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Kapitel 1

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Nikolaus von Kues empfahl sich, tupfte sich mit einer weißen Stoffserviette die Mundwinkel und verließ den großen Speiseraum ihrer Unterkunft. Die vier anderen Gesandten sahen ihm hinterher, blieben aber und diskutierten weiter über die bevorstehende Schiffsreise, die Wetterprophezeiungen und mögliche Widrigkeiten auf dem Weg und versuchten sich in Prognosen ihres Delegationserfolgs. Die Reise ging von Venedig nach Konstantinopel. Ihr Auftrag lautete, die byzantinische Kirche mit der römischen Kirche gegen die Osmanen zu vereinen. Papst Eugen IV. hatte sich wirklich um ihn bemüht, das musste Nikolaus zugeben. Er war auf dem Konzil von Basel, der Versammlung von Bischöfen und anderen hohen Geistlichen zum Zweck der Erörterung und Entscheidung theologischer und kirchlicher Fragen, im vergangenen Jahr sicher einer der Hauptredner zum Nachteil der päpstlichen Autorität gewesen und somit auch das Zünglein an der Waage gegen Eugens Interessen. Sein Standpunkt war es deshalb nicht, der ihn zum Gesandten machte, sondern seine Redekunst und Überzeugungskraft, auf die es nun an ihrem Reiseziel ankam. Eugen setzte auf ihn, den Deutschen, auf seine italienischen Kardinäle Giuliano Cesarini und Tommaso Parentucelli und die Griechen Erzbischof Basilius Bessarion und Georgius Gemistos, genannt Plethon, der seine Jugend in Konstantinopel verbracht hatte und sich gut an ihrem Reiseziel auskannte.

Nikolaus war müde. Es war schon lange dunkel. Erst heute hatten sie das große steinerne Haus im Hafen Venedigs erreicht, das eigens für ihre Delegation vorbereitet worden war. Der Weg von Rom nach Venedig verlief über gepflasterte Straßen, aber das Geschaukel der Kutschen, die für Anfang Mai ungewöhnliche Wärme und das Gefühl, ständig eine Unterhaltung führen zu müssen, hatten ihn angestrengt. Er wollte sich schlafen legen, seine Glieder strecken und seine Argumente noch einmal im Kopf hin und her bewegen. Er stieg die breite Steintreppe hinauf. Die Stufen waren flach und bequem zu nehmen. Er holte den großen eisernen Schlüssel hervor, den ihm der Hausverwalter gegeben hatte, steckte ihn in das verzierte gusseiserne Schloss und betrat das Zimmer zum ersten Mal. Seine lederbezogene Holzkiste mit der Kleidung, ein paar Büchern, einem Fernrohr, einer Schreibschatulle und seinem Essbesteck stand bereits neben dem Tisch am Fenster. Rechts davon befand sich ein großes, gemütlich aussehendes Bett mit grünem Leinenbezug und einem gleichfarbigen Bettvorhang. Er ging zum Fenster und zog den samtenen Stoff zurück. Draußen war nicht mehr viel zu sehen außer den Lichtern der Talglaternen an den Stegen des Hafens, an den Schiffen und am Leuchtturm in der Ferne. Er sah auf die Straße vor seinem Fenster, auf der vereinzelte Personen liefen und über die gerade eine Katze vor einem bellenden Hund flüchtete. In seinem Zimmer befand sich an einem Haken eine kleine Laterne, in der eine Kerze brannte. Es klopfte.

»Ja!«, sagte Nikolaus mit seiner tiefen Stimme.

Die Tür wurde geöffnet. Ein Diener des Hauses erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei und er noch etwas brauche.

