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In der alten Schule.

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Am nächsten Morgen füllte die Grossmutter Agis Körbchen mit Esswaren und führte die Geschwister bei einem Regen, der mit gaukelnden Schneeflocken gemengt war, ein halbes Stündlein weit über einen zerweichten Feldweg in die Schule. Der alte Lehrer, der die verschieden alten Buben und Mädchen einiger Dörfer in einem geräumigen Lehrzimmer beisammen hatte, nahm ohne Einwand Koja als Gast auf und bekam von der Grossmutter an Schulgeld statt eines Kupferkreuzers zwei für den Tag.a Er stattete Koja mit einem abgegriffenen und stark zerlesenen ABC-Täfelchen aus, borgte ihm Schiefertafel und Griffel und wies ihm seinen Platz auf der Mädelseite an in der ersten Bank neben Agi.

Schon in der Zehnuhrpause, kaum dass der Lehrer aus der Klasse war, begannen die Buben den Neuling zu hänseln. Ein grösserer stellte sich mit einem roten Kopftuch, das er vom Kleiderrechen genommen hatte, vor Koja und leierte sein Liedel, dessen Sinnb folgender war:

„Mädel-Bub! Mädel-Bub!

Musst ein Kopftuch tragen!

Mädel-Bub! Mädel-Bub!

Musst ein Kopftuch tragen!“

Im Nu war auch die Bande der Kleineren um die beiden versammelt; sie zerrten Koja aus der Bank, der Rädelsführer band ihm das rote Kopftuch um und dann schleppten sie den Wehrlosen unter allgemeinem Hallo durch die Klasse. Der weinte in ohnmächtigem Zorn. Da er keine Hand freibekommen konnte, suchte er zu beissen und schlug mit den Stiefelabsätzen nach den Beinen seiner Quäler. Durch den Lärm angelockt, erschien der Lehrer mit einem langen spanischen Rohr und liess es wahllos auf die Rücken der Jungen niedersausen.

So befreit, riss Koja das Tuch vom Kopfe und suchte die Türe zu gewinnen. Aber schon hatte ihn der Lehrer abgefangen, hob ihn empor und setzte ihn in die erste Bubenbank an die Ecke, so dass er seiner Schwester immerhin nahe blieb. Aber die Buben anerkannten ihn noch nicht als einen der Ihrigen.

Solange der Unterricht dauerte und die AbC-Schützen mit Chorlesen nach den an der Wand hängenden Silbentafeln in Atem gehalten wurden, während die Grossen schrieben und in den punktierten Heften zeichneten, hatte Koja Ruhe.

Der Zeigestab, den der rothaarige Peter handhabte, rückte von Silbe zu Silbe und die Kleinen lasen einförmig fort:

ba be bi bo bu

ca ce ci co cu

čac če či čo čuc

da de di do du usw.

dann wieder die senkrechten Reihen herab:

ba ca ča da fa ga ...

be ce če de fe ge ...

bi ci či di fi gi ...

dann zurück

ub ob ib eb ab ...

uc oc ic ec ac ač ...

und so ging’s weiter in einschläfernder Stetigkeit. Da und dort half der Stock des Lehrers die Schlaflust eines Gelangweilten überwinden. Koja aber las mit Eifer, dass ihm die Augen übergingen, obwohl er bald im Genick Schmerzen spürte von der erzwungenen Unbeweglichkeit. Als um elf Uhr die Schulglocke läutete, war er so betäubt, dass er die Feindschaft der Buben vergessen hatte. Nach dem Gebet verliess wohl die Hälfte der Kinder mit dem Lehrer die Klasse, nur die Auswärtigen, die wegen des schlechten Wetters ihr Mittagbrot in der Schule verzehrten, blieben.

Koja bekam von der Schwester sein Brot-Scherzel, das die Grossmutter ausgehöhlt, mit Pflaumenmus gefüllt und mit dem ausgeschnittenen Krumenstück verdeckelt hatte, zog seinen Taschenfeiteld aus dem Hosensack und begann zu essen.

