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Kapitel 3: Ein Brief

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Was zum Teufel ist bloß los mit mir? Meine Gedanken kreisen immer und immer wieder um dieses eine Thema. Ständig sind es dieselben Dinge, die in meinem Hirn herumschwirren und die ich einfach nicht loslassen kann.

Oft denke ich noch an Lasse. Er ist einfach perfekt in meinen Augen. So wie meine Stiefschwester Elena. Ich will so sein wie sie. Ich will, dass Lasse mich genauso ernst nimmt, wie er sie als gute Freundin ernst nimmt. Ich bin mir nie sicher, ob er mehr in mir sieht, als das kleine Mädchen, das ich bin. Ich will, dass er mich so mag wie er Elena mag. Was findet er so toll an ihr? Sie ist einfach super reif und kreativ, künstlerisch und musikalisch begabt – genauso wie er. Ganz anders als ich. Ich will so sein wie sie. Ich will dazugehören. Und etwas Besonderes sein. Ist das nicht das Bedürfnis jedes Menschen? Man selbst sein, irgendwo dazugehören, jemand Besonderes sein und das alles gleichzeitig? Ich frage mich immer, wie das funktionieren soll. Wer bin ich überhaupt? Wieso weiß ich das nicht? Manche Menschen sind einfach sie selbst und merken gar nicht, wie besonders sie sind. Sie sind es einfach. Aber was bin ich schon? Ich bin ein Gesicht unter vielen auf diesem riesigen Planeten, der sich die Erde nennt. Deshalb schreibe ich wohl diesen Brief an Lasse. Ich will Aufmerksamkeit von ihm. Jedenfalls eine andere Aufmerksamkeit als die, die ich sonst von ihm bekommen habe.

Er findet mich hübsch, das weiß ich. Das reicht mir aber nicht aus. Eine Vase mit Blumen ist ebenfalls „hübsch“, aber sie steht einfach nur da. Man kann sie ansehen und ihren Anblick genießen, aber mehr steckt auch nicht dahinter, denn was kann die Blume schon, nachdem sie einmal von ihren Wurzeln getrennt ist?

Ich denke die ganze Zeit, zwischen Lasse und mir herrsche so eine Art tiefe Verbindung. Deshalb schreibe ich diesen seltsamen Brief, von dem ich selbst nicht so ganz weiß, was er zu bedeuten hat:

Du und die Welt,

ich sehe dich an und ich schaue auf die Welt. Da ist so viel Unperfektes an der Welt. So viele große Fehler und kleine Macken. So viele Menschen. Und da stehst Du. Mitten in dem ganzen Chaos…“

Notiz meines 24-jährigen Ichs an mein 19-jähriges Ich: Ziemlicher Unsinn, was du in dem Brief fabriziert hast. Mach sowas Peinliches nie wieder!

Vergeblich warte ich auf eine Antwort von Lasse. Der Brief muss schon längst bei ihm angekommen sein. Keine Antwort. Erst nach einem weiteren Kontaktversuch per SMS reagiert er endlich.

Ich stehe nun vor einer Kneipe in Saarbrücken. Es ist bitterkalt und schon spät. Trotzdem ist noch einiges los auf den Straßen. Ich bin aufgeregt und weiß nicht, ob mein Zittern von der Kälte oder der Aufregung kommt.

Endlich ist er da, ich sehe ihn schon von weitem. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Plötzlich bin ich mir meiner Sache doch nicht mehr so sicher. Warum hat er sich nicht von sich aus gemeldet? Was würde er zu dem Brief sagen? Zweifel ergreifen mich. Er grüßt mich möglichst normal. Ich grüße möglichst selbstverständlich zurück – als ob dies der normalste Moment in meinem Leben wäre. Ich bemühe mich wirklich darum, es nicht noch merkwürdiger zu machen.

„Warum wartest du hier in der Kälte statt einfach rein zu gehen, dorthin, wo es warm ist?“, sagt er so locker wie möglich und lächelt. Ich stottere mir irgendwas zusammen. Na, toll. Jetzt ist gar nichts mehr normal. Nicht, dass es das an diesem Abend je gewesen wäre.

Wir gehen rein und suchen uns einen Tisch aus. Ich bin froh, dass ich mich dagegen entschieden habe, mich bei Lasse zu Hause zu treffen, wie er es zuvor vorgeschlagen hat. Das wäre noch seltsamer gewesen, einfach wegen des Briefs. Hier in der Kneipe unter den vielen Leuten bin ich etwas gefasster. Ich weiß nicht, wie ich das Gespräch beginnen soll, aber das nimmt mir Lasse schon ab.

„Wie läuft dein Soziologie-Studium?“, will er wissen.

„Durchwachsen“, antworte ich überraschend selbstsicher. „Und bei dir? Wie läuft dein Studium?“ Ich frage mehr aus Höflichkeit, als aus Interesse.

„Super“, antwortet er sofort darauf. „Ich hatte letztens eine Diskussion mit unserem Soziologie-Professor. Der wollte seine Theorie auf die Realität übertragen und er lag voll daneben. Das hatte nichts, aber auch gar nichts mit der Realität zu tun, verstehst du?“

Ich nicke langsam. Fragend sehe ich ihn an. Will er mir damit irgendetwas sagen? Meine Rädchen rattern. Ich verstehe immer noch nicht, was das Gespräch hier soll. Bis es endlich Klick bei mir macht. Schonender könnte er mir nicht sagen, dass mein Brief an ihn nichts, aber auch gar nichts mit der Realität zu tun hat.

„Amina, du musst dir helfen lassen!“, rät er. Ich verstehe nicht, was er meint. „Wenn es dir wirklich so schlecht geht, wie in dem Brief beschrieben, dann solltest du dir auf jeden Fall Hilfe suchen.“

Ich bin verdutzt. Ist das sein Ernst? Ich gestehe ihm in einem Brief mein Gefühlsleben und er will mich dafür in die Klapse schicken? „Und was ist mit..?“

„Mit deinen Gefühlen?“

Ja, mit meinen Gefühlen. „Ach, vergiss es, das war…“, setze ich zum Sprechen an. Und dann weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll. Lasse ignoriert dies bewusst und so gehen wir auseinander.

Es ist einer der seltsamsten Tage in meinem Leben.

Und Alles macht Nichts, wenn wir tanzen

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