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Die Schikane

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Als der Film mit dem französischen Schauspieler im Valley herauskam, ging ich in die zweite Vorstellung des Abends. Es war eine hippe romantische Komödie, nicht so bemerkenswert aber, wie es sein erster Film gewesen war, das derbe Schelmenstück, das seinen Namen berühmt gemacht hatte.

Vor mehr als dreißig Jahren war meine Tante Lauryn damit beauftragt, ihn zu Interviews zu begleiten und als seine Übersetzerin zu fungieren. Sie studierte damals an einer Universität in Madrid und machte ein Auslandsjahr fern von zu Hause in den Staaten, im mittleren Westen.

Lauryn war lebhaft und lustig, ein leidenschaftliches Mädchen mit einer gleichmäßig gebräunten Haut. Der Schauspieler blieb in seiner Rolle, und als sie ihm einen Monat später schrieb, dass ihre Tage überfällig waren, erhielt sie keine Antwort. An dem Tag, als sie eine Fehlgeburt erlitt, hatte ihre mehrere tausend Kilometer entfernte beste Freundin ein »schlechtes Gefühl« und rief den Hausmeister von Lauryns Wohngebäude in Madrid an, ansonsten hätte Lauryn die Überdosis nicht überlebt.

Sie berappelte sich mit der Hilfe ihrer Mutter in Chicago, in langen Gesprächen, die sie jede Nacht brauchte. Ein Jahr später traf sie jemanden, der sie vergötterte. Sie war nach Lissabon gezogen, um medizinische Dokumente zu übersetzen, während sie ihre letzten Uni-Seminare absolvierte. Macario war der Nächste.


Macario stand in einer Schlange am Eingang, als die Banco de Portugal um neun Uhr öffnete. Drinnen nahm er in einem abgetrennten Büro eines Bankberaters Platz, während der Banker den Schlüssel für das Schließfach holte. Der Bankberater begleitete ihn zum Safe, und die beiden Männer standen nebeneinander, als Macario das Schließfach öffnete und dem Inhalt ein Tonband in einer marineblauen Filztasche hinzufügte. Er schloss das Fach und ließ sich vom Banker nach oben und bis zur Tür begleiten.

Die Bank war in Lissabon, und die Fahrt von Estoril in die Stadt hatte eine halbe Stunde gedauert. Ein anderer Fahrer hätte dafür eine Stunde gebraucht, aber Macario war professionelle Rennen gefahren, und auch wenn er nicht mehr oft an Wettbewerben teilnahm, fuhr er noch immer mit hoher Geschwindigkeit und Aggressivität. Beim Rennfahren hat er auch Lauryn kennengelernt, ein amerikanisches Mädchen, das im Ausland Sprachen studierte und Seminare schwänzte, um an die Rennstrecke zu kommen. Sie sah eher südländisch aus, nicht wie aus dem Mittleren Westen, und als er sie an der Ziellinie sah, war er froh, als er feststellte, dass sie fließend Portugiesisch sprach.

Als Lauryn ihn ein paar Monate später mit nach Hause brachte, um ihre Mutter zu treffen, wünschte sich Hillis, dass ihr Ehemann noch lebte, um helfen zu können. Sie war erschöpft davon, ihren Ehemann vor nicht ganz einem Jahr verloren zu haben, und sie entschied sich dazu, auf das Glück ihrer Tochter zu hoffen, wenn sie sich nicht auf Lauryns Urteil verlassen konnte. Die Hochzeit fand in Lissabon statt, an die sich kurze Flitterwochen im Ritz anschlossen. Hillis war nicht angereist, hatte aber ein unübertrefflich großzügiges Geschenk geschickt.

Das Haus, das Macario für sie in Estoril gemietet hatte, zeigte zum Meer hinaus. Das Chalet Esperanza war im 16. Jahrhundert errichtet worden; von den Terrassen ergossen sich Bougainvillea bis zum Boden. Die Frischvermählten tranken morgens Kaffee auf der Schlafzimmerterrasse, die nah genug am Meer war, um bei Ebbe die Seesterne am Strand auszumachen. Macario brachte seiner Braut einen winzigen Pudel mit – überwiegend Pudel –, der ein paar Tage an der Rennstrecke gewesen war. Das Boxenteam hatte ihn gefüttert, aber niemand war gekommen, um nach ihm zu suchen. Lauryn nannte den kleinen Hund Espe: Sie badete sie und kaufte dem Hund eine ganze Reihe von Halsbändern. Macario nutzte den Sommer, um seine Braut kennenzulernen.

Lauryn schrieb Hillis über die herrlichen Tage, denen sie Morgen für Morgen erwachten. Sie erzählte ihrer Mutter, dass sie früher zum Markt ginge als die Touristen, sie sagte, dass sie selbst keine Touristin mehr sei seit ihrer Hochzeit mit Macario. Sie schrieb, dass sie das platte Chicagoer »aeh« losgeworden sei – sie bemerkte es die wenigen Male, da sie ihre Muttersprache gebrauchte. Sie war dort, wo sie sein sollte, sagte sie, und lebte ein Leben, das Sinn ergab.