Da bot sich ihm die gute Gelegenheit, sich bei den Buben „einzutegeln“. Aber er war nicht klug genug, die Gelegenheit zu nützen. Wenn auch jeder irgend etwas zum Essen mitbekommen hatte, jeden lockte das Fremde. Sie täuschelten untereinander. Der eine bot einen Apfel, dass der andere einmal davon abbeisse und ihm dafür einen Bissen Hartkäse gebe, ein anderer suchte sich einen Schluck Kaffee gegen ein Stück Leberwurst einzutauschen, viele aber verlegten sich einfach aufs Betteln. „Gib mir was!“ — „Gib mir was!“ Den kleinen Koja umstanden Buben und Mädeln, die von seinem „Powidl“ etwas auf ihr Brot streichen wollten. Den Mädeln gab er, den Buben aber nicht. Und das war dumm. Da huben sie wieder an, das Liedel zu singen und der spitznasige rote Peter gab den Ton an. Wieder stellte er sich mit dem Kopftuch vor Kosa. Der aber kam der Schmach zuvor. Sein Brot fasste er zwischen die Zähne, sprang den Angreifer an und verkrampfte seine Finger in dessen roter Mähne. Peter suchte ihn abzuschütteln; bei der Balgerei fiel polternd eine Schiefertafel vom Pult. Die bot sich als Waffe an. Nach ihr griff Peter und begann damit auf Koja einzuhauen. Die Mädeln, voran Agi, suchten dem Peter die Tafel zu entreissen. Ehe ihnen das gelang, traf die Rahmenkante Kojas Nasenrücken so gut, dass ihm das Blut von der Wunde hinab in die Mundwinkel rann. Er liess sein Brot fallen. Der Zweikampf war zu Ende. Koja weinte nicht, denn ein paar rote Haarbüschel zwischen den Fingern gaben ihm das Bewusstsein, dass der Haarboden seines Gegners auch nicht heil geblieben war. Einige Mädchen liefen zum Oberlehrer in die Wohnung, andere führten Koja hinunter zum Ziehbrunnen. Eine der älteren drehte die Kurbel und liess an langer Kette den leeren Eimer zum Wasserspiegel hinab. Als sie den vollen Eimer wieder heraufgekurbelt und auf den Boden gestellt hatte, wusch Agi dem Brüderchen die Wunde und band ihm ihr weisses Halstüchlein quer übers Gesicht, so dass er gerade noch über den Verband sehen konnte. Als die Kinder in die Klasse zurückkehrten, war der Lehrer schon da. Erst klebte er Koja einen Lappen Heftpflaster rittlings auf die Nase, dann aber nahm er den Missetäter vor. Ohne langes Verhör legte er ihn quer über das Pult der ersten Bank, dort, wo Kojas Platz war. Und Koja durfte ihm die Beine niederhalten, dass er nicht strampele. Dann tat das spanische Rohr seine Arbeit. Zur Ehre Peters sei es gesagt, er schrie nicht, er wimmerte nicht einmal, bis er losgelassen wurde. — Dann schlich er auf seinen Platz, legte den Kopf auf die Vorderarme und schluchzte so bitterlich, dass Kojas Mitleid rege wurde. —

Der Lehrer war zu seinem unterbrochenen Mittagsmahl zurückgekehrt. Und so mäuschenstill war es in der Klasse geworden, dass nur das Weinen des Gezüchtigten zu hören war. Agi reichte Koja den mitgebrachten Kaffee und eine Buchtel. Er sollte seine Mahlzeit beenden. Aber Koja vermochte nichts mehr zu geniessen. Unsicher, wie er damit aufgenommen würde, trug er Kaffee und Buchtel zum armen Peter und rüttelte ihn leise an der Schulter. „Da nimm und iss.“ Der hob seine rotgeweinten Augen in ungläubigem Staunen, dann griff er nach der Spende. Lange sass er da, ohne die veränderte Sachlage recht zu begreifen. Seine Tränen versiegten. Und er begann zu essen; und je weiter er damit kam, desto mehr hellten sich seine Züge auf. Aber er ass nicht fertig. Das letzte Stück, gerade die Ecke mit der fetten, knusperigen Rinde, reichte er Koja. Und der nahm’s dankbar an.

