Читать книгу Delicious 1 - Taste me | Erotischer Roman - Alice White - Страница 6
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»Hendrik, hi.« Er kam gerade aus der Umkleide und stand mir im Weg. Ich blieb äußerlich cool, innerlich hüpfte ich auf und ab. Dreiundvierzig Tage ohne Sex. Ich versuchte, mich an ihm vorbeizuschlängeln. Dabei berührten sich unsere Körper und ich spürte, wie es mir eiskalt den Rücken runterlief.
»Ich könnte dich jetzt einfach küssen, weil ich weiß, wie sehr es dir gefallen würde«, sagte er und grinste mich selbstgefällig an.
»Du bist ganz schön vorlaut. Bist du dir deiner Sache so sicher? Vielleicht küsst du ja ganz furchtbar. Kann doch sein.« Ich drückte mich an ihm vorbei, was er mir absichtlich schwermachte.
»Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden«, bemerkte er grinsend, während er mir wieder unverhohlen auf den Busen starrte.
»Augen nach oben«, mahnte ich ihn und ging zurück ins Restaurant. Auch wenn ich wenig Verständnis für den Zickenalarm hatte, den meine Exkolleginnen veranstaltet hatten, so konnte ich doch mittlerweile ihre Intention nachvollziehen. Sex am Arbeitsplatz hatte doch einen gewissen Reiz. Ich hatte noch nie etwas mit einem Kollegen gehabt. Hatte aber schon ein paarmal davon fantasiert. Aber so richtig gewollt, hatte ich es bisher nicht. Das war jetzt anders. Ich begehrte ihn. Ich wollte spielen und würde es tun.
»Na, was macht die Hand? Hab gesehen, dass ich Sonntag freihabe. Vielen Dank dafür.« Marlon lief mit diversen Akten in der Hand an mir vorbei und sah mal wieder ziemlich gestresst aus. Er und Herr Krause, ein Mitarbeiter vom Hotelmanagement, saßen schon seit Tagen an der Planung der Veranstaltungen in diesem Frühjahr. Er pendelte fast täglich zwischen Hotel, Büro und Restaurant hin und her, was ihm wohl tierisch auf die Nerven ging.
»Nicht jetzt. Hab zu tun.« Ich nickte. »Und gern geschehen«, rief er mir hinterher, bevor er regelrecht davonrauschte.
Das Mittagsgeschäft war fast durch. Nur noch zwei Tische waren belegt, aber nicht in meinem Bereich. Unser Speisesaal hatte, wie ich fand, seinen ganz eigenen Charme. Überall im Raum zog sich das Pferdemotto durch. Alte Kutschenräder an den Wänden, Kunstwerke aus dem Pferdesport, Hufeisen über jeder Tür und Gestecke aus Korn. Im Roten Festsaal stand sogar eine ganze Kutsche. Bei den meisten Anlässen wurde sie als Ablage für die Geschenke genutzt.
Ich ging an einen meiner Tische, räumte das restliche Geschirr ab und deckte ihn neu ein. Als ich mit der Arbeit fertig war, gönnte ich mir eine kleine Pause und gesellte mich zu Christian nach draußen. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke hoch und vergrub mein Gesicht weitestgehend im Kragen.
»Ruhiger Tag bisher?« Ich nickte. Heute hatte ich noch nicht viel zu tun gehabt. In den Letzten anderthalb Stunden waren meine Tische nur mäßig belegt gewesen.
»Wir feiern nächsten Monat Oles Geburtstag, schreib dir das Wochenende schon mal auf, damit du dir rechtzeitig freinehmen kannst.« Ich nickte dankend.
»Habt ihr euch schon an die neuen Umstände gewöhnt?« Ich schaute in sein hageres Gesicht. Er hatte leicht eingefallene Wangen, sah aber nicht kränklich aus, eher markant. Seine Augenfarbe war undefinierbar, je nachdem, von wo das Licht kam. Keine Ahnung, braun war es nicht.
»Wir kommen zurecht. Der Arbeitsweg ist etwas länger und die Verbindungen hierher sind echt scheiße. Aber im Großen und Ganzen kann ich mich nicht beschweren. Hast du was geplant fürs Wochenende? Hab gehört, du hast dir unverhohlen den Sonntag ergaunert. Eigentlich hatte ich frei, du Miststück.« Er schaute mich tadelnd an. Grinste dann aber. »Schon gut, Marlon sagte mir, er schulde dir was. Und Schulden sollte man begleichen.« Ich lächelte.
»Gott, danke, dass du ein Kerl bist.« Ich klopfte ihm auf die Schulter. Christian war so unkompliziert. So einfach. Ich war in diesem Moment einmal mehr froh, nur männliche Kollegen zu haben.
»Um ehrlich zu sein, kann ich Marlon einfach nicht widersprechen. Jedes Mal, wenn er den Mund aufmacht, ziehe ich ihm in Gedanken das Hemd aus.« Christians Blick schweifte ins Leere, während er sich über die Lippen leckte.
»Und du nennst mich Miststück? Du Luder.« Ich schubste ihn halb von seinem Stuhl und grinste schelmisch.
»Was? Gucken ist erlaubt«, betonte er mit Unschuldsmiene.
»Ach, wenn du wüsstest, wie oft wir es schon in Gedanken getrieben haben, von daher ...«, entgegnete ich gleichermaßen unschuldig. Wir lachten. Offenbar hatte Christian ein ebenso funktionstüchtiges Kopfkino wie ich.
»Wieso hattet ihr noch nie Sex? Schwul ist er nicht, da besteht kein Zweifel. Das hätte ich gemerkt.«
»Ich ficke keine Arbeitskollegen. Erst recht nicht mit meinem Boss«, sagte ich bestimmt. Er drückte seine Zigarette aus und schaute auf die Uhr.
»Zu dumm, na ja, musst du selbst wissen. Wollen wir?« Er reichte mir die Hand und zog mich vom Stuhl hoch.
»Wann kommt die Gesellschaft morgen?«
»Sehr früh ...«
***
Samstagabend. Im Roten Festsaal dröhnte die Musik durch die Lautsprecher. Es war kurz vor Mitternacht. In der Küche bereiteten Frank und Gabi gerade die Eistorte vor. Frank, unser Küchenchef, tupfte sich die Stirn ab. Er war schon Anfang sechzig und auch wenn er jeden fast erschlug, der ihn auf sein rüstiges Alter ansprach, konnte man sehen, wie sehr er sich den Ruhestand herbeisehnte. Gabi wünschte sich das ebenfalls. Sie war schon seit Jahren scharf auf die Küchenleitung. Jedes Mal, wenn Frank freihatte, führte sie ihr straffes Regiment. Mit militärischer Disziplin und akribischer Genauigkeit. Auch sie war Gastronomin aus Leidenschaft und ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Als Frau müsste man grundsätzlich noch einen oben draufsetzen, um sich Respekt zu verdienen. Ich teilte ihre Ansicht zwar nicht, aber ich respektierte ihre Hartnäckigkeit.
»Kann raus«, schrie Frank aus der Küche. Christian holte die Wunderkerzen aus der Schublade unter der Kasse und verschwand hinter der Schwingtür am Pass. Sekunden später kam er wieder heraus und schob den großen Metallwagen samt Torte vor sich her. Ich hielt ihm die Türe zum Roten Saal auf und wieder dröhnte mir die Musik entgegen. Genervt schloss ich sie hinter ihm. Der DJ war grauenhaft. Lauter Müll aus den Neunzigern. Ich bevorzugte Classic Rock der Siebziger und Achtziger. Aber nun ja, wenn es der Braut gefiel, sollte sie es haben. Christian kam mit dem leeren Wagen zurück und brachte ihn wieder an seinen Platz.
»Na, was meinst du, wie lang geht der Spaß heute noch?« Ich setzte mich an den Tresen und strich mir die Waden hinunter. Ich war schon seit Stunden am Rennen und allmählich taten mir die Beine weh.
»Schwer zu sagen. Schaut Ole noch vorbei?« Er nickte.
»Ist schon unterwegs.« Hendrik stieß mit vollem Tablett die Saaltür auf und steuerte die Spülküche an.
»Sag bloß, du kannst nicht mehr?« Bevor ich antworten konnte, verschwand er um die Ecke und ich hörte das Tablett klirren, als er es scheinbar abstellte. Gleich darauf stand er schon hinter der Theke und drückte auf die Kaffeemaschine.
