Читать книгу Die Mauer der Götter 3: Drachen-Gifthauch - Alfred Bekker - Страница 7

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„Frechheit siegt!“

Mit diesen Worten auf den Lippen, ohne dass er sie allerdings laut aussprach, trat Sorgun ganz offen durch die Tür in einen selten benutzen Lagerraum und schloss sie rasch hinter sich. Bange Sekunden verharrte er in dem trügerischen Dämmerlicht, das in dem Lagerraum herrschte.

Nur eine kleine Fensteröffnung knapp unterhalb der Decke ließ etwas Helligkeit ein. Die Scheibe in dem Fensterrahmen hätte wieder einmal eine Reinigung notwendig gehabt und sorgte so dafür, dass die Lichtausbeute nicht allzu gewaltig ausfiel – aber in diesem Fall war es Sorgun nur recht, denn so konnte er sich in Ruhe einen Platz suchen, an dem er (in dem unwahrscheinlichen Fall, dass jemand hereinschaute) nicht sofort zu entdecken war.

Seine Vorsicht war jedoch unbegründet.

Ganz offensichtlich hatte keiner der Aufseher mitbekommen, dass er verbotenerweise in diesen Raum geschlüpft war.

Hier ließ es sich aushalten.

In zwei Stunden würde das Heiligtum seine Pforten schließen. Dann war er ungestört und konnte zur Tat schreiten.

Wie überall in Aldanon gab es auch in Verim einen Götterschrein. Eine Reliquie, die das Ende eines Wallfahrtswegs markierte.

In diesem Fall handelte es sich um den Oberarmknochen eines Gottes, in dem noch der Zahn eines Drachen streckte. Ob der Knochen tatsächlich einst der Oberarm eines Gottes war, das war für Sorgun nicht beweisbar. Überhaupt gehörte er nicht zu den strenggläubigen Bewohnern von Aldanon. Andernfalls hätte er auch nie diese „Arbeit“ erledigen können.

Ihm fehlte einfach die Ehrfurcht. Die Priester hatten jedenfalls festgelegt, dass dies eine göttliche Reliquie war – einfach aus dem Grund, weil das seit Generationen so gehalten wurde.

Anders sah es mit dem Zahn aus. Sorgun sprach diesem Teil der Reliquie seine Echtheit nicht ab, denn er sah wirklich ... imposant aus. Er musste einem gewaltigen Tier gehört haben. Der Zahn war leicht gebogen und vorne spitz und scharf wie eine Degenklinge. Auf einer Seite besaß der Zahn eine von oben nach unten laufende Säge.

Sorgun konnte sich gut vorstellen, auf welche Weise das Tier seinen Zahn einsetzen konnte. Die Spitze drang in das Fleisch des gejagten Wildes ein und die Säge schnitt das Fleisch heraus, portionierte es sozusagen happengerecht.

Die Reliquie erfreute sich beim Volk großer Berühmtheit. Zusammen mit der Reliquie in Drakon in Königreich Veluan bildete sie einen der wesentlichen herzeigbaren Beweise für die Existenz der Götter und stand in seiner Verehrung etwa auf der gleichen Stufe wie die Heilige Kiki.

Sorgun übte den „Beruf“ eines Diebes aus.

Das Wort Beruf bedeutete in diesem Zusammenhang, dass er im Auftrag eines anderen tätig war. Seine eigentlichen Auftraggeber blieben in den meisten Fällen anonym und wickelten das Geschäft über Mittelsmänner ab. So verhielt es sich auch in diesem Fall, allerdings war sich Sorgun ziemlich sicher, wer in diesem Fall konkret den Befehl zum Diebstahl einer Reliquie gegeben hatte. Wenn er es nämlich recht bedachte, konnte mit dieser Reliquie niemand etwas anfangen, da allein schon die Bekanntheit es nicht zuließ, dass man damit etwas anderes anfangen konnte, als sie geheim im eigenen Schlafzimmer aufzustellen. Und wer besaß schon daran Interesse?

Nein, Sorgun tippte auf einen König, der damit einen bestimmten Zweck verfolgte. Und er tippte nicht nur auf einen König allgemein, sondern er hatte einen bestimmten Herrscher in Verdacht: Teldoras.