»Nein, danke. Doch, halt!« Kues machte eine nachdenkliche Geste, indem er seinen Daumen und den Zeigefinger an sein Kinn legte. »Eine Karaffe vom roten Muskateller bringe Er mir noch und etwas warmes Wasser in einer Wasserkanne samt Waschschüssel.« Er wollte sich vor der Reise auf dem Meer vom heutigen Straßen- und Pferdestaub befreien. Als er wieder für sich war, kleidete er sich aus und betrachtete sich im Spiegel auf dem Tisch. Er war nicht mehr ganz jung mit seinen 36 Jahren, aber groß und kräftig, hatte nur einen kleinen Speckansatz am Bauch, sonst dominierten Muskeln seinen Körper. Er las, betete und studierte nicht nur, er ritt und übte sich auch im Fechten. Hin und wieder, wenn niemand in der Nähe war, verfiel er auf seinen Spaziergängen durch Wald und Flur oder auf Fußwegen durchaus auch einmal in einen Laufschritt, den er mit schnellem Rennen abschloss. Morgens und abends machte er gymnastische Körperübungen, benutzte auch jedes Mal einen gefüllten Bier- oder Weinkrug als Gewicht, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Nun nahm er sich Zeit zum Meditieren. Wie immer setzte er sich dazu in den Schneidersitz auf ein himmelblaues Tuch, das er dafür aus seinem Koffer nahm und auf den Boden legte, schloss seine Augen, faltete die Hände zum Gebet und atmete ruhig ein und aus. Dabei konzentrierte er sich auf den Raum in seinem Körper, auf den Raum, den sein Körper im Raum einnahm und auf den Raum im unendlichen Raum. Er befahl sich, zu einem reinen Gedanken zu werden in der Schwärze des Universums. Eins mit Gott. Denn am Anfang war das Wort. In der Thora hieß es sogar noch klarer: Am Anfang war der Gedanke. Und immer wenn sich ihm ein Gedanke aufdrängte, ließ er ihn vorbeiziehen. So verweilte er mindestens eine halbe Stunde. Das Läuten des Kampanile zu jeder Viertelstunde nahm er wahr und beschränkte seine Zeit, auch wenn er gewöhnlich viel länger im Nichts verweilen konnte.

Dann zog er ein weißes Leinenhemd zum Schlafen über und legte sich auf die feste Strohmatratze. Das Fenster hatte er einen Spaltbreit offen gelassen. Ein angenehm kühles Lüftchen zog herein. Trotzdem schloss er den Bettvorhang. Er wollte nicht von Insekten geplagt werden, die es hier auf dem südlichen Kontinent, zudem am Wasser, in fast unerträglicher Artenvielfalt gab. Schon summte etwas um ihn herum, das ihn vom Einschlafen abhielt. Seine Gedanken begannen zu kreisen. Nette Mitstreiter hatte er so weit. Man kannte sich ja von den diversen Kapiteln und Konzilien. Nikolaus war zufrieden. Natürlich auch stolz, dass man auf seine Person Wert legte und ihre Delegation sich gegen eine Gesandtschaft der Konzilsmehrheit durchgesetzt hatte. Der gesamte Klerus schaute auf sie und ihre Mission. Vereinigung hin oder her: Die Kirche musste sich erneuern! Ein einziger Sündenpfuhl – schlimmer als jede bürgerliche Gemeinschaft! Zu viel Privilegien und Macht verbunden mit den Entbehrungen eines normalen Familienlebens bei zu wenig Pflichterfüllung Gott zur Ehre. Das führte zwangsläufig zu Übel und Schandtaten. Auch ohne das Basler Konzil würde der Papst neue Wege gehen müssen. Über diese Gedanken glitt Nikolaus in tiefen und festen Schlaf, bis jemand am nächsten Morgen an seine Tür pochte.

»Aufstehen! Das Frühstück steht bereit, und in einer halben Stunde wartet die Kutsche, um unsere Sachen zum Schiff zu bringen. Kommst Du, Nikolaus?«

»Ach, Guiliano. Ja, ich bin gleich unten. Danke«, rief Nikolaus, reckte und streckte sich, setzte sich auf den Boden zur Meditation und erhob sich schon nach einigen Minuten wieder, um sich fertig zu machen und die anderen nicht warten zu lassen.

