Читать книгу Delicious 1 - Taste me | Erotischer Roman - Alice White - Страница 5

Оглавление

2

»Hey, ich hab mich mal umgehört, die Erde da hinterm Busch möchte Bekanntschaft mit uns machen.« Mein Blick sagte alles. Dieser Anmachsrpuch gehörte eindeutig in die Kategorie – schräg und seltsam –, und doch drehte ich mich schmunzelnd zur Seite und starrte das Gestrüpp zu unserer Rechten an. Ich hörte es regelrecht nach uns rufen. Beinah schon flehend wisperte es mir zu. Ich griff nach Hendriks Hand und zerrte ihn hinter mir her.

»Na, dann wollen wir es nicht länger warten lassen. Wenn es so erpicht auf unsere Gesellschaft ist«, sagte ich neckisch und verschwand samt Hendrik hinter dem Strauch. Der Boden sah tatsächlich sehr einladen aus, saftiges grünes Gras empfing uns. Ich legte meine Hände auf Hendriks Schultern und drückte ihn hinunter auf die Knie. Mit meinem Zeigefinger umspielte ich sein Kinn, hob seinen Kopf und blickte auf ihn hinab. Er starrte erwartungsvoll zu mir hinauf, begierig darauf, meine Wünsche zu erfüllen.

»Zieh mir meinen Slip aus«, forderte ich und machte demonstrativ die Beine breit. Er zuckte mit dem Mundwinkel. Die Augen glühten förmlich. Seine Hände schoben sich ganz vorsichtig meine Beine hinauf, unter den Rock meiner Uniform, langsam wandernd meinem Slip entgegen. Als sich seine kalten, fast eisigen Fingerspitzen unter den Stoff meines Höschens schoben, kribbelte es mir die Wirbelsäule hinunter bis hin zu den Zehenspitzen. Ich beugte mich leicht zu ihm, griff nach seiner Krawatte und wickelte sie spielerisch um meine Hand. Dann zog ich sie fest und seinen Kopf somit dichter an meine Schenkel heran. Ich konnte seinen Atem auf der Haut spüren, so dicht war er mir.

»Jetzt leck mich«, befahl ich, den Stoff noch immer fest in meiner Handfläche. Er gehorchte. Seine Hände ruhten auf meinem Hintern, während er sein Gesicht zwischen meinen Schenkeln vergrub und begierig an mir saugte. Es war gut, wirklich gut. Doch es reichte mir nicht.

»Jetzt schieb einen Finger in mich.« Ohne mit seinem Zungenspiel aufzuhören, tat er, was ich verlangte, und glitt in mich hinein. Ich stieß ein erregtes Stöhnen aus, als er ...

»Verdammter Mist! Ich war fast so weit.« Verärgert und gleichermaßen erregt schlug ich die Bettdecke auf. Ich schaute giftig zu meinem Wecker hinüber, der nichtsahnend seine Pflicht tat und vor sich hin pfiff. Er konnte ja nicht ahnen, in welch berauschenden Gefilden ich gerade unterwegs gewesen war. Ich drückte wie üblich die Schlummertaste, doch nicht um mich noch mal umzudrehen. Nein, diesmal hatte ich andere Pläne. Ich griff in die Schublade meines Nachtschranks und holte meine elektrische Zahnbürste heraus. Ja, Zahnbürste. Ich habe diverse Vibratoren und Massagegeräte ausprobiert, doch keins konnte mit meinem zweckentfremdeten Lieblingsspielzeug mithalten. Einziger Nachteil: Das Ding ist laut.

Ich zog mir meinen feuchten Slip aus, legte die Bürste auf die Matratze und setzte mich drauf. Als das Vibrieren, schon beinah ohrenbetäubend, einsetzte, spann ich in Gedanken meinen Traum weiter. Ich stellte mir vor, wie Hendrik jetzt unter mir liegen und ungezügelt meine Bedürfnisse befriedigen würde. Wie er bei jedem Fingerschnippen meinen Anweisungen Folge leisten würde, immer darauf bedacht, meinen Wünschen zu entsprechen. Ich dämpfte das Surren mit meiner Bettdecke und rutschte mit meiner Klitoris auf dem zuckenden Bürstenkopf hin und her. Ich umklammerte meine Brüste und tat so, als wären es Hendriks Hände und seine Finger, die an meinen Brustwarzen spielten, seine Zunge, die mich leckte, sein Körper unter mir. Einzig und allein dafür da, um mir körperliche Freuden zu bereiten. Mit diesem Gedanken verharrte ich, bis ich Erlösung fand.

Ich kam recht schnell zum Höhepunkt. Meine Zahnbürste und ich waren ein eingespieltes Team. Und auch wenn die begleitenden Bilder meine Fantasie deutlich beflügelt hatten, so fühlte ich mich dennoch irgendwie unbefriedigt. Mit sich selbst war es eben doch nicht dasselbe. Das hatte ich schon immer so empfunden. Es hatte für mich stets etwas Mechanisches an sich. So eine Art Druckventil, das man bei Gelegenheit schnell mal öffnen konnte. Nicht sonderlich erotisch. Körperlich befriedigend ja, geistig nicht. Mein Schambereich zuckte noch immer. Gedanklich war ich nicht fertig. Ich wollte mehr. Viel mehr.

***

Anfang März waren Christian und Hendrik bereits gut im Team angekommen und der Betrieb lief wieder, wie er sollte. Endlich hatten wir nach getaner Arbeit die Zeit, und vor allem die Kraft, auf der Terrasse gemeinsam unser Feierabendbier zu genießen. Heute lernten wir Ole kennen, Christians Freund und Lebenspartner. Sympathisch, etwas schrill und im Vergleich zu Christian deutlich extrovertierter. Er hatte eine ziemlich laute Lache und blaue Augen. Wie er mir erzählte, habe er einen Hut-Tick und sei ein leidenschaftlicher Sammler. Er trug eine Glatze, wobei das wohl eher am Mangel an Haaren lag als an einer modischen Entscheidung. Dafür hatte er entlang des Kiefers einen sehr stilvoll rasierten Bart. Alles in allem war er ein sehr ansehnlicher Mann. Passenderweise arbeitet Ole in einer Bar. Das erklärte auch, warum Christian mit Vorliebe die Nachtschicht übernahm. So hatten sie mit Glück beide gleichzeitig Feierabend. Es wäre unmöglich, mit jemandem zusammen zu sein, der nicht in der Gastronomie arbeitete, sagten beide. Außerhalb würde keiner Verständnis für die undankbaren Arbeitszeiten haben. Ich gab ihnen recht. Nicht, dass es mich interessierte, was meine Affären über meine Arbeitszeiten dachten, aber wenn man fast immer bis spät in die Nacht arbeitete, konnte einem das schon mal in die Quere kommen.