Was immer der damit genau vorhatte, er verfolgte einen Plan, der ganz Aldanon umfasste.

Mit diesen Gedankenspielen verging die Zeit, bis in der Reliquienhalle endlich Ruhe einkehrte.

Sorgun legte das Ohr vorsichtig an die Tür, hielt den Atem an und horchte.

Keine Stimmen oder andere Geräusche drangen mehr an sein Ohr. Die letzten Besucher hatten die Halle verlassen, und auch die Wächter und weiteren Aufpasser, die anscheinend jegliche Spuren der Besucher dieses Tages eilends beseitigt hatten.

Vorsichtshalber wartete er noch eine kurze Zeit lauschend ab, vorsichtige Atemzüge, nur um nichts zu überhören, was ihm vielleicht schaden könnte, aber da alles hinter der Tür still blieb, öffnete er sie vorsichtig ein ganz winzigen Spalt breit und spähte hindurch.

Dämmerlicht empfing ihn.

Das kam Sorgun recht, denn so konnte er im letzten Licht des Tages arbeiten, ohne sich womöglich durch künstliches Licht zu verraten.

Die beiden Knochen, die fest ineinandersteckten, befanden sich in einem verschlossen Glasschrein. Das war auch der Grund, weshalb er sich hatte verstecken müssen. Zwar wäre es ihm jederzeit möglich gewesen, den Schrein auch tagsüber einfach zu zerstören und die Reliquie zu greifen, aber lautlos wäre ihm das nicht geglückt.

Auch jetzt würde es ihm nicht glücken, unbehelligt die Halle zu verlassen, aber mehr als zwei Wächter brauchte er in den ersten Minuten nicht zu befürchten. Und gegen die getraute er sich zu, dass er gegen sie bestehen konnte.

Sorgun trug als Obergewand einen Umhang, der in einem leuchtenden Rot gehalten war. Eine Spange hielt den Umhang vor der Brust zusammen. Er war lang genug, um das Gewand, das er darunter trug, zu verbergen. Deshalb trug er den Umhang beim „Arbeiten“.

Den eigentlichen Diebstahl konnte er nun in Ruhe durchführen.

Die Reliquie ruhte auf einem erhöhten Podest. In rotem Samt ausgeschlagene drei Stufen liefen rund um den Sockel herum. Sorgun stieg bis oben hinauf.

Um seine rechte Hand hatte er ein dicht gewebtes Tuch geschlungen, das er dreifach gefaltet hatte. So sollte es ihm genügend Schutz bieten. In der linken Hand hielt er einen massiv aussehenden Knüppel, den er üblicherweise als Waffe an seinem Gürtel mittrug.

Mit diesem Knüppel schlug er jetzt zu, nachdem er sich noch einmal umgesehen und vergewissert hatte, dass er allein war.

Das Glas klirrte verräterisch und es brach in Scherben, die sich überall um ihn herum verteilten. In der Mitte der oberen Glasplatte prangte ein Loch, das groß genug war, dass er mit seiner rechten Hand auf den Grund greifen konnte.

Während er den Knüppel zurück an seinem Gürtel befestigte, horchte er angestrengt.

Richtig, er vernahm einen besorgten Schrei.

Dann griff seine rechte Hand bereits nach der Reliquie. Mit einem heftigen Ruck riss er sie in die Höhe. Die Reliquie war größer als das Loch, das er bereits geschlagen hatte, aber das fiel in diesem Fall nicht ins Gewicht, denn der Schwung, mit dem er den Knochen herausholte, zerstörte den Rest des Glashindernisses mühelos.

Hinter sich hörte er in einiger Entfernung erste Schritte.

Sorgun stieg die Treppen von dem Podest herab. Ein schneller Blick in die Runde ließ ihn tatsächlich bereits einen ersten Wächter erkennen.

So ein Tölpel!, dachte Sorgun innerlich schmunzelnd.

Der Wächter stand nämlich in der offenen Tür. Von seiner Seite aus logisch. Er hatte etwas im Inneren der Reliquienhalle vernommen und überzeugte sich nun davon, was eventuell vorgefallen war.

Sorgun lief direkt auf ihn zu. Eine bereits offene Tür war so viel wie ein Geschenk für ihn.