Nach einer warmen Milch mit Honig und einem Stück Gebäck verließen sie zu fünft das Haus, gefolgt von kirchlichen Bediensteten, die ihnen als Schreiber, Träger und Boten zur Hand gehen sollten. Ihre Gepäckstücke waren aufgeladen, alle nahmen sie in den zwei bereitgestellten Kutschen Platz und schaukelten über das Pflaster den kurzen Weg zur Anlegestelle ihres Schiffes. Die Sonne stand noch tief, aber der Himmel war wolkenlos, der Duft der Mandelblüten begleitete sie und die leichten Wellen des Meeres schwappten gleichmäßig ans Schiff, als sie an Bord gingen. Die Besatzung empfing sie und stellte sich den Gesandten vor. »Ich bin Euer Kapitän, Francesco Fortuna. Diese Herrschaften betreuen die Kombüse. Chefkoch Enrico Cerea wird Euch Eure Wünsche erfüllen. Steuermann Adriano Barbesca hält uns auf Kurs durch das Adriatische Meer, das Mittelmeer und hinauf den Bosporus bis zum Hafen von Konstantinopel. Die Reise dauert je nach Windstärke etwa acht Wochen. Weiter haben wir zwanzig Schiffsjungen, einen Quartiermeister, einen Segelmacher, unsere Barbiere, Trompeter, Feuerwerker, Zimmermänner, einen Schneider … Habe ich noch jemanden vergessen? Fragt mich einfach. Ich wünsche uns allen eine gute Reise und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel oder ›Leinen los und Sorgen über Bord‹!« Er lächelte und machte eine einladende Geste, wobei er gleichzeitig die Augenbrauen nach oben zog und einigen Schiffsjungen durch Blicke und eine seitliche Kopfbewegung bedeutete, sich um die Gäste zu kümmern und ihnen ihre Kajüten zu zeigen.

Nikolaus folgte einem von ihnen und sah sich um. Das Schiff machte einen guten Eindruck. Es sah neu, groß und unsinkbar aus. Es war ein Zweimaster mit einem mächtigen Rahsegel, das sich quer zur Fahrtrichtung orientierte. Der Spähkorb befand sich in schwindelerregender Höhe. Das Deck war weitläufig. Bei der jahreszeitlich zu erwartenden guten Wetterlage würden sie sich viel hier aufhalten können. Seine Kajüte lag nur ein paar Holzstufen tiefer gleich rechts neben einer Treppe. Sie war etwa vierzehn mal zehn Ellen groß. Es gab einen Schreibtisch, ein Bücherregal, das mit einer Faltschiebetür bei starkem Seegang geschlossen werden konnte, und eine hölzerne Schlafkoje. Außerdem stand da noch ein kleiner runder Esstisch mit vier Stühlen daran. Für die Stühle wie auch für den Hocker vor dem Schreibtisch gab es Eisenringe im Boden, an denen die Sitzmöbel befestigt werden konnten. Nikolaus hoffte, dass das nicht allzu oft vonnöten sein würde. Über seinem Bett und an der Wand hinter dem Schreibtisch befand sich jeweils ein Jesuskreuz.

Es klopfte an seiner Tür.

»Herein!«

»Euer Kapitän. Ich möchte mich erkundigen, ob alles nach Euren Vorstellungen gerichtet ist. Ich empfinde es als besondere Ehre und außerordentliches Zeichen des Glücks, Euch an Bord zu haben.«

»Ach, ja? Wieso?« Nikolaus zog die linke Braue nach oben.

»Nun. Ihr Namenspatron, St. Nikolaus, Nikolaus von Myra, gilt als Schutzheiliger der Seefahrt. Er errettete einst Seeleute durch die Stillung des Seesturms aus ihrer Seenot. Habt Ihr schon den kleinen Altar in Eurer Kajüte entdeckt?« Der Kapitän deutete auf eine winzige Nische hinter der Koje. Dort befand sich ein kleiner Schrein, darüber an der Wand die Figur des Bischofs Nikolaus, des St. Erasmus, Bischof von Formia, und der Jungfrau Maria, Schutzpatronin des Apostolats des Meeres. Vor dem Schrein war eine Kniebank fest arretiert.

»Ah, natürlich. Sehr schön. Ich hoffe, ich bringe uns tatsächlich Glück. Ja, alles ganz hervorragend. Danke!«

»Das Mittagsmahl gibt es im Speiseraum gleich um die Ecke, wenn die Sonne am höchsten steht«, sagte Francesco und ging. Der Kapitän war ein hochgewachsener, kräftiger Mann mit einem dichten Seemannsbart. Nikolaus fühlte sich sicher und vertraute auf seine Segel- und Navigationskünste.