»Noch jemand?« Christian schüttelte den Kopf. Sein Telefon klingelte.
»Ja? Was soll das heißen, du kommst nicht rein? Sekunde, ich gehe raus.« Er richtete das Wort an uns. »Irgendein Penner hat die Einfahrt blockiert. Ich geh mal eben Ole retten.« Christian war kaum zur Tür raus, schon stand Hendrik direkt neben mir und starrte mich wieder unverhohlen an.
»Also, Alex, was machen wir heute Abend noch?« Er stützte sich lässig auf die Theke und zog seine Kaffeetasse zu sich heran. Ich versuchte, ihn nicht anzustarren. Mit wenig Erfolg. Ich blieb immer und immer wieder an seinem Schritt hängen und stellte mir vor, was sich unter dem Stoff verbarg. Egal, wie sehr ich mich bemühte, wegzuschauen.
Vierundvierzig Tage ohne Sex.
»Und? Gefällt dir, was du siehst?«, fragte er mich und grinste, als er meinem Blick zu seinem Schritt gefolgt war. Ich schaute ihm ins Gesicht und versuchte, lässig zu wirken. Ich gucke nun mal gerne. Dass ich dieses Mal so intensiv wegen meiner Entzugserscheinungen starrte, wollte ich mir nicht anmerken lassen.
»Durchaus. Sehr ansehnlich.«
»Na, so was. Hast du gerade etwas Nettes zu mir gesagt, ohne mir gleichzeitig einen Korb zu geben? Alex, du lässt nach.« Er hatte recht. Ich wollte ins Bett. Eigentlich wollte ich in sein Bett und offenbar hatte er das bemerkt. Er beugte sich zu mir hinab und flüsterte mir ins Ohr: »Ich glaube, ich nehme dich heute mit zu mir nach Hause.«
Seine Stimme kitzelte mich und verschaffte mir Gänsehaut am ganzen Körper. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und stellte mir seinen nackten Oberkörper auf meinem vor. Wie es sich anfühlen würde, seine warme Haut auf meiner zu spüren. Widerwillig riss ich mich von der Tagträumerei los und richtete mich mühevoll auf. Mein Kopf war gerade so vernebelt, dass mir als Antwort nichts Besseres einfiel als ein plattes: »Das werden wir noch sehen.« Dahin war meine Schlagfertigkeit. Schon wieder.
»Hey, Alex. Na, alles klar?« Ole und Christian kamen im richtigen Augenblick durch die Tür. Hendrik begrüßte kurz Ole und machte sich dann wieder an die Arbeit. Im Vorbeigehen strich er mir mit seinem Finger zärtlich über die Wange und zwinkerte mir zu, bevor er im Roten Saal verschwand. Es knisterte. Ich bemühte mich, mir meine Erregung nicht anmerken zu lassen, und verkrümelte mich hinter die Bar, um etwas Ordnung zu schaffen.
Es war fast drei Uhr morgens, als Marlon uns ein Zeichen gab, Schluss zu machen. Ein kleiner Teil der Gesellschaft war noch immer am Feiern. Freddy und Kai hatten Getränkeausschank an der mobilen Bar im Festsaal. Der Rest konnte endlich durchatmen. Wir setzten uns gemeinsam auf die Terrasse, sanken erschöpft auf die Liegestühle und begossen den wohlverdienten Feierabend. Ich ließ meine Blicke erschöpft durch den Rosengarten streifen. Von unserer Position aus hatte man einen direkten Blick auf den Teich, auf dem gerade die Wasserspiele aufleuchteten.
»Was für ein Abend. Eine wirklich gruselige Gesellschaft.« Ich nickte und trank meinen Drink in einem Zug aus.
»Sag mal, Ole, du brauchst nicht rein zufällig einen Job?« Marlon rutschte mit seinem Stuhl dicht an die beiden heran. Da Hendrik eigentlich nur als Aushilfe eingestellt war, brauchten wir bald einen festen Mitarbeiter im Team. Marlon dachte offensichtlich an Ole.
»Auf keinen Fall. Wir haben mal zusammen gearbeitet, das hätte uns fast auseinandergebracht«, meinte Christian und bekam ein zustimmendes Kopfnicken von seinem Partner.
»Arbeit und Privates sind Dinge, die man schwer unter einen Hut bekommt. Wenn man sich jeden Tag permanent sieht, ist das nicht gesund.«
»Außerdem bin ich viel zu gern Barmann, als dass ich noch mal zurück in den Service wollen würde«, beteuerte Ole und Marlon nickte verstehend. Hendrik stand vom Tisch auf und fragte, ob er jemandem etwas zu trinken mitbringen sollte. Ich hatte meine Flasche Martini noch auf dem Tisch stehen, da ich keine Lust hatte, ständig rein zu rennen. Ich schenkte mir noch einen ein und leerte das Glas ebenso schnell wie das davor. Hendrik ging in Richtung Küche. Marlon saß mittlerweile zwischen Ole und Christian. Sie unterhielten sich angeregt über die Vorzüge des Barkeeperjobs. Sie waren beschäftigt und sahen vermutlich nicht, wie Hendrik mir zunickte, bevor er in der Tür verschwand. Ich empfand das als Einladung und stand auf. Ich brauchte keine Ausrede zu erfinden, wohin ich gehen würde. Die drei waren so vertieft, dass sie Hendriks Verschwinden offenbar schon nicht mehr mitbekommen hatten.
Die Lichter im Restaurant waren allesamt erloschen. Nur die Bar war schwach beleuchtet. Aus Richtung des Festsaals hörte ich leises Gemurmel. Hendrik stand hinter der Theke und mixte sich einen neuen Drink. Irgendeinen von diesen bunten Cocktails, bei denen man es am nächsten Tag bitter bereute, dass man ihn getrunken hatte. Nach den Zutaten zu urteilen, tippte ich auf einen Swimmingpool.
»Willst du auch einen?«, fragte er und fixierte mich schon wieder unnötig lang mit seinem Blick.
»Hab genug für heute. Wenn ich noch mehr trinke, hab ich mich nicht mehr unter Kontrolle«, log ich und lehnte mich an die Schrankwand direkt neben ihm. Ich beobachtete, wie er mit gekonnten Griffen die Zutaten zusammenschüttete, ohne seine Aufmerksamkeit von mir abzuwenden.
»Klingt aufregend. Was passiert denn, wenn du außer Kontrolle gerätst?« Ich beugte mich zu ihm rüber und hauchte ihm ins Ohr.
»Willst du das wirklich wissen?« Er nickte. »Ich werde triebgesteuert. Wenn ich einen gewissen Pegel erreicht habe, will ich Sex. Schmutzigen, heißen Sex und zwar jede Menge.« Mann, dieses Lächeln. So niedlich und doch so attraktiv. So, das reicht, ich will spielen. Jetzt!
Er machte den Drink fertig und schob ihn zu mir rüber.
»Du solltest noch etwas trinken«, sagte er auffordernd und grinste wie die Unschuld vom Lande. Ich griff nach dem Glas und nahm ein paar kräftige Schlucke. Immer noch klebrig süß wie in meiner Erinnerung.
»Und? Tut sich schon was?« Hendrik beobachtete mich mit Argusaugen. Ich stellte das Glas beiseite und reckte mich auffällig.
»Also, Hendrik, irgendwie ist mir gerade sterbenslangweilig. Was fangen wir jetzt bloß mit unserer Zeit an?«
Vierundvierzig Tage ohne Sex. Ach, verdammt!
Hendrik kam langsam auf mich zu und presste sein Becken gegen meins. Mein Puls begann zu rasen. Er fuhr mit seiner Nasenspitze meinen Hals hinauf zum Ohr und flüsterte hinein. »Nun, für den Anfang könnte ich dich jetzt einfach bespringen.«
Seine Hände glitten meine Taille entlang, über meinen Hintern und wieder nach vorn. Mein ganzer Körper vibrierte. Ich öffnete den obersten Knopf seiner Hose. Ganz langsam und genüsslich, während ich seinem heißen Atem an meinem Ohr lauschte. Ich ließ mir Zeit, zögerte jede meiner Berührungen hinaus, obwohl ich so ungeduldig war, wie man nur sein konnte. Das wollte ich mir natürlich nicht anmerken lassen. Ich öffnete den nächsten Knopf, um mit meinen Händen ganz langsam von hinten in seine Hose hineinzugleiten. Er trug tatsächlich keine Unterwäsche. Gott, war das heiß. Ich grub meine Fingernägel zärtlich in seinen Hintern und zog ihn noch dichter an meinen Körper heran.