»Nein, ehrlich, Ole, Christian läuft hier wirklich gut an. Vor allem die Damenwelt ist sehr angetan«, sagte Marlon.

»Das überrascht mich nicht. Schwule sind immer ein Frauenmagnet. Das ist überall so«, erwiderte Ole und küsste seinen Freund. Wir lachten und flachsten die halbe Nacht. Keiner von uns dachte daran, nach Hause zu gehen. Der Alkohol floss und die Gespräche wurden schlüpfriger. Hendrik erzählte von einem Abenteuer bei seiner letzten Arbeitsstelle. Eine ältere Frau, seine Vorgesetzte und mit dem Chef verheiratet.

»Wow, das hätte ich dir gar nicht zugetraut«, entgegnete ich lässig. Und wie ich es ihm zutraute. Stille Wasser waren tief und vor allem schmutzig. Sagte ich doch. Aber ich wollte mir nicht anmerken lassen, dass ich ihn mir bereits nackt vorgestellt hatte. Und so tat ich beeindruckt, aber überrascht.

»Und, Alex? Du hast doch sicher auch schon einiges auf dem Kerbholz«, meinte Ole und grinste seinen Partner an. Der wiederum grinste mich an und hob erwartungsvoll die Augenbrauen.

»Wie kommst du denn darauf? Ich bin die Unschuld in Person.« Ich machte ein entsprechendes Gesicht und nahm einen Schluck Bier. Die beiden nickten, stießen noch mal an, ohne weiter nachzufragen, und beschäftigten sich wieder mit sich selbst. Marlon schüttelte grinsend den Kopf und ging mit dem Tablett nach drinnen, um neue Getränke zu holen.

Auch wenn wir nie was miteinander gehabt hatten, kannten wir unsere Einstellungen zum Thema Sex voneiander. Er wusste, dass ich nicht schüchtern war und schon einige Kerben im Bettpfosten hatte. Metaphorisch gesprochen. Ich treibe es lieber auf dem Küchentisch. Der würde nicht mehr stehen, hätte ich jedes Mal eine Kerbe ins Bein gehauen.

Ole und Christian schienen sich prächtig zu amüsieren. Sie brachen immer wieder in lautes Gelächter aus. Aus der Küche hörte man, wie Marlon verschiedene Getränke aufzählte.

»Nehme ich«, rief Ole und legte lüstern seine Hand auf Christians Brust. Ich schaute flüchtig zu Hendrik rüber. Es war mir nicht entgangen, dass er mich die letzten zehn Minuten nicht einmal aus den Augen gelassen hatte. Er grinste, als sich unsere Blicke trafen. Marlon kam mit den Getränken zurück.

»Alex, einen Martini?«

»Mit?« Marlon nickte. Er wusste schon, was ich fragen wollte.

»Ja, mit Olive. Ich weiß doch, wie du es gernhast«, sagte er mit einem hämischen Grinsen im Gesicht.

»Hast du eine Ahnung«, erwiderte ich. Er grinste noch etwas breiter. Ich erwiderte es, nahm mein Glas vom Tablett und schaute flüchtig zu Hendrik. Ich wollte, dass er sah, wie ich meine Olive erst mit der Zunge umspielte, bevor ich sie genussvoll vom Zahnstocher zog. Jetzt würde er sich unweigerlich vorstellen, was ich mit meiner Zunge noch so alles anstellen könnte. Hey, ich hab zwar gesagt, ich ficke nicht mit Kollegen, spielen ist aber erlaubt.

***

Gegen zwei hatte ich genug und rief mir ein Taxi. Als das Auto auf den Hof fuhr, klopfte ich auf den Tisch und verabschiedete mich.

»Ich begleite dich noch«, sagte Hendrik und kam mir nach. Die drei Verbliebenen waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie nichts mitbekamen.

»Sag mal, was machst du so, wenn du nicht hier bist und den Männern den Kopf verdrehst? Gehst du manchmal auch aus?« Oh Gott, fragte er mich grade nach einem Date? »Falsche Frage?«, schob er hinterher.

»Grundsätzlich gehe ich aus, ja. Aber ...«

»Du hast einen Freund«, unterbrach er mich mit einem Hauch von Enttäuschung in der Stimme. Ich prustete verächtlich los.

»Ich habe keinen Freund. Ich habe nur Sex. Und das grundsätzlich.« Er grinste. Mann, war der süß. Er legte seinen Arm übertrieben lässig aufs Autodach.

»Na, so was. Keine monogame Veranlagung?«, fragte er interessiert. Ich schüttelte belustigt den Kopf. Er näherte sich meinem Gesicht. »Das klingt äußerst vielversprechend. Ich hole dich morgen Abend um acht ab«, entgegnete er mit fester Stimme. Seine Selbstsicherheit brachte mich zum Schmunzeln. Ich strich ihm über seine Wange und lächelte ihn an.

»Du bist süß, schon fast ein bisschen zu süß.« Ich wollte mich gerade von ihm abwenden, doch er packte mich an meiner Hüfte und drückte mich an sich.

»Ich kann auch ganz anders, wenn du das willst.« Wusste ich es doch. Ich musste ein Grinsen unterdrücken.

»Oh, das ist ja schön, zu wissen, aber ich gehe nicht mit Kollegen aus. Also danke, aber nein danke«, sagte ich trocken und gab ihm einen Abschiedskuss auf die Wange. Ich stieg ins Taxi und schaute noch mal zu ihm auf.

»Ganz sicher? Immerhin bin ich ja nur eine Aushilfe ohne festen Arbeitsvertrag. Auf dem Papier haben wir keinerlei Verbindung.« Jetzt konnte ich mir das Grinsen nicht mehr verkneifen. Hendrik war aber auch schlagfertig. Dennoch schüttelte ich den Kopf und gab ihm einen Korb. Doch ich konnte an seinem Blick erkennen, dass er es sicher nicht bei dieser einen Einladung belassen würde. Er hatte den Herausforderung-angenommen-Blick.

»Na dann, komm gut nach Hause.« Er gab der Tür einen Schubs und klopfte aufs Autodach.

