockenheit, die das zuvor reichlich vorhandene Wasser verdunsten und versickern ließ – und das Getreide auf den Feldern sah erbärmlich aus.
Der größte Graben, der mitten durch die Felder Osrams das Wasser eines kleinen Bachlaufs führte, wurde jetzt vertieft, weil auch der Bach kaum noch Wasser führte. Er entsprang unweit in einer noch immer kräftig sprudelnden Quelle und hatte sich dann seinen Weg zur Meeresküste gesucht. Der Ritter lenkte sein Pferd jetzt zu dieser Quelle, um sich hier ein Bild von der noch vorhandenen Wassermenge zu machen. Schon nach wenigen hundert Schritten wurde er unruhig. Der künstliche Graben führte hier noch eine geringe Wassermenge, aber in der Ferne glitzerte der Bachlauf in der Sonne.
Dann sah er, was hier geschehen war.
Eine der Schleusen, die das Wasser vom Bach herüber zu seinen Feldern in den Graben lenkte, war fast völlig geschlossen. Das restliche Stück reichte aus, um etwas Wasser in seinen Graben zu lenken, der weitaus größere Teil zweigte hier in einen anderen Graben ab. Und der lief hinüber zu den Wiesen der Familie von Adam Weber, der einst von Ossenbrügge (Osnabrück) mit seiner Familie und einigen Schafen auf die Insel Rugia kam und inzwischen seinen Betrieb stark vergrößert hatte. Züchtete Adam Weber zunächst nur Schafe und verwob deren Wolle gemeinsam mit seiner Frau, so war inzwischen sein Sohn Mychel in seine Fußstapfen getreten und hatte weitere Siedler aus seiner alten Heimat geholt. Jetzt waren es diese Neusiedler, die Schafe von der Familie Weber erhielten, selbst züchteten und die Wolle verarbeiteten. Diese Familien waren alle an Adam und Mychel Weber gebunden, erhielten von ihnen das Land zur Pacht zugewiesen, das die Familie Weber von Osram von Hauenfels gepachtet hatte. Sie lieferten ihre Erzeugnisse, darunter natürlich auch Rohwolle und verwebte Wolle, an Mychel Weber, und der kümmerte sich um den Weiterverkauf. Auf diese Weise waren die einstigen Zuwanderer aus Ossenbrügge reich geworden und erwarben eigenes Land, direkt von König Jaromar – sehr zum Ärger von Osram.
Nun also dieser Frevel. Diebstahl des lebenswichtigen Wassers und damit Schädigung der Ernte des Ritters.
Ingrimmig schnaubte Osram, als er den wohl gefüllten Graben der Weiden Webers betrachtete. Dann stieg er aus dem Sattel, nahm sein Schwert in die Rechte und begann damit, die Schleuse zu bearbeiten. Zunächst brach er den hölzernen Bolzen heraus, der die geöffnete Schleuse im oberen Bereich hielt. Dann drückte er das fest gefügte Holzschott herunter und trat noch mehrfach mit den Stiefeln darauf, damit es wirklich fest im Graben steckte. Zuletzt zog er die Schleuse seines Kanals hoch, entfernte ebenfalls die Halterung und zog das Teil vollkommen heraus, um es weit über sein Getreidefeld zu schleudern.
Gleich darauf schoss das Wasser in seinen Graben, gurgelte an der Einmündung und schäumte etwas, dann lief es den Graben entlang und füllte ihn allmählich wieder. Durch seine Arbeit hatte Osram nicht weiter auf seine Umgebung geachtet. Als er jetzt vollkommen unvermutet angegriffen wurde, konnte ihm der Mann einen kräftigen Schlag mit einem Knüppel versetzen, der ihn taumeln ließ und für einen Moment lähmte. Dann jedoch hatte er sich wieder in der Gewalt, und sein Schwert hochreißend wehrte er den nächsten Schlag ab.
Sein Angreifer war etwa gleich groß, aber erheblich jünger und kräftiger. Osrams Schwertschlag hatte den Knüppel abgelenkt, aber nicht zerstört. Der Mann rammte ihm die Schulter in die Seite und brachte ihn erneut ins Stolpern. Osram machte ein paar rasche Schritte rückwärts und versuchte, sein Gleichgewicht zu finden. Sein Gegner ließ ihm keine Zeit, holte erneut aus, und nur mit einer raschen Wendung entging diesmal der Kopf dem harten Schlag, der dafür Osrams linke Schulter traf und seinen Arm vorübergehend lähmte.
