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Die Trennung

Lukas, ein Wiener Künstler, realisierte während zwei Wochen in der Kulturgarage, einem Kulturlokal einer Kleinstadt im schweizerischen Mittelland, eine Rauminstallation. Robert besuchte und verfolgte ihn wiederholt bei seiner Arbeit. Er sollte an der Vernissage der Ausstellung sprechen. Verzweifelt suchte er Zugang zu Lukas’ Werk. Monochrom gehaltene Farbflächen auf Leinwänden nahmen die Wand in Besitz, dazwischen direkt auf die Wand Gekritzeltes, nichts Lesbares, erste Gestaltungsversuche von Kleinkindern, die Phase vor den Strichmännchen, vor den Kopffüsslern. „Wienerwand“ nannte Lukas sein Kunstwerk.

„Jetzt bleibt aber nicht mehr viel Zeit.“ „Ich bin fertig“, meinte Lukas am Vorabend der Vernissage und liess Robert allein. Er wolle schnell etwas essen gehen, er komme in einer Stunde zurück, murmelte er beim Verlassen des Raums.

Da stand Robert nun allein vor einem Kunstwerk, das ihn nicht überzeugte. Wie sollte er über dieses Kunstwerk sprechen, was sollte er sagen? Bislang war ihm nichts dazu eingefallen. Es war nicht seine erste Vernissagenansprache. Er wurde hin und wieder angefragt, an Ausstellungseröffnungen zu sprechen. Die Leute hörten ihm gerne zu. Sie versicherten ihm immer wieder, dass sie nach seinen Ausführungen einen besseren Zugang, eine tiefere Auseinandersetzung mit den Werken der Kunstschaffenden hätten. Dieses Mal würde ihm das nicht gelingen, befürchtete er. Er näherte sich den drei kleinen Leinwänden. Als hätte ein Kind in der Analphase mit Fäkalien die Wand verschmiert, kam es ihm vor, der gestische Duktus, Spuren von mit Fingern aufgetragener Farbe, kein konkretes Motiv war erkennbar. Ein schokoladenähnliches Braun, ein senffarbenes Ocker, Rot, das an Blutwurst erinnerte. Was für Farben. Ratlos, sprachlos ging Robert wie eine Raubkatze im Käfig von links nach rechts, von rechts nach links, hin und zurück, hin und her.

Die Bilder betrachteten ihn. Er erwiderte unerschrocken den Blick. Nichts schützte ihn vor dem sich anbahnenden Konflikt mit dem Künstler. Das Gekritzel, die verschiedenen Farbflächen machten ihn wütend. Die Farbflächen, in sich ruhend an der Wand hängend, berührten ihn nicht. Was sollte das. Ob ihm ein Exkurs in die Kunstgeschichte weiterhelfen würde? – Vermutlich schon, denn letztlich hatte alle Kunst ihren Ursprung in der Höhlenmalerei. Die malten wenigstens Tiere, Hirsche, Bisons, abstrakte Menschen Gestalten, Szenen, die ein Ritual vermuten liessen, eine Jagd. Aber Lukas. Das Einzige, was seine Wienerwand mit der Höhlenmalerei verband, war, dass neben den einfarbigen Leinwänden das Gekritzel direkt auf die Wand aufgetragen war und die Farben an Blut und Kohle erinnerten, an das Material der Höhlenmaler, das Narrative, die Geschichte, ein Ritual; der eigentliche Sinn aber fehlte. Robert ärgerte sich über seine Eitelkeit. Warum hatte er zugesagt? Warum hatte er dieses Risiko auf sich genommen? Warum hatte er sich nicht vorgängig vertieft mit dem Schaffen von Lukas auseinandergesetzt? Er hatte ihrem gemeinsamen Freund Daniel vertraut. Dieser hatte Lukas eingeladen. Die Rauminstallation war Bestandteil der Firmenjubiläumsfeier des Architekturateliers R und Z. Daniel war leitender Mitarbeiter, gestaltender Architekt.

Er hatte Lukas bei seinem Studienaufenthalt in Wien kennengelernt. Sie besuchten einander seitdem regelmässig gegenseitig. Daniel mochte Lukas’ Schaffen. Obwohl er nie sagen konnte, was ihm an dessen Werken besonders gefiel.

Das hatte Robert jetzt davon. Seine Verzweiflung wuchs. Die Höhlenmalerei hatte ihm nicht weitergeholfen. Vielleicht versuchte er es mit dem abstrakten Expressionismus. Er bemühte sich, Künstlernamen, Bilder, Epochen auf seiner Festplatte abzurufen. Das blutwurstrote Bild erinnerte ihn an einen Farbklang, den er auf einem Bild von Rothko gesehen zu haben glaubte. In der Ausstellung in Basel. In Riehen im Museum Beyeler. Eine blutwurstrote Fläche schwebte dort auf einem warmen Grauton über einem dunkelbraunen Rechteck. Auch Jackson Pollock kam ihm in den Sinn. Der ungestüme Duktus beim Auftrag der Farbflächen, das Gekritzel auf der Wand erinnerten ihn an dessen Werk. Aber nein. So konnte er sich nicht aus der Affäre ziehen. Lukas war weder ein Rothko noch ein Pollock noch irgendein amerikanischer abstrakter Expressionist. Lukas war Wiener. Robert stand vor einer Wienerwand. Ein Plagiat war es nicht. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, er fand einfach keinen Zugang zu diesem Werk. Das ärgerte ihn. Diese Tatsache berührte ihn, nicht das Werk. Bis jetzt hatten ihm Kunstwerke gefallen oder nicht, geärgert aber hatten sie ihn noch nie. Er hoffte auf das Gespräch mit dem Künstler.

Lukas kam mit Daniel zurück. Jeder hatte eine Flasche Rotwein unter dem Arm. Das wird eine lange Nacht. „Gefallen dir meine Bilder?“ „Für mich ist es eine Installation.“ Lukas spürte Roberts Unsicherheit. Ob ihm halt dann die Installation gefalle, insistierte er. Robert wand sich. Er wusste, Lukas konnte er mit einer Notlüge nicht täuschen. „Sie ärgert mich, deine Arbeit.“

Daniel beobachtete sie. Lukas schwieg. Sie setzten sich an einen Tisch. Daniel öffnete eine Weinflasche, holte drei Gläser und füllte sie. Sie prosteten sich zu, tranken einen Schluck, einen zweiten. Lukas nahm das Gespräch wieder auf.

„Was ärgert dich an meiner Installation? So hat noch nie jemand auf meine Arbeit reagiert.“ Robert schilderte seine Gemütslage, die sich bei ihm während Lukas’ Abwesenheit in der Auseinandersetzung mit seiner Arbeit eingestellt hatte. Zwischen den Sätzen nahm er immer wieder einen Schluck Wein. Bald öffneten sie die zweite Flasche. Der Wein schmeckte. Die Zungen lockerten sich. Robert erzählte Lukas, wie er sich mit der Höhlenmalerei Zugang zu seinem Werk habe verschaffen wollen, mit den abstrakten Expressionisten, mit der Kunstgeschichte.

Daniel hörte aufmerksam zu. Sein Gesicht zeigte keine Regung. Robert meinte in Daniels Blick eine Spur Angst ausmachen zu können. Daniel hasste Konflikte. Er kannte Lukas. Seine emotionalen Ausbrüche. Weit schien Lukas nicht von einer dieser Gefühlseruptionen zu sein.

„Wenn du über meine Kunst sprechen willst, musst du dich mit meiner Kunst und nicht mit der Höhlenmalerei auseinandersetzen.“ Lukas hatte seine Stimme leicht gehoben. Robert blieb unerschrocken. Dass er gerade weil er sich mit Lukas’ Kunst ernsthaft auseinandergesetzt habe, zur Höhlenmalerei gekommen sei. Lukas lenkte ein.

Er erzählte von seinem Besuch der Höhlen von Lascaux: „Hast du sie auch besucht?“ „Nein.“ „Wie willst du dann über die Höhlenmalerei sprechen, wenn du gar nie echte Höhlenmalerei gesehen hast? Abbildungen können kein Bild der Wirklichkeit, der Originale vermitteln.“ Er glaubte, Robert als oberflächlichen Theoretiker entlarvt zu haben. „Ich habe zwar die Höhlen von Lascaux nicht besucht, wohl aber kenne ich die Höhlen von Altamira im Norden Spaniens.“

Robert erzählte vom mühevollen Abstieg durch eine schmale, in den Stein gehauene Treppe. Von der Dunkelheit. Von der Angst. Von der Klaustrophobie. Erst als er die erdfarbenen, rotbraunen und schwarzen Zeichnungen an den Wänden entdeckt habe, sei sie gewichen, habe er sie vergessen, verdrängen können. Beinahe habe ihn die Angst um die Felszeichnungen von Altamira gebracht.

„Du weisst, ich bin Architekt. Während meiner Ausbildung habe ich das eine oder andere über die Kunstgeschichte erfahren. Viel hat mir das für mein Kunstverständnis nicht gebracht. Meine Beziehung zur Kunst basiert auf meinen persönlichen Erfahrungen, auf Galerie-, Museums- und Atelierbesuchen, auf Begegnungen mit Kunstschaffenden. Über all die Jahre habe ich gelernt, hinzuschauen und meinen Augen zu vertrauen.“

Roberts Ausführungen schienen Lukas zu gefallen. Die Spannung in Daniels Blick löste sich. Aufmerksam folgte er dem Wortgefecht.

„Was hast du denn gesehen auf meinen Bildern, in meiner Installation?“ Langsam war Robert in der Lage, von seinen Eindrücken, seinen Gefühlen, seinen Wahrnehmungen zu sprechen. „Ich habe an Rothko, Pollock, an den amerikanischen Expressionismus gedacht.“ „Nein, nicht was du assoziiert hast, will ich hören, was du gesehen hast, will ich wissen.“ –

Eine Gruppe japanischer Touristen betritt den Raum der Gedenkstätte und unterbricht Robert in seinen Erinnerungen an das Gespräch mit Lukas. Leise scheinen sie sich über ihre Eindrücke auszutauschen. Das japanische Klischee, denkt er. Ausgerüstet mit ihren Fotoapparaten und Filmkameras halten sie die Stimmung, das Lichtspiel zwischen Altglas und Herbstmorgensonne fest. Sie nicken ihm freundlich zu. Scheinen nicht zu merken, dass sie ihn stören, dass sie seinen Erinnerungsfluss unterbrochen haben. Er nimmt es gelassen und wartet geduldig, bis sie den Raum verlassen. Er hat Zeit. –

„Rück raus! Was siehst du auf meinen Bildern, in meiner Installation?“ „Schokoladefarbenes Braun, senffarbenes Ocker, Blutwurstrot, Scheissfarben!“ Daniel stellte erschrocken das Weinglas auf den Tisch. Er wollte die Hände frei haben, sollte Lukas handgreiflich werden. „Kindergekritzel, erste gestalterische Versuche von Kleinkindern, vor der Kopffüssler-Phase. Deine Wienerwand ist eine Hommage an Freud, deine Wienerwand ist eine Analinstallation.“ „Jetzt reicht es!“ Daniel mischte sich in den Wortstreit ein. „Schweig!“, herrschte Lukas ihn an. „Das gefällt mir.“ –

Erneut öffnet sich die schwere Holztür der Wegkapelle. Zwei Motorradfahrer kommen herein, den Sturzhelm unter den rechten Arm geklemmt. Die Spuren auf den Lederkombis verraten ihre Erfahrung im Motorradfahren. Ja, die fahren bestimmt keine Japaner, das sind Harley-Piloten. Sie tragen die bekannten Embleme auf den schwarzen Lederjacken. Sie setzen sich auf eine Bank, blicken schweigend zu den Glasfenstern, durch die das Sonnenlicht in den Raum dringt. Ob sie eines verunfallten, verstorbenen Freundes gedenken oder betend um Schutz bitten für die bevorstehende Passfahrt? Robert beobachtet sie. Nach ein paar Minuten lassen sie ihn grusslos im Raum zurück.

„Das Blutwurstrot provoziert mich am meisten. Es erinnert mich an die Wiener Aktionisten, an Günter Brus zum Beispiel.“ Diesmal nahm Lukas den kunstgeschichtlichen Bezug auf und begann von seiner künstlerischen Laufbahn zu erzählen, von der Zeit an der Akademie in Wien. Er sei als junger Künstler stolz gewesen auf die, die sich gegen das Establishment aufgelehnt hätten. Einfach sei es für ihn aber nicht gewesen. Was man denn noch habe tun können, nach den Aktionisten. Sie hätten in der Vorlesung auf die Pulte geschissen. Uriniert. Die Pisse getrunken. Sie hätten alle Formen des Protests ausgereizt. Der Generation nach ihnen, auch ihm, sei nicht mehr viel geblieben. Die Aktionisten hätten ihnen den Protest gestohlen.

„Vergleichen ist für mich eine Methode, um Bildern näherzukommen. Die Linien, das Gekritzel zwischen deinen Bildern, erinnert mich an Schieles Konturen bei den Akten, diese oft dunkelblau angelegten Silhouetten sind sehr dynamisch gemalt und tragen ganz entscheidend zur typischen Wirkung der Bilder bei.“ Lukas hörte ihm aufmerksam zu. Immer wenn er von einer Beobachtung, einer Wahrnehmung aus seinem Werk auf etwas schloss, nickte er, nahm einen Schluck Wein und verzog das Gesicht zu einem Lächeln.

Lukas begann von seinen Vorbildern zu erzählen. Schiele gehörte dazu, aber auch Gerstl. Er war erstaunt, dass Robert Letzteren kannte. Die Anekdote, die Liebesgeschichte zwischen Gerstl und Mathilde, Schönbergs Gattin. Lukas’ Vertrauen wuchs. Robert stand auf, ging zum schokoladefarbenen Bild und versank in der braunen, geruchlosen Scheisse. Daniel und Lukas unterhielten sich derweil. Das ist es, es ist immer das Gleiche: Man muss den Mut haben, sich auf Bilder einzulassen. Bilder sind Seelenspiegel. In der Rezeption erfährt man viel über seine eigene Befindlichkeit.

„Weisst du schon, was du morgen Abend über meine Bilder sagen wirst, weisst du genug über meine Bilder, über mein Werk? Viel hast du mich noch nicht gefragt.“ Plötzlich stand Lukas neben Robert und riss ihn aus den wirren Gedanken, die das Bild bei ihm auslöste. Sie gingen gemeinsam zum Tisch zurück, wo Daniel die letzte Flasche entkorkte. Sie prosteten sich zu.

„Ich werde dich nicht enttäuschen. Einfach wird die Ansprache nicht.“ „Das spricht für mein Werk, die ,Wiener Analinstallation’.“ Lukas lachte. Sie besprachen beim letzten Glas noch das Organisatorische, bevor sie aufbrachen, jeder ging seinen Weg: Lukas zog ins nahegelegene Hotel, Daniel in seine Junggesellenwohnung in der Altstadt und Robert in sein Haus am Jurasüdfuss. Alle gingen zu Fuss. Getrunken hatten sie genug. Mehr als genug. –

Robert fällt auf, wie das Licht das Bild des Fussbodens der Gedenkstätte ständig verändert. Er muss eingenickt sein. Zwischen dem zuletzt abgebildeten Sonnenkegel und dem jetzigen Stand der Sonne liegt beinahe ein Meter. Er bemerkt nicht, dass sich weitere Besucher eingefunden haben. Er steht auf. Er muss sich die Beine vertreten. Im Vorhof genehmigt er sich einen Schluck frisches Brunnenwasser. Die steil abfallenden Bergflanken auf beiden Seiten des Tales machen Eindruck. Das Rauschen der Reuss dröhnt mit dem Verkehrsrauschen um die Wette. Der Fluss gewinnt. Entscheidet Robert. Er geniesst es, viel Zeit zu haben. Die Wegkapelle funktioniert. Er kann sich besinnen. Trotz Sonnenschein ist es kühl im Reusstal. Er kehrt in den Andachtsraum zurück. Und fällt erneut in seine Tagträumerei. –

Lukas’ Bilder waren nicht Schein. Die Installation konnte einem gefallen oder nicht, doch man musste Farbe bekennen, es gab kein Dazwischen. Robert warf es in die Analphase zurück, ins Spielen mit dem eigenen Kot, der eigenen Scheisse. Er musste sich der Arbeit stellen. Auf dem Heimweg vom Kulturraum versuchte er seine Gedanken für die morgige Ansprache zu ordnen. Die Kernidee seiner Ausführungen war die Wahrheit, zu sagen, was er sah, was er dabei dachte. Offen über Eindrücke zu sprechen. Die Provokation. Darum ging es Lukas mit seiner Wienerwand, es ging ihm um die Provokation, die Wahrheit zu sagen, darum, was wir beim Betrachten seiner Wand empfinden, was wir für Gedanken, für Gefühle zulassen. Er wollte, dass wir genau hinschauen, dass wir nichts verdrängen. Robert hörte sich im Gehen laut sprechen. „Ja, Lukas geht es um die Wahrheit.“ Lukas provozierte mit seinen Bildern die Auseinandersetzung mit der Wahrheit. Der Liebe. Der Schönheit. Der Gerechtigkeit. War es nicht seine Definition der Kunst, die er sich zurechtgelegt hatte, um nicht verlegen zu sein, wenn ihn jemand fragte, was er unter Kunst verstehe?, spann Robert seine Gedanken weiter. „Die Kunst hilft mir in der alltäglichen Auseinandersetzung, dem Geheimnisvollen des Lebens in kleinen Schritten etwas näherzukommen“, murmelte er trunken laut vor sich hin. Es war nicht mehr weit. –

Ob er wisse, wie der Architekt heisse, der den Ort der Besinnung geplant habe, fragt ihn ein Besucher und reisst Robert aus seiner Vergangenheitsreise heraus. „Nein“, antwortet er verstört. Der Besucher entschuldigt sich und überlässt ihn seinen Tagträumen.

Robert schloss achtsam die Haustür auf. Schlich ins Bad. Er war verzweifelt. Alles war ihm zu viel. Ein Schwächeanfall zwang ihn zu Boden. Der Alkohol. Die Nerven. Das Vegetative. Der ältere Sohn beobachtete ihn und vermutete, dass der Vater wieder einmal sturzbetrunken war. Das war in letzter Zeit immer öfter der Fall. Er hielt sich diskret zurück, ging in sein Zimmer, um weiterzuschlafen. Die Nacht war kurz. Irgendwie schaffte es Robert ins Bett. Wälzte sich und fand kaum Schlaf. Alpträume plagten ihn. Er versank in senfgelben Sumpftümpeln. Erstickte. Er hing am unförmigen geschuppten blutwurstroten Körper des Teufels an einer Nabelschnur gefangen und drohte sich damit zu erhängen. Am Morgen erwachte er in einem durchnässten Bett. Zeichen eines Burnouts. Sein Körper war voll von kleinen Wasserperlen. Er zitterte. Was war passiert? Was geschah ihm? Er erinnerte sich an seine wirren Gedanken zu Lukas’ Bildern zur Wahrheit.

Er stand auf, ging ins Bad und trocknete sich mit einem Frottiertuch. Zurück im Schlafzimmer vergewisserte er sich: Zwar war alles durchnässt, aber nein, ins Bett gepinkelt hatte er nicht. Das musste alles Schweiss sein. Er musste dehydriert haben. Sein Zustand im Bad kam ihm in den Sinn, sein Zusammenbruch. Die Nerven, dachte er, öffnete den Kleiderschrank, zog ein T-Shirt und eine Jeans über, nahm allen Mut zusammen und ging in die Küche. Setzte sich an den Tisch, wo Lara schon frühstückte, wie immer schwachen Filterkaffee und Brot mit Butter und Konfitüre, eingehüllt war sie in eine dicke Wolljacke. Er setzte sich gegenüber, schenkte sich auch eine Tasse Kaffee ein. Zitternd trank er in kleinen Schlucken.

Das Verhör. Wie jedes Mal, wenn er betrunken spät nach Hause kam. Wo er gewesen sei gestern Nacht. Was passiert sei. Er stammelte, er habe ihr schon lange etwas gestehen wollen, er habe sich in eine andere Frau verliebt. – Dann müsse er gehen, sagte sie kurz und gefasst. Er wollte sich erklären, sie winkte ab. Es ging ihm schlecht. Das Herz raste. Er hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. „Ruf den Arzt an.“ Robert ging zum Telefon.

„Geht es Ihnen gut?“, fragt ihn eine angenehme Frauenstimme. „Entschuldigen Sie?“ „Ja, ja, es geht mir gut.“ „Sie haben gezittert, ist mir aufgefallen.“ „Ja, ich fühle mich etwas kühl.“ Er zittert noch. Die Frau mit der angenehmen Stimme beobachtet ihn weiter. Sie ist jung, attraktiv, fällt ihm auf. Er wendet sich dem Geschehen im Kubus zu. Immer wieder treffen neue Gäste ein. Einige verweilen, andere schauen nur kurz hinein und verlassen den Ort wieder. Er ist der einzige Dauergast, merkt er. Die junge Frau setzt sich neben ihn. Ob es ihm wirklich gut gehe, will sie noch einmal wissen. Er bestätigt es ihr. Sie könnte die Freundin einer seiner Söhne sein, überlegt er, zu Anton … nein, zu Florian, dem Träumer, würde sie besser passen. Anton studiert Mathematik. Florian ist Kameramann. Ihre Nähe ist ihm angenehm. Der Ausschnitt ihrer Bluse gibt den Blick auf ihr Dekolleté frei. Sie hat schöne, feste Brüste. Der Gurt ihrer Jeans liegt knapp über dem Sex. Alter Bock, verdrängt er seine sexistischen Fantasien. Die junge Frau verabschiedet sich. Er bleibt allein zurück in seinen Erinnerungen. –

Der Hausarzt hatte keine Zeit für ihn. Er sei auf dem Sprung zu einem Kongress, Robert solle sich bei seiner Stellvertretung melden, entschuldigte er sich. Sophie, Roberts Freundin, war überrascht. „Du hast es ihr gesagt?“ „Ja. Sie hat gesagt, ich solle gehen. Mehr nicht. Kann ich zu dir kommen?“ „Aber klar doch. Bis heute Abend. Ich liebe dich.“ Noch zitterte er am ganzen Körper, kalter Schweiss drang durch T-Shirt und Jeans. Er roch streng. Zuerst die Telefongespräche, dann duschen. Er musste es hinter sich bringen. „Anton? Ja, ich verlasse euch.“ Sie würden in Kontakt bleiben. Florian weilte in der Cinecittà in Rom. Robert versuchte es auf dem Handy. Er verlasse sie. „Ja. Wenn es nicht anders geht, dann halt.“ „Ich werde dich kommende Woche besuchen, dann können wir reden.“ Alles ging ganz schnell. Er duschte, streifte frische Kleider über, nahm die grosse schwarze Reisetasche, füllte sie mit dem Nötigsten und ging grusslos. Um neunzehn Uhr musste Robert an der Vernissage von Lukas’ Installation sprechen. Er wollte nicht absagen. Es blieben ihm knapp acht Stunden, um sich zu beruhigen, um die Ansprache vorzubereiten. Noch glaubte er, dass es ihm gelingen würde. Es würde eine Odyssee, dachte er und fuhr mit dem Auto zur Kulturgarage.

Gleissend fällt ein vom Brunnenwasser reflektierter Lichtstrahl in den Kultraum, als sich die schwere Holztür erneut öffnet. Die junge Frau kommt zurück. Direkt auf ihn zu. Ob sie ihn zu einem Kaffee in der Raststätte einladen dürfe, fragt sie. Er nickt, erstaunt über die Einladung. Wortlos schlendern sie zum nahegelegenen Restaurant. „Ist dieser Platz recht?“ Sie setzen sich an einen Zweiertisch am Fenster Richtung Süden. Sie bestellt einen Tee. „Für mich einen Espresso.“ Er ist etwas verlegen. Ob ihm seine Reise in die Vergangenheit, die Erinnerungen, sein Tagtraum anzusehen sind?, fragt er sich. Sie stellt sich vor. „Barbara Mutti, Kunsthistorikerin. Ich bin auf dem Weg nach Rom. Ich will meine Italienischkenntnisse auffrischen und vertiefen. Und Sie?“ „Rom.“ Er kenne Rom. Er sei schon ein paar Mal dort gewesen, eine schöne Stadt. Die direkte, unkomplizierte Art der Frau imponiert ihm. Mutig, denkt er. „Robert Blum, Architekt.“ Er sei auch auf dem Weg nach Süden.

Was er denn so lange in der Gedenkstätte mache, will sie von ihm wissen. Sie habe sich Sorgen um ihn gemacht. Er habe damals am Architekturwettbewerb für den Raum der Besinnung teilgenommen. Leider habe sein Projekt nicht überzeugt. Der realisierte Bau gefalle ihm aber gut, er könne sich mit dem Entscheid der Jury abfinden. Jedes Mal, wenn er über die Gotthard-Strecke in den Süden fahre, halte er an und besuche die Gedenkstätte. Es interessiere ihn, wie der Bau alt werde, weicht er aus. „Nur gute Bauten altern gut.“ Er denkt an sich. Ob nur gute Menschen gut altern?

Rom sei ein gutes Beispiel für seine Aussage, erwidert sie. „Selbst die Ruinen haben eine sagenhafte ästhetische Ausstrahlung, das Kolosseum zum Beispiel.“ Sie freut sich auf ihren Studienaufenthalt, es ist ihrem strahlenden Gesicht anzusehen.

Sie unterhalten sich angeregt. Er berichtet von seinen Besuchen in Rom bei seinem jüngeren Sohn. Die Zeit verstreicht schnell. „Jetzt muss ich aufbrechen.“ Sie ruft die Kellnerin, bezahlt und verabschiedet sich. „Viel Glück!“, wünschen sie sich gegenseitig, gleichzeitig. Er geht ein weiteres Mal zum Ort der Besinnung zurück. Die Sonne erreicht inzwischen den Vorhof. Robert setzt sich auf eine Steinbank und lehnt sich an die von der Sonne gewärmte Wand. Das Verschmelzen vom Verkehrsrauschen und dem Rauschen der Reuss mit anderen Klängen ergeben eine angenehme Geräuschkulisse. Sie setzt den Ort in Bewegung. Er schliesst die Augen.

„Du musst regelmässig, tief atmen. Das beruhigt.“ Robert hatte Angst. Hielt sein Körper die Strapazen der Trennung aus? Er fror. Der kalte Schweiss hatte das Leibchen erneut durchnässt. Sein Herz raste noch immer. Er fasste sich, stieg aus dem Auto, das er vor dem Kulturraum parkiert hatte, und entschloss sich für einen Spaziergang, zuerst durch die Altstadt und später durch den nahegelegenen Stadtwald. Etwas Bewegung würde ihm guttun.

Zielgerichtet und doch orientierungslos machte er sich auf den Weg durch die Altstadt, ging durch das nördliche Stadttor, kam vorbei an der Kathedrale in die Hauptgasse. Es herrschte kaum Betrieb. Lustlos zog er an den Schaufenstern der Geschäfte vorbei. „Ruhig, regelmässig tief atmen.“ Jetzt nur nicht jemandem begegnen. Nur nicht mit jemandem reden. Er bog in eine Nebengasse ein. Sie brachte ihn an den Fluss. Die Herbstsonne spiegelte sich in den tiefgrünen Wellen. Das träge fliessende Wasser beruhigte ihn. Er genoss den moosigen Geruch in der Morgenbrise. Langsam fand sein Puls zum gewohnten Rhythmus zurück.

Zu den Menschen zu gehören, die in der alltäglichen Auseinandersetzung mit der Kunst … Der Gedanke mahnte ihn an die Vernissagenansprache. Er stellte sich den Abend vor. Die Bilder und das Gekritzel an der Wand, die Wienerwand, Lukas’ Analinstallation. Der Raum gefüllt mit zahlreichen Gästen, über hundert hätten sich angemeldet, hatte ihm Daniel verraten. Freundinnen und Freunde, Künstlerinnen und Künstler, Berufskolleginnen und Berufskollegen, Politikerinnen und Politiker, der Stadtpräsident. Er querte den Fluss über die Fussgängerbrücke. Schlenderte der Uferpromenade entlang. Durch die Vorstadt erreichte er die alte Hauptstrasse zur Bundeshauptstadt und gelangte zum Stadtwald. Er brauchte Schatten. –

Robert geht zurück in den Raum der Besinnung. Die Erinnerungen kommen zurück.

Das Gespräch mit Lukas, er werde den Abend, den er mit Lukas verbracht habe, als roten Faden für die Vernissagenansprache nehmen. Ja, dieses Gespräch konnte den Gästen die Installation näherbringen.

Mit jedem Schritt durch den Wald klärte sich seine Vorstellung der Vernissagenrede zur Wienerwand zur Analinstallation. Die Zeit verging schnell. Wenn er zur rechten Zeit im Kulturraum sein wollte, musste er umkehren. Er ging den gleichen Weg zurück. Die Schatten der Bäume wurden länger. Der Wald wurde lichter. In der Ferne glaubte er die Stadtsilhouette zu erkennen. Am Stadtrand machte sich der Feierabend bemerkbar. Die Strassen waren belebt, die Busse waren gefüllt. Der Tag hatte die Ruhe des Morgens in heftiges Treiben am Abend verwandelt. Die Leute waren wach, bereit, die Nacht zu geniessen. Die Abendsonne verschwand hinter dem Jura. Noch eine Stunde bis zur Ansprache. Eine Eule zierte das Wirtshausschild. Robert trat in das Restaurant ein, setzte sich an einen leeren Tisch, bestellte ein Bier und widmete sich der Tageszeitung. Die Buchstaben tanzten an ihm vorbei. Er konnte nichts lesen. Er fand nichts, das ihn interessierte. Er konzentrierte sich auf das Buchstabenballett und vergnügte sich an den Rhythmen, den Wiederholungen der Buchstaben, den wechselnden Grauwerten. Er genoss das Bier und bestellte ein zweites Glas.

Seine Kehle ist trocken. Robert geht erneut in den Vorhof. Labt sich am kühlen Nass. Es ist etwas Besonderes, direkt von einer Quelle im Berg, denkt er. Erfrischt findet er sich danach zurück im leeren Raum auf der Reise durch die Vergangenheit.

Die Kulturgarage füllte sich. Immer mehr Gäste trafen ein. Lukas kam mit Daniel. Daniel schien bereits erfahren zu haben, dass Robert Lara verlassen hatte. Seine Augen, sein Händedruck verrieten es. Er sagte nichts. Robert schwieg auch, er wollte sich jetzt auf die Ansprache konzentrieren. Daniel eröffnete den Abend und kündete Stefan, einen Wiener Schriftsteller und Freund von Lukas, an, der eine Geschichte über eine Vernissage vorlas. Einen ironischen Text, der sich über die typischen Vernissagengäste im Allgemeinen und die Redner im Speziellen lustig machte. „Vom Evozieren von Analogien mit unendlichen Assoziationsräumen“ war die Rede, von Worthülsen, von Nichtssagendem, das sich niemand zu kritisieren getraue. Niemand wolle sich eine Blösse geben, nichts von Kunst zu verstehen, deshalb spreche man über die Kleider, über den letzten Einkauf, über das neue Auto. Das Publikum war sichtlich amüsiert. Das macht meine Aufgabe nicht leichter, dachte Robert. Die Leute würdigten den gelungenen Text mit Applaus.

Daniel bat Robert ans Mikrofon. Sein Herz schlug wie bei einem Hundertmeterläufer beim Zieleinlauf. Das Blut hämmerte im Beckenbereich. Es fiel ihm nicht leicht, gerade zu stehen. Würde die Stimme versagen? So aufgeregt war er noch nie. Er begann. Die Stimme zitterte. Nach den ersten Sätzen fasste er sich. Er nahm Bezug auf den Text des Wiener Autors und versicherte den Gästen, dass er in seiner Ansprache ohne Fremdwörter auskommen wolle, er werde auf das Evozieren von Analogien und Assoziationen verzichten. Drei grundsätzliche Aussagen aber vorweg. Erstens: Es gebe nur eine Gegenwart, die Gegenwart der Vergangenheit, die Gegenwart der Gegenwart und die Gegenwart der Zukunft. Zweitens: Man könne nie erfahren, was die anderen erfahren, man könne sie nur als Erfahrende erfahren. Drittens: Zu den Menschen gehören zu dürfen, die in der alltäglichen Auseinandersetzung mit der Kunst dem Geheimnisvollen des Lebens, der Schönheit, der Liebe, der Wahrheit und der Gerechtigkeit in kleinen Schritten etwas näherkommen, empfinde er als eine grosse Gnade. Der erste Grundsatz sei von Augustinus, der zweite von Hegel, der dritte sei von ihm.

Jetzt war Robert im Element. Er erzählte von seiner Unterhaltung mit Lukas, davon, wie sie sich darüber gestritten hätten, wie man sich mit Kunst auseinanderzusetzen habe. Ohne hinzusehen, habe man kein Recht, darüber zu sprechen. Das Wahrnehmen der Originale sei eine unabdingbare Voraussetzung, um über Kunst sprechen zu können, habe Lukas gepoltert. Er habe lange Zeit gebraucht, um zu sehen – auch bei Lukas’ Bildern, bei der Wienerwand. Er habe die Begegnung mit dem Künstler gebraucht. Erst im Gespräch mit Lukas habe sich sein Blick für Lukas’ Bilder geklärt. Seine Kunst habe ihn anfangs geärgert. Erneut bezog er sich auf ihren Dialog. Er sei auf Günter Brus zu sprechen gekommen. Ja, das sei einer der Väter, der Überväter, habe Lukas bestätigt. Es sei nicht einfach für Väter und Söhne, eine gute Beziehung zueinander zu pflegen, habe er daraufhin bemerkt. Da sei es mit den Grossvätern schon etwas einfacher, habe er auf Schiele reagiert, als Robert Lukas Duktus mit dem seinen verglichen habe. Lukas hörte ihm genau zu. Robert merkte, wie Lukas ihn beobachtete. Seine Augen lachten, er schien mit seinen Ausführungen zufrieden zu sein. Robert erzählte, wie ihn Lukas’ Bilder betroffen gemacht hätten, wie er sie als ehrliche Botschaften, als eine Art Analinstallation empfunden habe, als Botschaften, die ihm zwar nicht gefallen würden, die ihn aber trotzdem provoziert und der Schönheit, der Liebe, der Wahrheit und der Gerechtigkeit einen kleinen Schritt nähergebracht hätten. Robert nahm seine Grenzen wahr, spürte die Anzeichen seines Burnouts. Tränen stiegen ihm in die Augen. Ja. Er weinte. Er habe die ganze Nacht geweint. Auch wegen Lukas’ Kunst. Er habe sich durch die Auseinandersetzung mit dem Geheimnisvollen des Lebens nicht nur einen kleinen Schritt, nein, er habe sich der Wahrheit eine ganze Wegstrecke genähert. Er versuchte, seine Gefühle zu verbergen. Schloss seine Ausführungen. Dankte Lukas für seine Kunst.

– Stille. Eine Pause, dann erst klatschte das Publikum. Lukas kam auf ihn zu und gratulierte ihm zur Ansprache. Auch Daniel war mit seinen Ausführungen sichtlich zufrieden. Kleine runde Partytische standen zwischen den mit weissen Papiertischtüchern mit Edelweiss-Motiv abgedeckten Festbänken. Es gab einen weissen Chardonnay aus Chile, dazu Gebäck, Schinkengipfel, Salzstangen, Tatarbrötchen. Zum Hauptgang wurden ein Rioja, ein Wiener Schweinebraten mit gedörrten Pflaumen und Knödel serviert. Das Dessert bestand aus Kaiserschmarren. Die Speisekarte war auf die Wiener Gäste abgestimmt, die Weine nicht.

Robert staunt über seine klaren Bilder des Vergangenen. Manchmal kann ein Tropfen das Glas zum Überlaufen bringen, kommt ihm in den Sinn, als er sich noch einmal an die Nacht vor der Vernissagenansprache erinnert.

Eine Reisegruppe folgt den Ausführungen der Reiseleiterin im Raum der Besinnung, während Robert immer noch vor sich hinträumt. Sie nimmt keine Rücksicht auf die anderen Anwesenden und erzählt mit lauter Stimme von den abenteuerlichen Zeiten, als man den Gotthard nur im Sommer über die Passstrasse habe überwinden können. Sie erzählt die Legende von der Teufelsbrücke. Robert hört ihr aufmerksam zu.

Der Sage zufolge sei die erste Brücke ein Bauwerk des Teufels. Den Urnern habe es einfach nicht gelingen wollen, die Schöllenenschlucht mit einer Brücke zu überwinden. Schliesslich habe der Landammann verzweifelt ausgerufen, der Teufel solle die Brücke bauen. Kaum sei der Satz über seine Lippen gekommen, sei der Teufel vor den Urnern gestanden und habe ihnen einen Pakt vorgeschlagen: Er wolle die Brücke bauen, wenn er als Gegenleistung die Seele des ersten, der die Brücke überquere, bekomme. Nachdem der Teufel die Brücke gebaut habe, hätten die schlauen Urner sich einer List bedient und einen Geissbock über die Brücke geschickt. Der Teufel sei über diesen Betrug sehr erzürnt gewesen und habe einen haushohen Stein geholt, mit dem er die Brücke habe zerschlagen wollen. Es sei ihm aber eine fromme Frau begegnet, die ein Kreuz auf den Stein geritzt habe. Den Teufel habe das Zeichen Gottes so sehr verwirrt, dass er beim Werfen des Steins die Brücke verfehlt habe. Der Stein sei in der Schöllenenschlucht gelandet und werde seither Teufelsstein genannt. 1977 habe man den Stein um ein paar Meter verschoben, um der Gotthard-Autobahn Platz zu machen. Der Verschiebung des Teufelssteins wird in der heutigen Volkssage die unerklärliche Häufung von Verkehrsunfällen bei Kilometer sieben des Gotthard-Strassentunnels zugeschrieben.

Er wird den Teufel nicht enttäuschen, geht es Robert durch den Kopf. Er wird ihm die gestohlene Menschenseele mehrfach ersetzen. Ein ungutes Gefühl steigt in ihm auf. Das erschreckt ihn. Ist es die Störung durch die Reisegruppe, ist es der Hunger?

Er verlässt die Kultstätte und geht zurück zum Parkplatz. Robert öffnet den Kofferraum seines Autos und prüft die Ladung. Alles ist in Ordnung. Beruhigt geht er in die Raststätte. Der Tisch, an dem er mit der jungen Frau den Espresso getrunken hat, ist frei. Er setzt sich an den vertrauten Platz. Eine Gruppe in warme Kleider gehüllte Kinder auf dem nahe gelegenen Spielplatz gewinnt seine Aufmerksamkeit. Schnell lässt sich die Hierarchie unter ihnen ausmachen. Der kleine Junge mit der roten Mütze und der grünen Windjacke dominiert die drei Mädchen und den zweiten Jungen der Truppe. Er weist die Spielgeräte zu. Für sich nimmt er die Schaukel. Die Kindergruppe ruft bei Robert weitere Erinnerungen wach.

Die Fremde und der Ruhm

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