***

In der darauffolgenden Woche wurde ich von André zu ihm nach Hause zitiert. Er hätte noch mal über unser letztes Gespräch nachgedacht und es wäre an der Zeit, dass ich Carina jetzt so richtig eng kennenlernen müsste. Yeah.

»Kann’s kaum erwarten«, log ich und versuchte, am Telefon so glaubwürdig wie möglich zu klingen. Als ich das letzte Mal bei ihnen daheim gewesen war, hatten sie gerade ihre Einweihungsfeier gegeben. Zusammenziehen, juhu. Carina hatte über nichts anderes gesprochen. Wie intim es doch wäre, nun auch räumlich sein Leben miteinander zu verbringen. Und dass man einen Menschen ja erst richtig kennen würde, wenn man das Bad mit ihm teilen würde. Ich hatte mich damals ernsthaft zusammenreißen müssen, um nichts zu sagen. Als ich ein Würgegeräusch angedeutet hatte, hatte mich André so heftig unterm Tisch getreten, dass ich lieber ruhig geblieben war. Ich persönlich halte rein gar nichts vom Zusammenleben. Ich bin froh, dass ich bestimmte Dinge nicht mit irgendwem teilen muss. Und es gibt auch genügend Sachen, die ich von einem anderen Menschen weder hören noch sehen will.

***

»Hi, danke für die Einladung«, heuchelte ich, als Carina mir die Tür öffnete. Meine Schwägerin in spe hatte ihr schönstes Lächeln aufgesetzt, ebenso scheinheilig.

»Oh, hi, Alex, wir dachten schon, du würdest es nicht schaffen und hättest nur wieder vergessen, anzurufen.« Da war es schon. Das erste Leck mich des Abends. Carina war etwas dümmlich, aber sie besaß das Talent, Kritik und ihren Unmut auf eine so herzallerliebste Art und Weise kundzutun, dass man kaum registrierte, wie man gerade ein großes Leck mich an den Kopf geknallt bekam. Auch heute zeigte sie sich mal wieder in Höchstform.

»Danke, Gott, ich bin am Verhungern«, sagte ich mehr in den Flur hinein als zu ihr.

»Oh, du dachtest, wir essen mit dir zusammen? Ach, wie schade. Wenn ich das gewusst hätte.« Das zweite Leck mich des Abends. Natürlich mit einem zuckersüßen Augenaufschlag, der nicht hätte eindeutiger sein können.

»Schatzi, deine Schwester ist da.« Carina ließ mich einfach im Flur stehen und verschwand im Wohnzimmer. André kam um die Ecke und drückte mich zur Begrüßung.

»Du hattest Abendessen gesagt. Ich habe extra nichts gefuttert, du Arsch.« Ich schlug ihm gespielt gegen die Schulter und zog mir meine Schuhe aus.

»Ich dachte, du würdest dich ohnehin wieder vorher versorgen, weil du Carinas vegane Küche doch nicht magst. Du hast noch nie mitgegessen«, nuschelte er kleinlaut. Ich zog eine Grimasse und ging ins Wohnzimmer. »Woher sollte ich wissen, dass es ausgerechnet heute anders wäre?«, schob er hinterher.

»Ja, schon gut, ich wollte mir heute mal Mühe geben. Mein Fehler«, sagte ich genervt und ließ mich auf die Couch fallen.

In den darauffolgenden anderthalb Stunden musste ich mir Carinas nervtötende, piepsige Stimme anhören und wie sie von Einbauschränken und Tagescremes sprach. Ich versuchte auf Biegen und Brechen, mich irgendwie an dem Gespräch zu beteiligen. Vergebens. Am Ende tat mir nur mein Bruder leid. Er hatte es wirklich versucht. Aber es war ausgeschlossen, dass ich mich jemals dieser Frau annähern würde.

»Habt ihr was zu trinken da?«, fragte ich in der Hoffnung, mich wenigstens betäuben zu können. Carina stand auf, ohne darauf zu verzichten, mir einen wütenden Blick zuzuwerfen, weil ich mich erdreistet hatte, sie während ihrer Anekdote über ihre Omi zu unterbrechen.

»Bier haben wir nicht. Ich habe nur Prosecco und Wein, aber der ist sicher viel zu fein für dich. Da kannst du ja gar nichts mit anfangen, oder Liebes?« Und das nächste Leck mich. Ich quälte mir ein Lächeln ab.

»Schatz, bitte. Vertragt euch.« André blickte mahnend zu Carina, die mit einem genervten Augenrollen antwortete. Sie seufzte und drehte sich zu mir um. Ihr Mund lächelte, im Gegensatz zu ihren Augen, die mich regelrecht durchbohrten.

»Alex, darf ich dir ein Glas Prosecco anbieten?«

»Sicher, warum nicht.« Ich wollte gerade sagen, dass ich in diesem Moment auch literweise Hustensaft trinken würde, nur um sie besser ertragen zu können, als es an der Tür klingelte. Carina hopste aufgeregt in den Flur.

»Sie sieht aus, als erwartet sie den Weihnachtsmann.«

»Tut mir schrecklich leid, wirklich, Alex.« André starrte auf seine Füße, ohne ein einziges Mal aufzublicken.

»Was ist hier los?«, fragte ich ihn. Doch bevor ich eine Antwort erhielt, kam diese eingehakt an Carinas Arm ins Wohnzimmer.

»Alex, das hier ist der liebe Heiner. Er ist bei mir im Buchclub und war so neugierig auf dich, dass ich einfach nicht widerstehen konnte.« Du Miststück. Ich wusste nicht, ob sie ihn mir nur aus Boshaftigkeit vorstellte oder mich ernsthaft verkuppeln wollte.

Was folgte, war das schrägste erzwungene Date, das ich je hatte. Heiner entpuppte sich als ein – wie sollte ich es sagen? – Seelenverwandter von Carina. Sie lachten und feixten den ganzen Abend wie alte Freunde und man konnte den Eindruck gewinnen, die beiden hätten etwas miteinander gehabt. Mein Bruder schien das nicht weiter zu bemerken. Er versteckte sich hinter seinem Weinglas, an dem er nur mangelhaft begeistert nippte, und trug nicht allzu viel zu der Unterhaltung bei.

Carina hingegen redete ununterbrochen und schwärmte in den höchsten Tönen von mir. Ich konnte mich nicht erinnern, dass sie je so nett von mir gesprochen hatte. Heiner klebte an Carinas Lippen. Dass sie ihm von mir erzählte, schien ihn herzlich wenig zu interessieren. Hin und wieder schaute er zu mir rüber, um in meinen Augen den Anschein zu wahren. Meinem Bruder zuliebe versuchte ich, mich krampfhaft am Gespräch zu beteiligen.