»Und? Hast du dir das so vorgestellt?«, hauchte ich und glitt mit meiner Zunge seinen Hals entlang. Ich spürte, wie erregt er war. Und wie sehr es mich anmachte, seine Erektion durch seine Hose zu spüren. Genüsslich zog ich meine Hände aus seiner Hose und strich ihm die Brust hinauf. Um seinen Schambereich machte ich einen großen Bogen. Auch wenn ich es kaum erwarten konnte, ihn dort zu berühren. Und er vermutlich auch nicht. Doch schien er deutlich ungeduldiger als ich zu sein. Mit einem Mal nahm er meine Hände über dem Kopf zusammen, presste mich gegen den Schrank und küsste mich. So stürmisch, dass ich kaum Gelegenheit hatte, zu reagieren. Doch ich ließ ihn. Dieser eine Kuss weckte so viel Vorfreude, so viel Lust auf mehr. Ich hätte mich auf der Stelle ausziehen können.
»Gefällt dir das?«, fragte er mich, während er meinen Hals liebkoste. Und wie es das tat. Gefallen war gar kein Ausdruck.
»Oh ja, sehr«, flüsterte ich und drückte ihn ruckartig von mir weg. Es gefiel mir mehr als gut. Aber das war genug gespielt für einen Abend. Wenn wir fortfuhren, hätte ich nicht mehr aufhören können. Er hatte ja damit angefangen. Also musste er jetzt dafür büßen. »Und genau da liegt das Problem.«
Ich ging wieder auf ihn zu, drückte meine Hand in seinen Schritt und packte fest zu. Er hielt die Luft an. Ich lehnte mich an ihn und sprach direkt in sein Ohr. »Ich ficke keine Kollegen, sagte ich doch.« Ich nahm meine Finger von ihm und ging wieder vor die Theke. Er sah mich an und ich konnte erkennen, wie es in seinem Hirn gerade ratterte. Er stützte sich ab und strich sich über die Haare. Seine Miene war nicht zu deuten. Eine Mischung aus Verwirrung und Enttäuschung.
»Aber danke, das war echt heiß.« Ich lächelte ihn neckisch an und öffnete die Tür. Das war es wirklich. Ich wollte unbedingt mehr. Aber mehr war, ohne meine Regeln vollkommen außer Kraft zu setzen, nun mal nicht drin.
»Kommst du?«, fragte ich im Gehen. Ich drehte mich noch mal zu Hendrik um, der immer noch wie ein begossener Pudel dastand und scheinbar rätselte, was da gerade passiert war.
Ich setzte mich wieder an den Tisch und hörte, wie Marlon gerade von einem Gästepaar erzählte, das hier im letzten Jahr ihr unzüchtiges Unwesen getrieben hatte.
Hendrik folgte einige Minuten später und ließ sich in den Stuhl mir gegenüber fallen. Ich schaute ihn nicht an. Nicht, weil ich mich schämte. Er reizte mich einfach zu sehr. In den ersten Tagen war es nur unmerklich gewesen. Eher wie etwas, was einem im Vorbeigehen auffiel. In den Wochen darauf war es deutlicher geworden. Ich hatte Herzklopfen in seiner Nähe bekommen. Beinah jedes Mal. Aber kein verliebtes Teenager-Herzklopfen, sondern eher ein Reiß-mir-sofort-die-Kleider-runter-Herzklopfen.
Blond, schmal gebaut und vom Aussehen eher jugendlich als männlich. Und doch konnte ich mich kaum von ihm losreißen. Aber ich hatte nun mal meine Regeln. Ficke niemals da, wo du arbeitest, erst recht nicht, mit wem du arbeitest. Das verkompliziert nur alles. Und das nervt.
Ich verabschiedete mich nach einer Weile und rief mir ein Taxi. Ich wollte gerade einsteigen, als ich eine Hand an meiner Hüfte spürte.
»Du spielst also gern. Das kann ich auch.« Hendrik strich mir zärtlich über den Rücken und trat dann einen Schritt zurück. Ich drehte mich noch mal zu ihm um.
»Oh, ich liebe es, zu spielen. Aber für mehr ist bei der Arbeit kein Platz.« Ich trat dicht an ihn heran und umarmte ihn zum Abschied. »Wären wir keine Kollegen, würde ich dich auf der Stelle vernaschen. Hier und jetzt.« Ich gab ihm einen langen Kuss auf seine Lippen und stieg ins Auto. Manchmal hasse ich meine Prinzipien. Das wäre bestimmt spaßig gewesen. Ich hätte noch stundenlang weitermachen können.
***
Das Taxi setzte mich an der S-Bahn-Station ab. Vierzig Minuten später hatte ich es endlich bis nach Hause geschafft. Ich ließ die Haustür ins Schloss fallen und schaltete das Licht ein. Ich starrte das Treppenhaus hinauf und verfluchte wie schon so oft die vielen Stufen. Müde schleppte ich meinen Körper nach oben. Ich war so erschöpft, dass ich mich am Geländer hochziehen musste, um nicht hintenüber zu fallen. Ich wollte gerade aufschließen, als mein Blick auf eine Karte an meiner Tür fiel. Darauf war ein Bild von einer rosafarbenen Schreibmaschine, mit der Aufschrift Plüsch. Die Karte war mit Sternchen und massenhaft Glitzer verziert. Ich nahm sie ab und las mir die Rückseite durch.
Es ist zwar keine echte Schreibmaschine, aber danke für den schönen Abend. Plüsch! Liebe Grüße, Bea.
»Was bitte ist Plüsch?« Ich war zu müde, um in meinem Hirn nach einer Erklärung zu suchen. Ich schloss die Tür hinter mir, ließ meine Tasche auf den Boden fallen, zog mir die Schuhe im Gehen aus und sank samt Klamotten aufs Bett.
***
Ich nahm mir vor, mich Hendrik gegenüber professionell zu verhalten. Ich war nicht sicher, wie ich auf ihn reagieren würde. Beziehungsweise ich wusste es eigentlich schon. Sechsundvierzig Tage ohne Sex. Es fehlte nicht mehr viel und ich würde ihn einfach bespringen. Oder jeden anderen. Heute war mal wieder so ein Tag. Tage wie diese hatte ich in letzter Zeit häufig. An denen man die Wände hochgehen könnte, so juckte es einen zwischen den Beinen. Ich brauchte Sex. Und das ganz dringend.
Ich versuchte, mich abzulenken. Ich übernahm sogar den Spüldienst der Gläser, nur um mich auf andere Gedanken zu bringen. Zu meiner Erleichterung erfuhr ich, dass Hendrik heute nicht da war. Normalerweise hatte ich keinerlei Probleme damit, Exliebhabern oder Ähnlichem über den Weg zu laufen. Aber Hendrik schaffte es irgendwie, mich aus dem Konzept zu bringen. Vor allem wenn ich in diesem Zustand war. Ich war so rattig, dass ich mich kaum konzentrieren konnte. Unaufmerksam, gereizt und unvorsichtig.
In einem unachtsamen Moment drehte ich mich mit einem vollen Tablett Gläser hektisch um und stieß frontal gegen die Tür der Spülküche. Die Gläser fielen klirrend zu Boden. Ich fluchte wie ein Rohrspatz. Dann machte ich mich daran, die Scherben aufzuheben. Marlon öffnete die Tür zur Spülküche und sah mich am Boden knien, während ich die ganze Welt verteufelte.
»Wow, was haben wir für eine gute Laune heute«, bemerkte er und reichte mir Handfeger und Schaufel. »Also, Püppi, was ist los?« Ich starrte ihn skeptisch an. Einen für mich unpassenderen Kosenamen konnte ich mir kaum vorstellen.
»Nun, Püppi hat ein Problem. Ein verflucht großes Problem«, murrte ich und fegte die Scherben zusammen. Marlon schien sich köstlich dabei zu amüsieren.
»Erzähl, was läuft bei dir gerade so apokalyptisch falsch, dass du mit Gläsern schmeißen musst?« Ich schaute in sein lächelndes Gesicht. Normalerweise würde ich jetzt in Gedanken wegdriften und wir würden schmutzigen Sex auf der Anrichte haben. Aber in diesem Moment war ich einfach nur genervt. Ich setzte mich frustriert an die Wand und schlug die Arme über dem Kopf zusammen.