Nun wurde auch seine Kiste gebracht. Er stellte seine Bücher ins Regal, darunter eine Abschrift eines Werkes des Raimundus Lullus, des Albertus Magnus, zwei Bücher zur Astronomie, einen gregorianischen Kalender, die Regula Benedicti und eine Abschrift von Auszügen des Hermes Trismegistos, die Gedanken zu Reinkarnation und mystischer Vereinigung sowie zur Überwindung von Gegensätzen beinhaltete. Seine Bibel platzierte er auf dem Altar. Sie war ihm heilig. Nicht nur das Wort Gottes, sondern auch das Stück Pergament, das er säuberlich gefaltet hinten in den ledernen Umschlag geschoben hatte. Dabei handelte es sich um eine handschriftliche Auflistung all seiner Pfründe. Es waren an die zwanzig kirchliche Ämter, die seinen Lebensunterhalt und Lebensabend sichern sollten, vornehmlich in Koblenz, Trier, Altrich und anderen Orten. Seit seiner Priesterweihe im letzten Jahr würden noch weitere hinzukommen. Er seufzte: »Noch mehr Reisen – kein Ende in Sicht. Aber über Land gefallen sie mir besser.«

Er hörte die Hörner, die das Ablegen ankündigten, ihnen folgten Kommandos, und mit leichtem Schaukeln ging das Schiff auf große Fahrt. »Vater unser im Himmel. Bewahre uns vor Unheil auf dieser Reise. Lasse Dein Antlitz wachen über uns und schenke uns Frieden. Amen!« Nikolaus bekreuzigte sich auf der Bank kniend, erhob sich und beschloss, seine Mitreisenden zu suchen.

Er traf auf Guiliano, Plethon und Basilius. Einige Minuten später kam auch Tommaso hinzu. Gemeinsam schlenderten sie über Deck, hielten ihre Gesichter in den Wind und schauten dem Schauspiel des Meeres und der Schiffsmannschaft zu. Das mächtige Segel wurde gehisst und Venedig wurde kleiner und kleiner, bis es gar nicht mehr zu sehen war. Eine Gruppe Delfine sprang in Bögen aus dem Wasser und begleitete sie neugierig ein Stück.

»Nun, Kues. Was hat Euch dazu gebracht, Euch auf dem Basler Konzil so zu ereifern? Sicher, Ihr habt mächtig Eindruck gemacht. Aber wem nützt die Beschneidung der päpstlichen Befugnisse? Wer soll sonst entscheiden? Der Kaiser? Der Adel? Oder gar das Volk?«, begann Giuliano das Gespräch und schaute ihn fragend an.

»Es geht mir weniger darum, worüber der Papst entscheidet, als darum, dass er es ohne Kontrollinstanz tut. Lasst uns einmal die Päpste durchgehen, deren Verfehlungen zu einer Aufweichung sämtlicher Kirchenregeln, ja sogar der Gebote Gottes geführt haben. Nicht nur in der Bevölkerung, sondern vor allem in den Klöstern. Stadträte, Adelige, Patrizier, weltliche Herren, Kaiser machen sich lustig über den Machtanspruch der Geistlichkeit. Von Gottes Zorn, der zu befürchten ist, ganz abgesehen«, lud er die anderen ein und fuhr fort: »Nehmen wir Papst Clemens V., den sein Verhältnis mit der schönen Gräfin Perigord in Frankreich festhielt und den Grund zu dem Papstpalast von Avignon mit seiner düsteren Großartigkeit legte. Für die Masse die Demut, Armut und Entsagung, aber für sich selbst den Prunkpalast, das Lotterbett und die gefüllte Tafel, so ist es bei den Päpsten in Avignon. Und in Rom ist es nicht besser. Johann XXIII., Inkarnation von Wollust und Grausamkeit!«

»Oh ja, Inquisitionsführer in Spanien, unter dem Hus in Konstanz brennen musste!«, ergänzte Tommaso.

»Sein wüstes Leben hätte ihn fast an den Galgen gebracht, wovon er sich mit erkaufter Kardinalswürde errettete. Doch endlich wurde über ihn zu Konstanz Gericht gehalten. Es gab kein Verbrechen, dessen man ihn nicht mit Recht beschuldigt hätte. Der öffentliche Ankläger auf dem Konzil nannte ihn den Feind aller Tugend, den Pfuhl aller Schande, das Laster der Laster und einen eingefleischten Teufel. Er wurde abgesetzt und sollte lebenslänglich ins Gefängnis. Nach kaum zwei Jahren kaufte er sich frei. Papst Martin V. machte ihn zum Kardinal von Tusculum und ließ ihn im Kardinalkollegium zur Rechten seiner Person auf einem erhöhten Stuhl sitzen, weil er doch einmal Papst gewesen war.«