Der Wächter erblickte ihn in der gleichen Sekunde.

Aber er war, ohne es zu wissen, so sehr im Nachteil, dass er den Diebstahl nicht mehr verhindern konnte. Nachdem er das Geräusch gehört hatte, war seine erste Vermutung, dass in der Halle eines der Ausstellungsstücke zu Boden gefallen war. Für diese Vermutung benötigte er keine Waffe. Als er die schwere Eingangstüre geöffnet hatte, hielt er eine Hand an der Tür, damit sie nicht zufallen konnte, die andere Hand hielt er erhoben, um, wenn notwendig, nach etwas greifen zu können. Sie war leer. Außerdem trat er in einen dunkleren Raum. Die schlechte Sicht gereichte ihn zu einem weiteren Nachteil.

So blieb ihm nur ein lauter Warnruf, bis ihn Sorgun erreichte.

Sorgun kannte bei seiner Flucht kein Mitleid.

Als er den Wächter erreichte, stieß er ihn mit einem harten Fußtritt brutal zur Seite – und im nächsten Moment entschlüpfte er durch die offene Tür. Es begleitete ihn das panische Schreien der Wache. Eine Mischung aus Verwunderung, Schmerz, und – was blieb dem zusammengesackten Wächter anders übrig – wenigstens Alarm zu schlagen.

Gleich neben der Reliquienhalle stand die Unterkunft der anderen Wächter. Zwei von ihnen standen bereits vor der Tür und beobachteten ihren Kollegen, wie er zusammensackte und dann jemand an ihm vorbeischlüpfte. Sie zögerten nicht und handelten augenblicklich.

Sorgun überblickte die Situation in einer Sekunde, dann hatte er sich entschieden und sprintete los.

Weg von den Wachen. In genau die entgegengesetzte Richtung. Sein rot leuchtender Umhang wirkte wie ein Wegweiser. Die ersten beiden machten sich augenblicklich auf den Weg, und hinter ihnen quollen drei weitere Männer in atemberaubender Eile aus der Wachstube. Sie alle waren bewaffnet – schwer bewaffnet.

Sorgun lief um die erste Ecke. Er brauchte sich nicht zu orientieren. Er wusste, wo er sich befand. Als Meisterdieb hatte er gründlich vorgearbeitet.

Er besaß einen guten Vorsprung.

*


Alisi sah in ihrer Maskerade aus wie eine etwas rundliche Matrone, die nach der Geburt von mindestens zehn Kindern es nicht mehr für notwendig erachtete, diese Tatsache zu verbergen, was sich an ihren unförmigen Rundungen abzeichnete.

Gekleidet war sie einen grob gewebten Stoff, dessen Farbe nicht einmal mehr zu erahnen war. Der Stoff war an einigen Stellen bereits recht dünn, aufgeraut und schien sich auflösen zu wollen. Und was ihr Gesicht betraf, so sah sie aus wie eine alte, von der kräftezehrenden Arbeit gekennzeichnete Frau.

Sie stand neben ihrem Eselskarren.

Das Tier war Gott sei Dank so gut trainiert, dass es einfach still stehen blieb, solange es nicht angetrieben wurde. Erreicht hatte Alisi dies dadurch, dass das Tier stets ein so unmenschliches Gewicht ziehen musste, dass es freiwillig keinen Schritt mehr tat als nötig war. Jetzt, bei einem Einsatz, zog das Tier einen nahezu leeren Wagen, aber das wusste es nicht.

Stroh lag auf der Ladefläche und bildete einen weichen Untergrund. Über den Großteil der Fläche war eine Decke gelegt, die nur einen kleinen Teil freiließ.

Die Tappen von laufenden Schritten warnte sie rechtzeitig.

Sie machte sich bereit.

Da kam Sorgun bereits um die Ecke gesaust. Im Laufen warf er Alisi die Reliquie zu. Geschickt fing die Frau sie auf und legte sie auf den Wagen. Im nächsten Augenblick zog sie die Decke über den geraubten Gegenstand.

Dann zeterte sie los und lief zu ihrem Esel. Sie hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als die Wächter um die Ecke bogen.