»Heiner, also Bücher, ja?« Er nickte. Seine kleinen Knopfaugen fixierten mich nur kurz, dann schaute er wieder zu Carina. Ich war scheinbar nicht sonderlich interessant. »Was liest du zurzeit?«, fragte ich, ohne mir die Antwort wirklich anhören zu wollen.

»Ach, ich lese so viele Dinge gleichzeitig. Ich kann mich so schwer auf eine Sache festlegen«, meinte er monoton. Carina machte eine verheißungsvolle Geste in meine Richtung.

»Genau wie Alex. Sie kann sich auch nie für eine Sache entscheiden. Auf einen Mann hat sie sich jedenfalls noch nicht festlegen können.« Sie grinste und jetzt konnte ich die Anstrengung in ihren Gesichtszügen sehen. »Es sei denn, sie legt sich auf ihn«, sprach sie so leise in ihr Glas hinein, dass nur ich es mitbekam.

Offenbar erhoffte sie sich etwas davon, mich und Heiner zu vereinen. Sonst würde sie wohl kaum so hart dafür schuften. Der Gedanke, dass sie innerlich gerade vor Wut tobte, gut von mir sprechen zu müssen, amüsierte mich so sehr, dass ich aus heiterem Himmel den großen Drang verspürte, mich intensiv um Heiners Aufmerksamkeit zu bemühen.

»Heiner, noch Wein?« Ich stand auf, griff nach der Flasche und trat hinter seinen Stuhl. Ich knöpfte meine Bluse etwas weiter auf, was Carina natürlich nicht entging, und beugte mich lasziv zu ihm hinunter, um ihm nachzuschenken. »Und, Heiner? Was machst du beruflich?« Ich zwinkerte Carina amüsiert zu und genoss es, zu sehen, wie sie das Weinglas so fest umklammerte, dass sie es beinah zerbrach. André meldete sich unangekündigt aus seiner Schockstarre zurück.

»Bist du nicht auch in der Hotelbranche?«, fragte er und schaute vorwurfsvoll auf meinen Ausschnitt. Ich zuckte nur mit den Schultern und setzte mich direkt neben Heiner.

»Nicht ganz. Heiner ist in der Reiseleitung tätig«, sagte Carina empört, als hätte André ihn mit seiner Frage beleidigt.

»Du meine Güte. Noch etwas, das wir gemeinsam haben«, entgegnete ich aufgeregt wie ein Schulmädchen. »Erzähl mir mehr«, forderte ich ihn auf.

Heiner schien verwirrt zu sein. Er legte seine flache Stirn in Falten und strich sich unbehaglich über sein spitzes Kinn. Den gesamten Abend über hatte Carina das Gespräch dominiert und das war ihm offenbar recht gewesen. Ob er überhaupt etwas von ihren Verkupplungsplänen ahnte? Er wusste jedenfalls nicht so recht, wo er hingucken sollte. Wie ein Hase vor dem Jäger zuckte er von rechts nach links.

»Meine Schwester ist Restaurantfachfrau. Sie hat schon in den ganz großen Hotels hier in der Gegend gearbeitet.« Offenbar hatte auch André an dem Gedanken Gefallen gefunden, mich zu verkuppeln. Unterschwellig hoffte er wohl doch noch, dass ich mich urplötzlich entsinnen und ein Leben als Vorstadtspießerin für erstrebenswert halten würde. Da es aber nie dazu kommen würde, spielte ich einfach weiter mit.

»Zurzeit arbeite ich in einem Hotel am Waldrand. Es heißt Zur Pferdebox. Kennst du das?« Er schüttelte verlegen den Kopf. Ihm war offensichtlich unwohl. Hilfe suchende Blicke gingen in Carinas Richtung. Sie ignorierte diese und versuchte sich weiterhin als Kuppelmutter.

»Das solltest du dir mal anschauen. Es ist wirklich gemütlich. Und so urig«, sagte sie und lächelte wieder ihr schönstes Leck-mich-Lächeln. Aus ihrem Mund klang unsere Restaurantbeschreibung regelrecht wie eine Beleidigung. Es war tatsächlich etwas urig. Was wohl daran lag, dass es nun mal ein umgebauter Pferdestall war. Was auch den Namen erklärte. Wenn man unser Restaurant betrat, hatte man wirklich das Gefühl, hinter einer der Trennwände auf ein Pferd zu stoßen. Der Architekt war bemüht gewesen, so viel wie möglich von der alten Struktur zu lassen. Was ihm, wie ich fand, wirklich gut gelungen war.

Ich wandte meinen Blick zu Heiner.

»Oh, und die Zimmer erst. Wirklich gemütliche Betten. Findest du nicht auch, dass Hotelbetten etwas Magisches an sich haben?« Ich legte meine Hand auf seinen Oberschenkel und schaute ihm verträumt in die Augen.

»Wein?!«, schrie Carina förmlich, als sie meine Hand in den Schritt von Heiner wandern sah. Der wiederum schreckte davon so sehr zusammen, dass er sein Glas umstieß, dessen Inhalt auf seine Hose tropfte.

»Oh je, welch ein Missgeschick. Ich mach das schon.« Ich griff nach dem Stapel Servietten, der in der Mitte des Tischs lag, und wollte sie gerade auf seinen Schoß pressen, als Heiner hektisch aufsprang.

»Carina, vielen Dank für die Einladung. Das werde ich sicher nicht so schnell vergessen. Ich ... Es hat mich gefreut.« Er drehte sich noch kurz zu uns um und verschwand dann im Flur. Carina warf mir erneut einen bösen Blick zu und folgte ihm bestürzt. Ich sah zu meinem Bruder. Er versuchte gerade, mit sich selbst auszumachen, ob er lachen oder mich tadeln sollte. Er kam nicht dazu, sich zu entscheiden. Carina kam wutentbrannt ins Wohnzimmer zurück.

»Das reicht. Ich habe es wirklich versucht, aber du bist einfach unmöglich. Was hat dir der arme Heiner nur getan, dass du ihn so behandeln musst?« Ich grinste unbeeindruckt.

»Nun, nach dem, was ich gefühlt habe, hat ihm meine Behandlung mehr als gefallen«, sagte ich provozierend.