»Ich hatte seit sechsundvierzig Tagen keinen Sex mehr und gehe allmählich vor die Hunde.«
Marlon fing lauthals an zu lachen.
»Das ist nicht witzig. Ich bin so kribbelig, dass ich mich überhaupt nicht mehr konzentrieren kann.« Er blickte mich belustigt an.
»Und es ist so schwer, jemanden zum Vögeln zu finden?«
»Hab keine Zeit. Ich bin ja ständig hier.« Er beugte sich zu mir herunter.
»Tja, dann werde ich dich wohl vögeln müssen. Ganz im Sinne des Allgemeinwohls natürlich.« Ich verdrehte die Augen und raffte mich wieder auf.
»Mann, Marlon, ehrlich jetzt. Wir arbeiten seit drei Jahren zusammen und du hast bisher keinerlei Andeutungen gemacht, dass du mich willst. Also, bitte.«
Ich wollte mich gerade wieder den Scherben widmen, als Marlon seine Hand an meine Taille legte und mich langsam an die Wand neben der Schwingtür drückte. Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, und ließ ihn einfach machen. Er strich mir zärtlich übers Gesicht und schmiegte seinen Körper behutsam an meinen. Dann küsste er mich. Langsam und innig. Seine Lippen waren unsagbar weich und seine Zunge spielte zart mit meiner. Ich legte meine Arme um seinen Nacken und zog ihn noch enger an mich heran. Mit einem Ruck hob er mich auf seine Hüften und presste mich an die Wand. Ich schlang meine Beine um seinen Körper und hörte, wie mein Herz merklich schneller schlug. Mein Atem wurde schwer und ich hatte das starke Bedürfnis, ihm seine Uniform auszuziehen. Meine Hände unter sein Hemd gleiten zu lassen, es aufzuknöpfen und dann langsam von den Schultern zu schieben. Ich war kurz davor, es in die Tat umzusetzen. Lautes Gelächter ertönte aus dem Speisesaal. Abgesehen davon, dass mir wieder in den Sinn kam, nichts mit Kollegen anzufangen, waren wir ja nicht alleine. Draußen saßen Gäste. Und Angestellte liefen da auch noch irgendwo rum. Ich löste mich widerwillig von seinen Lippen.
»Hör auf«, hauchte ich kaum hörbar.
»Sicher?« Ich nickte.
»Du bist mein Boss, mein Kollege. Nein, ich ficke nicht mit Kollegen.« Ich löste mich aus seinen Armen und ordnete hitzig meine Kleidung. »Ich habe klare Regeln. Das weißt du. Arbeit und Vergnügen halten wir getrennt. Du siehst das doch genauso«, erinnerte ich ihn.
Ein ähnliches Gespräch hatten wir schon vor gut zwei Jahren geführt. Damals war Marlon noch Barmann gewesen. Unsere Vorgesetzte hatte was mit einem Praktikanten gehabt, das war ziemlich böse ausgegangen. Die Affäre der beiden hatte für viel Wirbel und Unruhe im Team gesorgt. Letztlich hatte sie gekündigt, weil sie nicht mehr gegen die Chefetage angekommen war. So war Marlon zu seiner Beförderung gekommen und wir hatten festgestellt, dass wir unsere Karriere niemals für so etwas Banales wie einen Flirt aufs Spiel setzten würden.
»Ich kenne die Regeln, ich habe sie selbst aufgestellt. Ich wollte dir nur einen Gefallen tun. Nicht mehr und nicht weniger.« Ich starrte wieder auf den Scherbenhaufen.
»Danke, aber ich brauche keinen Mitleidssex.« Mehr sagte ich nicht. Ob er noch etwas erwiderte, weiß ich nicht. Wenn, dann habe ich es nicht mehr zugehört.
Den restlichen Tag verbrachte ich jetzt nicht nur rattig, sondern auch frustriert. Ich hatte meine Prinzipien schon zum zweiten Mal gebrochen. Und was hatte ich jetzt davon? Ich wollte mehr. Von beiden Männern. Scheiße, ich bin doch ein Flittchen.
***
In dieser Nacht schlief ich sehr schlecht. Eigentlich gar nicht. Ich konnte nicht aufhören, an Marlon zu denken. Und jedes Mal, wenn ich es geschafft hatte, mich irgendwie abzulenken, schlich sich Hendrik in meinen Kopf hinein. So ging es immer hin und her. Von einer heißen Fantasie in die nächste. So konnte ich unmöglich arbeiten gehen, weil ich beiden über den Weg lief. Ich kam auf keinen klaren Gedanken und rief meinen Bruder an. Erst nach dem dritten Freizeichen sah ich, dass es bereits vier Uhr morgens war, und legte abrupt wieder auf. Zwanzig Minuten später klingelte es an der Tür.
»Na, Kleines, was ist los? Kannst du auch nicht schlafen?«
»Nein«, sagte ich knapp und fiel ihm in die Arme. Wir setzten uns auf die Couch und er gab mir eine Zigarette.
»Dieser Fleck da oben macht mich wahnsinnig. Nächste Woche schaffe ich es bestimmt.« Ich zog genüsslich an meiner Kippe. »Also, ich weiß, warum ich nicht schlafen kann ...«
»Weil du mit einer Furie verlobt bist?«, beendete ich seinen Satz. Er schaute mich tadelnd an.
»Warum bist du wach?«, fragte er. Ich war mir nicht sicher, wie ich darauf antworten sollte. Immerhin war er mein Bruder. »Los, ich halte das aus. Du knabberst doch nicht etwa an dem, was Carina zu dir gesagt hat, oder?« Ich schaute ihn mit hochgezogenen Brauen an.
»Wohl kaum. Ich habe eher ein Problem sexueller Natur.« Ich wartete auf eine Reaktion. Es kam keine, also erzählte ich weiter. »Ich habe sozusagen den Notstand ausgerufen. Ich sitze gerade ziemlich auf dem Trockenen.« Er nickte, als wollte er mir deutlich machen, dass ihm diese Phase nicht unbekannt wäre.
»Das renkt sich wieder ein. Ganz bestimmt«, versuchte er, mich zu beschwichtigen. Ich schüttelte den Kopf.
»Das ist noch nicht alles.«
»Mehr?« Er griff nach seinen Zigaretten und steckte sich umgehend eine weitere an. Er schaute zu mir, zögerte kurz und gab mir dann auch noch eine. Wenn ich nervös war, kamen die alten Muster durch.
»Du weißt doch, was ich davon halte, etwas mit Arbeitskollegen anzufangen, oder?« Er nickte. »Nun wir haben einen neuen Mitarbeiter und der ist eigentlich überhaupt nicht mein Typ, aber er ...« Ich suchte nach den passenden Worten.
»Macht dich total feucht?«, sagte André so staubtrocken und nüchtern, dass ich mich fast an meiner eigenen Spucke verschluckte und viel zu viel Rauch in die Lunge bekam. André schlug mir auf den Rücken und ich hustete wie eine alte Dampflok.
»Du sagst es«, krächzte ich.
»Na, dann schmeiß deine Prinzipien einmal über Bord, schlaf mit ihm und verschaff dir Erleichterung, wenn es momentan so dringend ist.« Er sah mich an. »Immer noch nicht alles?« Ich schüttelte nahezu beschämt den Kopf. »Großer Gott, was denn noch?«
»Er ist nicht der Einzige, den ich gerade will.«
»Flittchen!«, stieß André aus und für eine kurze Sekunde glaubte ich, er würde es ernst meinen. Aber er grinste und zog einen imaginären Hut vor mir. »Kleines, willkommen in der Königsklasse.« Ich schaute ihn ungläubig an.
»Was weißt du denn schon von der Königsklasse, du spießiger, monogamer Pantoffelheld.« Er verzog gespielt beleidigt das Gesicht.
