Читать книгу Killer ohne Gnade: Ein Jesse Trevellian Thriller - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 5
Teil 3
ОглавлениеMit großem Getöse öffnete sich das Tor der Lagerhalle wieder.
Metall schabte auf Metall. Ein durchdringender Laut, der etwas Sägendes hatte. Ich hatte den Hebel schnell gefunden, mit dem die Anlage in Gang zu setzen war.
Milo stand mit dem Handy in der Hand da und klappte das Gerät gerade zusammen.
"Alles in bester Ordnung", sagte ich, während ich den Mann aus der Halle führte.
Milo nickte.
"Es wird gleich Verstärkung anrücken..."
"Gut, dann brauchen wir diesen Gentleman nicht selbst ins Hauptquartier bringen."
Ich hatte die P226 wieder ins Gürtelhalfter gesteckt. In der Linken hielt ich mit einem Taschentuch die Waffe des Bärtigen.
"Was hältst du davon?", fragte ich Milo.
"Sieht aus, wäre jemandem die Standardversion dieser Waffe nicht gut genug gewesen."
"So sehe ich das auch. Laserzielerfassung, ein hochpräzises Fernrohr und der verlängerte Lauf... Eine Waffe, die auch über weite Distanzen eine Zielgenauigkeit haben dürfte, wie sie sonst nur ein Gewehr bietet!"
"Ja, aber das Ding ist nicht so groß und sperrig." Milo nickte und fügte dann hinzu: "Die Waffe eines Attentäters..."
"Ich habe damit nichts zu tun!", rief indessen der Festgenommene.
"Ach, nein?", fragte ich. "Wovon sprechen wir denn?"
Irgendwie schien er zu merken, dass er sich verplappert hatte oder zumindest auf bestem Wege dahin war. Er schluckte, sah mich nachdenklich an und versuchte abzuschätzen, wie er sich jetzt am besten zu verhalten hatte.
"Na, von diesem Schauspieler. Oder?", meinte er.
"Wie kommen Sie darauf?", hakte ich nach.
"Steht doch in jeder Zeitung, was mit John Mariano, dem Bestienkiller passiert ist... Bumm und aus!"
Ich bedachte ihn mit einem kühlen, durchdringenden Blick.
"Wer sind Sie?", fragte ich.
"Ich habe das Recht, die Aussage zu verweigern", sagte er.
"Sicher haben Sie das, aber es die Frage, ob es schlau ist, von diesem Recht ausgerechnet jetzt Gebrauch zu machen..."
"Warum sollte das unklug sein?"
Ich trat nahe an ihn heran und hielt ihm die Waffe unter die Nase, mit der er vor wenigen Augenblicken noch auf mich geschossen hatte. "Wir werde dieses Ding von unseren Spezialisten genauestens auseinandernehmen und untersuchen lassen. Jede Schraube und jeden Bolzen einzelnen. Und am Ende werden wir wissen, ob mit dieser Waffe vielleicht einige Morde begangen wurden. Und was glauben Sie wohl, auf welchen Gedanken wir und die Staatsanwälte kommen, wenn wir berücksichtigen, dass diese Waffe bei Ihnen gefunden wurde?"
Der Mann schluckte.
"Ich habe niemanden umgebracht!"
"Das mag sein. Aber wenn Sie uns jetzt erzählen, wie Sie an das Ding herangekommen sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das auf uns überzeugend wirkt, noch beträchtlich größer, als wenn Sie damit erst so lange warten, bis alle Beweise vor Ihnen auf dem Tisch liegen und Ihnen ein Richter dann die Rechnung präsentiert... Und was Ihren Namen und Ihre Personalien angeht, die bekommen wir auch ohne Ihre Hilfe heraus. Dauert nur ein bisschen länger. Aber das bedeutet nur, dass wir Sie länger festhalten müssen..."
Und Milo ergänzte: "Sie sollten nicht mit uns pokern. Nicht bei dem miesen Blatt, das Sie haben..."