Alisi stand ihnen im Weg und versuchte gleichzeitig den Esel dazu zu bringen, dass er die Straße blockierte.

„Der Wahnsinnige ist dort ...“, rief sie und deutete geradeaus. Es brachte nichts, die Wächter täuschen zu wollen. Hier gab es keine Möglichkeit, anders als geradeaus zu laufen.

Einer schubste sie beiseite, machte den Weg für die anderen frei. Alisi kam nicht einmal dazu, den Satz zu Ende zu sprechen. Die Wächter bedachten nicht eine Sekunde, dass Alisi etwas anderes sein könnte als eine Frau, die ihren leeren Wagen nach Hause bringen wollte.

Glück gehabt!, schoss es ihr in den Sinn. Tatsächlich, so leicht hatte sie es sich nicht vorgestellt.

Ein Eselskarren gehörte nicht zu den schnellsten Fuhrwerken. Niemand, der auch nur über etwas Verstand verfügte, würde einen Eselskarren als Fluchtwagen benutzen. So mussten die Gedanken der Wächter gegangen sein, sofern sie daran überhaupt eine Überlegung verschwendeten.

Nun, Alisi war das nur recht.

Sie griff in das Geschirr und schritt neben dem Esel in aller Seelenruhe durch die Straßen. Das Tier folgte ihr diesmal willig, heilfroh, nur ein geringes Gewicht schleppen zu müssen.

Alisi blieb nicht lange auf dieser Straße. Im rechten Winkel bog sie aus dem Bezirk heraus und schlug die Richtung zur Überlandstraße ein.

*


Als sich Sorgun das erste Mal außer Sicht wähnte, tat er zwei Dinge gleichzeitig. Er entledigte sich seines Umhanges. Die Spange war schnell geöffnet. Jetzt zeigte es sich, dass der Umhang lediglich als modischer Schnickschnack gedient hatte, denn der Stoff war extrem dünn. Aber Sorgun konnte ihn im Laufen ganz klein zusammenfalten.

Bevor die Wächter um die Kurve bogen, hatte er den Umhang in ein offenes Fenster geworfen und war ein paar Meter weitergelaufen, dann hielt er plötzlich an und warf sich auf den Boden.

Gleichzeitig begann er wild zu schreien und fuchtelte mit seinen Armen wild in der Luft herum, wie jemand, der wütend hinter einem rücksichtslosen Rüpel her jammerte.

So stießen die ersten Wächter auf ihn.

„Fasst den Gauner!“, schrie Sorgun und erhob sich auf die Knie. Fast hilfesuchend hielt er den Wächtern seine Hand entgegen.

„Aus dem Weg!“, rief der Erste von ihnen und versetzte Sorgun sogar einen Tritt, dass er wieder zurückfiel.

„Wo ist er hin?“, fragte der Nächste, während der Erste bereits weiterlief. Voraus gab es eine Kreuzung, der Weg gabelte sich in zusätzliche zwei Richtungen.

Sorgun deutete einfach geradeaus. „Er lief einfach in mich!“, würgte er wütend hervor. „Was hat er denn angestellt?“

„Er ist ein Dieb!“, rief der Dritte.

Sorgun machte ein überraschtes Gesicht, dann tastete er mit seiner Hand an seine Brust, als müsste er den Inhalt seiner Taschen untersuchen.

Der zweite Wächter sah ihn interessiert an. Das Tasten offenbarte ihm, dass unter dem Gewand keineswegs die Reliquie versteckt sein konnte.

Er war sicher, dass der Dieb sich nicht vor ihm befand. Er winkte dem anderen, dann liefen sie dem ersten Wächter hinterher, der bereits ein Stück weit vorauslief.

Sorgun blieb noch einen Augenblick auf der Straße sitzen, ehe er sich erhob. Dann ging er ruhig den Weg zurück, den er in der anderen Richtung in einem wesentlich schnelleren Tempo zurückgelegt hatte. Aber nur, bis er um die Ecke bog.

Danach lief er den Weg zurück und immer weiter, bis er in jene Straße einbog, die auch Alisi genommen hatte.

*


Am Abend saßen sie in ihrem Quartier. Es war nicht mehr als eine baufällige Hütte, aber sie hatten sie billig als Unterkunft für mehrere Tage mieten können.