»Ich war auch mal jünger. Also, solange du nicht vorhast, beide gleichzeitig zu besteigen, würde ich mir an deiner Stelle erst mal nicht allzu viel Gedanken machen. Hast du doch nicht, oder? Für so ein Gespräch mit meiner kleinen Schwester bin ich noch nicht bereit.«
»Nein, hab ich nicht, aber vielen Dank dafür, dass du mir dieses Bild in den Kopf gesetzt hast. Jetzt werde ich definitiv darüber fantasieren.« Ich hatte schon oft an einen Dreier gedacht. Das sagte ich ihm aber nicht. Die Vorstellung, einen mit Marlon und Hendrik in Erwägung zu ziehen, ließ mich beinah wegdriften. André nahm mich liebevoll in den Arm und holte mich in die Realität zurück. Er blickte schon wieder an die Decke.
»Verdammt, ich mach den jetzt sofort weg. Wo hast du die Farbe vom Umzug?« Ich starrte ihn ungläubig an.
»Wenn du meinst, jetzt unbedingt auf eine Trittleiter klettern zu müssen, und das um halb sechs morgens, dann findest du sicher einen Rest Farbe im Keller. Aber ich bezweifle, dass die noch verwendbar ist. Also los, setz dich und erzähl mir lieber, warum du um die Zeit noch wach bist.« Ich ging an den Kühlschrank und hob zwei Flaschen Bier in seine Richtung. Er schüttelte den Kopf. »Kaffee?« Er nickte. Ich machte uns schnell einen und setzte mich wieder zu ihm auf die Couch.
»Ich habe mich von Carina getrennt«, sagte er ernst und sank im gleichen Augenblick, wie ihm die Worte über die Lippen kamen, in sich zusammen.
»Wie, du hast dich getrennt? Ich meine warum? Wann?« Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. So dusselig ich sie auch fand, sie waren immerhin seit fast vier Jahre zusammen. Ich versuchte, meine Freude erst mal zu verbergen und setzte einen verwunderten Gesichtsausdruck auf. Er schwieg, das konnte er besonders gut. Mein Bruder nahm einen Schluck Kaffee und lehnte sich zurück.
»Kann ich ein paar Tage bei dir schlafen?«
»Klar.« Ich stand auf und holte eine Ersatzdecke aus dem Schlafzimmer. André verschwand im Bad. Ich wusste, dass er jetzt nicht mehr mit mir reden würde. Ich bezog ihm die Couch und machte die Gardinen zu. Als André zurückkam, drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange und wünschte ihm eine gute Nacht.
»Brauchst du noch irgendwas?« Er schüttelte den Kopf.
»Ich bin da, wenn was ist. Wenn du reden willst oder so. Du willst mir bestimmt nicht sagen was ...« Er schüttelte den Kopf, noch bevor ich meinen Satz zu Ende bringen konnte. Also nickte ich und verschwand in Schlafzimmer. Ich legte mich ins Bett und starrte wie schon zuvor an die Zimmerdecke. Was für eine Nachricht. Carina ist weg. Ein Anflug von Schadenfreude stieg in mir auf. Doch ich drückte sie ganz schnell wieder beiseite. Dafür war André einfach zu niedergeschlagen. Dann dachte ich über seine Worte nach. Jene, die er mehr als Witz ausgesprochen, jedoch meine Fantasie blitzschnell beflügelt hatten. Ein Dreier mit Marlon und Hendrik. Verdammt, jetzt kann ich erst recht nicht schlafen.
***
Als ich gegen halb acht wieder wach wurde, hörte ich André in der Küche telefonieren. Ich verstand nicht, was er sagte, aber dem Tonfall nach zu urteilen, konnte es nur Carina sein. Ich zog mir meinen Bademantel über und ging erst mal ins Bad. Als ich in die Küche kam, saß André am gedeckten Frühstückstisch.
»Morgen, wie geht es dir?«, fragte ich zögerlich. Ich hatte Carina nie leiden können, aber meinen Bruder so unglücklich zu sehen, tat mir in der Seele weh. Doch er ging nicht auf meine Frage ein. Ihm schien es wichtiger zu sein, meinen aktuellen Notstand zu beheben. Er schlug mir vor, mit einem von beiden zu schlafen und den anderen zu vergessen. Er mutmaßte, dass meine Libido nur aus Mangel an Zuwendung auf Hochkonjunktur lief und mir im Normalzustand einer von beiden durchaus reichen würde.
»Und wen?« Er zuckte mit den Schultern.
»Mach ’ne Probefahrt.«
»Schon geschehen.« Er schaute mich erstaunt an.
»Flittchen.«
»Hey!« Ich setzte mich mit einer Tasse Kaffee an den Tisch und berichtete von den mehr als heißen Begegnungen mit beiden Männern.
»Du solltest mit einer weiblichen Person darüber sprechen. Ich glaube, bei diesen Details kann ich dir keine sonderlich große Hilfe sein.« Er hatte recht. Aber ich wusste nicht, welche Frau ich fragen sollte.
»Christian!«, fuhr ich dann aus, nachdem ich kurz darüber nachgedacht hatte.
»Wer ist das nun wieder? So langsam machst du mir Angst.« Ich biss von meinem Brötchen ab und schüttelte den Kopf.
»Er ist auch ein Arbeitskollege und schwul. Wenn mir einer helfen kann, dann er.« Ich schaute auf die Küchenuhr.
»Du musst los, oder?«
»Noch nicht, aber ich muss mich jetzt fertig machen.« André nickte. Ich biss noch einmal in mein Brötchen und stand auf. In dem Moment klingelte es an der Tür. Mein Bruder starrte mich fragend an. Aber ich erwartete niemanden. Ich schlurfte in den Flur und öffnete.
»Bea, guten Morgen.«
»Hi, Alex. Hast du Zeit für ’nen Kaffee?«
»Eigentlich muss ich gleich los. Aber komm kurz rein.« Ich hielt ihr die Tür auf und deutete zur Küche.
»Bediene dich ruhig, Kaffee steht auf dem Tisch.« Ich ging ins Schlafzimmer und riss hektisch die Schranktüren auf.
»Ach ja, der nette Mann am andern Ende der Tischplatte ist mein Bruder. André, das ist Bea, meine neue Nachbarin. Sei nett«, rief ich ihnen zu, während ich mich hastig anzog. Die Wäsche türmte sich mal wieder in allen Ecken. Das machte es mir eigentlich unmöglich, hier noch etwas zu finden. Aber dennoch sah ich keinen Grund, an dem Umstand etwas zu ändern. Ich wasche grundsätzlich erst dann, wenn absolut nichts mehr Sauberes da ist. Mit dem Geschirr halte ich es übrigens genauso. Erst wenn der letzte Becher aus dem Schrank gekramt und benutzt ist, wird abgewaschen.
Ich hörte, wie André versuchte, Konversation zu betreiben. Aber Bea schien mir jemand zu sein, der wortgewandt genug war, um jemanden wie meinen Bruder ohne Scheu zum Reden zu bringen. Wie ich mitbekam, fragte sie ihn gerade nach seinem Beruf. André war technischer Zeichner. Was er im Einzelnen machte, wusste ich gar nicht. Von Technik verstand ich nicht sonderlich viel. André hingegen hatte ein Händchen dafür. In seinem Job konnte er seine penible Genauigkeit auf jeden Fall ausleben. Soweit ich wusste, fertigte er Zeichnungen am Computer auf der Grundlage von Vorstellungen der Architekten an. Irgendwann meinte er, würde er auch noch mal Architektur studieren und selbst Gebäude entwerfen wollen.
Bea lachte laut. Hatte André gerade einen Witz gemacht? Unwahrscheinlich. Mein Bruder war nicht witzig. Es war witzig, ihm dabei zuzuschauen, wie unbeholfen er dabei wirkte, wenn er versuchte, witzig zu sein. Ich zog mir ein dunkles Langarmshirt mit einem ironischen Spruch und einer fetten, hässlichen Katze vorne drauf an. Kraul mich, dann schnurre ich stand über der Katze. Ich fand es irgendwie witzig, wegen der Zweideutigkeit. Im untersten Fach des Schrankes kramte ich nach einer Hose, fand dann auch eine schon längst vergessene Jeans in der hintersten Ecke. Natürlich total zerknautscht. Aber zum Bügeln war keine Zeit, zumal ich nicht mal ein Bügeleisen hatte. Glaube ich. Habe ich ein Bügeleisen? Keine Ahnung, ich bügle nicht. Ein Bügelbrett besitze ich definitiv nicht. Das wäre mir hier in der kleinen Wohnung schon längst aufgefallen. Ich schüttelte die Hose aus. Vergebens. Ich ging in die Küche und schmiss sie in den Trockner, in der Hoffnung, dass er das Schlimmste abmildern würde.