Alle vier lachten verächtlich. Bessarion fügte hinzu: »Macht sich nicht Habgier und Wollust breit, dann desto mehr die Fresserei und Völlerei oder eine weibische Eitelkeit. Schminke und Kleider, besetzt mit Edelsteinen und Goldstickerei. Und vergesst nicht die Trunksucht!« Sie nickten einhellig. »Nicht lange ist es her, dass die prunküberladenen Paläste der römischen Großen wie Bordelle waren. Die Hauptstadt des Reiches war der Tummelplatz einer ungeheuren Ausschweifung. Die Zahl der Prostituierten vom vornehmsten bis zum niedersten Schlage war riesengroß. Vor fast genau hundert Jahren hat Papst Johann XXII. Zahlungen zur Absolution festgesetzt. Man stelle sich vor: Wenn ein Geistlicher fleischliche Sünden beging, sei es mit Nonnen, sei es mit Beichtkindern, bezahlte er eine bestimmte Summe. Wenn es kleine Knaben waren, eine andere Summe und so weiter. Entjungferung, Nonnen, die sich Männern hingaben – alle zahlten sie. So kam eine ganze Menge Geld zusammen!«

»Jeder von uns weiß, was noch heute hinter verschlossenen Türen vor sich geht. Der Vatikan nicht ausgenommen, die Kirchen und Klöster schon gar nicht. Und deshalb habe ich mich in Basel ins Zeug gelegt. Dennoch bin ich schließlich für mich zu dem Entschluss gelangt, dass nicht die Befugnisse das Problem sind. Die Gesetze, die dem Einhalt gebieten, sind da! Sie müssen nur befolgt und durchgesetzt werden. Die Bibel ist das Gesetz! Wir brauchen eine Erneuerung der Kirche an Haupt und Gliedern!«, schloss Nikolaus das Thema ab, als die Glocke des Kombüsenmeisters zum Mittagessen rief. »Wenn Ihr mich fragt, ist der christliche Staat ebenso wie der islamische eine Fehlentwicklung und dem Untergang geweiht. Die Zukunft gehört einem griechischen Staat, der an die klassische Antike anknüpft und sich an platonischen, pythagoreischen und zoroastrischen Prinzipien orientiert«, führte Plethon aus, während sie zum Speiseraum gingen. Nikolaus fragte sich, ob er mit dieser Ansicht der richtige Mann war, um die christlichen Kirchen zu vereinen.

Das Essen schmeckte vorzüglich, die Sonne schien, die See war ruhig und der Wein versetzte sie in gute Stimmung. Dies war der Anfang endloser Gespräche und Diskussionen und einer wochenlangen Reise. Die Gesandten, die mittlerweile Freunde waren, strukturierten ihren Tag, indem sie regelmäßig zur selben Zeit beteten, gemeinsam die Mahlzeiten einnahmen, allabendlich nach Einbruch der Dunkelheit den Sternenhimmel mithilfe der astronomischen Schriften des von Kues beobachteten sowie kartierten und lasen oder schrieben. Darüber hinaus fanden sich manchmal interessante Meerestiere in den Fangnetzen. Einer der Schiffsjungen kannte sich mit der Farbherstellung aus und freute sich einmal über den Fang einiger Purpurschnecken. Er trocknete sie und machte sie zu einem roten Farbpulver, von welchem er einen kleinen Flakon an Nikolaus verkaufte, der damit die Initialen in seinen Handschriften zu verzieren beabsichtigte. Ab und an fielen brauchbare Möwenfedern auf das Deck, aus denen sie sich Schreibfedern schnitzten. Viele Mannschaftsmitglieder ließen sie bei ihrer Arbeit zuschauen. Manche Nacht lehrte sie das Fürchten, wenn die Wellen meterhoch gegen das Schiff schlugen und sie unter Deck Mühe hatten, sich in ihren Kojen festzuhalten. Dann, irgendwann, das erlösende »Land in Sicht!«. Sie hatten ihren Zwischenhafen erreicht und gingen in Griechenland für einige Tage im Hafen von Athen an Land, wobei Bessarion sie in eines seiner Klöster zur Übernachtung einlud. Das letzte Stück der Schiffsreise war im ruhigen Ägäischen Meer leicht zu bewältigen. Und endlich erreichten sie den Hafen von Konstantinopel.

Der Abt vom Petersberg

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