Der Mann sah erst mich, dann Milo einen Augenblick lang nachdenklich an. Er schluckte. Sein Gesicht wirkte finster.
Dann brummte er: "Leo Mendrowsky."
"Was?", fragte ich.
"Mein Name. Ich heiße Leo Mendrowsky."
"Haben Sie Papiere?"
"Nein."
"Und was machen Sie hier?"
"Ich wohne hier", sagte er. "Naja, wenn das der richtige Ausdruck ist. Ich bin obdachlos."
"Und woher haben Sie die Waffe?"
"Ich habe sie...", er zögerte, "...gefunden."
*
Wenig später war die Verstärkung am Ort des Geschehens eingetroffen, die Milo herbeigerufen hatte. Uniformierte Beamte der City Police und außerdem eine Handvoll von unseren Leuten. Orry und Clive Caravaggio waren auch darunter.
Frank Jackson, der Regisseur des letzten und nicht mehr vollendeten Bestienkiller-Movies hatte zusammen mit seinem Script Girl Rita beobachtet, was sich um die Lagerhalle herum abgespielt hatte.
"Ich erkenne den Mann wieder", sagte Jackson.
"Sind Sie sich sicher?", hakte ich nach.
"Absolut. Ich bin ihm das erste Mal begegnet, als ich mit Ray Karla, dem Executive Producer über das Gelände ging, um es dahingehend zu prüfen, ob es als Schauplatz für den Bestienkiller in Frage kommt. John Mariano war auch dabei. Das hat er sich nie nehmen lassen. Er wollte immer alle Fäden in der Hand halten..."
"Erzählen Sie mir mehr darüber, wie Sie Mr. Mendrowsky begegnet sind", forderte ich.
"Richtig. Mendrowsky war sein Name. Ich konnte ihn mir nicht merken." Jackson zuckte die Achseln. "Kann auch nicht jeder so einen Allerweltsnamen wie ich haben..." Er fand das lustig. Aber die einzige, die darüber etwas giggeln konnte, war Rita. Jackson sah mich an. "Er tauchte plötzlich aus einem der Häuser auf, in dem er wohl sein Lager aufgeschlagen hatte. Ich wollte ihn erst vom Gelände schmeißen, aber das wollte Mariano nicht. Johnny hatte immer ein sentimentales Herz für Underdogs..." Jackson wandte den Blick in Mendrowskys Richtung und sagte: "Sorry!"
"Schon gut", erwiderte der Bärtige. "Es ist ja schließlich wahr. Ein Glückskind bin ich nicht grade..."
Jackson wandte sich wieder mir zu. Er strich sich das Haar nach hinten und ich hatte den Eindruck, dass das bei ihm eine Geste der Verlegenheit war. Schließlich fuhr er fort: "Johnny erlaubte Mr. Mendrowsky, auch während des Drehs hier auf dem Gelände zu bleiben. Nur nicht gerade da, wo wir etwas in die Luft sprengen wollten."
Ich wandte mich an Mendrowsky.
"Sie haben bei den Arbeiten zum neuen Bestienkiller-Film zugesehen?"
"Ja. Hin und wieder."
"Haben Sie gesehen, wie auf Mariano geschossen wurde?"
Mendrowsky schluckte.
Er druckste etwas herum und ich fragte mich, warum eigentlich. Er hatte doch nichts zu verlieren. Keiner glaubte, dass er der Killer war. Er hatte kein Motiv und auch nicht die nötigen Schießfertigkeiten. Im Moment gaben wir ihm eine Vorlage nach der anderen zu seiner Entlastung.
Eigentlich hätte es aus Leo Mendrowsky heraussprudeln müssen wie bei einem Wasserfall. Aber er blieb noch immer sehr zurückhaltend.
Mein Instinkt sagte mir, daß es dafür einen Grund geben musste.
"Ich zeige es Ihnen", sagte er dann.
"Okay", nickte ich.
Er hob die mit Handschellen zusammengeketteten Hände.
"Glauben Sie, das die wirklich nötig sind?"