Als der Lehrer wiederkam, fand er die versöhnten Gegner nebeneinander sitzen. Koja war zu Peter übersiedelt. Und der Lehrer liess die beiden beisammen. Von diesem Tage an waren sie unzertrennlich.

Peter, der bei den Ziegelöfen unweit des Storchnestes wohnte, holte Koja und Agi zur Schule ab und geleitete sie getreulich wieder heim. Und kein Junge wagte es mehr, den Kleinen zu hänseln.

Der Benjamin in der Klasse, noch lange nicht schulpflichtig, machte Koja nach der alten, eintönigen Methode nur langsame Fortschritte im Lesen; es war so gar nicht lustig. Beim Schreiben führte ihm anfangs Peter die Hand, bald aber hatte er Augen und Finger zusammengewöhnt und schrieb die Klein- und Grossbuchstaben des ABC’s der Reihe nach erkennbar nach, wenn auch nicht gerade schön.

Im Rechnen lernte er wohl zählen, aber das Einmaleins, welches die Grossen erst von der Tabelle herableierten und dann einzeln aus dem Gedächtnisse aufsagten, ging über sein Begriffsvermögen. Es entstand in ihm die Meinung: „Das kann ich nicht — das werde ich nie können.“

Als die Ostern kamen und die Weiden an den Wiesengräben im Schmucke ihrer gelbstäubenden und silberig glänzenden Blütenkätzchen standen, kochte die Grossmutter für die Kinder zweierlei Ostereier. In dem einen Topf, wo sie braune Zwiebelschalen gesotten hatte, wurden sie schön lichtbraun wie Kaffee, im anderen, wo sie Farbholz aufgekocht hatte, wurden sie rot wie Klatschmohn. Aber im Dorfe gab es Leute, die wahre Künstler waren in der Herstellung bunter Ostereier.

Koja hatte sich am Gründonnerstag beim Umgehen mit der Ratschen, deren hölzernes Geklapper das Läuten ersetzen musste, dem Peter angeschlossen. Der unterwies ihn auch im Flechten der zopfartigen Oster-Rute. Die schmiegsamen Weidengerten dazu fanden die Knaben reichlich am Ufer der alten Elbe. Ausgerüstet mit den geschmeidigen Weidenzöpfen machten sie in aller Frühe des Ostermontags in der Nachbarschaft die Runde, um den jungen Frauen und Mädchen die segenbringenden Rutenstreiche beizubringen. Ob diese auch mit gespielter Angst schrien und sich wehrten, wenn die Buben wacker streichend hinter ihnen herliefen, sie beschenkten die Ostergänger doch mit Ostereiern, von denen manche in allen Regenbogenfarben schimmerten, während andere gar schöne Schmuckzeichnungen aufwiesen. Die schönsten gab Koja der guten Agi zum Aufheben. Aber soviel er auch herumfragte, wie solche Wunder an Schönheit zustandegekommen wären, er erfuhr es nicht. Die es konnten, bewahrten ihr Geheimnis.

Peter aber machte aus seiner Kunst vor Koja gar kein Hehl. Aus der Menge der eingesammelten Eier suchte er die roten, die blauen und die braunen heraus und schmückte sie vor Kojas Augen mit Bildern eigener Erfindung, indem er mit der Spitze seines scharf geschliffenen Messers herausschabte, was weiss erscheinen sollte. Ins Weiss hinein trug er mit dem Pinsel Erdfarben ein und zwar so, dass jede Zeichnung einen ausgesparten weissen Rand behielt. Am schönsten gelangen ihm immer die Störche und die Hasen.

Das Zeichnen und Malen ging ihm so flink von der Hand, dass Koja meinte, er müsse es auch treffen. Er brachte einen Hahn zustande, über den ein jeder lachen musste, der ihn sah.

Und das war auch ein Erfolg.

Kojas Wanderjahre

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