»Schickes Höschen, Schwesterlein, aber um ehrlich zu sein, hätte ich dir etwas mehr Style zugetraut.« Bea lachte schon wieder. Versuchte mein Bruder, sie zu beeindrucken? Ich schaute an mir hinunter. Ich verstand. Bei diesem Schlüpfer, konnte selbst André Witze reißen. Ich trug meinen Ich-hab-nichts-anderes-mehr-im-Schrank-und-normalerweise-würde-ich-das-Ding-niemals-jemandem-zeigen-Slip. Eine ehemals giftgrüne Hotpants mit einer verwaschenen, mittlerweile nur noch dreibeinigen Kuh vorne drauf. Ich lehnte mich an den Kühlschrank und verschränkte die Arme.
»Also, dann doch lieber die Blanko-Ansicht, die hat mir besser gefallen«, witzelte Bea und griente mich an. André machte wieder sein Schlauchgesicht. Seine Augen sagten ganz eindeutig Ich stehe auf dem Schlauch und kapiere den Witz nicht. Bea klärte ihn über unsere erste Begegnung und meinen Bademantel auf. Ich hingegen trollte mich ins Schlafzimmer und suchte nach einem andern Slip. Ich fand doch noch ein ansehnliches schwarzes Teil und tauschte sie aus, bevor ich wieder in die Küche ging.
»Alex, du musst los«, rief André mir zu.
»Ich weiß, hetz mich nicht in meiner eigenen Wohnung.« Ich hechtete zum Trockner und zwängte mich in die Hose, die jetzt nicht sonderlich besser aussah, aber zumindest warm war.
»Ich geh jetzt. André, fühl dich wie zu Hause. Bea, wir sehen uns und dann musst du mir das mit dem Plüsch erklären.« Sie grinste. Ich zog mir meine ehemals weißen Turnschuhe an, griff meine Tasche, mein Telefon sowie den Schlüssel und hechtete los.
Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig und ließ mich keuchend auf den Sitz in der S-Bahn fallen. Ich schloss erleichtert die Augen und versuchte, noch ein wenig abzuschalten. Mach ’ne Probefahrt, hatte André gesagt. Na, mal sehen, was der Tag so bringt. Solange ich die Beine nicht gleich auf dem Tresen breitmache, ist alles gut. Zumindest nicht vor Ladenschluss. Cool bleiben, Alex.
»Du hast alles unter Kontrolle.« Das wollte ich mir offensichtlich weismachen. Mit wenig Erfolg.
***
Im Restaurant angekommen, fühlte ich mich wie ein Teenager. Ich hatte Herzrasen und feuchte Hände. Unbekanntes Terrain. Ich war nicht der Typ, der nervös wurde. Ich war die, die ihren Gegenüber nervös machte. Auf der anderen Seite zu stehen, war ungewohnt. Beängstigend. Aber auf eine gewisse Weise auch sehr erregend. Normalerweise gebe ich den Ton an und sage, wie es läuft. Ich überlasse wenig dem Zufall. Jetzt vollkommen im Ungewissen zu sein, hatte einen gewissen Reiz.
Im Arbeitsbereich verhielten sich sowohl Hendrik als auch Marlon konzentriert und professionell. Ich versuchte, es ihnen gleichzutun, aber sobald mir einer von beiden vor die Augen kam, schaltete sich automatisch mein Kopfkino an. In Zeitlupe liefen lauter heiße Bildchen vor meinem inneren Auge ab. Als ich Hendrik gerade erneut halb nackt servieren sah, ließ ich alles stehen und liegen, griff nach Christians Arm und zerrte ihn in den Innenhof. Collin warf mir einen wütenden Blick zu. Doch ich ignorierte ihn einfach. Ihm konnte ich es ohnehin nie recht machen. Das war schon vom ersten Tag unserer Zusammenarbeit so gewesen. Er war mir nicht unsympathisch. Aber ich war jedes Mal aufs Neue erleichtert, wenn wir in unterschiedlichen Schichten arbeiteten. Er war einfach anstrengend und sein durchbohrender Blick auch leicht unheimlich. Irgendwie seltsam der Kerl.
Ich ließ Christian los und lief unruhig im Innenhof auf und ab. Viel Platz dafür hatte ich nicht. Das Küchenpersonal verbrachte hier meist ihre Pausen und nutzte die Fläche, um die leeren Gemüsekisten zu lagern. Dementsprechend vollgestellt sah es hier aus.
»Ich habe ein Problem und brauche ganz dringend deinen Rat.«
»Klingt spannend. Schieß los.« Wir setzten uns an einen kleinen Klapptisch, der lieblos in der Ecke stand und schon Moos angesetzt hatte. Die Gartenstühle waren in einem ähnlich vernachlässigten Zustand. Obwohl sie häufig im Gebrauch waren, nach den überquellenden Aschenbechern zu urteilen, schien sich niemand die Mühe zu machen, sie sauber zu halten.
»Na schön. Du kennst ja meine Einstellung zum Thema Sex am Arbeitsplatz.« Ich fuhr mir angespannt mit den Fingern über die Lippen. Ich dachte an den Kuss mit Marlon, seine Berührungen. Ich schüttelte den Gedanken ab. »Jetzt kommt das Aber.«
»Gott sei Dank«, entfuhr es Christian mit einer unüberhörbaren Erleichterung in der Stimme. Als hätte er befürchtet, sich einem moralisch anständigen Gespräch widmen zu müssen.
»Ich bin gerade so chronisch untervögelt, dass ich kaum die Beine zusammenhalten kann. Und ausgerechnet jetzt will ich Sex mit einem Arbeitskollegen haben. Genau genommen ...«, begann ich. Christian starrte mich mit freudiger Erwartung an. »Eigentlich sind es sogar zwei. Und ich habe auch schon von beiden einen Vorgeschmack erhalten. Jetzt hänge ich fest. Ich will sie beide. Scheiße.« Jetzt war es raus. Christian grinste bis über beide Ohren und klatschte wie ein kleines Mädchen aufgeregt in die Hände.
»Oh, ist das spannend. Nun, so ganz spontan, ohne zu wissen, um wen es sich handelt. Oh Gott, ist es Marlon? Ja, es ist Marlon, geiler Arsch. Egal. Ich würde sagen, scheiß auf deine Prinzipien. Es ist doch nur Sex.« Ich starrte ihn vorwurfsvoll an.
»Hallo? Du sitzt hier mit Fräulein Unromantisch. Ich bin mir der Vorzüge von einfach nur Sex durchaus bewusst. Ich lebe nach dem Motto einfach nur Sex. Klar? Nur nicht am Arbeitsplatz. Ich habe kein Interesse an Dramen.« Er strich sich nachdenklich übers Kinn.
»Wenn es nur Sex ist und jeder Beteiligte das weiß, sehe ich keine Gefahr, dass es sich zu einem solchen entwickelt.« Ich nickte. Es klang logisch. Er fragte, was nun mein wirkliches Problem wäre.
»Nun, wenn ich lediglich ein Bedürfnis befriedigen wollen würde, sollte ich mich schon entscheiden können, mit wem, oder nicht?« Er dachte nach.
»Also, wenn es danach geht, solltest du denjenigen wählen, der dich mehr anmacht. Sag schon, wer sind die beiden?«
»Marlon und Hendrik.« Er schwieg.
»Hm. Schwere Wahl, die könnten kaum unterschiedlicher sein. Wie küssen sie?« Ich berichtete ausführlich von den beiden Erlebnissen und merkte, wie ich schon wieder auf Hochtouren lief.
»Was spricht dagegen, sie beide zu ficken? Du scheinst mir nicht der Typ zu sein, der fein säuberlich der Reihe nach geht.« Ich schaute ihn an und dachte nach. Ich nickte.
»Danke, Christian.« Ich stand auf und ging zielstrebig ins Restaurant.
»Aber doch nicht sofort«, rief er mir hinterher. Ich war regelrecht ferngesteuert und hielt nach ihnen Ausschau. Tausend Gedanken durchströmten mich. Christian hatte recht. Es ging nur ums Ficken. Nicht mehr, aber vor allem auch nicht weniger. Warum sollte ich mich also diesmal so verrückt machen und mich von einem Mann, oder in diesem Falle von zweien, aus dem Konzept bringen lassen? Arbeitskollegen hin oder her. Dann will ich sie halt beide. Ich will Sex, ich brauche Sex und offensichtlich ist mir momentan einer nicht genug. Ich begehre zwei Männer zur selben Zeit. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Und ich will sie beide.