»Genug, raus aus meiner Wohnung, du Flittchen.« Im gleichen Moment wie ihr das Wort über die Lippen kam, fiel ihr Blick auf André, der sie entsetzt anstarrte. Sie hielt sich erschrocken die Hand vor dem Mund.

»Tja, das ist wohl mein Stichwort«, meinte ich eher belustigt als beleidigt und schlug mir die Hände auf die Oberschenkel. André sagte nichts. Er drückte mich bloß entschuldigend und verschwand dann mit einem lauten Knall im Arbeitszimmer. Ich erhob mich triumphierend und ging auf Carina zu.

»Ich wette, er hat sich vorgestellt, es wäre deine Hand, die ihm den Schwanz massiert.« Ich griff nach meiner Tasche und trat zur Tür.

***

Auf der Straße atmete ich tief durch. Ich ging gerade in Richtung S-Bahn-Station, als ich eine Stimme hörte.

»Alex, warte.«

»Oh Gott, nein.« Heiner stand an der Laterne und zog nervös an einer Zigarette.

»Heiner, du bist ja noch hier.« Er kam unsicher auf mich zu und blieb dann gut anderthalb Meter vor mir stehen. Als ob ich ihn sonst beißen würde.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, meinte er mit Hilfe suchendem Blick in meine Richtung. Ich wusste es auch nicht.

»Netter Abend vielleicht?«, scherzte ich.

»Soll ich dich nach Hause fahren?«, fragte er. Ich wollte gerade Nein sagen, als ich in seinen Augen sah, dass er noch Redebedarf hatte. Der arme Kerl. Heiner war eigentlich ganz süß. Auf eine etwas unbeholfene Art. Sein gekräuseltes Haar schmeichelte seinem schmalen Gesicht. Wobei seine Frisur ihn deutlich älter aussehen ließ, als er vermutlich war. Er war schon fast attraktiv, hatte allerdings einen grauenhaften Modegeschmack. Ausbaubar. Ich überlegte kurz, ob ich ihn mit nach Hause nehmen sollte. Entschied dann aber, es sein zu lassen. Er wirkte auf mich nicht, wie ein One-Night-Stand-Typ. Eher wie der Liebe-auf-den-ersten-Blick-Kerl und solche wurde man nach dem Sex nur schwer wieder los.

Wir fuhren durch die dunklen Straßen und schwiegen uns erst mal nur an. Als wir an einer roten Ampel hielten, schnallte Heiner sich plötzlich ab, um mich dann im Sturm zu küssen. Unkoordiniert grabschte er nach meinen Brüsten. Ich stieß ihn von mir weg.

»Sag mal, spinnst du? Was sollte das denn?«

Heiner starrte mich erschrocken an, als hätte ich gerade Bambis Mutter erschossen. Bevor er etwas sagen konnte, sah er die grüne Ampel und fuhr weiter.

»Mal ehrlich, Heiner.«

»Entschuldige«, stammelte er. »Ich dachte nur ...«

»Du dachtest, was? Oh, weil ich dir kurz dein bestes Stück getätschelt habe, darfst du gleich über mich herfallen, oder was?« Er öffnete den Mund, aber nichts kam heraus. »Eigentlich stehst du doch auf Carina. Wieso hast du dich überhaupt auf diesen Abend eingelassen?« Er schaute beschämt weg.

»Ich kann Carina einfach nichts abschlagen. Und ja, ich mag sie, ich dachte nur, ach, ich weiß auch nicht, was ich gedacht habe. Tut mir leid.« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Zum Glück waren wir fast da.

»Da vorne kannst du anhalten«, meinte ich. Er parkte das Auto und drehte sich hektisch zu mir um. Im ersten Moment dachte ich, er wollte einen zweiten Angriff starten, aber er hielt inne und schaute mich traurig an. Ein kleines Häuflein Elend.

»Kann ich dich anrufen?«, fragte er schon beinah verzweifelt.

»Ich wüsste nicht, warum. Heiner, du scheinst ein netter Kerl zu sein. Aber ich hab wirklich kein Interesse an dir. Danke fürs Fahren.« Er wollte vermutlich noch etwas sagen, aber ich stieg aus dem Wagen und wünschte ihm alles Gute. Ich beobachtete, wie er um die Ecke bog, und ging dann nach oben.

***

»Guten Morgen, Alex. Und? Wie war dein Wochenende? Ist dir jemand Interessantes über den Weg gelaufen? Wenn nicht, könnte ich dir da jemanden empfehlen.« Hendrik griente mich keck an, während ich mir noch die Schürze richtig festband und meine Bluse glattstrich.

Im Gegensatz zu vielen anderen Uniformen, die ich schon hatte tragen müssen, war unsere doch recht ansehnlich. Weit entfernt davon, bieder oder altbacken genannt zu werden, aber doch beweglich genug, um darin arbeiten zu können. Abgesehen von den weißen Blusen, die für meinen Geschmack grundsätzlich mit zu viel Stärke behandelt wurden. Ich mochte unsere Arbeitskleidung. Eine schlichte weiße Bluse sowie eine hellgrüne Krawatte, auch für die Damen, ein knielanger schwarzer Rock und eine gleichfarbige Schürze mit grün aufgesticktem Restaurantnamen. Für meinen Geschmack könnte der Rock zwar etwas kürzer sein, aber ich fühlte mich wohl. Und auch die Herren machten eine außerordentlich gute Figur. Grundsätzlich fand ich, dass die Männer immer ein Stück weit besser ausstaffiert waren als die Frauen. Ach, ich stehe einfach auf Männer in Uniform.

Hendrik hob erwartungsvoll die Augenbrauen.

»Oh, mir ist tatsächlich was vor die Flinte gelaufen.« Ich musste ihm ja nicht sagen, wie mein Abend mit Heiner tatsächlich gelaufen war.

Ich griff an ihm vorbei zu den Handtüchern und streifte dabei seinen Unterarm. Es kribbelte. Sogar ziemlich heftig. Ich hielt die Luft an und spürte, wie sich die kleinen Härchen auf meinem Arm nahezu eins nach dem anderen aufstellten. Dass eine so leichte Berührung ausreichte, um bei mir einen Anflug von Verlangen auszulösen, lag wohl an der mehr als schmerzlichen Tatsache, dass ich bereits seit neununddreißig Tagen enthaltsam war. Nicht freiwillig. Mein Terminplan war schuld gewesen. Meine Libido lief seit Wochen auf Hochtouren. Neununddreißig Tage keinen Sex. Für mich war das viel. Nicht, dass ich es täglich brauchte. Vor allem, wenn ich keinen festen Sexpartner hatte. Aber wenigstens einmal die Woche musste sein. Hendrik starrte mich ungläubig an.