Sie lernte die Geschichte der Küstenorte, besuchte die herausragenden Kirchen und lebte in Estorils mildem Sommer auf, im Gegensatz zu der trockenen Hitze Illinois’. Sie erzählte, dass sie gern in Parede umherschlenderte, das war ein kleiner Strandabschnitt, wo der hohe Iod-Anteil im Wasser angeblich gut für die Knochen war; es gab zwei orthopädische Kliniken im Ort. Lauryn erzählte ihrer Mutter, dass sie plane, eine zu besichtigen und den Patienten der Kinderklinik etwas vorzulesen.

An manchen Tagen fuhr sie nach Tamariz, einem Strand neben dem Estoril Casino & Gardens, oder zum Fischmarkt nach Praia dos Pescadores oder zu der barocken Kirche der Seefahrer, um dafür zu beten, dass Macario immer zu ihr zurückkehrte und nicht an die Rennstrecke.

Der Circuito Estoril am Autódromo war mit seinen unebenen Geraden, ständigen Spitzkehren, schwierigen Bremszonen und der komplizierten Schikane eine schwierige Strecke in der Formel-1. Der Monat, in dem sie das Chalet hatten, der Juli, das war der Monat, in dem nur die Motorräder fuhren. Solange Macario und Lauryn ihren Aufenthalt nicht verlängerten, wären seine Rennfreunde nicht dort, um ihn zurück auf die Strecke zu locken.

Jeder sah den anderen als seinen Hauptgewinn, wozu also sollte man sich weiter messen?

So dachte Lauryn, und so wurde es ihrer Mutter berichtet und dann an mich weitergegeben. Macario, hob sie hervor, hatte bereits eine Vitrine mit Trophäen gefüllt; musste er wirklich sein Leben weiter riskieren, jetzt, da er Frau und bald ein Kind haben würde?

Auch wenn Lauryn einundzwanzig Jahre alt war und ich siebzehn, behandelte sie mich nicht wie das Kind ihrer älteren Schwester, sondern als jemand, der von all dem profitieren könnte, was sie gelernt hatte. Auch wenn ich Sprachen nicht so leicht erlernen konnte, wie sie es konnte, nahm ich andere Lektionen mit.

In diesem Sommer begann Lauryn weite Kleidung zu tragen. Sie steckte ihre Shirts nicht mehr in die Hose. Sie hielt Nickerchen und war abwechselnd krank und heißhungrig. Sie erweckte in Macario ein Dynastie-Gefühl, ein Wort, das sie ironisch benutzte, er jedoch nicht.

Dann machte sie den klassischen Fehler, das Exotische aus seiner Umgebung zu holen. Sie zog mit ihrem Ehemann zurück in die Heimat und verwandelte ihn in etwas, das sie leicht hätte finden können, ohne Illinois zu verlassen. Macario nahm ihr das nicht übel, doch Lauryn begann damit, ihm dieselben Dinge zu verübeln, die sie anfangs an ihm anziehend fand.

Nach dem Monat in Estoril brachte Lauryn Macario wieder nach Hause. Sie wollte einen amerikanischen Arzt, sie wollte die Hilfe ihrer Mutter mit dem Baby, sie wollte, dass Macario eine Stelle in der Firma annahm, die ihr Vater einst geleitet hat. Sie wollte letztlich einen amerikanischen Ehemann. Als ihr Sohn, James, geboren wurde, sprach Macario seinen Namen »Zsaim« aus. Portugiesisch war die Sprache, in der sie stritten.

Die ersten beiden Jahre ihrer Mutterschaft waren Balsam für Lauryn. Während der Schwangerschaft hatte sie aufgehört, Tabletten zu nehmen, um ihre Gedanken aufzuhellen, und nach der Geburt des Babys fing sie nicht wieder damit an. Sie schob ihren Gemütswechsel auf die neue Verantwortung, auf die Wachsamkeit, die es brauchte, um ihr Kind zu beschützen und sicherzustellen, dass es gesund aufwächst. Und entweder sprach sie mit ihrer Mutter am Telefon oder sie sah sie tagtäglich. Ich sah sie alle paar Monate, wenn ich nach Kalifornien flog, um dem Leben zu entkommen, das für mich noch nicht richtig begonnen hatte. Ich fand ihr Leben besser, jenes, von dem sie sprach, bevor das Baby geboren wurde.

Macario half bei der Erziehung, wenn er abends aus dem Büro kam. Dennoch sagte Lauryn, dass sie eine Pause von allen brauchte, von allem, und an ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag buchte sie einen Flug nach Lissabon.


Macario hätte nie erfahren, dass es eine Aufnahme gab, wenn der Polizeichef nicht ein alter Freund gewesen wäre, der es ihm erzählt hatte. Es war nicht allgemein bekannt, dass die Polizei internationale Anrufe innerhalb der Hauptstadt aufzeichnete. Als also Lauryn am letzten Tag ihres Lebens aus einem Zimmer im Lissabonner Ritz ihre Mutter in Chicago anrief, wurde das Gespräch von der Polizei aufgezeichnet. Der Polizeichef hat Macario nicht nur davon erzählt, er gab ihm sogar eine Kopie der Aufnahme.