Alisi entledigte sich ihrer Maskerade. Zuallererst stieg sie aus dem schäbigen Gewand und löste mit Befriedigung den ausgestopften Gürtel, der ihr zu ihrer fülligen Figur verholfen hatte. Im Anschluss entfernte sie die Schminke, die neben dem Gewand für ihr Alter gesorgt hatte.

Nur gut eine halbe Stunde später trat eine flott aussehende attraktive Amazone vor das Haus. Jetzt war sie in ein braunes Wildledergewand gekleidet, das eng um ihren Oberkörper lag und am Halsausschnitt mit einem dünnen Lederband enger geschlossen werden konnte.

Momentan trug sie das Oberteil offen und ließ den Blick bis zum Ansatz der üppigen Brüste zu. Sorguns Augen richteten sich zumindest mit Wohlgefallen auf sie. Die bloßen Oberarme schmückten mehrere Armreifen, die hell aufklangen, wenn sie aufeinander stießen.

Das Oberteil reichte bis zur Hüfte. Darunter trug sie eine ebenfalls braune Wildlederhose, die in Stiefeln steckte, die bis zur Hälfte des Schienbeins reichten. Ein breiter Gürtel komplettierte ihr Gewand. Mehrere Schlaufen im Gürtel hielten drei Wurfmesser sowie ein Kurzschwert.

Sie sah wehrhaft aus. Ein Weib, mit dem man sich nicht ungestraft anlegte.

Sorgun stand ihr in dieser Beziehung in nichts nach. Er hatte sich nicht umgezogen, allerdings zierten seinen Gürtel jetzt ebenfalls Waffen, ein Breitschwert, eine Kampfaxt, die auch zum Brennholz-Machen Verwendung fand, und das unverzichtbare Messer, das er im Nahkampf benötigte. Selbstverständlich befand sich auch noch die Keule an seinem Gürtel. Diese Vielzahl an Waffen brachte es mit sich, dass er seinen Gürtel nicht umgeschnallt trug, sondern ihn locker in der Hand hielt. Als er auf den Hof vor der Hütte trat, hängte er den Gürtel an einen Haken, der gleich neben der Tür in der Wand steckte.

„Ich könnte Gefallen an dieser Art von Arbeit finden“, sagte Alisi zu Sorgun, die sich zu ihm hinwandte, als er aus dem Haus trat. „Ich habe es mir nicht so einfach vorgestellt.“

„Das war jetzt die erste Reliquie“, warnte Sorgun. „Bislang haben sie nicht damit gerechnet, dass es jemand darauf abgesehen haben könnte, sie zu stehlen. Ab jetzt werden sie besser achtgeben.“

„Wegen eines Einzelfalls? Ich wette, auch der nächste Diebstahl geht noch problemlos.“

„Die Frauen passen bestimmt höllisch auf!“, warnte Sorgun.

„Pah, Frauen! Diese Frauen!“, rief Alisi abschätzig. „Vor lauter heiliger Fürsorge für die Kleinen Drachen kommen sie nicht einmal dazu, eine ordentliche Kampfausbildung zu absolvieren.“

„Du musst sie ja kennen, deine Geschlechtsgenossinnen“, murrte Sorgun.

„Eben. Und deshalb bin ich in Drakor die Diebin und du der Aufpasser.“

„Still! Da kommt jemand!“, rief Sorgun und hielt seinen Zeigefinger quer über den Mund. Dann verließ er den Innenhof und trat um das Eck der Hütte und tat dort einige weitere Schritte, bis er freie Sicht hatte.

Von der Straße führte ein Weg zu der Hütte, der kaum mehr auszumachen war. Man musste schon wissen, dass es hier einen Weg gab, um ihn zu erkennen. Ein Wagen, etwas größer als der Eselskarren, den Alisi benutzt hatte, kam darauf auf das Haus zu.

Auf dem Kutschbock saß eine in bunte Gewänder gehüllte Gestalt, die laut sang, hauptsächlich falsch, wie Sorgun feststellte, aber voller Inbrunst.

Sorgun kannte Hirhing bislang nicht, aber der Beschreibung nach musste es sich um den fahrenden Händler handeln.