»Mann, muss der gut gewesen sein, dass du jetzt noch vor Erregung erschauderst.« Ich löste mich räuspernd aus meiner Schockstarre und blickte tadelnd zu ihm. Er schaute mich vergnüglich an und polierte die Gläser, während ich in meinem Hirn nach meiner Schlagfertigkeit suchte. Ich fand sie an diesem Tag nicht wieder.

***

Am nächsten Morgen auch nicht. Und auch nicht an dem darauf. Dann am dritten Tag kehrte meine Wortgewandtheit glücklicherweise zurück. Ich beschloss, mich von Hendrik nicht weiter aus dem Konzept bringen zu lassen, und konzentrierte mich auf die Arbeit.

»Kai, übernimm für mich«, rief Marlon, als er gerade wutentbrannt aus dem Roten Festsaal kam. Ich stand an der Bar und machte die Bestellungen für die regulären Restaurantgäste fertig. Ganz ohne Bardienst ging es leider doch nicht. Hendrik war heute bei der Firmenfeier eingeteilt. Und da Kai und Collin genauso ungern hinter der Bar standen wie ich, hatten wir es einfach ausgeknobelt. Heute hatte ich den Kürzeren gezogen.

»Was zum Teufel?«

»Kein Wort«, fuhr er mich scharf an, als ich Marlon gerade nach dem Rotweinfleck auf seiner Brust fragen wollte. Er verschwand genauso schnell wie er gekommen war in der kleinen Seitentür, die zu den Umkleiden führte. Sören kam hinterhergehechtet.

»Das hättest du sehen müssen, Alex.« Er zischte an mir vorbei, rein in die Abstellkammer. Sekunden später flog er wieder in den Festsaal, bewaffnet mit Handfeger und Schaufel. Sören war seit einem Jahr hier. Er war noch in der Ausbildung zum Restaurantfachmann und hatte daher ein deutlich höheres Pflichtgefühl gegenüber unserem Arbeitgeber als manch anderer. Er trug eine rote, viel zu große Hornbrille, wegen der er ständig aufgezogen wurde, und war von der Statur her eher klein. Nicht kleiner als ich, aber nah dran. Letzte Woche hatten wir seinen achtzehnten Geburtstag gefeiert und er hatte sogar für uns alle gebacken. Ein wirklich sympathischer Bursche. Definitiv angenehmer als Kai und Collin. Ein verschrobenes Duo, das sich schon seit der Schulzeit kannte und hier wirklich nichts anderes taten, als zu arbeiten. Höchst professionell und reserviert. Ich machte das Tablett für Collin fertig, der wie immer nichtssagend nickte, und folgte Marlon in den Flur.

Ich schloss die Tür hinter mir und steuerte die Herrenumkleide an. Ich konnte ihn schon von Weitem fluchen hören. Die Kabinentür stand offen. Marlon beugte sich über das Waschbecken und versuchte, sein Hemd vom Rotwein zu befreien. Ich klopfte an den Türrahmen.

»Alles ok?«, fragte ich ihn.

»Geh wieder an die Arbeit«, meinte er schroff. Ich ließ mich davon nicht beeindrucken und trat zu ihm, nahm ihm sein Hemd aus der Hand und griff nach einem Handtuch, um es ihm zu reichen.

»Gib her jetzt. Du machst ja alles noch schlimmer. So kriegst du das nie wieder raus.« Ich wrang das Hemd aus und legte es erst mal über den Stuhl. Erst jetzt bemerkte ich die Verletzung an Marlons Hand. Fast im selben Augenblick fiel mir auf, dass er gerade mit nacktem Oberkörper vor mir stand und sich seine Hose trocken rieb.

»Lass mal sehen.« Ich nahm ungefragt seine Hand und besah die Wunde. Es war nicht schlimm. Ich griff nach den Papierhandtüchern und presste sie auf die Blessur. Behutsam versorgte ich den Schnitt in seiner Handfläche und schielte währenddessen immer wieder zu seinem Oberkörper.

Marlon war von recht kräftiger Statur. Nicht dick, nur kräftig. Mit seinen knappen eins achtzig, war er gerade an der Grenze. Noch größer war für mich nichts. Sich für jeden Kuss auf eine Mauer stellen zu müssen, wäre lästig. Seine fast schwarzen Haare waren etwas länger. Ich glaubte sogar, dass sie einen Tick länger als meine waren. Ich trug sie schon seit Längerem recht kurz, weil es mich immer genervt hatte, dass die Haare so auf der Haut klebten, wenn man sich gerade frisch eingecremt hatte. Und da ich sie mir für die Arbeit ohnehin hochstecken musste, hatte ich mich kurzerhand davon getrennt. Bis heute bereute ich es nicht.

Ich starrte unverhohlen auf Marlons leicht gebräunte Haut und stellte mir vor, wie sie sich an meiner anfühlen würde. Er hatte wirklich sehr ansehnlich definierte Brustmuskeln und einen leichten Ansatz an den unteren Bauchmuskeln.

Mehr muss es für meinen Geschmack gar nicht sein. Wenn Männer übermäßig aufgepumpt sind und quer durch die Tür gehen müssen, weil sie ihre Arme nicht mehr senken können, macht mich das kein bisschen an. Auch ein klares Sixpack muss ich wirklich nicht haben. Die sehen vielleicht schön aus, aber um drauf zu liegen, sind die wirklich nichts. Steinhart und unbequem.

»Sieht nicht schlimm aus. Willst du mir erzählen, wie du das hinbekommen hast?« Ein mürrischer Blick, gefolgt von einem nachdrücklichen Nein in meine Richtung. »Ich glaube, im Büro bist du besser aufgehoben. Ich kann für dich übernehmen. Das Restaurant schaffen Kai und Collin auch alleine. « Er wollte gerade etwas sagen, doch ich ließ ihn nicht. »Keine Widerrede. Mit ’ner verletzten Hand stehst du uns ohnehin nur im Weg. Aber du darfst dich gern bei mir revanchieren. Ein freier Sonntag wäre mal ganz nett.«

»Ist ja gut«, sagte er mürrisch. Ich drückte ihm noch ein weiteres Papierhandtuch auf die Wunde und trat einen Schritt zurück. Spielerisch strich ich mir mit der Hand über mein Kinn.