Heller Zorn loderte in ihm auf, und mit einer Schnelligkeit, die ihm niemand mehr zugetraut hatte, sprang er wieder auf und führte eine Finte gegen den Angreifer aus, der erneut seinen Knüppel schwang. Der Mann fiel darauf herein, Osram ließ sofort einen weiteren Schlag folgen. Eigentlich wollte er den Mann mit einem Mordhau außer Gefecht setzen und war dabei, sein Schwert rasch so im oberen Bereich der Klinge zu fassen, dass er mit Griff und Parierstange gegen dessen Kopf schlagen konnte. Aber der gewandte Angreifer konterte ebenfalls mit einem Stoß, so dass Osram mitten in der Bewegung die Technik wechselte zum Halbschwertstoß. Die Klinge fuhr dem Mann durch die Brust, spießte ihn durch seine Angriffswucht förmlich auf.
Als Osram sein Schwert zurückriss, starrte der Unbekannte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Seine Hände öffneten sich, der Knüppel fiel auf den Boden, und dann versuchte er, noch weitere Schritte auf den Ritter zuzumachen. Mit dumpfen Aufschlag stürzte er vor ihm auf die Erde, ein konvulsivisches Zittern durchlief seinen Körper, dann streckte er sich und lag still.
Osram von Hauenfels wischte angewidert sein Schwert am Hemd des Getöteten ab, dann drehte er ihn auf die Seite, um etwas zu entdecken, das ihm näheren Aufschluss über den Angreifer geben konnte.
Aber das war eine vergebliche Mühe, der Mann trug nur ein schlichtes, einfaches Hemd über der Bruche und den Beinlingen. Der Zustand seiner Kleidung ließ darauf schließen, dass er auf dem Feld arbeitete.
Osram schwang sich in den Sattel und kehrte zu den anderen zurück, die er nach einem gut halbstündigen Ritt dabei antraf, wie sie gemeinsam den Graben vertieften. Sie hatten sich über den plötzlichen Wasserandrang gewundert und blickten jetzt Osram erwartungsvoll entgegen.
„Vater, das Wasser – was ist geschehen? Und wie siehst du überhaupt aus? Bist du gestürzt?“, rief ihm Thorn entgegen, als er seinen Vater zurückkommen sah.
„Gestürzt? Na, wie man es nimmt. Es gab eine kleine Veränderung oben am Bach. Ich habe sie beseitigt! Aber das gefiel einem mir gänzlich Unbekannten überhaupt nicht. Als ich mich noch über den Graben beugte und die Schleuse sicherte, wurde ich hinterrücks angegriffen“, erklärte Osram und beobachtete, wie die braune Flut den Graben entlang schoss und nun auch den bereits vertieften Teil erreichte und rasch füllte.
„Man hat dich angegriffen?“, rief Jalite erstaunt. „Was wurde aus dem Angreifer?“
„Ich habe ihn getötet. Schickt zwei Männer hinauf und holt ihn auf unseren Hof, damit wir klären können, woher der Bursche kam. Thorn, hast du den Bachlauf dort oben nicht kontrolliert?“
Thorn hatte das Werkzeug beiseite gelegt und sah seinem Vater ins Gesicht.
„Doch, Vater, das habe ich vor zwei Tagen gemacht, als ich mich über den sinkenden Stand verwunderte. Aber da schien mir noch alles in Ordnung zu sein, und ich schob die zunehmende Trockenheit auf die starke Sonne. Was jetzt hier geschieht, ist mir unerklärlich. Vor allen Dingen verstehe ich nicht, wer es wagen könnte, dich anzugreifen! Ich meine – wer auf unserer Insel kennt nicht Osram von Hauenfels?“
Sein Vater ging auf diese Bemerkung nicht ein.
Fast schien es, als würde ihn der Angriff nicht weiter stören. Das Problem der veränderten Schleusen, die jemand bewusst anders gestellt hatte, schien ihm dringlicher zu sein.
„So, du bist bis zum Bachlauf geritten?“, erkundigte sich Osram erstaunt. „Dann verstehe ich nicht ...“ Sein Blick fiel auf Jalite, die sich eben aufrichtete und noch etwas Erde auf den Rand des Kanals häufte. Sie wich seinem Blick jedoch aus und legte das Werkzeug beiseite, trat zu dem Schecken, der friedlich mit den anderen Pferden graste, und schwang sich auf seinen Rücken.
„Jalite, hast du gehört, was unser Sohn gesagt hat?“
Sie antwortete nicht, schwang sich stattdessen auf ihr Pferd und schlug dem Schecken ihre nackten Fersen in die Seiten. Ohne sich umzudrehen, galoppierte sie davon.
Osram von Hauenfels zerdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen.