Читать книгу Kleopatra - Alfred Schirokauer - Страница 6
III.
ОглавлениеIn der Halle trifft sie mit ihm zusammen. Er kommt allein. Das Gefolge blieb im Garten. Er ist sehr blaß, gelblichweiß hebt das Gesicht sich ab von dem Purpur des Triumphatorenmantels, den er trägt. Sterbensbleich ist er, wie die Imperatorenbinde um die hohe Stirn. Unmut dunkelt in jeder der vielen tiefen Falten und Runen, die das Grandseigneurgesicht durchkerben. Doch er hält seine Züge beherrscht wie immer.
»Sei gegrüßt, Gajus.« Ihre Stimme, diese zauberhafte Stimme, die er so liebt, klirrt verräterisch.
»Tag, Liebste.« Er küßt ihre Stirn. Ihren Mund hat er lange nicht mehr geküßt.
»Was ist?!« Ihre Augen sind grüne, sprühende Fragezeichen.
»Sie haben das Diadem von dem Standbild gerissen.«
»Wer?«
»Ein Volkstribun.«
»Was hast du mit ihm gemacht?«
»Ich werde ihn seines Amtes entsetzen lassen.«
»Weiter nichts?!«
Er schüttelt den Kopf.
Sie faßt seine Hand. Sie stehen noch in der Halle. Er ist zweimal so groß wie sie.
»Warum hast du ihn nicht sofort ans Kreuz hängen lassen?« Es scheint, als wachse sie zu ihm empor.
Er lächelt müde. »Wir sind nicht in Alexandrien, mein Kind.«
»Dann mach endlich Alexandrien aus diesem Misthaufen !«
Er hebt kaum merklich abwehrend die Hand, geht voran in das Speisezimmer. Sie folgt hart hinter ihm.
An den Tisch in der Mitte des Raumes setzt er sich, eckig, krank, marode. Sie sieht, wie gipsig das Gesicht ist. Wie eine Totenmaske. Alter Mann, denkt sie bös.
Ein Sklave bringt eine große silberne Schüssel. Tücher. Er wäscht sich die großen Hände mit den langen nervösen Fingern, befeuchtet die Stirn. Sie blickt von unten her, zornig auf ihn. Er tut, als sähe er sie nicht. Doch er beobachtet aus den Augenwinkeln ihr Gesicht und freut sich wie ein Künstler an ihrem Mienenspiel.
Schön ist sie, denkt er. Ist doch die schönste Frau, die mein gewesen ist. Es ist heut viel Resignation in seinem Fühlen und Sinnen. Aber schön waren auch andere. Er trocknet langsam, bedächtig, fast pedantisch die Zwischenräume der Finger, das Spiel ihres Zornes und ihrer Verachtung zu genießen. Doch etwas hat sie, was keine andere besitzt. Etwas Einziges, nie Gewesenes, vielleicht nie Wiederkehrendes. Das lebendigste Gesicht hat sie, das je eine Frau besessen hat, eine bebende Lebendigkeit um Mund und Nase und Schläfen, eine vibrierende Heftigkeit, eine Wandlungsfähigkeit ohnegleichen, oft ohne Übergang. Das ist das Lockende an ihr, diese ewige Gespanntheit, die spannt, diese atemlose Gegenwart, die aufpeitscht, diese zitternde Leidenschaft, die mitreißt. Das lebendigste Gesicht, das je ein Mensch dem Dasein geboten hat. Das Seltsamste sind die Augen. Weltwunder, wie der Leuchtturm ihrer Königsstadt – Pharus ihres Gemütes.
So sinnt er und reicht langsam dem Diener das Tuch.
Sie steht noch, gießt ihm Wein ein. Stets bedient sie ihn selbst. Er dankt, trinkt saugend, der edle Massiker labt ihn nach dem langen Ritte. Er blickt in den Kelch. Sie schweigt erbittert. Da sagt er zögernd:
»Übrigens Misthaufen –« er leckt mit belegter Zunge die Lippen – »Alexandria ist schöner, auch hygienischer. Sicher. Das ist der Vorzug neuer, planmäßig angelegter Städte, die hingestellt, nicht naturgewachsen sind. Rom ist Rom!«
Er stellt den Pokal auf den Tisch, daß es knallt. Beim Klang seiner Stimme, die sehr tief ist und rein, wunderbar beherrscht und kultiviert, schwindet der Groll aus dem länglichen schmalen Oval ihres Gesichts. Leidenschaft flammt auf. »Gajus, was schert mich Rom und Alexandrien als Stadt in diesem Augenblick! Sei nicht so abgeklärt. Du marterst mich. Erzähl, wie es war!«
Sie steht ganz dicht bei ihm, lehnt an seine Knie. Er wischt mit der gehöhlten Hand über Stirn und Gesicht.
»Ein Fehlschlag. Als ich auf das Forum kam, war die Säule noch umkrönt. Einige jubelten mir zu. Riefen: »Heil dem König.« Meist bezahlte Subjekte. Aber die andern schwiegen dumpf. Ich fühlte sofort das Fiasko. Da riß Marullus, der Volkstribun, das Diadem von der Säule. Laut klatschte alles Beifall. Ich stand mit meinem Pferde nun mitten in der Menge. Riß die Toga auf, bot dem Volke meinen Hals und rief: »Stoße zu, wer will.« Er lacht leise auf. »Da wichen alle zurück.«
Er schweigt, lehnt sich im Sessel zurück, im Gedenken der Szene versunken.
Sie tritt von ihm fort, setzt sich ihm gegenüber. Die frühe Dämmerung der Märzmitte steht in dem Zimmer. Aus dem Halbdunkel glänzt wächsern seine Stirn. Wie ein flackerndes Irrlicht leuchtet ihr Gesicht.
»Was nun?« stößt sie endlich zwischen den Zähnen hervor. Sie schießt die Worte gegen ihn ab. »Was nun?!«
Er sitzt ohne Bewegung. Seine blassen Lippen formen die Antwort: »Warten, mein Kind.«
Sie schnellt von dem Sessel auf. »Warten!« Gemartert wirbelt sie sich um ihre Achse und stampft ungebärdig mit dem Fuße das Mosaik des Bodens. »Wie lange noch warten! Seit zwei Jahren sitz' ich hier in Rom, vernachlässige mein Reich und warte. Ich halte es nicht mehr aus. Ich ersticke in diesen engen Wänden.«
»Ich bedauere, daß ich dir hier keinen alexandrinischen Königspalast bieten kann.«
Sie überhört seinen Spott.
»Warten! Warten! Immer nur warten. Und das Leben vergeht!!«
»Du hast mehr Zeit zu warten, als ich«, sagt er sanft.
»Aber weniger Geduld.«
»Leider.«
Da ist sie wieder bei ihm, packt ihn mit den kräftigen Kinderfäusten an beiden Schultern, schüttelt ihn und weint vor Zorn und Enttäuschung hervor: »Quäl' mich nicht so unmenschlich! Leg' endlich diesen Panzer erhabener Lebensweisheit ab. Laß mir gegenüber doch diese glatte diplomatische Hülle fallen. Ich kenne die Feuer, die in dir brennen. Gajus, sprich mit mir, wie mit deinesgleichen. Wir beide sind doch eins. Leg doch vor mir die Maske ab!«
Sie drängt sich an ihn.
Er streichelt ihren Rücken, ihre Arme und zieht sie an sich.
»Liebes«, flüstert er heiser, »wir haben heute verspielt. Es geht nicht. Die Zeit ist noch nicht reif. Ich mache dir keine Vorwürfe. Narren machen anderen für ihr Tun Vorwürfe. Ich hätte mich von dir nicht verleiten lassen sollen. Du kennst diese Römer nicht wie ich. Wie solltest du auch? Mit exotischen Maßstäben lassen sie sich nicht messen.«
»Ich bin nicht exotisch!«
Seine Stimme wird sehr zart. Als spräche er zu einem Kinde, als wolle er einen Schmerz, den er ihr angetan hat, fortstreicheln, sagt er sänftigend: »Sie sind hohl. Aber diese Höhlung ist von der fixen Idee des Republikanertums angefüllt. Sie wissen kaum noch, was Republik ist. Aber gerade darum klammern sie sich an diese Phrase. Wer regiert Rom? Ich. Aber das Wort Monarch – König meiden sie wie die Pest.«
Er schweigt, hält sie in den Armen, wartet, daß ihr gespannter Körper sich löst, ihr Ärger verebbt. Als sie spricht, ist ihre Stimme noch voller Gegnerschaft.
»Und wegen dieser Marotte soll unser gewaltiger Plan – ?«
»Alles braucht seine Zeit der Reife«, bedenkt er.
»Du hast die Armee!« ruft sie ungezügelt. »Schaff die Reife.«
Er schüttelt den Kopf. »Auf Lanzen und Schwerter kann man kein Königtum bauen.«
Sie lodert auf. »In Alexandrien warst du kühn.«
Er lächelt. »Da galt es auch, dich zu erobern.«
Doch ihr Sinn steht nicht auf Scherz und Galanterie. Sie setzt sich wieder, kauert sich unnahbar, igelig zusammen.
Da beugt er sich zu ihr vor. Seine tiefliegenden Augen liebkosen sie, seine braunen Hände strecken sich nach ihr aus, seine Stimme ist eine Zärtlichkeit. »Kleo, nimm deinen durchleuchtenden Verstand zusammen. Vergiß deine Enttäuschung. Du verlangst, daß ich zu dir wie zu meinesgleichen spreche. Jetzt tue ich es. Ich –«
»Ach, was nutzt das alles!« wehrt sie ergrimmt.
»Aber, Liebste«, tadelt er sacht, »weil nicht alles gleich im ersten Ansturm gelingt!«
»Gleich – ist ausgezeichnet!« höhnt sie. »Nun sag mir bloß noch, daß Rom nicht an einem Tage gebaut worden ist.«
»Ich pflege nicht in Sprichwörtern zu reden«, verweist er kühl.
Da springt sie wieder empor. »Herrgott, wohin verlieren wir uns! Wie aufgezogene Puppen radebrechen wir miteinander. Rede doch endlich rotes Blut, Gajus! Was soll nun geschehen? Was wird aus unserem Reich? Wir disputieren, als wären wir langbärtige Philosophen.«
»Na, na!« scherzt er.
»Sie reißen die Krone von deinem Haupte und wir sitzen hier und drechseln Worte. Was gedenkst du nun zu tun, nachdem alles mißlungen ist?«
»Du übertreibst, Kleo. Alles ist nicht mißlungen. Wir haben die Dinge nur unklug überstürzt. Aber etwas haben wir erreicht.«
»Was – bitte?« fordert sie messerscharf.
»Ich habe den Gedanken des Königtums in die Massen geworfen«, sagt er langsam. »Den Keim ausgesät. Trotz allem. Die Idee lebt.«
Sie will unterbrechen, doch er hemmt ihr Ungestüm mit einer leichten Bewegung der Hand.
»Noch vor Monaten – vor Wochen noch, wäre der Gedanke einer Monarchie in Rom allen als glatter Irrsinn erschienen. Heute ist er schon eine Möglichkeit, eine –«
»Ich will Wirklichkeit!«
»Ich auch, Kind«, stimmt er eifrig zu. »Ich bin Zeit meines Lebens ein sehr realer Politiker gewesen.« Er lächelt überlegen. Es scheint, als gehöre dieses Lächeln nicht zu dem verfallenen Gesicht.
Kleopatra hebt das Kinn, ihre Augen sind halb geschlossen. Spitz fragt sie: »Und was gedenkt der große Realpolitiker jetzt zu tun?«
»Wenn du Geduld hast, will ich es dir sagen, Kleo. Ich werde tun, was ich immer tun wollte. Was ich bis zum letzten Panzerriemen vorbereitet habe. Wovon ich mich nur durch deine – meine Liebe zu dir habe abtreiben lassen. Ich ziehe in vier Tagen in den Partherkrieg.«
Da wächst sie steil empor von ihrem Sitze. Es ist, als hätten seine Worte sie mit noch intensiverem Leben erfüllt. Fortgeweht ist ihre Keckheit, ihre harte Stimme, ihr unduldsamer Mund. Sie spricht wie eine Frau in höchster Angst.
»Du willst erst nach Persien?!«
»Ja.«
»Das ertrage ich nicht! Hörst du! Das kann ich nicht ertragen.«
Er beugt sich wieder zu ihr vor und packt sie in den Bann seiner strahlenden schwarzen Augen, das einzige an ihm, das stark und jung geblieben ist. »Kleo, du mußt es ertragen!«
»Hier sitzen und harren –«
»Nicht hier.«
»Sondern?«
»In Alexandrien.«
Ihr Körper bebt vor Zorn und Verzweiflung.
»Komm her«, sagt er weich.
Sie rührt sich nicht. Ihr kleiner Körper zuckt und windet sich in Ungemach.
Mit einem leisen Lächeln faßt er ihr Kleid, zieht sie an sich, zieht sie auf seinen Schoß, birgt sie in seine Arme wie ein klagendes krankes Kind. Flüstert zu ihr herab. Er ist zärtlich, wie ein Vater, gütig wie ein Freund, und bisweilen wird es die Stimme eines erschütterten Geliebten.
»Sei vernünftig, du Klügste auf Erden. Sei doch bloß ein bißchen vernünftig. Komm, komm, weine nicht, mein geliebtes Mädchen. Begreif doch, so geht es nicht. Das hast du nun doch selbst gesehen. Sie sperren sich gegen mich und dich. Mit Gewalt kann man Verfassungen nicht erzwingen – nicht für die Dauer. Ich brauche noch eine große Tat. Eine gewaltige, hinreißende. Eine, die diese Plebejer begeistert, ihre Hirne umnebelt. Eine Alexandertat. Nur kriegerische Lorbeeren wirken auf diese stumpfen Gemüter. Bis nach Indien muß ich meine Legionsadler siegreich tragen. Und wenn ich dann mit den Schätzen Indiens beladen heimkehre, dann Geliebte, dann – wenn sie neben dem Kriegsruhm sehr reale greifbare Erfolge sehen – wenn ich dann meinen Triumph feiere – dann sollst du sehen, wie sie dem Könige zujubeln.«
Sie liegt ganz still an seine Brust gebettet. Schluchzt nur noch vom Weinen nach.
»Ich wollte es immer. Ich will mich vor dir mit meiner politischen Einsicht nicht brüsten. Ich bin ein alter Routinier. Du ein leidenschaftliches junges Weib. Dein Plan ist groß und herrlich. War er immer, wird er immer bleiben. Es handelt sich nur um das Tempo seiner Verwirklichung. Unser Weltreich, Kleo, wird, so wahr ich dich liebe und in meinen Armen halte. Dann, mit der Erde zu deinen kleinen herrlichen Füßen, wirst du mein Weib, alle unsere Träume werden Wahrheit.«
Der Klang seiner Stimme ändert sich, wird härter, rauher. Es wird die Stimme des Staatsmannes. Der Geliebte ist verschwunden.
»Aber hier kannst du nicht bleiben, während ich in Persien bin. Deine Anwesenheit arbeitet gegen uns. Erinnert sie stets an unseren Plan. Der muß tief und unbemerkt fortwuchern, wie ein Saatkorn im Mutterschoße der Erde. Auf dem Rückwege hole ich dich aus Alexandrien.«
Wieder wandelt sich die Stimme, wird zum Trompetenton, tapfer, hell, voller Vertrauen.
»Dann ist unser Tag gekommen. Dann ziehst du mit mir, als mein Weib und die Königin des Ostens, auf dem Triumphwagen des Königs des Westens in Rom ein – die heilige Straße hinab – zum Kapitol – alles Volk jubelt uns zu – die siegreiche Riesenarmee tut das Ihrige –«
Sie setzt sich jäh auf seinen Knien auf, sieht ihm ins Gesicht. Ein Ton aus alten Tagen, aus alexandrinischen Nächten ist in seiner Stimme, reißt sie empor. Das ist der Cäsar, den sie einst gekannt hat, der feurige Geliebte, der Mann, den kein Alter berühren, noch antasten kann. Ihre Augen glänzen wie in den Tagen, da er sie in die Arme nahm und ihr wilde, leidenschaftliche Worte ins Ohr raunte. Auch in seinen Zügen flammt ein Feuer aus den ersten Zeiten ihrer Liebe. Ja, das ist Cäsar, ihr Cäsar, ihr Geliebter, ihr Erwecker und Meister.
Lange sieht sie ihn stumm an. Dann fragt sie leise: »Wie lange wird es dauern?«
»Weiß ich nicht. Dauer der Kriege läßt sich nicht vorausschätzen.«
»Ungefähr.«
»Zwei bis drei Jahre.«
»Unmöglich!« Sie fiebert von seinem Schoß, rennt in dem fast dunklen Zimmer umher wie ein kleiner Irrwisch.
»Solange halte ich es nicht aus.«
»Man hält vieles aus« –, sagt er ruhig, »um ein Weltreich – selbst wenn man alt und morsch vom Fieber ist.«
Da ist sie wieder bei ihm. In seiner Stimme hat sein Alter und seine Müdigkeit geschluchzt. Sie beugt sich über ihn, legt die Hände auf seine Schultern, preßt ihre Wange gegen die seine. Voll Sorge, Angst und Liebe fragt sie:
»Bist du denn gesund genug für die Strapazen dieses großen Krieges?! Kannst du die Entbehrungen eines Feldzuges ertragen?! Wenn du krank würdest – weit von mir –, ich würde vor Angst um dich vergehen!«
Er wendet das Gesicht zu ihr empor.
» Nur für diesen Krieg bin ich gesund und stark genug. Ein altes, mürbes Streitroß. Wenn die Fanfaren schmettern, richtet es sich auf und sprengt los.« Er lächelt so schmerzlich und zag, daß ihr empfängliches Herz ihm entgegenspringt.
Sie liegt an seiner Brust. »Du – du – ich wußt es – wenn die Krone winkt – wieder ganz jung wie vor vier Jahren in Alexandrien würdest du werden. Unsere Nächte damals – unsere –«
Sie wühlt sich an seinen Leib, schmiegt sich an ihn, sucht seine Lippen.
»Küß mich – nimm mich –«
Da zieht er sich in sich zurück. »Liebste, nicht jetzt«, wehrt er in milder Trauer. »Ich muß gleich fort. Letzte Vorbereitungen. Und abends bin ich bei Lepidus eingeladen.«
Schmerzlich ernüchtert gleitet sie von seinen Knien. Streicht das Haar an beiden Seiten aus den Schläfen. Feindlich glimmen ihre Augen durch das Dunkel.
»Geh«, faucht sie.
Jetzt erst begreift er ihre Enttäuschung.
»Verzeih«, bittet er schlicht. »Ich brauche in diesen Tagen meine Kraft und Besonnenheit.«
»Geh.«
Er überhört ihre Frechheit. »Eine geniale Frau hat noch andere Verbindung mit einem Manne, dachte ich.«
»Genial!« höhnt sie, »genial ist man nur in der Ausführung großer Gedanken. Pläne, Ideen, Sehnsüchte haben auch kleine Weibchen. Meine geniale Ausführung bist du, und du – behandelst mich wie eine Dirne. Läßt mich um Liebe betteln – vergebens.«
Er steht auf. Seine Augen sind kalt.
Sie weiß, sie hat ihn grausam verwundet.
»Nicht immer«, sagt er, »nicht immer laß ich dich vergebens – bitten. Am achtzehnten März schreite ich zur Ausführung eines Planes, der mehr ist als Erfüllung einer erotischen Laune – für dich.«
Sie schweigt beschämt.
»Laß das Kind kommen«, gebietet er nach einer kleinen Pause.
Sie klatscht in die Hände, der Sklave bringt die Lampe. Die Kinderfrau den Kleinen.
Cäsar stellt das Bübchen vor sich auf die Knie. Das Kind ist scheu und schweigt. Lange betrachtet es Cäsar. Die Ähnlichkeit mit ihm ist verblüffend. Unter den weichen Kinderzügen zeichnet sich schon der scharfgeschliffene Römerkopf des Vaters ab.
In einer jähen wehmütigen Aufwallung küßt er es auf den Mund und gibt es der Kinderfrau zurück. Sie trägt Cäsarion hinaus.
Kleopatra kauert niedergeschlagen, den Kopf tief gebeugt. Er blickt in der Helle der Lampe zu ihr hinüber.
»Kopf hoch, Kind«, ermuntert er. »Was sind zwei Jahre, wenn es ein Weltkönigtum gilt!«
Sie hört nicht auf ihn. Das Licht spiegelt sich in dem Schwarz ihres gebeugten Haares.
»Laß mich nicht so von dir gehen«, drängt er. »Laß mich – wie immer – etwas Liebes von dir mitnehmen.«
Sie rührt sich nicht, verstockt.
»Sing mir eins deiner schönen ägyptischen Lieder – wie einst.«
»Einst ist lang vorbei«, murrt sie. Steht aber doch auf, holt die Laute aus dem Winkel, stimmt und singt. Singt mit dieser Stimme, die jedes Frauen- und Männerherz bestrickt und bezaubert. Singt in den einfachen uralten Weisen des Volkes, das sie beherrscht. Ihre Züge sind angespannt und in Weiten verloren.
Nie war sie so schön, denkt Cäsar und fühlt, wie ein undeutbares Gefühl des Abschiednehmens ihm das Herz dehnt.
»Siehe die Häuser der Lebenden!
Ihre Mauern zerfallen, ihre Stätte ist hin.
Sie sind, als wären sie nie gewesen.
Alles, was wird, muß gehen dahin.
Die Jünglinge und Mädchen
Schreiten ins Dunkel,
Die Sonne steigt im Aufgang und geht nieder im
Westen.
Männer werben und Frauen empfangen.
Auch die Kinder schon torkeln ins frühe Grab.
Darum sei glücklich! Komm!
Düfte und Räusche stehen vor dir,
Mahublumen und Lilien lechzen
Nach dem Nacken der Geliebten.
Komm! Sang und Musik harrt deiner.
Vergiß alle Sorgen, denk nur an Freude,
Bis der Tag kommt, an dem auch du
In das Land wanderst,
Das Schweigen heißt.«
Langsam haben sich die Augen des Mannes von dem still verklärten Gesicht der Königin gelöst. Sein Kopf sinkt. Er hört nur diese beglückende Stimme, die Worte der Trauer klagt.
Doch sie sieht. Während sie singt, umtasten ihre Blicke das Gesicht, das von unten her, vom Scheine der Öllampe, sanft bestrahlt ist. Sie sieht, wie seine Züge sich lösen, wie die Maske sinkt und die blauen Schatten unter den Augen sich weh vertiefen und purpurn dunkeln. Das zergerbte Gesicht dieses alten verbrauchten Staatsmannes und Soldaten wird weich und lind, und wie hinter bergenden Wänden tritt seine tiefe Menschlichkeit und Größe hervor. Über seine markigen Züge ist etwas Vergeistigtes gehaucht, etwas ihr Verwandtes, das Feinste und Beste, das sie geeint hat und immer einen wird.
Sie vergißt die Kränkung. Vergißt alles Trennende. Fühlt nur eine hingebende Zärtlichkeit und alle Liebe, deren sie fähig ist. Weiß wieder, daß dort der einzige Mann sitzt, den sie sich ebenbürtig und überlegen gefunden hat.
Als sie schweigt und leise die Saiten nachhallen läßt, hebt er ganz langsam den Kopf.
»Von wem ist das Lied?« Immer will er wissen und lernen.
»Von dem Pharao Imhotep. Er bestieg den Thron etwa zweitausendzweihundertfünfzig Jahre vor der Gründung Roms.«
»Traurig ist sein Lied«, sinnt er vor sich hin.
Da wirft sie die Laute hin, breitet ihm die Arme entgegen und jubelt zukunftssicher: »Nein, voller Lebensinbrunst ist es, mein König der Welt.«