"Sie haben gerade noch auf uns geschossen", stellte Milo fest. "Ist noch gar nicht so lange her...."
"Das war doch nur, weil..."
"Warum?", hakte ich sofort nach. Unsere Blicke begegneten sich. Er taxierte mich ab und biss sich auf die aufgesprungene Lippe. "Nichts", knurrte er.
"Für wen haben Sie uns gehalten?", beharrte ich.
Er schluckte.
"Für welche von denen..."
"Wer sind die?"
"Die zu dem Mann gehören, den ich gesehen habe. Ich hatte gedacht, Sie machen kurzen Prozess mit mir!"
*
Ich nahm Mendrowsky die Handschellen ab. Sofern er nicht die umgebaute Automatik in den Fingern hatte, wirkte er auf mich wenig furchteinflößend. Wir ließen uns von ihm in jenes Gebäude führen, von dessen Dach aus John Mariano getötet worden war. Außer Milo und mir begleiteten uns auch die Agenten Medina und Dillagio.
Wir betraten einen hässlichen Quader, schnell hochgezogen, um Büro und Lagerräume zu bieten. Jetzt eine Ruine. Es sah ebenso kahl und leergeplündert aus wie die anderen Gebäude auch. Nur hatte man hier noch keine Sprengungen und pyrotechnischen Tricks im Rahmen der Dreharbeiten eines Action-Reißers vorgenommen. Und so machte der Klotz einen verhältnismäßig wohnlichen Eindruck. Dazu kam, dass fast durchgängig die Fenster noch intakt waren.
Dafür hatte man von dieser Seite des Gebäudes aus noch nicht einmal freie Sicht auf den East River und die Silhouette von Downtown Manhattan, auf der anderen Seite dieser Meeresbucht, die seltsamerweise als "River" in allen Atlanten steht, seit irgendwer auf die glorreiche Idee kam, sie so zu nennen.
Mendrowsky zeigte uns sein Lager, das er in einem großflächigen Raum im dritten Stock aufgeschlagen hatte. Man hatte aus den Fenstern heraus eine hervorragende Sicht auf jene Stelle, an der John Mariano ermordet worden war.
Die weiße Markierung der Umrisse war von hier oben aus gut zu sehen.
In einer Ecke lagen Mendrowskys Habseligkeiten. Ein Schlafsack, ein Spirituskocher, ein paar Kartons.
"Ich war hier am Fenster", sagte er. "Und ich habe nach draußen geblickt... Mein Gott, all die Explosionen und das Theater. Und dann merkte ich plötzlich, dass etwas nicht stimmte. Mariano sank zu Boden, obwohl er doch eigentlich immer der Gewinner in den Streifen ist!" Mendrowsky grinste schief. Er kratzte sich am Hinterkopf und deutete dann in Richtung der offenen Tür, durch die man in den Flur sehen konnte.
"Was geschah dann?", fragte ich.
"Ich hörte Schritte. Jemand rannte den Flur entlang. Ich war neugierig und schaute nach. Wenig später erreichte ich das Treppenhaus und sah hinab."
"Und?"
"Da war er."
"Er?"
"Ich habe ihn leider nur von hinten gesehen. Er rannte in Riesenschritten nach unten. So, als ob der Teufel hinter ihm her gewesen wäre..."
"Haben Sie ihn angesprochen?"
"Bin ich verrückt? Ich fand die Waffe. Er hatte sie einfach von sich geschleudert. Wahrscheinlich fürchtete der Kerl, dass die Sicherheitskräfte, die da unten tätig waren, ihn nicht vom Gelände lassen würden, ohne ihn gründlich zu durchsuchen. Aber die verloren schon in den ersten Momenten völlig die Kontrolle. Da lief nichts mehr geordnet zusammen, sag ich Ihnen, Sir. Ein einziges Chaos war das..."
"Wohin ist der Kerl verschwunden?"
"Ich habe ihn nicht mehr gesehen."
Jetzt mischte sich Milo ein. "Können Sie sich an irgendwelche Einzelheiten erinnern? Welche Haarfarbe hatte er zum Beispiel? Alter? Kleidung?"
Mendrowsky sah ihn etwas überrascht an. Er zuckte die Schultern. "Er war schwarzhaarig", erklärte er. "Und ich glaube, er trug eine Lederjacke..."
"Welche Farbe?"
"Braun - glaube ich. Irgendwie dunkel jedenfalls. Meine Güte, das ging alles so schnell..."
"Und die Pistole haben Sie mitgenommen..."
"Ja, ich bin mit Sack und Pack eine Weile hier ausgezogen, als die Polizei hier alles durchsucht hat. Eigentlich dachte ich, dass das alles längst vorbei wäre - das ganze Theater. Deswegen war ich auch so misstrauisch Ihnen gegenüber." Er atmete tief durch. "Ich dachte wirklich, Sie wären gekommen, um mich über den Jordan zu schicken..."
Milo und ich wechselten einen Blick miteinander.
Mein Partner zuckte die Achseln.
"Wir werden Sie mit ins Hauptquartier nehmen und dort ein ausführliches Protokoll von Ihrer Aussage machen", erklärte ich dann.
Mendrowsky nickte langsam.
Er nahm das hin, wie ein notwendiges Übel. Etwas, das man wie ein Gewitter über sich hinwegziehen lässt. Er beschwerte sich noch nicht einmal darüber.
Er verbirgt etwas, dachte ich. Ich konnte nicht sagen, was genau mich in diesem Augenblick zu dieser intuitiven Erkenntnis brachte. Vielleicht die Tatsache, dass Mendrowskys Erinnerungsvermögen manchmal ganz exakt und manchmal seltsam ungenau zu funktionieren schien...
"Eine Frage noch", sagte ich, als Orry ihn schon abführen wollte.
Mendrowsky drehte sich zu mir herum.
"Ja?"
Seine unruhigen Augen schienen nervös zu flackern.
"Was wollten Sie mit der Pistole?"
"Die Lebenserwartung von unsereinem ist nicht besonders hoch, Mr. Trevellian... Einige sterben an der verdammten Kälte im Winter - andere werden einfach erschlagen. Ich dachte mir, mit so einem Ding kann man sich ein bisschen Respekt verschaffen. Vielleicht hätte ich sie auch verkauft."
"Verstehe..."
"Ich glaube nicht, dass Sie das können... Ihresgleichen ist doch mit einem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen!"
Er wollte jetzt ablenken, aber ich hatte keine Lust, das zuzulassen. Mochte das Schicksal diesen Mann auch hart geschlagen haben, er war Zeuge eines Mordes. Und dazu ein Zeuge, von dem ich das Gefühl hatte, dass er mich in ein paar bestimmten Punkten anlog...
"Mr. Mendrowsky..."
"Warum so feierlich, G-man?", grinste er mich schief an und kicherte.
"...wieso kommen Sie eigentlich auf die Idee, dass der Killer oder seine Leute es auf Sie abgesehen haben könnten?"
"Naja, ich meine..." Er wurde ganz bleich.
"Das ergäbe nur einen Sinn, wenn Sie und der Killer sich gesehen hätten..."
Ich trat nahe an ihn heran. Ich spürte seine Unsicherheit förmlich. "Hat er sich vielleicht doch umgedreht, im Treppenhaus. Wenn auch nur für einen kurzen Moment..."
"Ich weiß es nicht!", fauchte er.
"Das wissen Sie sehr gut!"
"Was wollen Sie eigentlich? Dass ich mir irgendein Gesicht ausdenke oder was?" Er war dunkelrot angelaufen.
Milo legte mir eine Hand auf die Schulter.
"Lass es gut sein, Jesse", riet er mir. Ich atmete einmal tief durch. Milo hatte recht. Mit dem Kopf durch die Wand ging es hier nicht weiter.
Andererseits war es ein verflucht unangenehmes Gefühl, wenn man glaubte, ganz dicht an etwas sehr Entscheidendem dran zu sein und dann plötzlich vor einer Mauer zu stehen.
*