»Also, auch wenn ich nichts dagegen hätte, wenn du so bleibst, aber du solltest dich auf die Suche nach deinem Ersatzhemd machen.«

»Immer noch einen oben drauf. Freches Stück. Los, an die Arbeit.«

»Sprach der Chef.« Ich salutierte und konnte im Gehen noch ein kurzes Lächeln auf Marlons Lippen entstehen sehen. Ich trat gut gelaunt auf den Flur und stieß dabei fast mit Hendrik zusammen.

»Was grinst du denn so? Doch nicht etwa meinetwegen, oder?« Er fuhr sich betont durch die Haare, während er sich an mir vorbeischob. Dabei nahm er unnötig viel Platz ein und kam meinem Gesicht dichter, als mir lieb war.

»Beim nächsten Mal sagst du Bescheid, wenn du mal verschwinden musst. Für ’nen Quickie hab ich immer Zeit.«

»Oh, danke, aber ich bin durchaus imstande mir selbst Abhilfe zu verschaffen, wenn mir danach ist.« Zweiundvierzig Tage keinen Sex. Hilfe!

»Das ist nicht dasselbe«, rief er mir hinterher und ich musste ihm in Gedanken recht geben. Enthaltsam zu sein, ist scheiße.

***

In der Hoffnung, meine Anspannung würde dadurch wie durch Zauberhand verschwinden, ließ ich mir zu Hause ein Bad ein. Tat sie natürlich nicht. Zu allem Überfluss klingelte es auch noch an der Tür. Ich versuchte, nicht darauf zu hören. Aber wer auch immer auf der Klingel herumdrückte, war ziemlich penetrant. Es schien wichtig zu sein. Ich stieg genervt aus der Wanne und zog mir meinen Bademantel an.

»Moment. Ich komme ja schon. Mann, wehe es ist nicht dringend.« Ich öffnete die Wohnungstür und schaute in ein mir fremdes Gesicht.

»Hi, ich bin deine neue Nachbarin«, sprudelte es in schriller Lautstärke aus der jungen Frau heraus. Als vermutete sie, ich wäre taub.

»Schön, hi. Entschuldige, aber hast du mal auf die Uhr gesehen?«

»Oh Gott, tut mir leid«, sagte sie und plauderte dann munter weiter. Dass es schon weit nach Mitternacht war, schien sie nicht zu stören. »Ich hab keine Zigaretten mehr. Kannst du mir aushelfen?« Ich schüttelte den Kopf, während ich merkte, dass sich der Gürtel meines Bademantels zu lösen begann. Mit einer Hand hielt ich die Tür, mit der andern drückte ich den Stoff zusammen.

»Bedaure, aber ich rauche nicht mehr«, sagte ich knapp. Meine Gegenüber schaute mich enttäuscht an. Kein Zeichen von Verlegenheit darüber, dass ich ihr halb nackt die Tür öffnete. Ich hatte Mitleid.

»Aber mein Bruder hat vielleicht welche hiergelassen. Ich schau mal nach.« Ich drehte mich zur Seite und steuerte gedanklich das Wohnzimmer an. Die Tür blieb offen, was sie prompt als Einladung verstand.

»Cool, danke«, sagte sie und trat in meinen Hausflur. Da stand ich mit halb offenem Bademantel und sie kam einfach ungefragt rein. Und dachte sich wahrscheinlich nicht mal was dabei.

»Schön hast du’s hier. Wirklich schön. Wow, das ist ja ein cooler Couchtisch. Wo bekommt man denn so was her?« Ich starrte ihr ungläubig hinterher.

»Ja, klar, tritt ein«, flüsterte ich so leise, dass sie es nicht hörte. Sie brabbelte unbehelligt weiter drauflos und schaute sich in meiner Wohnung um. Ich schüttelte den Kopf und machte mich daran, die Zigaretten zu suchen. Ich betete, dass tatsächlich welche da waren. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln, wie sie neugierig meine Wanddekoration musterte.

»Das ist meine Kaffeekränzchen-Runde«, sagte ich und deutete auf das selbst gemachte Poster. Sie schaute mich fragend an.

»Wenn ich jeden einladen könnte, den ich wollte, wären es die drei.« Sie nickte.

»Verstehe, ein Ständchen von Ina Müller ...« Ich war überrascht, dass sie sie erkannt hatte. Das ließ mich für einen Moment vergessen, dass ich unterm Mantel vollkommen nackt war. »... Showprogramm von Olivia Jones und Essen von Steffen Henssler.« Ich nickte beeindruckt. Neu war sie in Hamburg sicher nicht.

»Sehr gut«, bemerkte ich anerkennend. »Aber eigentlich würde ich ihn nur flachlegen wollen, das Essen ist zweitrangig.«

Ich stehe total auf ihn. Tue ich wirklich. Er ist grundsätzlich in meinen Fantasie bereit, wenn gerade niemand Bestimmtes greifbar ist oder ich vorhabe, jemanden zu suchen. Mann, wie viele einsame Nächte ich schon in Gedanken mit ihm verbracht habe. Damit könnte man ganze Bücher füllen. Ja, über einen Mangel an Vorstellungskraft kann ich mich nicht beklagen. Und wenn man niemanden hat: Selbst ist die Frau. Das habe ich schon mit dreizehn erkannt und mittlerweile bin ich Vollprofi in Sachen Selbstbefriedigung. Hatte ja auch genug Zeit zum Üben.

»Kann ich nachvollziehen«, entgegnete sie nickend. Ich schaute sie eindringlich an, während ihr Blick auf mein DVD-Regal fiel. Ich hatte irgendwie den Eindruck, sie zu kennen. Schwarze Kleidung, Nietengürtel. Moment mal. Rote Haare?

»Das warst du«, fuhr ich aus. Sie drehte sich zu mir um und sah mich fragend an. »Ja, du. Vor ein paar Wochen. Du hast mich fast umgerannt mit deinem Kontrabass und anstatt dich zu entschuldigen, hast du nur gesagt Augen auf im Straßenverkehr.« Sie verschränkte lässig die Arme.

»Cello.«

»Was?«

»Ein Cello, kein Kontrabass. Und wenn ich das richtig im Kopf habe, warst du in dein Telefon vertieft und hast mich umgerannt. Nicht umgekehrt.«

Mist, sie hatte recht. Da war ja was gewesen.

»Richtig«, bemerkte ich verlegen und ließ die Arme sinken.