„Schaut so aus, als komme ich zur richtigen Zeit!“, rief er erfreut und ließ diesem Ausspruch ein tremolierendes Pfeifen folgen.

„Wenn du Hirhing bist, hast du dein Ziel erreicht.“

„Der bin ich. Bei dir fällt mir die Wahl nicht schwer. Nach Alisi schaust du eigentlich nicht aus, denn die soll zumindest ansehbar sein, was man von dir nicht behaupten kann. Ich schätze, du bist Sorgun.“

„Achte ein wenig auf deine Wortwahl“, rief in diesem Augenblick Alisi. „Ich falle auch nicht gerade in Entzücken bei deinem Anblick.“

„Warte ab, bis ich meine Reisekleidung abgelegt habe“, schwärmte Hirhing der Frau vor und stellte sich in eine günstige Position, gleich nachdem er vom Kutschbock gestiegen war.

„Mein Bedarf an nackten Männern ist gedeckt!“, warnte Alisi. „Sag lieber, was du willst.“

„Oh, ich sehe die Sache umgekehrt, schöne Frau. Nicht ich will etwas, Ihr seid es, die etwas brauchen.“ Er schlug seine Augen nieder und sagte ganz bescheiden: „Ich nehme nur etwas Geld entgegen für den Auftrag, den ich für Euch ausführen soll.“

„Du bist Hirhing, der fahrende Händler“, stellte Sorgun fest. „Du bist mir wärmstens empfohlen worden, um nicht zu sagen, du bist mir aufgezwungen worden. Du sollst ein Kleinod an eine bestimmte Adresse liefern, die nicht einmal mir bekannt ist, dir aber, wie ich annehme, sehr wohl. Und dort wirst du auch bezahlt werden.“

„Habt Mitleid mit einem armen Fahrenden. Den ganzen Tag sitze ich auf dem Kutschbock und überlege, wie ich meine Daheimgebliebenen ernähren kann.“

„Dass ich nicht lache!“, rief Alisi. „Wenn dir das Sitzen zu viel ist, dann steig hie und da ab und laufe neben deinem erbarmungswürdigen Gaul. Da muss er nicht ständig dein Gewicht zusätzlich zu der Last auf deinem Wagen ziehen.“

„Du bist mitleidslos. Man hat mich bereits gewarnt, dass die Frauen von Veluan herzlose Amazonen sind, besonders wenn sie es mit Männern zu tun haben.“

„Genug des Geplänkels. Je früher du dich auf den Weg machst, desto eher können auch wir von hier verschwinden.“

Hirhing umrundete den Wagen und öffnete die Abdeckung der Ladefläche. Ein Sammelsurium der verschiedensten Gegenstände lag kreuz und quer auf der Pritsche. Ohne jegliche Sorgfalt schuf Hirhing einen freien Platz, indem er die Gegenstände einfach aufeinander türmte und beiseite schob. Dann polsterte er den Boden mit trockenem Stroh aus.

„Bring das Ding her!“, befahl er. Er vermied es, die Reliquie beim Namen zu nennen und auch Sorgun sprach nur mehr von dem Ding. Anschließend deckte er es sorgfältig mit Stroh ab. Und sehr zur Verwunderung von Sorgun und Alisi brachte er danach die vorher so achtlos beiseite geschobenen Gegenstände in eine geordnete Lage neben die Reliquie, so dass sie nicht mehr verrutschen konnte.

„Euren Gesichtern sehe ich an, dass ich diesmal Zustimmung finde“, sagte er. „Äh, seid Ihr sicher, dass Ihr mich nicht zum Abendessen einladen wollt?“

„Verschwinde!“, rief Alisi und blickte Hirhing durchdringend an. Sie machte dabei einen mürrischen Gesichtsausdruck.

Der schien diese Art der Behandlung gewohnt zu sein, denn man sah ihm keinen Gram über diese unwürdige Behandlung an.

Er stieg auf seinen Kutschbock und nahm die Zügel in die Hand, dann blickte er die beiden nochmals abschätzend an.

„Ich hoffe, ich treffe Euch in drei Wochen lebend in Drakor an.“

Die Mauer der Götter 3: Drachen-Gifthauch

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