Читать книгу Deutschland und die Deutschen: Ein Geschichtsbuch aus dem Jahre 1823 - Alois Wilhelm Schreiber - Страница 4
Vom Bernstein und den Handelswegen der alten Deutschen:
ОглавлениеBei den Alten wurde der Bernstein sehr hoch gehalten, und dem Golde gleich geschätzt.
Die Steinschneider behandelten ihn sehr häufig, und zierten ihn oft mit den schönsten kleinen Figuren, teils in erhabener, teils in vertiefter Arbeit. Auch wurden allerlei kostbare Gefäße daraus verfertigt; die Frauen trugen Halsbänder aus Bernstein, und die Kinder der Reichen und Vornehmen wurden damit geschmückt.
Den größten Wert legte man darauf, wenn sich eine Fliege, Mücke, Ameise, oder sonst ein Landinsekt darin fand. Der Bernstein ist nämlich ein gelbliches Erdharz, und so lange er noch weich ist, bleiben oft Insekten daran kleben, die dann bei der Verhärtung in den Stein eingeschlossen werden, und so ein kostbares Grab finden.
Nach der Erzählung eines alten Schriftstellers hätte eine Kamee oder eine Gemme (Bildhauerei) aus Bernstein mit einer menschlichen Figur oft dreimal mehr gegolten, als ein wirklicher Mensch auf dem Sklavenmarkt (Kameen nennt man die hochgeschnittenen Steine, Gemmen die tiefgeschnittenen).
Die Römer, welche zur Zeit ihres nahen Falls in wahnsinniger Verschwendung alle Völker übertrafen, ließen ganze Jagdzeuge mit Bernstein verzieren: Griffe zu Dolchen, Messern, und allerlei Gerätschaften daraus verfertigen.
Von der Entstehung des Bernsteins erzählt die alte Fabel folgendes Mährlein:
Als Jupiter den Phaeton (hier Sohn des griechischen Gottes Helios; aber auch alte Bezeichnung für einen hypothetischen Planeten) in den Eridanus (ein Fluss in der griechischen Mythologie) hinab schleuderte, weil er mit den Sonnenpferden so ungeschickt umging, da standen die Schwestern des Jünglings – die Heliaden (in der griechischen Mythologie die Töchter des Helios) – am Ufer und wehklagten. Sie wurden in schwarze Pappeln verwandelt, und jährlich, am Todestag ihres Bruders, weinen die Verwandelten noch bittere Tränen, die aus der Rinde hervordringen, in den Strom fließen, und dort zu Bernstein werden.
Dieser Stein wurde zuerst an der Einmündung des Rheins in die Nordsee gefunden, und erst später an den Küsten der Ostsee. Dort entdeckten ihn die Phönizier, die schlauesten Seefahrer und Handelsleute jener Zeit.
Um aber den Gewinn für sich allein zu haben, und andere Völker von der Fahrt an die germanische Küste abzuschrecken, ersannen sie eine furchtbare Erzählung:
Der Weg dahin, sagten sie, führe durch ein Meer voll Schrecken und Gefahren, nahe den Pforten der Unterwelt vorbei, und zuletzt gelange man zu einem himmelhohen Fels, von welchem der Quell der Ozeans herabstürze.
Aus diesem Mährlein leuchtet doch einige Wahrheit hervor. Der Rhein bildete damals noch einen ungeheuren See und war bei Bingen durch eine gewaltige Felsenwand geschlossen. Über diese Wand herab stürzte er nun als ein furchtbarer Katarakt (Stromschnelle), und nahm seinen Weg in das Deutsche Meer oder die Nordsee.
Die Massilioten – griechische Kolonisten, die sich im heutigen Marseille niedergelassen hatten, und gleichfalls sehr unternehmend waren – fanden später das Geheimnis der Phönizier und holten den Bernstein am Rheine. Sie legten einen Handelsweg an, am Strom aufwärts, bis zum Po und zur Rhone.
Der Bernstein an der preußischen Küste wurde von Normännern, besonders Jüten abgeholt (einst ein germanischer Volksstamm auf der Halbinsel Jütland), und an die Massilioten vertauscht.
Drei Handelswege gab es von dort, für dieses damals so wichtige Produkt: Einen auf dem Ozean durch massilische Schiffe; einen zu Lande, bis zum adriatischen Meerbusen und einen auf dem Dnipr (2201 Kilometer langer Strom durch Russland, Ukraine, Weißrussland) zum schwarzen Meere hin.
Der Kaiser Nero konnte des Bernsteins nicht genug haben. Er sandte darum einen römischen Ritter an die preußische Bernsteinküste, der ihm von da eine ungeheure Menge zurückbrachte. Von dem Könige der Esten allein hatte der Römer 13.000 Pfund zum Geschenk erhalten.
Den Weg den Dnipr hinauf in die Ostsee nahmen auch manchmal asiatische Kaufleute. Einst wurden mehrere derselben durch Sturm an die Deutsche Küste verschlagen, und nach dem abscheulichen Strandrecht, welches noch bis in unsere Zeiten ausgeübt worden ist, von einem Könige oder Häuptling daselbst zu Sklaven gemacht, der sie nachher dem römischen Prokonsul in Gallien zum Geschenk sandte.
Die ersten Schiffe waren so eingerichtet, dass sie zu Lande fortgetragen oder auf Walzen fortgeschafft werden konnten. Jene asiatischen Kaufleute kamen vom schwarzen Meer den Dnipr herauf, gingen mit ihren Schiffen an die Düna (ein in die Ostsee mündender, 1020 km langer Strom), und steuerten von da ins baltische Meer.
Überhaupt waren Schifffahrt und Handel in den früheren Zeiten unserer Väter mehr ausgebreitet, als man gewöhnlich glaubt. In den alten Rheinstädten Straßburg, Speyer, Worms, Mainz, Köln befanden sich viele römische Handelsleute, die mit den benachbarten Deutschen verkehrten. Im mittleren Germanien verkauften die Einwohner bloß an die Römer, duldeten aber keine römischen Waren.
Marbod, der Markmannen-König, nahm auf seiner Burg die römischen Handelsleute auf, und man findet auch in den Rhein- und Donaugegenden eine Menge Grabsteine mit den Namen römischer Kaufleute. Auch gereicht es unsern Vätern zur Ehre, dass mitten unter kriegerischen Bewegungen der fremde Kaufmann meist sicher und ungestört seine Straße ziehen konnte.