***
Hendrik war nirgends zu entdecken. Ich marschierte strammen Schrittes über den Hof Richtung Büro und sah, wie Marlon gerade darin verschwand. Ohne weiter darüber nachzudenken, folgte ich ihm. Ich schloss hinter mir die Tür und drehte den Schlüssel um. Ohne etwas zu sagen, trat ich auf ihn zu und küsste ihn.
»Was soll das denn jetzt werden?«, fragte er und schaute mich skeptisch an. Marlon lehnte sich an die Kante seines Schreibtischs und verschränkte die Arme. Wirklich viel hatte Marlon nicht in seinem Büro stehen. Ein Regal mit Akten, eine Stehlampe und eine verkümmerte Topfpflanze, die noch von seiner Vorgängerin war. Zu meiner Verwunderung lebte sie immer noch. Wobei man eher vegetieren sagen müsste. Das Einzige, was einem wirklich ins Auge sprang, war der grüne Schreibtisch. Ich kenne niemanden, der sich ein grünes Möbelstück aufstellen würde, geschweige denn, ob es überhaupt noch weitere grüne Möbelstücke auf der Welt gab. Ich fand, es sah einfach falsch aus. Aber in diesem Moment hätte er auch orange-pink-gepunktet sein können. Mir war alles egal. Ich wollte nur Marlon. Auf mir, in mir und das sofort.
»Wonach sieht es denn aus?«, sagte ich und küsste ihn noch mal. Er erwiderte meinen Kuss zwar, drückte mich aber erneut von sich weg.
»Alex, du hast mir gerade erst unmissverständlich klargemacht, dass unser Job Vorrang hat. Abgesehen davon hast du sicher zu tun.« Hatte ich sicher. Eigentlich müsste ich jetzt mit Collin das Kuchenbüfett aufbauen. Aber daran verschwendete ich jetzt keine weiteren Gedanken.
Ich zog meine Schürze langsam aus und presste ihn gegen die Schreibtischkante. Unbeirrt knöpfte ich meine Bluse auf und sagte mit ruhiger Stimme: »Scheiß auf die Regeln und fick mich.« Ich küsste ihn erneut, langsam, behutsam. Er stellte keine Fragen mehr. Marlon legte seine Arme vorsichtig um meinen Oberkörper und strich mir zärtlich über den Rücken. Jede seiner Berührungen durchzog mich am ganzen Körper.
Ganz langsam öffnete ich sein Hemd. Einen Knopf nach dem andern. Mit den Fingerspitzen strich ich zärtlich über seine Brust. Seine Haut war unglaublich weich. So oft hatte ich es mir vorgestellt. So oft hatte ich davon fantasiert, ihm so nah zu kommen. Ich wollte jeden Zentimeter seines Körpers erforschen, jeden Millimeter berühren. Als auch der letzte Knopf kein Hindernis mehr war, wanderte ich mit meinen zittrigen Händen seine Brust hinauf, unter sein Hemd und ließ es von seinen Schultern gleiten. Ich hielt einen Augenblick inne. Spürte die Wärme seiner Haut an meinen Handflächen.
Dann schaute ich zu ihm auf. Seine Augen funkelten mich lüstern an. Ich grinste neckisch und fuhr mit meinem Zeigefinger seine Brust entlang. Erst über die eine, dann über die andere Seite, hinunter und über seinen Bauch. Kurz vor der Gürtelschnalle machte ich Halt. Sein Blick sagte Mach weiter, gib mir mehr. Ich schmunzelte und nahm meine Hand wieder weg. Er grinste, legte seine an meinen Rücken, presste mich an sich und küsste mich. Inniger, fordernder. Dann, ohne Vorwarnung, griff er mir unter den Hintern und hob mich hoch. Von zärtlich hin zu stürmisch und das binnen Sekunden. Das gefiel mir ungemein.
Er drehte sich zum Schreibtisch um und setzte mich darauf ab. Alles, was störte, schmiss er einfach hinunter. Das Telefon knallte zu Boden und irgendetwas zerbrach, aber das beachtete ich nicht weiter. Ich umschlang seine Hüften mit meinen Schenkeln und presste ihn fest an meinen Schritt. Ich spürte seine Erektion. Mein Atem wurde schneller, während er mir hektisch die Bluse auszog. Er küsste mich am Hals, am Dekolleté und fuhr langsam mit seiner Zunge an meinem Oberkörper hinunter. Mit einem Griff öffnete er meinen BH und legte meine Brüste frei. Während er mir mit einer Hand die Innenseite meines Oberschenkels hinaufstrich, liebkoste er meine Brustwarzen. Ich seufzte leicht auf, als sich seine Finger unter meinen Rock schoben. Dann küsste er mich wieder. Stürmisch, voller Begehren. Ich wanderte mit meinen Händen seine Brust entlang, hinunter zu seinem Gürtel.
Zügig öffnete ich seine Hose und fasste behutsam hinein. Ich konnte in seinen Augen sehen, wie sehr es ihm gefiel. Dieses begierige Glitzern, die aufsteigende Lust, das wachsende Verlangen. Verlangen nach mir. Hektisch presste er meinen Oberkörper auf die Tischplatte und küsste mich noch mal. Seine Bewegungen waren weich und fordernd zugleich. Ich umschlang seinen Rücken und krallte mich an ihm fest. Mit seinen warmen Händen streichelte Marlon meine Oberschenkel hinauf. Quälend langsam. Ich konnte seine Berührung kaum noch erwarten. Zentimeter für Zentimeter wanderten sie meine Beine hinauf. Ich stöhnte auf vor Erregung, voller Ungeduld. Ganz vorsichtig schob er seine Finger unter meinen Slip, als es an der Tür klopfte. Ich hielt den Atem an. Marlon bedeutete mir, leise zu sein. Es klopfte erneut.
»Marlon, der Chef will dich sprechen, scheint wichtig zu sein. Er sieht scheiß wütend aus. Also, was auch immer du gerade da drin treibst, beende es und geh rüber ins Hotel.« Kai verschwand. Marlon und ich starrten uns an. Sekunden vergingen, ehe wir unausgesprochen entschieden, voneinander abzulassen. Wir richteten uns widerwillig auf und suchten nach unseren Klamotten.
»Fuck.« Marlon starrte an sich hinunter. Er hatte immer noch einen Steifen und versuchte, ihn irgendwie in seine Hose zu zwängen. Mit mangelndem Erfolg. Ich ging zu ihm rüber und umarmte ihn von hinten, während ich nach unten griff.
»Entspann dich, ich mach das schon. Gefällt dir das?«, fragte ich ihn, während ich mit meiner Hand sanft seinen Schwanz rieb. Ein leises Stöhnen entglitt ihm. Ich deutete das als ein Ja, drehte ihn zu mir um und wies ihn an, sich auf seinen Schreibtischstuhl zu setzten. Ich kniete mich vor ihm hin und küsste ihn. Behutsam nahm ich seinen Ständer in den Mund und strich sanft mit meiner Zungenspitze darüber. Marlon lehnte sich schwer atmend zurück und schloss genussvoll seine Augen. Ich glitt mit meinem Mund auf und ab und ließ meine Zunge immer schneller kreisen, während meine Finger seinen Bauch hinauffuhren. Ich legte noch mal an Tempo zu und erhöhte den Druck. Mit meiner Hand umfasste ich seinen Schaft und drückte ihn sanft. Je fester, je intensiver ich wurde, umso mehr steigerte sich Marlons Puls. Ich konnte es spüren, dass er fast so weit war, konnte es anhand seines Keuchens hören. Er krallte sich an den Armlehnen des Stuhls fest, stöhnte auf und kam in meinem Mund. Ich verweilte noch einen Moment, bevor ich mich von seinem Schritt löste und mit meinen Lippen seinen Oberkörper hinaufwanderte. Ich küsste zärtlich seinen Bauch, seine Brust und seinen Hals. Er lächelte zufrieden.
»Gern geschehen«, flüsterte ich ihm ins Ohr und zog mich fertig an. Ich band mir meine Schürze wieder um und ging zur Tür. Marlon saß noch immer im Stuhl und atmete schwer.