»Nette Aussicht. Ich hätte mich zwar zuerst vorgestellt, aber so geht’s auch«, meinte sie schmunzelnd. Ich verstand nicht gleich, was sie meinte, und schaute sie nur fragend an. Sie deutete auf meinen Mantel.

»Oh, Scheiße. Ich war gerade in der Badewanne. Sorry.«

»Ist deine Wohnung. Aber wenn du gerade in der Wanne bist, wieso machst du dann auf?« Jetzt verschränkte ich die Arme.

»Nun, weil da jemand wie ein Irrer an der Tür geklingelt hat und keine Anstalten gemacht hat, wieder wegzugehen.«

»Autsch«, sagte sie und lächelte. Wir gingen aufeinander zu und gaben uns die Hand.

»Alexandra. Aber Alex reicht.«

»Bea, eigentlich Beatrix. Aber dann kommen die Leute immer auf die Idee, mich Trixi zu nennen.« Ich nickte.

»Nur-Bea, freut mich. Kaffee oder Bier?«

»Oh, du hast Bier da? Na, Gott sei Dank. Ich wusste, ich hab an der richtigen Tür geklingelt. Wir haben heute den ganzen Tag gekramt und geschleppt, sodass ich völlig vergessen habe, einzukaufen.« Ich holte zwei Flaschen, stellte sie auf dem Wohnzimmertisch ab und ging in mein Schlafzimmer, um mir schnell etwas überzuziehen.

»Soll das heißen, du hast keine Lebensmittel zu Hause?«

»Doch. Ich hab Kaffee und Dosen-Ravioli.« Ich trocknete mir im Gehen die Haare und kam zurück ins Wohnzimmer. Bea hatte es sich mit dem Bier auf dem Sofa gemütlich gemacht und schaute sich immer noch fasziniert um. Als wäre sie in einem Museum. »Ich bin ganz hin und weg.«

»Danke«, sagte ich schlicht und setzte mich zu ihr. »Ich hab leider auch nicht viel da, ich esse meistens auf der Arbeit. Aber ich könnte dir ’ne Tiefkühlpizza anbieten.«

Gesagt, getan. Eine halbe Stunde später fand die dampfende Pizza ihren Weg zum Elefantentisch.

»Cello also. Das musst du mir erklären. Ich meine, ich kenne dich zwar nicht, aber allein von der Optik her ...«

»Ich weiß. Aber wenn ich spiele, sehe ich anders aus. Du glaubst gar nicht, was ein paar Haarnadeln, ’ne halbe Flasche Haarspray und ein kleines Schwarzes alles ausrichten können.« Ich nickte. War mir schon klar, dass sie nicht mit löchriger Jeans auf die Bühne trat.

»Du hast also auch Auftritte?« Ich konnte mir immer noch nichts Konkretes darunter vorstellen.

»Ich bin Konzert-Cellistin. Also ja, hin und wieder spiele ich auch vor Publikum«, sagte sie grinsend. Ich war baff. Normalerweise beurteilte ich Menschen nicht allzu schnell nach ihrer Kleidung und ihrem Aussehen. Aber Bea hatte ich binnen Sekunden einen Stempel aufgesetzt. Wie sich herausstellte, den falschen. Sie erzählte mir, dass sie derzeit Musik studierte und schon seit ein paar Jahren hauptberuflich Musikerin war.

»Es ist nicht so, dass ich nur auf klassische Musik stehe. Ich höre eigentlich recht unterschiedliche Richtungen. Auch aktuelle Stücke eignen sich hervorragend, um sie mit dem Cello zu interpretieren.« Ich hatte mir über klassische Musikinstrumente nie viele Gedanken gemacht, geschweige denn über die Menschen, die dafür Begeisterung aufbrachten. Jetzt wohnte einer davon direkt gegenüber. Schön. Hoffentlich war dieses Ding nicht laut.

Ich erzählte ihr, was ich beruflich machte. Dass ich mich in meiner Freizeit, wenn ich denn mal welche hatte, mit meinem Bruder traf oder auf Flohmärkten nach neuen Schätzen Ausschau hielt.

»Funktionieren die alle noch?«, fragte sie und deutete auf meine Sammlung nostalgischer Schreibmaschinen, die ich aus Platzmangel einfach an die Wand geschraubt hatte. Bis auf eine Underwood-Maschine aus dem Jahre 1909, die ich für sage und schreibe siebzehn Euro ergattert hatte, funktionieren noch alle. Insgesamt konnte ich mittlerweile neun teils antike Schreibmaschinen mein Eigen nennen.

»Beeindruckend. Ich sammle Wählscheibentelefone«, meinte Bea.

»Echt? Gibt’s ja nicht. Das ist witzig. Warte mal.« Ich stellte meine Bierflasche ab und steuerte das kleine Seitenfenster an. Ich wohnte hier schon seit fast vier Jahren und trotzdem standen unterm Fenster immer noch Kartons herum. Sie fungierten mittlerweile als Fundsachenkisten für nicht sortierbare Sachen. Ich zog eine davon aus der Ecke und kramte einen Augenblick darin herum. Nach einem kurzen Moment des Wühlens holte ich ein etwas verstaubtes orangefarbenes Wählscheibentelefon heraus. Ich hatte es mal vom Flohmarkt mitgebracht und dann aber feststellen müssen, dass ich orange doch nicht so gut leiden konnte.

»Hier.« Ich reichte ihr das Telefon.

»Das ist ja supercool.« Ich setzte mich wieder und nahm einen Schluck von meinem Bier.

»Kannst du behalten. Sieh es als ein Willkommensgeschenk an. Anstelle von Muffins. Im Backen bin ich scheiße.« Bea fiel mir um den Hals. Ihre wilde rote Mähne kitzelte mich im Gesicht. Sie hatte wirklich unglaublich viel Haar. Aber ich musste sagen, dieses Signalrot hatte schon irgendwie was. Und es passte zu ihr. Ihre blasse, zarte Erscheinung bekam dadurch etwas mehr Pepp. Sie trug einen kleinen Stecker in der Nase und hatte ein Tattoo im Nacken, das ich aber noch nicht so richtig hatte erkennen können. Doch da ich mich heute bereits entblößt hatte, jedenfalls teilweise, fand ich, dass es genügend nackte Haut für einen Abend war, und ließ es mir auch nicht mehr zeigen. Wir verabschiedeten uns gegen ein Uhr morgens und ich legte mich zügig hin.

Delicious 1 - Taste me | Erotischer Roman

Подняться наверх