Macario hörte es sich einmal an und legte es dann in sein Schließfach bei der Bank. Er sagte Hillis nicht, dass es eine Aufnahme vom letzten Gespräch gab, das sie mit ihrer Tochter geführt hatte oder dass er Lauryn zugehört hatte, wie sie immer weniger Sinn ergab, nachdem sie die Tabletten genommen hatte. Mir aber hat er es erzählt.


Hillis und ich tranken Kaffee auf ihrer Terrasse im 18. Stock ihres Wohngebäudes, das nahe genug am Lake Michigan lag, dass wir den Diesel riechen konnten. Sie hatte nach Lauryns Tod weitgehend auf Koffein verzichtet; es minderte die Wirkung der Medikamente, die sie seitdem zur Beruhigung nahm. Aber man könne nicht alles auf einmal verlieren, meinte sie, und trank weiterhin morgens Kaffee wie ehedem. In den Jahren seit Lauryns Tod hatte sie die Aussicht von ihrer Terrasse verloren. Sie war größtenteils durch das John Hancock Building verdeckt worden, dessen Bau sie von ihrem Wohnzimmer aus gegenüber vom Büro- und Wohngebäude beobachten konnte.

Hillis wollte nicht über Lauryn sprechen, aber sie schien sich über meine Besuche zu freuen, wenn ich von der Küste nach Chicago zurückkam. Auch wenn meiner Arbeit keinerlei Glamour innewohnte, fragte mich meine Großmutter nach Einzelheiten. Aufgrund eines unangenehmen Beinahe-Zufalls lektorierte ich Artikel für medizinische Fachzeitschriften. Es war eine Arbeit, von der ich wusste, dass ich sie aufgeben würde, sobald sich etwas Besseres ergäbe.

Ich bin mir sicher, Lauryn hätte die Rezeption des Ritz Hotels angerufen, wenn sie gewollt hätte, dass ein Arzt kommt und ihr den Magen auspumpt, und hätte ihnen gesagt, dass sie einen auf ihr Zimmer schicken sollen. Sie wollte mit ihrer Mutter sprechen und hören, dass ihre Mutter ihr aus tausenden Kilometern Entfernung erzählt, dass James in seiner Krippe im Gästezimmer schlief, und dass es schwer zu verstehen war, was sie sagte – konnte sie lauter sprechen? – und dass sie sich besser fühlen würde, wenn sie morgens aufwachen würde, und dann hatte sie ihre Mutter gebeten, in der Leitung zu bleiben, während sie sich selbst in den Schlaf sang.

Macario hat mich die Aufnahme nicht hören lassen: Ich musste seiner Erzählung darüber, was auf dem Band war, glauben, als er mich an James’ 10. Geburtstag zur Seite nahm und mir dieses scheußliche Geschenk machte. Warum mir das zu jenem Augenblick erzählen? Er hatte keine Antwort darauf, als ich ihn fragte.

An diesem Morgen wollte ich meine eigene Aufnahme machen. Ich wollte meiner Tante von der Party in Malibu erzählen, auf der ich letzte Nacht war. Der Typ, der die Tür öffnete, war nicht der Gastgeber, sondern der französische Schauspieler, der Wüstling, der in seinem ersten Film einen Wüstling gespielt hatte, der meine Tante in Madrid vor so vielen Jahren verführt hatte. Er war sehr vorteilhaft gealtert; er hatte es noch, dachte ich.

Ich wollte etwas durchspielen, also folgte ich ihm durch das Haus und fragte, ob er mit mir hinausgehen und mir den Nachthimmel zeigen würde. Ich stellte mich als Lauryn vor und buchstabierte die Stelle, an der das »y« das »e« ersetzte. Erwartete ich, dass er zusammenzuckte? Mit seinen Armen auf meinen Schultern erzählte er, was wir beim Hochblicken sahen. Ich hätte nicht beurteilen können, ob das, was er über die Konstellationen sagte, stimmte. Sein Akzent funktionierte fast bei mir. Als er aber aufhörte zu reden und sich für einen Kuss zu mir herüberlehnte, wich ich aus und sagte: »Du kannst mich in Erinnerung behalten als das Mädchen, dem Du den Neumond gezeigt hast.«

»Aber Schätzchen«, sagte er, »es gibt jeden Monat einen neuen.« Dennoch wollte ich es meiner Tante erzählen. Die Zeit der Musikkassetten war vorbei, aber die Geräte mussten irgendwo aufzutreiben sein, und wenn ich diejenige wäre, die eins auftreibt, würde ich dann nicht eine Kassette aufnehmen, auf der ich ihr die Geschichte erzähle? Würde ich sie nicht an Macario in einer passenden Filztasche senden, damit er sie zu der Bank in Lissabon mitnehmen und das Schließfach öffnen und sie neben die Kassette legen könnte, auf der sich seine Frau im Safe hinfort redet?

Sing

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