»Das sollten wir wiederholen.«
»Jederzeit«, entgegnete ich zufrieden und ging hinaus.
***
Den restlichen Nachmittag konnte ich permanent Marlons Blicke auf mir spüren. Und auch ich kam nicht umhin, ihn verstohlen anzuschauen und mir seinen harten Schwanz vor Augen zu führen. Seinen Gesichtsausdruck, als er in meinem Mund gekommen war.
Mit einem verheißungsvollen Lächeln ging ich direkt an ihm vorbei und strich ihm über seinen Hintern. Ich blickte verschmitzt über meine Schulter. Ich wollte ihm gerade zuzwinkern, als Hendrik neben ihm auftauchte. Er funkelte mich an, während er Marlon etwas zuflüsterte. Dieser lachte und erwiderte etwas. Sie schauten mich beide an, als wüssten sie etwas, was ich nicht wusste. Ich hatte den Eindruck, sie unterhielten sich genau in diesem Moment über mich. Ich drehte mich um und ging ins Getränkelager.
Ich musste in die hinterste Ecke klettern, um an den Whisky heranzukommen. Da hörte ich die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Jetzt war es so dunkel, dass ich Mühe hatte, den Weg zwischen den vielen Kisten zurückzufinden.
»Na, öfter hier?« Vor Schreck ließ ich eine der Flaschen fallen, die zerbrach.
»Fuck. Ich hab ja nicht genug zu tun.« Hendrik schaltete das Licht ein.
»Ich wusste nicht, dass du so schreckhaft bist. Irgendwie niedlich.« Irgendwie niedlich? Das letzte Mal, als mich jemand so bezeichnet hatte, war ich noch zur Schule gegangen. Er reichte mir seine Hand, um mir über die Kartons zu helfen. Im ersten Moment dachte ich, er würde mich an sich ziehen und küssen. Tat er aber nicht. Er verschränkte bloß die Arme und musterte mich.
»Was?«, fragte ich. Er zuckte mit den Schultern.
»Du machst es einem echt nicht leicht, aus dir schlau zu werden. Ich dachte, du fickst keine Arbeitskollegen.« Aha, der Buschfunk. Klar, Hendrik und Marlon waren Freunde. Natürlich redeten sie. Ich schaute ihn an, stellte die restlichen Flaschen ab und ging auf ihn zu. Ich legte meine Hände auf seinen Oberkörper und wanderte langsam zu seinen Schultern hinauf.
»Hab’s mir anders überlegt. Eifersüchtig?« Ich beugte mich leicht nach vorn, um ihm zu suggerieren, mich zu küssen.
Doch stattdessen sagte er: »Gott, würde ich dich jetzt gerne küssen. Aber ...« Ich kam näher.
»Aber was? Stört es dich, dass du nicht der Einzige auf meinem Radar bist?« Hauchte ich leise.
»Nein, das ist es nicht ganz.« Ich wollte ihm gerade entgegenkommen und den Kuss selbst in die Hand nehmen, als er zurückwich. Ich ließ meine Hände sinken.
»Was ist?«, stieß ich genervt aus.
»Versteh mich nicht falsch. Ich würde dich auf der Stelle küssen, aber ich weiß, wo dein Mund heute schon war und so nah möchte ich Marlon wirklich nicht kommen.« Er grinste. Hendrik meinte es wohl ernst, aber nicht beleidigt-ernst. Eher Geh-erst-mal-Zähneputzen-und-komm-dann-wieder-ernst.
Im ersten Moment fiel mir die Kinnlade bildlich runter und ich fühlte mich gekränkt, aber nur kurz. Ich konnte es ihm ja schlecht übel nehmen. Allerdings fragte ich mich nahezu zeitgleich, wie man dieses Anliegen in einer Dreier-Konstellation angehen sollte. Alle zehn Minuten Mundspülung verwenden, bevor man Bäumchen wechsle dich spielt? Wenn ich wirklich einen Dreier mit Marlon und Hendrik in Betracht ziehen wollte, würde ich mir etwas einfallen lassen müssen. Mann, was man alles bedenken musste.
Mich stört das nicht. Aber gut, nicht jeder hat an Oralsex so viel Freude wie ich. Ich spucke auch nichts aus. Ich finde, das ruiniert die Stimmung. Vor allem, wohin damit? Runterschlucken geht schnell und ist unkompliziert. Und so schlimm ist es nun auch nicht. Ich bin nicht versessen drauf, ich mache es einfach. Daher kann ich das Dilemma mit dem fremden Geschmack an den Lippen schon ein bisschen nachvollziehen.
»Schade. Aber nur zur Info, das ist bereits Stunden her. Ich habe mittlerweile gegessen, zwei Becher Kaffee getrunken und hatte vor etwa zehn Minuten einen Orangensaft. Ich glaube kaum, dass du da noch etwas anderes herausschmecken würdest. Na ja, dann ein anderes Mal.« Ich nahm die Flaschen wieder hoch und ging zur Tür. Ich stieß sie mit meinem Fuß auf und trat raus. Die Sonne knallte mir so stark ins Gesicht, dass ich kurz die Augen zusammenkneifen musste. Hendrik hielt mir die Tür auf und grinste mich schon wieder an.
»Nun denn, Alex. Gehst du nächste Woche mit mir aus? Immerhin hast du deine Regeln schon mal gebrochen. Das schaffst du sicher auch ein zweites Mal.« Ich schaute in die pralle Sonne und konnte kaum etwas sehen.
»Ach, Hendrik, ich gehe doch nicht mit Kollegen aus.« Nachdem ich mehrmals geblinzelt hatte, blickte ich in sein verwundertes Gesicht. Ich wollte Sex, kein Date. Dass er das immer noch nicht verstanden hatte.
»Aus dir soll mal einer schlau werden.« Er ließ die Tür ins Schloss fallen und ging an mir vorbei. Er kam gar nicht auf die Idee, mir etwas abzunehmen. Offenbar war er beleidigt. Na, so was habe ich ja gar nicht gern. Beleidigte Männer sind schrecklich. Ich bin eher der Schrei-alles-raus-und-diskutiere-bis-einer-tot-umfällt-Typ. Ich mag es nicht, zu schmollen, alles in mich hineinzufressen oder passiv-aggressiv zu sein.
Nun, bisher hatte ich nur Kontakt zu Hendriks ansehnlichen Charaktereigenschaften. Früher oder später musste ja mal etwas auftauchen, was mir nicht gefiel. Wäre ja zu schön gewesen. Da hatten wir es also. Beleidigtes Abschwirren. Ein kleiner Penis wäre mir lieber gewesen. Damit konnte ich umgehen. Jetzt war ich ein wenig enttäuscht. Meine Dreier-Fantasie rückte in weite Ferne. Ernüchterung statt Erregung.
Ich marschierte über den Hof zurück ins Restaurant und kümmerte mich wieder um den Tresen. Marlon war nicht mehr zu sehen und auch Hendrik schien wenig Interesse daran zu haben, mir über den Weg zu laufen. Wenigstens hatte Collin schon Feierabend und wurde von Sören und Freddy abgelöst. Ich hatte keine Lust mir von Collin einen Vortrag anhören zu müssen, weil er ohne mich das Kuchenbüfett hatte aufbauen müssen. Auch wenn die Rüge heute gerechtfertigt gewesen wäre.
»Und? Was haste so getrieben und noch viel wichtiger, mit wem?« Christian sah mich neugierig an. »Du warst vorhin so schnell verschwunden, dass ich mir schon fast Sorgen gemacht habe.« Ich ließ meinen Oberkörper ernüchtert auf den Tresen sinken.
»Von wegen, es ist ja nur Sex.« Ich erzählte ihm von meinem heißen Zusammenstoß mit Marlon und dem nicht ganz so heißen mit Hendrik. »Ich hasse es, wenn Männer Besitzansprüche stellen. Erst recht, wenn noch gar nichts passiert ist. Ich bin nicht ohne Grund Single«, fluchte ich. Christian nickte zustimmend.
Ich machte überpünktlich Feierabend und fuhr nach Hause. Hendriks Reaktion machte mich wütend. Aber noch mehr war ich enttäuscht. Ich hatte gerade erst mit dem Gedanken gespielt, meine Dreier-Fantasie in die Tat umzusetzen. Aber er zerstörte mit seinem beleidigten Abgang alles. Gemeinheit.